Vossische Buchhandlung

[1008] Vossische Buchhandlung. Johann Michael Rüdiger aus Heidelberg ist der Begründer der Vossischen Buchhandlung in Berlin. Unterm 7. September 1693 wurde ihm vom Kurfürsten Friedrich III., da Rüdiger »bey der kläglichen Einäscherung der Churfürstl. Residenz-Stadt Heydelberg Alles das seinige verlohren« hatte, »ein privilegium zu Treibung und Fortsetzung des Buchhandels ertheilet«.

Rüdiger warf sich alsbald auf das Verlagsgeschäft, sein erstes Verlagswerk war eine theologische Streitschrift. Vom Jahre 1696 ab wird sein Verlag bunt und mannigfaltig, 1699 erschien u. a. »Die Chur-Brandenburgische Hoff-Wehe-Mutter«. 1703 ließ sich Rüdiger ein Gesangbuch privilegieren, das gut ging und reichen Gewinn abwarf.

Im Besitze der Firma folgten sich 1745 Johann Andreas Rüdiger, dann Johann Adam Rüdiger und von 1758 bis 1769 Johann Heinrich Rüdiger.

Eine Tochter des Johann Andreas Rüdiger heiratete den aus Lübben gebürtigen, damals in Potsdam ansässigen Buchhändler Christian Friedrich Voß, der dann alsbald das Rüdigersche Geschäft übernahm. Eine seiner Hauptsorgen war zunächst die Förderung der Rüdiger am 11. Februar 1722 privilegierten »Berlinischen Zeitung«, die im folgenden Jahre dann ihr Erscheinen begann. Es ist dies die heutige »Vossische Zeitung«, für die Voß alsbald keinen Geringeren als Gotthold Ephraim Lessing als Leiter des literarischen Teils anstellte. Er änderte auch den Teil des Blattes in »Staats- und gelehrte Zeitung«, warf sich daneben aber eifrig auf das Verlagsgeschäft, dessen wissenschaftlichen Ausbau er sich besonders angelegen sein ließ.[1008]

Als Vertrauensmann und Führer der Berliner Buchhändler zeigte Voß auch ein ganz besonderes Interesse an den jeweilig auftretenden Fragen des Gesamtbuchhandels. Ihm ist die Initiative zu verdanken für Abwehrmaßregeln gegen den damals so sehr im Schwunge befindlichen Nachdruck. Mit Voß an der Spitze tat sich 1765 eine größere Anzahl Buchhändler zur »Buchhandlungsgesellschaft in Deutschland« zusammen mit dem Versprechen, jeden Nachdrucker zu boykottieren, d.h. nichts von ihm zu beziehen, nichts an ihn zu liefern und mit dem entschlossenen Bestreben, die Landesgesetzgebung zum Schutz gegen den Nachdruck zu veranlassen.

Unter den damaligen deutschen Verlegern nahm Voß eine Hauptkontrolle ein. Bei ihm erschienen vor allem Schriften von Lessing, Ramler, Jean Paul und Herder, dann von 1765 an jene unschätzbare Sammlung »Kgl. Preuß. und Churf. Brandenburg. Gesetze«, welche durch Mylius bearbeitet, noch heute ein überaus begehrtes Werk ist. Nicht zuletzt waren es Friedrichs des Großen Werke, welche, bei Voß verlegt, diesem eine besondere Auszeichnung verschaffen. Zusammen mit der von Deckerschen Buchhandlung wurde Voß betraut, auch den Nachlaß des großen Königs in Verlag zu nehmen. Der König hatte bestimmt, daß diesen Firmen die Räume der alten Bibliothek zur Verfügung gestellt wurden. Ja, die Firmen Decker und Voß durften sogar den gesamten Apparat der Preußischen Diplomatie in Bewegung setzen, um den Vertrieb de Werke zu fördern. Voß bot die vollständigsten und authentischen, die best ausgestatteten Ausgaben der Werke des großen Königs und auf diese Ausgaben ist die wissenschaftliche wie die schöngeistige Welt mehr als ein halbes Jahrhundert, bis zum Erscheinen der »Oeuvres« der Akademie, angewiesen gewesen.

1791 trat Voß seinem Sohn, Christian Friedrich Voß (der Sohn) die Verlagsbuchhandlung nebst der Zeitung ab, vier Jahre später, am 24. April 1795, starb der hervorragende Mann, ohne daß ihm gesagt worden war, daß zwei Tage vor ihm der Sohn ins Grab gesunken war. Es entstand nun ein Erbstreit, der aber mit einem Vergleich endete.

Die Witwe Voß des Jüngeren heiratete nach dem Tode ihres ersten Gatten einen russischen Oberstleutnant a. D. von Moeller; das Verlagsgeschäft führte sie fort, während die »Vossische Zeitung« an ihre mit dem Kgl. Steuerdirektor Lessing, einem Bruder des großen Dichters, verheiratete Schwägerin fiel. In dem Besitz ihrer Nachkommen befindet sich bekanntlich die Zeitung noch heute.

Seit 1793 trägt die Firma den Namen Vossische Buchhandlung. 1804 ging das Verlagsgeschäft an den Sohn der[1009] Witwe Voß, an dessen Genossen Weweyer und den Berliner Buchhändler Oehmigke über.

In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts beschränkte sich die Tätigkeit der Firma in der Hauptsache auf die zahlreiche Neuauflagen der in ihrer Glanzperiode herausgegebenen Werke. Von 1799 an warf sie sich mit besonderem Eifer auf Reisebeschreibungen, ethnographische, geographische uns statistische Literatur. Das »Magazin für Reisebeschreibungen« brachte jährlich 1-2 Bände, meist gediegene Sachen. Dazwischen chemische Handbücher, Lehrbücher, einzelne philosophische Erscheinungen. 1825 erscheint im Verlage der Vossischen Buchhandlung die »Berlinische Zeitschrift für Wissenschaft und Literatur«, herausgegeben von Goedicke; 1818 finden wir eine »praktische Medizin«. 1838 Uebersetzungen Püschkins und eine Gedichtsammlung »Schaden der Zeit«. Man merkt ein gewisses unsicheres Tasten. In den vierziger Jahren trat das Verlagsgeschäft noch mehr zurück, ja, die Firma brachte längere Zeit hindurch überhaupt keine neuen Werke.

Ein Umschwung zum Besseren trat erst ein, als Julius Strikker die alte Firma käuflich an sich brachte. Obwohl er schon 1857, also nach 12 Jahren, starb, verstand er es doch, sich in kurzer Zeit einen Stab zum Teil ganz hervorragender Mitarbeiter zu bilden, und zwar, indem er dem Verlag eine ausgesprochene militärische Richtung gab. Von den Autoren der Vossischen Buchhandlung seien aus jener Zeit u.a. die folgenden genannt: General v. Strotha, General v. Aster, General Kraft, Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen, General Jacobi, General Siegert, Oberst Hoffmann, Generalarzt Dr. Roth; die Majors Grabe, Böhmer, Graf E. Lippe-Weißenfels mit seiner prächtigen, vielgelesenen heer- und kriegsgeschichtlichen Studie: »Fridericus Rex und sein Heer«.

Nach dem Tode Strikkers führte seine Witwe mit Unterstützung von Eduard Seiler das Geschäft fort, dessen Verlag sie noch durch manches schöne Buch bereicherte, wie z.B. Bergaus Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, die Werke des Prinzen Georg von Preußen u.a. Frau Rosalie Strikker starb am 26. Dezember 1897, das Geschäft wurde von dem Erben Eduard Seiler an seinen Neffen Emil Olawski abgetreten, von welchem der jetzige Inhaber Alfred Scholz den Verlag unter Ausschluß des gleichzeitig betriebenen Sortimentsgeschäftes im Jahre 1900 käuflich erwarb.

Quellen: Die Voss. Buchh. in Berlin 1693-1903, Berlin 1903; Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels; vergl. auch die ausführliche Geschichte der Vossischen Zeitung von Arend Buchholtz, Berlin 1904.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 6. Berlin/Eberswalde 1908, S. 1008-1010.
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