VIII. Resultat: Konfuzianismus und Puritanismus.

[512] Wir stellen das Gesagte vielleicht am zweckmäßigsten derart in den Zusammenhang unserer Gesichtspunkte, daß wir uns das Verhältnis des konfuzianischen Rationalismus – denn dieser Name gebührt ihm – zu dem uns geographisch und historisch nächstliegenden: dem Rationalismus des Protestantismus, verdeutlichen. Für die Stufe der Rationalisierung, welche eine Religion repräsentiert, gibt es vor allem zwei, übrigens miteinander in vielfacher innerer Beziehung stehende Maßstäbe. Einmal der Grad, in welchem sie die Magie abgestreift hat. Dann der Grad systematischer Einheitlichkeit, in welche das Verhältnis von Gott und Welt und demgemäß die eigene ethische Beziehung zur Welt von ihr gebracht worden ist.

In der ersten Hinsicht stellt der asketische Protestantismus in seinen verschiedenen Ausprägungen eine letzte Stufe dar.[512] Seine am meisten charakteristischen Ausprägungen haben der Magie am vollständigsten den Garaus gemacht. Auch in der sublimierten Form der Sakramente und Symbole wurde sie prinzipiell ausgerottet, so sehr, daß der strenge Puritaner selbst die Leichen seiner Lieben formlos verscharren ließ, um nur jeder »Superstition«, und das hieß hier: jedem Vertrauen auf Manipulationen magischen Charakters, die Quelle abzugraben. Die gänzliche Entzauberung der Welt war nur hier in alle Konsequenzen durchgeführt. Das bedeutete nicht etwa die Freiheit von dem, was wir heute als »Aberglauben« zu werten pflegen. Die Hexenprozesse haben auch in Neu-England geblüht. Aber: während der Konfuzianismus die Magie in ihrer positiven Heilsbedeutung unangetastet ließ, war hier alles Magische teuflisch geworden, religiös wertvoll dagegen nur das rational Ethische geblieben: das Handeln nach Gottes Gebot, und auch dies nur aus der gottgeheiligten Gesinnung heraus. Es ist nach der Darstellung wohl völlig klar geworden: daß in dem Zaubergarten vollends der heterodoxen Lehre (Taoismus) unter der Macht der Chronomanten, Geomanten, Hydromanten, Meteoromanten, bei der krüden und abstrusen universistischen Vorstellung vom Weltzusammenhang, beim Fehlen aller naturwissenschaftlichen Kenntnis, welche teils Ursache teils aber auch Folge jener elementaren Gewalten war, bei der Verpfründung, der Stütze der magischen Tradition, an deren Sportelchancen sie interessiert war, eine rationale Wirtschaft und Technik moderner okzidentaler Art einfach ausgeschlossen war. Die Erhaltung dieses Zaubergartens aber gehörte zu den intimsten Tendenzen der konfuzianischen Ethik. Aber innere Gründe traten hinzu und hinderten jede Durchbrechung der konfuzianischen Macht.

Die puritanische Ethik rückte, im stärksten Gegensatz zu der unbefangenen Stellungnahme des Konfuzianismus zu den Dingen der Erde, diese in den Zusammenhang einer gewaltigen und pathetischen Spannung gegenüber der »Welt«. Jede Religion, welche mit rationalen (ethischen) Forderungen der Welt gegenübertritt, gerät ja – wir werden das alsbald noch im einzelnen verfolgen – an irgendeinem Punkt mit deren Irrationalitäten in ein Spannungsverhältnis. Diese Spannungen setzen bei den einzelnen Religionen an sehr verschiedenen Punkten ein und darnach ist sowohl die Art wie der Stärkegrad der Spannung verschieden.[513] Dies hängt in starkem Maße von der Art des durch metaphysische Verheißungen gegebenen Erlösungswegs der einzelnen Religion ab. Vor allem: der Grad der religiösen Entwertung der Welt ist dabei mit dem Grade ihrer praktischen Ablehnung nicht identisch.

Diejenige (der Absicht nach) rationale Ethik, welche die Spannung gegen die Welt, sowohl ihre religiöse Entwertung wie ihre praktische Ablehnung, auf ein absolutes Minimum reduzierte, war, wie wir gesehen haben, der Konfuzianismus. Die Welt war die beste der möglichen Welten, die menschliche Natur der Anlage nach ethisch gut und die Menschen untereinander darin, wie in allen Dingen, zwar dem Grade nach verschieden, aber prinzipiell gleich geartet und jedenfalls schrankenlos vervollkommnungsfähig und zulänglich zur Erfüllung des Sittengesetzes. Philosophisch-literarische Bildung an der Hand der alten Klassiker war das universelle Mittel der Selbstvervollkommnung, ungenügende Bildung und als deren hauptsächlichster Grund: ungenügende ökonomische Versorgung, die einzige Quelle aller Untugenden. Solche Untugenden aber, und zwar insbesondere diejenigen der Regierung, waren der wesentliche Grund alles aus der Unruhe der (rein magisch aufgefaßten) Geister entstehenden Unheils. Der rechte Weg zum Heil war die Anpassung an die ewigen übergöttlichen Ordnungen der Welt: das Tao, und also an die aus der kosmischen Harmonie folgenden sozialen Erfordernisse des Zusammenlebens. Vor allem also: pietätvolle Fügsamkeit in die feste Ordnung der weltlichen Gewalten. Für den einzelnen war die Ausgestaltung des eigenen Selbst zu einer allseitig harmonisch ausbalancierten Persönlichkeit, einem Mikrokosmos in diesem Sinne, das entsprechende Ideal. »Anmut und Würde« des konfuzianischen Idealmenschen: des Gentleman, äußerte sich in der Erfüllung der überlieferten Pflichten. Die zeremonielle und rituale Schicklichkeit also in allen Lebenslagen war, als Zentraltugend, Ziel der Selbstvervollkommnung, wache rationale Selbstkontrolle und Unterdrückung aller Erschütterung des Gleichgewichts durch irrationale Leidenschaften, welcher Art immer, das geeignete Mittel, sie zu erreichen. Irgendwelche »Erlösung« aber, außer von der Barbarei der Unbildung, begehrte der Konfuzianer nicht. Was er als Lohn der Tugend erwartete, war im Diesseits langes Leben, Gesundheit und Reichtum, über den Tod hinaus aber die Erhaltung des guten Namens. Es[514] fehlte, genau wie bei den genuinen Hellenen, jede transzendente Verankerung der Ethik, jede Spannung zwischen Geboten eines überweltlichen Gottes und einer kreatürlichen Welt, jede Ausgerichtetheit auf ein jenseitiges Ziel und jede Konzeption eines radikal Bösen. Wer die auf das Durchschnittskönnen der Menschen zugeschnittenen Gebote innehielt, war frei von Sünden. Vergebens suchten christliche Missionare ein Sündengefühl da zu wecken, wo solche Voraussetzungen selbstverständlich waren. Ein gebildeter Chinese würde entschieden ablehnen, dauernd mit »Sünden« behaftet zu sein, wie ja übrigens für jede vornehme Intellektuellenschicht dieser Begriff etwas Peinliches, als würdelos Empfundenes zu haben und durch konventionell oder feudal oder ästhetisch formulierte Abwandlungen (etwa: »unanständig« oder »geschmacklos«) vertreten zu werden pflegt. Gewiß gab es Sünden, aber das waren auf ethischem Gebiet Verstöße gegen die überlieferten Autoritäten: Eltern, Ahnen, Vorgesetzte in der Amtshierarchie, also gegen traditionalistische Gewalten, im übrigen aber magisch bedenkliche Verletzungen der überlieferten Bräuche, des überlieferten Zeremoniells und endlich: der festen gesellschaftlichen Konventionen. Diese alle standen untereinander gleich: »ich habe gesündigt« entsprach unserem »entschuldigen Sie« bei Verstößen gegen die Konvention. Askese und Kontemplation, Mortifikation und Weltfrucht waren innerhalb des Konfuzianismus nicht nur unbekannt, sondern als drohnenhaftes Schmarotzertum verachtet. Jede Form von Gemeinde-und Erlösungsreligiosität war teils direkt verfolgt und ausgerottet, teils in ähnlichem Sinne Privatangelegenheit und gering geschätzt wie etwa die orphischen Pfaffen bei den vornehmen Hellenen der klassischen Zeit. Die innere Voraussetzung dieser Ethik der unbedingten Weltbejahung und Weltanpassung war der ungebrochene Fortbestand rein magischer Religiosität, von der Stellung des Kaisers angefangen, der mit seiner persönlichen Qualifikation für das Wohlverhalten der Geister, den Eintritt von Regen und guter Erntewitterung verantwortlich war, bis zu dem für die offizielle wie für die Volksreligiosität schlechthin grundlegenden Kult der Ahnengeister, zu der inoffiziellen (taoistischen) magischen Therapie und den sonstigen bestehen gebliebenen Formen animistischen Geisterzwangs, anthropo- und herolatrischen Funktionsgötterglaubens. Mit der gleichen Mischung von Skepsis und gelegentlicher Uebermanntheit durch Deisidaimonie[515] wie der gebildete Hellene stand der gebildete Konfuzianer, mit ungebrochener Gläubigkeit stand die in ihrer Lebensführung vom Konfuzianismus beeinflußte Masse der Chinesen innerhalb der magischen Vorstellungen. »Tor, wer nach dort die Augen blinzend richtet....« würde der Konfuzianer mit dem alten Faust in bezug auf das Jenseits sagen, – aber wie dieser die Einschränkung machen müssen: »Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen...« Auch die im altchinesischen Sinne gebildetsten hohen Beamten zögerten selten, ein beliebiges stupides Mirakel andächtig zu verehren. Eine Spannung gegen die »Welt« war nie entstanden, weil eine ethische Prophetie eines überweltlichen, ethische Forderungen stellenden Gottes, soweit die Erinnerung zurückreicht, völlig gefehlt hat. Daß die »Geister« sie stellten – Vertragstreue vor allem forderten – war kein Ersatz dafür. Denn stets betraf das die unter ihren Schutz gestellte Einzelpflicht, – Eid oder was es war, – nie die innere Gestaltung der Persönlichkeit als solcher und ihrer Lebensführung. Die führende Intellektuellenschicht: Beamte und Amtsanwärter, hatten die Erhaltung der magischen Tradition und speziell der animistischen Ahnenpietät als ein absolutes Erfordernis der ungestörten Erhaltung der bureaukratischen Autoritäten konsequent gestützt und alle Erschütterungen durch Erlösungsreligiosität unterdrückt. Die – neben der taoistischen Divination und Sakramentsgnade – einzige, als pazifistisch und daher ungefährlich zugelassene Erlösungsreligion: die des buddhistischen Mönchtums, wirkte in China praktisch durch Bereicherung der seelischen Spannweite um einige Nuancen stimmungsvoller Innerlichkeit – wie wir sehen werden –, im übrigen aber nur als weitere Quelle magischer Sakramentsgnade und traditionsstärken- der Zeremonien.

Damit ist auch schon gesagt, daß die Bedeutung einer solchen Intellektuellenethik für die breiten Massen ihre Schranken haben mußte. Zunächst waren die lokalen und vor allem die sozialen Unterschiede der Bildung selbst enorme. Die traditionalistische und bis in die Neuzeit stark naturalwirtschaftliche Bedarfsdeckung, aufrechterhalten bei den ärmeren Volkskreisen durch eine nirgends in der Welt erreichte, an das Unglaubwürdige grenzende Virtuosität im Sparen (im konsumtiven Sinne des Worts), war nur möglich bei einer Lebenshaltung, welche jede innerliche Beziehung zu den Gentlemanidealen des Konfuzianismus[516] ausschloß. Nur die Gesten und Formen des äußeren Sichverhaltens der Herrenschicht konnten hier, wie überall, Gegenstand allgemeiner Rezeption sein. Der entscheidende Einfluß der Bildungsschicht auf die Lebensführung der Massen hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem durch einige negative Wirkungen vollzogen: die gänzliche Hemmung des Entstehens einer prophetischen Religiosität einerseits, die weitgehende Austilgung aller orgiastischen Bestandteile der animistischen Religiosität andererseits. Es muß als möglich gelten, daß dadurch wenigstens ein Teil jener Züge mitbedingt ist, welche man zuweilen als chinesische Rassenqualitäten anzusprechen pflegt. Es ließe sich heute sicherlich auch von genauen Kennern hier sowenig wie sonst etwas Bestimmtes darüber aussagen: wie weit der Einfluß des biologischen »Erbgutes« reicht. Für uns ist aber eine, sehr leicht zu machende und von namhaften Sinologen bestätigte, Beobachtung wichtig: daß, je weiter zurück man in der Geschichte geht, desto ähnlicher die Chinesen und ihre Kultur (in den für uns hier wichtigen Zügen) dem erscheinen, was man auch bei uns findet. Sowohl der alte Volksglaube, die alten Anachoreten, die ältesten Lieder des Schiking, die alten Kriegskönige, die Gegensätze der Philosophenschulen, der Feudalismus, als die Ansätze kapitalistischer Entwicklung in der Zeit der Teilstaaten erscheinen uns weit verwandter mit okzidentalen Erscheinungen als die als charakteristisch geltenden Eigenschaften des konfuzianischen Chinesentums. Mit der Möglichkeit ist also zu rechnen: daß viele seiner gern als angeboren angesprochenen Züge Produkte rein historisch bedingter Kultureinflüsse waren.

Für Züge dieser Art ist der Soziologe im wesentlichen auf die sicherlich sehr verschiedenwertige, aber schließlich doch die relativ sichersten Erfahrungen in sich bergende Missionarliteratur angewiesen. Einige stets hervorgehobene Beobachtungen: die auffällige Abwesenheit von »Nerven« in dem spezifischen Sinne des Worts, den der Europäer heute damit verbindet, die grenzenlose Geduld und beherrschte Höflichkeit, die Zähigkeit des Haftens am Gewohnten, die absolute Unempfindlichkeit gegen Monotonie und die pausenlose Arbeitsfähigkeit, die Langsamkeit der Reaktion auf ungewohnte Reize, speziell auch in der intellektuellen Sphäre: dies alles scheint eine in sich gut und verständlich zusammenhängende Einheit darzustellen. Aber sonst stehen scheinbar[517] grelle Kontraste gegeneinander. Die außerordentliche, das übliche Maß übersteigende, als unausrottbares Mißtrauen sich äußernde Scheu vor allem nicht Bekannten und direkt zu Durchschauenden, die Ablehnung oder der Mangel an Bedürfnis nach Kenntnis alles nicht direkt handgreiflich Naheliegenden und Nützlichen kontrastieren scheinbar mit der grenzenlos gutmütigen Leichtgläubigkeit für allen noch so phantastischen magischen Schwindel. Ebenso bildet der, wie es scheint, tatsächlich oft starke Mangel echt sympathetischer Mitempfindung auch für die persönlich Nächststehenden einen scheinbaren Gegensatz zu der großen Zähigkeit des Zusammenhaltes der sozialen Verbände. Die (angeblich typische) lieblose Autoritätslosigkeit der unerwachsenen Kinder würde, wenn wirklich bestehend, scheinbar schwer zu vereinbaren sein mit der absoluten Fügsamkeit und zeremoniösen Pietät der erwachsenen Kinder gegenüber den Eltern. Ebenso scheint die – wie stets erneut behauptet wird – in der Welt nicht ihresgleichen findende Unaufrichtigkeit (z.B. selbst dem eigenen Anwalt gegenüber) schwer zu vereinbaren mit der, relativ betrachtet und mit Ländern feudaler Vergangenheit wie z.B. Japan verglichen, offenbar sehr bemerkenswerten Zuverlässigkeit der Kaufleute im großen Geschäftsverkehr (der Detailhandel freilich scheint davon sehr wenig zu wissen, die »festen Preise« auch unter den Einheimischen selbst meist fiktiv zu sein). Das typische Mißtrauen der Chinesen gegeneinander wird von allen Beobachtern bestätigt und kontrastiert gewaltig gegen das Vertrauen auf die Ehrlichkeit der Glaubensbrüder in den puritanischen Sekten, welches gerade von außerhalb der Gemeinschaft her geteilt wurde. Letzten Endes schließlich kontrastiert aber überhaupt die Einheit und Unerschüttertheit des psychophysischen Habitus gegenüber der oft berichteten Unstetheit aller jener Züge der chinesischen Lebensführung, die nicht – wie allerdings die meisten – von außen her durch feste Normen geregelt sind. Schärfer gesagt: das Fehlen einer »von Innen heraus«, aus irgendwelchen eigenen zentralen Stellungnahmen, überhaupt regulierten Einheit der Lebensführung bildet den grundlegenden Kontrast zu deren durch zahllose Konventionen hergestellter Gebundenheit. Wie erklärt sich das alles?

Das Fehlen der hysterisierenden Askese und der ihr angenäherten Formen der Religiosität und die – nicht vollständige,[518] aber doch weitgehende – Ausschaltung aller Rauschkulte konnte nicht ohne Einfluß auf die nervöse und seelische Konstitution einer Menschengruppe sein. In bezug auf den Gebrauch der Rauschmittel gehörten die Chinesen seit der Pazifizierung (gegenüber der Bedeutung des Zechens im alten Männerhaus und an den Fürstenhöfen) zu den (relativ) »nüchternen« Völkern. Rausch und orgiastische »Besessenheit« hatten alle charismatische Heiligkeitsschätzung abgestreift und galten nur als Symptome dämonischer Herrschaft. Der Konfuzianismus verwarf den Gebrauch von Spirituosen, außer – als Rudiment – bei den Opfern. Daß tatsächlich der Alkoholrausch auch in China bei den unteren Volksschichten nichts Seltenes war, ändert doch nichts an der relativen Bedeutung des Unterschieds. Das als spezifisch chinesisch geltende Rauschmittel aber: das Opium, wurde erst in moderner Zeit importiert und seine Zulassung ist dem Lande bekanntlich gegen den schärfsten Widerstand der herrschenden Schichten von außen her durch Krieg aufgezwungen worden. Es liegt in seinen Wirkungen überdies in der Richtung der apathischen Ekstase, also in der geraden Verlängerung der Linie des »Wu wei«, nicht aber in der Linie des Heldenrausches oder der Entfesselung aktiver Leidenschaften. Die hellenische Sophrosyne hinderte Platon nicht, im Phaidros alles Große als aus dem schönen Wahnsinn geboren anzusehen. Darin dachte der Rationalismus sowohl des römischen Amtsadels, – welcher »ekstasis« mit »superstitio« übersetzte, – wie der chinesischen Bildungsschicht völlig anders. Die »Ungebrochenheit« sowohl wie das, was als Indolenz empfunden wird, hängt vielleicht bis zu einem gewissen Grade mit diesem gänzlichen Fehlen dionysischer Elemente in der chinesischen Religiosität: – einer Folge bewußter Ernüchterung des Kults durch die Bureaukratie, – zusammen. Es gab nichts in ihr und sollte nichts in ihr geben, was die Seele aus dem Gleichgewicht hätte bringen können. Jede überstarke Leidenschaft, besonders auch der Zorn: Tschei, bewirkte bösen Zauber, und bei jedem Leiden fragte man zuerst: welchem Tschei es wohl zuzuschreiben sei. Die Erhaltung der animistischen Magie als einziger, zwar vom Gebildeten verachteter, aber doch durch den Charakter der offiziellen Kulte gestützter Form der Volksreligiosität bedingte die traditionalistische Angst vor jeder Neuerung, die bösen Zauber bringen und die Geister beunruhigen könnte. Sie erklärt die große Leichtgläubigkeit.[519] Die Folge der Erhaltung des magischen Glaubens: daß Krankheit und Unglück Symptome selbstverschuldeten göttlichen Zornes seien, mußte eine gewisse Unterbindung jener sympathetischen Empfindungen begünstigen, welche aus dem Gemeinschaftsgefühl von Erlösungsreligionen dem Leiden gegenüber zu entspringen pflegen und daher in Indien die volkstümliche Ethik von jeher stark beherrschten. Die spezifisch kühle Temperierung der chinesischen Menschenfreundlichkeit, ja selbst der innergentilen Beziehungen, verbunden mit zeremoniöser Korrektheit und egoistischer Angst vor den Geistern, waren das Resultat.

Eine Fundgrube folkloristischer Forschung, wie sie namentlich W. Grubes Arbeiten ausnutzen, stellen die unermeßlichen zeremoniellen, in ihrer Umständlichkeit und vor allem in der Unverbrüchlichkeit aller Einzelheiten fast beispiellosen Bindungen dar, wie sie die Existenz des Chinesen vom Embryo angefangen bis zum Totenkult umgaben. Davon ist ein Teil ersichtlich magischen, namentlich apotropäischen Ursprungs. Ein anderer fällt dem Taoismus und dem weiterhin noch zu erörternden Volksbuddhismus zur Last, die beide auf dem Gebiet des Alltagslebens der Massen sehr tiefe Spuren hinterlassen haben. Aber es bleibt ein sehr bedeutender Rest rein konventionell- zeremoniellen Charakters. Die zeremoniell vorgeschriebenen Fragen, auf welche die zeremoniell vorgeschriebene Antwort zu geben war, die zeremoniell unumgänglichen Anerbietungen, deren in bestimmter Form zu gebende dankende Ablehnung zeremoniell geregelt war, die Besuche, Geschenke, Achtungs-, Beileids- und Mitfreudekundgebungen zeremoniellen Charakters lassen alles weit hinter sich, was etwa in Spanien innerhalb der (feudal und wohl auch islamisch beeinflußten) altbäuerlichen Tradition sich bis an die Schwelle der Gegenwart erhalten hatte. Und hier, auf dem Gebiet der Geste und des »Gesichtes«, ist der Ursprung aus dem Konfuzianismus im ganzen als vorwiegend anzunehmen auch da, wo er nicht nachweisbar ist. Nicht immer, wohlverstanden, in der Art des Brauches, aber: in dem »Geist«, in dem er geübt wurde, wirkte sich der Einfluß seines Schicklichkeits-Ideales aus, dessen ästhetisch kühle Temperatur alle aus feudalen Zeiten überkommenen Pflichten, insbesondere die karitativen, zum symbolischen Zeremoniell erstarren ließ. Auf der andern Seite band der Geisterglaube[520] die Sippengenossen um so enger aneinander. Die vielbeklagte Unwahrhaftigkeit war zweifellos zum Teil, – wie auch im antiken Aegypten, – direktes Produkt des patrimonialen Fiskalismus, der überall dazu erzog – denn der Hergang der Steuerbeitreibung in Aegypten und China war sehr ähnlich: Ueberfall, Prügel, Hilfe der Versippten, Heulen der Bedrängten, Angst der Erpresser und Kompromiß. – Daneben aber sicher auch des ganz ausschließlichen Kults des zeremoniell und konventionell Schicklichen im Konfuzianismus. Aber auf der anderen Seite fehlten die lebendigen feudalen Instinkte, denen aller Handel mit dem Stichwort »Qui trompe-t-on?« gebrandmarkt ist, und es konnte sich daher aus der Pragmatik der Interessenlage des monopolistisch gesicherten und vornehmen, gebildeten Außenhandelsstandes der Ko Hang Gilde jene geschäftliche Zuverlässigkeit entwickeln, welche an ihm gerühmt zu werden pflegt. Sie wäre, wenn dies zutrifft, mehr von außen ankultiviert als von innen heraus entwickelt, wie in der puritanischen Ethik.

Dies gilt aber für die ethischen Qualitäten überhaupt.

Eine echte Prophetie schafft eine systematische Orientierung der Lebensführung an einem Wertmaßstab von innen heraus, der gegenüber die »Welt« als das nach der Norm ethisch zu formende Material gilt. Der Konfuzianismus war umgekehrt Anpassung nach außen hin, an die Bedingungen der »Welt«. Ein optimal angepaßter, nur im Maße der Anpassungsbedürftigkeit in seiner Lebensführung rationalisierter Mensch ist aber keine systematische Einheit, sondern eine Kombination nützlicher Einzelqualitäten. Das Fortbestehen der animistischen Vorstellungen von der Mehrheit der Seelen des Einzelnen in der chinesischen Volksreligiosität könnte fast als ein Symbol dieses Tatbestandes gelten. Wo alles hinausgreifen über die Welt fehlte, mußte auch das Eigengewicht ihr gegenüber mangeln. Domestikation der Massen und gute Haltung des Gentleman konnten dabei entstehen. Aber der Stil, welchen sie der Lebensführung verliehen, mußte durch wesentlich negative Elemente charakterisiert bleiben und konnte jenes Streben zur Einheit von innen heraus, das wir mit dem Begriff »Persönlichkeit« verbinden, nicht entstehen lassen. Das Leben blieb eine Serie von Vorgängen, kein methodisch unter ein transzendentes Ziel gestelltes Ganzes.

[521] Der Gegensatz dieser sozialethischen Stellungnahme gegen alle okzidentale religiöse Ethik war unüberbrückbar. Von außen könnten manche patriarchalen Seiten der thomistischen und auch der lutherischen Ethik Aehnlichkeiten mit dem Konfuzianismus aufzuweisen scheinen. Aber dieser Schein ist äußerlich Denn keine, auch nicht eine mit den Ordnungen der Erde in ein noch so enges Kompromiß verflochtene christliche Ethik konnte die pessimistische Spannung zwischen Welt und überweltlicher Bestimmung des einzelnen mit ihren unvermeidlichen Konsequenzen so von Grund aus beseitigen, wie das konfuzianische System des radikalen Weltoptimismus.

Irgendwelche Spannung zwischen Natur und Gottheit, ethischen Anforderungen und menschlicher Unzulänglichkeit, Sündenbewußtsein und Erlösungsbedürfnis, diesseitigen Taten und jenseitiger Vergeltung, religiöser Pflicht und politisch-sozialen Realitäten fehlte eben dieser Ethik vollständig und daher auch jede Handhabe zur Beeinflussung der Lebensführung durch innere Gewalten, die nicht rein traditionell und konventionell gebunden waren. Die weitaus stärkste, die Lebensführung beeinflussende Macht war die auf dem Geisterglauben ruhende Familienpietät. Sie war es letztlich, welche den immer noch, wie wir sahen, starken Zusammenhalt der Sippenverbände und die früher erwähnte Art der Vergesellschaftung in Genossenschaften, welche als erweiterte Familienbetriebe mit Arbeitsteilung gelten können, ermöglichte und beherrschte. Dieser feste Zusammenhalt war in seiner Art ganz und gar religiös motiviert, und die Stärke der genuin chinesischen Wirtschaftsorganisationen reichte etwa ebensoweit, wie diese durch Pietät regulierten persönlichen Verbände reichten. Im größten Gegensatz gegen die auf Versachlichung der kreatürlichen Aufgaben hinauslaufende puritanische Ethik entfaltete die chinesische Ethik ihre stärksten Motive innerhalb der Kreise der naturgewachsenen (oder diesen angegliederten oder nachgebildeten) Personenverbände. Während die religiöse Pflicht gegen den überweltlichen, jenseitigen Gott im Puritanismus alle Beziehungen zum Mitmenschen: auch und gerade zu dem in den natürlichen Lebensordnungen ihm nahestehenden, nur als Mittel und Ausdruck einer über die organischen Lebensbeziehungen hinausgreifenden Gesinnung schätzte, war umgekehrt die religiöse Pflicht des frommen Chinesen gerade nur auf das Sichauswirken innerhalb[522] der organisch gegebenen persönlichen Beziehungen hingewiesen. Die allgemeine »Menschenliebe« lehnte Mencius mit der Bemerkung ab, daß dadurch Pietät und Gerechtigkeit ausgelöscht werden: weder Vater noch Bruder zu haben sei die Art der Tiere. Inhalt der Pflichten eines konfuzianischen Chinesen war immer und überall Pietät gegen konkrete, lebende oder tote Menschen, die ihm durch die gegebenen Ordnungen nahestanden, niemals gegen einen überweltlichen Gott und also niemals gegen eine heilige »Sache« oder »Idee«. Denn das »Tao« war keines von beiden, sondern einfach die Verkörperung des bindenden traditionalistischen Rituals, und nicht »Handeln«, sondern »Leere« war sein Gebot. Die personalistische Schranke der Versachlichung hat auch für die Wirtschaftsgesinnung ohne allen Zweifel, als eine Schranke der objektivierenden Rationalisierung, erhebliche Bedeutung gehabt, indem sie den Einzelnen immer erneut innerlich an seine Sippen- und sippenartig mit ihm verbundenen Genossen, jedenfalls an »Personen«, statt an sachliche Aufgaben (»Betriebe«) zu binden die Tendenz hatte. Gerade sie war, wie die ganze Darstellung ergab, auf das Intimste verknüpft mit der Art der chinesischen Religiosität, mit jener Schranke der Rationalisierung der religiösen Ethik, welche die maßgebende Bildungsschicht im Interesse der Erhaltung der eigenen Stellung festhielt. Es ist von sehr erheblicher ökonomischer Bedeutung, wenn alles Vertrauen, die Grundlage aller Geschäftsbeziehungen, immer auf Verwandtschaft oder verwandtschaftsartige rein persönliche Beziehungen gegründet blieb, wie dies in China sehr stark geschah. Die große Leistung der ethischen Religionen, vor allem der ethischen und asketischen Sekten des Protestantismus, war die Durchbrechung des Sippenbandes, die Konstituierung der Ueberlegenheit der Glaubens- und ethischen Lebensführungsgemeinschaft gegenüber der Blutsgemeinschaft, in starkem Maße selbst gegenüber der Familie. Oekonomisch angesehen: die Begründung des geschäftlichenvertrauens auf ethische Qualitäten der Einzelindividuen, welche in sachlicher Berufsarbeit bewährt waren. Die Folgen des universellen Mißtrauens Aller gegen Alle, eine Konsequenz der offiziellen Alleinherrschaft der konventionellen Unaufrichtigkeit und der alleinigen Bedeutung der Wahrung des Gesichtes im Konfuzianismus, müssen ökonomisch vermutlich – denn[523] hier gibt es keine Maßmethoden – ziemlich hoch veranschlagt werden.

Der Konfuzianismus und die konfuzianische den »Reichtum« vergötternde Gesinnung haben wirtschaftspolitische Maßregeln entsprechender Art begünstigen können (wie das auch die weltoffene Renaissance im Okzident, sahen wir, tat). Aber gerade hier kann man die Grenze der Bedeutung der Wirtschaftspolitik gegenüber der Wirtschaftsgesinnung sehen. Materielle Wohlfahrt ist nie und nirgends in Kulturländern mit solcher Emphase als letztes Ziel398 hingestellt worden. Die wirtschaftspolitischen Anschauungen des Konfuzius entsprachen etwa denen der »Kameralisten« bei uns. Den Nutzen des Reichtums, auch des durch Handel erworbenen, betonte der Konfuzianer Se Ma Tsien, der selbst einen Traktat über die »Handelsbilanz« – das älteste Dokument chinesischer Nationalökonomie – geschrieben hat399. Die Wirtschaftspolitik war eine Abwechslung von fiskalischen und laissezfaire-Maßregeln, jedenfalls aber nicht der Absicht nach antichrematistisch. »Verachtet« waren die Kaufleute in unserem Mittelalter ebenso und sind es von den Literaten heute ebenso, wie in China. Aber mit Wirtschaftspolitik schafft man keine kapitalistische Wirtschaftsgesinnung. Die Geldverdienste der Händler der Teilstaatenzeit waren politischer Gewinn von Staatslieferanten. Die großen Bergwerksfronden galten der Goldsuche. Kein Mittelglied führte aber vom Konfuzianismus und seiner ganz ebenso fest wie das Christentum verankerten Ethik zu einer bürgerlichen Lebensmethodik hinüber. Auf diese allein kam es aber an. Sie hat der Puritanismus – durchaus gegen seinen Willen – geschaffen. Die Paradoxie der Wirkung gegenüber dem Wollen: – Mensch und Schicksal (Schicksal die Folge seines Handelns gegenüber seiner Absicht) in diesem Sinn: das kann uns diese nur auf den allerersten oberflächlichen Blick seltsame scheinbare Umkehr des »Natürlichen« lehren.

Den radikal entgegengesetzten Typus einer rationalen Weltbehandlung stellt nun der Puritanisms dar. Das ist, sahen wir früher, kein ganz eindeutiger Begriff. Die »Ecclesia[524] pura« bedeutete praktisch, im eigentlichsten Sinne, vor allem die zu Gottes Ehre von sittlich verworfenen Teilnehmern gereinigte christliche Abendmahlsgemeinschaft, ruhe sie nun auf calvinistischer oder baptistischer Grundlage, und sei sie demgemäß in der Kirchenverfassung mehr synodal oder mehr kongregationalistisch geartet. Im weiteren Sinne aber kann man darunter verstehen die sittlich rigoristischen, christlich-asketischen Laiengemeinschaften überhaupt, mit Einschluß also der von pneumatisch-mystischen Anfängen ausgegangenen täuferischen, mennonitischen, quäkerischen, der asketisch-pietistischen und der methodistischen. Das Eigentümliche dieses Typus gegenüber dem konfuzianischen war nun: daß hier das Gegenteil von Weltflucht: Weltrationalisierung, trotz oder vielmehr gerade in der Form asketischer Weltablehnung, galt. Die Menschen sind, da es in der kreatürlichen Verderbtheit gegenüber Gott keine Unterschiede geben kann, an sich alle gleich verworfen und ethisch absolut unzulänglich, die Welt ein Gefäß der Sünde. Anpassung an ihre eitlen Gepflogenheiten wäre ein Zeichen der Verwerfung, Selbstvervollkommnung im konfuzianischen Sinne ein blasphemisch kreaturvergötterndes Ideal. Der Reichtum und die Hingabe an seinen Genuß wäre die spezifische Versuchung, das Pochen auf menschliche Philosophie und literarische Bildung sündlicher kreatürlicher Hochmut, alles Vertrauen auf magischen Geister- und Gotteszwang nicht nur verächtlicher Aberglaube, sondern dreiste Gotteslästerung. Alles, was an Magie erinnerte, jeder Rest von Ritualismus und Priestergewalt, wurde ausgerottet. Das Quäkertum kannte, der Theorie nach, selbst den bestellten Prediger nicht, die Mehrzahl der asketischen Sekten wenigstens keinen bezahlten Berufsprediger. In den hellen kleinen Vereinigungsräumen der Quäker fehlte jede letzte Spur von religiösen Emblemen.

Die Menschen waren von Natur alle gleich sündhaft, aber ihre religiösen Chancen waren dennoch nicht gleich, sondern höchst ungleich, und zwar nicht nur zeitweilig, sondern definitiv. Entweder direkt kraft grundloser Prädestination (wie bei den Calvinisten, den Partikularbaptisten, den Whitefieldschen Methodisten und den reformierten Pietisten). Oder doch kraft ihrer verschiedenen Qualifikation zu den pneumatischen Geistesgaben. Oder endlich kraft der verschiedenen Intensität und also auch des verschiedenen Erfolgs ihres Strebens, den bei den alten Pietisten[525] entscheidenden Akt der Bekehrung, den »Bußkampf« und »Durchbruch«, oder wie die Wiedergeburt sonst geartet sein mochte, zu erringen. Immer waltete aber in diesen Unterschieden Vorsehung und grundlose, unverdiente, »freie« Gnade eines überweltlichen Gottes. Deshalb war der Prädestinationsglaube zwar nur eine, aber doch die weitaus konsequenteste dogmatische Formung dieser Virtuosenreligiosität. Nur wenige aus der massa perditionis waren berufen, das Heil zu erreichen, einerlei, ob es kraft Prädestination von Ewigkeit her nur ihnen bestimmt war oder zwar allen (nach den Quäkern z.B. auch Nichtchristen) angeboten, aber nur von dem kleinen Haufen, der es zu ergreifen vermag, erreicht wurde. Nach manchen pietistischen Lehren wurde das Heil nur einmal im Leben, nach anderen (den sog. Terministen) einmal zum letztenmal angeboten: – immer mußte jedenfalls der Mensch sich imstande zeigen, es sich anzueignen. Auf Gottes freie Gnade und auf das Jenseits schicksal war also alles ausgerichtet, das diesseitige Leben entweder ein Jammertal oder doch nur ein Durchgang. Eben deshalb aber fiel auf diese winzige Zeitspanne und das, was in ihr vorging, ein ungeheurer Akzent, im Sinne etwa von Carlyles Wort: »Jahrtausende mußten vergehen, ehe du zum Leben kamst, und andere Jahrtausende warten schweigend, was du mit diesem deinem Leben beginnen wirst.« Nicht etwa weil es möglich wäre, durch rein eigene Leistung ewiges Heil zu erringen. Das war unmöglich. Sondern weil die eigene Berufung zur Erlösung dem einzelnen nur zuteil und vor allem auch nur erkennbar werden konnte durch das Bewußtsein von einer zentralen einheitlichen Beziehung dieses seines kurzen Lebens auf den überweltlichen Gott und seinen Willen: in der »Heiligung«. Diese wieder konnte, wie bei aller aktiven Askese, nur in gottgewolltem Tun, einem ethischen Handeln also, auf dem Gottes Segen ruhte, sich bewähren und so dem einzelnen die Heilsgewißheit in der Sicherheit geben, daß er Gottes Werkzeug sei. Die denkbar stärkste innere Prämie wurde dadurch auf eine rationale sittliche Lebensmethodik gesetzt. Nur das Leben nach festen, von einem einheitlichen Zentrum aus geregelten Grundsätzen konnte als gottgewollt gelten. Wenn die unbefangene Hingabe an die Welt unbedingt vom Heil abführte, so war diese kreatürliche Welt und waren die kreatürlichen Menschen doch eben Gottes Schöpfung, an die er bestimmte Anforderungen stellte, die er (calvinistische Vorstellung:) »zu seinem Ruhm«[526] geschaffen und in denen er daher, wie kreatürlich verderbt sie auch seien, seine Ehre verwirklicht sehen wollte, indem die Sünde und nach Möglichkeit auch das Leiden gebändigt und unter ethische Zucht genommen wurden durch rationale Ordnung. Das »Wirken der Werke dessen, der mich gesandt hat, solange es Tag ist« wurde hier zur Pflicht, und diese aufgegebenen Werke waren nicht rituellen, sondern rational-ethischen Charakters.

Der Gegensatz zum Konfuzianismus ist klar. Beide Ethiken hatten ihre irrationale Verankerung: dort die Magie, hier die letztlich unerforschlichen Ratschlüsse eines überweltlichen Gottes. Aber aus der Magie folgte, da die erprobten magischen Mittel und letztlich alle überkommenen Formen der Lebensführung bei Vermeidung des Zorns der Geister unabänderlich waren: die Unverbrüchlichkeit der Tradition. Aus der Beziehung zum überweltlichen Gott und zur kreatürlich verderbten ethisch irrationalen Welt folgte dagegen die absolute Unheiligkeit der Tradition und die absolut unendliche Aufgabe immer erneuter Arbeit an der ethisch rationalen Bewältigung und Beherrschung der gegebenen Welt: die rationale Sachlichkeit des »Fortschritts«. Der Anpassung an die Welt dort stand also hier die Aufgabe ihrer rationalen Umgestaltung gegenüber. Der Konfuzianismus erforderte stetige wache Selbstbeherrschung im Interesse der Erhaltung der Würde des allseitig vervollkommneten perfekten Weltmannes, die puritanische Ethik im Interesse der methodischen Einheit der Eingestelltheit auf den Willen Gottes. Die konfuzianische Ethik beließ die Menschen höchst absichtsvoll in ihren naturgewachsenen oder durch die sozialen Ueber- und Unterordnungsverhältnisse gegebenen persönlichen Beziehungen. Sie verklärte diese, und nur diese, ethisch und kannte letztlich keine anderen sozialen Pflichten als die durch solche persönlichen Relationen von Mensch zu Mensch, von Fürst zu Diener, vom höheren zum niederen Beamten, von Vater und Bruder zum Sohn und Bruder, vom Lehrer zum Schüler, von Freund zu Freund geschaffenen menschlichen Pietätspflichten. Der puritanischen Ethik dagegen waren eben diese rein persönlichen Beziehungen, – obwohl sie sie natürlich, soweit sie nicht gottwidrig waren, bestehen ließ und ethisch regelte, – dennoch leicht verdächtig, weil sie Kreaturen galten. Die Beziehung zu Gott ging ihnen unter allen Umständen vor. Allzu intensive, kreaturvergötternde, Beziehungen zu Menschen rein als solchen waren unbedingt zu meiden. Denn das Vertrauen[527] auf Menschen, gerade auf die natürlich nächststehenden, würde der Seele gefährlich sein. Ihre eigenen nächsten Verwandten würde – sahen wir – die calvinistische Herzogin Renata von Este verfluchen, wenn sie sie von Gott (kraft grundloser Prädestination) verworfen wüßte. Daraus folgten praktisch sehr wichtige Unterschiede beider ethischer Konzeptionen, obwohl wir doch beide in ihrer praktischen Wendung als »rationalistisch« bezeichnen werden und obwohl sie beide »utilitarische« Konsequenzen zogen. Zwar nicht nur aus jener sozialethischen Stellungnahme, – sondern auch aus Eigengesetzlichkeiten der politischen Herrschaftsstruktur –, aber doch sehr wesentlich auch aus jener folgte die Erhaltung der Sippengebundenheit in China, der durchaus an persönliche Beziehungen geknüpfte Charakter der politischen und ökonomischen Organisationsformen, die alle (relativ) in sehr auffallender Art der rationalen Versachlichung und des abstrakten transpersonalen Zweckverbandscharakters entbehrten, von dem Fehlen eigentlicher »Gemeinden«, speziell in den Städten, angefangen bis zum Fehlen ökonomischer Vergesellschaftungs- und Betriebsformen rein sachlich zweckgebundener Art. Aus rein chinesischen Wurzeln sind solche so gut wie gar nicht entstanden400. Alles Gemeinschaftshandeln blieb dort durch rein persönliche, vor allem verwandtschaftliche Beziehungen, und daneben durch Berufsverbrüderungen umspannt und bedingt. Während dagegen der Puritanismus alles versachlichte, in rationale »Betriebe« und rein sachlich »geschäftliche« Beziehungen auflöste, rationales Recht und rationale Vereinbarung an die Stelle der in China prinzipiell allmächtigen Tradition, lokalen Gepflogenheit und konkreten persönlichen Beamtengnade setzte.

Noch wichtiger scheint ein anderes. Der weltbejahende Utilitarismus und die Ueberzeugung von dem ethischen Wert des Reichtums als universellen Mittels allseitiger sittlicher Vollendung in Verbindung mit der ungeheuren Volksdichte haben in China zwar die »Rechenhaftigkeit« und Genügsamkeit zu sonst unerhörter Intensität gesteigert. Um jeden Pfennig wurde gefeilscht und gerechnet und täglich machte der Krämer seinen Kassensturz. Zuverlässige Reisende berichten, daß Geld und Geldinteressen in einem sonst seltenen Maße das Gesprächsthema der Einheimischen unter sich zu bilden schienen. Aber höchst auffallenderweise waren große methodische geschäftliche[528] Konzeptionen rationaler Art, wie sie der moderne Kapitalismus voraussetzte, auf ökonomischem Gebiet wenigstens, aus diesem unendlich intensiven Wirtschaftsgetriebe und dem oft beklagten krassen »Materialismus« heraus nicht entstanden und sind China überall da fremd geblieben, wo nicht (wie z.B. bei den Kantonesen) fremder Einfluß in der Vergangenheit, oder jetzt der Eindruck des unaufhaltsam vordringenden okzidentalen Kapitalismus sie ihnen lehrte. Aus eigenem sind zwar seinerzeit (wie es scheint speziell so lange die politischen Spaltungen bestanden) die Formen des politisch orientierten Kapitalismus, der Amts- und Notkreditwucher, Großhandelsprofite und auf gewerblichem Gebiet Ergasterien (auch größere Werkstätten), wie sie auch im späten Altertum, in Aegypten und im Islam vorkamen, neuerdings auch die übliche Abhängigkeit vom Verleger und Aufkäufer, auch sie jedoch im allgemeinen ohne die straffe Organisation des »sistema domestico« schon unseres Spätmittelalters, entstanden. Aber trotz des recht intensiven Binnentausch- (und des wenigstens zeitweise ansehnlichen Außenhandels-) Verkehrs kein bürgerlicher Kapitalismus moderner, nicht einmal spätmittelalterlicher Art: nicht die rationalen Formen des spätmittelalterlichen und vollends des scientistischen europäischen kapitalistischen gewerblichen »Betriebs«, nicht eine »Kapital«-Bildung europäischer Art (das chinesische Kapital, welches sich bei modernen Chancen beteiligte, war vorwiegend Mandarinen-, also durch Amtswucher akkumuliertes Kapital), keine rationale Methodik der Betriebsorganisation nach europäischer Art, keine wirklich rationale Organisation des kommerziellen Nachrichtendienstes, kein rationales Geldsystem, nicht einmal eine dem ptolemäischen Aegypten gleichkommende Entwicklung der Geldwirtschaft, nur Ansätze (charakteristische, aber wesentlich in ihrer technischen Unvollkommenheit charakteristische Ansätze) von Rechtsinstitutionen, wie sie unser Firmenrecht, Handelsgesellschaftsrecht, Wechsel- und Wertpapierrecht darstellen, und eine höchst begrenzte Verwendung der zahlreichen401 technischen Erfindungen für rein[529] ökonomische Zwecke, schließlich kein wirklich technisch vollwertiges kaufmännisches Schrift-, Rechnungs-und Buchführungssystem. Also, trotz des fast völligen Fehlens der Sklaven – einer Folge der Befriedung des Reichs – sehr ähnliche, aber in mancher Hinsicht vom »Geist« des modernen Kapitalismus und seinen Institutionen noch ferner abliegende Zustände, wie sie die mittelländische Antike aufweist. Eine trotz aller Ketzerrichterei im Vergleich mit der Intoleranz mindestens des calvinistischen Puritanismus weitgehende religiöse Duldung, weitgehende Freiheit des Güterverkehrs, Friede, Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl und der Produktionsmethoden, Fehlen aller Perhorreszierung des Krämergeistes: dies alles hat doch keinen modernen Kapitalismus in China entstehen lassen. Daß »Erwerbstrieb«, hohe, ja exklusive Schätzung des Reichtums und utilitaristischer »Rationalismus« an und für sich noch nichts mit modernem Kapitalismus zu tun haben, kann man also gerade in diesem typischsten Lande des Erwerbes studieren. Erfolg und Mißerfolg schrieb zwar der chinesische kleinere und mittlere Geschäftsmann (und auch der große, der in den alten Traditionen stand) ebenso wie der Puritaner, göttlichen Mächten zu. Der Chinese aber seinem (taoistischen) Reichtumsgott: sie waren für ihn nicht Symptome eines Gnadenstandes, sondern Folgen magisch oder zeremoniell bedeutsamer Verdienste oder Verstöße und wurden daher durch rituelle »gute Werke« wieder auszugleichen gesucht. Es fehlte ihm die zentral, von innen heraus, religiös bedingte rationale Lebensmethodik des klassischen Puritaners, für den der ökonomische Erfolg nicht letztes Ziel und Selbstzweck, sondern Mittel der Bewährung war. Es fehlte die bewußte Verschlossenheit gegen die Einflüsse und Eindrücke der »Welt«, die der Puritaner durch ein bestimmt und einseitig orientiertes rationales Wollen ebenso zu bemeistern trachtete wie sich selbst, und die ihn zur Unterdrückung gerade jener kleinlichen, jede rationale Betriebsmethodik zerstörenden Erwerbsgier anleitete, welche das Tun des chinesischen Kleinkrämers auszeichnete. Jene eigentümliche Verengerung und Verdrängung des natürlichen Trieblebens402, welche die streng willensmäßige ethische Rationalisierung mit sich bringt und welche dem Puritaner anerzogen wurde, war dem Konfuzianer fremd. Bei ihm hatte die Beschneidung der freien Aeußerung der urwüchsigen[530] Triebe einen anderen Charakter. Die wache Selbstbeherrschung des Konfuzianers ging darauf aus, die Würde der äußeren Gesten und Manieren, das »Gesicht«, zu wahren. Sie war ästhetischen und dabei wesentlich negativen Charakters: »Haltung« an sich, ohne bestimmten Inhalt, wurde geschätzt und erstrebt. Die ebenso wache Selbstkontrolle des Puritaners richtete sich auf etwas Positives: ein bestimmt qualifiziertes Handeln, und darüber hinaus auf etwas Innerlicheres: die systematische Meisterung der eigenen, als sündenverderbt geltenden inneren Natur, deren Inventar der konsequente Pietist durch eine Art von Buchführung, so wie sie noch ein Epigone wie Benjamin Franklin täglich vornahm, feststellte. Denn der überweltliche allwissende Gott sah auf den zentralen inneren Habitus, die Welt dagegen, an die sich der Konfuzianer anpaßt, nur auf die anmutige Geste. Dem universellen, allen Kredit und alle Geschäftsoperationen hemmenden Mißtrauen, welches der nur auf die äußere »Contenance« bedachte konfuzianische Gentleman gegen andere hatte und gegen sich selbst voraussetzte, stand das Vertrauen, insbesondere auch das ökonomische, auf die bedingungslose und unerschütterliche, weil religiös bedingte Legalität des Glaubensbruders beim Puritaner gegenüber. Dieses Vertrauen war genau ausreichend, seinen tiefen realistischen und durchaus respektlosen Pessimismus in bezug auf die kreatürliche Verderbtheit der Welt und der Menschen, auch und gerade der Höchststehenden, nicht zu einem Hemmnis des für den kapitalistischen Verkehr unentbehrlichen Kredits werden zu lassen, sondern ihn nur zu einer nüchternen, auf die Konstanz der für sachliche Geschäftszwecke nach dem Prinzip: »honesty is the best policy« unentbehrlichen Motive zählenden, Abwägung des objektiven (äußeren und inneren) Könnens des Gegenparts zu veranlassen. Das Wort des Konfuzianers war schöne und höfliche Gebärde, die ihren Selbstzweck hatte, das Wort des Puritaners sachliche, knappe und absolut verläßliche geschäftliche Mitteilung: »Ja, ja, nein nein, was darüber ist, das ist vom Uebel.« Die Sparsamkeit des Konfuzianers, übrigens beim Gentleman durch ständische Schicklichkeit eng begrenzt und, wo sie zum Uebermaß wurde, wie bei der mystisch bedingten Demut Laotses und mancher Taoisten, von der Schule bekämpft, war bei dem chinesischen Kleinbürgertum ein Zusammenscharren im Grunde nach Art des Thesaurierens im Bauernstrumpf. Es geschah um der Sicherung[531] der Totenriten und des guten Namens, daneben um der Ehre und Freude des Besitzes als solchen willen, wie überall bei noch nicht asketisch gebrochener Stellungnahme zum Reichtum. Dem Puritaner dagegen war der Besitz als solcher ebenso Versuchung wie etwa dem Mönch. Sein Erwerb war ebenso ein Nebenerfolg und Symptom des Gelingens seiner Askese wie der der Klöster. Wir haben keine Wahl, sagte (sahen wir) John Wesley, – unter ausdrücklichem Hinweis auf diese bei den puritanischen Denominationen von jeher beobachtete scheinbare Paradoxie von Weltablehnung und Erwerbsvirtuosität –, als den Menschen zu empfehlen: fromm zu sein, »und das heißt« – als unvermeidliche Folge – »reich zu werden«, obwohl die Gefährlichkeit des Reichtums für den einzelnen Frommen ebenso wie bei den Klöstern auf der Hand lag.

Beim Konfuzianer war der Reichtum, wie eine vom Stiftel überlieferte Aeußerung ausdrücklich lehrt, das wichtigste Mittel, tugendhaft, d.h. würdig leben und sich der eigenen Vervollkommnung widmen zu können. »Bereichert sie« war daher die Antwort auf die Frage nach dem Mittel, die Menschen zu bessern. Denn nur dann konnte man »standesgemäß« leben. Beim Puritaner war der Erwerb ungewollte Folge, aber wichtiges Symptom der eigenen Tugend, die Verausgabung des Reichtums für eigene konsumtive Zwecke aber sehr leicht kreaturvergötternde Hingabe an die Welt. Reichtumserwerb würde Konfuzius an sich nicht verschmähen, aber er schien unsicher und konnte daher zur Störung des vornehmen Gleichgewichts der Seele führen und alle eigentliche ökonomische Berufsarbeit war banausisches Fachmenschentum. Der Fachmensch aber war für den Konfuzianer auch durch seinen sozialütilitarischen Wert nicht zu wirklich positiver Würde zu erheben. Denn – dies war das Entscheidende – »der vornehme Mann« (Gentleman) war »kein Werkzeug«, d.h.: er war in seiner weltangepaßten Selbstvervollkommnung ein letzter Selbstzweck, nicht aber Mittel für sachliche Zwecke welcher Art immer. Dieser Kernsatz der konfuzianischen Ethik lehnte die Fachspezialisierung, die moderne Fachbureaukratie und die Fachschulung, vor allem aber die ökonomische Schulung für den Erwerb ab. Einer solchen »kreaturvergötternden« Maxime setzte der Puritanismus gerade umgekehrt die Bewährung an den speziellen sachlichen Zwecken der Welt und des Berufslebens als Aufgabe entgegen. Der Konfuzianer war der[532] Mensch literarischer Bildung und zwar, noch genauer: Buch-Bildung, Schrift-Mensch in der höchsten Ausprägung, ebenso fremd der hellenischen Hochwertung und Durchbildung der Rede und Konversation, wie der, sei es kriegerischen, sei es ökonomischen, Energie des rationalen Handelns. Die Mehrzahl der puritanischen Denominationen (wenn auch nicht alle gleichmäßig stark) lehnten, gegenüber der freilich unumgänglichen Bibelfestigkeit (die Bibel war ja eine Art von bürgerlichem Gesetzbuch und Betriebslehre), die philosophisch-literarische Bildung, die höchste Zierde des Konfuzianers, als eitlen Zeitverderb und als religiös gefährlich ab. Die Scholastik und Dialektik, Aristoteles und was von ihm kam, war ihnen ein Greuel und eine Gefahr, der z.B. Spener die kartesianische rational-mathematisch fundierte Philosophie vorzog. Nützliche Realkenntnisse, vor allem empirisch-naturwissenschaftliche und geographische Orientierung, nüchterne Klarheit des realistischen Denkens und Fachwissen als Zweck der Erziehung sind planmäßig zuerst von puritanischen, speziell in Deutschland von pietistischen Kreisen gepflegt worden. Einerseits als der einzige Weg der Erkenntnis von Gottes Ruhm und Vorsehung in dessen Schöpfung, andererseits aber als Mittel, im Beruf die Welt rational bemeistern und zu Gottes Ehre seine Schuldigkeit tun zu können. Dem Hellenentum und auch dem Wesen der Hochrenaissance standen beide, Konfuzianismus wie Puritanismus, gleich fern, jeder von ihnen aber in anderem Sinne.

Die radikale Konzentration auf gottgewollte Zwecke, der rücksichtslose praktische Rationalismus der asketischen Ethik, die methodische Konzeption sachlicher Betriebsführung, der Abscheu gegen den illegalen politischen, kolonialen, auf dem Buhlen um Fürsten- und Menschengunst ruhenden, Raub- und Monopolkapitalismus, im Gegensatz dazu die nüchterne strenge Legalität und die gebändigte rationale Energie des Alltagsbetriebs, die rationalistische Schätzung des technisch besten Weges und der praktischen Solidität und Zweckmäßigkeit statt der traditionalistischen Freude an der überkommenen Fertigkeit und der Schönheit des Produkts beim alten Handwerker, – alle diese unentbehrlichen »ethischen« Qualitäten des spezifisch modernen kapitalistischen Unternehmers und: die spezifische Arbeitswilligkeit des frommen Arbeiters: – dieser rücksichtslose, religiös systematisierte, in der jeder rationalisierten Askese eigentümlichen[533] Art »in« der Welt und doch nicht »von« der Welt lebende Utilitarismus hat jene überlegenen rationalen Fähigkeiten und damit jenen »Geist« des Berufsmenschentums schaffen helfen, welche dem Konfuzianismus und seiner weltangepaßten, das bedeutet aber: zwar rational, aber von außen nach innen, nicht, wie beim Puritanismus, von innen nach außen determinierten Lebensführung letztlich verschlossen blieb. Der Gegensatz kann lehren, daß auch bloße Nüchternheit und Sparsamkeit in Verbindung mit »Erwerbstrieb« und Schätzung des Reichtums noch bei weitem nicht »kapitalistischer Geist« im Sinne des spezifisch modernen ökonomischen Berufsmenschentums waren oder ihn entbinden konnten. Der typische Konfuzianer verwendete seine und seiner Familie Ersparnisse, um sich literarisch zu bilden und für die Examina ausbilden zu lassen und dadurch die Grundlage einer ständisch vornehmen Existenz zu haben. Der typische Puritaner verdiente viel, verbrauchte wenig und legte seinen Erwerb, zufolge des asketischen Sparzwangs, wieder werbend als Kapital in rationalen kapitalistischen Betrieben an. »Rationalismus«, dies ist für uns die zweite Lehre, enthielt der Geist beider Ethiken. Aber nur die überweltlich orientierte puritanische rationale Ethik führte den innerweltlichen ökonomischen Rationalismus in seine Konsequenzen durch, gerade weil ihr an sich nichts ferner lag als eben dies, gerade weil ihr die innerweltliche Arbeit nur Ausdruck des Strebens nach einem transzendenten Ziel war. Die Welt fiel ihr, der Verheißung gemäß, zu, weil sie »allein nach ihrem Gott und dessen Gerechtigkeit getrachtet« hatte. Denn da liegt der Grundunterschied dieser beiden Arten von »Rationalismus«. Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt. Der puritanische Rationalismus: rationale Beherrschung der Welt. Der Puritaner wie der Konfuzianer waren »nüchtern«. Aber die rationale »Nüchternheit« des Puritaners ruhte auf dem Untergrund eines mächtigen Pathos, welches dem Konfuzianer völlig fehlte, des gleichen Pathos, welches das Mönchtum des Okzidents beseelte. Denn die Weltablehnung der okzidentalen Askese war bei ihm mit dem Verlangen nach Weltbeherrschung als ihrer Kehrseite unauflöslich verbunden, weil ihre Forderungen im Namen eines überweltlichen Gottes an den Mönch und, in abgewandelter und gemilderter Form, an die Welt ergingen. Dem konfuzianischen Vor nehmheitsideal widerstritt nichts so[534] sehr, als der Gedanke des »Berufs«. Der »fürstliche« Mann war ästhetischer Wert und daher auch nicht »Werkzeug« eines Gottes. Der echte Christ, der – außer- oder innerweltliche – Asket vollends, wollte gar nichts anderes sein als eben dies. Denn gerade nur darin suchte er seine Würde. Und weil er dies sein wollte, war er ein brauchbares Instrument, die Welt rational umzuwälzen und zu beherrschen.

Der Chinese würde, aller Voraussicht nach, ebenso fähig, vermutlich noch fähiger sein als der Japaner, sich den technisch und ökonomisch im neuzeitlichen Kulturgebiet zur Vollentwicklung gelangten Kapitalismus anzueignen. Es ist offenbar gar nicht daran zu denken, daß er für dessen Anforderungen etwa von Natur aus »nicht begabt« wäre. Aber trotz der mannigfachsten im Verhältnis zum Okzident das Entstehen des Kapitalismus äußerlich begünstigenden Umstände ist dieser hier ebensowenig geschaffen worden wie in der okzidentalen und orientalischen Antike oder in Indien und im Bereich des Islam, obwohl in jedem von diesen Gebieten andere, aber ebenfalls: begünstigende, Umstände seiner Entstehung entgegenzukommen schienen. Von den Umständen, welche ihr in China hinderlich sein konnten oder mußten, bestanden viele auch im Okzident, – und zwar gerade in der Zeit der endgültigen Formung des modernen Kapitalismus. So die patrimonialen Züge des Herrschertums und der Bureaukratie oder etwa die Zerfahrenheit und Unentwickeltheit der Geldwirtschaft, welche im ptolemäischen Aegypten weit gründlicher durchgeführt war als im 15. und 16. Jahrhundert in Europa. Von den Umständen, welche wir als Hemmnis der kapitalistischen Entwicklung im Okzident anzusehen pflegen, fehlte in China seit Jahrtausenden die feudale und grundherrliche (teilweise auch die zünftige) Gebundenheit und anscheinend auch ein erheblicher Teil der im Okzident typischen güterverkehrshemmenden Monopole aller Art. Diejenigen politischen Zustände, welche seit der altbabylonischen Zeit und der Antike überall den politisch bedingten, der Neuzeit mit der ganzen Vergangenheit gemeinsamen Kapitalismus haben entstehen lassen: Krieg und Kriegsvorbereitung konkurrierender Staaten, hat China in der Vergangenheit ebenfalls reichlich gekannt. Man hätte glauben können: der spätere Fortfall dieser wesentlich politischen Orientierung der Vermögensakkumulation und Kapitalverwertung würde dem an freiem Tausch orientierten,[535] spezifisch modernen Kapitalismus günstigere Chancen geben, – etwa so, wie in der neuesten Zeit das fast völlige Fehlen der Kriegsorganisation in Nordamerika dort der hochkapitalistischen Entwicklung den freiesten Raum bot. Zum mindesten erklärt die Befriedung des Weltreiches unmittelbar zwar das Fehlen des der okzidentalen Antike (bis zur Kaiserzeit), dem Orient und dem Mittelalter gemeinsamen politischen, nicht aber: des rein ökonomisch orientierten Kapitalismus in China. Es wird kaum abzuweisen sein, daß die grundlegenden Eigentümlichkeiten der »Gesinnung«, in diesem Falle: der praktischen Stellungnahme zur Welt, so gewiß sie ihrerseits in ihrer Entfaltung durch politische und ökonomische Schicksale mitbedingt wurden, doch auch kraft der ihren Eigengesetzlichkeiten zuzurechnenden Wirkungen an jenen Hemmungen stark mitbeteiligt gewesen sind.


Fußnoten

1 Zur Literatur: Die weiterhin nicht zu den einzelnen Stellen jedesmal besonders zitierten großen Zentralwerke der klassischen chinesischen Literatur hat J. Legge in den »Chinese Classics« übersetzt mit textkritischen Anmerkungen herausgegeben. Einige davon sind auch in Max Müllers Sacred Books of the East aufgenommen. In die persönlichen (oder, was für uns hier ganz dasselbe ist: als persönlich geltenden) Ansichten des Konfuzius und seiner maßgeblichsten Schüler führen wohl am bequemsten die in einem kleinen Bande (The Life and Teachings of Confucius, London 1867) von Legge mit Einleitung herausgegebenen drei Schriften: das Lun Yü (als »Confucian Analects« übersetzt), das Ta Hio (The Great Learning) und das Tschung Yung (»Doctrine of the Mean«), ein. Dazu die berühmten Annalen von Lu (Tschun Tsiu – »Frühling und Herbst«). Uebersetzungen von Mencius: in den Sacred B. of the East und bei Faber, The Mind of Mencius. Das dem Laotse zugeschriebene Tao-te-king ist überaus oft übersetzt worden, deutsch (genial) von v. Strauß 1870, englisch von Carus 1913. Inzwischen ist bei Diederichs, Jena, eine gute Auslese chinesischer Mystiker und Philosophen erschienen (hrsg. v. Wilhelm). Die Beschäfti gung mit Taoismus war neuerdings fast Mode. Ueber die staatlichen und sozialen Verhältnisse ist, neben Richthofens großartigem, vorwiegend geographischem, aber nebenbei auch diese Dinge berücksichtigenden Werk, zur Einführung noch immer die popularisierende ältere Arbeit von Williams »The Midden Empire« nützlich. Vorzügliche Skizze (mit Literatur) von Otto Franke in der »Kultur der Gegenwart« (II, II, I). Ueber die Städte: Plath in den Abh. der bayer. Akad. der Wiss. X. Die beste Arbeit über die Oekonomik einer (modernen) chinesischen Stadt ist bisher von einem Schüler K. Büchers, Dr. Nyok Ching Tsur, geliefert worden (Die gewerbl. Betriebsformen der Stadt Ningpo, Erg.-Heft 30 der Zeitschr. f. d. ges. Staatsw., Tübingen 1909). Ueber die alt chinesische Religion (den sog. »Sinismus«) E. Chavannes in Revue de l'hist. des Relig. 34 S. 125 ff. Für die Religion und Ethik des Konfuzianismus und Taoismus sind empfehlenswert, weil tunlichst im Anschluß an wörtliche Zitate gearbeitet, die beiden Arbeiten von Dvořak in den »Darstellungen aus dem Gebiet der nichtchristlichen Rel.-Geschichte«. Im übrigen die Darstellungen in den verschiedenen Lehrbüchern der Religionsgeschichte (bei Bertholet, Tübingen 1908, ist der Abschnitt von Wilhelm Grube, bei Chantepie de la Saussaye von E. Buckley). Im übrigen stehen über die offizielle Religion die großen Arbeiten von de Groot zurzeit allen voran. Hauptwerk: The Religious System of China (in den bisher erschienenen Bänden wesentlich das Ritual, vor allem Totenritual, behandelnd). Eine Gesamtübersicht über die in China bestehenden Religionssysteme von ihm in der »Kultur der Gegenwart«. Ueber die Toleranz des Konfuzianismus seine temperamentvolle Streitschrift: Sectarianism and religious persecution in China (Verh. der Kon. Ak. van Wetensch. te Amsterdam, Afd. letterk. N. Reeks IV, 1, 2). Zur Geschichte der Religionsverhältnisse sein Aufsatz in Bd. VII des Archiv f. Rel.-Wissensch. (1904). Zu vgl. die Besprechung von Pelliot Bull. de l'Ecole franç. de l'Extr. Orient III, 1903, S. 105. Ueber den Taoismus Pelliot a.a.O. S. 317. Ueber das Heilige Edikt des Gründers der Ming-Dynastie (Vorgänger des »heiligen Ediktes« von 1671) Chavannes, Bull. de l'Ec. fr. de l'Ext. Or. III, 1903, S. 549 ff. Darstellung der konfuzianischen Lehre vom Standpunkt der modernen Reformpartei Kang Yu Wei's: Chen Huan Chang The economic principles of Confucius and his school (Dissertation der New Yorker Columbia University, New York 1911). – Sehr anschaulich spiegeln sich die Wirkungen der verschiedenen Religionssysteme auf die Lebensformen in Wilhelm Grubes schönem Aufsatz: Zur Pekinger Volkskunde (in der Veröff. aus dem Kgl. Mus. f. Völkerk., Berlin VII, 1901). Vgl. von demselben: Religion und Kultur der Chinesen. Ueber chinesische Philosophie: W. Grube in der »Kultur der Gegenwart« I, 5. Derselbe: Geschichte der chinesischen Literatur (Leipzig 1902). Aus der Missionarliteratur ist recht wertvoll, weil zahlreiche Gespräche reproduzierend, Jos. Edkins, Religion in China (3. Aufl., 1884). Manches Gute enthält auch Douglas, Society in China. Für weitere Literatur sind die bekannten großen englischen, französischen und deutschen Zeitschriften, ferner die Zeitschr. f. vergl. Rechtswissenschaft und das Archiv f. Rel.-Wissensch. durchzusehen. – Zur anschaulichen Einführung in moderne chinesische Verhältnisse: F. v. Richthofens Tagebücher, ferner die Bücher von Lauterer, Lyall, Navarra u.a. Zum Taoismus s. auch bei VII.

Eine moderne Entwicklungsgeschichte Chinas (alte Zeit), bringt E. Conrady in Band III der »Weltgeschichte« (1911) von v. Pflugk-Harttung. Erst während dieses Drucks kam mir das neue Werk von de Groot: »Universismus«. Die Grundl. d. Rel. u. Ethik, des Staatsw. u. der Wiss. Chinas (Berlin 1918) zur Hand. Von kurzen einführenden Skizzen sei ganz besonders auf die kleine Broschüre eines der besten Fachkenner verwiesen: Frhr. v. Rosthorn, Das soziale Leben der Chinesen (1919), aus der älteren Literatur gleicher Art etwa auf J. Singer, Ueber soziale Verhältnisse in Ostasien (1888).

Belehrender als viele Darstellungen ist das Durcharbeiten der von den englischen Interessenten jahrzehntelang unter dem Namen »Peking Gazette« übersetzten Sammlung (ursprünglich nur zum internen Gebrauch bestimmten) kaiserlichen Verfügungen an die Reichsbeamten. Die sonstige Literatur und die übersetzten Quellenschriften sind zu den Einzeldarlegungen zitiert. Für den Nichtfachmann ist sehr erschwerend der Umstand, daß die dokumentarischen und monumentalen Quellen nur zum kleinsten Teil übersetzt sind. Ein sinologischer Fachmann stand mir zur Kontrolle leider nicht zur Seite. Nur mit schweren Bedenken und unter den größten Vorbehalten wird daher hier dieser Teil mit abgedruckt.


2 Dahin resumiert seine Ansicht auch H. B. Morse, The Trade and Administration of the Chinese, New York 1908, p. 74. In der Tat: das Fehlen der Akzise und jeder Steuer von beweglichem Einkommen, bis in die Neuzeit sehr niedrige Zölle, die Getreidepolitik nur unter den Gesichtspunkt des Konsums gestellt, – schon diese Grundtatsachen rechtfertigen das Urteil. Vor allem aber war für den bemittelten Händler für Geld bei der Eigenart des Beamtentums praktisch alles durchzusetzen, was in seinem Interesse lag.


3 Der Uebergang zu diesem unseren »Banko«-Währungen entsprechenden (für die Hamburger Bank auch vorbildlich gewesenen) System wurde allerdings erst durch die Münzverschlechterungen und Papiergeldemissionen der Kaiser herbeigeführt, ist also sekundär. Welche Verwirrung aber die an einem Ort plötzlich eintretende Knappheit des Kupferkurants, die infolgedessen vermehrte Emission lokaler Banknoten und die durch beides erzeugten Agiounterschiede und Spekulationen in Silberbarren noch in neuester Zeit hervorrufen konnten und mit wie unbeholfenen Maßnahmen die Regierung dann eingriff, zeigt z.B. der nebst dem kaiserlichen Dekret in der »Peking Gazette« vom 2. 6. 96 veröffentlichte Bericht. Beste Darstellung der Währungsverhältnisse bei H. B. Morse, Trade and Administration of the Chinese Empire, New York 1908, Kap. V, p. 119 ff. Im übrigen zu vergleichen: J. Edkins, Banking and prices in China (1905). Aus der alten chinesischen Literatur Se Ma Tsien ed. Chavannes, Vol. III, Kap. XXX.


4 Die Bezeichnung für »Geld« ist im übrigen »hwo«, »Tauschmittel« (puo hwo – wertvolles Tauschmittel).


5 S. darüber außer dem betreffenden Kapitel von Morse, Trade and administration of China, und Jos. Edkins, Chinese Currency, London 1913, die alte, noch immer brauchbare Arbeit von Biot im N. Journ. Asiat. 3. Ser. 3, 1837, welche sich im wesentlichen auf Ma Tuan Lin als Gewährsmann stützt. Erst während der Korrektur kam mir die New-Yorker Diss. v. W. P. Wei, The currency problem in China (Stud. in Hist. Ec. etc. 59, New York 1914) zu Gesicht, deren erstes Kapitel einiges enthält.


6 Geomantische, später zu besprechende, Superstitionen führten stets erneut (bei jedem Erdbeben) zur Unterdrückung des Abbaus. Allerdings ist es aber eine lächerliche Uebertreibung, wenn Biot a.a.O. die Minen mit denen von Potosi vergleicht. Das steht seit Richthofen endgültig fest. Die Bergwerke in Yünnan sollen von 1811 bis gegen 1890 nur ca. 13 Mill. Taëls Ausbeute ergeben haben (trotz der relativ niedrigen Royalty von 15%). Schon im 16. Jahrhundert (1556) kam es vor, daß eine Silbermine mit 30000 Taëls Kosten eröffnet wurde und dann rund 28500 Taëls Ausbeute gab. Die mehrfachen Verbote des Bleiabbaus hinderten die Gewinnung des Silbers als Nebenprodukt. Nur während der Herrschaft der Chinesen über Hinterindien (Kambodscha, Annam), wo namentlich Birma ein Silberland war, stieg die (Dauer-)Zufuhr von Silber stark; außerdem durch den Handel mit dem Westen über Buchara, besonders im 13. Jahrhundert, als Gegenwert gegen Seide, dann (s. gleich) seit dem 16. Jahrhundert durch den Außenhandel mit Europäern. Die große Unsicherheit war, nach der Annalistik zu schließen, neben der mangelhaften Technik ein wichtiger Grund der meist geringen Rentabilität der Silberbergwerke.


7 Riesenhafte Fronden für die Ausbeutung von Goldminen berichtet die von Kaiser Kian Lung geschriebene Geschichte der Ming-Dynastie (Yu tsiuan tung kian kang mu übers. v. Delamarre, Paris 1861, p. 362) noch für das Jahr 1474: 550000 (?) Menschen seien dazu gepreßt worden.


8 Das Mißverhältnis zwischen Ankaufspreis und Kosten erklärt die ganz ungenügende Ausbeute hinlänglich.


9 Nach Weil a.a.O. S. 17 sei ein Münzgewinn der älteren Münzpolitik Chinas unbekannt gewesen. Aber das ist unglaubwürdig, da sonst die notorisch riesige Nachprägung nicht rentiert hätte. Auch berichtet die Annalistik ausdrücklich (s.u.) das Gegenteil.


10 Ueber diese Wirkung des Fung schui s. Variétés Sinolog. Nr. 2 (H. Havret La prov. de Ngan Hei, 1893) p. 39.


11 Nach einer von Biot (N. J. As. III Ser. 6, 1838, p. 278) wiedergegebenen Notiz aus dem Wen hian tong kao wären unter Yuan Ti (48-30 v. Chr.) die Münzvorräte des ganzen Landes auf 730000 Uan à 10000 tsien (Kupfermünzen), davon 330000 im Fiskalbesitz (!), geschätzt worden, was Ma tuan lin als einen niedrigen Vorrat ansieht.

12 Die Annalistik (Ma tuan lin) gibt an, daß Kupfer, nach dem Gewicht, damals 1840 mal so viel wert gewesen sei als Getreide (andere Quellen sprechen von 507 mal so viel), während unter den Han Kupfer 1-8 mal so viel wert gewesen sein soll als Reis (auch in Rom im letzten Jahrhundert der Republik, gab es für Weizen eine erstaunliche Relation).


13 Das »pien-tschen« Papiergeld des 10. Jahrhunderts wurde von staatlichen Kassen eingelöst.


14 Das schwere Eisengeld in Setschuan hatte dort schon im 1. Jahrh. im kaufmännischen Verkehr Zertifikate (tschiao-tse) der Gilde der 16ner, also: Bankgeld entstehen lassen, die später durch Zahlungsunfähigkeit uneinlöslich wurden.


15 Eine chinesische Staatseinkünfteaufstellung älterer Zeit sah nach der Annalistik (Ma tuan lin) so aus:


VIII. Resultat: Konfuzianismus und Puritanismus

Dazu tritt ein Durcheinander von Abgaben an Tee, Salz, Käse, Kleie, Wachs, Oel, Papier, Eisen, Kohle, Saflor, Leder, Hanf u.a., welches sinnloserweise vom Annalisten nach dem Gesamtgewicht (3200253 Pfund) angegeben ist, Was die Getreidequantitäten anlangt, so rechnete man, wie andern Orts erwähnt, als Monatsbedarf einer Person 1 1/2 schi (doch wechselte die Größe des schi erheblich). Die Silbereinnahme der letzten Rechnung, die in den beiden ersten fehlt, ist entweder aus dem Handelsmonopol oder durch Einführung der noch heute bestehenden Umrechnung des Kupferkurants in Silber durch die Steu ereinheber zu erklären, oder dadurch, daß die letzte Rechnung eine Ist-Rechnung, die ersten Sollbudgets (?) sind.

Die erste Abrechnung der Ming-Dynastie von 1360 weist demgegenüber nur 3 Posten auf:

Getreide........... 29433350 schi,

Geld (in Kupfer und Papiergeld) 450000 Unzen (Silber), Seidenstoffe......... 288546 Stück.

Also ein erheblicher Fortschritt der Silbervermehrung und ein Fortfall der zahlreichen spezifizierten Naturalien, die damals offenbar nur in den Bezirkshaushalten erschienen, wo sie verbraucht wurden. Sehr viel ist mit den Zahlen eben deshalb nicht anzufangen, weil man nicht sicher weiß, was vorabgezogen wurde.

1795-1810 flossen der Zentralregierung zu: 4,21 Mill. schi Getreide (à 120 chines. Pfund), dagegen eine sehr starke relative und absolute Vermehrung der Silbereinkünfte, ermöglicht durch die sehr stark aktive Zahlungsbilanz Chinas im Außenhandel mit den Abendländern seit dem amerikanischen Silbersegen. (Die neuere Entwicklung hat uns hier nicht zu interessieren.)

Uebung der alten Zeit war, nach der Annalistik, die der Hauptstadt nahe gelegenen Bezirke die geringwertigen Naturalien, die Außenbezirke mit steigender Entfernung zunehmend hochwertige Güter liefern zu lassen. Ueber die Steuern und ihre Wirkung siehe weiter unten.


16 So 689 n. Chr. nach Ma Tuan Lin.


17 So 683 n. Chr. der Verkauf von Getreide nach Japan (wo damals Kupferprägung herrschte).


18 So 702 nach der Annalistik.


19 Erstmalig 780 n. Chr.


20 Im 8. Jahrhundert argumentierten die Münzmeister damit: daß 1000 Einheiten Kupfer, zu Kunstwerken (Vasen) veredelt, so viel wert wären wie 3600 Einheiten, also die industrielle Verwertung des Kupfers vorteilhafter sei als die monetäre.


21 817 und seitdem oft: nicht mehr als 5000 kuan (à 1000 tsien). Je nach Höhe des Kupfergeldbesitzes wurden verschiedene Fristen für dessen Veräußerung gestellt.


22 Zuerst verwendet scheint es für die Amtssiegel der Beamten, die seit Schi Hoang-Ti den Uebergang vom Feudalismus zum Patrimonialstaat äußerlich markierten.


23 So 1155: 11/2%, durch die tatarischen Beherrscher Nordchinas.


24 So noch 1107. Die Zettel entwerteten sich assignatenartig (bis auf 1/100)

25 So 1111, wo Papier für den Grenzkrieg emittiert wurde.


26 Dies war die regelmäßige Form, anfänglich auch von den Handelsinteressenten empfohlen. Diese Noten hatten also insoweit Schatzwechselcharakter.


27 Alte oder abgenutzte Emissionen wurden zuweilen nur mit 1/10-1/3 des Betrags eingelöst.


28 Noch 1107, infolge des Tatarenkriegs, jede Zahlung über 10000 tsien zur Hälfte in Papier. Aehnlich öfter.


29 Seine Schilderung ist unannehmbar. 3% Abzug für Einlösung abgenützter Scheine gegen neue (Scheine!) dagegen auf Verlangen Hergabe des »Goldes« und »Silbers« gegen Scheine an jeden, der es braucht, ist nicht möglich, – selbst dann nicht, wenn man Marco Polo – was nach dem Wortlaut wenigstens möglich wäre – dahin versteht: daß ein industrieller Zweck habe angegeben werden müssen. Zwangsverkäufe von Edelmetall gegen Noten berichtet auch er.


30 Von 500:1 auf 1100:1 Mitte des 19. Jahrhunderts angeblich.


31 J. Edkins, Chinese Currency, 1890, p. 4.


32 Die Pfründen der Beamten der Tsin und Han (bei Chavannes in Vol. II App. I seiner Ausgabe von Se Ma Tsien wiedergegeben) waren, in 16 Klassen abgestuft, teils in Geld, teils in Reis angesetzte feste Deputate. Als Zeichen kaiserlicher Ungnade – der z.B. Konfuzius nach Se Ma Tsien's Biographie verfiel – galt die Verweigerung des Naturalanteils am Opferfleisch, das ihnen zukam. Immerhin finden sich im damals chinesischen Turkestan, wie später zu erwähnen, Urkunden mit reiner Geldrechnung.


33 Erst im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde der Holzbau durch Steinbauten ersetzt. Bis dahin wechselten die pallisadierten Residenzen leicht und oft.


34 Nicht sehr ergiebig für die Kenntnis chinesischen Städtetums ist die Arbeit von L. Gaillard S. J. über Nangking, Var. Sinol. 23 (Schanghai 1903).


35 Auf die gewaltige Bedeutung der Gilden in China kommen wir weiterhin zu sprechen. Es werden dann auch die Unterschiede gegen den Okzident in ihren Gründen hervortreten, deren Bedeutung dadurch nur noch eklatanter wird, daß die soziale Macht der Gilden in China gegenüber dem einzelnen und auch der Umkreis ihrer ökonomischen Wirksamkeit weit größer waren als jemals im Okzident.


36 Auch in China natürlich hatte bei weitem nicht jeder Stadtinsasse den Zusammenhang mit einem Ahnenheiligtum im Stammort bewahrt.

37 Im offiziellen Pantheon galt als universeller Stadtgott der Reichtumsgott.


38 Ueber die chinesische Stadt vgl. Eug. Simon, La cité chinoise (Paris 1885, wenig präzis).


39 Denn der für die Ruhe eines Orts gegenüber der Regierung verantwortliche Ehrenbeamte (englisch mit »headborough« bezeichnet, vgl. H. A. Giles, China and the Chinese, New York 1912, p. 77) hatte sonst wesentlich nur die Funktion, Petitionen weiterzuleiten und gewisse Notariatsakte vorzunehmen. Er hatte ein (hölzernes) Siegel, galt aber nicht als Beamter und stand unter dem rangletzten Mandarin des Orts. – Auch besondere Munizipal steuern gab es in den Städten nicht, sondern Schul-, Armen-, Wasser- usw. Abgaben, welche die Regierung ausschrieb.


40 Peking bestand aus 5 Verwaltungsbezirken.


41 Freilich wesentlich im Binnenverkehr benützt.


42 Wie in Aegypten der Pharao die Fronpeitsche als Zeichen des »Regierens« in der Hand hält, so identifiziert auch das chinesische Zeichen für »Regieren« (tsching) dies mit der Führung des Stocks und wird es in der alten Terminologie mit »Regulierung der Gewässer«, der Begriff für »Gesetz« (fa) aber mit »Ablassen des Wassers« identifiziert. (Vgl. Plath, China vor 4000 Jahren, München 1869, S. 125.)

43 Nach der Ueberlieferung hat z.B. Schi Hoang Ti einen Synoikismos aus den 120000 (?) reichsten Familien des ganzen Landes nach seiner Hauptstadt oktroyiert. Von Synoikismen reicher Leute nach Peking im Jahre 1403 berichtet die von Kaiser Khian Lung geschriebene Chronik der Ming-Dynastie (Yu tsiau thung kian kang mu, Delamarre, Paris 1865, p. 150).


44 S. darüber jetzt H. B. Morse, The Guilds of China (London 1909). Ferner aus der älteren Literatur: Macgowan, Chinese Guilds (J. of the N. China Br. of the R. As. Soc. 1888/9) und Hunter, Canton before treaty days 1821-44 (London 1882).


45 Dies galt formell anscheinend besonders von den Hwei-kwan- Gilden der aus anderen Provinzen stammenden (Beamten und) Kaufleute (unseren »Hansen« entsprechend), die zum Schutz gegen die Feindschaft der ortsansässigen Kaufleute (wie gelegentlich in den Praambeln der Statuten angegeben wird) seit jedenfalls dem 14., wahrscheinlich schon dem 8. Jahrhundert entstanden, tatsächlich Eintrittszwang übten (wer Geschäfte machen wollte, mußte bei Lebensgefahr beitreten), Klubhäuser besaßen, Steuern je nach dem Gehalt der Beamten und bei Kaufleuten je nach dem Umsatz erhoben, jede Anrufung der Gerichte gegeneinander straften, für Gräber auf einem besonderen, die Heimatserde ersetzenden, Kirchhof sorgten, die Prozeßkosten in Fällen von Konflikten mit Nichtmitgliedern trugen und gegenüber den örtlichen Autoritäten die Anrufung der Zentralgewalt (und natürlich: die Bereitstellung der erforderlichen douceurs) besorgten (so z.B. im Jahre 1809 gegen lokale Reisausfuhrverbote remonstrierten). Neben fremdbürtigen Beamten und Kaufleuten finden sich auch Zünfte fremdbürtiger Handwerker; Nadelmacher aus Kiangsu und Taitschou in Wentschou, Goldschlägergilde nur von Leuten aus Ningpo, ebenda. Diese Organisationen sind Rudimente der Stammesgewerbeorganisation. In all diesen Fällen war die absolute Gewalt der Gilde durch die kontinuierlich bedrohte Lage der Mitglieder der Hanse in fremdstämmiger Umgebung ebenso gegeben, wie z.B. die straffe, aber immerhin weit weniger rigorose Disziplin etwa der Hansen in London und Nowgorod. Aber auch die ortseingesessenen Gilden und Zünfte (Kung so) übten durch Ausstoßung, Boykott und Lynchjustiz (Totbeißen eines Zunftmitglieds, welches die Vorschriften über die Höchstzahl der Lehrlingshaltung übertreten hatte, kam im 19. Jahrhundert vor!) eine fast absolute Herrschaft über die einzelnen Mitglieder.


46 Z.B. durch die große »Gesamtgilde« von Niutschwang.


47 Ebendort.

48 Besonders bei den Hwei-kwan- Gilden (»Hansen«) verbreitet.


49 Die Opiumgilde in Wutschou bestimmt, wann das Opium zu Markt kommen darf.


50 So die Bankiersgilden in Ningpo, Schanghai und an anderen Orten für die Zinssätze, die Teegilde in Schanghai für Lagerungs- und Versicherungssätze.


51 So die Drogistengilde in Wentschou.


52 Die Bankiersgilden.


53 So – infolge der vorhin erwähnten Reglementierung der Verkaufssaison – die Opiumgilden.


54 Auch aus der eigenen Familie.


55 Die Gilde der Goldschläger aus Ningpo in Wentschou verbot jede Aufnahme Ortsgebürtiger in die Zunft und jede Lehre ihrer Kunst an sie. Die Herkunft aus der inter-ethnischen, stammesgewerblichen, Produktionsteilung tritt darin besonders deutlich hervor.


56 Dagegen war sowohl das Unterstützungswesen wie der religiöse Charakter (gemeinsamer Kult) unentwickelter als nach abendländischen Analogien anzunehmen wäre. Wenn die Eintrittsgelder zuweilen an einen Gott (Tempelkasse) gezahlt wurden, so sicherlich (ursprünglich), um sie dem Zugriff der politischen Gewalt zu entziehen. Wenn ein Tempel als Versammlungsraum diente, so regelmäßig nur bei armen Innungen, die sich kein Klubhaus leisten konnten. Die ausgerichteten Schauspiele waren profan (nicht: »mysteria«, wie im Abendland). Die religiösen Fraternitäten (Hwei) entwickelten geringe Intensität religiöser Interessen.


57 So in dem erwähnten Fall in Ningpo, der zahlreiche Parallelen hat.


58 So vor allem die Ko-hong-Gilde in Kanton, deren 13 Firmen bis zum Frieden von Nangking den gesamten Außenverkehr monopolisierten: eine der wenigen auf formeller Privilegierung durch die Regierung beruhenden Gilden.


59 Die Regulierung der Bewässerung war schon in der Zeit der Entwicklung der Schrift ausgebildet (und vielleicht hing die letztere mit der durch jene bedingten Verwaltung zusammen). »Regieren« (tsching) bedeutet: den Stock in der Hand führen, der alte Ausdruck für »Gesetz« (fa) hängt mit dem Ablassen des Wassers zusammen (Plath, China vor 4000 Jahren, München 1869, S. 125).


60 Eben dies hält, wie wir sehen werden, Jahwe den Israeliten vor.


61 Angeblich (s. später) sollte unter der Tschou-Dy nastie der (wie auch Legge, Shn-king, Proleg. p. 193 ff. annimmt) persönliche Himmelsgott, neben dem die »6 Geehrten« standen, durch die unpersönlichen Ausdrücke »Himmel und Erde« kultisch ersetzt sein. Der Geist des Kaisers und seiner Vasallen ging bei guter Führung in den Himmel (von wo er auch warnend, Legge p. 238 erscheinen konnte). Eine Hölle gab es nicht.


62 Wie schwankend diese war, zeigt z.B. eine Fluch-Inschrift des Tsin-Königs gegen den feindlichen Tschu-König aus dem Jahre 312, weil dieser »die Regeln der Sitte verletzt« und einen Vertrag gebrochen habe. Nebeneinander werden zu Zeugen und Rächern angerufen: 1. der Himmel, – 2. der »Herrscher von oben« (also ein persönlicher Himmelsgott), – 3. der Geist eines Flusses (an dem vermutlich der Vertrag geschlossen worden war). (S. die Inschrift in App. III von Vol. II der Ausgabe von Se Ma Tsien durch Chavannes, und Chavannes im Journal Asiatique, Mai/Juni 1893, p. 473 f.)


63 Zu dem Vorstehenden vgl. die sehr gute (Leipziger) Dissertation von M. Quistorp (Schüler Conradys): Männergesellschaft und Altersklassen im alten China (1913). Ob, wie Conrady annimmt, Totemismus in China je geherrscht hat, könnte nur der Fachmann entscheiden.

64 Reste davon findet Quistorp a.a.O. in gewissen bei Laotse rudimentär vorhandenen Mythologemen.


65 Daher betont O. Francke nachdrücklich, daß die Mandschuherrschaft nicht als »Fremdherrschaft« empfunden wurde. Immerhin bedarf dies wohl der Einschränkung für Zeiten der revolutionären Erregung: die Manifeste der Taiping sind ein lebendiges Zeugnis dafür.


66 Mit dem Namen »Genius der Erde« wurde Heu tu, einer der sechs Minister des Kaisers Huang-ti, deifiziert (vgl. Note 215 p. LII des von Michels übersetzten und annotiert herausgegebenen Schih Luh Kuoh Kiang Yuh Tschi: »Histoire géographique des XVI royaumes«, Paris 1891). Darnach kann damals schon ein chthonischer Kult kaum bestanden haben, da dann ein solcher Titel blasphemisch gewesen wäre.


67 Denn darin, in dieser Verschmelzung, lag offenbar die Quelle des »Universismus« der »Tao«-Konzeption, die dann (in ganz wesentlich geistvollerer Art als in Babylonien die aus der Leberschau entnommenen Begriffe oder gar als die altägyptischen »metaphysischen« Konzeptionen) zu einem kosmischen System der »Entsprechungen« ausgebaut wurde (alles Nähere über die philosophische Deutung – soweit sie nicht für uns in Abschnitt VII noch in Betracht kommt – muß man in de Groots schönem, zitierten, Buch über »Universismus« nachlesen (welches, rein systematisch angelegt, die Frage der Herkunft nicht erörtert). Es ist aber klar, daß die chronomantische Deutung des Kalendermachens und des Kalenders selbst ebenso wie die absolute Stereotypierung des Rituals und, mit beidem zusammenhängend, die rationale, von der später zu besprechenden Mystik ausgehende Tao-Philosophie erst sekundär waren. Der älteste Kalender (hia siao tsching, »kleiner Regulator«) scheint am wenigsten mit solchen Theologumena belastet zu sein, deren Entwicklung offenbar erst nach der Kalenderreform Schi Hoang Ti's einsetzte. Das später von der Regierung unter strengster Verfolgung jeder eigenmächtigen Kalendermacherei Privater hergestellte chronomantische Grundbuch: Schi hien schu, als Volksbuch massenhaft nachgedruckt, gibt den »Tagemeistern« (Berufschronomanten den Stoff. Die sehr alte Kalenderbehörde der Laschi (»hohen Schriftsteller«) war geschichtlich die Quelle sowohl der Astronomen-(Kalender-) wie der Astrologen-(portenta-)behörden, wie der rein exemplarisch und paradigmatisch gedachten Hofannalistik, die ursprünglich mit der Kalendermacherei in Personalunion war. S. u.


68 Zum Nachstehenden vgl. namentlich de Groot, Rel. of the Ch., insbesondere p. 33 f., 55 f.


69 Mit dieser Motivierung wurde gelegentlich gegen allzu mächtig gewordene Mätressen (Konkubinen) von Kaisern Front gemacht: Weiberherrschaft bedeute Uebergewicht des yin über das yang.


70 Im Staatskult spielten allerdings (s. die höchst anschauliche und peinlich genaue Darstellung in de Groots »Universismus«) neben dem Kult 1. des »Himmels«, der jedoch (nach de Groot) beim großen Opferakt als primus inter pares unter den Ahnengeistern des Kaisers erschien, – 2. der Erde (»Kaiserin Erde«), – 3. der kaiserlichen Ahnen, auch die Kulte – 4. des Sche Tsi: Schutzgeistes des Bodens und der Feldfrüchte, – 5. der Sonne und des Mondes, – 6. des Sien Nung, Archegeten der Ackerbaukunst, – 7. des (weiblichen) Archegeten der Seidenzucht (Opfernde: die Kaiserin), – 8. der großen, seit 1722 aber: aller Kaiser der früheren Dynastien (außer: den gewaltsam Gestorbenen oder durch erfolgreiche Rebellion – Zeichen mangelnden Charismas – Gestürzten), – 9. Konfuzius und einige Koryphäen seiner Schule, – diese alle (grundsätzlich) durch den Kaiser persönlich. Dazu traten 10. die Regen- und Windgötter (Tien Sehen) und die Götter der Berge, Meere, Flüsse (Ti Ke), – 11. der Jupiter als Kalendergott (Geist des großen – Jupiter- – Jahres), – 12. der Archeget der Heilkunde zusammen mit dem Frühlingsgott (vielleicht ein Symptom einstiger chthonischer Orgiastik als Quelle der magischen Therapeutik), – 13. der Kriegsgott (der kanonisierte General Kuan ti, 2./3. Jahrhundert n. Chr.), – 14. der Gott der klassischen Studien (Schirmgott gegen Ketzerei), – 15. der (1651 kanonisierte) Nordpolgeist, – 16. der Feuergott Huo Schen, – 17. die Kanonengötter, – 18. die Festungsgötter, – 19. »der heilige Berg des Ostens«, – 20. die Drachen- und Wassergötter oder die Bau-, Ziegelei-und Getreidespeichergötter – 21. die kanonisierten Provinzialbeamten. Diese waren alle (normalerweise) durch die zuständigen Beamten zu bedienen. Man sieht, es war schließlich fast die gesamte äußere Staatsorganisation mit ihren Geistern kanonisiert. Aber die höchsten Opfer wurden offensichtlich un persönlichen Geistern dargebracht.


71 Die »Peking Gazette« wimmelt von Anträgen der Beamten auf solche Kanonisierungen, welche auch darin mit den entsprechenden katholischen Prozeduren übereinstimmen, daß das Avancement schrittweise und je nach dem Nachweis weiterer Wunder erfolgte. So wird 1873 auf Bericht des zuständigen Gouverneurs über das Verhalten eines »presiding spirit of the Yellow River« bei Ueberschwemmungsgefahr zunächst dessen Zulassung zum Kult genehmigt, der Antrag auf Verleihung des Ehrentitels aber in suspenso gelassen bis zum Bericht, ob er sich weitere Verdienste erworben habe. Nachdem 1874 (Peking Gazette vom 17. 12.) berichtet worden war, daß die Heranschaffung seines Bildes das Weiterschwellen der drohenden Flut zum Stehen gebracht habe, erhielt er den entsprechenden Titel. Am 13. 7. 74 (Peking Gazette d. D.) wurde die Anerkennung der Wunderkraft eines Tempels des Drachengotts in Honan beantragt. Am 23. 5. 78 wurde ein neuer Titel des »Drachen-Geistes« genehmigt (Peking Gazette d. D.). Ebenso beantragten z.B. 1883 (Peking Gazette vom 26. 4.) die zuständigen Beamten, einem bereits kanonisierten verstorbenen früheren Mandarinen des Flußgebiets eine Rangerhöhung zu bewilligen, da sein Geist gesehen worden sei, wie er über den Wassern schwebte und bei höchster Gefahr mit bei der Beschwichtigung der Wasser tätig war. Aehnliche Anträge von in Europa sehr bekannten Beamten (Li Hung Tschang – Peking Gazette 2. 12. 1878 – u.a.) finden sich sehr häufig. Am 31. XI. 1883 protestierte ein Zensor, als advocatus diaboli, gegen die Kanonisation eines Mandarinen, da dessen Verwaltung keineswegs hervorragend gewesen sei (Peking Gazette d. D.).


72 Eine strenge Scheidung zwischen dem, was »Zauber« war und was nicht, ist für die präanimistische und animistische Vorstellungswelt gar nicht möglich. Auch das Pflügen und jede alltägliche, auf einen Erfolg gerichtete Handlung war ein »Zauber« im Sinn der Inanspruchnahme spezifischer »Kräfte« und – später – »Geister«. Man kann hier nur soziologisch scheiden: der Besitz außer alltäglicher Qualitäten schied den Zustand der Ekstase vom Alltagszustand und den Berufsmagier vom Alltagsmenschen. »Außeralltäglich« wandelte sich dann, rationalistisch, in »übernatürlich« ab. Der Kunsthandwerker, der die Paramente des Jahwetempels herstellte, war von der »ruach« Jahwes besessen, wie der Medizinmann von der Kraft, die ihn zu seinen Leistungen befähigte.


73 Aber nicht aus ihr allein erklärlich. Denn sonst hätte auch in Mesopotamien die gleiche Entwicklung eintreten müssen. Man muß sich damit abfinden: daß diese – wie schon G. Jellinek gelegentlich bemerkt hat – zentral wichtige Entwicklung der Beziehungen zwischen imperium und sacerdotium eben oft auf »zufälligen«, für uns verschollenen, historischen Schicksalen beruht.


74 Das Ausbleiben von Regen (oder Schnee) führt daher zu den erregtesten Erörterungen und Vorschlägen im Kreise des Hofs und der Ritualbeamten und die Peking Gazette wimmelt in solchen Fällen von Anträgen auf die Ergreifung magischer Abhilfemittel aller Art. So z.B. die gefahrdrohende Dürre des Jahres 1878 (s. besonders: Peking Gazette vom 11. und 24. 6. 78). Nachdem der Yamen (Kommittee) der Staatsastronomen unter Bezugnahme auf klassische astrologische Autoritäten auf die Färbung der Sonne und des Mondes hingewiesen hatte, wies der Bericht eines Mitglieds der Hanlin-Akademie auf die dadurch entstandene Beunruhigung hin und verlangte, daß dieses Gutachten zwar zur öffentlichen Kenntnis gebracht, der noch jugendliche Kaiser aber vor Eunuchengeschwätz über üble Vorbedeutungen bewahrt und der Palast bewacht werden solle; im übrigen mögen die Kaiserinnen-Regentinnen ihre sittlichen Pflichten erfüllen, dann werde der Regen nicht ausbleiben. Dieser Bericht wurde mit beruhigenden Erklärungen über die Art der Lebensführung der hohen Damen und mit dem Hinweis auf den inzwischen schon eingetretenen Regen publiziert. Ein »Engel-Mädchen« (1469 verstorbene Anachoretin) war vorher im gleichen Jahre wegen häufiger Hilfe in Hungersnot zur Kanonisierung vorgeschlagen (Peking Gazette 14. I. 78) und mehrere ähnliche Promotionen vorgenommen worden.


75 Dieser fundamentale Satz der konfuzianischen Orthodoxie wird in zahlreichen kaiserlichen Edikten und Gutachten oder Anträgen der Hanlinakademie stets erneut betont. So heißt es in dem in der vorigen Note erwähnten und später noch mehrfach heranzuziehenden Gutachten des Hanlin-»Professors«: »It is the practice of virtue alone that can influence the power of Heaven....« (vgl. auch die folgenden Anmerkungen).

76 Tschepe a.a.O. p. 53.


77 Im Jahre 1899 (Peking Gazette vom 6. 10.) findet sich ein Dekret des (durch den Staatsstreich der Kaiserinwitwe unter deren Kuratel gestellten) Kaisers, in welchem er seine Sünden als wahrscheinlichen Grund der eingetretenen Dürre beklagt und nur hinzufügt, daß auch die Prinzen und Minister durch unkorrekten Lebenswandel ihren Teil der Schuld daran auf sich geladen haben. – In gleicher Lage versprachen 1877 die beiden Kaiserinnen-Regentinnen, der Ermahnung eines Zensors: sie sollten in ihrer »reverential attitude« verharren, zu entsprechen da dies ihr Verhalten bereits zur Verscheuchung der Dürre beigetragen habe.


78 S. vorige Anm. a. E. – Als im Jahre 1894 ein Zensor die Einmischung der Kaiserinwitwe in die Staatsangelegenheiten als ungehörig kritisiert hatte (s. den Bericht in der Peking Gazette vom 28. 12. 1894), wurde er allerdings abgesetzt und zur Robott an den Poststraßen der Mongolei verbannt, aber nicht weil diese Kritik an sich unzulässig, sondern weil sie »nur auf Hörensagen«, nicht auf Beweise gestützt gewesen sei. Besser hatte sich 1882 ein Mitglied der Akademie auf die Intentionen dieser energischen Frau verstanden, welcher (Peking Gazette vom 19. 8. 82) das Verlangen aussprach: die Kaiserin-Mutter möge sich wie der mehr um die Regierungsgeschäfte kümmern, da der Kaiser noch jung und zart, Arbeit für Mitglieder der Dynastie das beste sei und die Umgebung der Kaiserin sonst ihre Führung zu kritisieren beginnen werde.


79 Dieser Theorie von der Verantwortlichkeit des Monarchen standen übrigens andere gegenüber, welche die »Rache« gegen den Kaiser als unzulässig erklärten (6. Jahrh. v. Chr.) und demjenigen schwere (magische) Uebel in Aussicht stellten, der ein gekröntes Haupt anrühre. (E. H. Parker, Ancient China simplified, London 1908, p. 308.) Die Theorie ebenso wie die ganze, vorwiegend pontifikale Stellung des Kaisers überhaupt, war eben nichts immer Feststehendes gewesen. Ein nur von einem Heer ausgerufener Kaiser fand sich allerdings, als legitimer Monarch, scheinbar nur einmal. Aber die Akklamation der »hundert Familien«, d.h. der großen Lehensträger, war ursprünglich zweifellos, neben der Designation, für jede Thronfolge legale Bedingung.


80 Diese gesamte charismatische Auffassung vom Fürsten drang überall hin, wo die chinesische Kultur einmal Fuß gefaßt hatte. Nachdem der Nan-Tschao-Fürst die chinesische Herrschaft abgeworfen hat, heißt es von ihm in einer von Chavannes (Journ. As. 9 Ser. 16, 1900, p. 435) publizierten Inschrift: der König habe »eine Kraft, welche das Gleichgewicht und die Harmonie in sich trägt« (dem Tschong yong entlehnt), er habe die Fähigkeit, »zu bedecken und zu ernähren« (wie der Himmel). Als Zeichen seiner Tugend werden »verdienstliche Werke« (Bündnis mit Tibet) erwähnt. Ebenso wie der chinesische Musterkaiser hat er die »alten Familien« herausgesucht und sich mit ihnen umgeben (p. 443), womit das Schu-king zu vergleichen ist.


81 S. die verletzte Anmerkung. Weiter unten wird zu erwähnen sein, daß die Mandarinen als Träger magischer Kräfte galten.


82 Wegen der Macht der Ahnengeister charismatischer Sippen scheint man sich oft geradezu gescheut zu haben, unterworfene Häuptlingsfamilien ganz des Landes zu berauben (E. H. Parker, Ancient China simplified, London 1908, p. 57). Im übrigen erklärt aber auch umgekehrt diese sippencharismatische Bedingtheit der Lehen- und Pfründenchancen die starke Stellung der Ahnengeister, wennschon sie nicht etwa ihre einzige Quelle war.


83 »Eine Familie schätzt man nach dem Alter, einen Gebrauchsgegenstand nach der Neuheit«, sagt ein Spruch im Schu-king.


84 Vgl. für die Daten: Fr. Hirth, The ancient Hist. of China, New York 1908. Uebersetzung der »Bambus«-Annalen von Biot im Journ. Asiat. 3e Série vol. XII p. 537 ff., XIII p. 381 ff. Ueber die Inschriften der Bronzevasen und die Oden des Schu-king als Quellen der Periode vom 18.-12. Jahrhundert v. Chr. Frank H. Chalfant, Early Chinese Writing, Mem. of the Carnegie Mus. (Pittsburgh) IV Sept. 1906.


85 S. dazu Chavannes Journ. As. X, Ser. 14, 1909, p. 33, Note 2.


86 S. Kun-Yu (Discours des Royaumes) ed. de Harlez Louvain 1895, p. II, V. 110.


87 S. Se Ma Tsien's Biographie Schi-Hoang-Ti's ed. Chavannes (1897) p. 139.


88 Yu tsiuan tung kian kong mu (Ming-Annalen) redigiert von Kaiser Kian Lung, übers. v. Delamarre h. a.


89 Nämlich damals: vom Graduierten, deshalb vor Fronden und Stockhieben Geschützten, zum Fronpflichtigen.


90 S. Chavannes' Ausgabe von Se Ma Tsien d. II App. I, p. 526, Note 1.


91 Se Ma Tsien's Biographie Schi Hoang Ti's, ed. Chavannes p. 149, Anm.


92 Uebersetzt von Biot: Le Tscheou-li, ou rites des Tscheou, 2 Bde. Paris 1851. Angeblich stammt es aus der Regierung Tschong Wangs, 1115 bis 1079 v. Chr. Es wird nur in seinem Kern für »echt« gehalten.


93 In den Bezeichnungen des Hausmeiers, Ackerbauministers, Zeremonienmeisters, Kriegsministers, Justizministers, Arbeitsministers als: Minister des Himmels, der Erde, des Frühlings, Sommers, Herbstes, Winters wohl zweifellos Literatenprodukt. Auch die Voraussetzung eines »Budgets«, welches der Himmelsmandarin feststellt, ist sicher unhistorisch.


94 Se Ma Tsien hat uns die tatsächliche Verwaltungsorganisation der Tsin und Han aufbewahrt (s. dieselbe in T. II der von Chavannes besorgten Ausgabe von Se Ma Tsien App. II). Neben 2 Veziern stand darnach (bis auf Kaiser U) der Tai Wai als Militärchef der Generäle; der Tschong Tscheng als Kanzler und Vorgesetzter der Missi dominici und Provinzialbeamten; der fong tscheng für den Opferkult, zugleich Groß-Astrologe, Groß-Augur, Groß-Arzt und – charakteristischerweise – verantwortlich für Deiche und Kanäle; dann die posche (Literaten); der lang tschong ling: Palastintendant; der wei wei: Palastgardenchef; der tai pu: Rüstkämmerer; der ting wei: Chef der Justiz; dertien ko: Chef der Vasallen und Barbarenfürsten; der tsong tscheng: Aufseher der kaiserlichen Familie; der tsche su nei sche: Magazinaufseher (und daher Minister für Ackerbau und Handel); der schao fu: Chef des kaiserlichen Haushalts (unter ihm der schang schu, ein Eunuch); der tschong wei: Chef der hauptstädtischen Polizei; der tsiang tso schao fu: Bau-Intendant; der tschong sche: Vorsteher des Hauses der Kaiserin und des Thronfolgers; der nei sche: Präfekt der Hauptstadt; der später mit dem tien ko (s. o.) vereinigte tschu tsio tschong wei: Kontrolleur der Vasallen. Man sieht, diese Liste weist – sehr im Gegensatz zu den rationalen und deshalb historisch nicht sehr glaubhaften Konstruktionen des Tschou li – alle Irrationalitäten eines aus der häuslichen, rituellen und Militär-Verwaltung durch Hinzutritt von Justiz-, Wasserwirtschafts- und rein politischen Interessen herausgewachsenen Patrimonialbeamtentums auf.


95 »Patriarchal« aber natürlich nicht im sultanistischen Sinn, sondern im Sinn des erbcharismatischen Sippenpatriarchalismus mit überragender Macht eines vielleicht zuerst durch Designation (welche auch die klassischen Bücher an den Anfang stellen), dann erbcharismatisch überlieferten Ritualpontifex.


96 Zugänglich durch (teilweise) Uebersetzung sind vor allem die Annalen Se Ma Tsien's (1. Jahrh. vor Chr., hrsg. von Chavannes). Zusammenstellungen der aus den Annalen zu entnehmenden politischen Entwicklung der Feudalstaaten von Tsin, Han, Wei, Tschao und U von P. Tschepe (S. 7) a.a.O. (trotz der unvermeidlichen, oft etwas naiv wirkenden, »christlichen« Betrachtungen brauchbar). Wenn Tschepe ohne Zusatz zitiert ist, sind die Tsin-Annalen gemeint. Dazu die schon mehrfach zitierten »Discours des royaumes«.


97 Dieser politisch höchst wichtige Grundsatz für die fu yung (Untervasallen) erklärt sich am ungezwungensten aus dem Hervorgehen vieler politischer Vasallen aus ursprünglich selbständigen, dann tributär gewordenen Fürsten. Die Gaben der Vasallen selbst an den Kaiser galten – außer der pflichtmäßigen Militärhilfe – als freiwillig und der Kaiser hatte die Pflicht, sie durch Gegengaben zu entgelten. (Vgl. über diese Verhältnisse E. H. Parker, Ancient China simplified, London 1908, p. 144 f.)


98 Zitiert bei P. Alb. Tschepe (S. J.), Hist. du Royaume de Tsin, 777-207.


99 Nämlich auf 1000 Salzkonsumenten im Staat Tsin, der zuerst rationalisiert wurde, nach Hirths Interpretation (in dessen Ancient History of China, New York 1908) einer Stelle bei Kuan Tse.


100 Denn die Angaben bei E. H. Parker, Ancient China simplified (Lond. 1908) p. 83 scheinen nicht annehmbar.


101 Davon wird bei Besprechung der Bodenbesteuerung noch die Rede sein.


102 Es war die rituelle Stellung der jüngeren Söhne zugunsten des Aeltesten eine geminderte. Sie galten nicht mehr als »Vasallen«, sondern als Beamte (Ministerialen) und opferten nicht an dem großen alten Ahnenaltar der Familie, sondern an Seitenaltären (s. Se Ma Tsiens Traktat »Riten« Vol. III der Ausgabe von Chavannes).


103 Dies hatte die Folge, daß in den letzten Jahrzehnten der Monarchie ein Minderjähriger auf den andern als Kaiser folgte und teils ein Verwandter (Prinz Kung), teils Kaiserinnen-Witwen die Regierung führten.


104 Tschepe a.a.O. p. 54.


105 Tschepe a.a.O. p. 66.


106 Die technische Beschaffenheit dieser alten »Bücher« muß hier ganz dahingestellt bleiben. Papier ist erst ein weit späteres (Import-)Produkt. Aber geschrieben und gerechnet wurde längst vorher und zweifellos lange vor Konfuzius. Die später zu erwähnende Annahme v. Rosthorns, daß die Ritual-»Literatur« mündlich überliefert worden und der »Bücher brand« daher eine Legende sei, scheint von de Groot, der diesen noch in seinem letzten Werk als Tatsache annimmt, nicht anerkannt zu werden.


107 Die Annalistik (Tschepe a.a.O. p. 133) bewahrt Berechnungen der Militärkraft der einzelnen Teilstaaten anläßlich eines Allianzplans auf. Darnach sollte z.B. ein Areal von 1000 Quadrat-Li (1 Li = 537 Meter) 600 Kriegswagen, 5000 Pferde, 50000 Mann (davon 10000 Train, der Rest Kämpfer) haben stellen können. Ein (angeblicher) Lastenreformplan aus dem 12. Jahrh. vor Chr. (vermutlich – nach vorderasiatischen Analogien – einige Jahrhunderte nach der Zeit der Einführung des Kriegswagens) verlangte von der gleichen Fläche 10000 Kriegswagen.


108 Vgl. Tschepe a.a.O. p. 67.


109 Die Teilstaatenepoche war eine Zeit sehr starken Patriotismus, besonders in den Grenzstaaten gegen die Barbaren (vor allem: Tsin). Als der Tsin-König in Gefangenschaft geraten war, brachten »2500« Familien durch Subskription die Mittel zur Fortführung des Krieges auf. Der Versuch eines Han-Kaisers im Jahre 112 n. Chr., bei schwerer Finanzlage auf eine solche »Kavaliersanleihe« zu greifen – wie sie bekanntlich noch im leopoldinischen Oesterreich des 17. Jahrhunderts vorkamen – scheint dagegen einen schwachen Erfolg gehabt zu haben.

110 Tschepe a.a.O. p. 142.


111 Beides in dem Vortrag eines Literaten, wiedergegeben bei Tschepe a.a.O. p. 77.


112 Tschepe a.a.O. p. 61.


113 Tschepe a.a.O. p. 59.


114 Tschepe a.a.O. p. 14.


115 Tschepe p. 38.


116 »Edle und Volk halten sich in den Schranken ihres Ranges« sagt der Kaiser in einer in den Annalen überlieferten Inschrift (Tschepe a.a.O. p. 261). In einer andern werden »Edle, Beamte und Volk« unterschieden.


117 S. die später zu erörternde Stelle bei Tschepe, Hist. du R. de Han, Var. Sinol. 31 p. 43 (für das Wei-Fürstentum im Jahre 407 v. Chr.).


118 a.a.O. (vorige Anmerkung).


119 Die Tradition läßt den Literaten Li-se, den seither allmächtigen Minister, die Bedeutung der Literaten (und der Fremdbürtigen, auch der Kaufleute, überhaupt) für die Fürstenmacht in einer Denkschrift darlegen (Tschepe a.a.O. p. 231).


120 Z.B. in der von Se Ma Tsien in seiner Biographie (ed. Chavannes T. V, p. 166) aufbewahrten: alles Handeln gegen die Vernunft sei verwerflich. Zahlreiche andere Inschriften (ebendort wiedergegeben) rühmen die rationale Ordnung, die der Kaiser im Reiche hergestellt habe. – Dieser »Rationalismus« hinderte ihn nicht, nach dem Unsterblichkeitselixir suchen zu lassen.


121 Ausspruch Schi Hoang Ti's, überliefert in seiner Biographie von Se Ma Tsien (ed. Chavannes T. II, p. 162). Uebrigens war, – wie später zu besprechen sein wird, – die Meinung der Literatenminister in den Teilstaaten und selbst noch die Meinung Wang An Schi's (11. Jahrhundert nach Chr.) grundsätzlich nicht immer einer ähnlichen Auffassung abgeneigt.


122 Die Eunuchenwirtschaft findet sich, scheint es, erstmalig im 8. Jahrhundert v. Chr.


123 Die Zahl der an der großen Mauer Frondenden wird auf 300000 (?) angegeben, noch höhere Zahlen finden sich für die Fronlast im ganzen. Zwar ist die große Mauer im Lauf von langen Zeiträumen entstanden (da sie nach der Rechnung von Elisée Reclus mindestens 160 Millionen Kubikmeter aufgemauertes Massiv umfaßt, ließe sich die erforderliche Arbeit wohl abschätzen).


124 Für diese kam namentlich die Heranschaffung des erforderlichen Proviants für die fronenden Soldaten und Sträflinge in Betracht. Die Annalistik berechnete (Tschepe a.a.O. p. 275), daß auf dem Transport bis zur Konsumstätte 18200% Kosten entstanden seien (von je 182 Ladungen sei, infolge des Verzehrs unterwegs, immer nur eine an den Bestimmungsort gelangt, eine natürlich nur für einen Einzelfall vielleicht einmal zutreffende Angabe).


125 Tschepe p. 363 f. Der Eunuch selbst war aus vornehmer, aber vorbestrafter Familie.


126 Von diesem Versuch berichtet die Annalistik, insbesondere Se Ma Tsien in seiner Biographie Schi Hoang Ti's (ed. Chavannes, II, p. 178) einiges. »Meister Lu«, ein Taoist, den er mit dem Aufsuchen des Unsterblichkeitskrauts betraut hatte, scheint der Urheber des Plans gewesen zu sein. Der »echte Mensch«, hieß es, »verberge sich und zeige sich nicht« (eine besondre Art von Anwendung gewisser später zu besprechender Grundsätze Lao tse's). Aber Schi Hoang Ti regierte tatsächlich selbst und es war die Klage der »Weisen« aller Richtungen, daß sie von ihm nicht gebührend vorher befragt würden (p. 179 1. c.). Erst der Nachfolger, Eul schi hoang ti, lebte als »tschen«, »Verborgener«, unter der Obhut seines Günstlings, erteilte aber infolgedessen auch seinerseits den Beamten keine Audienz (p. 266 1. c.): die typische Klage der Konfuzianer, wenn die Taoisten und Eunuchen (beide meist verbündet, worüber später) herrschten. Sein Sturz brachte schon unter dem Gründer der Han-Dynastie die »Gefolgschaft«, d.h. die Feudalherren, wieder ans Ruder, obwohl die gesamte Bureaukratie Schi Hoang Ti's bestehen blieb und, vor allem, der Literateneinfluß wieder hergestellt wurde.


127 Tschen-tschu, der Führer der Heeresrevolte, war Arbeiter, Liu kang, der Führer der Bauern und Gründer der Han-Dynastie, Feldwächter eines Dorfs. Ein Bund seiner Sippe mit andern Bauernsippen bildete den Kern seiner Macht.


128 Tschepe p. 259 f. (angebliche Inschrift).


129 Tschepe p. 267 f.


130 Freilich setzte es sich äußerst langsam und unter fortwährenden Rückschlägen selbst rein theoretisch durch. Wie es in der Praxis stand, davon ist später zu reden.


131 Es tritt in der Annalistik (vgl. Tschepe p. 67 und oft, auch in den früher zitierten Stellen) sehr deutlich der Gegensatz zu den Vasallen und deren Haß und Verachtung gegen die von Hof zu Hof wandernden Scholaren zutage. Vgl. die Auseinandersetzung Yong's mit den Großen des Hofs des Fürsten Hiao Kong bei Tschepe p. 118.

132 Dafür sind insbesondre die von Ma tuan lin wiedergegebenen Gesamteinkunftsziffern der Zentralkasse charakteristisch, deren riesige und völlig unmotivierte Differenzen (besonders im 16. Jahrhundert) von chinesischen Autoren auf diesen Grund zurückgeführt werden (vgl. Biot N. J. Asiat. 3, Ser. 5, 1838 und das. 6, 1838, p. 329). Es ist ja doch klar, was es bedeutet, wenn – nachdem schon 1370: 8,4 Mill. Ring (= 48 Mill. Ha) steuerbares Land katastriert war – 1502: 4,2 Mill, 1542: 4,3 Mill., 1582 aber wieder: 7 Mill. King (= 39,5 Mill. Ha) gezählt wurden. (1745 sollen – 30 Jahre nach der Steuerkontingentierung – 161,9 Mill. Ha gezählt worden sein.)


133 Am Ende des Jahrgangs 1879 der »Peking Gazette« ist eine Berechnung der ungefähren Zahl der gleichzeitig lebenden mit dem zweiten (Zivil-)Grade promovierten, also zu den ordentlichen Aemtern voll befähigten Amtsanwärter angestellt, aufgemacht nach dem durchschnittlichen Lebensalter der Promovierten – deren Maximalkontingent für jeden der beiden Grade festgelegt ist – und der Lebenswahrscheinlichkeit: – zu hoch, sofern die Zahl der in höheren Jahren Promovierenden nicht ganz gering ist, zu niedrig, weil zu ihnen die Zahl der aus der Militärkarriere übernommenen – namentlich der Mandschus – und infolge von Kauf der Qualifikation zur Verfügung stehenden Anwärter hinzutritt. Nimmt man aber selbst an, daß die Zahl der gleichzeitig lebenden Anwärter darnach statt rund 21200 etwa 30000 betrage, so würde, bei Annahme von 350 Millionen Einwohnern, auf etwa 11-12000 Einwohner nur ein solcher Anwärter kommen. Unterste staatliche Verwaltungsbezirke, denen je ein selbständiger staatlicher Beamter (der Tschih-hsien) vorsteht, gab es aber in den 18 Provinzen einschließlich der Mandschurei nur 1470, also (unter der gleichen Annahme) einen auf etwa 248000 Einwohner; mit Einschluß der höheren »etatsmäßig« vorgesehenen selbständigen Aemter käme etwa ein höheres Amt auf 200000 Einwohner. Rechnete man selbst noch einen Teil der unselbständigen und unständigen Beamten hinzu, so würde sich doch ein Verhältnis ergeben, bei welchem z.B. Deutschland mit nur etwa 1000 Verwaltungs- und richterlichen Beamten von Assessorenrang alles in allem auskommen müßte. – Ganz andere Zahlen ergeben sich, wenn man die chinesische polizeiliche Fortschreibung der Familien-und Einwohnerzahl zugrunde legt. Die Zahlen, welche für 1895/6 aus diesen Materialen Sacharow (Arbeiten der Kaiserl. Russ. Gesandtschaft – einer geistlichen Mission –, übersetzt von Abel und Meckenberg, Berlin 1858) zur Verfügung gestellt wurden, ergaben als allein in dem Bezirk Peking und zwei andern Bezirken beheimatet (also nicht: dort angestellt) an Militär-und Zivilbeamten 1845: rund 26500, 1846 gar: 15866 etatsmäßige und 23700 disponible (zwei schwer miteinander vereinbare Ziffern). Es sind hier aber offenbar nicht nur die mit dem zweiten Grade promovierten, sondern auch die Exspektanten und alle Mandschuoffiziere einbegriffen.


134 Bei einigen der höchsten Beamten wurde das Prinzip aus zwingenden Gründen häufig durchbrochen: Li Hung Tschang z.B. blieb mehrere Jahrzehnte höchster Verwaltungschef in Tschili. Aber im übrigen wurde, abgesehen von der Erlaubnis einer einmaligen Verlängerung um weitere 3 Jahre, das Prinzip bis in die neueste Zeit ziemlich streng durchgeführt.


135 Oft bis zu 6. Aber die offiziellen, wirklich wichtigen Persönlichkeiten waren unter dem »Vizekönig« nur die Gouverneure, Provinzialrichter und Provinzialschatzmeister. Der Schatzmeister war davon der ursprünglich alleinige und höchste Verwaltungsbeamte, der Gouverneur ein schließlich seßhaft gewordener Missus dominicus (früher oft Eunuch). Diese beiden Beamten: für Finanz und Justiz, waren allein vorgesehen, alle andern »Ressorts« unoffiziell. Auch der unterste (hsien –) Beamte, dessen offizieller Name »Hirt« bedeutet, hatte zwei Sekretäre: für Justiz und für Finanzen. Der über ihm stehende Präfekt (des »fu«) hatte immerhin noch übersichtliche oder doch konkret angebbare Funktionen (Wasserwege, Landwirtschaft, Stuterei, Korntransport, Unterbringung der Soldaten, allgemeine Verwaltung im polizeilichen Sinn), galt jedoch wesentlich als Ueberwachungs- und Durchgangsbehörde für die Korrespondenz nach oben. Die Funktionen des untersten Beamten dagegen waren schlechterdings enzyklopädisch: er war schlechthin für alles da und verantwortlich. Besondere »Taotai's« waren bei den großen Provinzialbehörden für die Salzgabelle, den Wegebau usw. angestellt. Sonderbeamte mit Aufträgen und Kompetenzen ad hoc kamen hier wie in allen Patrimonialstaaten vor. Ueber den Begriff eines »Juristen« in China (Kenner der Präzedenzien) und die Advokatur s. Alabaster Notes and Commentaries on Chinese Criminal Law (mir jetzt nicht zugänglich gewesen).


136 Daraus ist auch das »Brunnensystem« mit seinem von 8 Quadraten umgebenen Mittelfeld des Staats erwachsen.


137 Er hieß amtlich: »Kanal der Tribut-Transporte«. S. darüber P. Dom. Gandar S. J., Le canal impérial. Var. Sinol. Heft 4, Schanghai 1894.


138 Die Aufzeichnungen und Quittungen darüber sind teilweise in den von Aurel Stein gesammelten Urkunden aus Turkestan (kurz vor und nach Chr.) erhalten. Täglich 3 Schritt schritt stellenweise die Nutzbarmachung des Trockenlandes vor. (Chavannes, Les documents chinois découverts par Aurel Stein dans le sable du Turkestan oriental, Oxford 1913.)


139 Bei Chavannes p. XI ff. a.a.O. Oft fast lebenslang dauert der Dienst: die Frauen entbehren der Gatten und es ist besser, die Söhne gar nicht erst aufzuziehen.


140 Es ist durchaus unsicher, ob dabei, wie meist angenommen wird, klimatische Veränderungen mitbeteiligt waren. Es genügte an sich der Verfall des Fronsystems. Denn in diesen Gebieten konnte der Boden nur dann bestellungsfähig erhalten werden, wenn die Frage der »Kosten« überhaupt nicht auftauchte. Seine eigene Vollexistenz konnte ein Arbeiter nie aus ihm herauswirtschaften, sondern nur die nackte Nahrung, vielleicht selbst diese nur bei bestimmten Kulturen. Der Boden wurde offenbar trotz sicher gewaltiger Zuschüsse urbar erhalten nur im Interesse der Verproviantierung von Garnisonen und Gesandtschaften mit schwer transportfähigen Gütern.


141 P. D. Gandar, S. J. Le canal impérial (Var. Sinol. 4, Schanghai 1894) p. 35.


142 So galt unter den Ming bis 1471 die Vorschrift: daß der Transport des Getreides zur Hauptstadt je zur Hälfte von dem Heere und von der Zivilbevölkerung zu beschaffen sei. In jenem Jahre wurde verfügt: daß das Heer allein diese Fronden zu beschaffen habe. (Yu tsiuan tung kian kang mu, Gesch. der Ming-Dynastie des Kaisers Kian Lung, übers. v. Delamarre, Paris 1865, p. 351.)


143 S. die oben S. 284, Anm. wiedergegebenen Abrechnungen der Zentralregierung aus dem 10., 11. und 14. Jahrhundert. Im ganzen sollen – nach der Annalistik – die Natural-Abgaben je nach der Entfernung von der Hauptstadt so abgestuft gewesen sein, daß z.B. die erste Zone Getreide mit Stroh, die zweite nur Getreide und so jede folgende spezifisch hochwertigere, also in höherem Grade arbeitsintensivere, Güter schickte. Das ist durchaus glaubhaft und stimmt mit anderen Nachrichten überein.


144 Vgl. die von Chavannes a.a.O. edierten Funde A. Steins aus der Zeit von 98-137 n. Chr. Der Sold der Offiziere, fraglich: ob auch der Soldaten, wird in Geld gezahlt (Nr. 62), Monturen für letztere wenigstens teilweise für Geld gekauft Nr. 42). Vollends das (freilich wesentlich spätere) Ausgabejournal eines Buddhatempels (ebenda Nr. 969) zeigt volle Geldwirtschaft: Miete der Handwerker, die im Lohnwerk beschäftigt werden, ebenso alle anderen Ausgaben in Geld. Gegenüber diesem Zustand trat später ein starker Rückschlag ein.


145 Seiden- und Porzellanlieferungen der kaiserlichen Manufakturen an den Hof allein im Jahre 1883 (Peking Gazette vom 23. 1., 24. 1., 27. 1., 30. 1., 13. 6., 14. 6.) für zusammen 405000 Taëls (Selbstkosten!). Dazu traten dann die Naturallieferungen der Provinzen, die mindestens teilweise (Seide, kostbares Papier usw.) für Hofzwecke, daneben (Eisen, Schwefel usw.) für politische Zwecke verwendet wurden. Die Provinz Schansi petitionierte 1883 (Peking Gazette vom 15. 12.) vergebens um Zu-Geld-Setzung, da sie die zu liefernden Naturalien (außer Eisen) selbst erst kaufen müsse.


146 S. darüber die noch immer in vielem brauchbare Arbeit von Biot in Nouv. Journ. Asiat. 3 Ser. 6, 1838.


147 Diese Zahlen sind allerdings höchst wenig vertrauenswürdig. Denn es ist zu bedenken, daß die Beamten der Zeit vor dem Steuerkompromiß von 1713 ein Interesse daran hatten, die Zahl der Steuerpflichtigen (es bestand damals Kopfsteuer!) in den Berichten zu verringern oder stabil zu halten, was seit der Fixierung der Steuerquoten fortfiel (s.u.). Seitdem lag es umgekehrt im Interesse der Beamten, mit großen Volkszahlen zu glänzen. Denn die Volkszahlen interessierten seitdem nur noch die Götter selber, denen sie mitgeteilt wurden, – sie bewiesen also, wo sie hoch waren, das Charisma des betreffenden Beamten. Noch manche Zahlen des 19. Jahrhunderts (z.B. die abnorme Vermehrung der Bevölkerung in der Provinz Se tschuan) sind höchst verdächtig. Immerhin berechnet Dudgeon (Population of China, J. of the Peking Oriental Society III, 3, 1893) die Volkszahl von 14 Provinzen für die 80er Jahre auf 325 Millionen.


148 Daß dies der Sinn der Maßregel war, geht schon aus der sonst ganz widersinnigen Formulierung hervor: daß fortan eine bestimmte Anzahl von Einheiten in der betreffenden Provinz »steuerpflichtig«, alle übrigen aber »steuerfrei« sein sollten und tatsächlich bei den periodischen Volkszählungen so angeführt wurden. Natürlich waren nicht etwa eine entsprechende Anzahl Einwohner frei von Steuern, sondern: diese Anzahl wurde den Beamten nicht als steuerzahlend angerechnet. Die Unterscheidung der beiden Kategorien bei den Zählungen wurde denn auch bald – 1735 – von den Kaisern als zwecklos aufgegeben.


149 Alle Projekte direkter Steuern der letzten 30 Jahre scheiterten schon daran, daß sie vor allem Steuern auf die Mandarinenpfründen hätten sein müssen. Die patrimoniale Auffassung der Beamteneinkünfte trat von jeher besonders plastisch in der Wirkung der Totentrauer eines Beamten zutage. Dem uralten Sinn der Trauer entsprechend, wie er in China in deren Familien besonders eindeutig erhalten blieb, diente diese der Abwendung des Zorns und Neides des Totengei stes gegen diejenigen, welche sich nach seinem Tode als Erben seinen Besitz angeeignet haben. Abgesehen also davon, daß ihm ursprünglich bedeutende Bruchteile seiner Habe (einschließlich von Witwen- und anderen Menschenopfern) in den Hades mitgegeben wurden, mußten die Erben geraume Zeit das Totenhaus und die Berührung der Besitztümer meiden und ärmlich gekleidet in einer anderen Hütte wohnen, sich auch des Genusses ihres Besitzes enthalten. Das Amt nun wurde so sehr nur als »Pfründe« und die Pfründe so sehr nur als Privatbesitz des Pfründners gewertet, daß ein trauerpflichtiger Todesfall den Rücktritt vom Amt zur unbedingten Folge hatte. Die fortwährenden massenhaften Vakanzen zahlreicher Aemter, die zeitweise Unverwendbarkeit zahlreicher Beamten, die Aufstauung von durch Trauer amtlos gewordenen Anwärtern waren eine, zumal bei Seuchen, politisch höchst lästige Kalamität. Abwechselnd verboten die Kaiser im Staatsinteresse die allzulange Dauer der Trauer und schärften, in Angst vor den Geistern, sie wieder ein, beides bei Prügelstrafe. Noch Li Hung Tschang wurde beim Tode seiner Mutter vergebens von der Kaiserin in scharfer Form gemahnt, statt des Rücktrittes nur Urlaub zu nehmen (Peking Gazette vom 1. 5. 1882).


150 Einflußreiche Leute zogen daher stets die Zahlung in Naturalien vor und setzten sie durch.

151 Es erinnert dies etwa an die Besteuerung der von dem gewählten Haupt der obsiegenden Partei ernannten Beamten durch die Bosses für sich und die Parteikassen in den Vereinigten Staaten, nur daß diese im ganzen fest bestimmt war.


152 Jamieson, Parker. S. die Berechnungen und Schätzungen des letzteren in »Trade and Administration of the Chinese Empire« p. 85 ff.


153 Diese Auffassung tritt besonders deutlich in dem in der Peking Gazette vom 11. 1. 95 abgedruckten Reskript hervor. Es wird getadelt, daß gewisse (Unter-) Beamte die Pfründen länger als 3 Jahre behalten, so daß andere Anwärter nicht »drankommen«.


154 Dies geht aus mannigfachen Reskripten hervor. So etwa in der Peking Gazette vom 23. 3. 1882: ein Beamter in Kanton hat in wenigen Monaten 100 000 Taëls mehr als gewöhnlich (NB.!) zusammengebracht. Ein gemieteter Schreiber in Fuh kien konnte sich die Präfektenstelle in Kiangsu kaufen. Zollbeamte hatten Einnahmen von 100-150 000 Taëls jährlich.


155 Ueber diesen vgl. z. B. E. H. Parker, China, her history, diplomacy and commerce (London 1901). »Er ist ein 2000-Zentner-(Reis-)Mann« (bezieht jährlich eine Rente dieses Wertbetrages) war die übliche Klassifikation eines wohlhabenden Mannes.

156 Auf die Vorgeschichte, insbesondere das von den Sinologen behauptete ursprüngliche Nomadentum der Chinesen, kann hier unmöglich eingegangen werden. Natürlich haben auch in vorgeschichtlicher Zeit stets neue Einbrüche der innerasiatischen Nomadenvölker immer erneut das Niederungsland unterworfen. Aber nur die Mongolen haben zeitweise ernsthaft Miene gemacht, sich gegen die überlegene Kultur der Ackerbauer als Nomaden zu behaupten (durch Verbot des Bodenanbaus in einem bestimmten Umkreis der Hauptstadt). Den Chinesen ihrerseits aber war – und das spricht deutlicher als alle Ueberlieferung für die Kontinuität der uralten Hack- und Gartenkultur – der Milchgenuß fremd geblieben und zu den Ritualakten des kaiserlichen Oberpontifex gehörte die Führung des Pflugs als Zeremonie. Demgegenüber dürfte für die Kulturkontinuität die Abstammung eines Teils oder selbst der ganzen alten Herrenschicht von Nomaden doch bedeutungslos sein. Die Existenz des »Männerhauses« (s. o.) hat natürlich nichts mit »Nomadentum« zu tun, sondern bedeutet, daß Krieg und Jagd von diesen Gemeinschaften, die Bodenkultur aber von den Frauen gepflegt wird. Das Fehlen des Milchgenusses ist in China doch offenbar recht alt und widerspricht der »Nomaden«-Hypothese. Großvieh war Arbeitsvieh oder Opfertiere, dem normalen Fleischgenuß diente nur Kleinvieh.

Zur Geschichte der Agrarverfassung im Zusammenhang mit dem Fiskalsystem: N. J. Kochanowskij, Semljewladjenie i semljedjelje w Kitaje (Wladiwostok 1909, in den Iswjestija Wostotschnawo Instituta d. g. isd. 1907/8 tom. XXIII w. 2) und A. J. Iwanoff, Wang-An-Schi i jewo reformy (S. Petersburg 1906). Leider war mir die sonstige russische Literatur nicht zugänglich. (Auch A. M. Fielde, Land Tenure in China, Journal of the China Branch of the R. Asiat. Soc. 1888 vol. 23 p. 110 konnte ich mir – ebenso wie fast alle Publikationen dieser Zeitschrift – zurzeit nicht zugänglich machen.) – Einige andere Literatur weiterhin.


157 Denn es scheint, daß sie zur Zeit Schi Hoang Ti's ein gewisses Maß von Wehrhaftigkeit bewahrt hatten. Auch wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, war damit nicht notwendig eine »grundherrschaftliche Hörigkeit« gegenüber den Feudalherren in unserem Sinn des Worts gegeben, sondern: politische und durch die Stromregulierung bedingte Unterwerfung unter die Macht der Fürsten nach ägyptisch-vorderasiatischer Art.


158 Wiedergegeben bei Biot a.a.O.


159 Vgl. dazu die (nicht in allen Punkten, insbesondere nicht für die Antike, wohl aber in diesem Punkt zutreffenden) Ausführungen von R. Leonhard in Schmollers Jahrbuch (Anzeige des wertvollen, aber freilich etwas einseitigen Buchs von Lacombe, L'évolution de la propriété foncière).


160 An der Realität ist nicht zu zweifeln, da Japan die Institution übernommen hat. S. später.


161 Dies würde dann als sicher anzusehen sein, wenn Conrady mit seiner These: daß sich Totem-Verbände in China nachweisen lassen, im Recht sein sollte. Denn die Entwicklung der Sippe scheint überall die Form gewesen zu sein, in welcher die entstehende Herrenschicht sich dem (wesenhaft plebejischen) Totem-Verband entzog.


162 Uebrigens wurde damals dies »Privileg« der Vermögenden nicht als Vorrecht, sondern vielmehr als Leiturgie empfunden und war auch so gemeint. Man suchte sich der Last durch fiktive Landverkäufe und durch Familienteilungen zu entziehen.


163 Das Recht zum Sklavenbesitz war auch in China ständisch begrenzt.


164 Aber der Verlauf des Aufstandes, der zum Sturz seiner Dynastie führte, scheint zu zeigen, daß bis dahin auch breite Schichten der Bauern noch (wie in Deutschland bis zur Entwaffnung nach dem Bauernkrieg) wehrhaft waren. Denn der Begründer der Han-Dynastie und andere Empörer waren Bauern und stützten sich (mindestens: auch) auf die Wehrkraft ihrer Sippen.


165 Im Staat Lu (dem konfuzianischen Musterstaat) wurden z.B. in einem Zeitpunkt auf die damalige Katastereinheit (von 64 »tsing«) ausgeschrieben: 1 Kriegswagen, 4 Pferde, 10 Haupt Rindvieh, 3 Gepanzerte, 64 (nicht gepanzerte) Fußsoldaten. Es ist klar, daß diese Matrikel von der Voraussetzung ausging: daß die zu der betreffenden Katastereinheit zusammengeschlossenen Sippen die zu stellenden Militärkräfte ihrerseits durch Soldzahlung beschafften. Das Zurückgreifen auf unmittelbare Zwangsaushebung blieb vermutlich subsidiär. (Die Art, wie ähnliche Zustände sich in Indien zu grundherrlichen Pfründen entwickelt haben, werden wir später kennen lernen.) In andern Fällen ist in China (wie bald zu erörtern) die Heeresgestellung so geregelt gewesen, daß unmittelbar auf die einzelnen Familien gegriffen wurde. Schon jene Ordnung im Staat Lu zeigt aber an Stelle eines Vasallenaufgebots eine Vorstufe patrimonialfürstlicher »Rekrutierung«, also die Beseitigung des Feudalismus als Militärsystem. Europäische Analogien finden sich (Delbrück hat diese Verhältnisse für das Feudalheer Europas sehr glücklich geschildert).


166 Suan fa tong tsang S. Biot N. Journ. Asiat. 3 Ser. 5, 1838 (Darstellung auf Grund des Wen hian tong kao).


167 Man muß immer beachten, daß das erste als leidlich sicher geltende (Chavannes) chronologische Datum der chinesischen Geschichte das Jahr 841 vor Chr. ist.


168 Bei nicht rein gartenmäßiger Bebauung rechnet man heut: daß eine Familie von 5 Köpfen von 15 Mou (etwa 85 Ar) gerade leben könne, eine für uns noch immer fast unglaubwürdig kleine Zahl.


169 S. o. unter I.


170 Peking Gazette vom 14. VI. 83.


171 Beispiele einer japanischen Hausliste nebst Berechnung des danach zustehenden Landanteils bringt Nachod in seiner Darstellung der Geschichte Japans Band III der »Weltgeschichte« von Pflugk-Hartung.


172 Dem Sinn der Zehntschaften nach waren diese Verbände von je zehn Sippen. Der wiederholte Versuch, auf die Familie oder die einzelnen statt auf die Sippe zu greifen, hat wohl erst spät Erfolg gehabt.


173 Wenn russische Schriftsteller in dem Normallandanteil den Nadjel der russischen Obschtschina wiederfinden wollen, so ist nicht außer acht zu lassen: ein Dorfkommunismus folgte aus diesen rein fiskalisch bedingten Maßregeln nur unter den russischen Voraussetzungen: vor allem: Haftung des Dorfverbandes. Und diese scheint nicht bestanden zu haben.


174 »Brunnen«-System angeblich nach dem Schriftzeichen, welches ein neungeteiltes Quadrat darstellt, – aber doch wohl mindestens auch: weil Bewässerungsgräben und -rohre und eine langdauernde Ueberflutung des eingedämmten Landstücks für den Reisanbau unumgänglich waren. Ueberall in Asien (so in Java) bedeutete dies höchst durchgreifende Neuerungen der Appropriationsverhältnisse und überall insbesondere fiskalisches Eingreifen, wofür die unentbehrliche Wasserzuleitung die Grundlage gab. Es ist aber gewiß möglich, daß das System, dessen Alter ziemlich hoch eingeschätzt zu werden pflegt, aus ursprünglicher Bestellung des Häuptlingslandes durch die Sippengenossen heraus rationalisiert worden ist.


175 Die mit Kanalleiturgien belasteten Anlieger des Kaiserkanals haben noch in der Taipingrebellion eine erhebliche Rolle gespielt.


176 S. die Denkschrift Wang-An-Schi's bei Iwanoff p. 51 f.


177 Vgl. die beiden Berichte Su Schi's gegen Wang-An-Schi bei Iwanoff a.a.O. p. 167 ff., 190 f. und die Einwände anderer Gegner, darunter Se Ma Huang's, das. 196.


178 Auf diese, mit der Struktur der inneren Verwaltung zusammenhängenden Punkte kommen wir später zurück.


179 Es sollen schon im 8. Jahrhundert Magazine auch für Seide und Leinen bestanden haben.


180 Vgl. die Exzerpte aus den Annalen bei P. Alb. Tschepe (S. J.), Histoire du Royaume de Tsin, 777-207 (Variétés Sinol. 27, bes. p. 118 f.).


181 Dies Verbot scheint tatsächlich die Entwicklung des Kolonats hintangehalten zu haben. Denn noch heut ist die Kleinpacht von (ländlichem) Boden anscheinend nicht sehr häufig.


182 Die Bannerlehen der Mandschugarnisonen und die erblichen Landpfründen der leiturgiepflichtigen Grenzertruppen, Kanalanlieger, Straßenanlieger usw. bleiben hier billig außer Betracht.


183 So übersetzt P. Pierre Hoang Notion technique sur la propriété en Chine, Schanghai 1897 (Variétés Sinol. 11) § 20 den Ausdruck.


184 Und zwar gerichtlich! Der Richter mußte zwar die Klage abweisen, pflegte aber den Käufer zu »ermahnen«, nicht hartherzig zu sein und zu zahlen. Nur einflußreiche Personen konnten sich dem entziehen (Hoang a.a.O.). Siehe weiterhin im Text.


185 Das Ahnenland wird in der Peking Gazette häufig erwähnt.


186 Bei Hoang a.a.O., z.B. Appendix XXIII p. 119. Daß Pacht relativ nicht sehr häufig ist, wurde schon erwähnt. Außer dem allgemeinen Verbot des Kolonats von 1205 ist vor allem wohl die Schwierigkeit, die Pacht einzutreiben, dafür maßgeb nd.


187 Hoang a.a.O. p. 12, Nr. 31 p. 152, 157 f.


188 Z.B. »Familie des ewigen Friedens«.


189 Das Schema des Kataster- und Grundbuchsystems wurde in diesem Zusammenhang zuerst durch eine Notiz (von Bumbaillif) in der China Review 1890/1 (Land Tenure in China) aufgeklärt. Die Katastereinheit war ein nach dem zur Zeit der Katasteraufstellung als Sippenhaupt fungierenden Ahnen einer Sippe bezeichneter Sippenbesitz (oder, falls damals schon eine Teilung stattgefunden hatte: die damaligen Teilbesitzstände). Auch bei Besitzteilung oder Besitzwechsel blieb diese ursprüngliche Katasternummer mit ihrer Bezeichnung bestehen und es wurde lediglich vermerkt: von wem (welcher Familie) nunmehr die Steuer bzw. ein Teil der Steuer, und welcher, zu erheben war. 10 (oder ungefähr diese Zahl) Sippenhäupter bildeten eine Zehnschaft, welche noch jetzt nach altem Recht solidarisch für Steuern hafteten und denen die Friedensbürgschaft auferlegt war. Diese Zehnschaft besaß auch Gemeinschaftsland, welches die Häupter abwechselnd bewirtschafteten (oder verpachteten). Jedes Sippenhaupt sammelte die Steuern seiner Sippe ein. Wer bis zum 16. November seine Steuerquittung nicht vorlegen konnte, dem konnte die Zehnschaft seinen Landbesitz entziehen. Konnten die Haushaltungen einer Sippe die Steuer nicht aufbringen, so mußte auf das Ahnenland der Sippe gegriffen werden. Veränderlich waren die Zehnschaften in ihrer Zusammensetzung: die erwähnte Notiz berichtet von dem Antrag eines Sippenhauptes (bzw. Sippenteilhauptes) in Gemeinschaft mit 9 anderen, sie zu einer neuen Zehnschaft zusammenzufassen. Die Größe der Sippenbesitzstände war sehr verschieden. Eine verschieden große Anzahl von Zehnschaften war zu einer Hundertschaft zusammengefaßt, ebenfalls für bestimmte, ursprünglich militärische und leiturgische, Lasten. Ueber die Sippen siehe im übrigen weiterhin im Text.


190 Es wird behauptet, daß einigermaßen zusammenhängende Besitzungen vcn 3co ha zwar vorkamen, daß jedoch wesentlich darüber hinausgehende zusammenliegende Besitzeinheiten einzelner Grundherren nicht häufig seien. Die mir im letzten Augenblick zu Gesicht kommende (Frankfurter) Dissertation von Wen Hsian Liu (Die Vorteile des ländlichen Grund und Bodens und seine Bewirtschaftung in China, Berlin 1920) bringt auch keine Zahlen.


191 Es fehlte ja, bis auf etwa 15 offizielle Feiertage, jede Art von »Sonntagsruhe«.


192 In den Ebenen mit Gartenkultur vor ca. 11/2 Jahrzehnten 3-4000 M. pro ha (wobei die gegenüber dem Okzident um das Vielfache größere Kaufkraft des Geldes in Rechnung zu stellen ist). Rentabilität angeblich dabei ca. 7-9% (richtiger: »Arbeitsertrag« denn mit steigender Bodengüte sank, nach den vorliegenden Angaben, der Prozentsatz dieser »Rente«).


193 8-9%, gegen 12-30% im kleinen und mittleren Handel und Gewerbe.


194 Der »Hoppo« (Zollaufseher und Zollpächter) in Kanton war berühmt wegen seiner riesigen Akkumulationschancen: die Einkünfte des ersten Jahrs (200 000 Taëls) gingen auf das Amtskaufgeld, die des zweiten auf »Geschenke«, die des letzten, dritten, behielt er für sich (Rechnung des »North China Herald«).


195 So der Kern der Taiping-»Rebellen« (1850-64). Noch 1895 wurde der Hang Yi Tang, die Sippe des Stifters der Taiping-Religion, als geheime Gesellschaft verfolgt (Peking Gazette).

196 Z.B. (Conrady a.a.O.): Tschang hia tsung-»Dorf der Familie Tschang«.


197 Offiziell anerkannt blieb nur das Gericht der kaiserlichen Sippe über deren Mitglieder und: die Hausgewalt.


198 Vielleicht bestand beides – »genossenschaftliches« und »herrschaftliches« Männerhaus – regional nebeneinander, denn es ist andererseits richtig, daß die von Quistorp a.a.O. zusammengetragenen Notizen im ganzen mehr für das erstere sprechen. Immerhin: Der legendäre Kaiser Yau übergibt seinem Nachfolger Schun die Regierung im Ahnentempel. Ein Kaiser bedroht seine Vasallen mit dem Zorn ihrer Ahnengeister. Solche Beispiele, die bei Hirth (Anc. Hist. of China) zusammengestellt sind, ebenso: daß ein Ahnengeist des Kaisers bei Mißregierung erscheint und Rechenschaft fordert und die Rede des Kaisers Pang-kong im Schu-king (Legge p. 238) sprechen für die letztere Annahme. Reste von Totemismus zusammengestellt bei Conrady a.a.O. (nicht wirklich ganz überzeugend, wenn auch gewichtig).


199 Die schon erwähnte Schonung des letzten Nachfahren einer gestürzten Dynastie führt auf die Sorge zurück, deren – immerhin, als frühere Kaiser, mächtige – Ahnengeister nicht in Unruhe zu bringen. (Vgl. noch in der Peking Gazette vom 13. 4. und 31. 7. 83: – Beschwerde des Tschang Tuan, des Repräsentanten der Ming-Dynastie, über Bebauung des Ming-Ahnenlandes.) Ebenso die früher erwähnten offiziellen staatlichen Opfer für Geister von ohne Nachkommen Abgeschiedenen und – s. gleich – die Adoptionen.


200 S. die Rede des Fürsten von Tschou im Schu-king (Legge S. 175) und das Gebet für den kranken Kaiser an die Ahnen (nicht: den Himmel) das. S. 391 ff.


201 Daß der Himmelsgeist als »primus inter pares« behandelt wird, geht sehr deutlich aus den Belegen hervor, die de Groot (Universismus) dafür gibt. Die »Geister der Ahnen« waren es nach dem in der Peking Gazette vom 29. 9. 98 publizierten Reskript, welche die (damals) gescheiterten Reformversuche des Kaisers und Kang Yu Wei's verurteilten. – Neben dem eigenen Verdienst sieht der Himmel auch auf das Verdienst der Ahnen (de Groot, The Rel. of the Chin. N. Y. 1910, p. 27, 28). Daher wohl auch die konfuzianische Lehre: daß der Himmel die Sünden einer Dynastie eine Weile mit ansehe und erst bei gänzlicher Degeneration einschreite. Dies war natürlich eine leidlich bequeme »Theodizee«.


202 Es finden sich Fälle, in denen eine Adoption rückgängig gemacht wird, weil die Totenopfer des natürlichen Vaters gefährdet sind (Peking Gazette vom 26. 4. 78).


203 »Vatermord« galt als ein so furchtbares (mit »langsamem Tode« zu bestrafendes) Ereignis, daß der Gouverneur der betreffenden Provinz ebenso abgesetzt wurde, wie bei Naturkatastrophen (Peking Gazette vom 7. 8. 94). Daß ein Trunkenbold den Großvater erschlug, führte 1895 (Peking Gazette vom 12. 7.) zur Bestrafung auch des Vaters, der den Sohn nicht so erzogen habe, daß er »auch die strengsten Strafen des Aelteren duldete«.


204 Eventuell hatten Zweigsippen ihre »Unter-Ahnenhallen«.


205 Nach klassischem Ritual durfte die Adoption nur innerhalb der Sippe erfolgen. Die Familienstatuten verfügten aber darüber – auch inerhalb des gleichen Dorfes – ganz verschieden. Manche Abrogationen des alten Rituals hatten sich fast allgemein eingebürgert. So daß die Schwiegertochter jetzt nicht mehr nur – wie offiziell vorgeschrieben – um die Schwiegereltern, sondern auch um die eigenen Eltern trauerte. Ebenso, daß jetzt auch um die Mutter, nicht nur – wie offiziell – um den Vater »tiefe« Trauer stattfand.


206 Deshalb ist die Lesart von A. Merx: »μηδένα ἀπελπίζοντες« statt »μηδὲν ἀπελπίζοντες« so sehr wahrscheinlich: auch hier Angst vor dem »Schreien« zu Gott und, bei Selbstmord, dem »Geist« des Verzweifelten.


207 Anlaß dazu boten neben Steuerrepartierungen und Blutrache namentlich die Konflikte, die das Fung Schul: die Geomantik, zwischen Nachbarn hervorrief. Es wird später zu erwähnen sein, daß jeder Bau und, vor allem, jedes neue Grab den Ahnengeistern schon bestehender Gräber Schaden tun oder die Geister der Felsen, Bäche, Hügel usw. in Erregung setzen konnte. Solche Fehden waren dann oft wegen der auf beiden Seiten im Spiel befindlichen geomantischen Interessen fast unschlichtbar.


208 In der Peking Gazette z.B. Ankauf von 2000 Mou (à 5,62 ar) für 17 000 Taël. Ausdrücklich wird dabei neben den Opfern auch 1. Witwen- und Waisenunterstützung, – 2. Unterhaltung der Schule für die Kinder aus den Renten erwähnt (14. 12. 83).


209 Zum Vorstehenden s. Eug. Simon, La cité chinoise (Paris 1885) und Leong und Tao, Village and Town Life in China. London, s. a. (1915).


210 Noch 1899 (Peking Gazette vom 12. 10.) wurde eingeschärft, daß nach dem Auslande gehende Leute, die an ihrem Ahnenland noch beteiligt seien, nicht als »unbekannte Fremde« (polizeilich) zu behandeln seien.


211 Mit Streubesitz der einzelnen Besitzungen in oft 5-15 Stücken: Folgen der Erbteilungen.


212 In der nur die Gilden oft sehr weitgehende Funktionen der Selbstverwaltung usurpiert hatten, wie wir sahen.


213 Auch hierzu ist die zit. Schrift der beiden chinesischen bachelors zu vergleichen (ungleich besser in dem Teil, der das Dorf behandelt: über die »Stadt« als soziales Gebilde ist eben wenig zu sagen!). Analogien: im germanischen Recht!


214 Die Dorftempel galten nicht als »taoistische« Kultstätten (s. später unter VII).


215 Insbesondere auch für den Tempelpriester. War er von Donatoren gestiftet, so wurden diese mit Ehrentiteln (schan tschu, Meister der Jugend) entlohnt. Die Priester lebten von Kasualien und Getreideabgaben: je mehr Tempel, desto ärmer war daher das Dorf. Nur einer der Tempel aber war der »Dorftempel«.


216 Es galt als verdienstlich, beim Tempel zu leihen. S. dazu Doolittle, Social Life of the Chinese London 1866, über diesen Punkt.


217 Neben den Sippenältesten, über deren Existenz aus allen Epochen Daten vorhanden zu sein scheinen, standen damals wechselnd gebildete Unterabteilungen mit ihren, in aller Regel (unter den Han: aus den Fünfzigjährigen) gewählten, Beamten, denen Sicherheitspolizei, Gemeinbürgschaft mit Rügepflicht, Opferaufsicht, Fronumlage, Steuereinhebung und also: Steuerhaftung, unter Umständen Friedensgerichtsbarkeit und Volksbildungspflege, aber gelegentlich auch Gestellung und Veranstaltung von Uebungen der Miliz auferlegt war. Unter den Han bildeten nach der damals getroffenen Neuordnung offiziell 9 X 8 Familien ein »Li«, ro Li ein »Tin« unter einem gewählten Aeltesten, 10 Tin ein »San« unter einem gewählten San-lao, dessen Aufgabe vor allem Volksbildung sein sollte. Dazu traten der Se fu: Steuerkontrolleur und Friedensrichter, und der ju tsi: Polizeikommissär. Der Hauptzweck war militärisch. S. darüber A. J. Iwanoff, Wang-An-Schi i jewo reformy, St. Petersburg 1906.


218 Mancherlei darüber bei A. H. Smith, Village life in China (Edinburgh 1899).


219 Der Kung kun war regelmäßig gymnastisch trainiert, er erstrebte, wie der Camorrist oder Mafiusu, unoffizielle Beziehungen zum Yamen des Hsien-Beamten, der ihm gegenüber ja machtlos war. Es konnte sich ein Dorfangestellter: der Dorfvorstand oder ein Schiedsrichter oder umgekehrt: ein Bettler, zum Kung kun entwickeln; und hoffnungslos wurde die Lage der übrigen Dorfinsassen dann, wenn er literarisch gebildet und womöglich obendrein mit einem Beamten verwandt war.


220 Sie sind gemeint, wenn die Verfügungen in der Peking Gazette von »Gentry and notables« sprechen, deren Gutachten einzuholen sei.


221 Vgl. den Bericht in der Peking Gazette vom 14. 4. 1895 über die Befreiung eines vom Steuerkollektor Festgenommenen durch zwei Sippenverbände.


222 S. Hoang, Mélanges sur l'admin. (Var. sinolog. 21, Schanghai 1902, P. 120 f.)


223 Die Kolonen und Landarbeiter – ehemals: Heloten der Herrenschicht – gehörten nicht zu dieser Kategorie.


224 Einige neueste gute Dissertationen darüber blieben mir unzugänglich.


225 Insbesondere auch in den an griechische ἔρανοι erinnernden Formen. Entweder so, daß durch eine Kreditgenossenschaft (shê) ein Geldkapital akkumuliert und dann dessen Nutzung verauktioniert oder verlost wird (Smith, Village Life in China, Edinburgh 1859). Oder auch in der Art, daß der Schuldner des von Freunden ihm gegebenen Darlehens der Klub-Präsident wurde, der den Genossen (seinen Gläubigern) auf diese Art seine Schulden ratenweise zurückzuzahlen durch Klub-Ehre angehalten wurde. Doolittle (Social life of the Chinese, London 1866) führt (p. 147 f.) Beispiele solcher Klubs an. Die Empfänger der Rückzahlungsraten wurden oft ausgelost. Es ist das der Kunstersatz für den alten Nachbarschaftskredit und: für den Konkursverwalter.


226 Oder ein entsprechender Anschlag den Grundsatz: fester Preise (»one price«, »truly one price« nach Doolittle a.a.O.) – aber im Gegensatz zu den Puritanern ohne alle Garantie der wirklichen Durchführung des Grundsatzes.


227 Von staatlichem Interesse war diese Frage für die Meldungen zum Examen, da die Zahl der Pfründen nach Provinzen repartiert war. In den offiziellen Listen, z.B. den Heereslisten schon der Han-Zeit, wird dem Namen stets die Orts- und Bezirksangehörigkeit (damals zweifellos durch die Heimat der Sippe bestimmt) zugefügt.


228 Vgl. dazu E. H. Parker, Ancient China simplified, London 1908, p. 112 ff.


229 Noch in den letzten Jahrzehnten hatten sich kaiserliche Reskripte damit zu befassen, daß die Richter die Prozesse auf Grund von Privatbriefen einflußreicher Persönlichkeiten entschieden (Peking Gazette vom 10. 3. 94). Die Endlosigkeit der Prozesse war derart, daß kaiserliche Reskripte ungünstige Witterungsverhältnisse nebst der dadurch herbeigeführten Dürre und die Vergeblichkeit der Gebete darauf zurückführten (Peking Gazette vom 9. 3. 99). Irgendwelche sicheren Rechtsgarantien fehlten völlig. Welchen antagonistischen Parteiintriguen im Beamtentum überdies die Gründung einer Fabrik ausgesetzt war, lassen kaiserliche Reskripte (Peking Gazette vom 4. 3. 95) zwischen den Zeilen lesen.


230 Diesen wichtigen Grund für den Zusammenbruch des (politisch orientierten) Kapitalismus hat inzwischen, soviel ich weiß, nur J. Plenge (auf Grund eigener Gedankengänge) gelegentlich (ich kann die Stelle im Augenblick nicht finden) so erwähnt, daß es fraglos ist, daß er seine Bedeutung weitgehend erkannt hat.


231 Yu tsiuan tung kian kang mu, Gesch. der Ming von Kaiser Khian Lung, h. a. (p. 417).


232 Dies bestreitet zwar eine so bedeutende Autorität wie v. Rosthorn, The Burning of the Books (im Journal of the Peking Oriental Society, Vol. IV, Peking 1898, p. 1 ff.). Er glaubt an mündliche Ueberlieferung der heiligen Texte bis in die Han-Zeit, also so wie sie im älteren Indien tatsächlich ausschließlich herrschte. Dem Außenstehenden kommt kein Urteil zu, und es darf vielleicht nur das gesagt werden: daß wenigstens die Annalistik nicht auf mündlicher Ueberlieferung beruhen kann und, wie die Nachrechnung der Sonnenfinsternisse ergibt, bis ins 2. Jahrtausend zurückgeht. Ebensowenig würde damit – wenn man nämlich diese Ansicht des hervorragenden Kenners über die rituelle (und doch wohl: die in poetische Form gebrachte) Literatur hinaus erstrecken würde – sehr vieles, was sonst über die Archive der Fürsten und die Bedeutung der Schrift und der Schriftlichkeit des Verkehrs der Literaten (nach der üblichen Annahme: zuverlässig) berichtet ist, vereinbar sein. Indessen können hier natürlich nur die sinologischen Fachleute das letzte Wort sprechen und eine »Kritik« seitens eines Nichtfachmanns wäre eine Anmaßlichkeit. Das Prinzip der strikt mündlichen Tradition hat fast überall nur für charismatische Offenbarung und charismatische Kommentierung dieser gegolten, nicht für Poesie und Didaktik. Das sehr hohe Alter der Schrift als solcher tritt nicht nur in ihrer bildhaften Form, sondern auch in ihrer Anordnung hervor: die senkrechten, durch Linien geteilten Kolumnen wiesen noch spät auf den Ursprung aus nebeneinandergelegten gekerbten Bambusstock-Scheiben zurück. Die ältesten »Kontrakte« waren Bambuskerbhölzer oder Knotenschnüre; – die Ausfertigung jedes Kontrakts und aller Akten in je 2 Exemplaren gilt wohl mit Recht als Rest davon (Conrady).


233 Dies erklärt auch die Stereotypierung der Schrift in einem entwicklungsgeschichtlich so überaus frühen Stadium und wirkt also noch heute nach.


234 Chavannes, Journ. of the Peking Or. Soc. III, 1, 1890, p. IV, übersetzt Tai sche ling mit »Großastrologe« statt, wie meist geschieht, mit »Hofannalist«. Die spätere, namentlich aber die neuere Zeit, kennt jedoch die Repräsentanten der Literatenbildung als scharfe Gegner der Astrologen. S. später.


235 Bei Tschepe, Hist. du R. de Han; Var. Sinol. 31. Schanghai 1910, p. 48.


236 Als im 4. Jahrhundert die Vertreter der feudalen Ordnung, voran die an ihr interessierten fürstlichen Sippen, gegen die beabsichtigte Bureaukratisierung im Tsin-Staate einwenden: »durch Erziehung, nicht durch Aenderung der Verwaltung hätten die Alten das Volk gebessert« (durchaus im Einklang mit den späteren Theorien der konfuzianischen Orthodoxie), bemerkt der neue Literaten-Minister Yang höchst unkonfuzianisch: »der gewöhnliche Mensch lebt nach der Tradition; die höheren Geister aber schaffen sie und für das Außeralltägliche geben die Riten keine Anweisung; das Wohl des Volks ist das höchste Gesetz«, und der Fürst tritt ihm bei (s. die Stellen bei Tschepe Hist. du R. de Tsin, a.a.O. p. 118). Es ist recht wahrscheinlich, daß die konfuzianische Orthodoxie bei der Prägung und Purifikation der Annalistik diese Züge zugunsten des später als korrekt geltenden Traditionalismus sehr stark hinwegretouchiert hat. Andererseits sind natürlich die nachstehend referierten Berichte über die den alten Literaten gezollte erstaunliche Ehrerbietung nicht alle einfach für bare Münze zu nehmen!


237 Obwohl der Erbprinz von Wei vom Wagen steigt, erhielt er von dem Hofliteraten des Königs, einem Parvenü, auf mehrfach wiederholten Gruß keine Erwiderung. Auf die Frage: »ob die Reichen oder die Armen stolz sein dürften«, erwidert dieser: »die Armen« und motiviert dies damit, daß er jeden Tag bei einem anderen Hof Verwendung finden könne (Tschepe, Hist. du R. de Han a.a.O. p. 43). Darüber, daß der Bruder des Fürsten ihm für den Posten als Minister vorgezogen wird, gerät (s. ebenda) ein Literat in größte Wut.


238 Der Fürst von Wei hört den Vortrag des Hofliteraten, eines Schülers des Konfuzius, nur stehend an (a.a.O., vorige Anmerkung).


239 S. die Aeußerungen bei Tschepe, H. du R. de Tsin, p. 77.


240 Die Erblichkeit der Ministerwürde gilt den Literaten als rituell verwerflich (Tschepe a.a.O. p. 77). Als der Fürst von Tschao seinen Minister beauftragt, geeignetes Land als Lehen für mehrere verdiente Literaten ausfindig zu machen, erklärt er auf dreimalige Mahnung dreimal, er habe noch immer keines gefunden das ihrer würdig sei. Darauf endlich versteht der Fürst und macht sie zu Beamten (Tschepe, H. du R. de Han, p. 54/5).


241 S, die Stelle über die betr. Frage des Königs von U bei Tschepe, Hist. du R. de. U. Var, Sinol. 10, Schanghai 1891.


242 Daß auch dies der Zweck war, verstand sich von selbst, wie die Annalen erkennen lassen.


243 Als eine Konkubine eines Fürsten über einen Literaten lacht, streiken seine sämtlichen Literaten, bis sie hingerichtet wird (Tschepe, Hist. du R. de Han, p. 128).


244 Der Vorgang erinnert an die »Auffindung« des heiligen Gesetzes unter Josiah bei den Juden. Der gleichzeitig lebende große Annalist Se ma tsien erwähnt ihn nicht.


245 Tschepe S. J., Hist. du R. de Tsin, Var. Sinol. 27, p. 53.


246 Einzelne Verschweigungen (z.B. der Angriff des Staates U gegen seinen eigenen Staat Lu) stehen fest. Aber im übrigen ist angesichts der Dürftigkeit ernstlich die Frage aufgeworfen worden, ob nicht vielmehr der große, stark moralisierende Kommentar zu jenen Annalen als sein Werk zu gelten habe.


247 Die Kaiserin-Regentin vermerkte noch 1900 den Antrag eines Zensors auf Abschaffung sehr ungnädig. Vgl. die Reskripte über die »orthodoxe Armee« (vom 10. 1. 99), über die »Besichtigung« während des japanischen Krieges (vom 21. 12. 94), über die Bedeutung der Militärgrade (vom 1. und 10. 11. 98 und aus älterer Zeit z.B. vom 23. 5. 78) in der Peking Gazette.


248 S. über die Praxis: Etienne Zi S. J., Pratique des Examens Militaires en Chine (Variétés Sinologiques Heft 9). Prüfungsgegenstände waren Bogenschießen, gewisse gymnastische Kraftproben und früher die Herstellung einer Dissertation, seit 1807 aber die Niederschrift eines Abschnitts von 100 Buchstaben aus dem U-King (Kriegstheorie), angeblich aus der Zeit der Tschou-Dynastie. Sehr viele Offiziere erwarben keine Grade, die Mandschus waren davon überhaupt befreit.


249 Ein kaiserliches Reskript (Peking Gazette vom 17. 9. 94) bemerkt mit Bezug auf eine Beschwerde gegen einen aus dem Offizierstand wegen militärischer Verdienste in die Zivillaufbahn übernommenen Taotai (Präfekten), obwohl dessen Verhalten in der fraglichen Angelegenheit sachlich einwandfrei gefunden wird, dennoch: er habe seine »rauhen Soldatenmanieren« in der Art und Weise seines Betragens gezeigt, »und wir müssen uns fragen, ob er die kultivierten Manieren besitzt, welche bei jemandem von seinem Rang und Stellung unumgänglich erscheinen müssen«. Es wird daher empfohlen, daß er wieder eine Militärstellung übernehmen möge. – Die Abschaffung des uralten Bogenschießens und anderer sehr alter Sports als Bestandteile der »militärischen« Ausbildung war durch das in seinen Anfängen wohl noch an das »Männerhaus« anknüpfende Ritual fast unmöglich gemacht. Auf dies bezieht sich denn auch die Kaiserin bei ihrer Ablehnung der Reformanträge.


250 Von den französischen Autoren wird seng yuen, siu tsai meist mit »Baccalaureat«, kiu jin mit »Lizenziatur« tien se mit »Doktorat« bezeichnet. Der unterste Grad gab nur den besten Prüflingen das Anrecht auf ein Studienstipendium. Diese stipendierten Bakkalaureen hießen lin scheng (»Magazinpfründner«), die vom Direktor ausgelesenen und nach Peking geschickten pao kong, die aus ihnen zur Studienanstalt zugelassenen yu kong, dagegen die durch Kauf in den Besitz des Bakkalaureen-Grades gelangten kien scheng.

251 Die charismatischen Qualitäten des Nachkommen bildeten eben einen Beweis für diejenigen seiner Sippe, also der Vorfahren. Schi Hoang Ti hatte s.Z. diese Sitte abgeschafft, da der Sohn nicht über den Vater richten solle. Aber fast jeder neue Dynastiegründer hat seitdem Ränge an seine Ahnen verliehen.


252 Beiläufig: ein ziemlich sicheres Sympton für dessen Jugend!


253 Vgl. hierzu: Biot, Essai sur l'histoire de l'instruction publique en Chine et de la corporation des Lettrés, Paris 1847 (noch immer nützlich).


254 Klagen bei Ma Tuan Lin, übers. bei Biot p. 481.


255 Themata für diese führt Williams an. Vgl. Zi a.a.O.


256 Dies namentlich bei den Prüfungen der Mittel-(»Lizentiaten«-) Stufe wo das Thema der Dissertation oft (vgl. das Beispiel bei Zi a.a.O. p. 144) eine gelehrte, literarhistorische und philologische Analyse des betreffenden klassischen Textes forderte.


257 Dies namentlich bei der höchsten (»Doktorats«-) Stufe, für welche oft der Kaiser persönlich die Themata stellte und die Klassierung der Absolventen vornahm. Administrative Opportunitätsfragen, mit Vorliebe anknüpfend an eine der »sechs Fragen« des Kaisers Tang (Biot S. 209 Anm. 1), waren dabei übliche Themata (s. ein solches bei Zi a.a.O. p. 209 Anm. 1).


258 Siao Hio ed. de Harlez, V, 11, I, 29. 40. Vgl. das Zitat aus Tschu Tse p. 46 das. Ueber die Frage der Altersstufen I, 13.


259 A.a.O. I, 25, ferner 2. Einleitung Nr. 5 f.


260 Auch dafür existierten literarische Vorschriften.


261 Es bedarf kaum der Bemerkung, daß das hier über die Sprache und Schrift Gesagte durchaus nur wiedergibt, was so hervorragende Sinologen wie namentlich der verstorbene W. Grube den Nichtkenner lehren, und nicht etwa eigenen Studien entstammt.


262 J. Edkins, Local Value in Chines. Arithmetical notation, Journ. of the Peking Oriental Society I Nr. 4, p. 161 f. Der chinesische abacus verwendete den (dezimalen) Positionswert. Das verschollene ältere Positionssystem scheint babylonischen Ursprungs zu sein.


263 de Harlez, Siao Hio, p. 42 Anm. 3.


264 Auch Timkovski, Reise durch China (1820/1), deutsch von Schmid (Leipzig 1825), hebt das hervor.


265 Eine solche Selbstanklage eines unachtsam gewesenen Grenzoffiziers (aus der Han-Periode, also lange vor der Einführung der Examina) s. in Nr. 567 der von E. de Chavannes herausgegebenen Dokumente Aurel Steins.


266 Die Anfänge der heutigen »Peking Gazette« gehen auf den zweiten Herrscher der Tang-Dynastie (618-907) zurück.


267 Tatsächlich finden sich in der »Peking Gazette«, besonders oft am Jahresschlusse, aber auch sonst massenhaft, teils unter Bezugnahme auf Berichte von Zensoren, teils der Vorgesetzten, Belobigungen und Beförderungen (oder die Inaussichtstellung solcher) für verdiente Beamten, Degradationen ungenügend qualifizierter zu andern Aemtern (»damit er Erfahrungen sammeln kann«, a.a.O. 31. 12. 97 und oft), Amtssuspensionen mit Stellung zur Disposition, Ausstoßungen ganz unbrauchbarer und auch die Feststellung, daß tüchtigen Leistungen eines Beamten Fehler gegenüberstehen, die er vor weiterer Beförderung zu bessern habe. Fast immer unter eingehender Begründung. Auch finden sich posthume Prügelstrafdekrete für (offenbar) posthum Degradierte. (Peking Gazette vom 26. 5. 95.)


268 Vgl. dazu A. H. Smith, Village life in China (Edinburg 1899, p. 66 ff.).


269 S. zum folgenden: Kun Yu (Discours des royaumes, Ann. Nat. des ètats Chin. de X au V s., ed. de Harlez, London 1895, p. 54. 75. 89. 159. 189 u. ö.).


270 Tschepe, Var. Sinol. 27 p. 38. Er bittet um Bestrafung. Aehnlich in den Dokumenten A. Steins (mehrfach oben zitiert, ed. Chavannes) Nr. 567.


271 Vgl. aber das Reskript in der Peking Gazette vom 10. 4. 95, wodurch den Offizieren, die nach der Uebergabe von Wei hai wei sich den Tod gaben, posthume Rangerhöhung zuteil wurde (offenbar weil sie die Schuld auf sich nahmen und so eine Kompromittierung des Charisma des Kaisers durch die Schand hinderten).


272 Indessen gab es wenigstens in einem Distrikt auch einen Tempel des Tai ki, der Urmaterie (Chaos), aus welchem sich die beiden Substanzen erst durch Teilung entwickelt haben sollten (Schih Luh Kuoh Kiang Yuh Tschi, übers. von Michels p. 39). S. schon oben.


273 Nach de Groot.


274 S. die auszugsweisen Uebersetzungen der Gräfin Hagen aus seinen Memoiren (Berlin 1915), p. 27, 29, 33.


275 S. die formgewandten und geistreichen, wenngleich etwas reichlich seichten, für Europäer bestimmten Aufzeichnungen Tscheng Ki Tong's (China und die Chinesen, deutsch von A. Schultze, Dresden und Leipzig 1896), p. 158. Ueber chinesische Konversation manche durchaus mit dem Gesagten übereinstimmende Beobachtungen in dem »Reisetagebuch eines Philosophen« des Grafen Keyserling.


276 Siao Hioh (übersetzt von de Harlez, Annales du Musée Guimet XV 1889) ist das Werk Tschu Hi's (12. Jahrh. n. Chr.), dessen wesentlichste Leistung die endgültige Kanonisierung des Konfuzianismus in der von ihm systematisierten Form war. (Ueber ihn: Gall, Le Philosophe Tchou Hi, sa doctrine etc., Variétés sinologiques 6. Shanghai 1894.) Es ist wesentlich ein mit historischen Beispielen arbeitender populärer Kommentar zum Li Ki und war in China jedem Volksschüler geläufig.


277 Die Zahl der »Lizentiaten« war unter die Provinzen aufgeteilt. Wenn eine Notanleihe ausgeschrieben wurde, kam es vor – noch nach der Taiping-Revolution –, daß den Provinzen für die Aufbringung bestimmter Minimalsummen höhere Quoten zugesagt wurden. »Doktoranden« wurden bei jeder Prüfung nur zehn promoviert, deren drei erste besonders hohe Schätzung genossen.


278 Die beherrschende Stellung dieser illustriert die Vergleichung zwischen der Provenienz der drei Höchstgraduierten und derjenigen der höchsten Mandarinen bei Zi a.a.O. App. II p. 221, Anm. 1. Abgesehen davon, daß von den 1646-1914 besetzten 748 hohen Beamtenstellen 398 mit Mandschus besetzt wurden, obwohl nur drei von diesen sich unter den Höchstgraduierten (die drei vom Kaiser als Erste placierten Tien sche) befanden, stellte die Provinz Honan 58 = 1/6 aller hohen Beamten, lediglich kraft der Machtstellung der Familie Tseng, während unter den Höchstgraduierten fast 2/3 aus anderen an diesen Aemtern zusammen nur mit 30% beteiligten Provinzen stammten.


279 Zuerst durch die Ming-Kaiser 1453 systematisch. (Aber schon unter Schi Hoang Ti als Finanzmaßregel.) Der unterste Grad kostete ursprünglich 108 Piaster gleich dem kapitalisierten Wert der Studienpfründen, dann 60 Taëls; nach einer Ueberschwemmung des Hoangho wurde der Preis zur Erweiterung des Markts behufs ausgiebiger Geldbeschaffung auf 20-30 Taëls herabgesetzt. Seit 1693 wurden auch die Käufer des »Baccalaureats« zu den höheren Prüfungen zugelassen. Eine Taotai-Stellung kostete mit allen Nebenspesen etwa 40000 Taëls.


280 Weshalb die Kaiser unter Umständen bei der Placierung darauf Rücksicht nahmen, ob der Kandidat einer Provinz angehörte, welche noch keinen an erster Stelle Placierten aufzuweisen hatte.


281 Ein ganz gutes Beispiel chinesischer Kameralistik bildet Se Ma Tsien's Traktat (Nr. 8, Kap. XXX in Vol. III von Chavannes Ausgabe) von der Handelsbilanz (ping schoan), zugleich das älteste erhaltene Dokument chinesischer Nationalökonomie. Große Händlerprofite der Teilsaatenzeit, Degradierung der Kaufleute im Einheitsreich, Ausschluß von Aemtern, Gehälterfixierung und darnach Fixierung der Grundsteuer, Steuern auf Handel, Forst, Wasser (appropriiert von Großen), Frage der privaten Münzprägung, Gefahr der zu großen Bereicherung Privater (aber: bei Reichtum herrscht – ganz konfuzianisch – Tugend), Transportkosten, Titelkauf, Salz- und Eisenmonopole, Kaufmannsregister, Binnenzölle, Preisstabilisierungspolitik, Kampf gegen Submission an Staatslieferanten (direkte Submission an Handwerker) sind die (für unsre Vorstellung nicht zur »Handelsbilanz« gehörigen Gegenstände: innere Ruhe durch Stabilität, nicht: Außen-Bilanz ist eben der kameralistisch-finanz-politische Gegenstand.


282 Das bis 1892 bestehende Monopol der Ko Hong-Kaufleute auf den Handel in dem einzigen den Ausländern geöffneten Hafen von Kanton wurde zum Zweck der Unterbindung jeglichen Verkehrs der Barbaren mit den Chinesen geschaffen; die ungeheuren Gewinste, die es abwarf, machten die beteiligten Amtspfründner jeder freiwilligen Aenderung dieses Zustands abhold.


283 Nicht nur die offiziellen Ming-Geschichten (nächste Anm.) sondern auch das Tschili kuo kiang yu tschi (Hist. géogr. des XVI royaumes, ed. Michels, Paris 1891) ist davon voll. So: p. 7: für 1368 Ausschluß des Harems von Staatsgeschäften (auf Antrag der Hanlin-Akademie), 1498 Eingabe der Hanlin anläßlich des Palastbrandes und der (bei Unfällen typischen) Aufforderung, »frei zu sprechen«, gegen den Favorit-Eunuchen (s. nächste Anm.).


284 Zahlreiche Beispiele dieses Ringens z.B. im Yu tsiuan tung kian kang mu (Ming-Geschichte des Kaisers Kian Lung, ed. Delamarre). Nehmen wir das 15. Jahrhundert: p. 155 (1404): ein Eunuch an der Spitze der Armee (seitdem öfter, so 1428, p. 223), daher auch, 1409 (p. 168): Eindringen der Palastbeamten in die Verwaltung. 1443 (p. 254): ein Hanlin-Doktor verlangt Abschaffung der Kabinettsregierung und Fronerleichterung, vor allem Beratungen des Kaisers mit den Literaten. Ein Eunuch tötet ihn. 1449 (p. 273): der Favorit-Eunuch wird auf Verlangen der Literaten getötet, – aber 1457 werden ihm Tempel errichtet. – 1471: Die Berater müssen durch den Eunuchen mit dem Kaiser verkehren (p. 374). (Genau das gleiche wird von Hiao Kong (361-328 v. Chr.) berichtet). 1472: Eunuchen als Geheimpolizisten (P 273) – was 1481 auf Verlangen der Zensoren abgeschafft wird (p. 289). 1488: Herstellung des alten Rituals. (So in zahlreichen Epochen). – Peinlich für die Literaten verlief die Absetzung eines Eunuchen 1418, bei dem man die Liste der ihn bestechenden Literaten fand. Man setzte durch, daß diese sekretiert und für die Absetzung der Bestechenden ein anderer Vorwand gefunden wurde (eod. p. 422).


285 S. Bland and Backhouse, China unter der Kaiserin-Witwe. Deutsch von Rauch, Berlin 1812, und die berühmte Denkschrift Tao Mo's aus dem Jahr 1901 dagegen.


286 Als 1441 eine von den Astrologen angesagte Sonnenfinsternis nicht erfolgte, gratulierte die Ritualbehörde, – aber der Kaiser lehnte das ab.


287 S. die (früher zitierte) Denkschrift der Hanlin-Akademie an die Regentinnen von 1878.


288 A.a.O. Kap. IX p. 130 f.


289 S. das Dekret der Kaiserin vom Februar 1901.


290 A.a.O. p. 457.


291 Z.B. Yu tsiuan tung kian kang mu des Kaisers Kian Lung (p. 167, 223) 1409 und 1428. Ein Verbot ähnlicher Art, sich in die Verwaltung zu mischen, an das Militär schon 1388, ebenda h. a.


292 Ueber die Anachoreten der älteren Zeit s. bei Nr. VII.


293 Ueber den Buddhismus s. später (Nr. VII und Band II dieser Aufsätze).


294 S. oben I.


295 So Chavannes, Vorwort zu seiner Ausgabe von Se Ma tsien's Traktaten über die Fong- und Schang-Opfer (Journ. of the Peking Oriental Society III, 1, 1890).


296 Auch in der Dichtung Kiu Yung, 3. Jahrh. S. dazu Conrady in den »Hochschulvortr. f. jedermann« XIX, XX, Leipzig 1903.


297 Ueber die Ansätze dazu s. Nr. VII.


298 In den Stenogrammen aus dem Feldlager in dem Clerk papus gelegentlich der (in der Welt erstmaligen!) naturrechtlichen Diskussion des gleichen Wahlrechtes bekannt.


299 Neben der Erfindung des Kompasses (der in der Binnenschiffahrt und für die Orientierung von Boten auf den innerasiatischen Landwegen benutzt wurde), des Buchdrucks (für Verwaltungszwecke, infolge der Langsamkeit der schriftlichen Vervielfältigung), des Papiers, Porzellans, der Seide, der Alchemie, Astronomie (für astrologische Staatszwecke benutzt) ist auch das Schießpulver in China erfunden und militärisch im 12. Jahrhundert wahrscheinlich, im 13. sicher verwendet, also jedenfalls ein Jahrhundert vor der beglaubigten Anwendung in den Kriegen der Florentiner. Aber in technisch höchst primitiver Art. Die Befriedung des Reiches regte eben nicht zur Vervollkommnung an. (Ueber die Erfindungen s. W. A. P. Martin, Chinese discoveries in art and science, Journ. of the Peking Or. Soc. Vol. IV, p. 19 ff.) Die Geschütze des Okzidents wurden, scheint es, anfänglich vornehmlich ihrer vermeintlich magisch bedingten Wirkung wegen gefürchtet und zu importieren gesucht.


300 Der Ausdruck ist vieldeutig, wie wir noch sehen werden.


301 Und diese mit der höchst unchristlichen Schlußfolgerung: daß das Gute im Menschen Kunstprodukt der Kultur sei, also im Resultat mit noch emphatischerer Bejahung der »Welt« der »Kultur«, vor allem: der Bedeutung der Erziehung, als selbst die orthodoxe Lehre.

Immerhin scheinen sich einige ihr eigene metaphysische Aufstellungen angeben zu lassen (vgl. F. Farje nel im Journ. Asiat. G. Soc. 20, 1902, p. 113 ff.) Ewigkeit der Materie, deren geistiges Prinzip (ai-ki), pantheistisch als Prinzip der Güte gedacht, die Welt hervorbringt, – logisch, wie es scheint, mit wenig Konsequenz seit dem 11. Jahrhundert durch eine orthodoxe Kommentatorenschule vertreten. Im übrigen wird angenommen, daß schon Konfuzius die später von Se Ma Tsien vertretene astrologisch unterbaute Kosmogonie (die 5 Elemente folgen aufeinander in Gestalt der alten Herrscher) geglaubt habe (so Chavannes, Vorrede zu Band I seiner Ausgaben Se Ma Tsien's, Paris 1895, p. CXLIII). Davon später.


302 Der angeblich im 6. Jahrhundert in der chinesischen Arithmetik bekannte Stellenwert der Zahlen (s. J. Edkins, Local value in Chin. Arithm. Not., Journ. of the Peking Or. Soc. I, Nr. 4, p. 161 f., der seine Kenntnis auf Babylon –? – zurückführt) bleibt problematisch. Im 19. Jahrhundert benutzte man den Abacus mit Lokalwert der Kugeln, wie schon gesagt.


303 Immerhin gab es bis in die Gegenwart unter den neun Fächern des fakultativen Zusatzexamens, dem man sich teils zur Erlangung vorzugsweiser Beförderung, teils als Versicherung für den Fall der Degradation unterziehen konnte, auch Mathematik als Prüfungsgegenstand.


304 So Eitel, China Review XVIII, p. 266. Der babylonische Ursprung der altchinesischen Kultur ist gleichwohl von T. de Lacouperie (Western Origin of the ancient Chin. civil., London 1894) vertreten worden.


305 S. das Schih Luh Kuoh Kiang Yu Tschi, übersetzt von Michels, p. XXI der »Notes« zum Kommentar.


306 Auch gegen die Mutter. Ein Sohn war (im Jahre 1882) in der Trunkenheit gegen die ihn scheltende Mutter handgreiflich geworden. Diese engagiert einige Männer, läßt den Sohn fesseln und trotz inständiger Bitte aller Beteiligten lebendig begraben. Die Mitbeteiligten wurden wegen formeller Inkorrektheit bestraft, aber sofort begnadigt. Eine Bestrafung der Mutter kommt gar nicht in Frage (Reskript in der Peking Gazette vom 13. 3. 1882).


307 Auch dem Gehorsam gegen den Fürsten. Auf Befehl eines Fürsten soll in der Feudalzeit ein Beamter den eigenen Sohn wegen Felonie ergreifen und festnehmen. Er weigert sich und das gleiche tut ein Beamter, der den Vater wegen dieses Ungehorsams festnehmen soll. Der Vater begeht darauf Selbstmord und die Tradition belastet mit der Sünde dieses Verschuldens den Fürsten (Tschepe a.a.O. p. 217).


308 Vgl. den in der Peking Gazette vom 8. 6. 96 abgedruckten Bericht über das Ansuchen des Sohnes des im Kriege mit Japan wegen Feigheit zur Zwangsarbeit an den Poststraßen im Westen degradierten Kommandanten von Niutschwang: statt seines durch die Strapazen erkrankten Vaters seinerseits die Strafe übernehmen oder ihn mit 4000 Taëls auslösen zu dürfen. Der Bericht wird unter Hinweis auf die löbliche Pietät des Antragsstellers an den Kaiser weitergegeben.


309 Das Memorial, welches dem Reskript betreffend Abschaffung der alten »Kultur«-Examina vom 2. 9. 1905 zugrunde lag, ist ziemlich inhaltsleer und macht wesentlich nur geltend: daß der Eifer für Volks- (Realschul-) Bildung dadurch gehemmt werde, daß jedermann sich auf das Examen als Titel für eine Pfründe verlasse.


310 Se Ma Tsien's Biographie des Konfuzius ed. Chavannes p. 336.


311 Die »Sinnlichkeit« wird als die Feindin aller Tugend schon in der alten Annalistik als unheilbar angesehen (Kun Yu, Discours des Royaumes, p. 163 als Ausspruch eines Leibarztes über einen kranken Fürsten). Der Konflikt zwischen Liebe und Staatsraison wird glatt zugunsten dieser gelöst: in der Poesie findet sich eine »Tragik« dieser Lage wenigstens einmal behandelt.


312 Fr. Kuhn, Abh. der Berl. Ak. 1914, 4.


313 S. Chavannes, Vorrede zu seiner Ausgabe, p. XIII.


314 Edkins, The place of Hwang Ti in early Taoism, China Rev. XV, P. 233 f.


315 Hiergegen Pen Piao in der App. II von Chavannes a.a.O. abgedruckten Stelle.


316 Grabinschrift aus der Han-Zeit (ca. 25 v. Chr.), Journ. As. X Ser. 14, 1909, ed. Chavannes p. 33: Trauerinschrift für den vorzeitigen Tod eines Mannes: »Menschen, die einen untadeligen Wandel führten, ohne dafür Lohn zu empfangen, hat es seit dem Altertum gegeben« (Beispiel). »Sein Andenken besteht weiter« (cf. Se Ma Tsien). »Er wird seine Nachfahren adeln« (dies die alte, erbcharismatische Auffassung, anders die neue, wie erwähnt). »Er ist in ein kaltes Schattenreich gezogen.«

Grabinschrift v. 405 n. Chr.:

»Alles Lebende muß sterben.« Der vollendete Mensch hat keine individuellen Merkmale (ist mit dem Tao vereinigt, s. VII, Einfluß Tschang tse's?).

Gerühmt wird der Gleichmut gegen Beförderung und Amtsverlust, (p. 36). Beförderung motiviert mit: »Gradheit«, »Kindespietät«, »Totenpietät«.

Aber im ganzen:

»Der Himmel kennt keine Gnade, er wurde krank und starb.« – Ein »Gott« wird nie genannt. Die Gesamtgesinnung und -stimmung ist Se Ma Tsien verwandt. Der gewaltsame Optimismus der späteren Zeit fehlt.


317 Ein für Chinesen furchtbares Unglück wegen des Ahnenkults!


318 S. ihn bei Chavannes Vol. I, App. I, p. CCXXVI f.


319 Unsterblichkeitsglaube wäre unklassisch. Es handelt sich nur um Geister glauben.


320 p. 166 seiner Biographie Schi Hoang Ti's, ed. Chavannes.


321 Gerühmt in den eben zitierten Inschriften der Han-Zeit.


322 China und die Chinesen, deutsch von A. Schultze (1896), p. 222.


323 Schon Konfuzius selbst soll sich in militärischen Dingen als unkompetent bezeichnet haben.


324 Yu tsiuan tung kian kang mu, übers. von Delamarre (Paris 1865), p. 20. Zahlreiche ähnliche Dikta ließen sich zusammentragen.


325 Giles, China and the Chinese, New York 1912, p. 105.

326 »Erzwungene Verträge sind kraftlos, da die Geister nicht über sie wachen« schon in ältester Zeit: E. H. Parker, Ancient China simplified, London 1908, p. 99.


327 Vgl. zum Taoismus die Quellen bei de Harlez und Legge. – Allgemein ferner die schon zitierte vorzügliche posthume Schrift von W. Grube, Religion und Kultus der Chinesen. Jetzt vor allem: de Groot's »Universismus«.


328 Außer den früher zitierten monumentalen Dokumenten auch die Literatur. So wird in der Jugendlehre (Siao Hio, übers. von Harlez a.a.O. V. Buch, Nr. 86) vor den Schwindeleien der Buddhapriester gewarnt, die den Toten jenseitiges Heil verschaffen wollen. Den Toten könne man nicht nützen oder schaden, denn wenn ihr Körper verwest sei, so schwinde auch der Geist.


329 Wie in der katholischen Kirche machte die patrimoniale Gnadenanstalt übrigens auch hier den Unterschied: daß der kanonisierte Mensch nur, katholisch ausgedrückt, »Verehrung« und nicht, wie die großen Naturgeister, »Anbetung« genoß; – für die Vorstellung der Massen freilich war dies in diesem wie in ähnlichen Fällen nur eine formale Scheidung.


330 Schi = Heilige, tun, jih, jin = Abgesonderte, Sien (Zeichen aus »Mensch« und »Berg«) = Anachoreten.


331 S. die Darstellung bei de Groot, Universismus, ferner Conrady a.a.O. und die Bemerkungen in Se Ma Tsien's Annalen, ed. Chavannes.


332 Gemälden, welche die Rischis als struppige Plebejer darzustellen pflegen.


333 Paradigma in der Annalistik: der Minister Fan ti im Staat Youe. Als sein König eine Stadt verliert, erklärt er, nach alten Regeln Selbstmord begehen zu müssen, unterläßt es aber. Sein enormes, als Minister gesammeltes, Vermögen vermehrt er dann anscheinend noch durch einen glücklichen Krieg mit Tsi, verteilt dies aber dann wirklich an seine Freunde und wird Anachoret, ganz wie noch bis in die Gegenwart manche indische Minister. (S. Tschepe, Hist. du R. de Ou. Var. Sinol. 10, Schanghai 1891, p. 157, 1. Append.)


334 Tschepe a.a.O. (6. Jahrh. v. Chr.).


335 Dagegen, für die alte Zeit, neuestens de Groot.


336 Für diese neuestens de Groot.


337 Man darf heut wohl sagen: Mode- Philosoph. Daß L. eine halbmythische Gestalt, das Tao-te-king der massenhaften Interpolation stark verdächtig und erst spät als existierend nachweislich ist, interessiert uns nicht. Wäre er eine erdichtete Gestalt, so bliebe doch der hier allein interessierende Gegensatz der Richtungen Tatsache.


338 Tshung = Gleichgewicht (englisch: »weak«), ein konfuzianischer Grundbegriff, – taoistisch; in »Leer« umgedeutet.


339 § 30. S. de Groot, Religion in China, London 1912.


340 Zu allem folgenden vgl. besonders de Groot, der auf den sekundären Charakter der Spaltung den größten Nachdruck legt.


341 de Groot a.a.O.


342 Bei Wan Fei (3. Jahrh. n. Chr.). Vgl. de Groot a.a.O.


343 Vgl. dazu die früher zitierten Inschriften.


344 Dies gilt freilich auch für den Mahayana-Buddhismus mit seinen »Bonzen« als Weltklerus. Aber bei ihm ist der sekundäre Charakter der Erscheinung ganz klar, beim Taoismus nicht.


345 Das Tao Tsang ist m. W. nicht übersetzt und scheint selten zu sein.


346 S. auch dazu de Groot, nach Ko Hung's Hagiographie.

347 Benutzt ist de Groot a.a.O. und die gangbare Literatur. de Groots Vortrag in den Transactions of the 2d Intern. Congr. for the Hist. of Rel. Oxford 1907, Vol. I war mir z.Z. nicht zugänglich. Ebenso nicht: I m banet-Huart, La légende du premier pape taoiste et l'histoire de la famille pontificale du Tschang (Journ. As. Nov.-Dec. 1884, p. 389).


348 Ueber diese Gegnerschaft vgl. Chavannes zu Se Ma Tsien 's Traktat »Riten« Vol. III, p. 210, Anm. 1.


349 Vgl. Chavannes' Vorrede zu Se Ma Tsien. Dieser, ihr Gegner, beklagt ihr stets neues Emporkommen.


350 So Jung Lu 1903.


351 Vgl. das W. Fr. Mayersche offizielle Pfründenlexikon des chinesischen Staats: The Chinese Government (Schanghai 1878), p. 70.


352 So die schon zitierten des Nan-Tschao-Königs, ed. Chavannes, Journ. Asiat. 9 Ser. 16, p. 1900.


353 Hergang, Verlauf und Wirkung der Rezeption weiterhin in der Geschichte des Buddhismus. Hier nur gewisse formale Seiten.


354 Darüber angegebenem Ort. Er war nicht das Ursprüngliche.


355 S. die Registrierung der Fälle in Kaiser Khien Lung's Yu tsiuan thung kian kong mu. Beispiele: 1451 wurden 50000 Bonzen ordiniert trotz Protestes der Konfuzianer (p. 288 bei Delamarre), 1452 war der maßgebliche Eunuch Buddha-Anhänger (p. 292 das.) und daher Feind »der Beamten« (Konfuzianer), 1481 wurde ein Bonze Großalmosenier (p. 379), der dann 1487 (p. 385) auf Verlangen der Beamten – nach Fallen eines Aërolithen – abgesetzt wurde.


356 Mayer's Staatspfründebuch a.a.O. Die Auswahl der Sung Luh se (Superior), deren es in jedem Distrikt zwei gibt, erfolgt durch die Lokalbehörden aus den fang sheng (Aeltesten) der Klöster; für das Wohlverhalten der Bonzen haften die Superioren.


357 Wie gegenüber den früheren Aufsätzen über den Puritanismus oft behauptet wurde.


358 Auch der Orthodoxie. Vgl. Se Ma Tsien, ed. Chavannes, Tome I, p. 196: »nicht der Himmel sendet von sich aus vorzeitigen Tod. Sondern er richtet sich nach dem Verhalten des Menschen«. Vgl. aber die zu Nr. II a. E. zitierten monumentalen Dokumente.


359 Universismus p. 343; – das Buch ist hier überall benutzt, wie jeder Leser sieht.


360 de Groot a.a.O. S.. 373.

361 Die »panbabylonistische« These wird angesichts des de Grootschen Buches wohl verlassen werden.


362 de Groot, Religion, p. 64 f. Die Anbetung lebender Menschen (Mandarinen) wird noch in einem Reskript von 1883 (Peking Gazette vom 18. 1. 83) für strafbar erklärt.


363 Peking Gazette vom 24. 6. 1878.


364 Bei Religionsgesprächen zwischen Konfuzianern und Buddhisten pflegte die buddhistische Karman-Theodizee besonders nachdrücklich abgelehnt zu werden: Nicht Folge früherer Taten sei die soziale Lage eines Menschen, sondern des Schicksals, welches auch von den Blättern der Bäume die einer auf Teppiche, die andern in den Schmutz wirble.


365 Wie leicht freilich dieser Namensstolz auch hier in die nackte Sehnsucht zu leben, einfach um zu leben, umschlagen konnte, zeigt das kürzlich erwähnte Schildkrötengleichnis, dessen Urheber zwar kein reiner Konfuzianer war, aber den Konfuzius mit hoher Verehrung zitiert. Aber nicht dies, sondern die Briefe Se Ma Tsien's und die Denkschriften der Zensoren an die Kaiserin Tsu Hsi, die oben zitiert sind, geben die echte konfuzianische Gesinnung wieder.


366 Ueber die einen guten Typus für die Wirkung darstellende »chinesische Kreditvereinigung« (die den, mit entsprechenden Zusätzen, auch für alle Klubs üblichen Namen hwui führt) kommt mir in letzter Stunde die recht gute, von Herkner, Bertkiewicz und Eberstadt beeinflußte Berliner Dissertation von Wu Chang (1917) zu Gesicht. Sie zeigt die primitive, auf rein bäuerliche (und zwar klein bäuerliche) Verhältnisse und streng persönliche Bekanntschaft miteinander zugeschnittene Struktur dieser schon früher (1) erwähnten Vergesellschaftungen. Nach ihrer rein persönlichen Vertrauenswürdigkeit ausgelesen, vereinigen sich die Beitragleistenden. Im einfachsten Fall: – es gibt deren drei verschiedene – derart, daß in der »ersten Versammlung« alle übrigen für das »erste Mitglied«, in der zweiten alle (einschließlich des ersten) für das »zweite Mitglied« und so fort Beiträge und die laufenden Zinsen ihrer inzwischen durch Nutzung des Kapitals etwa aufgelaufenen Schuld zahlen, bis zum »letzten Mitglied«, welches also insgesamt nur seine Beiträge nebst den Zinsen zurückerhält; die Reihenfolge der die Beiträge jeweils erhaltenden Mitglieder wird meist durch das Los bestimmt; wenn es sich um die Sanierung eines Schuldners handelt, ist natürlich dieser »erstes Mitglied«, während zum »letzten Mitglied« sich unter Umständen Mäzenaten anbieten. Die Wirkung ist: daß jeder der vor dem »letzten Mitglied« Plazierten ein – je nach der Plazierung verschieden großes – fremdes Kapital für einige Zeit zur freien Verfügung hat, zu dessen, je nachdem: Rückzahlung oder Ersparung er Beiträge (und: Zinsen) leistet. Die Kreditvereinigung, welche entweder ein gewisses Maß gegenseitiger Beaufsichtigung oder genaue gegenseitige Kenntnis der Wirtschaftsgebarung bedingte, kam offenbar in ihrer Wirkung den Raiffeisen'schen Darlehenskassen ziemlich nahe und ersetzte für die kleinbäuerliche Bevölkerung, mit der die Banken keine Geschäfte machten, z.B. auch den Hypothekenkredit für den Bodenankauf, konnte aber allen denkbaren Zwecken dienen. – Das im Gegensatz zu den früher (zweiter Aufsatz oben) geschilderten Zuständen der Sekten Charakteristische ist, von der Form abgesehen: daß hier 1. der konkrete ökonomische Zweck das Primäre, vielmehr: Ausschließliche, war, und 2. daß in Ermangelung der Qualifikationsprüfung durch die Sekte die Kreditwürdigkeit rein individuell festgestellt werden mußte. Im übrigen aber können diese Kreditvereinigungen in der Tat zur Illustration des Wesens des griechischen »Eranos« dienen.


367 Auch die Pietät freilich konnte zu Konsequenzen führen, welche die politische Gewalt ablehnen mußte. Im Gegensatz zu der merkantilistisch und ständisch motivierten Beschränkung der Luxusausgaben namentlich für Feierzwecke war und ist, entsprechend jener Bedeutung der Pietät als letzten ethischen Maßstabs, der für Trauerausgaben zugelassene Aufwand für unsere Vorstellung ganz ungeheuerlich.


368 Hierzu die temperamentvolle, zu Nr. I Anm. 1 zitierte Streitschrift von de Groot.


369 Peking Gazette vom 13. 1. 74.


370 Peking Gazette vom 13. 4. und 31. 3. 83.


371 Peking Gazette vom 2. 10. 74. S. ferner betr. einen Exorzismus an einem Irrsinnigen das. vom 20. 8. 78.


372 Nachdrücklich sei bemerkt: daß hier nur die Beziehung des Konfuzianismus und der Amtsgewalt zu den Sekten skizziert wird. Auf diese selbst ist nach Darstellung des Buddhismus zurückzukommen, auf dessen Einfluß alle Bedeutendsten mit zurückgehen. (S. die Darstellung in de Groots Sectarianism and relig. persecution in China a.a.O.)


373 S. ganze Scharen von solchen bei de Groot a.a.O.


374 Daß der Islam in China gar keine Veränderungen erlitten habe, wie W. Grube gelegentlich meint, scheint etwas zu viel gesagt. Die seit etwa dem 17. Jahrhundert entwickelte eigentümliche Stellung der Imame ist sicher unter dem Einfluß des Beispiels der indisch-ostasiatischen Mystagogen entstanden.


375 Der Name ist alt. Wir erinnern uns, daß der Taoistische Kirchenstaat sich ebenso nannte.


376 Die offiziellen Dokumente des Taiping-Kaisers, vor allem das »Buch der Auslegung des göttlichen Willens«, die »kaiserliche Erklärung des Tai-Ping«, das »Buch der religiösen Vorschriften«, das »Buch der himmlischen Dekrete«, der sog. »Trimetrische Kanon«, die mandschufeindliche Proklamation von 1852, die Zeremonial- und Militärorganisationsstatuten und der neue Kalender sind, nachdem das englische Kriegsschiff »Hermes« sie nach Schanghai gebracht hatte, zuerst von dem Missionar Medhurst in Schanghai mit entsprechend naivem Kommentar in einer Missionszeitschrift publiziert (als Sonderausgabe erschienen unter dem Titel Pamphlets in and by the Chinese Insurgents of Nanking, Schanghai 1853). Die große Rebellion ist oft, insbesondere in fast allen Werken über China, dargestellt, deutsch (gemeinverständlich) von C. Spillmann (Halle 1900). Mißlich ist, daß der beste Kenner der chinesischen Sektengeschichte, de Groot (a.a.O.) es verschmäht hat, auf die Art der Taiping-Rebellion näher einzugehen und die christlichen Einschläge – da sie in den von ihm vorsichtigerweise allein herangezogenen offiziellen Regierungsdokumenten (der Mandschu) nicht sicher verständlich sind, dahingestellt läßt, die Missionarliteratur aber abschätzig beurteilt. Die Darstellung bescheidet sich daher mit nur hypothetischem Wert.


377 Nachkontrolle der vielbestrittenen Tatachen ist mir nicht möglich.


378 Darauf beruht im wesentlichen das Versagen im militärisch entscheidenden Moment, ohne welches fast ohne Zweifel – nach Abschneidung der Zufuhr durch Besetzung des Kaiserkanals und Eroberung Nankings und des ganzen Yangtse-Beckens – das Schicksal der wiederholt und nahezu vernichtend geschlagenen Pekinger Regierung besiegelt und ein völlig anderer Verlauf der ostasiatischen Geschichte wenigstens nicht ausgeschlossen gewesen wäre.


379 Für Gott findet sich in den offiziellen Dokumenten einmal der Name Jehovah, sonst (nach Zählung der Missionare) am häufigsten (42%) der Name des volkstümlichen Himmelsgottes, nur halb so oft (21%) der konfuzianische Name des Himmelsgeistes, etwas häufiger wiederum der (personalistische) Ausdruck Thin fuoder Thin (33%), weit seltener (4%) Schin (was meist »Geist« bedeutet).


380 Jesus ist verehelicht gedacht, wie der Tien Wang es war. Der Prophet hat in der Vision seine Frau gesehen.


381 Dagegen lehnte er sowohl das Prädikat der »Heiligkeit« wie die Bezeichnung »Vater« für sich ab.

382 Dies besonders war den Missionaren anstößig und stellte in der Tat, obwohl offiziell jede Deutung als eines Opfers an oder für die Ahnengeister abgelehnt wurde: – das Opfer war ein Opfer an Gott und, wie eine christliche Totenmesse, für die Seelen der Ahnengeister –, eine recht wichtige Konzession an die Tradition dar.


383 Book of Celestial Decrees a.a.O. »When you have money, you must make it public and not consider it as belonging to one or another.« (Ebenso Kostbarkeiten.)


384 Ueber die Einzelheiten bestehen in den zugänglichen Berichten starke Widersprüche; namentlich der faktische Umfang des Staatssozialismus bleibt dunkel. Er ist natürlich in starkem Maß als Kriegswirtschaft zu deuten. Ebenso ist große Vorsicht in der Annahme der von de Groot vielleicht zu schroff abgelehnten) Angaben der englischen Missionare geboten, die hier notgedrungen benutzt wurden. Denn ihr Eifer sah wohl mehr »Christliches« als da war.


385 Weil, auch im Geschäftsleben, der Erfolg nicht vom Menschen, sondern vom Schicksal abhängt, soll man dem Gebot der Erfüllung der Berufspflicht ohne Schielen nach dem Erfolg folgen: »follow your proper avocations and make yourselves easy about the rest (in der Imperial Declaration of the Thae-Ping« a.a.O., unter Berufung auf Konfuzius).


386 A.a.O.


387 »Intrade principally regard rectitude.« »In learning be careful to live by rule« (a.a.O.).


388 Das Book of religious precepts (a.a.O.) beginnt mit dem Bekenntnis, daß niemand in der Welt gelebt habe, ohne gegen die »Befehle des Himmels« zu sündigen.


389 Trimetrical Canon a.a.O.


390 Seidenzucht und Seidenexport gingen jedoch erst im letzten Kriegsjahr zurück. Vorher stiegen sie ansehnlich.


391 Erst im letzten Augenblick gab, infolge heftiger Angriffe im Parlament, Palmerston Order, die »Mandschu« nicht weiter zu unterstützen, – um auch sie nicht aus der Verlegenheit kommen zu lassen.


392 Polygamie des Tien Wang selbst und der Offiziere bestand im chinesischen Sinn (Konkubinat).


393 Peking Gazette vom 2. 10. 1874.


394 Das Zelt des Tien Wang hieß »der kleine Himmel«. Die Ablehnung der Heiligkeitsprädikate durch ihn wäre von etwaigen Nachfolgern wohl sicher nicht beachtet worden. Die Zeremonialvorschriften ein schließlich der Rangtitulaturen (darunter z.B. für weibliche hohe Beamte der Titel »Eure Keuschheit«!) tragen ganz chinesischen Charakter an sich.


395 Wenn man nicht die Festtage, Meidung von Schmuck usw. dahin rechnen will die aber Einzelpostulate blieben.


396 Diese Sekte (I huo kuen) war schon im Anfang des 19. Jahrhunderts aufgetreten (de Groot, Sectarianism p. 425).


397 Die Sekte glaubte auch an diese Unverwundbarkeit. Im übrigen reicht das mir zugängliche gesichtete Material zu einer Darstellung nicht aus. Sie wurden nur als Orden, eine »ecclesia militans« gegen die fremden Barbaren konstituiert. Ueber sie die früher zitierte Denkschrift an die Kaiserin Tsu Hsi, die, ebenso wie die Prinzen, an ihr magisches Charisma geglaubt hatte. Ebenso wie sie – Peking Gazette vom 13. 6. 78 – an die magischen Qualitäten der Krupp-Kanonen glaubten. Angesichts dieser chinesischen Dokumente wird man in diesem Fall den Zweifel de Groots (Sectarianism p. 430 Anm. a. E.), daß Häretiker wie die »Boxer« von einer »konfuzianischen« Regierung protegiert worden seien, nicht wohl teilen dürfen.


398 Vgl. dazu neben allem Gesagten auch noch de Groot, The Rel. of the Chin., New York 1910, p. 130.


399 Abgedruckt in der Ausgabe von Chavannes, Vol. III, Kap. XXX. S. 0.


400 Ueber die »Kreditvereinigung« als leisen Ansatz siehe oben.


401 Daß z.B. die Rückständigkeit des Bergbaubetriebs (Grund der Währungskatastrophen), der Nichtgebrauch der Kohle zur Eisenherstellung (trotz angeblicher Kenntnis des Verkokungsprozesses,) die zunehmende Begrenzung der Schiffahrt auf Binnenschiffahrt in traditionalen Formen und Wegen, nicht auf Defekte der technischen oder Erfinderbegabung zurückzuführen sind, ergibt sich aus den Erfindungen der Chinesen zur Sonnenklarheit. Fung Schui, Mantik aller Art, Sportelinteressen: – die Produkte der Magie und der Staatsform, – waren entscheidend.


402 Darüber sehr gute Bemerkungen in den Schriften von Ludwig Klages.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Band 1, Tübingen 81986.
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