b) Die Expansionszeit Roms.

[227] Mit dem Aufstieg des bürgerlichen Grundbesitzerheeres parallel geht, einander bedingend, die Expansion Roms über Italien, – der für die Existenz der Stadt unvermeidliche Gegenschlag gegen die Bedrohung Latiums durch die sabellischen Bergvölker und die Kelten. Das disziplinierte Hoplitenheer war sowohl den Feudalheeren der Etrusker als den reinen Bauernheeren der Bergvölker und den keltischen Barbaren überlegen. Zu Anfang des 4. Jahrh. ist Südetrurien unterworfen. In der zweiten Hälfte nimmt der latinische Städtebund, umgewandelt in einen Bundesstaat unter Roms Hegemonie (338 v. Chr.), den Kampf mit den sabellischen Gebirgsvölkem auf, im 3. Jahrh. werden die Kelten der Poebene unschädlich gemacht und unterworfen, nachdem der Versuch des Hellenentums, Unteritalien zu behaupten, gescheitert war. Das alles vollzieht sich in Verbindung mit einer kolossalen Kolonisationstätigkeit. Meist mindestens 1/3 des Landes wird dem Feinde abgenommen, zuweilen das ganze Land, und unter Rom und die Bundesstädte verteilt. Ein Teil wird an das Heer (»viritim«) vergeben und damit Tribusland: die Tribus schwellen an Zahl (bis 35) und dann, in ganz ungeheuerlicher Weise, an Größe: von ca. 3000 ha anfangs bis auf den Umfang ganzer Staaten. Ein anderer Teil wird mit Einlösungsvorbehalt (»a. quaestorius«) verkauft, – zweifellos um den Schatz wieder zu füllen und eventuell[227] den »tributus«, der als Zwangsanleihe angesehen wurde, zu erstatten. Der Rest bleibt Domäne. Daneben stehen die systematischen Polisgründungen auf dem eroberten Gebiet. Im Binnenland kolonisiert zuerst der Bund als solcher: die Kolonien wurden Städte latinischen Rechts mit Selbstverwaltung und eigenem Bodenrecht. Der Römer, der in sie als Kolonist mitgeschickt wird, verliert das heimische Bürgerrecht, ist dadurch an die Kolonie gebunden. Dagegen übernimmt Rom, als Handelsplatz des Bundes, die Deckung der Küste. Die hier angelegten Bürgerkolonien sind nur begrenzt autonom. Die späteren römischen Bürgerkolonien sind es (im Prinzip) gar nicht, sie werden von Rom aus verwaltet; ihr Boden ist römischer Boden; die Kolonisten sind römische Bürger, die, als Garnison, vom Aufgebot frei, aber (wohl sicher) an ihr Domizil gebunden sind. Erst im 3. Jahrh., mit dem steigenden Uebergewicht der Hauptstadt, beginnt neben der allmählich einschlafenden lateinischen Kolonisation diese systematische Anlage von Bürgerkolonien auch auf dem Boden des Binnenlands, die dann nach dem 2. punischen Kriege noch eine Nachblüte erlebt, und gleichzeitig erlahmt seit dem zweiten Drittel des 3. Jahrh. die Anlage von Bundeskolonien und wird deren Rechtslage verschlechtert (vermutlich: beschränkte Freizügigkeit). Diese Entwicklung der Stellung der Kolonisten der Bundeskolonien entspricht ebenso wie die Umgestaltung des Bundesrechts (s.o.) der Entwicklung innerhalb des attischen Reiches: steigende Herrscherstellung der Hauptstadt, Herabdrückung der Bundesgenossen, dagegen Angliederung der Kleruchien an die Hauptstadt (speziell seit Perikles). In diesen Landzuweisungen und Kolonien findet jetzt der Nachwuchs der römischen Bauernschaft: die cives proletarii, Landversorgung: dafür kämpft das Hoplitenheer. Auch dies entspricht dem Zweck der attischen Kleruchien (wie für Athen der Volksschluß über die Kolonisierung von Brea, der nur Zeugiten und Theten zuläßt, deutlich zeigt). Der Unterschied ist aber – ganz wie in der Neuzeit zwischen England einerseits, Amerika andererseits – daß, nach der geographischen Situation, Athen nur Streubesitz, Rom ein kompaktes Kontinentalgebiet kolonisieren konnte. Eine riesige Volksvermehrung antwortet auf diese stetige Expansion des Nahrungsspielraums (so, nicht umgekehrt, ist natürlich, wie im gleichen Fall immer, das Kausalverhältnis). Zugleich aber bedeutet diese gewaltige Landvermehrung[228] das unaufhaltsame Vordringen der in der Zwölftafelepoche geschaffenen römischen Siedelungsweise. Die alten »pagi« werden von der römischen Limitation zerrissen. Wo ihre Autonomie bestehen bleibt (für die religiösen Lokalkulte), gelten ihre Verordnungen jetzt als eine Art von »Grundbelastung«; der ager compascuus, die alte Allmende, wird ebenso zur gelegentlichen Pertinenz einzelner fundi; das »Dorf« existiert für das Verwaltungsrecht nicht oder nur als vereinzelter Lückenbüßer; Gemengelage wird, wo sie besteht, bei der Assignation beseitigt. Ueberall bleibt der Einzelhof (villa), einst das Symbol adligen Besitzes, Sieger. Nachdem die Bauern der Samniterberge im Bundesgenossenkriege ihre alte dörfliche Freiheit noch einmal verzweifelt verteidigt hatten, zerfetzte die sullanische Assignation, dann die furchtbare Konfiskation und Landaufteilung an Veteranen der Triumvirn auch hier mit ihrer Limitation die Reste der alten Siedelungen. Die Stadt und das städtische Bodenrecht bleiben überall Sieger. Wenn Kleisthenes den Ständekampf dadurch geschlichtet hat, daß er alle Adligen in die Dörfer hineinzwang, so ging Rom den umgekehrten Weg: es sprengte die Dörfer und machte alle Bauern (der Theorie nach) zu »Gutsbesitzern«, wie es bis dahin nur die Adligen gewesen waren. Wenn man von Kleisthenes, wie erwähnt, gesagt hat, er habe »alle Athener adelig« gemacht, so trifft das sozial und ökonomisch auf seine, vielmehr die Adligen zu Bauern stempelnde, Reform eigentlich kaum, – dagegen sehr wohl auf das in der Expansionsperiode entstandene römische Bodenrecht zu33. Dies römische Bodenrecht aber ist, trotz mancher formaler Aehnlichkeiten mit der hellenischen kolonialen Bodenteilung, doch nach Absicht und Wirkung nahezu einzigartig, weil es absichtsvoll zu dem Zweck: Beseitigung aller Schranken in der freien Verwertung des Bodens, und, was wichtiger war, des anschwellenden Sklaven besitzes, geschaffen war. Schon die radikale Sprengung aller gemeinwirtschaftlichen[229] Elemente in der Agrarverfassung: Uebertragung des schrankenlosen Herrschaftsverhältnisses des »dominium« auf den Boden, Mobilisierung desselben durch eine überaus bequeme Veräußerungsform (die mancipatio), welche sogar die Uebergabe des Landes entbehrlich macht, Beschränkung der dinglich wirkenden Servituten auf die absolut unentbehrlichen Wege- und Wasserrechte, dazu volle materielle Testierfreiheit, – und dieser so völlig mobilisierte private Bodenbesitz zur Grundlage der Zugehörigkeit zu den Tribus, und, seinem Umfang nach, der politischen und militärischen, durch den Zensus periodisch festgestellten Rechte und Pflichten gemacht, schon dies alles allein zeigt den absolut tendenziösen Charakter dieser Rechtsentwicklung. Im Gegensatz zu der hellenischen, das Dorf zur Zelle des Staates stempelnden Agrarpolitik der Demokratie, trägt die römische einen – sit v.v.! – »amerikanistischen« Charakter: wie der amerikanische Farmer, der auch das »Dorf« nicht kennt, im Einzelhof zwischen den, um alle geographischen Bedingungen unbekümmert, rechtwinklig über Berg, Tal, Wald und Hügel verlaufenden »section lines« sitzt, so – wenigstens dem Ideal nach – der römische Landwirt auf seiner »villa«. Jene Tendenz des Bodenrechts zeigt sich aber noch deutlicher in der schroffen Zweiteilung des römischen Bodens in: entweder ager privatus, oder ager publicus. Die gemeinwirtschaftlichen Besitzformen sind, wie auch die Struktur des privaten condominium zeigt, bewußt benachteiligt, der ager compascuus (Allmende) auf den Aussterbeetat gesetzt und schließlich in dem inschriftlich erhaltenen Agrargesetz vom Jahre 643 a.u.c. seine Neuentstehung verhindert. Die gleiche Absicht wird noch deutlicher, wenn man mit der schrankenlosen Verfügungsgewalt, welcher das appropriierte Land (ager privatus) ausgeliefert wurde, den Kontrast in der rechtlichen Behandlung des nicht appropriierten Bodens vergleicht. Auf diesem beschränkt sich die zivile Rechtspflege auf den Schutz gegen gewaltsame, diebische oder seitens der mit Dienstland Belehnten (vi, clam, precario) erfolgende Störungen des jeweiligen faktischen Besitzstandes (possessio) und ev. auf dessen Feststellung derart, daß die Ernte demjenigen zufällt, der im ruhigen Besitz das Feld bestellt hat (dies ist wohl die ursprüngliche praktische Bedeutung der Jahresfrist bei den In terdikten).
[230]

Daß die Besitzinterdikte für die possessiones auf ager publicus zuerst entstanden seien, wird mit gewichtigen Gründen bestritten. Daß sie für den Besitz von ager publicus nicht gegolten hätten, ist schlechthin nicht zu begründen (am wenigsten durch den Hinweis auf die Beteiligung der – im commercium mit Rom stehenden – Italiker an den possessiones. Nur vom »jus Quiritium« und den Legisaktionen ist der Nichtrömer ausgeschlossen). Mir scheint auch die Art, wie die Interdikte in der lex agraria von 111 v. Chr. erwähnt werden, für ihre Geltung auf dem (damals zu Privatland gemachten) ager publicus zu sprechen.

Die Regelung aller übrigen Besitzstandesfragen dort kümmert das alte Zivilrecht nicht, sie ist Sache der Verwaltung; es existieren also auf dem ager publicus, als welcher alles nicht private und nicht formell (wie der »ager Gabinus«, als ältestes Beispiel) an föderierte oder durch Volks- oder Senatsschluß tolerierte Kommunen zugestandene Land gilt, nur von der Behörde verwaltungsrechtlich geregelte oder geduldete faktische Besitzstände. 1. Die verwaltungsrechtlich geregelten Besitzstände sind – solange die Expansion sich innerhalb der Grenzen Italiens hielt – teils Landverleihungen gegen Dienste, insbesondere Wegebau dienste (viasii vicanii), teils Pachten und Erbpachten (ager vectigalis). Erbpacht und Landleihe fehlt dem römischen Recht keineswegs, sondern nur dem (auf den Zwölftafeln ruhenden) römischen Privatrecht. Ihre Konstituierung war eben Souveränitätsrecht des Staates und, da eine »legis actio« auf Erbpachtbesitz nicht denkbar ist, fehlte zunächst der Zivilrechtsschutz: Besitzesinterdikte und Verwaltungsbann mußten ev. eingreifen. Als dann die ursprünglich souveränen Bundesgemeinden zu »Munizipien« wurden, schuf der Prätor für den munizipalen und staatlichen »ager vectigalis« eine Formel. Der Zweck jenes Fehlens der Privaterbpacht kann nur der Ausschluß der Entstehung privater Grundherrlichkeit gewesen sein34. 2. Die geduldeten Besitzstände auf dem öffentlichen[231] Lande sind die vielberufenen Okkupationen. Das Okkupationsrecht am ager publicus ist das Recht jedes Römers, und jedes Bürgers einer in die italische Bundeskriegsmatrikel aufgenommenen Gemeinde, öffentliches Land, ursprünglich (s.o.): Oedland, gegen eine Quotenabgabe an den Staat (die, scheint es, durch Konnivenz später nicht erhoben wurde), in Besitz zu nehmen, und bis auf etwaige weitere Verfügung der Staatsverwaltung zu behalten, – später wohl: nachdem die Erlaubnis zur Okkupation öffentlich bekannt gegeben war. Es war dies Recht, welches zuerst die gewaltigen Grundkomplexe schuf, gegen welche später die gracchische Gesetzgebung (s.u.) vorging. Ob das berühmte licinisch-sextische Gesetz eine Realität war, ist, trotz Soltaus Verteidigung, immer zweifelhafter geworden. Ueberwiegend sieht man in ihm heute eine Zurückprojizierung der Gegensätze der Gracchenzeit in das 4. Jahrh. und nimmt an, daß diese (bei Cato angeblich erwähnte) Besitzschranke dem Anfang des 2. Jahrh. angehöre. Daß ein Gesetz, welches die Okkupationen auf 500 jugera als Maximum beschränkte, in der Zeit des ersten Drittels des 4. Jahrh. unmöglich gewesen sei, weil der römische Ackerbesitz damals »nur 2 Quadratmeilen« betragen habe, ist freilich wohl nicht richtig. Selbst bei nur 50-60000 ha Feldflur wären einzelne Okkupationen einzelner Großbürger von 125 ha an sich nichts absolut Unmögliches, wenn schon freilich ganz unwahrscheinlich. Aber der römische Landbesitz ging im 4. Jahrh. schon weit über den ager Romanus hinaus. Immerhin ist die Tradition sehr verdächtig und die letzten Schwierigkeiten für die Annahme ihrer Fälschung sind jetzt durch Maschke scharfsinnig beseitigt. – Wie dem nun aber sei, das sachlich Entscheidende ist, daß dies in seiner brutalen Einfachheit beispiellose Institut (Vergleichsobjekte sind etwa in der rechtlich und faktisch doch sehr abweichenden Behandlung der »Bifänge« auf königlichem Oed- oder Geestland in Aegypten zu finden: darüber s. unter Hellenismus), eine Uebertragung des alten »Bifanc«-Rechts von Oedland auf das zum allergrößten Teil schon in Kultur befindliche Land, welches dem Staat durch Eroberung zufiel, mit der riesigen Expansion des Staats seine Bedeutung total veränderte. Da an jeder Okkupation natürlich die Vieh-und Sklavenbesitzer mit unvergleichlich anderem Erfolg teilnehmen konnten als noch so viele freie Bauern, war dadurch, [232] nach dem Eindringen der Kaufsklaverei, ein unerhörter agrarischer Kapitalismus geschaffen, gegen welchen die Bauern mit dem Verlangen reagierten, daß das eroberte Land systematisch an alle Bürger verteilt und als ager privatus appropriiert werde. In der Tat ist den meisten erfolgreichen Kriegen, wie schon erwähnt, die Landzuweisung an das siegreiche Heer gefolgt. Dem entsprach die Verwendung der Testierfreiheit in Gestalt der Exheredation der übrigen Kinder zugunsten eines Einzelerben. Sie war von eminent praktischer Bedeutung im Interesse der Erhaltung des Grundbesitzes in der Familie, solange im Wege der Eroberung Land zur Verfügung gestellt wurde. Die Testierfreiheit ebenso wie die übrigen Institute des römischen Bodenrechts stehen so im Zusammenhang mit der eminent agrarisch-expansiven Tendenz, in welche der Staat mit dem Aufstieg des Hoplitenheeres gedrängt wurde. Aber die Vieh-und Sklavenbesitzer waren umgekehrt an Erweiterung des zur Okkupation oder öffentlichen Verpachtung offenstehenden ager publicus interessiert. Während der italischen Eroberungsperiode finden wir in der Tradition ganz regelmäßig, daß die besitzenden Schichten das Verlangen der Massen nach Zuteilung von ager publicus mit dem Vorschlag, Land zum Zweck der Aufteilung neu zu erobern oder eine Kolonie zu deduzieren, beantworten. Die Glaubwürdigkeit dieser Berichte auch in dieser Hinsicht gänzlich abzulehnen, liegt kaum ein Grund vor: die Konstellation der Klasseninteressen konnte ja während der Expansionszeit kaum anders liegen. Ganz ähnlich verlief die Expansion z.B. in Elis: der Adel läßt die Demoi am Raube teilnehmen. Auf die Dauer zogen bei dieser Konkurrenz der Interessen die Bauern freilich zunehmend den Kürzeren. Nur unter dem Druck schwerer äußerer Gefahren entschloß sich der Adel zur Koloniededuktion: so erklären sich die zahlreichen Bürgerkolonien seit der Mitte des zweiten und im Anfang des ersten Jahrhunderts aus der Kelten- und Puniergefahr und der absoluten Notwendigkeit, die durch die Kriege gerissenen Lücken zu füllen. Trotzdem war der Widerstand des Großbesitzes auch in der Epoche der Gallier- und Punierkriege oft sehr hartnäckig: der Kampf der Klassen um das sesonisch-picenische Gebiet konnte nur gegen den ausdrücklichen Widerspruch des Senats von der Plebs (im Jahre 232 durch C. Flaminius) im Sinne der Kolonisation entschieden werden.[233]

Es verbarg sich in jenen Konflikten der Kampf zwischen freier und unfreier Arbeit, der später in der Gracchenzeit zur Revolution führte. In Hellas und im hellenischen Osten blieb die ökonomische Tragweite der Sklaverei für das platte Land ziemlich begrenzt. Die zahlreichen kleinen Verkehrszentren in Althellas hatten kein ausgiebiges, hinlänglich billig zu erwerbendes und dadurch für den Plantagenbetrieb mit Sklaven im großen geeignetes agrarisches »Hinterland«. Im Orient war der Boden dicht besiedelt und teuer, und außerdem zog die mit dem monarchischen und bureaukratischen Regime zusammenhängende Eigenart der hellenistischen Staaten und die gewaltige Bedeutung der domanialen, dort von Kleinpächtern bewirtschafteten Bodenkomplexe, der relativen Bedeutung des Sklaven-Großbetriebes von vornherein enge Schranken. Wir hören, abgesehen von dem spartanischen Feudalstaat und Chios, in Griechenland und im ganzen Orient von Sklavenerhebungen fast nichts und zwar: je später, je weniger, während die Erhebung des Spartacus in Süditalien und Sizilien zu den furchtbarsten sozialen Erschütterungen der alten Welt zählt. In Rom entfesselte eben die zunehmende Entstehung von Geldvermögen, die geographisch bedingte gewaltige Expansionsmöglichkeit in das Binnenland hinein und dann der kapitalistische Charakter der überseeischen Eroberungen in Verbindung mit der weit gewaltigeren Versorgung des Sklavenmarktes die Tendenz zur Menschenanhäufung in unerhörtem Maße. Die ganz großen Sklavenimporte nach Rom und ebenso – worauf Ferrero hinweist – das Hervortreten der Oel- und Weinplantagen als eines für die allgemeine Wirtschaftslage entscheidend mitsprechenden Faktors tritt in den Quellen etwa gleichzeitig mit der gracchischen Bewegung auf, – aber schon Catos Schrift zeigt, daß beide Erscheinungen beträchtlich älter sein müssen. Die »Gutswirtschaft« mit Sklaven in der Art, wie sie uns geschildert wird, setzt die Befriedung voraus, wie sie in Italien nach der Einigung, endgültig nach Hannibals Niederwerfung, eintrat: seitdem hat 600 Jahre lang kein Feind das Land betreten. Damit begann das Sinken der Hoplitenschaften.

Je weiter die Eroberung ausgriff, desto weniger konnte das eroberte Land einer Besiedelung durch freie Bauern zugute kommen. In der Zeit überseeischer Expansion war es damit vollends zu Ende. Vom Jahre 177 bis zu den Kolonisationen[234] der Gracchen ist, über ein halbes Jahrhundertlang, nur eine Bürgerkolonie deduziert worden. Die Amts- und Geldaristokratie – äußerlich in bestem Einvernehmen: die Tribunen funktionierten damals bis auf die Gracchen lediglich als Werkzeug des Senats – suchte den faktischen Besitzstand zu stabilisieren und die Wehrkraft Italiens durch Erhaltung der Leistungsfähigkeit der bundesgenössischen Gemeinden zu stützen: Schulten hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß in das Jahr 177, mit welchem die alte Bürgerkolonisation zu Ende geht, auch die lex Claudia fällt, welche die Latiner auswies, und daß die noch schärfere lex Junia de peregrinis in die Zeit nach der Niederwerfung des Ti. Gracchus und vor C. Gracchus' Auftreten fällt. Diese Beschränkungen der Freizügigkeit der Bundegenossen, sowohl im Interesse der Fernhaltung demokratischer oder direkt unlegitimierter Elemente aus den Komitien (in denen der römischen Boden besitzende Latiner ursprünglich wahrscheinlich das Recht zu stimmen gehabt hatte), als im Interesse der Erhaltung der Hoplitenschaft auf ihrer Scholle und ihrer Steuerkraft für ihre Gemeinden, erfolgten zunächst durchaus mit deren Zustimmung, – die lex Claudia direkt auf ihren Antrag. Sie kamen aber zugleich dem konservativen Interesse des Amtsadels entgegen, dessen typischem Vertreter Scipio Aemilianus die Legende statt des üblichen Gebetes um »Vermehrung« das andere: um »Erhaltung« des Staats in den Mund legt. In der Tat war das Adelsinteresse ebenso an der Erhaltung des Status quo im Innern wie nach außen engagiert. Denn es mußte die festgefügte Herrschaft des Amts-und Offiziersadels in Heer und Staat alsbald ins Wanken geraten, wenn Rom außerhalb des geschlossenen italischen Gebietes Annexionen vornahm, dort ein Heer unterhielt, welches unmöglich auf die Dauer ein Bürgeraufgebot von Fall zu Fall bleiben konnte (die ersten Schwierigkeiten, betreffend Ergänzung und Stellung der Korporäle, begannen, ganz charakteristisch, mit der Ausdehnung der Aktionssphäre über See). Die Uebersee-Expansion war kapitalistisch. Nicht der Amtsadel alter Tradition, der sich auf eine vorsichtige Interventionspolitik beschränken wollte, sondern kapitalistische Interessen der Händler, Steuer- und Domänenpächter erzwangen die Vernichtung der alten Handelszentren: Karthago, Korinth, Rhodos, inaugurierten die Politik der überseeischen Annexionen, welche dem Verwertungsinteresse[235] des Kapitals, nicht den Siedelungsinteressen freier Bauern, dienten. Diese überseeischen Erwerbungen den Bauern auszuliefern, hatten alsdann weder der Amtsadel noch die Kapitalisten ein Interesse, ganz abgesehen davon, daß eine Aussiedelung über See auch den Bauern selbst nur im Fall äußerster Not verlockend scheinen konnte. Ein Symptom dafür ist, daß mit dem Schwinden der Versorgung des Nachwuchses als Zweck der Eroberung auch die Testierfreiheit zu erblassen beginnt, bis sie in den letzten Jahrzehnten des Freistaates durch die querela inofficioso testamenti faktisch beseitigt wird: sie hatte ihren alten Sinn verloren. Zunehmend neigte sich die Wagschale zugunsten der Sklaven- Großbesitzer. Die Okkupationen auf dem, einen zunehmenden Bruchteil Italiens umfassenden, ager publicus sind offenbar zum Teil auch Groß-Weidewirtschaft gewesen, nach Catos d. Ae. Ansicht die rentabelste (weil kostenloseste und von dem Problem der Beschaffung der Arbeitskraft unberührteste) Kapitalanlage. Zum anderen müssen sie von Anfang an landwirtschaftliche Großbetriebe gewesen sein. Die staatliche Domänen- und Domänegefälle-Verpachtung begünstigte, zumal in den Provinzen, den Großbetrieb gleichfalls, teils absichtlich wegen der größeren Bequemlichkeit der Geschäftsbeziehung zu größeren kapitalkräftigen Pächtern, teils faktisch durch den ungeheuren Druck, den sie gegen die auf dem eroberten Lande prekär (s.u.) gegen Abgabepflicht sitzenden Bauern ausübte, während naturgemäß römische Großpächter diesem Druck gegenüber in günstigerer Lage waren. Die Staatspachten der römischen Republik waren überhaupt weit mehr, wie die der freien hellenischen Polis, »kapitalistischen« Charakters. Die Pächtergesellschaften (soc. publicanorum) waren faktisch unkontrolliert, – im scharfen Gegensatz namentlich gegen den hellenistischen Osten, aber auch gegen die normale griechische Praxis, – weil zu dem Umstand, daß der freie Stadtstaat kein ständiges Finanzbeamtenpersonal hatte und haben konnte, und also die Pächter auch das gesamte Erhebungspersonal selbst stellen mußten, hier die Grenzenlosigkeit des Gebietes hinzukam. Gewaltige Sklaven- und Geldkapitalien, daneben – infolge der Verpflichtung, Grundstückskaution zu stellen – Großbesitz an Boden vollen (»italischen«) Rechts (der dadurch in der ökonomischen Bewertung stark privilegiert wurde), waren Voraussetzung der Beteiligung an diesen größten kapitalistischen Unternehmungen[236] des Altertums. Das Erfordernis der Kautionsleistung mit Grundstücken vollen römischen Bodenrechts, also der Qualifikation durch nationalen Grundbesitz, machte aber diesen Kapitalistenstand zugleich zu einem in weit höherem Grade nationalen Stande, als irgendwo im Osten (wo in der Ptolemäer-zeit die Pächter anscheinend überwiegend Fremde waren) oder auch in Hellas (wo namentlich, und begreiflicherweise, die kleineren Orte, schon um bei den Submissionen Konkurrenz zu erzielen, auswärtige Finanzmänner oft ganz absichtlich begünstigten). Das ökonomisch und sozial von jeher aristokratische Gepräge Roms wurde dadurch naturgemäß gewaltig verstärkt. Es entstand, gegenüber dem in den Blütezeiten der hellenischen Demokratie dort immer wieder durchbrechenden zünftlerisch-kleinbürgerlichen »Nahrungs«-Interesse, eine Tradition weit ausgreifender »kapitalistisch«-orientierter Politik, sowohl in der Angliederung der besitzenden Klassen der Bundesgenossen, – die Italiker als solche, nicht die Römer allein, profitierten von dem Okkupationsrecht am ager publicus ebenso wie von der geschäftlichen Expansion der herrschenden Macht, – wie auch in der Disposition über eroberte Ländereien und in der Konstituierung der »Provinzen«. Freilich war dabei diese Politik im einzelnen Gegenstand des heftigsten Interessenkampfes. Neben den alten Klassengegensatz der Bauern gegen die großen vieh- und sklavenbesitzenden Possessoren trat Zwiespalt innerhalb der besitzenden Schichten: Auf der einen Seite die wesentlich politisch interessierten Amtsadelsfamilien, die im Senat ihre Vertretung fanden, und durch Gesetz und Rechtssitte von der direkten Beteiligung, nicht nur – wie fast im ganzen Altertum selbstverständlich – am Gewerbe, sondern auch an der Steuerpacht und auch vom Schiffsbesitz ausgeschlossen waren: Ein Senator durfte nur Schiffe von einer Größe besitzen, die ungefähr für den Transport der Eigenprodukte seines Gutsbetriebes ausgereicht hätte; er war infolgedessen, neben der Bereicherung im Amt, auf Grundrentenbezug, Darlehnswucher – der für ihn zwar verpönt, dennoch aber (s. Cato) durch Freigelassene möglich und üblich war – und indirekte Kapitalbeteiligung an Handel und Schiffahrt beschränkt. Auf der anderen Seite stand der, infolge seiner direkten Beteiligung am kapitalistischen Erwerb von den Aemtern und dem Senat sich ausschließende Kapitalistenstand, welcher in den Centurien der Höchstbesteuerten, speziell der »Ritter«,[237] seine politische Vertretung hatte und durch C. Gracchus (s.u.) endgültig als »Stand« konstituiert wurde. Daß Beamte und Abgabenpächter in den Provinzen sich regelmäßig gegenseitig in die Hände arbeiteten und den Raub teilten, hinderte nicht, – bedingte es vielmehr –: daß die senatorialen Geschlechter das dringendste Interesse daran hatten, die »Bourgeoisie« in politischer Abhängigkeit zu halten und vor allem die Geschworenenliste der Gerichte, welche über Amtsvergehen befanden, dem Senat vorzubehalten. Die stetige Vermehrung der Gewinnchancen infolge der Eroberungen steigerten andererseits die ökonomische Macht der für die Staatskasse als Geldgeber und technisch-kaufmännisch geschulte manager der Staatseinkünfte immer unentbehrlicheren Kapitalbesitzer. Die Geldgeber des Staates bildeten faktisch schon in der Zeit des 2. punischen Krieges eine Macht, welche den Staat finanziell rettete, dafür aber ihm seine Politik vorschrieb. Von der Zeit der Gracchen an, in der auch die direkten Steuern, mindestens in der Provinz Asien, ihrer Ausbeutung anheimfielen, erlebte die Bourgeoisie ihre Blütezeit. Eine in Hellas nur in – allerdings recht kräftigen – Ansätzen bekannte, kolossale Entwicklung der Kaufsklaverei und der Sklavenausbeutung überhaupt war die Begleiterscheinung. –

Den privaten Plantagen betrieb mit Sklavenherden, welche militärisch diszipliniert und – weil infolge des stetigen Menschenraubes im Kriege billig ergänzbar – rücksichtslosestem Verschleiß ausgesetzt waren, scheint das erste rein kaufmännisch kolonisierende Volk: die Phönikier und speziell Karthager von den ägyptischen Pharaonen-Fronhöfen aus über die Welt, insbesondere in den Okzident verbreitet zu haben. Er hat ja auch in der römischen Provinz Afrika, daneben in Sizilien stets seine klassischen Standorte behalten und ist in Mago's (von Karthago) 28 Büchern über die Landwirtschaft wahrscheinlich zuerst wissenschaftlich dargestellt worden. Von den beiden Mitteln, relativ hochwertige und daher transportfähige Produkte für die Marktverwertung zu gewinnen: Teilpacht und Sklavenbetrieb, empfahl sich dem Kapital in den damals noch relativ dünn besiedelten Gebieten des Okzidents der Sklavenbetrieb mindestens so lange, als Raubbau an Boden und – vor allem – an Arbeitskräften ökonomisch möglich waren. Für Rom wurde der, seit den Zeiten Catos bis zur Kaiserzeit ersichtlich an typischem Umfang stetig zunehmende Sklavenbetrieb die nationale Wirtschaftsform.[238] Die Agrarschriftsteller nehmen Herrschaft der Sklavenarbeit als selbstverständlich an, daneben kommen (wie bei Mago) nur für die Ernte freie landwirtschaftliche Arbeiter in Betracht. Die sinkende ökonomische und soziale Bedeutung des Ackerbürger- und Bauernstandes, gegenüber der Uebermacht der großen Vermögen, nehmen demselben je länger je mehr seine expansive Tendenz. Die unversorgte Nachkommenschaft sammelt sich in der Hauptstadt an und ist kolonisatorisch nicht mehr zu verwenden, seitdem sie nicht mehr durch das Interesse, durch Ansässigmachung zum politischen Vollbürger zu werden, getragen wurde. Sie muß in zunehmendem Umfang von der staatlichen Getreideverwaltung durch Getreidespenden versorgt werden. Es wird damit zugleich der natürliche Markt für das italienische Getreide beengt und für die freie Landarbeiterschaft ein weiterer Anreiz zur Zusammenballung in der Hauptstadt geschaffen. Dazu kam der furchtbare Ruin des Bauernstandes durch Kriegszüge in weit entfernten überseeischen Gebieten und für Interessen, welche nicht die seinen waren. Mit dem sich selbst equipierenden Bürgerheer waren diese Kriege dauernd schon an sich nicht zu führen. Aber auch deshalb war dies je länger je weniger möglich, weil mit zunehmender Intensität des Anbaus, wie überall, so auch hier, der selbstwirtschaftende Bauer zunehmend ökonomisch »unabkömmlich« wurde35.

Der entscheidende Kampf der freien Arbeit und Siedelung gegen die unfreie war die gracchische Bewegung, welche auf die alte Forderung der Aufteilung des ager publicus zurückgriff. Die Gracchen persönlich, zum mindesten Tiberius, waren in erster Linie politische Reformer, ihr Ziel: die Herstellung der alten Grundlagen der Heeresverfassung. Allein sie stellten selbstverständlich die Interessen der Bauernschaft, für sich und[239] ihre Kinder die Gelegenheit zu billigem Bodenerwerb zu gewinnen, in den Dienst ihrer Sache. Boden zu Ansiedelungszwecken konnte im großen nur durch Beschränkung und teilweise Einziehung der Okkupationen beschafft werden. Gegen diese Entziehung von Generationen alter Besitzstände waren aber, – worauf namentlich E. Meyer nachdrücklich hingewiesen hat, – nicht nur die römischen, sondern ganz ebenso die zur Okkupation, im Prinzip, auf gleichen Fuß zugelassenen bundesgenössischen Possessoren interessiert, und die gracchische Bewegung entfesselte daher nicht nur den Klassenkampf in Rom, sondern ebenso den Kampf der römischen Bürgerschaft mit den Bundesgenossen, welche nunmehr schon zu ihrem ökonomischen Schutz und um an den Assignationen beteiligt zu sein, das Bürgerrecht verlangen mußten, während sie bis dahin umgekehrt oft genug gegen den Abfluß ihrer begütersten Bürger nach Rom, zu protestieren gehabt hatten (s.o.). Die Gracchen konnten, selbst im Bunde mit den Bauern, nur von einer Spaltung der übermächtigen Gegnerschaft den Sieg ihrer, ja in erster Linie ideologisch motivierten Bewegung erhoffen. Es gelang ihnen in der Tat, das »commercial interest«: die Schicht des nicht zum Amtsadel gehörenden Geld- und Sklavenbesitzes, die rein ökonomisch interessierte Bourgeoisie: den sog. Ritterstand, zu gewinnen, indem sie den Steuerpächtern durch Ueberlassung der Provinz Asia an das stadtrömische Verpachtungssystem, und ferner durch Auslieferung der Gerichte an sie, zu einer Akme ihrer Macht verhalfen, von der erst Sulla sie endgültig wieder herunterstieß, indem er sie wieder der gerichtlichen Kontrolle der senatorialen Geschlechter unterwarf. Dieses Aufsteigen des antiken Kapitalismus zum Höhepunkt seiner Entfaltung (in den ihm eigenen Formen), wie es mit jener Machtstellung der Kapitalistenklasse erreicht wurde, ging zweifellos auf Kosten der Interessen der Provinzialen, welche der schonungslosesten Ausbeutung preisgegeben wurden. Und es kam trotzdem der gracchischen Bewegung nicht dauernd zugute. Es gelang dem Senat, die ökonomisch gesättigte Ritterschaft zu sich hinüberzuziehen. Der Gedanke, die Bundesgenossen durch das Angebot des Bürgerrechts zu gewinnen, konnte in Rom nicht durchdringen: seit das Bürgerrecht nicht nur die Anwartschaft auf Ackeranweisung gab, sondern überhaupt die Komitien ihre Macht, und damit die Möglichkeit ihrer ökonomischen Fruktifizierung, wieder fühlten, begannen sie in ähnliche Bahnen zu geraten,[240] wie der Demos von Athen vor und unter Perikles. Und schließlich sah sich, gerade infolge des militär- und agrarpolitischen Zweckes der Ackergesetze, C. Gracchus in der Popularität der Massen, der Konkurrenz der Demagogie der großen Besitzer ausgesetzt. Die gracchischen, wie die späteren, Ackerassignationen suchten die neugeschaffenen Stellen der Spekulation und Verschuldung zu entziehen: der Besitzer sollte wirklich Bauer werden. Unterstützungen zur Inventarbeschaffung auf verschiedenen Wegen stehen daher neben den entscheidenden rechtlichen Schranken: Unveräußerlichkeit und, als Zeichen des Staatsobereigentums, Rekognitionszins (die sullanischen und caesarianischen Veteranenassignationen haben Verpfändungs- und Dosbestellungsverbot einerseits, Abgabefreiheit andererseits nebeneinander gestellt). Aber eben jene »sozialpolitisch« motivierten Schranken wurden den Gracchen zum Verderben. Die, um jener politischen Zwecke willen, eingeführte Unveräußerlichkeit der neu assignierten Landlose und der Rekognitionszins wurden gegen C. Gracchus ausgespielt und er »überboten«. Der Sieg des »landed interest« mit der gewaltsamen Niederwerfung der gracchischen Bewegung besiegelte den Sieg der unfreien Arbeit und damit die Beseitigung der alten Grundlagen des Staats. Die Okkupationen wurden durch die inschriftlich erhaltene lex agraria von 111 v. Chr. auch formell zu ager privatus erklärt, also definitiv appro priiert und der italische ager publicus damit beseitigt. Von Marius wurde alsdann in das alte, sich selbst equipierende Bürgerheer das vom Staate equipierte Proletariat der »capite censi« aufgenommen, weil nur so die Heeresreorganisation durchgeführt und die dringende Gefahr der germanischen Invasion beschworen werden konnte. Durch den Bundesgenossenkrieg erzwang sich zwar die Bauern- und Kleinbürgerschaft Italiens die Teilnahme an den Vorteilen des Bürgerrechts. Aber mit der politischen Bedeutung der Bauernschaft war es bei der Beschaffenheit der Komitien, der Staatsverwaltung und der Aufgaben des Weltstaats bereits vorbei. Das Heer wurde seit Marius eine Versorgungsanstalt der Besitzlosen: der Veteran, nicht der Bürger, hat jetzt die Anwartschaft auf Landzuweisung, und es begannen – ebenfalls seit Marius, die Durchschnittsgrößen der Assignationen zu steigen: 30 jugera in der Gracchenzeit, 50 unter den Triumvirn in Italien, noch wesentlich größere Lose in den Provinzen. Andererseits: die, als Reiterdienst abzuleistende,[241] Wehrpflicht der Besitzenden hörte auf effektiv zu sein. Mit beidem war die politische Grundlage des Caesarismus geschaffen. Die großen Sklavenaufstände zeigen die gewaltige Zunahme und zahlenmäßige Bedeutung der unfreien Landarbeiter. Die schweren Besitzerschütterungen, welche die Konfiskationen und Ackeranweisungen zumal der Triumvirn mit sich brachten, haben wesentlich negativ, nicht positiv gewirkt. Die einmal gegebene ökonomische Struktur und die damit gegebene Deklassierung des Bauern war nicht mehr zu erschüttern und die Veteranen hafteten trotz der erwähnten Verkehrsschranken nicht an der Scholle. Das Land war seit der Legalisierung der Okkupationen in Italien zu einem gewaltigen Bruchteil in den Händen großer Besitzer; wie stark die Vermehrung dieses Besitzes durch direkten Auskauf von Bauern war, ist nicht sicher zu bestimmen: die »massae« des erhaltenen Urkundenmaterials geben dafür nur allzu zufällige (und späte) Anhaltspunkte. Man muß sich auch für Rom hüten, das quantitative Schwinden des Bauernstandes sich allzu vollständig vorzustellen. Zu jeder Zeit der Römerherrschaft hat es, vor allem in den Gebieten rentelosen Bodens, zahlreiche »selbständige« Bauern gegeben, wie es heute zahlreiche »selbständige« Handwerker gibt und geben wird. Schultens überaus eingehende Untersuchungen der Verbreitungsgebiete sabellischer Namen zeigen die sehr große Stabilität speziell der Bauern der Berglande, die schwerlich nur oder wesentlich den römischen Freizügigkeitsschranken, zuzuschreiben ist. Der Bauer blieb, quantitativ, in großer Zahl vorhanden. Aber qualitativ – dem sozialen und ökonomischen Gewicht nach –bedeutet er nichts mehr gegenüber den Sklavenbesitzern. In den Augen der Agrarschriftsteller wird er – wohl übertrieben – zum »pauperculus«, welcher »cum sua progenie« das Land bebaut, welches der rationale Betrieb ihm läßt. Caesars Verordnung, daß die Hirten zu einem Drittel freie Leute sein sollten, und des Tiberius Rede im Senat über die Konsequenzen der landwirtschaftlichen Sklaverei zeigen deutlich, wohin die Entwicklung geführt hatte.

Die Betriebstechnik der »Großwirtschaften« der römischen Landwirtschaft ist auf einer ähnlichen Stufe stehen geblieben wie die griechische. Die Düngung ist in catonischer Zeit leidlich intensiv, Stallfütterung besteht, die Ackergeräte aber sind recht primitiv. Der Gebrauch des Streichbretts gehört, wo es vorkommt, erst der Kaiserzeit an; die Sichel wird zur Ernte,[242] das Austreten durch das Vieh als Form des Dreschens benutzt. Von Karthago her bürgerte sich dann der Dreschwagen ein. Der, zumal im Binnenlande, wenig rentable Getreidebau ist in dieser seiner Technik früh stabilisiert. Im wesentlichen nur hochwertige Güter, Oel und Wein, Mastvieh und zumal Tafelluxusprodukte, konnten im Binnenlande mit dauerndem Gewinn für den Absatz produziert werden. Darauf beruht auf den römischen großen Gütern die Art der Betriebsorganisation. Große Weidewirtschaften mit Wanderherden sind in Apulien und in den »calles« der Berglandschaften herrschend, sonst nicht die Regel. Ueberall aber tritt in den kapitalistischen Betrieben das Interesse am Getreidebau zurück36. In eigener Regie werden die kapitalintensiven Branchen: Oel- und Weinplantagen und Spezialkulturen mit Sklavenarbeit betrieben, das Getreideland zu Catos Zeit vielleicht in Anteilsakkordarbeit bestellt, noch öfter aber wohl, und jedenfalls zunehmend an coloni (Parzellenpächter) gegen Anteil oder (zunehmend und in den Rechtsquellen fast ausschließlich behandelt) Geldrente vergeben. Die Sklavenplantage erlebte in der Zeit von Cato zu Varro ihre Expansion. Die Sklaven sind, solange der Sklavenmarkt stete Zufuhr gewährt, kaserniert, leben also ehe- und eigentumlos – Sklavinnen finden damals im Betrieb kaum Verwendung – und straff militärisch diszipliniert. Nur der villicus hat regelmäßig contubernium (Sklavenehe) und peculium (Mitweiderecht). Die eigentlichen Plantagensklaven sind (in den Weinbergen) zu Catos Zeit oft gefesselt und erhalten, der harten Zwangsarbeit entsprechend, größere Rationen, Ueberhaupt aber hausen in der spätrepublikanischen Zeit die Sklaven auf den Gütern mit voll entwickelter Ausnutzung der unfreien Arbeit, wie die Sklaven der Pharaonen im »neuen Reich«, in gemeinsamen Schlafräumen, »treten« bei Varro dekurienweise des Morgens »an« und werden von ihren Einpeitschern zur Arbeit geführt. Die bessere Garnitur der Kleidung ist auf »Kammer« gegeben, unter der Obhut der villica, und wird nur an Feiertagen[243] oder von Zeit zu Zeit zum »Appell« verabfolgt; Lazarett für Kranke und carcer für Arbeitsunwillige sind vorgesehen. Mit zunehmender Größe der Betriebe und also zunehmendem Sklavenbedarf sucht man möglichst billig zu kaufen; man lobte die Brauchbarkeit der versklavten Verbrecher: »velocior est animus improborum«. Denn obwohl man Prämien auf die Kindererzeugung und Aufzucht setzte, war bei der vollkommenen Promiscuität (das Attachement an eine Sklavin hätte die Neigung z.B. zur Simulation von Krankheit gefördert, wie Varro hervorhebt) eine irgend erhebliche Reproduktion der Sklaven aus sich selbst unmöglich. Die Sklavenkaserne bedarf deshalb stets des Zukaufs und für diesen ist die Billigkeit entscheidend, denn der Sklavenbetrieb ist ein ungeheurer Menschenverschleiß. Die volle Ausnutzung der Sklavenarbeit ist angesichts des schwankenden Arbeitsbedarfs eines der Grundprobleme des römischen Gutsbetriebs. Wie heut stillstehende Maschinen Zinsen »fressen«, so – im wörtlichen Sinne des Ausdrucks und in weit direkterer Weise – das Sklavenkapital (instrumentum vocale) des Gutshofs (Cato, r. r. 39, 2). Die vorerst noch mäßige Größe der Betriebe – Cato rechnet mit wenigen Hundert Morgen – ließ die Entwicklung eines Gutshandwerkertums noch nicht zu, und die Billigkeit der Sklaven ließ einen Anreiz zu deren Schulung als gelernte Arbeiter noch nicht entstehen. Mit Ausnahme weniger Flecht-, Holz- und Reparaturarbeiten wird daher der Bedarf an gewerblichen Erzeugnissen, namentlich allen Metallwaren, aber auch anscheinend an Sklavenkleidung37, und ferner an solchen Produkten wie Fische, Salz (beides für die Sklavennahrung), Pech (für die Bottiche) usw. auf den Märkten gedeckt und tast alle Produkte – auch Wolle – als Rohstoffe verkauft. Auch werden außer den Sklaven freie Arbeiter bei der Getreide-, Heu-, Wein-Ernte zum Behacken und – zur Schonung des Sklavenkapitals – auf ungesundem Boden als Tagelöhner beschäftigt. Allein diese freien Arbeiter, welche, zumal in der Erntezeit, zunächst unentbehrlich waren, schrumpften immer mehr an relativer Bedeutung zusammen, weil ihre Haltung neben den massenhaften Sklaven gefährlich schien, und natürlich auch infolge der allgemeinen psychologischen Konsequenzen der Unfreiheit der Arbeit: – die Empfehlung Varros, freie Arbeiter[244] stetig, womöglich jeden Tag zu wechseln, bleibt, da die Bedenken Pernices gegen die Uminterpretation, welche Glaser (und mit ihm Gummerus) mit der betr. Stelle vornimmt, m.E. durchschlagen, bestehen. Als Aushilfsarbeiter kamen die nexi, obaerati, welche ihre Schuldsummen abzuarbeiten hatten, noch in Varros Zeit in Betracht. In ältester Zeit mag man auch Erntearbeiter als Prekaristen angesetzt haben (die Rechtslage derjenigen sog. »freien« Landarbeiter bei uns, welche ein Stück Kartoffelland ohne kontraktliche Garantie erhalten, um sie für die Erntezeit an das Gut zu fesseln – im Gegensatz zu den »Instleuten« und anderen Kontraktarbeitern – entspricht im östlichen Deutschland noch heute der Lage des römischen Prekaristen: Schriften des V. f. Sozialpolitik 50, S. 773 unten)38. Aber schon zu Catos Zeit war die Abwälzung der Erntearbeit auf Unternehmer, welche mit freien Arbeitern umherzogen, oder der noch einfachere Verkauf der stehenden Ernte, offenbar sehr verbreitet. Auch Viehherden wurden dergestalt zur Verwertung des Ertrags vergeben. (Die Eigenart des catonischen Vertragsschemas hängt mit der Kapitalschwäche des Unternehmers zusammen.) Infolge dieser Lösung des Saisonarbeiterproblems war der ideale Gutsbetrieb des 2. Jahrh., wie ihn Cato d. Ae. geschildert hat, sowohl als Produktions- wie als Konsumtionszentrum wie auch in relativ starkem Maß als Arbeitsverbraucher in den Markt verflochten; der Grundsatz: nichts kaufen, was man selbst herstellen kann, galt zwar als Erbweisheit, allein die Struktur der Gutswirtschaft gestattete damals noch seine Durchführung nur in geringem Maße, wie die hübsche Arbeit von Gummerus zutreffend nachgewiesen hat: die Geldwirtschaft nahm zu Catos Zeit zu. Aber mit dem immer weiteren Anwachsen des Großbesitzes und des Betriebsumfangs – beides ist natürlich nicht identisch, geht aber faktisch parallel – treten, schon bei Varro, neben Ziegeleien und Töpfereien für den Absatz, auch Gutshandwerker für den Eigenbedarf, ferner sicherlich die Verwendung der (bei Cato, wie in Hellas, noch ganz fehlenden) Sklavinnen für die Herstellung der Sklavenkleidung39, die Anschaffung eigener Oelquetschen – bei deren[245] Kosten nur kapitalkräftigen Wirten möglich – auf. Andererseits finden sich in der Spätrepublik, als typische Erscheinung, die »coloni«. – Die Gutshandwerker finden sich naturgemäß da am meisten, wo der Großbetrieb in städte- und verkehrsärmere Gegenden vordringt, und auch für die damalige Durchschnittsgröße der Güter war, wie Varro ausdrücklich hervorhebt, das Kapitalrisiko, welches der Besitz eigener gelernter Handwerkssklaven mit sich brachte, meist noch zu groß. Je größer das Gut und je mehr es im Binnenland liegt, eine desto größere Rolle spielen eigene Handwerker einerseits, coloni andererseits. Die Parzellenpacht in der Form des doppelseitigen bonae-fidei-Kontrakts der locatio-conductio ist dem Alter nach nicht sicher bestimmbar: sie tritt, wie in Aegypten, an die Stelle der auch formal rein bittweisen Ueberlassung des Bodens, des alten feudalen precarium. Für die Beurteilung der sozialen Position des Kolonen schon in der republikanischen Zeit zeugt die Tatsache, daß er nicht nur (wie auch der Prekarist) gegenüber dem Herrn, sondern, im Gegensatz zu jenem und (sicherlich) dem Pächter öffentlichen Landes, nicht einmal gegenüber Dritten irgendwelchen Besitzesschutz genießt, vielmehr lediglich auf die Kontraktslage auf Entschädigung angewiesen ist, falls der Herr ihm das Grundstück nicht wiederschafft. Schon in republikanischer Zeit vermehren sich die coloni überall mit zunehmendem Umfang der teils als Streubesitz, teils als geschlossener Besitz sich zusammenballenden »latifundia«, naturgemäß speziell auf den ersteren, aber auch auf den letzteren. Seit dem Schwinden der Hoffnungen auf eine agrarische Umwälzung war der Nachwuchs der Bauernschaft in Italien auf das Abpachten von Land bei den anschwellenden Großbesitzern angewiesen. In den Provinzen übernahm das Reich massenhaft konfiszierte oder sonst erworbene Besitzungen von Herrschern oder aristokratischen Familien, auf denen Kolonen oder Bauern mit prekärem Besitzrecht saßen. Die Frage, ob es vorteilhafter sei, den Grundbesitz selbst (d.h. durch Sklaven) zu bewirtschaften oder (an coloni) zu verpachten, wurde schon Anfang des letzten Jahrhunderts v. Chr. wissenschaftlich erörtert. In der Praxis konnte sie so lange zugunsten der Sklavenarbeit ausfallen, als diese so billig zu ergänzen war, wie in der republikanischen Zeit, auch damals aber nur für solche Produkte, welche im arbeitsextensiven Plantagenbetrieb hergestellt wurden. Viele Getreideäcker und[246] besonders Außenschläge (agri loginquiores) der anwachsenden Güter vergab man dagegen wahrscheinlich schon zu Varros Zeit (obwohl er es nicht sagt) ebenso an Parzellenpächter, wie dies später erweislich geschah, und je weniger ein großes Gut auf jene Plantagenprodukte zugeschnitten war, um so mehr mußte die Ausgabe an coloni überwiegen. Denn daß die coloni in diesem Sinne schon vor Varro eine ganz typische Erscheinung geworden waren, steht durchaus fest, und zu Caesars Zeit (b. civ. I, 34, 2) galten sie sozial und politisch schon fast ebenso als »Hintersassen« ihres Gutsherrn, wie seine Sklaven und liberti. Die coloni sind schon in spätrepublikanischer Zeit Gutsinsassen, die als eigenes Vermögen meist nur etwas Vieh besitzen, denen der Gutsherr Land mit Inventar verpachtet und darum die Art der Benutzung, oft durch eine gemeinsame »lex« – unseren »Arbeitsordnungen« charakteristisch entsprechend – für das ganze Gut, vorschreibt, die ihm häufig verschuldet und dann durch sein Pfandrecht an ihren Mobilien faktisch gebunden sind. Soweit die Pacht überdies Teilpacht gewesen sein sollte – was allerdings für privaten Besitz bis tief in die Kaiserzeit im Okzident nicht nachweisbar ist – würde es naturgemäß jeweils von den Verhältnissen des Einzelfalles abgehangen haben, ob sie in erster Linie als Leute angesehen wurden, welche die Pflichtübernahmen, eine Landparzelle so zu bewirtschaften, daß für den Herrn – in Gestalt einer Fruchtquote – möglichst viel herausspringt, oder als Pächter, die gegen einen Anteil das Recht erwerben, jene Parzelle nach Vereinbarung zu benutzen. Aber auch bei der Geldpacht wird, wo immer der Herr das Inventar lieferte, die erstere Auffassung von Anfang an vorgeherrscht haben: der Herr ist es, der »vermittelst der Kolonen« (»per colons«) sein Grundstück wirtschaftlich »verwertet« (»exercet«). Daß den Kolonen auch Arbeitspflicht zur Aushilfe auf dem Gutshofe kontraktlich auferlegt wurde, ist quellenmäßig nicht direkt erweislich. Varro schweigt davon. Daß solche Arbeiten – in der Zeit großen Arbeitsbedarfs – vorkamen, scheint trotzdem a priori höchst naheliegend. Nach einer allerdings in dieser Interpretation bestrittenen Stelle wurden sie später, wenn sie für den Gutshof arbeiten, wie fast alle freien Arbeiter des Altertums, vom Herrn beköstigt und unterstanden der Aufsicht des Inspektors. Mit Zunahme des Großbesitzes saß also auch die Masse der freien Landbevölkerung – denn die coloni okkupieren teilweise Terrain der[247] freien Bauern – zu widerruflichem Besitz auf ihrer Scholle. Während die Rekrutierung des Heeres, wie in jeder Polis, ursprünglich ganz auf sich selbst ausrüstenden Eigenbesitzern ruhte, treten, nach Aufnahme der grundbesitzlosen »capiti censi« in das nunmehr staatlich equipierte Heer, zunehmend die coloni an deren Stelle.

Die Betriebsführung ist in republikanischer Zeit mangelhaft, namentlich infolge des typischen Absentismus der an der Politik beteiligten stadtsässigen Grundherren. Der Besitzer erscheint meist nur von Zeit zu Zeit auf dem Lande, um den Bericht des villicus entgegenzunehmen. Wie wenig er selbst (recht oft) vom Betriebe versteht, – je länger je weniger, – zeigen die Eselsbrücken, die ihm die Agrarschriftsteller bauen wollen. Die Buchführung erstreckt sich in einigermaßen sorgfältiger Art nur auf die hochwertigen Absatzprodukte, namentlich Oel und Wein Präsente Geldrente ist das einzige Ziel des Besitzes. Daher die Abneigung gegen alle weiter aussehenden Meliorationen, für welche auch eine Realkreditform fehlt. Aus dem gleichen Grunde auch die häufige Veräußerung der Wein- und Oelernte auf dem Stamme. Der Betrieb der Oel- und Weinkulturen ist arbeits-extensiv und im allgemeinen anscheinend sehr wenig sorgfältig. Der Getreidebau, dessen Technik arbeits-intensiv blieb, diente in der Hauptsache wohl naturalwirtschaftlicher Bedarfsdeckung der gutsherrlichen Oikos. Die Kolonen mögen die kleinen Lokalmärkte versorgt haben. Die Getreideversorgurg Roms war durch den staatlich kontrollierten überseeischen Import dem freien Markt in der Hauptsache: der Versorgung der Massen, fast ganz entzogen und zunehmend auf Abgaben der Untertanen, die zu Getreidespenden verwendet wurden, basiert.

Wohin auch die Verwaltung der römischen Aristokratie ihren Fuß setzte, da hat sie die Entstehung von Großgrundbesitz gefördert. Indirekt dadurch, daß die Römerherrschaft, im großen und ganzen, in den abhängigen überseeischen Gemeinden überall auf die Dauer der Oligarchie zur Herrschaft verhalf und sich auf sie politisch stützte. Direkt ferner durch die Art der Verfügung über den Boden selbst und das Bodenrecht. Obwohl dieser Punkt in dem Art. »Kolonat«40 näher zu besprechen ist, sei hier doch wenigstens einiges vorausgeschickt.

[248] Höchst bunt ist die rechtliche Natur der Besitzstände auf allem nicht im vollen Privateigentum stehenden Areal. Auf dem ager publicus pop. Rom. gab es, wie schon gesagt, vom Standpunkte des Privatrechts ursprünglich nur »possessiones«. Aber der italische ager publicus schwand infolge der Ueberführung aller Okkupation in Privatland und der Assignationen Caesars (Campanien) und der Triumvirn. Die letzten Reste (die »subseciva«) überließ Domitian den Inhabern. Der Sache nach gab es seit Caesar als öffentliches (kulturfähiges) Land in Italien nur Munizipalland, der »ager publicus« war auf die Provinzen beschränkt – Daß der zur förmlichen Pacht von öffentlichem Land Zugelassene (stets: ein im Besitz des commercium Befindlicher) possessorischen und petitorischen Schutz auch gegen Dritte genossen habe, ist mir auch bei Zeitpacht, im Gegensatz zu Mitteis, gar nicht fraglich und von Hygin bezeugt. (Das Fehlen der direkten Klage der privaten coloni hatte – s.o. – soziale Gründe. Der Staatspächter steht überall anders, rechtlich und faktisch.) Eine Uebertragung der Pacht an einen Remplacanten (vicarius) konnte mit Zustimmung der Verwaltungsbehörde stattfinden. Aber jener Gerichtsschutz kam eben nur den im römischen Rechtsverband Stehenden (Römern und Bundesgenossen) zugute, nicht den Untertanen. Diese bildeten, soweit sie auf ager publicus saßen, sei es kraft förmlicher Pachtung, sei es gegen Leistung traditioneller Abgaben, einen prekären abgabepflichtigen Besitzerstand, der sich bei Konfiskation des eroberten Landes zunächst aus den bisherigen Eigentümern des Landes rekrutierte, bis die Willkür der Zensoren oder eine Disposition über den Acker zu Kolonisationszwecken andere an die Stelle setzte. – Verschieden von der Domänenlokation, welche faktisch normalerweise nur eine Revision der de jure ablaufenden Domänenpachtkontrakte war, ist die Abgabenverpachtung, durch welche, neben anderen Leistungen auch die Abgaben der Domänenpächter an Publikanen zur Erhebung im Lizitationswege vergeben wurden. Immerhin konnte beides ineinanderfließen, wenn ein Großpächter eine Staatsdomäne zusammen mit den Abgaben von auf ihr angesessenen Parzellenpächtern (coloni) erpachtete, oder wenn er seinerseits erpachtetes Domänenland parzellenweise verafterpachtete. Aus und neben den rechtlich an die Zensusperiode gebundenen und prekären Besitzständen entwickelten sich vielfach erbpachtartige Verhältnisse,[249] namentlich, wenn es sich um Land handelte, welches der Melioration bedurfte. Für Afrika ward schon durch die lex agraria von 643 a.u.c. die Höhe des vectigal für Erbpachtland festgesetzt, und allmählich ging man dazu über, Domänen auch im großen auf 100 und mehr Jahre gegen vectigal und Erbbestandsgeld zu verpachten an mancipes, welche dann ihrerseits Afterpächter einsetzten oder selbst im großen wirtschafteten.

Im Gegensatz zu Mitteis bin ich auch jetzt noch der Meinung, daß die Großpachtungen auf ewige Dauer, welche uns, in ihrer Kombination mit Afterverpachtungen an coloni, in der Verfügung Konstantins von 319 (Cod. Inst. XI, 63, 1) so deutlich entgegentreten, bereits bei Hygin (de cond. agr. p. 116) im Keim hervortreten. Allerdings ist (vgl. England!) Pacht »auf 100 Jahre« nicht eine Umschreibung von Pacht auf ewig, wie Mitteis und Schulten glauben. Aber der ma nceps Hygins ist der offenbare Vorläufer des konstantinischen Emphyteutikars, schwerlich ein bloß zum Zweck der Anwerbung von Erbpächtern intervenierender Ansiedelungsunternehmer. In diesem Punkt scheinen mir die – hier wesentlich deduktiven, nicht quellenmäßig belegbaren – Argumente Mitteis' nicht überzeugend. Die »proximi quique possessores« sind doch keineswegs notwendig »Bauern«, so wenig wie die ägyptischen Katöken es sind. Kleine Erbpächter werden im römischen wie im griechischen Rechtsbereich, wennschon bei der ökonomischen Struktur der Römerherrschaft gegenüber der griechischen Kleinstadtpolitik wohl weniger oft, vorgekommen sein (quellenmäßig bezeugt sind sie für den Bereich des ager vectigalis nicht). Aber das charakteristisch Römische ist sicher das stetige Wachsen des Umfanges der privaten und quasi-privaten Besitzungen. Darin stimmt für die spätere Kaiserzeit auch Mitteis zu. Aber es scheint ganz unwahrscheinlich, daß die Spätrepublik, deren spezifischer Verwaltungstechnik der »manceps« angehört, es auf Vermeidung von Großpachten angelegt haben sollte.

Schon früh – wir wissen nicht: wann – entwickelten sich auch unbefristete Besitzstände auf dem öffentlichen Lande. Sie beruhen entweder auf Senatuskonsult – so das Leiherecht der erwähnten viasii vicani – und sind dann nur verwaltungsrechtlich geregelt und garantiert, oder auf lex – wie der »ager privatus vectigalisque«, das Erbpachtland, in Afrika. – Nur die kleine Minderheit des römischen Bodens also wird von dem tendenziösen Bodenrecht der Quiriten ergriffen, die große Masse der Bodenbesitzer sitzt zu höchst verschiedenartigen, meist prekären Rechten. – Dazu treten endlich die Besitzstände auf dem nicht römischen Acker (a. peregrinus). Innerhalb der latinischen Bundesgemeinschaft ist die Rechtslage des Bodens und das[250] commercium daran vertragsmäßig geregelt, beide Teile haben in bestimmter historisch wechselnder Art Anteil an dem nationalen Bodenrecht des Gegenteils. In den überseeischen Besitzungen Roms ist die volle rechtliche Autonomie und also auch der Besitz des Bodens nach eigenem Rechte einem Teile der Bundesstädte durch foedus garantiert (civ. foederatae), also unwiderruflich. Ein sehr bedeutender Teil des im überseeischen Machtgebiet liegenden Bodens blieb »ager publicus« in direkter Verfügung der Zentralbehörden in Rom. Ein (vielleicht erheblicher) Bruchteil dieses konfiszierten oder als Domäne überkommenen Landes erscheint aber den Gemeinden (als ager per extremitatem mensura comprehensus, s.o.), gegen Abführung des Tributs, vom Staat widerruflich zugewiesen. (Er ist es, dessen Widerinanspruchnahme für den Staat im 4. Jahrh. dann so heftige Besitzerschütterungen erzeugte, wie Mitteis wohl richtig an nimmt.) Dies Verhältnis konnte insbesondere auch dadurch entstehen, daß die Gemeinden – wie in Syrien schon in der Ptolemäerzeit – die Staatsabgaben des in ihr politisches Gebiet fallenden ager publicus (zuerst auf Zeit und dann dauernd) pauschaliter pachteten. Einem weiteren Teil des Bodens ist durch Gesetz, also einseitig und deshalb auch durch Gesetz – aber nicht durch Verwaltungswillkür – widerruflich, die Qualität als ager peregrinus belassen. Dahin gehören z.B. die stipendarii in Afrika, kontributionspflichtige Großgrundbesitzer, die ihr Land behalten, aber nicht nach römischem Privat- oder Domänenpachtrecht besitzen, sondern offenbar nach peregrinem Recht, und das bedeutete: unter der Möglichkeit arbiträrer Einmischung des Statthalters in die Besitzverhältnisse, wie sie für jeden unterworfenen Besitz bestand. Endlich ist einem Teil der Gemeinden – und diese heißen spezifisch »civit. stipendiariae« – der Besitz prekär durch Senatsverfügung bis auf weiteres belassen mit der Formel: habere uti frui liceat (ἡμῶν ἕνεκα ἔχειν ἐξεῖναι im SC de Thisbaeis), also ein peregriner Besitzstand auf Widerruf, regelmäßig belastet mit einer Abgabe (stipendium = chronische Kriegskostenkontribution), ohne daß das Land römischer ager publicus würde.

Die Zuständigkeit des Senats zur Verfügung über das öffentliche Land und die provinzialen Besitzstän de hat gewechselt (die Einzelheiten interessieren hier nicht), im ganzen ist sie stetig gewachsen und damit die Verfügung der römischen Oligarchie über den Boden der Welt. Die Besitzstandsmöglichkeiten sind, wie[251] schon die vorstehende Skizze ergibt, überaus zahlreiche. Festzustellen ist hier nur, daß die Mehrzahl aller Bodenbebauer im römischen orbis terrarum am Schluß der Republik zu nicht durch ein »foedus« vertragsmäßig garantiertem, also insofern zu prekärem Recht auf ihrem Boden saß. Und zwar gilt dies in einem ganz spezifischen Grade von den Bauern. Soweit sie auf konfisziertem Lande oder überkommenen Domänen, auf dem Land stipendiärer Grundherren oder Gemeinden saßen, waren sie überall in der gleichen Lage wie die »ἔθνη« der hellenistischen Epoche und die λαοί der Ptolemäerzeit: daß ihr persönlicher Status und ihre Beziehung zum Lande faktisch keinerlei Schutz gegen arbiträre Verfügungen des Statthalters und, soweit dieser nicht einschritt, der Steuerpächter genoß, – wenn es nicht gelang, eine direkte Anklage, wie gegen Verres, anhängig zu machen. Daß dazu mächtige Protektoren und viel Geld gehörte und daß die Bauern, – soviel sie auch in den Gerichtsreden figurieren, – aus eigener Kraft diesen Weg nur schwer betreten konnten, ist klar.

Für die republikanische Zeit steht denn auch außer allem Zweifel, daß nicht nur die Verwaltung eines Statthalters wie Verres, sondern auch ganz »normale« Verwaltungen in den Provinzen stets eine Abnahme der Bauernwirtschaften, eine Zunahme der mit Sklaven bewirtschafteten größeren Landkomplexe bedeutet haben (die von Cicero gegebene Statistik der Besitzer auf dem ager Leontinus ist nur ein besonders eklatanter Fall). Das komplizierte System der Abstufung der politischen und ökonomischen Rechte, auf welches die römische Republik ihre Herrschaft baute, wirkte in ähnlicher Richtung. Nur der Vollbürger z.B. war wirklich ganz freizügig. Schon der Latiner wurde aus Rom ausgewiesen (s.o.), wenn seine Gemeinde ihn, um an den staatlichen Lasten teilzunehmen, zurückverlangte. Ganz ebenso und erst recht natürlich der Bürger jeder anderen in irgendeiner der verschiedenen Formen angegliederten und unterworfenen Gemeinden. Er mag faktisch sich im Einzelfall noch so frei bewegen, rechtlich kann er jederzeit in die Heimat abgeschoben oder von dieser zurückverlangt werden. Die Konsequenzen hieraus für die Agrarverfassung zog erst die spätere Kaiserzeit. Nicht minder war commercium und connubium: die Ehefähigkeit und, was damit zusammenhing, Erbfähigkeit und Bodenbesitzfähigkeit der Bürger jeder[252] einzelnen föderierten oder abhängigen Gemeinde, durch Vertrag oder, weit häufiger, Privileg und Verfügung individuell geordnet, während andererseits der römische Amtsadel sich in den Edikten der Prätoren, wie die englische Aristokratie in der »equity« des Lordkanzlers, faktisch autonom das ihr adäquate »bonitarische« Erb-, Bodenbesitz- und Verkehrsrecht schuf, wenn nötig auf Kosten des überkommenen »Rechts der Quiriten«. Eine solche, in dieser wie in jeder anderen Hinsicht ständisch privilegierte Lage des römischen Bürgertums drückte sich naturgemäß in dessen geschäftlichen Chancen in den Provinzen (an die 100000 Italiker brachte an einem Tage die »sizilianische Vesper« des Mithridates in Asien um) und in der entsprechenden ökonomischen Abhängigkeit der Nichtprivilegierten aus. Riesenhaft schwoll, zumal in denjenigen Gebieten, deren Steuern in Rom an die Ritter verpachtet wurden, die Verschuldung. Mithridates' Erfolg beruhte – das hat u.a. Ferrero mit Recht stark betont, – vor allem auf seiner revolutionären Parole der allgemeinen Seisachthie, die hier zum letzten Mal im Altertum als soziales Programm auftritt (denn Catilina vertritt in Wahrheit verschuldete Junker), und um die sich der Mittelstand des Orients ebenso gegen Rom sammelte, wie gleichzeitig im Bundesgenossenkrieg der Mittelstand Italiens um die Parole der Teilnahme an den Privilegien des Bürgerrechtes –, eine Forderung, gegen welche jetzt namentlich auch die Bourgeoisie der Ritter im Interesse der Erhaltung ihres Ausbeutungsmonopols, speziell wohl des Monopol wertes ihres Bodenbesitzes (s.o.), sich sträubte. Der römische Amtsadel siegte schließlich, indem er mit dem italischen Mittelstand einen Frieden machte, der ihn selbst nichts kostete. Die Kosten sollte bei Sullas Restauration wesentlich die Bourgeoisie des »Ritterstandes« tragen, politisch (Wegnahme der durch Gracchus ihm ausgelieferten Gerichte) und ökonomisch (Beseitigung der durch Gracchus eingeführten Verpachtung des asiatischen Zehnten in Rom). Aber eben damit wurde auch sie dem Caesarismus in die Arme getrieben, der so zu seinem militärischen Machtinstrument auch das ökonomische erhielt.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 227-253.
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