[1] Vorbemerkung S. 1.– I. Roschers »historische Methode«. Roschers Klassifikation der Wissenschaften S. 3. Roschers Entwickelungsbegriff und die Irrationalität der Wirklichkeit S. 22. Roschers Psychologie und sein Verhältnis zur klassischen Theorie S. 30. Die Schranke des diskursiven Erkennens und die metaphysische Kausalität der Organismen bei Roscher S. 33. Roscher und das Problem der praktischen Normen und Ideale S. 38.


Das nachstehende Fragment will kein literarisches Porträt unserer Altmeister sein. Vielmehr beschränkt es sich auf den Versuch, zu zeigen, wie gewisse elementare logisch-methodische Probleme, welche im letzten Menschenalter in der Geschichtswissenschaft und in unserer Fachdisziplin zur Erörterung standen, in den Anfängen der historischen Nationalökonomie sich geltend machten1, und wie sich die ersten großen Leistungen der historischen Methode mit ihnen abzufinden versucht haben. Wenn dabei vielfach wesentlich auch deren Schwächen hervortreten, so liegt das im Wesen der Sache. Gerade sie können uns immer wieder zur Besinnung auf diejenigen allgemeinen Voraussetzungen führen, mit welchen wir an unsere wissenschaftliche Arbeit herantreten, und dies kann der alleinige Sinn solcher Untersuchungen sein, welche auf ein »künstlerisches« Gesamtbild ganz geflissentlich zugunsten breiter Zergliederung wirklich oder scheinbar selbstverständlicher Dinge verzichten müssen. –[1]

Man pflegt heute als die Begründer der »historischen Schule« Wilhelm Roscher, Karl Knies und Bruno Hildebrand zusammen zu nennen. Ohne nun der großen Bedeutung des zuletzt Genannten irgendwie zu nahe treten zu wollen, kann er doch für unsere Zwecke hier ausscheiden, obwohl gerade er, in gewissem Sinne sogar nur er, mit der heute als »historisch« bezeichneten Methode wirklich gearbeitet hat. Sein in der »Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft« niedergelegter Relativismus verwertet in den Punkten, auf die es hier ankommt, nur Gedanken, welche schon vor ihm, teils von Roscher, teils von anderen, entwickelt waren. Hingegen kann eine Darstellung der methodologischen Ansichten von Knies einer vorherigen Darlegung des methodischen Standpunktes Roschers nicht entraten. Knies' methodologisches Hauptwerk ist mindestens ebensosehr eine Auseinandersetzung mit den bis dahin erschienenen Arbeiten Roschers – dem es zugeeignet war – wie mit den Vertretern des bis auf Roscher bei uns die Universitäten beherrschenden Klassizismus, als dessen anerkanntes Haupt damals Knies' Heidelberger Vorgänger, Rau, wirkte. Wir beginnen daher mit einer Darlegung der methodischen Grundanschauungen Roschers, wie sie sich in seinem Buch über »Leben, Werk und Zeitalter des Thukydides« (1842), seinem programmatischen »Grundriß zu Vorlesungen über die Staatswirtschaft, nach geschichtlicher Methode« (1843) und seinen Aufsätzen aus den vierziger Jahren finden, und ziehen auch die ersten Auflagen des ersten Bandes seines erst nach dem Kniesschen Buche erschienenen »Systems der Volkswirtschaft« (1. Aufl. 1854, 2. Aufl. 1857), sowie seine späteren Arbeiten insoweit heran, als sie lediglich die konsequente Ausgestaltung diesjenigen Standpunktes enthalten, mit welchem Knies sich auseinanderzusetzen beabsichtigte2.[2]


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hrsg. von Johannes Winckelmann. Tübingen 61985, S. 1-3.
Lizenz: