Eingeständniß

[301] Eingeständniß. (Beredsamkeit)

Eine rhetorische Figur,1 die in Beweisen und Widerlegungen mit grossem Vortheil kann gebraucht werden. Wenn man nämlich merkt, daß dem Zuhörer noch ein Zweifel gegen das, was man bewiesen hat, übrig bleibet, der aber kann gehoben werden, so wird er desto sicherer gehoben, wenn man seine Richtigkeit, oder sein Gewicht eingesteht. Zum Beyspiel kann folgende Stelle2 dienen. »Man muß in dem Staatskörper, um das Ganze zu erhalten, den Theil, der mit einem um sich fressenden Krebsschaden angestekt ist, ganz abtrennen. Ein harter Ausspruch; ich gestehe es. Aber viel härter ist dieser: Man erhalte die Nichtswürdigen, die Bößwichte, die Gottlosen, und vertilge dadurch die unschuldigen, die guten und rechtschaffenen Bürger, die ganze Republik.«

Etwas auf diese Art eingestehen, ist im Grund nichts anders, als einen Schritt rükwerts thun, um desto weiter vorwärts zu springen. Man siehet, daß das Eingeständniß, dura vox, der Rede eine grössere Kraft giebt. Denn wenn das schon hart ist, Böse zu bestrafen, wie viel härter ist es nicht, Gute zu unterdrüken.

Wenn bey dem Eingeständniß noch ein Spott ist, so wird seine Kraft noch grösser, wie in folgendem Beyspiel. »Wir sind (wie du vorgiebst) in unsern Meinungen nur wenig, und geringer Sachen halber aus einander. Ich bin diesem gewogen, du jenem. Freylich hat die Sache weiter nichts auf sich, als daß ich für den D. Brutus, du für den M. Antonius redetest.«3

Torquatus, der Ankläger des P. Sylla, hatte dessen Vertheidiger dem Cicero vorgeworfen, daß er herrschsüchtig sey, und hat ihm so gar den verhaßten Namen eines Königs gegeben. Cicero zeigt die [301] Ungereimtheit dieser Verläumdung, und schließt mit folgendem Eingeständniß. »Künftig also wirst du mich weder einen Fremdling noch einen König nennen – – Es sey denn, daß dir dieses königlich scheine, wenn man nicht nur keinen Menschen, sondern auch so gar keine Begierde über sich will herrschen lassen; wenn man über alle Lüste weg ist; und weder Geld, noch Güter, noch andre Dinge dieser Art vermißt: wenn man im Senat seine Meinung frey sagt; den Nutzen des ganzen Volks seinen Neigungen vorzieht, keinem Menschen aus Schwachheit nachgiebt, und sich sehr vielen widersetzt – Wenn du das für königlich hälst; denn gebe ich mich für einen König aus.«4

1Concessio.
2In reip corpore, ut totum salvum sit, quicquid est pestiferum amputetur. Dura vox. Multo ilia durior: Salvi sint improbi, scelerati, impii: deleantur innocentes, honesti, boni, tota respublica. Cic. Philip. VIII. c. 5.
3Parva anim mihi tecum, aut de parva re dissensio. Ego huic videlicet faveo, tu illi. Immo vero ego D. Bruto faveo, tu M. Antonio. Cic. in derselben Rede.
4Neque peregrinum post hæc me dixeris neque regem. Nisi forte regium tibi videtur ita vivere, ut non modo homini nemini, sed ne cupiditati ulli servias, contemnere omnes libidines, non auri, non argenti non cæterarum rerum indigere: in senatu sentire libere, populi utilitati magis consulere quam voluntati, nemini cedere, multis obsistere. Si hoc putes esse regium, me regem esse confiteor. Or. pro P. Sylla.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 301-302.
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