Astarte

Fig. 38: Astarte
Fig. 38: Astarte
Fig. 39: Astarte
Fig. 39: Astarte

[74] Astarte, (Phön. M.), bei den griechischen und römischen Schriftstellern Name derselben phönicischen Göttin, die im Alten Testament unter den gleichbedeutenden Benennungen Ascherah, Astaroth, Astoreth, oft erwähnt wird, ohne dass uns dadurch eine nähere Einsicht in ihren Begriff oder in die Form ihrer Verehrung verschafft würde. Da die griechischen und römischen Quellen über den Dienst dieser Göttin äusserst spärlich fliessen, überdiess einander in Einzelheiten vielfach widersprechen, von ächt phönicischen Nachrichten über sie aber lediglich Nichts auf uns gekommen ist, so ist es nicht zu verwundern, dass wir mit Sicherheit von ihr Nichts weiter wissen, als dass sie eine der zahlreichen Gestalten ist, unter denen das allen vorderasiatischen Völkern gemeinsame weibliche Natur- oder Welt-Princip zur Erscheinung kommt, dass sie folglich in ihrem letzten Grunde Eins und dasselbe ist mit der ägyptischen Isis, der babylonischen Mylitta, der arabischen Alitta, der armenisch-cappadocischen Anaïtis, der phrygischen Cybele, der persischen Mitra. So wie allen diesen weiblichen oder mütterlichen Göttinnen eine männliche Gottheit als Ergänzung zur Seite steht, mit welcher[74] zusammen sie die Gesammtheit der von diesen Völkern persönlich gefassten Naturkräfte darstellen, so bat auch A. ihre männliche Hälfte als Moloch, Molech, Melkart, neben sich, aus welchem, da er auch Adon (Herr) hiess, die Griechen ihren Adonis gemacht haben. Eben damit ist gesagt, dass sie auch in A. ihre Aphrodite (Venus) erkennen mussten, wenn nicht vielmehr anzunehmen ist, dass Aphrodite selbst nur von den Phöniciern zu den Griechen gekommen ist, die dann nur in Folge ihres ganz selbstständigen Zuges zu einem reichern, freiern, individueller belebten Polytheismus einerseits den weitumfassenden Begriff auf eine engere Gränze beschränkten, indem sie ihre Aphrodite ausschliesslich als Ideal weiblichen Liebreizes fassten, andererseits die so gewonnene Göttin mit einer reichen Sagen-Geschichte ausstatteten, und künstlerisch als die reine Vollendung der weiblichen Schönheit darstellten. - A. ist sowohl Himmelskönigin, Mondgöttin, neben Molech, Melkart, der Sonne, als auch Mutter alles Lebens auf der Erde, wie im Wasser; denn, was das Letztere betrifft, so war sie nach bedeutenden Spuren auch Fischgöttin, und dann Eins mit Atergatis. - Unter dem unbestimmten Namen der syrischen Göttin führen die Griechen ein Wesen an, das zu Mabog (Bambyce, Hierapolis) in Syrien ganz besonders verehrt wurde, und nothwendig entweder A. oder Atergatis sein muss, welche beide am Ende doch wieder Eins sind. Von dem Dienste dieser Göttin erfahren wir Folgendes: Ihre orgiastischen Feste wurden von verschnittenen Priestern geleitet (gerade wie die der Cybele). Unter Trommelschlag, Flötenton, Aufführung wilder Tänze, geisselten sich die Andächtigen gegenseitig blutig, ja legten selbst in der Ausschweifung festlicher Tollheit, vor den Augen des Volkes Hand an ihren eigenen Leib und beraubten sich der Mannheit. Mehr als 300 Priester waren bei einem Opfer beschäftigt. Sie hatten weisse Kleider an und Hüte gegen die Sonne auf ihren Köpfen. An ihrer Spitze stand ein Oberpriester, der seine Würde ein Jahr lang behielt, und durch Purpurkleid und Tiare äusserlich kenntlich war. Der Zufluss vieler Fremden brachte dem Tempel ausserordentlichen Reichthum. Die Bildsäule der Göttin hält in der einen Hand einen Scepter, in der andern einen Spinnrocken; auf dem Haupte trägt sie einen Thurm und ist mit Strahlen umgeben. Auch ist sie mit einem Gürtel geschmückt, welcher sonst der Venus Urania ausschliesslich eigen ist. - Dass A. in die mächtigste phönicische Pflanzstadt, Carthago, als höchste weibliche Gottheit überging, ist sehr natürlich; ebenso, dass die Römer, als sie mit den Carthagern in Berührung kamen, sie nur von der Seite ihrer göttlichen Herrlichkeit auffassend, sie durchaus nur die carthagische Juno nannten. Von unsern Bildern stellt das erste die tyrische, das andere die carthagische A. vor.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 74-75.
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