Bramanen

[112] Bramanen, Braminen, die vornehmste unter den vier edeln Kasten der Indier, die Priesterkaste, welche aus dem Haupte Brama's entsprang. Sie stehen in so hohem Ansehen, dass sie fast für alle Verbrechen straflos ausgehen; die höchste Strafe, die sie treffen kann, ist Landesverweisung ohne Einziehung der Güter. Einen B. zu tödten, ist etwas so Unerhörtes, dass kein Gesetz über eine solche That existirt. Der unwissendste B. ist eine mächtige, fast dämonische Gewalt, von seiner Geburt an ist er selbst für die Götter im Himmel ein Gegenstand höchster Verehrung; die Menschen vollends haben ihn nur anzubeten und in Demuth zu befolgen, was er befiehlt. Der König, welcher eines B. unrechtmässig erworbene Güter einziehen wollte, würde sogleich verflucht und mit Allem, was ihn umgibt, in's Verderben gestürzt werden. Ihr Geschäft ist: die heiligen Bücher lesen und erklären, Almosen geben, wenn sie reich, nehmen, wenn sie arm sind, Opfer verrichten und Andern beim Opfer beistehen. Sie leben gewöhnlich in der höchsten Ueppigkeit, sind unumschränkte Herren aller Einkünfte der Pagoden, besitzen (angeblich Dienerinnen der Götter) ganze Schaaren der schönsten Tänzerinnen, welche sie vom neunten Jahre an in ihre Tempel aufnehmen, unterrichten lassen, und in ihrem sechzehnten Jahre wieder entlassen, um sie durch neue ersetzt zu sehen. Von ihren Nahrungsmitteln ist alles Fleisch ausgeschlossen. Das Alterthum beschreibt die B. als heilige, einem beschaulichen Leben sich widmende Einsiedler; die Neueren sind von diesen höchst verschieden, und Alles, was sie glauben thun zu müssen, ist, dass sie die Vedas fleissig lesen, und die Schüler darin unterrichten. Die Kaste der B. zerfällt, nach ihrem Lebensalter, in vier Abtheilungen: bis zum zwölften Jahre sind sie Schüler, Bramakiari, dann treten sie in den Ehestand und in das bürgerliche Leben, treiben neben ihrer Priesterschaft bürgerliche Geschäfte, und heissen bis zum 45sten Jahre Grahasta; dann ziehen sie sich gewöhnlich von dem bürgerlichen Treiben zurück, wohnen mit ihren Familien abgesondert und heissen dann Einsiedler (Wunaprasta), bis sie nach dem 72sten Jahre zu Heiligen (Bhikschu, Sanyassi, Jogi) werden. Die Glaubensbekenntnisse der B. weichen sehr von einander ab: sie zerfallen in acht Secten, wovon diejenige, der sie alle ihren Namen danken, und welche Brama als das höchste Wesen verehrt (Bramabhakter), die am mindesten zahlreiche ist. Eine zweite verehrt Wischnu (Wischnubhakter), eine dritte Schiwa (Schiwabhakter) als höchstes Wesen, und von einer vierten (Smarta) wird Wischnu und Schiwa als Eins angesehen; eine fünfte Secte nennt sich Paschandis, und würde bei uns zu den Atheisten gezählt werden; die sechste verehrt als höchste Offenbarung der Gottheit die Göttin Bhawani oder Schakti, und ihre Bekenner nennen sich nach derselben Schaktis; die siebente nimmt zwar eine Gottheit, den Sarwagnia, an, jedoch als machtlos, und lässt die Erde ohne Einfluss derselben, durch die einmal vorhandenen göttlichen und menschlichen Gesetze, sonst aber durch den Zufall regieren; die achte ist die Secte der Buddhaisten, welche sich besonders auf Ceylon findet und Buddha als höchste Gottheit betrachtet.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 112.
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