Erichthonius

[191] Erichthonius (Gr. M.). In den ältesten Sagen gibt es nur einen Erechtheus, Sohn der Erde, König von Athen, dessen Name bei Manchen auch Erichthonius lautet. Als die Züge der mythischen Geschichte dieses Helden allmälig so manchfaltig wurden, dass man Widersprüche zwischen denselben wahrnahm, suchten Einige dadurch zu helfen, dass sie Erechtheus und E. als verschiedene Personen von einander trennten, Andere dadurch, das sie einen ersten und einen zweiten Erechtheus annahmen. Nach dieser späteren Gestaltung der Sagen ist

1) E. oder der erste Erechtheus ein Sohn des Vulcan, durch unvollkommene Zeugung entstanden. Vulcan hatte für Juno einen goldenen Stuhl gemacht, von welchem sie nicht aufstehen konnte, um sie für die Herzlosigkeit zu strafen, mit welcher sie ihn, seiner Hässlichkeit wegen, vom Himmel geworfen. Jupiter hatte sich des Schwankes so gefreut, dass er dem Vulcan erlaubte, sich eine Gnade zu erbitten, und er bat um die Hand der schönen und erhabenen Minerva. Die Bitte war zwar kühn, doch ward sie gewährt, weil der Gott selbst seinem Vater Jupiter beigestanden, als Minerva aus dessen Haupte geboren wurde. So sandte er die Tochter zu Vulcan, und nun entspann sich zwischen dem lüsternen Schmiedegott und der jungfräulichen Göttin ein Kampf, bei welchem jener die Erde befruchtete; erröthend schob Minerva mit dem Fusse Staub darüber, und entwand sich seinen Armen, doch nahm sie sich des auf diese sonderbare Art entstandenen Kindes an, barg dasselbe in einem Kästchen, und gab es den Töchtern des Cecrops in Verwahrung, jedoch mit dem ernsten Bedeuten, dasselbe nicht zu öffnen. Pandrosos kam dem Gebot nach, Herso und Aglauros aber konnten der Neugier nicht widerstehen, und siehe, es lag eine Schlange darin. Durch die treue Pandrosos erfuhr Minerva, was geschehen; sie machte die Mädchen wahnsinnig, so dass sie sich von der Höhe der Acropolis zu Athen, wo ihr Vater König war, herabstürzten, und zerschmettert auf den Felsen ihren Tod fanden; indessen erzog Minerva den Knaben, der unter der Schlange (nur zu seinem Schutz vorhanden) verborgen gelegen, in ihrem Tempel; dankbar errichtete er seiner Pflegerin einen Tempel auf der Acropolis, und führte ihr zu Ehren die Panathenäen ein. Er ward dann Beherrscher von Athen, indem er den Amphictyon vertrieb, und vermählte sich mit der Najade Pasithea, welche ihm den Pandion gebar. Dieser zeugte nun mit Zeuxippe den zweiten Erechtheus, den Butes, die Procne und die Philomele. Erechtheus II. wurde nach seines Vaters Tode gleichfalls König von Athen, und zeugte mit Praxithea Cecrops II., Pandorus, Metion, Orneus, Procris, Creusa, Chthonia, Orithyia. Seine Töchter hatten sich das Wort gegeben, alle zusammen zu sterben, wenn eine von ihnen sterben müsse. Als nun Erechtheus auf Befehl eines Orakels, um im Kriege gegen die Eleusinier siegen zu können, eine seiner Töchter als Opfer schlachtete, entleibten sich die andern Schwestern. Erechtheus aber wurde auf Bitten Neptuns von Jupiter mit dem Blitze erschlagen.

2) E., ein Stammheld der Trojaner, Sohn des Dardanus und der Batea (Tochter Teucers), durch welche Dardanus das Reich erhielt; als sein Bruder Ilus kinderlos starb, erbte er das Reich, vermählte sich mit Astyoche[191] Tochter des Simoïs, welche ihm den Tros (oder Assaracus) gebar, und ward berühmt durch seinen Reichthum.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 191-192.
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