Höffding, Harald

[274] Höffding, Harald, geb. 1843, Prof. in Kopenhagen.

H. ist teils von Kant und Schopenhauer, teils vom englischen Positivismus und Evolutionismus beeinflußt. Seine (viel gebrauchte) Psychologie steht zwischen Assoziations- und Apperzeptionspsychologie in der Mitte und hat einen voluntaristischen Charakter. Den Elementen des Bewußtseins geht der »Totalitätszusammenhang« voraus und die Synthese gehört zum Wesen des Bewußtseins, in welchem das Streben nach Einheit auch für die Erkenntnis von Bedeutung ist. Neben der Assoziation ist die Aktivität des Bewußtseins zu beachten, welche im Denken und Wollen zum Ausdruck kommt. Gefühl und Trieb sind auch in der Assoziation wirksam. Das direkte Wiedererkennen beruht auf einer »Bekanntheitsqualität« infolge psychophysischer Dispositionen. »Das Wiedererkennen (und die Bekanntheitsqualität) entsprechen der Leichtigkeit, mit welcher vermöge der Disposition des Gehirns die Umlagerung bei Wiederholung des Eindrucks geschieht«. Der Wille ist die »fundamentalste Form des Bewußtseinslebens«, die synthetische Kraft, die Aktivität desselben; er ist primär, unableitbar, indem ein Drang nach Bewegung schon aller Wahrnehmung vorausgeht. Der Wille ist nicht Gegenstand der Beobachtung, da er sich als Voraussetzung über das ganze Bewußtseinsleben erstreckt. Die Aufmerksamkeit ist durch Interesse und Willen bedingt, das Denken eine aktive Willensfunktion. Das Bewußtsein enthält eine »zentrale Richtung«, ein Wählen gemäß dem Wesen des Ichs.

Betreffs des Verhältnisses von Leib und Seele vertritt H. die Identitätstheorie und den Parallelismus. Die Identitätslehre ist nach H. eine Arbeitshypothese. Jede Reihe des Geschehens ist so vollständig und kontinuierlich wie möglich zu untersuchen. Psychisches und Physisches gehen einander als zwei Äußerungsformen eines und desselben Wesens parallel. Die physische Kausalkette ist lückenlos, nirgends wird das Energieprinzip durchbrochen; das Psychische ist mit dem Physischen gleichzeitig.

Es gibt nach H. vier philosophische Hauptprobleme: I. das psychologische Problem von der Natur des Bewußtseinslebens; II. das Problem von der Gültigkeit der Erkenntnis; III. das Problem von der Natur des Daseins; IV. das Wertungsproblem. Voraussetzung des Erkennens ist die synthetische Tätigkeit des Bewußtseins, die Quelle der Kategorien. Erste Kategorie ist die Synthese selbst, zweite die Relation. Gefunden werden die Kategorien durch »Analyse der Formen, in welchen sich der Gedanke unwillkürlich in Wechselwirkung mit dem Gegebenen und den von diesen gestellten Aufgaben bringt« (Annalen der Naturphilos. 1898). Das Kontinuitätsprinzip (Streben nach einheitlichem Zusammenhang) kommt im Kausalprinzip zum Ausdruck, welches insofern apriorisch ist. Die Gesetze des Denkens nötigen zur Annahme eines Ding an sich, welches wir aber nur so erkennen, wie es für uns ist. Der Widerstand, den wir seitens der Dinge erleben, bedingt die Setzung von Objekten, die erst durch das Denken ihre Bestimmtheit erhält.

Jedem Gefühle entspricht ein Wert, d.h. etwas, was Befriedigung herbeiführt oder einem Bedürfnis abhilft; die Rangfolge der Werte bemißt sich nach einem Grundwerte. Das Lebensgefühl, das intellektuelle, das ästhetische und das ethische Gefühl bekunden verschiedene Arten von Werten. Die Ethik[274] H.s ist evolutionistisch, teleologisch, stark sozial. Die Ethik hat zwei Aufgaben: erstens die historisch-vergleichende, zweitens die philosophische der Wertschätzung auf Grundlage der biologisch-psychologisch-sozialen Natur des Menschen. Das ethische Gesetz entsteht, wenn die Lebensbedingungen des umfassenderen Ganzen in bestimmten Gedanken formuliert werden. Möglichste Wohlfahrt und möglichster Fortschritt der Gesellschaft (als Mittel zur Entwicklung der Individuen) ist anzustreben (Sozialeudämonismus). Die Sympathiegefühle, welche den Ausgang der Moral bilden, sind ebenso ursprünglich wie der Egoismus; auch ist das Gesetz der »Motivverschiebung« von Bedeutung für die Entwicklung des Geistes und der Sittlichkeit. – Der Kern der Religion ist »der Glaube an die Erhaltung des Wertes«. Der religiöse Glaube ist die Überzeugung von einer Festigkeit, einer Zuverlässigkeit, einem ununterbrochenen Zusammenhange in dem Grundverhältnisse des Wertes zur Wirklichkeit. Die religiösen Gefühle sind durch das Schicksal der Werte im Kampf ums Dasein bestimmt. Ein »kosmisches Lebensgefühl« besteht.

SCHRIFTEN: Die Grundlag. d. humanen Ethik, 1880. – Einleit. in d. englische Philos., 1889. – Psychologie, deutsch 2. A. 1893, 4. A. 1908. – Ethische Prinzipienlehren, 1896. – Geschichte der neueren Philosophie, 1895-96. – Ethik, 2. A. 1901. – Religionsphilosophie, 1902. – Philosophische Probleme, 1903. – Moderne Philosophen, 1905. – Lehrb. d. Gesch. d. neueren Philos., 1907. – Arbeiten über Spinoza (1877), Darwin (1889), Kierkegaard (Frommans Klassiker der Philos.). – Abhandlungen: Über Wiedererkennen, Assoziation u. psychische Aktivität, Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. Bd. 13-14, 1889-90. – Über das Wiedererkennen, Philos. Studien VIII. – Le concept de la volonté, Rev. de mét. et de morale, 1904, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 274-275.
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