Humboldt, Wilhelm von

[281] Humboldt, Wilhelm von, 1767-1835, der berühmte Sprachforscher und Staatsmann, kommt in mancherlei Hinsicht für die Geschichte der Philosophie in Betracht. Zuerst im Bildungskreise der Aufklärung (Engel, Nicolai u. a.) aufgewachsen, wurde er später mächtig durch Herder, Kant, Schiller, Goethe, Fichte u. a. beeinflußt und trat als Verkünder einer humanistischen Weltanschauung auf. In seiner Jugendschrift: »Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«, 1792 (auch in der Universalbibliothek) verficht H. die individualistische Auffassung des Staates, der den Bürger nicht (auch glicht zu dessem Wohle) zu bevormunden, sondern nur rechtlich zu schützen hat.

Die Sprache ist nach H. der Ausdruck des Geistes selbst und in ihrer Entwicklung von der Geistesentwicklung abhängig. Sie ist kein fertiges, starres Gebilde, sondern Prozeß, Wirksamkeit; sie ist das Organ des Geistes, des Gedankens, die Arbeit des Geistes, den Laut zum Ausdruck des Gedankens geeignet zu machen. Entstanden ist die Sprache aus der Natur des Menschen, als organischer Ausdruck derselben, als bedürfnisgemäßes Produkt. Die Poesie geht der Prosa voran; der Mensch ist ein singendes Geschöpf, aber er verbindet mit den Tönen Gedanken. Die Wörter sind ursprünglich nicht selbständig. Das Sprechen ist ein Anknüpfen des Empfundenen an die gemeinsame Natur der Menschheit, die jedem innewohnt; die Sprache verbindet also Individuum und Gesamtheit. Sie ist ein Ausdruck des Volksgeistes und zugleich eine »Weltansicht«. Es gibt auch eine innere »Sprachform«. – Die Ideen sind Formen von relativer Immaterialität; sie wirken als Kräfte in den Individuen und gehen zugleich von einer »Weltregierung« aus, als historische Richtkräfte fungierend. Das Genie ist etwas Irrationales, es ist ein Mensch, in dem sich eine Idee geltend macht. Die Richtung der Geschichte, deren Ziel die Humanität ist, wird durch die großen Individuen, welche die Zukunft antizipieren, beeinflußt. Die ästhetische Harmonie des Sinnlichen und Geistigen im Menschen, die Idealisierung der Natur im Sinne ihrer Übereinstimmung mit dem Geiste, die Entfaltung edler und voller Menschlichkeit – das ist der Kern des von H. vertretenen Humanismus.

SCHRIFTEN: Über das vergleichende Sprachstudium, 1820. – Über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluß auf die Ideenentwicklung, 1825. –[281] Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues (auch als Einleitung zu dem Werk über die Kawisprache), 1836, u. a. – Sprachphilos. Werke, 1883. – Gesammelte Werke, 7 Bde., 1841 ff. – Gesammelte Schriften, 1903 ff. – Vgl. STEINTHAL, Die Sprachwissenschaft H.s, 1848. – HAYM, W. v. H., 1856. – E. SPRANGER, W, v. H. und die Humanitätsidee, 1909. – J. SCHUBERT. W. v. H.s ausgewählte philos. Schriften, 1910 (Philos. Bibl.).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 281-282.
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