Reid, Thomas

[585] Reid, Thomas, geb. 1710 in Strachan (Schottland), studierte Theologie, war eine Zeitlang Pfarrer, 1752-63 Prof. in Aberdeen, 1763-87 in Glasgow, gest. 1796.

R. ist der Hauptvertreter der »Schottischen Schule«. Von Locke, Berkeley und Hume in manchem beeinflußt, bekämpft er den Empirismus des ersteren, den Immaterialismus (Idealismus) des zweiten und den Skeptizismus des dritten und stellt dem allen ein System des theoretisch-praktischen Intuitionismus gegenüber, dem gemäß durch innere Erfahrung das Allgemeingültige und Denknotwendige, wie es sich schon im gesunden Menschenverstand, im »Common sense« findet, aufgesucht wird. Damit verbindet R. und die schottische Schule überhaupt eine »Vermögenspsychologie« nebst einer Analyse der inneren Erfahrung.

Gemäß dem rationalistischen Intuitionismus R.s gibt es allgemeingültige Prinzipien des gesunden Menschenverstandes (»principles of common sense«), die den Wert sicherer Axiome, selbst-evidenter Wahrheiten (»self-evident, truths«) haben, die also feste Grundlagen alles Erkennens und Handelns, nicht aus der Erfahrung abzuleiten und auch nicht zu bezweifeln sind. Diese Wahrheiten sind unbeweisbar, bedürfen keines Beweises, leuchten allgemein und unmittelbar ein, sind streng notwendig, ihr Gegenteil ist undenkbar. Daß sie nicht aus der Erfahrung stammen, begründet R. (wie später Kant) durch den Hinweis darauf, daß die Erfahrung uns nicht sagt, was notwendig ist (»experience informs us only of what is, or has been, not of what must be«). Auf ersten Prinzipien (»first principles«) beruht alles Denken. Die Gültigkeit dieser Grundsätze hat ihren Grund darin, daß wir kraft unserer »Natur« genötigt sind, sie anzuerkennen, ihnen Glauben (»belief«) zu schenken (»that, by the constitution of our nature, we are under a necessity of assenting to them«).[585]

Zweierlei (theoretische) Prinzipien unterscheidet R.: 1. Axiome der notwendigen Wahrheiten, d.h. metaphysische, mathematische, logische, ethische, ästhetische Axiome. Metaphysische Prinzipien sind der Satz der (materiellen und immateriellen) Substanz (»that the qualities which we perceive by our senses must have a subject, which we call body, and that the thoughts we are conscious of, must have a subject, which we call mind«) und der Satz der Kausalität (»that whatever begins to exist, must have a cause which produced it«). 2. Axiome der zufälligen (kontingenten) oder Tatsachen-Wahrheiten. Zu diesen (zwölf) Prinzipien gehört der Satz, daß ich existiere, da ich denke, daß das Erinnerte wirklich war, daß die Gegenstände der Wahrnehmung existieren, daß wir über unsere Handlungen eine gewisse Macht haben, usw. Endlich gibt es praktisch-sittliche Axiome.

Die Ansicht (Lockes u. a.), daß uns nicht die Dinge selbst, sondern nur deren Vorstellungen gegeben seien (das »ideal system«), bekämpft R. Die Dinge nehmen wir unmittelbar wahr, wir sind von ihrer Existenz unmittelbar überzeugt; die Wahrnehmung enthält schon ein (Existential-)Urteil, einen »Glauben« (belief). Unsere Wahrnehmungen sind auf Gegenstände außer uns gerichtet (»perceptions have always an external object«). Wir beziehen unmittelbar unsere Sinnesempfindungen auf die (primären) Qualitäten der Dinge, als Wirkungen dieser, wobei die Empfindungen Zeichen der objektiven Qualitäten sind. Die Seele ist nach R. immateriell; ihre Vermögen (»powers«) sind Verstandes- und Willensfähigkeiten.

SCHRIFTEN: Inquiry into the Human Mind, 1764; deutsch 1782. – On the intellectual Powers of Man, 1785. – On the Active Powers of Man, 1788 (beide zusammen unter dem Titel: Essay on the Powers of the Human Mind). – Works, 1804, 1827, 1863, 1828-36 (franz. hrsg. von Royer-Collard).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 585-586.
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