III

[113] Als es sich um die Verwandlung der Ersten Kammer in das Herrenhaus handelte, erhielt ich folgende, vom 20. April 1853 [1852] datirte Mittheilung Manteuffel's:

»Bunsen hetzt den König immer mehr in die Pairie hinein. Er behauptet, die größten Staatsmänner in England glaubten, daß in wenigen Jahren der Continent in zwei Theile zerfallen würde: a) protestantische Staaten mit constitutionellem System, getragen von den Säulen der Pairie, b) katholisch-jesuitisch-demokratisch-absolutistische Staaten. In die letzte Kategorie stellt er Oesterreich, Frankreich und Rußland. Ich halte das für ganz falsch. Solche Kategorien gibt es gar nicht. Jeder Staat hat seinen eignen Entwicklungsgang. Friedrich Wilhelm I. war weder katholisch noch demokratisch, und doch absolut. Aber dergleichen Dinge machen großen Eindruck auf S.M. Das constitutionelle System, welches die Majoritäten-Herrschaft proklamirt, halte ich für nichts weniger als protestantisch.«


»Charlottenburg, 21. April 1852


Ich erinnere Sie daran, theuerster Bismarck, daß ich auf Sie und Ihre Hülfe zähle bey der nahen Verhandlung in IIr Kammer über die Gestaltung der Ersten. Ich thue dies um so mehr, als ich leider aus allersicherster Quelle Kenntniß von den schmutzigen Intriguen habe, die in bewußtem (?) oder unbewußtem (?) Verein reudiger [113] Schafe aus der Rechten und stänkriger Böcke aus der Linken angestellt werden, um meine Absichten zu zerstöhren. Es ist dies ein trauriger Anblick unter allen Verhältnissen, einer ›zum Haar Ausraufen‹ aber auf dem Felde der theuer angeschafften Lügenmaschine des französischen Constituzionalismus. Gott bessr' es! Amen.

Friedrich Wilhelm.«


Ich schrieb dem General Gerlach, ich sei eins der jüngsten Mitglieder unter diesen Leuten. Wenn ich die Wünsche Sr. Majestät früher gekannt hätte, hätte ich vielleicht einen Einfluß gewinnen können; aber der Befehl des Königs, von mir in Berlin ausgeführt und in der conservativen Partei beider Häuser vertreten, würde meine parlamentarische Stellung, die für den König und seine Regierung in andern Fragen von Nutzen sein könnte, zerstören, wenn ich rein als königlicher Beauftragter, ohne eigne Gedanken zu vertreten, meinen Einfluß in der kurzen Frist von zwei Tagen verwerthen sollte. Ich fragte daher an, ob ich nicht den vom Könige erhaltnen Auftrag, mit dem Prinzen von Augustenburg zu verhandeln, als Grund für mein Wegbleiben von dem Landtage geltend machen dürfte. Ich erhielt durch den Telegraphen die Antwort, mich auf das Augustenburger Geschäft nicht zu berufen, sondern sofort nach Berlin zu kommen, reiste also ab. Inzwischen war in Berlin auf Betrieb der conservativen Partei ein Beschluß gefaßt worden, welcher den Absichten des Königs zuwiderlief, und der von Sr. Majestät unternommene Feldzug schien damit verloren zu sein. Als ich mich bei dem General von Gerlach in dem Flügel des Charlottenburger Schlosses neben der Wache meldete, vernahm ich, daß der König ungehalten über mich sei, weil ich nicht sofort abgereist sei; wenn ich gleich erschienen wäre, so würde ich den Beschluß haben verhindern können. Gerlach ging, um mich zu melden, zum Könige und kam nach ziemlich langer Zeit zurück mit der Antwort: Se. Majestät wolle mich nicht sehen, ich solle aber warten. Dieser in sich widersprechende Bescheid ist charakteristisch für den König; er zürnte mir und wollte das durch Versagung der Audienz zu erkennen geben, aber doch auch zugleich die Wiederannahme zu Gnaden in kurzer Frist sicher stellen. Es war das eine Art von Erziehungsmethode, wie man in der Schule gelegentlich aus der Klasse gewiesen, aber wieder hineingelassen wurde. Ich war gewissermaßen im Charlottenburger Schlosse internirt, welcher Zustand mir durch ein gutes und elegant servirtes[114] Frühstück erleichtert wurde. Die Einrichtung des Königlichen Haushalts außerhalb Berlins, vorzugsweise in Potsdam und Charlottenburg, war die eines Grand Seigneur auf dem Lande. Man wurde bei jeder Anwesenheit zu den üblichen Zeiten nach Bedarf verpflegt, und wenn man zwischen diesen Zeiten einen Wunsch hatte, auch dann. Die Wirtschaftsführung war allerdings nicht auf russischem Fuße, aber doch durchaus vornehm und reichlich nach unsern Begriffen, ohne in Verschwendung auszuarten.

Nach etwa einer Stunde wurde ich durch den Adjutanten vom Dienst zum Könige berufen und etwas kühler als sonst, aber doch nicht so ungnädig empfangen, wie ich befürchtet hatte. Se. Majestät hatte erwartet, daß ich auf die erste Anregung erscheinen würde, und darauf gerechnet, daß ich im Stande sein würde, in den 24 Stunden bis zur Abstimmung die conservative Fraction wie auf militärisches Commando Kehrt machen und in des Königs Richtung einschwenken zu lassen. Ich setzte auseinander, daß damit mein Einfluß auf die Fraktion über- und die Unabhängigkeit derselben unterschätzt werde. Ich hätte in dieser Frage persönlich keine Ueberzeugung, die der des Königs entgegenstände, und sei bereit, die letztere bei meinen Fraktionsgenossen zu vertreten, wenn er mir Zeit dazu lassen wolle und geneigt sei, seine Wünsche in neuer Gestalt nochmals geltend zu machen. Der König, sichtlich versöhnt, ging darauf ein und entließ mich mit dem Auftrage, Propaganda für seinen Plan zu machen. Letzteres geschah mit mehr Erfolg, als ich selbst erwartet hatte; der Widerspruch gegen die Umgestaltung der Körperschaft hatte nur die Führer der Fraktion zu Trägern, und seine Nachhaltigkeit beruhte nicht auf Ueberzeugung der Gesammtheit, sondern auf der Autorität, welche in jeder Fraktion die anerkannten Leiter zu haben pflegen – und nicht mit Unrecht, da sie in der Regel die besten Redner und gewöhnlich die einzigen arbeitsamen Geschäftsleute sind und den Uebrigen die Mühe abnehmen, die vorkommenden Fragen zu studiren. Ein Opponent in der Fraktion, der nicht das gleiche Ansehn hat, wird von dem Fraktionsführer, welcher gewöhnlich der schlagfertigere Redner ist, sehr leicht in einer Weise abgeführt, welche ihm für die Zukunft die Lust zur Auflehnung benimmt, wenn er nicht mit einem Mangel an Schüchternheit begabt ist, der bei uns gerade in den Klassen, denen die Conservativen meistens angehören, nicht häufig ist.

Ich fand unsere damals zahlreiche, ich glaube über 100 Köpfe starke Fraktion unter dem Banne der von den Führern festgelegten politischen Sätze. Ich selbst hatte mich, seit ich mich in Frankfurt auf[115] der Defensive gegen Oesterreich, also auf einem von der Fraktionsleitung nicht gebilligten Wege befand, von derselben einigermaßen emancipirt, und obschon in dieser Frage unser Verhältniß zu Oesterreich nicht im Spiele war, so hatte die Meinungsverschiedenheit über dieses Verhältniß meinen Glauben an die Fraktionsleitung überhaupt erschüttert. Indessen überraschte mich doch die sofortige Wirkung, welche mein Plaidoyer nicht sowohl für die vorliegende Auffassung des Königs als für das Zusammenhalten mit ihm hatte. Die Fraktionsleitung blieb bei der Abstimmung isolirt; fast die gesammte Fraktion war bereit, dem Könige auf seinem Wege zu folgen.

Wenn ich heut auf diese Vorgänge zurückblicke, so scheint es mir, daß die drei oder sechs Führer, gegen welche ich die conservative Fraktion aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht hatten. Die Erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche einer solchen im constitutionellen Leben zufallen, befähigter als das heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines Ansehens, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat. Das letztere hat zu einer hervorragenden politischen Leistung nur in der Confliktszeit Gelegenheit gehabt und sich damals durch die furchtlose Treue, mit welcher es zur Monarchie stand, auf dem defensiven Gebiete der Aufgabe eines Oberhauses völlig gewachsen gezeigt. Es ist wahrscheinlich, daß es in kritischen Lagen der Monarchie dieselbe tapfere Festigkeit beweisen wird. Ob dasselbe aber für Verhütung solcher Krisen in den scheinbar friedlichen Zeiten, in welchen sie sich vorbereiten können, denselben Einfluß ausüben wird, wie jene Erste Kammer gethan hat, ist mir zweifelhaft. Es verräth einen Fehler in der Constitution, wenn ein Oberhaus in der Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regierungspolitik oder selbst der königlichen Politik wird. Nach der preußischen Verfassung hat der König mit seiner Regierung an und für sich einen gleichwerthigen Antheil an der Gesetzgebung wie jedes der beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, sondern die ganze vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Gesetzgebung faktisch und die Ausführung der Gesetze auch rechtlich der Krone zufällt. Das Königthum ist, wenn es sich seiner Stärke bewußt ist und den Muth hat, dieselbe anzuwenden, mächtig genug für eine verfassungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorsamen Herrenhauses als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herrenhaus in der Confliktszeit sich für die ihm zugehenden Etatsgesetze die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses angeeignet[116] hätte, so wäre immer, um ein Etatsgesetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen, die Zustimmung des dritten Faktors, des Königs, unentbehrlich gewesen, um dem Etat Gesetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueberzeugung würde der König Wilhelm seine Zustimmung auch dann versagt haben, wenn das Herrenhaus in seinen Beschlüssen mit dem Abgeordnetenhause übereingestimmt hätte. Daß die »Erste Kammer« das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenschaftslosigkeit überlegenen Debatten schon viel früher auf das Abgeordnetenhaus mäßigend eingewirkt und dessen Ausschreitungen zum Theil verhindert haben würden. Das Herrenhaus hat nicht dasselbe Schwergewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine Doublüre der Regierungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform des königlichen Willens zu sehen.

Ich war schon damals solchen Erwägungen nicht unzugänglich, hatte im Gegentheil dem Könige gegenüber, als er seinen Plan wiederholt mit mir besprach, lebhaft befürwortet, neben einer gewissen Anzahl erblicher Mitglieder den Hauptbestand des Herrenhauses aus Wahlcorporationen hervorgehen zu lassen, deren Unterlage die 12000 oder 13000 Rittergüter, vervollständigt durch gleichwerthigen Grundbesitz, durch die Magistrate bedeutender Städte und die Höchstbesteuerten ohne Grundbesitz nach einem hohen Census abgeben sollten, und daß der nichterbliche Theil der Mitglieder ebenso wie die des Abgeordnetenhauses der Wahlperiode und der Auflösung unterliegen solle. Der König wies diese Ansichten so weit und geringschätzig von sich, daß ich jede Hoffnung auf eingehende Erörterung derselben aufgeben mußte. Auf dem mir neuen Gebiete der Gesetzgebung hatte ich damals nicht die Sicherheit des Glaubens an die Richtigkeit eigner Auffassungen, welche erforderlich gewesen wäre, um mich in den mir gleichfalls neuen unmittelbaren Beziehungen zu dem Könige und in den Rücksichten auf meine amtliche Stellung zum Festhalten an abweichenden eignen Ansichten in Verfassungsfragen zu ermuthigen. Um mich dazu unter Umständen berechtigt und verpflichtet zu fühlen, hätte ich einer längeren Erfahrung in Staatsgeschäften bedurft, als ich damals besaß. Wenn es sich 20 Jahre später um die Beibehaltung der Ersten Kammer oder Verwandlung derselben in das Herrenhaus gehandelt hätte, so würde ich aus der ersten Alternative eine Cabinetsfrage gemacht haben.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 113-117.
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