I

[120] Im Sommer 1855 lud unser Gesandter in Paris, Graf Hatzfeld, mich zum Besuche der Industrie-Ausstellung ein; er theilte den damals in diplomatischen Kreisen verbreiteten Glauben, daß ich ehestens der Nachfolger Manteuffels im Auswärtigen Amt werden würde. Wenn der König sich mit einem solchen Gedanken abwechselnd getragen hatte, so wußte man in intimen Hofkreisen doch damals schon, daß eine Wandelung vorgegangen sei. Der Graf Wilhelm[120] Redern, den ich damals in Paris traf, sagte mir, die Gesandten glaubten noch immer, daß ich zum Minister bestimmt sei, er selbst habe das auch geglaubt; aber die Stimmung des Königs sei umgeschlagen, Näheres wisse er nicht. Wohl seit Rügen.

Der 15. August, Napoleonstag, wurde u.A. dadurch gefeiert, daß man russische Gefangene durch die Straßen führte. Am 19. traf die Königin von England ein, der zu Ehren ein großes Ballfest in Versailles stattfand, auf welchem ich ihr und dem Prinzen Albert vorgestellt wurde.

Der Prinz in seiner schwarzen Uniform, schön und kühl, sprach höflich mit mir, aber in seiner Haltung lag eine gewisse übelwollende Neugier, aus der ich abnahm, daß ihm meine antiwestmächtliche Einwirkung auf den König nicht unbekannt war. Nach der ihm eignen Sinnesweise suchte er die Beweggründe meines Verhaltens nicht da, wo sie lagen, nämlich in dem Interesse an der Unabhängigkeit meines Vaterlandes von fremden Einflüssen, Einflüssen, welche in unsrer kleinstädtischen Verehrung für England und Furcht vor Frankreich einen empfänglichen Boden fanden, sowie in dem Wunsche, uns von einem Kriege freizuhalten, den wir nicht in unsrem Interesse, sondern in Abhängigkeit von österreichischer und englischer Politik geführt haben würden. In den Augen des Prinzen war ich, was ich natürlich nicht dem momentanen Eindruck bei meiner Vorstellung, sondern anderweitiger Sach- und Actenkunde entnahm, ein reaktionärer Parteimann, der sich auf die Seite Rußlands stellte, um eine absolutistische und Junker-Politik zu fördern. Es konnte nicht befremden, daß diese Ansicht des Prinzen und der damaligen Parteigenossen des Herzogs von Coburg sich auf die Tochter des Ersteren, welche demnächst unsre Kronprinzessin wurde, übertragen hatte.

Schon bald nach ihrer Ankunft in Deutschland, im Februar 1858, konnte ich durch Mitglieder des königlichen Hauses und aus eignen Wahrnehmungen die Ueberzeugung gewinnen, daß die Prinzessin gegen mich persönlich voreingenommen war. Ueberraschend war mir dabei nicht die Thatsache, wohl aber die Form, wie ihr damaliges Vorurtheil gegen mich im engen Familienkreise zum Ausdruck gekommen war: sie traue mir nicht. Auf Abneigung wegen meiner angeblich anti-englischen Gesinnung und wegen Ungehorsams gegen englische Einflüsse war ich gefaßt, mußte aber doch weitergehende Verleumdungen vermuthen, als die Frau Prinzessin in einem Gespräch, welches sie mit mir, ihrem Tischnachbar, führte, in halb scherzendem Tone sagte: ich hätte den Ehrgeiz,[121] König zu werden oder wenigstens Präsident einer Republik. Ich antwortete in demselben halb scherzenden Tone, ich sei für meine Person zum Republikaner verdorben, in den royalistischen Traditionen der Familie aufgewachsen und bedürfe zu meinem irdischen Behagen einer monarchischen Einrichtung, dankte aber Gott, daß ich nicht dazu berufen sei, wie ein König auf dem Präsentirteller zu leben, sondern bis an mein Ende ein getreuer Unterthan des Königs zu sein. Daß diese meine Ueberzeugung aber allgemein erblich sein würde, ließe sich nicht verbürgen, nicht weil die Royalisten ausgehen würden, sondern vielleicht die Könige. Pour faire un civet, il faut un lièvre, et pour une monarchie, il faut un roi. Ich könnte nicht dafür gut sagen, daß in Ermanglung eines solchen die nächste Generation nicht republikanisch werden könne. Indem ich mich so äußerte, war ich nicht frei von Sorge in dem Gedanken an einen Thronwechsel ohne Uebergang der monarchischen Traditionen auf den Nachfolger. Die Prinzessin vermied indessen jede ernsthafte Wendung und blieb in dem scherzenden Tone, liebenswürdig und unterhaltend wie immer; sie machte mir mehr den Eindruck, daß sie einen politischen Gegner necken wollte.

In der ersten Zeit meines Ministeriums habe ich noch öfter bei ähnlichen Tischgesprächen beobachtet, daß es der Prinzessin Vergnügen machte, meine patriotische Empfindlichkeit durch scherzhafte Kritik von Personen und Zuständen zu reizen.

Die Königin Victoria sprach auf jenem Balle in Versailles mit mir deutsch. Ich hatte von ihr den Eindruck, daß sie in mir eine merkwürdige, aber unsympathische Persönlichkeit sah, doch war ihre Tonart ohne den Anflug von ironischer Ueberlegenheit, den ich bei dem Prinzen Albert durchzufühlen glaubte. Sie blieb freundlich und höflich wie Jemand, der einen wunderlichen Kauz nicht unfreundlich behandeln will.

Bei dem Souper war mir im Vergleich mit Berlin die Einrichtung merkwürdig, daß die Gesellschaft in drei Klassen mit Abstufungen in dem Menu speiste und denjenigen Gästen, die überhaupt speisen sollten, die Zusicherung durch Ueberreichung einer Karte mit der Nummer beim Eintreten gegeben wurde. Die Karten der ersten Klasse enthielten auch den Namen der an dem betreffenden Tische vorsitzenden Dame. Diese Tische waren auf 15 bis 20 Personen eingerichtet. Ich erhielt beim Eintreten eine solche Karte zu dem Tische der Gräfin Valewska und später im Saale noch zwei von zwei andren patroness-Damen der Diplomatie und des Hofes. Es war also kein genauer Plan für die Placirung der Gäste gemacht[122] worden. Ich wählte den Tisch der Gräfin Valewska, zu deren Departement ich als auswärtiger Diplomat gehörte. Auf dem Wege zu dem betreffenden Saale stieß ich auf einen preußischen Offizier in der Uniform eines Gardeinfanterie-Regiments, der eine französische Dame führte und sich in lebhaftem Streit mit einem der kaiserlichen Haushofmeister befand, welcher beide, weil sie mit Karten nicht versehen, nicht passiren lassen wollte. Nachdem mir der Offizier auf mein Befragen die Sachlage erklärt und mir die Dame als eine Herzogin mit italienischem Titel aus dem ersten Empire bezeichnet hatte, sagte ich dem Hofbeamten, ich hätte die Karte des Herrn, und gab ihm eine der meinigen. Der Beamte wollte nun aber die Dame nicht passiren lassen, ich gab daher dem Offizier meine zweite Karte für seine Herzogin. Der Beamte bedeutete mich, »mais vous ne passerez pas sans carte«; als ich ihm die dritte vorgezeigt hatte, machte er ein verwundertes Gesicht und ließ uns alle drei durch. Ich empfahl meinen beiden Schützlingen, sich nicht an die Tische zu setzen, die auf den Karten angegeben waren, sondern zu sehn, wo sie sonst unterkämen, habe auch keine Reklamationen über meine Kartenvertheilung zu hören bekommen. Die Unregelmäßigkeit war so groß, daß unser Tisch nicht voll besetzt wurde, was sich aus dem Mangel einer Verabredung der dames patronesses erklärt. Der alte Fürst Pückler hatte entweder keine Karte erhalten oder seinen Tisch nicht finden können; nachdem er sich an mein ihm bekanntes Gesicht gewandt hatte, wurde er von der Gräfin Valewska auf einen der leer gebliebenen Plätze eingeladen. Das Souper war trotz der Dreitheilung weder nach dem Material noch nach der Zubereitung auf der Höhe dessen, was in Berlin bei ähnlichen Massenfesten geleistet wird; nur die Bedienung war ausreichend und prompt.

Am auffallendsten war mir der Unterschied in den Anordnungen für die Circulation. Das Versailler Schloß bietet dafür eine viel größere Leichtigkeit als das Berliner vermöge der größeren Zahl und, abgesehen von dem Weißen Saale, der größeren Ausdehnung der Räume. Hier war den Soupirenden Nro. 1 für ihren Rückzug derselbe Weg angewiesen, wie den Hungrigen Nro. 2, deren stürmischer Anmarsch schon eine weniger höfische gesellschaftliche Gewöhnung verrieth. Es kamen körperliche Zusammenstöße der gestickten und bebänderten Herren und reich eleganten Damen vor, die in Handgreiflichkeiten und Verbalinjurien übergingen, wie sie bei uns im Schlosse unmöglich wären. Ich zog mich mit dem befriedigenden Eindruck zurück, daß trotz alles Glanzes[123] des Kaiserlichen Hofes der Hofdienst und die Erziehung und die Manieren der Hofgesellschaft bei uns wie in Petersburg und Wien höher standen als in Paris, und daß die Zeiten hinter uns lagen, da man in Frankreich und am Pariser Hofe eine Schule der Höflichkeit und des guten Benehmens durchmachen konnte. Selbst die, namentlich im Vergleich mit Petersburg, veraltete Etikette kleiner deutscher Höfe war würdevoller als die imperialistische Praxis. Freilich habe ich diesen Eindruck schon unter Louis Philippe gehabt, während dessen Regierung es in Frankreich geradezu Mode wurde, sich in der Richtung übertriebener Ungeniertheit und des Verzichtes auf Höflichkeit besonders gegen Damen hervorzuthun. War es nun auch in dieser Beziehung während des zweiten Kaiserreichs besser geworden, so blieben doch der Ton in der amtlichen und höfischen Gesellschaft und die Haltung des Hofs selbst gegen die drei östlichen großen Höfe zurück. Nur in den der amtlichen Welt fremden legitimistischen Kreisen war es zur Zeit Louis Philipps so wohl, wie Louis Napoleons anders, der Ton tadellos, höflich und gastlich, mit gelegentlichen Ausnahmen der jüngeren, mehr verpariserten Herren, die ihre Gewohnheiten nicht der Familie, sondern dem Club entnahmen.

Der Kaiser, den ich bei meiner damaligen Anwesenheit in Paris zum ersten Male sah, hat mir bei verschiedenen Besprechungen damals nur in allgemeinen Worten seinen Wunsch und seine Absicht im Sinne einer französisch-preußischen Intimität zu erkennen gegeben. Er sprach davon, daß diese beiden benachbarten Staaten, die vermöge ihrer Bildung und ihrer Einrichtungen an der Spitze der Civilisation ständen, auf einander angewiesen seien. Eine Neigung, Beschwerden, die durch unsre Verweigerung des Anschlusses an die Westmächte hervorgerufen wären, mir gegenüber zum Ausdruck zu bringen, stand nicht im Vordergrunde. Ich hatte das Gefühl, daß der Druck, den England und Oesterreich in Berlin und Frankfurt ausübten, um uns zu Kriegsdiensten im westmächtlichen Lager zu nöthigen, sehr viel stärker, man könnte sagen, leidenschaftlicher und gröber war als die in wohlwollender Form mir kund gegebenen Wünsche und Versprechungen, mit welchen der Kaiser unsre Verständigung speciell mit Frankreich befürwortete. Er war für unsre Sünden gegen die westmächtliche Politik viel nachsichtiger als England und Oesterreich. Er sprach nie Deutsch mit mir, auch später nicht.

Daß mein Besuch in Paris am heimathlichen Hofe mißfallen und die gegen mich bereits vorhandene Verstimmung besonders[124] bei der Königin Elisabeth gesteigert hatte, konnte ich Ende September desselben Jahres wahrnehmen. Während der König die Rheinreise zum Dombaufest nach Köln machte, meldete ich mich in Coblenz und wurde mit meiner Frau von dem Könige zur Mitfahrt nach Köln auf dem Dampfschiff eingeladen, meine Frau aber von der Königin an Bord und in Remagen ignorirt. Der Prinz von Preußen, der das bemerkt hatte, gab meiner Frau den Arm und führte sie zu Tisch. Nach Aufhebung der Tafel bat ich um die Erlaubniß, nach Frankfurt zurückzukehren, die ich erhielt.

Erst im folgenden Winter, während dessen der König sich mir wieder genähert hatte, fragte er mich einmal bei Tafel quer über den Tisch nach meiner Meinung über Louis Napoleon; sein Ton war ironisch. Ich antwortete: »Ich habe den Eindruck, daß der Kaiser Napoleon ein gescheidter und liebenswürdiger Mann, aber so klug nicht ist, wie die Welt ihn schätzt, die alles, was vorgeht, auf seine Rechnung schreibt, und wenn es in Ostasien zur unrechten Zeit regnet, das aus einer übelwollenden Machination des Kaisers erklären will. Man hat sich besonders bei uns daran gewöhnt, ihn als eine Art génie du mal zu betrachten, das immer nur darüber nachdenke, wie es in der Welt Unfug anrichten könne. Ich glaube, daß er froh ist, wenn er etwas Gutes in Ruhe genießen kann; sein Verstand wird auf Kosten seines Herzens überschätzt; er ist im Grunde gutmüthig, und es ist ihm ein ungewöhnliches Maß von Dankbarkeit für jeden geleisteten Dienst eigen.«

Der König lachte dazu in einer Weise, die mich verdroß und zu der Frage veranlaßte, ob ich mir gestatten dürfe, die augenblicklichen Gedanken Sr. Majestät zu errathen. Der König bejahte, und ich sagte:

»Der frühere Minister des Auswärtigen, General von Canitz, hielt den jungen Offizieren in der Kriegsschule Vorträge über Napoleons Feldzüge. Ein strebsamer Zuhörer fragte ihn, warum Napoleon diese oder jene Bewegung unterlassen haben könne. Canitz antwortete: ›Ja, sehen Sie, wie dieser Napoleon eben war, ein seelensguter Kerl, aber dumm, dumm‹ – was natürlich die große Heiterkeit der Kriegsschüler erregte. Ich fürchte, daß Euer Majestät Gedanken über mich denen des Generals von Canitz über seinen Schüler ähnlich sind.«

Der König sagte lachend: »Sie mögen Recht haben; aber ich kenne den jetzigen Napoleon nicht hinreichend, um Ihren Eindruck bestreiten zu können, daß sein Herz besser sei als sein Kopf. Daß die Königin mit meiner Ansicht unzufrieden war, konnte ich[125] aus den kleinen Aeußerlichkeiten entnehmen, durch welche sich bei Hofe die Eindrücke kenntlich machen.«

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 120-126.
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