V

[215] Die nächste günstige Situation nach dem Krimkriege bot unsrer Politik der italienische Krieg. Ich glaube freilich nicht, daß der König Wilhelm schon 1859 geneigt gewesen sein würde, in plötzlicher Entschließung den Abstand zu überschreiten, welcher seine damalige Politik von derjenigen trennte, die später zur Herstellung des Deutschen Reichs geführt hat. Wenn man die damalige Stellung nach dem Maßstabe beurtheilt, welchen die Haltung des auswärtigen Ministers von Schleinitz in dem demnächstigen Abschluß des Garantievertrages von Teplitz mit Oesterreich und in der Weigerung der Anerkennung Italiens bezeichnet, so kann man mit Recht bezweifeln, ob es damals möglich gewesen sein würde, den Regenten zu einer Politik zu bewegen, welche die Verwendung der preußischen Kriegsmacht von Conzessionen in der deutschen Bundespolitik abhängig gemacht hätte. Die Situation wurde nicht unter dem Gesichtspunkte einer vorwärts strebenden preußischen Politik betrachtet, sondern in dem gewohnheitsmäßigen Bestreben, sich den Beifall der deutschen Fürsten, des Kaisers von Oesterreich und zugleich der deutschen Presse zu erwerben, in dem unklaren Bemühen um einen idealen Tugendpreis für Hingebung an Deutschland, ohne irgend eine klare Ansicht über die Gestalt des Zieles, die Richtung, in der, und die Mittel, durch welche es zu suchen wäre.

Unter dem Einflusse seiner Gemahlin und der Wochenblattspartei war der Regent 1859 nahe daran, sich an dem italienischen Kriege zu betheiligen. Wäre das geschehen, so wurde der Krieg von einem österreichisch-französischen in der Hauptsache zu einem preußisch-französischen am Rhein. Rußland in dem damals noch sehr lebendigen Hasse gegen Oesterreich würde mindestens gegen uns demonstrirt, und Oesterreich, sobald wir in Krieg mit Frankreich verwickelt waren, würde, am längeren Ende des politischen Hebels stehend, erwogen haben, wie weit wir siegen durften. Was zu Thugut's Zeit Polen, war damals Deutschland auf dem Schachbrett. Mein Gedanke war, immerhin zu rüsten, aber zugleich Oesterreich ein Ultimatum zu stellen, entweder unsre Bedingungen in der deutschen Frage anzunehmen oder unsern Angriff zu gewärtigen. Aber die Fiction einer fortdauernden und aufopfernden Hingebung für »Deutschland« nur in Worten, nie in Thaten, der Einfluß der Königin und ihres den österreichischen Interessen ergebenen Ministers von Schleinitz, dazu die damals gang und gäbe Phraseologie der Parlamente, der Vereine und der Presse, erschwerten[216] es dem Regenten, die Lage nach seinem eignen klaren und hausbacknen Verstande zu prüfen, während sich in seiner politischen und persönlichen Umgebung Niemand befand, der ihm die Nichtigkeit des ganzen Phrasenschwindels klar gemacht und ihm gegenüber die Sache des gesunden deutschen Interesses vertreten hätte. Der Regent und sein damaliger Minister glaubten an die Berechtigung der Redensart: Il y a quelqu'un, qui a plus d'esprit que Monsieur de Talleyrand, c'est tout le monde. Tout le Monde braucht aber in der That zu viel Zeit, um das Richtige zu erkennen, und in der Regel ist der Moment, in dem diese Erkenntniß benutzt werden konnte, schon vorüber, wenn tout le monde dahinter kommt, was eigentlich hätte gethan werden sollen.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 215-217.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen 3 Bände in einem Band.
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen