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[448] Der Dreibund, welchen ich ursprünglich nach dem Frankfurter Frieden zu erreichen suchte und über den ich schon im September 1870 von Meaux aus in Wien und Petersburg sondirt hatte, war ein Bund der drei Kaiser mit dem Hintergedanken des Beitritts des monarchischen Italiens und gerichtet auf den, wie ich befürchtete, in irgend einer Form bevorstehenden Kampf zwischen den beiden europäischen Richtungen, welche Napoleon die republikanische und die kosackische genannt hat und welche ich nach heutigen Begriffen bezeichnen möchte einerseits als das System der Ordnung auf monarchischer Grundlage, andrerseits als die sociale Republik, auf deren Niveau die antimonarchische Entwicklung langsam oder sprungweise hinabzusinken pflegt, bis die Unerträglichkeit der dadurch geschaffenen Zustände die enttäuschte Bevölkerung für gewaltsame Rückkehr zu monarchischen Institutionen in cäsarischer Form empfänglich macht. Diesem circulus vitiosus zu entgehen oder das Eintreten in denselben der gegenwärtigen Generation oder ihren Kindern womöglich zu ersparen, halte ich für eine Aufgabe,[448] welche den noch lebenskräftigen Monarchen näher liegen sollte als die Rivalität um den Einfluß auf die nationalen Fragmente, welche die Balkanhalbinsel bevölkern. Wenn die monarchischen Regierungen für das Bedürfniß des Zusammenhaltens im Interesse staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung kein Verständniß haben, sondern sich chauvinistischen Regungen ihrer Unterthanen dienstbar machen, so befürchte ich, daß die internationalen, revolutionären, socialen Kämpfe, welche auszufechten sein werden, um so gefährlicher und für den Sieg der monarchischen Ordnung schwieriger sich gestalten werden. Ich habe die nächstliegende Assecuranz gegen dieselben seit 1871 in dem Dreikaiserbunde und in dem Bestreben gesucht, dem monarchischen Principe in Italien eine feste Anlehnung an diesen Bund zu gewähren. Ich war nicht ohne Hoffnung auf einen dauernden Erfolg, als im September 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser in Berlin, demnächst die Besuche meines Kaisers in Petersburg im Mai, des Königs von Italien in Berlin im September, des deutschen Kaisers in Wien im October des folgenden Jahres stattfanden. Die erste Trübung dieser Hoffnung wurde 1875 verursacht durch die Hetzereien des Fürsten Gortschakow (Kapitel 15), der die Lüge verbreitete, daß wir Frankreich, bevor es sich von seinen Wunden erholt, zu überfallen beabsichtigten.

Ich bin zur Zeit der Luxemburger Frage (1867) ein grundsätzlicher Gegner von Präventivkriegen gewesen, d.h. von Angriffskriegen, welche wir um deshalb führen würden, weil wir vermutheten, daß wir sie später mit dem besser gerüsteten Feinde zu bestehen haben würden. Daß wir 1875 Frankreich besiegt haben würden, war nach der Ansicht unsrer Militärs wahrscheinlich; aber nicht so wahrscheinlich war es, daß die übrigen Mächte würden neutral geblieben sein. Wenn schon in den letzten Monaten vor den Versailler Verhandlungen die Gefahr europäischer Einmischung mich täglich beängstigte, so würde die scheinbare Gehässigkeit eines Angriffs, den wir unternommen hätten, nur um Frankreich nicht wieder zu Athem kommen zu lassen, einen willkommenen Vorwand zunächst für englische Humanitätsphrasen geboten haben, dann aber auch für Rußland, um aus der Politik der persönlichen Freundschaft der beiden Kaiser einen Uebergang zu der des kühlen russischen Staatsinteresses zu finden, welches 1814 und 1815 bei Absteckung des französischen Gebiets maßgebend gewesen war. Daß es für die russische Politik eine Grenze giebt, über welche hinaus das Gewicht Frankreichs in Europa nicht vermindert werden[449] darf, ist erklärlich. Dieselbe war, wie ich glaube, mit dem Frankfurter Frieden erreicht, und diese Thatsache war vielleicht 1870 und 1871 in Petersburg noch nicht in dem Maße zum Bewußtsein gekommen, wie fünf Jahre später. Ich glaube kaum, daß das russische Cabinet während unsres Krieges deutlich vorausgesehen hat, daß es nach demselben ein so starkes und consolidirtes Deutschland zum Nachbar haben würde. Im Jahre 1875 nahm ich an, daß an der Newa schon einige Zweifel darüber herrschten, ob es richtig gewesen, die Dinge so weit kommen zu lassen, ohne in die Entwicklung einzugreifen. Die aufrichtige Freundschaft und Verehrung Alexanders II. für seinen Oheim deckte das Unbehagen, welches die amtlichen Kreise bereits empfanden. Hätten wir damals den Krieg erneuern wollen, nur um das kranke Frankreich nicht genesen zu lassen, so würde unzweifelhaft nach einigen mißlungenen Conferenzen zur Verhütung des Krieges unsre Kriegführung sich in Frankreich in der Lage befunden haben, welche ich in Versailles bei der Verschleppung der Belagerung befürchtet hatte. Die Beendigung des Kriegs würde nicht durch einen Friedensschluß unter vier Augen, sondern in einem Congresse zu Stande gekommen sein, wie 1814 unter Zuziehung des besiegten Frankreichs, und vielleicht bei der Mißgunst, der wir ausgesetzt waren, ebenso wie damals unter Leitung eines neuen Talleyrand.

Ich hatte schon in Versailles befürchtet, daß die Betheiligung Frankreichs an den Londoner Conferenzen über die das Schwarze Meer betreffenden Clauseln des Pariser Friedens dazu benutzt werden könnte, um mit der Dreistigkeit, die Talleyrand in Wien bewiesen, die deutsch-französische Frage als Pfropfreis auf die programmmäßigen Erörterungen zu setzen. Aus dem Grunde habe ich, trotz vielseitiger Befürwortung, die Betheiligung Favres an jener Conferenz durch äußere und innere Einflüsse verhindert. Ob Frankreich 1875 unsrem Anfalle gegenüber in seiner Vertheidigung so schwach gewesen sein würde, wie unsre Militärs annahmen, erscheint fraglich, wenn man sich erinnert, daß in dem französisch-englisch-österreichischen Vertrage vom 3. Januar 1815 das besiegte und noch theilweise besetzte durch zwanzig Kriegsjahre erschöpfte Frankreich doch noch bereit war, für die Coalition gegen Preußen und Rußland 150000 Mann sofort und demnächst 300000 ins Feld zu führen. Die 300000 in unsrer Gefangenschaft gewesenen altgedienten Soldaten befanden sich wieder in Frankreich, und wir hätten die russische Macht schließlich wohl nicht wie im Januar 1815 wohlwollend neutral, sondern vielleicht feindlich hinter[450] uns gehabt. Aus dem Gortschakow'schen Circular-Telegramm vom Mai 1875 (maintenant la paix est assurée) an alle russischen Gesandtschaften geht hervor, daß die russische Diplomatie bereits zu einer Thätigkeit gegen unsre angebliche Neigung zur Friedensstörung veranlaßt worden war.

Auf diese Episode folgten die unruhigen Bestrebungen des russischen Reichskanzlers, unsre und besonders meine persönlich guten Beziehungen zum Kaiser Alexander zu trüben, unter anderm dadurch, daß er, wie im 17. Kapitel erzählt, durch Vermittlung des Generals von Werder die Ablehnung des Versprechens der Neutralität für den Fall eines russisch-österreichischen Krieges von mir erpreßte. Daß das russische Cabinet sich alsdann direct und im Geheimen an das Wiener wandte, bezeichnet wiederum eine Phase der Gortschakow'schen Politik, welche meinem Streben nach einem monarchisch-conservativen Dreibunde nicht günstig war.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 448-451.
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