VIII

[470] Ich habe mich stets bemüht, nicht nur die Sicherstellung gegen russische Angriffe, sondern auch die Beruhigung der russischen Stimmung und den Glauben an den inoffensiven Charakter unserer Politik zu pflegen. Es ist mir auch bis zu meinem Ausscheiden aus dem Amte vermöge des persönlichen Vertrauens, welches der Kaiser Alexander III. mir schenkte, gelungen, stets dem Mißtrauen die Spitze abzubrechen, welches wiederholt durch fremde und einheimische Entstellungen und gelegentlich durch diesseitige militärische Unterströmungen in ihm erregt wurde. Er hat mir, als ich ihn auf der Danziger Rhede zum ersten Male als Kaiser sah, und bei allen späteren Begegnungen auch nach dem Berliner Congreß und nach Kenntniß des österreichischen Vertrages ein Wohlwollen bewiesen, welches in Skierniewice und Berlin zum authentischen Ausdruck vor Europa kam und darauf beruhte, daß er mir glaubte. Selbst die durch ihre unverschämte Dreistigkeit eindrucksvolle Intrigue mit geschmiedeten Briefen, die ihm in Kopenhagen zugesteckt worden waren, wurde durch meine einfache Versicherung sofort unschädlich gemacht. Ebenso gelang es mir bei der Begegnung im October 1889, die Zweifel, welche er wieder aus Kopenhagen mitgebracht hatte, zu zerstreuen bis auf den einen, ob ich Minister bleiben würde. Er war wohl besser unterrichtet als ich, als er die Frage an mich richtete, ob ich meiner Stellung bei dem jungen Kaiser ganz sicher sei. Ich antwortete, was ich damals dachte, daß ich von dem Vertrauen des Kaisers Wilhelm zu mir überzeugt sei und nicht glaubte, daß ich jemals gegen meinen Willen würde entlassen werden, weil Seine Majestät bei meiner langjährigen Erfahrung im Dienste und bei dem Vertrauen, welches ich mir in Deutschland sowohl wie bei den auswärtigen Höfen erworben hätte, in meiner Person einen schwer zu ersetzenden brauchbaren Diener besäße. Der Kaiser gab (zwar) seiner großen Genugthuung über meine Zuversicht Ausdruck, wenn er sie auch nicht unbedingt zu theilen schien.

Die internationale Politik ist ein flüssiges Element, das unter Umständen zeitweilig fest wird, aber bei Veränderungen der Atmosphäre in seinen ursprünglichen Aggregatzustand zurückfällt.[470] Die clausula rebus sic stantibus wird bei Staatsverträgen, welche Leistungen bedingen, stillschweigend angenommen. Der Dreibund ist eine strategische Stellung, welche angesichts der bei seinem Abschluß drohenden Gefahren rathsam und unter den obwaltenden Verhältnissen zu erreichen war. Er ist von Zeit zu Zeit verlängert worden, und es mag gelingen, ihn weiter zu verlängern; aber ewige Dauer ist keinem Vertrage zwischen Großmächten gesichert, und es wäre unweise, ihn als sichere Grundlage für alle Möglichkeiten betrachten zu wollen, durch welche in Zukunft die Verhältnisse, Bedürfnisse und Stimmungen verändert werden können, unter welchen er zu Stande gebracht wurde. Er hat die Bedeutung einer strategischen Stellungnahme in der europäischen Politik nach Maßgabe der Lage derselben zur Zeit des Abschlusses; aber ein für jeden Wechsel haltbares ewiges Fundament bildet er für alle Zukunft ebenso wenig, wie viele frühere Tripel- und Quadrupel-Allianzen der letzten Jahrhunderte und insbesondere die heilige Allianz und der deutsche Bund. Er dispensirt nicht von dem toujours en vedette.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 470-471.
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