Auf der Heimreise.

[252] Das Hinscheiden König Friedrich Wilhelms IV. und die am 2. Januar 1861 erfolgte Thronbesteigung des Prinzregenten von Preußen als König Wilhelm I. hatte ich die Ehre dem Schah von Persien mitzuteilen und damit die Anzeige von der Auflösung der Mission in Persien zu verbinden. Die Abreise wurde möglichst beschleunigt und auf verschiedenen Wegen tra ten die übriggebliebenen Mitglieder derselben ihre Rückkehr nach der Heimat an. Der hochbejahrte Dragoman Pietrazewski wählte die weite, aber des langsameren Tempos wegen bequemere Straße durch Kleinasien; Herr v. Grolmann und meine Wenigkeit zauderten nicht, einen schnellen Kurierritt von Teheran nach dem Araxes zurückzulegen, durchschnittlich zwanzig deutsche Meilen an einem Tage, dann auf Kibitken und Tarantas Armenien zu durcheilen und im Herzen Kaukasiens Halt zu machen. Von Tiflis aus zogen wir gemeinschaftlich über die schneebedeckten Höhen des Kaukasus und trennten uns am Fuße desselben auf Wiedersehen in der Heimat. Mein militärischer Freund hatte die Absicht, an den letzten Kämpfen gegen die Tscherkessen teilzunehmen und sich das russische Kaukasus-Kreuz für bewiesene Tapferkeit zu verdienen. Ich bemerke nachträglich, daß mein liebenswürdiger Reisegefährte derselbe v. Grolmann ist, der im deutsch-französischen Kriege sich durch seine militärischen Eigenschaften auszeichnete und später als kommandierender General in Erfurt dem Staate seine hervorragenden Dienste leistete. Leider habe ich den Schmerz erlebt, in diesem laufenden Jahre von seinem Abscheiden aus dieser Welt in Kenntnis gesetzt zu werden.

Es war eine Art von Wasserscheu vor dem Schwarzen Meere, die mich selber veranlaßt hatte, die Rückkehr nach Berlin auf dem Landwege zu vollziehen. Vom Kaukasus an[252] bis Moskau hin durchraste mein Wagen das ganze südliche Rußland, bis mir erst von Moskau aus die Gelegenheit zu teil wurde, auf den Flügeln des Dampfrosses Petersburg zu erreichen, und mich unserm damaligen Gesandten Herrn v. Bismarck-Schönhausen als abgedankten Vizekonsul gehorsamst vorzustellen. Die Stunde ist mir unvergeßlich geblieben. in der mir der Vorzug zu teil wurde, dem Vertreter Preußens am russischen Hofe zum erstenmale meine Aufwartung machen zu dürfen. Der heutige Fürst stand damals in seiner vollsten Manneskraft, und seine ernsten Züge, die auf mir ruhten, machten auf mich den Eindruck einer Prüfung, die ich zu bestehen hatte. Die amtliche Kälte, mit der er zu mir sprach, durchfröstelten mich einigermaßen, aber seine Einladung, mich in seiner Häuslichkeit einzufinden und mich seiner Familie vorzustellen, ließ sofort den ersten Eindruck vergessen. Meine Wenigkeit erfreute sich auch hier einer unverdient liebenswürdigen Aufnahme. Die Gemahlin des Gesandten empfing mich mit aufrichtigster Teilnahme für das Wanderleben eines preußischen Gelehrten, beklagte meine Familie, von der das Schicksal mich so unbarmherzig trennte, und ihre Worte trafen um so tiefer die Gefühle meines eigenen Herzens als ihre beiden, damals im Anfang des zweiten Dezenniums ihres Lebensalters stehenden Söhne Herbert und Wilhelm das Gedächtnis an meine eigenen Kinder wachriefen. Während der wenigen Tage meines Aufenthaltes in Petersburg hatte ich das Glück, wie ein Hausgenosse der Familie betrachtet zu werden, mich regelmäßig zu Tisch einfinden zu dürfen, und das fast einfach bürgerliche Leben im Hause des gestrengen Herrn Gesandten aufrichtig zu bewundern. Die Unterhaltung des Ministers mit den Tischgenossen besaß den Reiz der Urteile eines Weltmannes und wurde durch den seinen Witz, der stets den Nagel auf den Kopf traf, des Sprechenden gewürzt.[253] Hätte ich damals eine Ahnung besessen, welch eine große Rolle dem Gesandten für die Geschicke Preußens und Deutschlands in der Zukunft beschieden war, ich würde mich selbst beneidet, die Stunden meines Aufenthaltes in dem Bismarckschen Hanse als die weihevollsten meines Lebens betrachtet und über jede Minute ein genaues Tagebuch geführt haben.

Neben dem Legationssekretär von Holstein, dem es kein besonderes Vergnügen bereitete, nach der Aussprache des russischen H durch G in der Petersburger Gesellschaft als »von Golstein« bezeichnet zu werden, lernte ich in der Person des Predigtamtskandidaten Braun, des vortrefflichen Lehrers und Gouverneurs der beiden Söhne Bismarcks – er bekleidete später eine Stelle als Gefängnisprediger in Görlitz – einen lieben Freund kennen, mit dem ich in den folgenden Jahren im herzlichsten Verkehr stand.

Meine Abreise von Petersburg, das damals mit der preußischen Ostgrenze noch in keiner direkten Verbindung durch einen Schienenweg stand, ging unter den günstigsten Umständen vor sich nnd ich mußte bei meinem Überschreiten der Grenze billig überrascht sein, als ich erfuhr, daß die preußischen Zollbeamten bereits von meiner Ankunft unterrichtet waren. Über Danzig erreichte ich endlich mein liebes Berlin und alle persischen Erinnerungen erschienen mir bei dem Wiedersehen der Meinigen wie ein langer düsterer Traum, den die Wirklichkeit mich nur allmählich vergessen ließ.

Meine Freunde empfingen mich mit aufrichtigster Herzlichkeit und die Straßen von Berlin, die ich fast täglich durchwanderte, schienen mich wie einen Bekannten zu begrüßen und mir von alten Geschichten immer wieder und wieder zu erzählen. Mein seßhaftes Leben nahm von neuem seinen Anfang. Ich arbeitete an einem Werke über die Reise der ersten preußischen[254] Mission nach Persien, das, wie schon gesagt, später in zwei Bänden im Druck erschien, und fand meine Erholung von der aufreibenden Thätigkeit in den Nebenstudien altägyptischer Inschriften oder in der Erledigung brieflicher Korrespondenz, die bereits einen gewaltigen Umfang angenommen hatte. Ich bin noch heute stolz darauf, durch Mitteilungen von der Hand des Gesandten von Bismarck und seiner Gemahlin beehrt worden zu sein, die mir die dauernde Teilnahme beider bewiesen und bis zur Stunde einen leuchtenden Schatz in der Sammlung meiner Briefe bilden.

Fürst Pückler-Muskau war aufrichtig erfreut, mich nach meiner glücklichen Heimkehr während seines Berliner Aufenthaltes wieder in seiner Nähe zu wissen, und in jeder Woche empfing ich seine Besuche, mit welchen eine Ausfahrt zu seinen Freunden und Bekannten verbunden zu sein pflegte. Auch seine reizenden Gastmahle in dem damaligen Hotel de Russie nahmen wieder ihren Anfang, und seine geistvolle Unterhaltung übte ihre volle anregende Wirkung, besonders nach meinem wilden Leben unter den Persern, wie ehedem wieder auf mich aus. Die Teilnahme des Fürsten für mein Schicksal war die alte geblieben. Sie drückte sich vor allem in dem Wunsche aus, mich in gesicherter Stellung und im Dienste des Staates dort zu wissen, wo ich den ägyptischen Studien am nächsten stand und gleichsam an der Quelle das Wasser der Belehrung schöpfen könnte. Ohne mein Zuthun arbeitete mein edler Gönner im stillen für mich, um meine Versetzung nach Ägypten in konsularischer Eigenschaft zur Ausführung zu bringen. Seine Bemühungen trugen einen glänzenden Erfolg davon, als im September des Jahres 1862 Herr von Bismarck seinen Posten als Botschafter in Paris verließ, um als Minister der Auswärtigen Angelegenheiten an die Spitze eines neugebildeten Kabinetts zu treten. Der Fürst[255] war mit dem Minister und dessen Familie befreundet und noch gegenwärtig erinnere ich mich mit Vergnügen der trauten Abendgesellschaften, an denen ich die Ehre hatte in der Amtswohnung oder in dem Garten dahinter in so auserlesener Gesellschaft als bescheidenes Anhängsel meines fürstlichen Gönners teilzunehmen.

Quelle:
Brugsch, Heinrich Ferdinand Karl: Mein Leben und mein Wandern. Zweite Auflage, Berlin 1894, S. 252-256.
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