Viertes Kapitel.

Der Ursprung des Lehnswesens.

[453] Das Frankenreich unterscheidet sich von allen anderen Germanischen Staaten vor allem durch die unendlich viel größere Macht des Königtums. Chlodwig, seine Söhne und Enkel sind Despoten der wildesten Art. Auch indem nun gegen diesen Despotismus der germanische Freiheitssinn und Mannestrotz sich auf sich selbst besinnt, richtet sich die Bewegung nicht gegen die Herrschaft des Königtums an sich, will nicht etwa den Sturz der Dynastie, sondern will die monarchische Gewalt nur verfassungsmäßig einschränken. Der große Kampf, der sich an die Namen der Königinnen Brunhilde und Fredegunde knüpft, ist tatsächlich ein Kampf zwischen dem Königtum und den Großen, der durch den Zwiespalt innerhalb der Dynastie nur ausgelöst ist. In Spanien haben die Großen und die Kirche das Königtum soweit von sich abhängig gemacht, daß sie den Thron selber besetzen; die Erblichkeit ist verloren gegangen. Die merowingische Dynastie, die den Staat geschaffen hat und die einzige Einheit in seinen sonst völlig disparaten Elementen, germanischen und romanischen Landschaften und Stämmen bildet, hält sich aufrecht, auch wenn sie zeitweilig unter Vormundschaft genommen wird. Macht steht gegen Macht, und diese innere Spannung kommt der Fortbildung der Kriegsverfassung zugute.

Im Frankenreiche gab es ursprünglich einen anerkannten Adel nicht. Als Chlodwig seine Grafen über die unterworfenen Landschaften setzte (vermutlich meist aus den ihm zu persönlicher Treue verpflichteten Männern seiner Gefolgschaft, seinen Antrustionen), da waren sie seine Beamte und kommandierten die ihnen zugeteilten Leudes im Auftrag des Königs. Aber hundert Jahre[453] nach Chlodwig gibt es fränkische Große, denen Chlotar II. in dem Edikt von Paris (614), dem ersten Aktenstück, dem man den Namen einer »magna charta« beilegen kann, neben anderen Versprechungen die Zusage gibt, daß die Grafen nur aus den Großgrundbesitzern des Gaues ernannt werden sollen.280 Dies Edikt ist der Lohn für die Parteinahme und Entscheidung in dem dynastischen Familienkrieg und den Urteilsspruch, der den Sohn der Fredegunde anwies, die greise Königin Brunhilde von wilden Pferden zu Tode schleifen zu lassen. Bei den Westgoten brachte man Könige um oder setzte sie ab und wählte andere; bei den Franken beschränkte man sie in ihrer Regierungsgewalt.

In dieser Zeit hat sich also ein Großgrundbesitzerstand im Frankenreiche gebildet, dessen Parteinahme Bürgerkriege entscheidet und der an der öffentlichen Gewalt neben dem König beteiligt sein will. Woher dieser Großgrundbesitzerstand stammt, ist aus den Quellen so direkt nicht ersichtlich, wir werden aber seinen Ursprung etwa folgendermaßen umschreiben dürfen: in den romanischen Gebieten ist es die Fortsetzung des römischen Senatorenstandes, der sich germanisiert hat, teils durch Verschwägerung mit Germanen, die dann Erben wurden, da die vornehmen Römer vielfach in den Kirchendienst traten, teils durch Konfiskation und Übertragung des Besitzes an Germanen; daneben gab der König seinen Getreuen, also namentlich seinen Grafen, große Landschenkungen aus dem öffentlichen Gut, und die Grafen benutzten ihre Gewalt, ihren Besitz zu mehren. In dem ehemaligen Königreich Burgund und dem ehemals westgotischen Gebiet war schon durch die Landteilung mit den Römern germanischer Großgrundbesitz entstanden. In den germanischen Gebieten ist in dieser älteren Zeit, wo der gemeinfreie[454] Franke sich noch nicht in die Hörigkeit herabdrücken ließ, der Großgrundbesitz wohl hauptsächlich durch die römischen Kolonen zu erklären, die zwischen den Germanen sitzen geblieben und Liten eines Germanen geworden waren, wozu dann auch noch königliche Schenkungen kamen, die aber hier, ohne verschenkbare Menschen, nicht viel bedeutet haben können.

Wenn nun dieser Großgrundbesitzerstand so mächtig war, Bürgerkriege zwischen den mächtigen Teilkönigen zu entscheiden und dem König das Edikt von Paris abzutrotzen, so muß er über Kriegsleute verfügt haben. Ohne Zweifel waren diese Großgrundbesitzer, als sie das Grafenamt verfassungsmäßig okkupierten, bereits tatsächlich im Besitz: eben aus dem Grafentum war ja auch wesentlich ihr Besitz entsprungen. Das heißt also mit anderen Worten: aus den Grafen, die Chlodwig einsetzte als seine Beamten und denen er seine Krieger überwies, um sie zu kommandieren, waren Großgrundbesitzer geworden, die ihre eigenen Krieger hatten. Die ursprünglich königlichen Krieger oder ein großer Teil dieser ursprünglich königlichen Krieger waren Krieger von Privatleuten geworden.

Bei den Westgoten ist uns durch den Zufall, der uns in einem Pariser Palimpsest einen Teil des Gesetzbuchs des Königs Eurich erhalten hat, die Existenz der Buccellarier, der Privatsoldaten, schon im fünften Jahrhundert direkt bezeugt, und wir haben gesehen, wie in späterer Zeit die Wehrverfassung in diesem Reich praktisch in ein unorganisiertes Aufgebot riesiger Knechte durch die großen Besitzer auslief. Bei den Franken sind uns direkte und völlig zweifelsfreie Quellenzeugnisse erst aus der Zeit nach dem Pariser Edikt, etwa von der Mitte des siebenten Jahrhunderts an, erhalten: aber das Pariser Edikt selbst ist Zeugnis genug, daß es auch schon vorher im Frankenreiche dieses Institut, und zwar in sehr erheblichem Umfang, gegeben hat, ja nach den Leistungen und den Erfolgen müssen wir annehmen, daß es in viel weiterem Umfange und energischer durchgebildet bestand, als bei den Westgoten.

Paul Roth, der so durchschlagende Verdienste um die Aufhellung dieser schwierigen Zeiten und Verhältnisse hat, hat die[455] Ansicht aufgestellt281, daß die Begleiter, die unter dem Namen »pueri« sehr häufig in der Umgebung von merowingischen Großen erscheinen, Unfreie gewesen seien. Einige Male verrichten sie allerdings Beschäftigungen, die auf bloße Diener, also wahrscheinlich Unfreie, schließen lassen. Aber damit ist doch noch nicht gesagt, daß das Wort ausschließlich Unfreie bedeute. Roth wird hier in die Irre geführt durch eine zu enge Fragestellung; er fragt nämlich: Unfreier oder Gefolgsmann? Der Gefolgsmann aber ist ihm ein vornehmer Mann. Zwischen dem Gefolgsmann und dem Unfreien aber steht, wie wir gefunden haben, der gemeine Kriegsknecht, der buccellarius bei den Westgoten, der zwar in Abhängigkeit, aber doch frei ist. Ich glaube, es ist nicht zu kühn, wenn wir vermuten, daß die pueri in den Büchern Gregors von Tours und sonst in der Merowingerzeit dasselbe sind, was die παῖδες bei Agathias, nämlich die deutschen »Degen«. Sie standen sozial so tief, daß auch wirkliche Unfreie mit demselben Ausdruck bezeichnet werden konnten, gehören aber staatsrechtlich zu den Freien und haben sich nur nach eigenem Willen einem Herrn verpflichtet und unterworfen. So bedeutet ja auch tausend Jahre später das Wort »Knecht« ebensowohl einen Leibeigenen wie den Kriegsknecht, der als freier Söldner Dienst nimmt, wo er will. Wie wäre es auch denkbar, daß merowingische Grafen und Herzöge, die Krieger um sich haben wollten, von deren Tapferkeit sie das Höchste verlangten, nur Unfreie dazu genommen haben sollen, da doch die bravsten und tatendurstigsten Freien zu haben waren? Wer unerschrockene Zuschläger um sich sammeln will, wird unter Sklaven nur selten das rechte Material dafür finden. Wenn unsere Quellen uns auch eine ganz positive und unanfechtbare Auskunft nicht gewähren, ob die fränkischen Großen des 6. Jahrhunderts »freie Degen« um sich hatten, so ist doch auch der Gegenbeweis nicht geführt, und die Natur der Dinge verlangt es, daß Männer wie die fränkischen Grafen, die sich mit einem streitbaren Gefolge umgaben, und in ihren Volksgenossen dazu die natürlichen Anwärter hatten, nicht bloß Sklaven dazu genommen haben. Daß zunächst staatsrechtlich von[456] dem Verhältnis nichts zu bemerken ist, rührt einfach daher, daß es ein rein privates Verhältnis war, das dem monarchischen Recht des Königs und der Untertanenpflicht des Mannes keinen Abbruch tat.

In der Umgebung der fränkischen Großen finden wir außer den pueri auch amici, pares, gasindi, satellites. Auch bei allen diesen Bezeichnungen ist es zweifelhaft und nicht unmittelbar ersichtlich, was darunter zu verstehen ist. Wenn es sich auch sicherlich zum Teil um Freie handelt, so wäre doch möglich, daß, wie Roth es auffaßt (S. 157), Schutzverhältnisse nach Art der Klientel darunter zu verstehen sind. Nunmehr, nachdem wir festgestellt haben, daß notwendig freie Kriegsmänner im Gefolge der fränkischen Großen gewesen sein müssen, ist die Folgerung nicht abzuweisen, daß auch jene Namen, zwar nicht ausschließlich, denn es sind nicht technische Ausdrücke, aber zum Teil kriegerische Gefolge, Männer von mehr oder weniger höherem sozialen Niveau als die pueri bedeuten.282

Wenn die germanischen Könige, sei es nun Chlodwig oder Theoderich, über die Gaue ihres Reiches Grafen setzten, so lag ja nichts näher, als daß diese nicht bloß unfreie Diener und rohe Gesellen aus der Masse, sondern auch einige zuverlässige und erprobte Kameraden mitnahmen und sich ihrer Treue durch ein persönliches Gelöbnis, wie es im Volke Brauch war, versicherten.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß nach germanischer Rechtsanschauung ein freier Mann sich einem anderen zur Treue des Gefolgsmannes verpflichten konnte. Irgendeine staatsrechtliche Vorstellung, daß nur ein Fürst ein Gefolge halten dürfe, war sicherlich den Urgermanen fremd. Praktisch freilich konnte nur ein sehr hochstehender, sehr vermöglicher Mann Gefolgsmänner, die ja seine Bankgenossen waren, die er ernähren mußte, haben. In[457] dieser Lage waren nunmehr Großbesitzer und Grafen in großer Zahl. Wir können daher die amici, pares, gasindi, die wir in den Quellen erwähnt finden, mit gutem Fug als die Gefolgschaften der Grafen oder sonstigen Vornehmen bezeichnen; denn war es auch anfänglich kein öffentlich-rechtlich gesichertes Verhältnis, so war es doch ganz von demselben Geist erfüllt wie das alte Gefolgschaftswesen. Die Scharen aber, um die es sich jetzt handelt, sind viel zu groß, um ganz in den Begriff der alten Gefolgschaft gezwängt zu werden. Wir wissen nicht, ob die überlieferten Formen der Treueverpflichtung der Gefolgsmänner auch hierfür verwandt worden sind, und ist es geschehen, so ist mit solcher Erweiterung doch auch eine gewisse Abwandlung und Veränderung verbunden, so daß die Frage, ob es sich um Gefolge handle, sich sozusagen selber aufhebt: genug, es gab Krieger, die eine Treuverpflichtung eingingen, mehr oder weniger in den Formen der alten Gefolgschaft, gegen einen Mann, der nicht der König war.

Von der Mitte des siebenten Jahrhunderts an sind solche Krieger quellenmäßig bezeugt; die Natur der Dinge und das Edikt von Paris verlangen aber, wie wir jetzt gesehen haben, daß sie schon sehr viel früher in dieser Art existiert haben.

Als technische Bezeichnung der Krieger, die nicht kraft Aufgebots der Staatsgewalt, sondern vermöge einer besonderen Verpflichtung in die Waffen treten, hat sich bei uns der Name Vasallen eingebürgert. Das Wort ist keltischen Ursprungs und heißt »Mann«, ist also nichts anderes, als was lateinisch in den Quellen mit homo, germanisch mit Leudes ausgedrückt wird; nur zufällig hat gerade das Wort keltischer Wurzel sich zu jener spezifischen Bedeutung verdichtet.

In unseren ältesten Quellen bedeutet der vassus noch nicht das, was wir heute mit diesem Wort bezeichnen, sondern meint einen unfreien Knecht. Seinen späteren und bis auf den heutigen Tag angenommenen Sinn scheint der »Vasall« durch eine Art Wanderung erhalten zu haben, wie das ja auch sonst zu beobachten ist. Es begegnet uns nämlich zuerst in der Bedeutung des freien Kriegers in Bayern. Bei den Bayern, wo es Fremdwort war, empfand man die Langfarbe, daß eigentlich Unfreie damit gemeint seien, nicht; es bürgerte sich ein auch für Vornehme und[458] wanderte in der neuen Bedeutung unter Karl dem Großen über den Rhein zurück.283

Um der kürzeren und unmißverständlichen Terminologie willen wollen wir hinfort jenen Kriegerstand, den die merowingischen Könige direkt aufboten, als die Leudes, den Kriegerstand, den die Großgrundbesitzer aufboten und en die älteren Westgoten Buccellarier nannten, als die Vasallen bezeichnet. Quellenmäßig ist diese scharfe Gegenübersetzung der beiden Ausdrücke nicht. Erst von der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts an setzt sich allmählich unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen die Bezeichnung Vassus in dem uns geläufigen Sinne des freien Mannes, der einem andern untertan ist, durch. Der Ausdruck Leudes aber wird in den Quellen nicht bloß für Krieger des Königs, sondern auch der Großen gebraucht284 und stirbt erst im achten Jahrhundert ab. Dazwischen stehen noch die Ausdrücke amici, gasindi, ingenui in obsequio, pueri, satellites u.a. Nur als eine Art Abbreviatur also, indem ich den Ausdruck »Vasallität« vordatiere und die Bedeutung von »Leudes« einschränke, ist jene Gegenüberstellung zu verstehen.

Der Herr des Vasallen heißt der Senior, »der Alte«, woraus das französische »seigneur« geworden ist.

Wann die Aufgebote der Vasallen angefangen haben, einen stärkeren Umfang anzunehmen, ist aus den Quellen direkt nicht zu ersehen. Anfänglich waren sie gewiß nur sehr schwach. Das Edikt von Paris aber läßt keinen Zweifel, daß schon in den Bürgerkriegen, die mit der Hinrichtung der Königin Brunhilde (613) endigten, nicht die Aufgebote der alten Leudes durch die Grafen, sondern die Vassen den Ausschlag gaben. Wie ist das gekommen?

Die Krieger, die die Epoche verlangte und hervorbrachte, sind, das haben wir aus der Taktik der Epoche entnommen, Qualitätskrieger. Diese Art des Kriegertums war die einzige, die in den Verhältnissen der germanisch-romanischen Staaten der Fortentwicklung, ja des Fortlebens fähig war.[459]

Es ist von der höchsten Wichtigkeit, sich diesen Punkt klarzumachen. So stark das merowingische Königtum war, so war es doch unfähig, etwa zu dem Militärsystem der römischen Kaiser in den beiden ersten Jahrhunderten zurückzukehren. Weder waren die neuen analphabeten Herren des Staates imstande, eine bureaukratische Verwaltung mit ihrer Kassenführung einzurichten, noch hätten sich die Franken disziplinieren lassen, noch kann überhaupt auf dem Boden der Naturalwirtschaft des aus Steuern besoldete disziplinierte Heer bestehen. Das unkriegerische Volksaufgebot ist wertlos: es gibt auf diesem Boden keine andere Kriegsverfassung als in der Form eines besonderen kriegerischen Standes, und diese Verfassung kann im Flächenstaate nicht bureaukratisch sein, sondern muß feudal werden.

Der Herr, der seine Krieger, mit seinen Waffen, auf seinen Rossen, mit seinen Mitteln, für seine Sache ins Feld führt, wird ganz andere Männer haben, als der Graf, der, vom Hofe in den Gau geschickt, ihn für kürzere oder längere Zeit zu verwalten, aus öffentlichen Mitteln Leute ausrüstet. Selbst wenn dieser den besten Willen hat, wird er nicht dasselbe leisten wie jener; wenn er aber nicht einmal den besten Willen und volle Hingebung hat, sondern irgendwie daneben sein eigenes Interesse wahrnimmt, nicht mit der größten Aufmerksamkeit seine Leute aussucht und ausbildet, Rosse und Waffen instand hält, keine Aufwendung spart und sie doch sorgfältig überwacht und schont, so wird sein Aufgebot bald ein Spott sein. Keine Kontrolle kann ihn anhalten, Besseres zu leisten, denn Naturalwirtschaft sowohl wie Kriegerqualität sind immer nur ganz äußerlich oder gar nicht von oben kontrollierbar. Eine exerzierte Truppe und eine Steuerkasse können durch Inspektionen als ordnungsmäßig konstatiert werden, und wird ausmarschiert, so liegt das Weitere in den Händen der Armeeverwaltung und Führung. Was aber eine fränkische Truppe unter den Nachkommen Chlodwigs leistete, in der alles auf die persönliche Tapferkeit des einzelnen und die selbst mitgebrachte Ausrüstung ankam, das zeigte immer erst der Feldzug. Das byzantinische Kaisertum war in Technik der Verwaltung und Organisation dem merowingischen Königtum gewiß noch sehr weit voraus – dennoch hatte, wie wir sahen, auch Byzanz[460] bereits zu dem Hilfsmittel der Truppenaufstellung durch Kondottieri gegriffen. Der fränkische Grundbesitzer, der mit seinen Vasallen ins Feld zieht, ist ein Stück von einem solchen Kondottiere, sozusagen ein permanenter Kondottiere. Er unterhält die Krieger und das Kriegertum, nicht nur im Kriege, sondern auch im Frieden.

Bis hierher ist die Entwicklung durchaus analog derjenigen, die wir im Westgotenreich beobachtet haben. In diesem Reiche aber haben wir nicht gefunden, daß aus den Buccellariern endlich ein neuer brauchbarer Kriegsorganismus hervorgegangen wäre. Das geschah erst in Frankenreich durch Einfügung eines neuen Elements, welches die Vasallenschaft in ihrem Kriegertum festhielt und sie zwang, die Berufseigenschaften zu bewahren.

Das neue Mittel ist das Institut der Lehen.

Wir haben schon viel der Ansiedelung der Burgunder beobachtet, daß der Grundbesitz, den der König verlieh, zwar zum erblichen Eigentum gegeben wurde, aber doch mit gewissen Vorbehalten und Einschränkungen. Was nun auch für Rechtsinstitute als Vorbilder und Ausgangspunkte gedient haben: genug, es entwickelte sich bei den Franken die Vergebung von Gütern an Krieger gegen Kriegsdienst, nicht zu Erbe und Eigentum, sondern mit dem Vorbehalt des Thronfalles und des Mannfalles, d.h. mit dem Vorbehalt, daß das Gut beim Tode sowohl des Leihenden wie des Beleihenden zurückfalle. Der Erbe konnte es bei Thronfall dem bisherigen Inhaber von neuem verleihen, wenn er sich von ihm ebenfalls der Treue und des Kriegsdienstes versah. Der Herr konnte es bei Mannfall der Familie des Verstorbenen weiterleihen, wenn in ihr ein Mann vorhanden war, fähig und willens, zu Felde zu ziehen und den Treueid zu leisten. Trafen diese Voraussetzungen nicht zu, so zog der Grundherr sein Eigentum wieder an sich. Das Lehen also war das Mittel, Vasallen auszustatten, ohne das Eigentum aus der Hand zu geben, und dadurch nicht nur für eine Generation, sondern dauernd ansässige und doch abhängige Krieger zur Verfügung zu haben.

Vasallität und Lehen sind zwei staatsrechtliche Institute, die an sich nicht notwendig ineinander fallen. Es kann jemand als Vasall in den Dienst eines Seniors treten, ohne mit einem Lehen[461] ausgestattet zu werden, und es kann jemand ein Lehen erhalten, ohne Vasall zu sein: die weltgeschichtliche Bedeutung liegt in der Verbindung dieser beiden Begriffe, die zusammen die Feudalordnung ausmachen.

Man darf annehmen, daß in der dauernden Spannung sowohl zwischen den merowingischen Teilkönigen, wie zwischen den Königen und den Großen ein sehr starkes Bedürfnis nach Kriegsmacht im Frankenreiche fortwährend wachgeblieben ist und, als das ursprüngliche Kriegertum aus der Zeit der Reichsgründung verbauerte, dadurch der Antrieb gegeben war, es in den Vasallen fortzupflanzen oder neu zu schaffen und der Vasallität die breite, dauernde Grundlage durch die Landverleihung auf Thronfall und Mannfall zu geben.

Die Vasallität in Verbindung mit dem Lehnsinstitut war aber nicht bloß eine geeignete Form für einen Grundherrn, Kriegsknechte zu halten, sondern eben diese Form war auch höchst brauchbar, in verschiedener Art größere Organisationen zu schaffen. Eine sehr große Familie, wie etwa die Pippiniden oder Arnulfinger, oder gar die durch die Ehe Ansegisels mit Begga vollzogene Bereinigung dieser beiden Familien war nicht imstande, den über viele Gaue hinausreichenden Besitz unmittelbar zu verwalten, und wir haben gesehen, wie wichtig gerade für das vasallitische Kriegswesen das Auge des Herrn ist. Da bot sich das Mittel, größere Stücke des Besitzes als Lehen zu vergeben mit dem Auftrag, Krieger zu beschaffen durch Afterlehen.

Die großen Grundbesitzer hatten aber auch das Bedürfnis, sich untereinander fest zusammenzuschließen, um ihren Verfassungskampf mit dem Königtum durchfechten zu können. Die festeste und zuverlässigste Form für einen solchen Zusammenschluß war, daß sie ihrem Führer den Treueid der Vasallen leisteten. Ja, man ging noch weiter: die Besitzer schenkten ihr Gut einem Herrn, um es als Lehen zurückzuempfangen. Indem man sich dabei die Erblichkeit vorbehielt, fiel zwar eine wesentliche Eigenschaft des Lehens fort, aber es blieb die Möglichkeit der Entziehung bei Verletzung der Treue. Der Rechtskraft bedeutet also die Einsetzung eines Pfandes für die Einhaltung der Vasallentreue. Häufig[462] gab dann der Herr auch ein Lehen aus seinem eigenen Besitz dazu.

Der größte Grundbesitzer im Mittelalter war die Kirche. Als nun die Waffenmacht eine Dependenz des Grundbesitzes wurde, konnte sich auch die Kirche, um ihre Macht, um ihrer Sicherheit, um der Allgemeinheit willen, der Aufgabe nicht entziehen, Lehen auszuteilen, um darauf Vasallen zu halten. Schon im sechsten Jahrhundert kommen einmal zwei Bischöfe vor, zwei Brüder Salonius und Sagittarius, die ins Feld zogen und persönlich mit dreinschlagen; der fromme Gregor von Tours ist noch sehr entrüstest darüber (IV, 24; V, 21); im siebenden Jahrhundert haben die Bischöfe ihre Kriegerscharen, die sie aussenden; vom Anfang des achten an finden wir sie als persönliche Anführer, was dann bald öffentliches Recht wird.

Ein anschauliches Bild, was der Kriegszug eines Seniors mit seinen Vasallen zu bedeuten hat, gibt uns ein Aufgebotsschreiben Karls des Großen, das uns zufällig erhalten ist. Es gehört zwar einer erheblich späteren Zeit an, als wir sie hier behandeln, den Jahren 804-811, aber ähnliche Schreiben und Vorschriften sind unzweifelhaft schon alle die Zeit vorher erlassen worden und haben gegolten, so daß wir es an dieser Stelle, wo es uns darauf ankommt, das Wesen eines Lehnsaufgebotes kennen zu lernen, einflechten dürfen. Es ist an einen Abt Fulrad, wahrscheinlich von St. Quentin im nördlichen Frankreich, gerichtet.285

Es wird dem Abt mitgeteilt, die Reichsversammlung werde in diesem Jahre in Staßfurt an der Bode, im östlichen Sachsen, stattfinden. Dort soll der Abt sich mit allen seinen gut bewaffneten und ausgerüsteten Leuten (hominibus) am 16. Juni einfinden und bereit sein, von da aus, wohin es beschlossen werde, ins Feld zu ziehen. Jeder Reiter soll Schild, Lanze, Schwert, Dolchmesser, Bogen und Köcher mit Pfeilen haben. Auf den Karren sollen alle Art Utensilien vorhanden sein, die im Kriege nötig sind, Äxte, Beile, Bohrer, Hauen, Spaten, Spitzhacken. Die mitzubringenden Lebensmittel sollen von Staßfurt[463] an noch auf drei Monate, Waffen und Kleider auf ein halbes Jahr reichen. Die Mannschaften sollen friedlich durchs Land ziehen und nichts außer Grünfutter, Holz und Wasser nehmen. Die Herren sollen bei den Karren und Reitern bleiben, damit kein Unrecht geschehe.

Bei der Vorschrift, daß der Abt für drei Monate Lebensmittel mitbringen soll, müssen wir etwas verweilen. Da er noch mit einem Vorrat für drei Monate in Staßfurt ankommen soll und bis dahin etwa 100 Meilen Wegs zu marschieren hatte, so muß er mit mehr als für vier Monate Lebensmittel ausrücken. In einem Kapitular vom Jahre 811 wird bestimmt, daß diejenigen, die von jenseits der Loire kommen, vom Rhein ab ihren dreimonatigen Vorrat rechnen dürfen; die von diesseits des Rheins von der Elbe ab. Geht der Feldzug nach Spanien, so dürfen die Überrheinischen von der Loire ab, die jenseits der Loire von den Pyrenäen ab rechnen. Für vier Monate muß also beim Ausrücken meistenteils mitgenommen werden. Wie es mit dem Rückmarsch gehalten wurde, ist aus den Quellen nicht zu ersehen; wenn man nicht in dem Kriege selbst große Beute machte, durfte der Feldzug nicht länger als zwei Monate dauern, damit der Dreimonatsvorrat für die ferneren Kontingente noch bis nach Hause reiche.

Die moderne Lebensmittelportion eines Mannes beträgt (unter Auslassung der Kombination mit Kartoffeln oder Reis)


11/2 Pfd. Brot 750 g

Geräuch. Fleisch 250 g

Hülsenfrüchte oder Mehl 250 g

Salz 25 g

Kaffee 25 g

–––––

1300 g


Lassen wir den Kaffee fort und bringen in Anschlag, daß das Getreide um 1/4 weniger wiegt als das entsprechende Quantum Brot, so wiegt eine solche Tagesportion etwa 1100 g. An frischem Fleisch wird um die Hälfte mehr gegeben als von geräuchertem, also 375 g. Der römische Soldat erhielt für 16 Tage etwa 15 kg Weizen. Die Franken mögen noch Backobst, Zwiebeln, Rüben[464] oder dergl. mitgenommen haben286, hauptsächlich aber wird sich ihre Verpflegung dadurch von der römischen unterschieden haben, daß sie viel mehr Fleischnahrung gewöhnt waren und das Schlachtvieh lebend mit ins Feld nahmen. Müssen wir das Gewicht einer römischen Tagesportion, da doch zu den 2 Pfund Getreide und Salz noch irgend etwas anderes hinzugekommen sein muß, auf 21/2 Pfund veranschlagen, so mag die germanische, neben dem frischen Fleisch nicht mehr als 11/2 Pfund gewogen haben, oder für vier Monate rund 180 Pfund. Rechnen wir hinzu, was der Mann sonst noch an Gepäck und Werkzeugen auf dem Wagen hat, und teilen dem Zugtier, Pferd oder Rind, 4 Zentner Nettolast287 zu, so ist, da auch der Wagenführer ernährt werden muß, für drei Mann ein zweispänniger Wagen kaum ausreichend. Führte Abt Fulrad 100 Krieger, so hatte er für sie etwa 15 vierspännige oder mehr als 50 zweispännige Wagen nötig. Auf ihren Rücken haben diese Vasallen gewiß nichts getragen; eher können wir annehmen, daß sie oft noch ein Weib oder einen Buben mit ins Feld führten, nicht bloß der Behaglichkeit wegen, sondern auch um im Falle der Erkrankung oder Verwundung verpflegt zu werden. Der Abt selbst war ein vornehmer Mann, der Ansprüche machte, und auch in seiner Begleitung werden manche ihre Pferdeknechte wie ihre persönlichen Diener bei sich gehabt haben, so daß der ganze Zug bei 100 Kriegern an Menschen gewiß mehr als das Doppelte zählte. Da wir nun auch für den germanischen Durst noch keine Fässer aufgeladen haben, so wird der ganze Zug nicht mit weniger als 40-50 schwergepackten vier- und zweispännigen Wagen ausgekommen sein. Obgleich die Wagen allmählich leer wurden, sind doch sicher wenige schon unterwegs nach Hause entlassen worden, da eine lange Reise und ein Feldzug, wo große Massen sich gegenseitig anfahren und sich täglich um[465] das Futter und Wasser streiten, noch ganz abgesehen von dem eigentlichen Kriegsverlust, an Tieren und Geschirren so viel verschleißen, daß fortlaufend Ersatz nötig wird. An Schlachtvieh wollen wir, da die mitgetriebenen Tiere nicht sehr viel auf den Knochen haben können, für 200 Menschen wöchentlich drei Stück rechnen, also für vier Monate ein Herde von 50 Stück.

Es fragt sich noch, ob etwa ein großer Anschlag zu machen ist, indem man unterwegs neue Verpflegung aufnahm. Mit Hilfe der Wasserstraße des Rheins und seiner Zuflüsse wäre es z.B. nicht schwer gewesen, an den Hauptübergangspunkten, Straßburg, Mainz, Köln, Duisburg, für alle aus dem Westen anrückenden Kontingente Magazine anzulegen. Aber davon hören wir nie, denn das wäre Sache der Zentralregierung gewesen, und die Verpflegung war die Sache jedes Kontingents für sich selber. Hätte Abt Fulrad seine Vorräte an irgend einem Stapelplatz ergänzen wollen, so hätte er bar bezahlen, er hätte also von seinen Bauern sehr hohe Geldsteuern eintreiben müssen. Das konnten sie nicht leisten; es blieb nichts übrig, als die eigenen Vorräte mit den eigenen Fuhren in noch so große Fernen mitzunehmen.288

Bei unserer Rechnung haben wir, wohlgemerkt, für Pferdefutter gar nichts in Anschlag gebracht. Eine Pferderation beträgt nach modernen Reglements 5 kg bis 5,65 kg Hafer, 1,50 kg Heu, 1,75 kg Stroh.289 Ein Pferd frißt also, bloß den Hafer gerechnet, in sechs Wochen mehr auf, als es transportieren kann.290 Auf eine weitere Heerfahrt kann für die Reitpferde und erst recht für die Zugtiere Futter gar nicht mitgenommen worden sein; sie waren, da man unterwegs kaum etwas kaufen konnte und nichts nehmen durfte, ausschließlich auf Grünfutter angewiesen und demgemäß von geringer Leistungsfähigkeit.

Gehörten zu dem Zuge eines Seniors mit bloß 100 Kriegern gegen 50 Wagen und Karren, so war, da ja nun noch die Reitpferde[466] aller dazukommen, die Zahl der Tiere, die nötig waren, sehr viel größer als die Zahl der Menschen und weit über doppelt so groß als die Zahl der Kombattanten. Das wird selbst dann richtig bleiben, wenn wir annehmen, daß das Schlachtvieh zum Teil die Rinder waren, die anfänglich die Wagen zogen und, indem die Wagen sich allmählich leerten und zerbrachen, überflüssig wurden.

Ein Heereszug in die Ferne war zur Zeit der Naturalwirtschaft ein großes Werk und eine schwere Last. Selbst wenn das Kloster St. Quentin sehr reich war, wird Abt Fulrad wohl noch recht viel weniger als 100 Krieger zu einem Feldzug nach Sachsen gestellt haben.

An dieser Stelle lade ich den Leser ein, noch einen letzten wohlwollenden Abschiedsblick zu werfen auf die gelehrte Ansicht, die den fränkischen Grafen an der Spitze aller Bauern seines Gaues oder gar sämtlicher waffenfähiger Männer, von den Thüringern bis zu den Gascognern, auf eigene Kosten und mit eigener Ausrüstung bald an dieser, bald an jener Grenze zu Felde ziehen läßt.

Das fränkische Reich besteht aus germanischem und romanischem Gebiet. Als Chlodwig diese verschiedenen Länder zu einem Reich zusammenschmiedete, konnten sie in ihrer sozialen Struktur kaum verschiedenartiger gedacht werden: hier Geschlechter von gleichen und freien Kriegern mit schwach bäuerlichem Anstrich; dort eine kleine Zahl Großgrundbesitzer, massenhafte hörige Bauern, Stadtbürger. Ist es nicht erstaunlich, daß im Laufe einiger Generationen hüben und drüben der gesellschaftliche Aufbau ganz der gleiche geworden ist? Die Wissenschaft hätte eigentlich längst die Frage aufwerfen müssen, weshalb sich zwischen den romanischen und germanischen Franken keine größeren Unterschiede bemerklich machen. Indem wir diese Frage jetzt stellen, haben wir die Antwort schon gegeben. In den Bürgerkriegen zeigt Austrasien sich am stärksten. Man ist geneigt, das auf seinen vorwiegend germanischen Charakter zurückzuführen, aber wenn das die Antwort erschöpfte, hätte das Übergewicht noch viel größer sein müssen; man muß dann eigentlich fragen, wie konnten Neustrien, Aquitanien oder Burgund es mit Austrasien überhaupt aufnehmen?[467] Sie haben aber soviel und solange mit einander gekämpft, daß die Kraftverschiedenheit nur ziemlich gering gewesen sein kann. Der Grund ist, daß die Franken auch die in ihren alten Sitzen gebliebenen, sobald sie einmal in das große Reich eingefügt waren, sehr bald anfingen, ihr Kriegertum abzulegen und Bauern zu werden. Das neue Kriegswesen vereinigte sich schlechterdings nicht mit einem allgemeinen Kriegerauszug, sondern verlangte eine Auswahl und eine Scheidung. Wenn sich über den längst unkriegerischen keltisch-romanischen Bauern und Bürgern ein Kriegerstand erhob, der sich wesentlich durch eingewanderte Franken rekrutierte, so differenzierten sich die altfränkischen Landschaften in ganz derselben Weise. Der alte räuberische Massenauszug wurde von den Königen und Grafen nicht mehr geduldet: sie boten zum Kriege aus jeder Hundertschaft soviel Leute auf, wie ordnungsmäßig verpflegt werden konnten, und das waren nur sehr wenige. Noch ziemlich lange wehrte sich der Germane, endlich aber ist er in eine vielleicht noch härtere Hörigkeit von seinen ehemaligen, im Kriegertum verbliebenen Genossen herabgedrückt worden als drüben der romanische Kolone.

Das Frankenreich ist begründet als Beamtenstaat mit allgemeiner Wehrpflicht, die praktisch auf einen Kriegerstand beschränkt war. Dieser Kriegerstand konnte sich nur fortpflanzen als Vasallenstand einer Großgrundbesitzerklasse. Diese Klasse, die durch das Lehnssystem die Krieger an sich fesselt, wird Inhaberin der Waffenmacht, nimmt als solche die Verwaltungsämter, das Grafentum in Beschlag, und gleich darauf auch die Zentralverwaltung, das Hausmeieramt, modern ausgedrückt das Ministerium. Das merowingische Königtum besteht fort, aber unter der Vormundschaft der Führer der neuen Aristokratie. Eine Zeitlang kämpfen diese führenden Familien, die in den Teilreichen Austrasien, Neustrien, Burgund emporkommen, untereinander, bis endlich eine von ihnen die andern teils unterdrückt, teils durch Ehebündnisse in sich aufnimmt und für den Hauptstock des Reiches wieder eine einheitliche Autorität schafft, wenn schon die Grenzländer, Bayern und Aquitanien, noch ihre Selbständigkeit behaupten.

Die Feudalisierung des Kriegswesens im Frankenreiche hat sich vollzogen in einer ganz langsamen und allmählichen Entwicklung,[468] so daß schwer ein Einschnitt und Abschnitt zu machen ist. Schon sehr früh, bald nachdem das Reich sich gebildet, bestehen das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht und die Praxis des Aufgebots von Buccellariern oder Vasallen nebeneinander. Indem die Praxis die Oberhand behält, durch das Lehnswesen sicher und dauernd fundiert und endlich staatsrechtlich fixiert wird, wird darum das Prinzip, das königliche Recht des allgemeinen Aufgebots keineswegs aufgegeben. Noch lange besteht beides nebeneinander, und wir werden noch im nächsten Buche von diesem Widerspiel zu handeln haben.

Der neue Kriegerstand der Vasallen ist die Umbildung des alten Kriegerstandes der Leudes mit der Maßgabe, daß diese ein Kriegerstand waren, den der König aufbot, jene die Untergebenen und Getreuen ihrer Senioren, der Grundbesitzer. Wie nun die Leudes das sich in einen Kriegerstand umwandelnde fränkische Volk waren, das aber gegen die Aufnahme romanischer Elemente nicht abgeschlossen war, so sind auch weiter die Vasallen ein Stand wesentlich, aber nicht ausschließlich germanischen Geblüts.

Ohne Zweifel haben die unter Romanen angesiedelten Franken sehr bald die lateinische Sprache gelernt, nicht das Schriftlatein, sondern Volkslatein, aus dem nachher das Französische geworden, ist, dabei aber noch sehr lange ihre germanische Sprache beibehalten. Noch im Jahre 698, beim Leichenbegängnis des heiligen Ansbert in Rouen, wird hervorgehoben, daß die Leidtragenden ihren Schmerz in verschiedenen durcheinandertönenden Sprachen äußerten.291 Das erste sichere Zeugnis, daß die Westfranken das Germanische nicht mehr verstanden, ist der Eid, den Ludwig der Deutsche im Jahre 842 seinem Bruder Karl zu Straßburg schwor und den er romanisch sprach, damit die Krieger seines Bruders ihn verstehen konnten. Der erste westfränkische König, der das Germanische nicht mehr verstand, ist Hugo Capet.292[469]

In Italien, wo ja ähnliche Verhältnisse herrschten, wurde die langobardische Sprache im Süden erst in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts durch das Italienische verdrängt und war im Norden ums Jahr 1000 noch nicht ausgestorben.293 Dreibis vierhundert Jahre also hat sich das Germanische mitten im Romanischen gehalten. Das war möglich, weil das Kriegertum einen Stand bildete, der in sich zusammenhielt und deshalb vorwiegend auch in sich heiratete. Die Romanen, die er aufnahm, germanisierten sich. Wir können beobachten, wie die vornehmen Romanen in Frankreich nicht bloß vielfach germanische Namen annehmen, sondern auch germanische Sitten, die Tracht, das stete Waffentragen, die Fehde, die Blutrache, das Biertrinken.294 Hof und Aristokratie behalten germanischen Charakter und eignen sich auch nur sehr wenig von römisch-literarischer Bildung an. Wer lesen lernt, gehört zum Dienst der Kirche, nicht des Staates.

Wie ganz anders sah die Welt jetzt aus als noch drei bis vier Jahrhunderte früher, da das ganze Bürgertum der einen und einheitlichen Kulturwelt friedlich dahinlebte, Steuern zahlte und aus diesen Steuern eine geworbene Armee unterhalten wurde, die, an der Grenze in festdisziplinierte Legionen zusammengefaßt, daß Reich ringsum gegen die Barbaren verteidigte und sicherte! Aus sich selbst heraus hätte das Römertum den Kriegerstand der Leudes und Vasallen nicht erzeugen können; soviel kriegerischer Geist war in der bürgerlichen Gesellschaft, der Welt der Zivilisation nicht mehr vorhanden; nur durch die Technik der Disziplinierung war man in der Lage, ein römisches Heer aufzustellen. Die germanischen Naturkrieger, aufgepfropft auf das absterbende Römertum, erzeugten die Frucht eines eigenen, in sich ruhenden und durch die eigene kriegerische Gesinnung fortlebenden Kriegerstandes.[470]

In der Anrede an seine Truppen vor der Schlacht bei Taginä läßt Procop (IV, 30) den römischen Feldherrn sagen: »Ihr geht in den Kampf als Verteidiger eines wohlgeordneten Staatswesens, jene aber sind Umstürzler, die gar nicht die Hoffnung haben, ihr Werk in ihren Nachkommen fortleben zu sehen, sondern sie fristen ihr Dasein und ihre Aussichten nur von einem Tag zum andern.« Ein höchst bedeutsames Wort! So gewiß es als Anrede fingiert ist, so wird doch der Gedanke selber den Langobarden, Herulern und Gepiden in Narses' Heer keineswegs so unfaßbar gewesen sein: sie hatten ihre Lust daran, die Kultur zu ihren Füßen zu zerstören, indem sie sich aus ihr bereicherten, aber selbst einen neuen Kulturzustand zu schaffen, dazu hatten sie ein zu starkes Gefühl ihres eigenen Barbarentums; und was ist aus den Schöpfungen Geiserichs und Theoderichs geworden?

Aber auch das alte Römerreich mit seinen Barbarensoldaten hat sich nicht behaupten können, und endlich ist, aus einer Krisis in die andere stürzend, aus der Mischung der römischen und germanischen Elemente nun doch eine neue, eigentümliche Staatsordnung entstanden. Das Altertum lebt fort in der Kirche; Staat und Heerwesen bleiben lebens- und entwicklungsfähig in der Feudalordnung, die wesentlich aus germanischen Wurzeln erwachsen ist.

In diesem Augenblick überschreiten, nachdem sie das Westgotenreich niedergeworfen, die Araber die Pyrenäen und wollen sich auch die Franken untertänig machen.

Eben hatte der Islam auch schon Konstantinopel bedrängt und hart belagert, Italien war stark bedroht und die Reiter des Propheten erschienen an der Loire, während jenseits des Rheins schon wieder das Heidentum begann. Fast nur noch auf einem schmalen Rande behauptete sich das Chrsitentum und die römisch-germanische Welt. Es gibt keine Schlacht, die wichtiger wäre in der Weltgeschichte, als die Schlacht bei Tours, in der Karl Martell den Arabern Halt gebot und sie zurückwarf. Über ihren Verlauf wissen wir so gut wie nichts, aber das vermögen wir zu behaupten, daß es die Karolingischen Vasallen gewesen sind, dieses im Frankenreiche ausgebildete, im Westgotenreich vernachlässigte Kriegertum,[471] das hier die Zukunft der germanisch-romanischen und christlichen Welt gerettet hat.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 453-472.
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