Die Säkularisation.

[473] Die Säkularisation glaube ich bei der Genesis des Rechtsinstituts der Benefizien gänzlich ausscheiden zu dürfen. Sie war unzweifelhaft ein politisches Ereignis ersten Ranges durch die Machtsteigerung, die sie den Karolingern brachte. Aber der Umstand, daß es zum großen Teil Kirchengüter waren, die den Vasallen verliehen wurden, ist doch nur ein zufälliger und nicht der Grund, weshalb man die Erblichkeit ausschloß. Dieser liegt in dem Zweck des Instituts, der Vorsorge, daß diese Güter ihrer Bestimmung, Kriegsleute zu ernähren, erhalten blieben und nicht mit der nächsten Generation der Hand des Herrn entglitten seien.

Indem ich diesen Bogen korrigierte, geht mir die Untersuchung von ULR. STUTZ »Das karolingische Zehntgebot« (Zeitschrift der Savigny-Stiftung, German. Abt. XXIX 1908 S. 170 ff.) zu, die ein neues, sehr interessantes Licht auf den Zusammenhang der Säkularisation mit der Durchführung der Lehnsverfassung wirft. Stutz weist meiner Ansicht nach überzeugend nach, daß das Zehntgebot, daß früher nur eine kirchliche und deshalb schwer und mangelhaft durchgeführte Einrichtung war, unter der Regierung Pippins zu einer Staatsvorschrift gemacht wurde, und daß dies die Kompensation war, die man der Kirche für die ihr entzogenen Güter zukommen ließ. Wir gewinnen mit dieser Entdeckung einen Einblick in das mittelalterliche Staats- und Wirtschaftsleben von der allergrößten Bedeutung. Man mache sich klar: die Schwäche des fränkischen[473] Reichs und der mittelalterlichen Staaten überhaupt ist der Mangel einer genügenden Steuerverfassung; weil der Herrscher keine Gelder zur Verfügung hat, aus denen er Sold zahlen kann, muß er das Kriegsbedürfnis bestreiten mit einem Kriegerstand, der sich aus zugewiesenem Grundbesitz nährt. Diesen Grundbesitz in der nötigen Masse zu beschaffen, hat man auch den ganzen Komplex der Kirchengüter heranziehen müssen; wovon hat denn nun aber die Kirche gelebt? Sie erhielt dafür den Zehnten, den sie wohl schon immer beansprucht, aber nicht wirklich allgemein und regelmäßig hatte erlangen können, und den ihr die staatliche Exekutive nun tatsächlich zuführte. Mit anderen Worten: der Staat konnte eine Steuer wie den Zehnten für seine Zwecke weder durchsetzen noch gebrauchen, denn Naturalleistungen lassen sich nur in sehr geringem Maße zentralisieren, aufspeichern, verrechnen und kontrollieren, und der Germane ist nach seinem Rechtsbegriff dem Staate und dem Könige eine solche Leistung auch nicht schuldig. Die Kirche aber kann den Zehnten zur Ernährung und Erhaltung ihrer Pfarrer, ihrer Bischöfe und ihrer Institute ebensowohl gebrauchen, als sie auch im Gemüte der Gläubigen darauf einen Anspruch hat. Nun verbinden sich Staat und Kirche zu jenem welthistorischen Bündnis, das erst zur Unterstützung des Bonifatius durch die Hausmeier, dann zur Schaffung des karolingischen Königtums mit Zustimmung des Papstes, schließlich zur Kaiserkrönung Karls des Großen führte. Unten, in den Fundamenten dieses Bündnisses aber erkennen wir jetzt die geniale realpolitische Praxis, die Schiebung zwischen der Steuer des Kirchenzehnten und dem kirchlichen Grundbesitz. Indem der Staat der ihm so nahe befreundeten und verbündeten Kirche den Eingang ihres Zehnten verschafft und verbürgt, den sie gebraucht und gebrauchen kann, erhält er dafür von ihr den seit Jahrhunderten zusammengebrachten Grundbesitz, den er seinerseits gebraucht und gebrauchen kann.

Die Form der Lehensvergebung auf Thronfall und Mannfall hat, um es noch einmal zu wiederholen, mit der Tatsache, daß sehr viele dieser Lehen ursprünglich Kirchengut waren, nichts zu tun; diese Form wird allein und ausschließlich erklärt durch ihren Zweck, den militärischen. Die Benutzung der Kirchengüter aber, nicht für die Schaffung, aber für die genügende Vermehrung des belehnten Kriegestandes, ist ein Ereignis von der allergrößten Bedeutung, und die Aufdeckung des Zusammenhanges dieser Tatsache mit der Einführung des für die ganze Folgezeit so wichtigen staatlichen Zehntgebots ist geeignet, uns die Größe und Tragweite des Ereignisses erst recht zum Bewußtsein zu bringen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 473-474.
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