Zweites Kapitel

[23] 323-322


Die Asiaten beim Tode Alexanders – Aufstand der Griechen im oberen Asien – Athen beim Tode Alexanders – Kriegsrüstungen der Athener – Beitritt der Griechen – Rüstungen in Makedonien – Das Gefecht bei Herakleia – Antipatros in Lamia belagert – Leosthenes' Tod – Antiphilos wird Feldherr – Demosthenes' Heimkehr – Leonnatos' Anrücken – Leonnatos fällt – Der Seekrieg – Schlacht bei Krannon – Unterhandlungen – Kapitulation der Athener – Demosthenes' Tod – Antipatros' Stellung – Krieg mit den Aitolern

Während dieser Vorgänge in Babylon hatte sich die Nachricht vom Tode des Königs bereits bis in die fernsten Gegenden des Reiches verbreitet und sehr verschiedenartige Eindrücke hervorgebracht; nun die Kraft, welche eine Welt naher und fernster Völker zusammenhielt, dahin war, mußte sich alles wenden, und die Völker hofften oder fürchteten für ihre Zukunft.

Die asiatischen, die einst persischen Völker trauerten, und mit Recht, um den Tod des Königs. Seit Jahrhunderten hatten sie unter dem Joch despotischer Willkür geschmachtet, sie waren geknechtet gewesen, ohne den Frieden der Knechtschaft zu genießen; Alexander war ihnen, wenn nicht ein Befreier, doch ein gnädiger und väterlicher Herr geworden, hatte sie vor der Willkür der Beamten, vor der Raubgier plündernder Horden geschützt, hatte sie in dem Herkommen ihrer Sitte und Religion[23] geehrt, hatte durch schnelle und glückliche Mittel auch ihrem materiellen Wohl aufzuhelfen begonnen. Jetzt waren sie ohne Schutz und ohne einigen Herrn; sie sahen die alte Zeit der Satrapenwirtschaft zurückkehren, und der einzige Unterschied gegen sonst, daß sie unter die Botmäßigkeit makedonischer Herren kamen, machte ihre Sorge für die Zukunft nur um so größer. Es war, als ob der Keim eines neuen Völkerfrühlings, den Alexander in Asien geweckt hatte, nun erstickt werden, ein härteres Joch der Knechtschaft an Stelle des altgewohnten asiatischer Herren das dauernde Ergebnis der Siege Alexanders werden sollte. Solche Besorgnis, solche Hoffnungslosigkeit mochte die Massen erregen; noch dunkler mußte die Zukunft den Großen Asiens erscheinen, die sich in die neue Stellung, welche ihnen Alexander in seinem Reiche zuwies, einzugewöhnen und in seinem Dienste sich mit dem abendländischen Wesen auszusöhnen begonnen hatten. Sie wußten, wie wenig die Makedonen ihren Stolz, die Hellenen ihre Hoffart damit aufgegeben hatten, daß sie hatten schweigen müssen; die nächsten Vorgänge nach des großen Königs Tod genügten, ihnen zu zeigen, daß ihre, der Besiegten, Rolle an der Seite der Sieger zu Ende sei. In den Schicksalen ihrer Töchter, die sie den Vornehmen des Abendlandes vermählt hatten, sollten sie bald genug der bitteren Wendung der Dinge, die über sie gekommen war, inne werden. Es wird erzählt, daß Sisygambis, die greise Mutter des Dareios, auf die Nachricht vom Tode Alexanders sich den Tod gegeben habe; wenigstens die Ermordung ihrer Enkelinnen hat sie dann nicht mehr erlebt.

Es ist bemerkenswert, daß unter allen Völkern Asiens keines den Tod des Königs zu einem Versuch, sich der Herrschaft zu entziehen, benutzt hat; ein Zeichen vielleicht nicht bloß von der Indolenz der Völker, sondern von der sicheren Haltung, die Alexander dem Regiment seines Reiches zu geben gewußt hatte. Mit wenigen Ausnahmen waren überall Makedonen als Satrapen, europäische Truppen und Militärkolonien zu ihrer Verfügung, und die bewaffnete Macht, der makedonische Dienst, ihr eigener Vorteil ließ keine Bewegung aufkommen. Da geschah etwas, was dem Reiche mindestens den entlegeneren Osten zu kosten drohte.

Schon im Jahre 325, als man an Alexanders Rückkehr aus Indien verzweifelte, hatte ein Teil der in den oxianischen Landen angesiedelten Griechen einen Aufstand gemacht und nach der europäischen Heimat zurückzukehren versucht. Jetzt, bei der Nachricht, daß Alexander wirklich tot sei, verbreitete sich in den Kolonien der oberen Satrapien eine bei weitem gefährlichere Bewegung; in den dort Angesiedelten erwachte die Sehnsucht nach dem Vaterland mit doppelter Gewalt. Nun schreckte nicht mehr des mächtigen Königs Name, und mit der Hoffnung des Gelingens wuchs der Mut und das Verlangen; sie verließen ihre Posten, sie[24] zogen mit der Waffe in der Hand zu den Heerstraßen gen Abend. Bei 20000 Mann Fußvolk und 3000 Reiter, alles Veteranen des großen Heeres, voll Selbstvertrauen, von vielerprobter Bravour und dem wilden Trotz, den das Bewußtsein der Schuld gibt, trafen sie auf den Lärmplätzen, die schon bezeichnet waren, zueinander; sie wählten sich einen aus ihrer Mitte, den Ainianen Philon, zum Anführer und zogen nun ihre Straße.

Die Kunde von diesem Beginnen mußte den Reichsverweser mit Besorgnis erfüllen; nicht bloß der Besitz der oberen Länder war gefährdet, noch gefährlicher war dies Beispiel von Insubordination, und, wenn es glückte, die Lockung für ähnlich Angesiedelte, der ungeordnete Durchzug eines solchen Haufens durch das Reich, endlich die Rückkehr kampfgeübter Scharen nach Griechenland, wo sich bereits die Vorboten eines allgemeinen Aufstandes zeigten. Der Reichsverweser ließ sofort 3000 Mann zu Fuß und 800 Reiter aus den makedonischen Truppen nach den oberen Provinzen aufbrechen; er übertrug dem Leibwächter Peithon, Krateuas' Sohn, der zum medischen Satrapen ernannt war, die Strategie dieses Zuges; er sandte an die nächsten Satrapen den Befehl, Truppen zu Peithon stoßen zu lassen; es kamen 10000 Mann zu Fuß und 8000 Reiter; Peithon selbst wurde angewiesen, der Kolonne der Empörer entgegenzurücken, sofort anzugreifen, sie sämtlich über die Klinge springen zu lassen, an seine Truppen alle Beute zu verteilen. Dieser furchtbare Befehl war eine Vorsichtsmaßregel gegen den Feldherrn, dessen Ehrgeiz um so gefährlicher schien, je bedeutender sein militärisches Talent war. Allerdings hatte Peithon, der jenes Kommando sehr gern übernahm, nichts weniger im Sinne, als den Befehl des Reichsverwesers auszuführen; er hoffte, jene griechischen Scharen an sich zu ziehen, an ihrer Spitze sich in den Besitz der oberen Provinzen zu setzen und dann, der Macht des Reichsverwesers gewachsen, sich ein unabhängiges Ostreich zu gründen. Unter solchen Hoffnungen zog er mit seinen Makedonen und den Truppen der Satrapen den Aufrührern entgegen; es gelang ihm leicht, Verbindungen im jenseitigen Lager anzuknüpfen und einen der Unterbefehlshaber, des Namens Lipodoros, zum Verrat zu gewinnen. Als nun beide Heere zum Kampf gegeneinander ausrückten und das Treffen begann und die mörderische Schlacht hin und wider schwankte, zog Lipodoros mit seinen 3000 Mann sich auf eine Anhöhe zurück, worauf die übrigen, in der Meinung, alles sei verloren, sich in vollster Auflösung zur Flucht wandten. Herr des Tages, ließ Peithon durch Heroldsruf die Flüchtigen auffordern, die Waffen zu strecken, er biete ihnen Kapitulation an, jeder möge in Frieden zu seiner Kolonie zurückkehren. So wurde feierlich ein Vertrag geschlossen, die Griechen sammelten sich und lagerten den Makedonen nahe, und Peithon freute sich, den schwierigsten Teil seines kühnen Planes so glücklich[25] ausgeführt zu haben. Den Makedonen aber waren die Anordnungen des Reichsverwesers bekannt; daß ihnen die reiche Beute der Aufrührer entzogen werden sollte, ertrugen sie nicht; trotz des beschworenen Vertrages fielen sie über die Wacht- und Waffenlosen her, erschlugen sie alle, bemächtigten sich ihres Lagers, plünderten es.

Wie nach diesem Ausgang sich die Sachen der oberen Provinzen, die um einen großen Teil der schützenden Streitkräfte ärmer geworden waren, geordnet haben, wissen wir im einzelnen nicht; jedenfalls blieb die Ruhe im weiteren ungestört, die Satrapen im Besitz ihrer Macht, und in den Alexanderstädten, aus denen sich die angesiedelten Veteranen entfernt hatten, die hineingezogenen Einwohner asiatischen Stammes.


Indes war im Westen, in den hellenischen Ländern, eine Insurrektion zum Ausbruch gekommen, welche der makedonischen Macht in Europa ernste Gefahr drohte. Der Herd derselben war Athen. Dort hatte die antimakedonische Partei in dem Ausgang der Harpalischen Prozesse die schwerste Niederlage erlitten, und Demosthenes war seit dem Frühjahr 323 aus Athen verbannt. Da kam Hipparchos, des Asklepiades Sohn, mit der Nachricht vom Tode Alexanders nach Athen; ungeheure Bewegung ergriff das versammelte Volk. »Es ist nicht möglich«, schrie Demades, der Redner, »wäre dem so, so würde das Weltall schon des Leichengeruches voll sein.« Wieder andere Redner hielten des Königs Tod für sicher, jetzt oder nie sei es Zeit, sich der Usurpation Makedoniens zu entziehen. Vergebens bemühte sich Phokion, die wilde Aufregung der Menge zu zügeln: »Ist er heute tot, so wird er es auch morgen und übermorgen sein, und wir haben Zeit, in Ruhe einen sicheren Beschluß zu fassen.« Mehr noch fürchteten die Wohlhabenden einen Krieg, der ihnen nur Gefahr und eine Menge öffentlicher Lasten brachte; aber es waren der Armen, der Neuerungssüchtigen, der Schreier zu viele, die schönen Namen der Freiheit, der alten Herrschaft, des alten Ruhmes waren mächtiger als die Stimme der Vorsicht oder die Scheu vor den beschworenen Verträgen; man nannte die makedonische Macht einen Zyklopen, der geblendet sei, man jauchzte denen zu, die auf die Tausende von Söldnern hinwiesen, die Leosthenes aus Asien gen Tainaron geführt hatte und die er im Namen der Athener ins Feld zu führen bereit sei.

Noch fehlte sichere Kunde vom Tode des Königs. Um den Staat auf keine Weise bloßzustellen, zugleich aber nichts zu versäumen und durch scheinbare Untätigkeit den Strategen Antipatros zur Unachtsamkeit zu verleiten, wurde beschlossen, dem Leosthenes für die Söldner 50 Talente aus dem Harpalischen Schatze und Waffen aus den Vorräten des Staates zu senden; sobald sich des Königs Tod bestätige, werde der Staat sich[26] offen erklären. So nahm Leosthenes jene 8000 Mann treffliches und erprobtes Kriegsvolk für Athen in Sold und begann insgeheim Unterhandlungen mit den Aitolern, die wegen Oiniadai und wegen der Weigerung, die Verbannten aufzunehmen, den Bruch Athens mit Makedonien wünschen mußten; er begab sich selbst zu ihnen, erhielt die Zusage, daß 7000 Aitoler zu ihm stoßen sollten.

Indes kamen immer neue Botschaften aus Asien, Nachrichten von den Vorgängen in Babylon, von der erregten Stimmung in den hellenischen Städten Kleinasiens, von der Austreibung der makedonischen Besatzung in Rhodos12.

Leosthenes selbst kam jetzt nach Athen; Hypereides unterstützte seine Anträge; sie gingen auf sofortige Schilderhebung gegen Makedonien. Auch von Makedonien waren Gesandte gekommen, die Aufrechterhaltung der Bundesverträge zu empfehlen, an Antipatros' Trefflichkeit zu erinnern. »Wir wissen, daß es ein trefflicher Herr ist«, sagte Hypereides, »aber wir bedürfen keines trefflichen Herrn.« Phokion, der so oft Stratege Athens gewesen war, warnte vor übereilten Beschlüssen, er zeigte die Größe der Gefahr, er erinnerte an das trostlose Schicksal Thebens; er mahnte, sich nicht durch jene Männer, die gern an der Spitze eines Heeres stehen möchten, irren zu lassen. Höhnend fragte Leosthenes, was denn er in den vielen Jahren, daß er Feldherr sei, dem Staat für Vorteil gebracht habe, und Phokion darauf: »Ist denn das ein Geringes, daß die Bürger in der Heimat ein Grab, in ihren eigenen Begräbnissen Ruhe finden?« Leosthenes aber pries das Begräbnis im Kerameikos und die Leichenrede, beides zu Ehren der im Kriege Gefallenen, höher; das sei des Mannes würdig, jetzt Zeit zum Kriege, jetzt der Beistand aller Hellenen gewiß, sicherer Erfolg vorauszusehen. Und Phokion darauf: »Deine Reden, junger Mann, sind den Zypressen gleich, sie wachsen hoch und stolz empor, aber Früchte tragen sie nicht; das ist mein schönster Ruhm, daß, solange ich Stratege gewesen, keine Leichenrede zu halten war«; und auf Hypereides' Frage, wann er, wenn jetzt nicht, den Krieg anraten werde: »Wenn ich sehen werde, daß die jungen Leute nicht mehr ihren Posten verlassen, die Reichen ihr Geld zum Kriege hergeben, die Redner nicht mehr den öffentlichen Schatz bestehlen.« Phokions Bemühungen waren umsonst; der Krieg wurde beschlossen, Leosthenes eilte zu seinen Söldnern.[27]

Selbst die attischen Patrioten, wenn sie besonnen rechneten, hätten der attischen Politik einen anderen Weg wünschen müssen. Athen besaß Macht genug, um abwartend, wie die wüste Gärung, die dem Tode Alexanders folgte, sich weiter entwickeln werde, erst dann hervorzutreten, wenn es mit sicherem Erfolg geschehen konnte. Daß zwischen den makedonischen Machthabern mit dem ersten Ausgleich in Babylon keineswegs das letzte Wort gesprochen war, daß zwischen dem Reichsverweser und den Satrapen, zwischen dem Reich und dessen Territorien weiteres Zerwürfnis in sicherer Aussicht stand, daß dann, wenn es zwischen ihnen zum Kampf kam, die Macht und das Ansehen Athens unter den Staaten von Hellas eine erhöhte Bedeutung gewinnen konnte, lag auf der Hand. Vielleicht schon jetzt würde Antipatros bedeutende Zugeständnisse gemacht haben, wenn er damit die Neutralität Athens hätte erkaufen können; und wenn Athen als Preis dafür gefordert hätte, daß sich die Staaten in Hellas der attischen Neutralität anschließen dürften, wenn Athen den Korinthischen Bund zu einer Föderation hellenischer Staaten unter attischer Leitung umzuformen sich erbot, so hätte Antipatros gewiß mit Freuden unterlassen, seine Streitkräfte, die ihm, wie er voraussehen mußte, gegen die anmaßliche Macht des Reichsverwesers bald genug sehr nötig werden mußten, nach einer Richtung zu verwenden, die ihm unberechenbare Verwicklungen und im besten Falle unfruchtbare Erfolge in Aussicht stellte; mit der Neutralität Athens und der Staaten in Hellas und der Peloponnes war er Thessaliens und der Ruhe in Epeiros gewiß, konnte er die Barbaren im Norden und in Thrakien niederhalten und dem für diese Lande bestimmten Satrapen Lysimachos, bis er in sein Land kam, Dienste leisten, die denselben im voraus an ihn banden. Waren ihm mit der Stellung, die Perdikkas dem Machthaber in Makedonien zugewiesen hatte, Aufgaben gestellt, die ihn binden und mattsetzen sollten, so hätte Antipatros, wenn er sich mit Athen und den Staaten des Korinthischen Bundes verständigte, den Kopf aus der Schlinge gezogen und dem Reichsverweser gegenüber schon jetzt für diejenige Politik eintreten können, die nur schwieriger wurde, je länger er sie verschob. Mit den Beschlüssen, die in Athen gefaßt wurden, entging ihm diese Möglichkeit; die Erregung des Moments und die Leidenschaftlichkeit der Führer führte die Stadt und Hellas zu Wagnissen, die, selbst wenn sie glückten, keine Neugestaltung, keinen neuen Gedanken, kein neues hellenisches Leben hervorgebracht haben würden. Es war wieder einmal die Politik der Stimmungen, der jüngsten Eindrücke, der nächstempfundenen Ärgernisse, für die man sich in Athen entschied.

Zunächst verfolgte man die Freunde Makedoniens, und der Demos war voll Eifer, zu verdammen. Gegen Demades wurden drei oder gar sieben[28] Klagen auf Paranomie eingebracht, und mit der dritten Verurteilung hatte er das Recht, zum Volke zu sprechen, verloren; daß er den Antrag, Alexander als Gott zu ehren, gestellt hatte, wurde mit einer Buße von 100 Talenten bestraft. Auch Kallimedon, den man den Krebs nannte, auch der junge Pytheas wurde verbannt. Selbst Aristoteles, der im Lykeion zu Athen lehrte, sollte büßen, daß er des großen Königs Freund gewesen; von Eurymedon, dem Hierophanten, wurde er wegen Gottlosigkeit verklagt und natürlich verurteilt; er starb bald darauf in Chalkis auf Euboia, wohin er geflüchtet war.

Schon war Leosthenes in voller Bewegung. Durch die mit den Aitolern angeknüpfte Beziehung hatte er sich die Möglichkeit eröffnet, schnell nach dem Norden vorzudringen, namentlich die Thermopylen zu besetzen, ohne sich den Marsch durch Boiotien und an der Kadmeia vorüber erkämpfen zu müssen. Er segelte mit seinen Söldnern nach Aitolien; mit den 7000 Mann, die dort zu ihm stießen, brach er nach den Thermopylen auf. In Athen erschien indes das entscheidende Kriegsdekret: Das Volk von Athen wolle die gemeinsame Freiheit der Hellenen wahrnehmen, die mit Besatzungen beschwerten Städte befreien; zu dem Ende solle eine Flotte von 40 Tetreren und 200 Trieren ausgerüstet werden, von den Athenern alle bis zum Alter von 40 Jahren sich zum Heeresdienst stellen, die Mannschaften von drei Phylen zur Bewachung des Landes daheim bleiben, die sieben anderen zum Kriege auszurücken bereit sein; ferner sollten Gesandte an die Staaten von Hellas gehen mit der Botschaft, daß das Volk von Athen, so wie es früher, in der Ansicht, daß Hellas aller Hellenen gemeinsames und einiges Vaterland sei, das Joch der Barbaren abgewehrt habe im Kampfe zur See, so auch jetzt für das gemeinsame Heil von Hellas zu Land und zur See mit Gut und Blut kämpfen zu müssen glaube13.

Außerordentlich muß der Eindruck gewesen sein, den dies Kriegsmanifest unter den Hellenen hervorbrachte. Zwar meinten die Verständigen: Athen tue Rühmliches, nicht aber das Nützliche; es breche vor der Zeit los, es wolle mit den unüberwindlichen Scharen Makedoniens den Kampf wagen; das Schicksal Thebens werde sich wiederholen. Aber gerade dies kühne Auftreten Athens war geeignet, auch bei den Bedenklichen die alte Liebe zur Freiheit und den Haß gegen die Fremdlinge zum Durchbruch zu bringen; jetzt waren der Streitkräfte in Makedonien wenige beieinander und die Angelegenheiten des Reiches in solchem Zustand, daß bei irgendeinem äußeren Anstoß sich plötzlich alles umgestalten konnte. Wenn irgend jemals, so hatte Athen jetzt Hoffnung, den[29] Sieg davonzutragen; wenn ein entscheidender Schlag gelang, ehe Krateros mit den Veteranen über den Hellespont kam, so schien alles gewonnen.

Während Leosthenes von Aitolien her im Marsch war, die Thermopylen zu besetzen, eilten athenische Gesandte nach allen Seiten hin, zum Bündnis gegen Makedonien, einzuladen; je nach dem Haß gegen die Makedonen und mehr noch nach dem Nachbarhader, der nun wieder aufflammte, fanden sie Eingang. Die Lokrer, die Phoker erhoben sich, schlossen sich dem Marsch des Leosthenes an; desto fester standen die Boioter zu Makedonien; sie hatten vor zwölf Jahren die Zerstörung Thebens beschlossen und ausgeführt, das Gebiet der Stadt unter sich verteilt; sie konnten voraussehen, daß, wenn die Verbündeten siegten, Theben wiederhergestellt werden und sich für alles Erlittene rächen werde14; Makedonien war ihr einziger Schutz.

Schon hatte Leosthenes mit seinem Heer die Thermopylen erreicht; das attische Heer, 5000 schwerbewaffnete Bürger, 500 Reiter und 2000 Söldner, rückte auf der Straße von Boiotien aus, sich mit Leosthenes zu vereinigen. Das zu hindern hatten die Boioter, vereinigt mit den Makedonen der Kadmeia und der Städte Euboias, vor dem Ausgang des Kithaironpasses in der Stellung von Plataiai ein Lager bezogen; den Athenern war der Weg verlegt. Leosthenes eilte mit einem Teil seiner Truppen von den Thermopylen herbei und durch Boiotien in die Defileen von Plataiai. Es kam zum Kampf, dem ersten in diesem Kriege; die Boioter wurden geschlagen, Leosthenes errichtete die Trophäen, vereinigte sich mit den Athenern, eilte nach den Thermopylen zurück, um mit seinem Heere, das sich jetzt auf 30000 Mann belief, die Makedonen entweder hier zu erwarten oder ihnen vielleicht, wenn die Siegeskunde auch in Thessalien zündete, bis in die Pässe von Tempe entgegenzugehen.

Wie hatte Antipatros die Dinge so weit kommen lassen? Warum war er nicht längst mit Kriegsmacht nach dem Süden geeilt? Seine Lage war im höchsten Maße schwierig. Jener Befehl Alexanders, der ihn nach Asien berief, mußte seine Stellung im Lande erschüttert haben; sein Hader mit der Königin Olympias hatte nicht aufgehört; natürlich, daß mit jenem Befehl, der dem Reichsverweser verloren Spiel zu geben schien, ihr Anhang in Makedonien wuchs; daß dann mit dem Tode des Königs, mit den unter gewaltsamsten Vorgängen gefaßten Beschlüssen der hohen Offiziere in Babylon die Dinge in Makedonien von neuem ihm zufielen, machte seine Lage nicht besser. Freilich hatte er eine Flotte von 110 Segeln,[30] die mit großen Geldtransporten eingetroffen war, zu seiner Verfügung, mit diesem Gelde Mittel genug zu Kriegsrüstungen; aber an kriegstüchtiger Jugend war in Makedonien nach so vielen Aushebungen für Asien Mangel; unter den Waffen hatte Antipatros nicht viel über 15000 Mann, während in Hellas, wo seit der Nachricht vom Tode des Königs die Aufregung mit jedem Tage wuchs, viele Tausende von Söldnern einer Erhebung gegen Makedonien sofort zu Dienste standen15. Allerdings kam alles darauf an, möglichst schnell mit Heeresmacht in Thessalien, in den Thermopylen zu sein, um, auf die Besatzungen der Kadmeia und in Euboia gestützt, die Bewegung zu ersticken, ehe sie ernstere Gestalt gewann. Aber schon war auch in Thrakien die bedrohlichste Gärung; der Odrysenfürst Seuthes rief zu den Waffen, und Lysimaohos konnte von Babylon her nicht so bald zur Stelle sein, der Gefahr zu begegnen, mit der die Erhebung Thrakiens schon auch die makedonischen Grenzen bedrohte; daß die Barbarenstämme im Norden, daß die Illyrier dann nicht zurückbleiben würden, war vorauszusehen; selbst von den Molossern erhoben sich einige Stämme, den in Hellas begonnenen Bewegungen folgend. Den nächsten Beistand hätten Klein- und Großphrygien senden können; aber deren Streitkräfte sollten nach den in Babylon gefaßten Beschlüssen das Unternehmen des Eumenes gegen Kappadokien unterstützen. Krateros, der nach Makedonien bestimmt war, stand mit seinen Veteranen noch in Kilikien; auf alle Fälle sandte Antipatros an ihn, um die möglichste Beschleunigung seines Marsches zu bitten; er sandte an Leonnatos, dem Phrygien am Hellespont bestimmt war, ihn zum Beistand aufzufordern, er bot ihm die Hand seiner Tochter. Seine Gesandten eilten nach Athen, nach den Städten in der Peloponnes; sie mußten, namentlich in Athen, bald genug inne werden, daß der Bruch sicher und nahe sei.

Antipatros zog, was er an Truppen hatte, schleunigst zusammen; Makedonien vor Einfällen von Epeiros, Illyrien und den thrakischen Gegenden her zu schützen, ließ er Sippas als Strategen mit einigen Truppen mit der Weisung, sie durch möglichst große Werbungen zu verstärken,[31] zurück, setzte sich mit seinem nicht bedeutenden Heer (es waren 13000 Mann Fußvolk und 600 Reiter) nach Süden hin in Marsch, befahl der Flotte, den Zug des Heeres an der Küste zu begleiten. Die Raschheit dieser Maßregel machte es ihm möglich, in Thessalien zu sein, bevor die dort allgemeine Gärung zum Ausbruch kam. Die vier Landschaften stellten ihm das schuldige Kontingent Reiter. Wenigstens an Reitern war er damit den Gegnern überlegen.

Der militärische Zusammenhang der nächstweiteren Begebenheiten ist in der Überlieferung nicht klar. Wenn das Heer der Hellenen in den Thermopylen stand und sich auf deren Verteidigung beschränkte, so war Antipatros mit seinem kaum halb so starken Fußvolk außerstande, den Paß zu forcieren; teils um die Ankunft der Verstärkungen, auf die er rechnen durfte, zu erwarten, teils in der begründeten Hoffnung, daß die Verbündeten gewiß nicht auf die Dauer einig und beieinanderbleiben würden, begnügte er sich, den Spercheios überschreitend, Herakleia, wo die Straßen nach Doris hinauf und nach den Thermopylen – eine Meile von diesen entfernt – sich trennen, zu besetzen.

Dies Zögern, die sichtlich nicht bedeutende Streitmacht Antipatros', endlich der Wunsch, durch einen errungenen Vorteil die günstige Stimmung in Hellas zu erhöhen und mehr Staaten für den Bund zu gewinnen, mochte Leosthenes bewegen, über die Pässe hinauszurücken und den Feind durch wiederholte kleine Angriffe zu einer Schlacht zu reizen. Endlich gelang es ihm, ein Treffen zu erzwingen; bei seiner Übermacht konnte der Erfolg nicht zweifelhaft sein, zumal da die thessalischen Reiter – ob schon vor dem Gefecht oder während desselben, ist nicht mehr zu ersehen – zum Feinde übergingen; Antipatros mußte weichen, er zog sich auf sein Lager zurück, er ließ, da die thessalischen Reiter den Übergang über den Spercheios sperrten, sein Heer unter den Waffen bleiben, bis jene sich auf Lamia wandten, es sich dort in den Häusern bequem zu machen; sowie er den Fluß frei sah, überschritt er ihn, eilte nach Lamia, überfiel die Stadt, setzte sich dort fest.

Dies Treffen, das im hohen Sommer geliefert sein mag, galt den Hellenen mit Recht für einen großen Erfolg; es entflammte überall den Enthusiasmus der Patrioten, und nur die Städte, die deren Haß oder Übermut bedrohte, blieben der makedonischen Sache treu. Thessalien insgemein schloß sich der Bewegung an; nur das phthiotische Theben, Pelinnaion, das König Philipp auf Kosten der Nachbarstädte erhoben hatte, Herakleia am Oita, das den erneuten Haß der Oitaier und Malier fürchten mußte, blieben treu. Die Ainianen, die Doloper, die Akarnanen von Alyzia verließen die makedonische Sache, an die die übrigen Akarnanen ihr Haß gegen die Aitoler, die ihnen Oiniadai entrissen hatten, fesselte. Euboia[32] hielt eine starke makedonische Besatzung im Zügel, die Karystier traten trotzdem zu den Hellenen über. Den Thebanern war die Heimkehr und die Herstellung ihrer zerstörten Stadt durch die starke Besatzung auf der Kadmeia unmöglich gemacht; und von den boiotischen Städten trat keine, zur Sache der Freiheit über, die ihnen die erneute Herrschaft und die Rache Thebens bedeutet hätte. Auch bei den Peloponnesiern, die sich bisher vorsichtig zurückgehalten, begann seit dem Gefecht am Spercheios schärfere Gärung. Attische Gesandte, namentlich Hypereides und Polyeuktos, der Sphettier, zogen da von Stadt zu Stadt; ihnen schloß sich Demosthenes an, der, seit den Harpalischen Prozessen aus Athen flüchtig, sich meist in Troizen oder Aigina aufhielt. Argos, Sikyon, Phlius, Epidauros, die sogenannte Akte von Argolis, Elis, Messenien traten dem Bunde bei, wie sehr auch die makedonischen Gesandten ihnen entgegenarbeiteten; von Pytheas und Kallimedon, den beiden jüngst aus Athen vertriebenen Rednern, begleitet, traten sie in der Bundesversammlung der Arkader den attischen Gesandten gegenüber, und nach heftiger Rede und Widerrede entschieden sich die Arkader für die Sache der Verbündeten.

Aber sie rückten nicht aus, vielleicht unter dem Vorwand, daß Korinth ihnen den Weg sperre. Denn dort lag eine makedonische Besatzung; auch Megara stand zu den Makedonen; Achaia hielt sich seit den schweren Verlusten von Chaironeia stille; von Sparta waren seit der Niederlage von 330 fünfzig Edle als Geiseln in Makedonien.

Der Bund von Korinth, auf dem der makedonische Einfluß auf Hellas beruht hatte, war in voller Auflösung. Statt seiner stand ein anderer hellenischer Bund fertig da, mit einem Synhedrion, das ihn leitete, einer Kriegsmacht, die im vollen Siegen war, der attischen Flotte, die 40 Tetreren und 200 Trieren stark in See gehen sollte, der makedonischen an Zahl und Größe der Schiffe weit überlegen.

Der schwerste Schlag für Antipatros war der Abfall Thessaliens; die einzige Überlegenheit, die er gehabt hatte, war dahin, seit die 2000 thessalischen Reiter auf der Seite des Feindes standen.

Wie es scheint, hatte besonders der Hipparch Menon, dessen Tochter Phthia mit dem König Aiakides von Epeiros vermählt war, diesen Übertritt bewirkt. Durch diesen Treubruch war Antipatros nicht nur vollkommen außerstande gesetzt, den Verbündeten gegenüber das Feld zu halten, sondern die Verbindung mit Makedonien, wenigstens die zu Lande, war ihm gesperrt, die zur See, wenn die attische Flotte in voller Stärke erschien, nicht minder; das feindliche Heer konnte infolge des Zutritts so vieler neuer Verbündeter immer noch neue Verstärkungen an sich ziehen; mit dem Abfall von Karystos war auch Euboia nicht mehr sicher, Boiotien so gut wie rings von erbitterten Feinden umstellt.[33]

In dieser schwierigen Lage blieb dem Antipatros nichts übrig, als sich in Lamia, wohin er sich geworfen, um jeden Preis zu halten, bis aus Asien Hilfe käme. Die Stadt war dazu durch ihre Lage, ihre hohe Burg, ihre Mauern wohl geeignet; ihr Hafen Phalara, eine Meile von der Stadt, ermöglichte die Verbindung mit der Flotte. Antipatros erneute und vermehrte die Werke der Stadt, häufte Waffen, Maschinen, Kriegsgeräte aller Art auf, versah sich möglichst mit Mundvorrat; das Flüßchen Acheloos, welches die Stadt durchfließt, bot reichlichst Trinkwasser.

Leosthenes seinerseits rückte dem Feinde mit dem ganzen Heere der Verbündeten gen Lamia nach, ließ, um seine Stellung zu decken, Wall und Graben aufwerfen, führte seine Truppen in Schlachtlinie gegen die Stadt; es lag ihm bei der Beschaffenheit seines Heeres daran, womöglich eine langwierige Belagerung zu vermeiden. Da der Feind sich hinter den Mauern hielt und durch nichts auch nur zu einem Ausfall zu verlocken war, versuchte Leosthenes die Stadt selbst zu nehmen. Täglich wurde das Stürmen mit der größten Heftigkeit wiederholt, aber mit ebensoviel Tapferkeit und Anstrengung zurückgeschlagen; die Verbündeten erlitten bedeutende Verluste. Leosthenes sah, daß er die Stadt mit stürmender Hand nicht werde nehmen können; er begann die Blockade; alle Zugänge zur Stadt wurden gesperrt, namentlich die Verbindung mit Phalara und der See vollkommen abgeschnitten; man begann eine Mauer mit Graben um die Stadt zu ziehen; nichts konnte zu den Belagerten ein noch aus; man durfte hoffen, daß bei der bedeutenden Menschenmenge in der Stadt bald die Vorräte aufgezehrt sein und Mangel an dem Notwendigsten zur Übergabe zwingen werde.

Es war um die Zeit der herbstlichen Tag- und Nachtgleiche, zu welcher man sich im Aitolischen Bunde zur Wahl eines neuen Strategen zu versammeln pflegte. Die Aitoler trugen bei Leosthenes um die Erlaubnis an, »um heimischer Angelegenheiten willen« heimkehren zu dürfen. Mochte dies der wahre Grund sein oder mochte ihnen ein Krieg, der Strapazen und Belagerungsarbeit vollauf, aber keine Beute brachte, schlecht behagen, sie kehrten, der vierte Teil des verbündeten Heeres, in die Heimat zurück. Leosthenes blieb noch stark genug, die Einschließung der Stadt fortzusetzen. Schon begann da bitterer Mangel; Antipatros sah sich genötigt, Unterhandlungen anzuknüpfen; er bot einen Frieden an; Leosthenes forderte unbedingte Unterwerfung. Für Antipatros war keine Hoffnung, täglich schloß sich die Umwallung des Feindes fester und dichter; Ausfälle gegen die Schanzenden brachten keinen Nutzen als den, dem Soldaten nicht durch gänzliche Untätigkeit die letzte Hoffnung und Kraft zu rauben. Bei einem solchen Gefecht, als sich gerade Leosthenes in dem frisch aufgeworfenen Graben befand, geschah es, daß ihn ein Schleuderstein[34] an den Kopf traf; er stürzte nieder, wurde ohnmächtig ins Lager getragen; am dritten Tage darnach war er tot.

Der Tod des Leosthenes war für die Sache der Verbündeten ein schwerer Schlag. Als Soldat und Feldherr durchaus tüchtig, hatte er das vollkommene Vertrauen der Verbündeten, und die Söldnerscharen von nah und fern zog sein Name heran; die bisherigen Erfolge hatten den höchsten Erwartungen der Verbündeten entsprochen, und seine Führung, unter der ihnen kein Unfall begegnet war, hatte dem »hellenischen Kriege«, wie man ihn in Athen nannte, den glänzendsten Ausgang zu verbürgen scheinen können.

Mit seinem Tode schien die Macht der Verbündeten ihres belebenden Herzens beraubt; und je Größeres man sich von seiner Kriegsführung versprochen, je freudiger man bei den Siegesnachrichten, die er fort und fort aus dem Lager senden konnte, Opfer, Feste und Aufzüge wiederholte und sich dem ganzen Jubel des Gelingens überließ, desto tiefer war die Entmutigung, die die Nachricht von seinem Tode in Athen verbreitete. Man steigerte mit überschätzendem Lobpreisen und Klagen die Trauer um den großen Toten und seinen Ruhm; und des Feldherrn Verlobte, die Tochter eines hochangesehenen Areopagiten, gab mit den Worten: noch unberührt, sei sie schon Witwe, kein anderer würdig, Leosthenes' Braut heimzuführen, sich selbst den Tod16. Nach der ehrenvollsten Bestattung des Gefallenen beschloß das Volk von Athen eine Leichenfeier im Kerameikos, und Hypereides, unter den damaligen Staatsmännern Athens der leitende, ward beauftragt, für Leosthenes und die im Kriege von Lamia Gefallenen die Standrede zu halten.

Es galt, an Leosthenes' Statt einen Feldherrn für die oberste Leitung des Krieges zu ernennen17. Man besorgte, das Volk könne sich für Phokion entscheiden, der allerdings um diese Zeit der einzige namhafte Feldherr in Athen war; aber er war stets im guten Vernehmen mit den makedonischen Machthabern gewesen und von Anfang her gegen den Krieg; überdies[35] würde seine Bedächtigkeit und seine Abneigung gegen jeden entscheidenden Schritt den Fortgang der Waffen gehemmt, vielleicht gar eine gütliche Ausgleichung herbeigeführt haben, während man sich doch mit der Hoffnung schmeichelte, die makedonische Macht bald gedemütigt zu sehen. Deshalb stiftete die kriegerische Partei in Athen einen sonst nicht einflußreichen Mann an, der das Volk beschwor, nicht Phokion zum Feldherrn zu wählen: er verehre in ihm seinen ältesten Freund, sei mit ihm in die Schule gegangen; sie möchten den größten Helden, den sie hätten, nicht den Gefahren des Krieges aussetzen, sondern ihn für die äußerste Not aufsparen. Dann trug er auf die Wahl des Antiphilos an; Phokion unterstützte den Antrag: er kenne zwar den trefflichen Redner, seinen ältesten Freund, nicht, aber werde ihm hinfort für seinen Diensteifer sehr dankbar sein. Und das Volk erwählte jenen Antiphilos zum Feldherrn, der, wenn auch nicht imstande, des Leosthenes Stelle in den Augen der Athener vollkommen zu ersetzen, doch in seiner Heerführung sich verständig und tapfer erwies.

Auffallend muß es erscheinen, daß Demosthenes, der so lange Jahre das Haupt der antimakedonischen Partei gewesen war, noch immer nicht, obschon bereits der Krieg gegen Makedonien mehrere Monate währte, zurückgekehrt war. Möglich, daß Hypereides, der unter seinen Klägern im Harpalischen Prozeß gewesen war, den großen Redner, dem er bei seiner Rückkehr den Vorrang auf der Rednerbühne hätte lassen müssen, entfernt zu halten wünschte; möglich auch, daß Leosthenes nach Demosthenes' Benehmen während des Spartanischen Krieges 330 und bei der Ankunft des Harpalos, wo er zum zweiten Male dem Kampf gegen Makedonien widerraten hatte, der Meinung gewesen war, er werde noch jetzt, trotz der günstigen Verhältnisse, gegen den Krieg wirken. Indes zeigte sein Benehmen in der Peloponnes, als er sich den attischen Gesandten angeschlossen und für den Bund gegen Makedonien geworben hatte, daß man seiner Übereinstimmung gewiß sein konnte; und jetzt, da der Verlust des großen Feldherrn die Stimmung in und außer Athen drückte, konnte es wünschenswert erscheinen, nicht länger das Gewicht eines so hochverehrten und unter den Hellenen berühmten Namens zu entbehren.

So wurde auf Antrag des Paianiers Demon, seines Vetters, vom Volke seine Rückkehr dekretiert; eine Triere wurde ausgesandt, ihn von Aigina, wo er sich gerade aufhielt, herüberzuholen. Bei seiner Landung kamen ihm die Beamten der Stadt, die Priester, unzähliges Volk entgegen und empfingen ihn mit lautem Jubel; er hob seine Hände gen Himmel, den Göttern zu danken: Noch herrlicher sei seine Rückkehr als die des Alkibiades, da ihn nicht Gewalt, sondern die Liebe des Volkes zurückführe.[36] Die Geldbuße, zu der er verdammt war und welche nicht erlassen werden konnte, wurde so getilgt, daß das Volk ihm die Rüstung des Altares zum Fest des Zeus, des Erhalters, übertrug und ihm dann statt der herkömmlichen Geldsumme so viel, als er gebüßt war, auszahlen ließ.

Während dieser Vorgänge in Athen hatten sich die Verhältnisse auf dem Kriegsschauplatz nicht wenig und zugunsten der Makedonen geändert. Gleich nach dem Tod des Leosthenes hatte Antipatros einen Teil der feindlichen Umwallung zerstört und damit Raum gewonnen, sich hinlänglich mit Vorräten zu versehen, um bis zur Ankunft des Ersatzheeres sich zu halten. Lysimachos war bereits mit Truppenmacht in Thrakien, so daß von dieser Seite her für Makedonien nichts mehr zu fürchten war. Vor allem Leonnatos rückte heran; Hekataios, der Tyrann von Kardia, den Antipatros zu ihm gesandt, hatte ihn im Marsch zu Eumenes, dem er Kappadokien erobern helfen sollte, getroffen, ihm dargelegt, wie schwer die Makedonen in Lamia bedrängt seien, wie nötig schleunige Hilfe, wie der dringenderen Gefahr zuerst zu begegnen sei. Daß es einem alten Gegner zu schaden galt, gab dem Tyrannen von Kardia doppelten Eifer. Zugleich erhielt Leonnatos Briefe von Kleopatra, der Schwester Alexanders, der Witwe des Königs von Epeiros, die ihn aufforderten, nach Pella zu kommen, sie sei geneigt, sich ihm zu vermählen. Erwünschteres konnte dem hochstrebenden Manne nicht begegnen; sein Heer war schlagfertig, der Erfolg gegen die Hellenen so gut wie gewiß, er dann der Retter Makedoniens, Antipatros überflügelt, sein Übergewicht im Reiche Alexanders entschieden, und die Hand der Königin vollendete, was er erstrebte. Er gab den Feldzug gegen Kappadokien auf, eilte nach Europa, rückte, indem sich von allen Seiten junge makedonische Mannschaft seinen Scharen anschloß, durch das Heimatland nach Thessalien an der Spitze von 20000 Mann Fußvolk und 2500 Reitern, Lamia zu entsetzen.

Es mochte etwa im zweiten Monat des Jahres 322 sein, das Heer der Verbündeten war nicht mehr in voller Stärke beisammen, die Aitoler waren nicht zurückgekommen, die Kontingente mehrerer griechischer Bundesstaaten für den Winter heimgezogen; Aryptaios verließ, wie es scheint, um diese Zeit mit seinen Molossern die Sache der Verbündeten. Das Heer so zu teilen, daß ein Teil Lamia gesperrt hielt und die übrigen dem phrygischen Statthalter entgegenrückten, war bei der Truppenstärke, die man noch unter den Waffen hatte, nicht mehr möglich; es kam alles darauf an, die Vereinigung der beiderseitigen makedonischen Heere zu hindern, und das einzige Mittel dazu war ein schneller und entscheidender Sieg über Leonnatos. Deshalb wurde die Belagerung sofort aufgehoben, das Lager niedergebrannt, das Gepäck und alle zum Kampf Untüchtigen nach[37] Meliteia gebracht, einer festen Stadt in den Bergen auf dem Hauptwege von Lamia nach Thessalien. Das hellenische Heer, 22000 Mann Fußvolk und mehr als 3500 Reiter unter Menon, dem Hipparchen der thessalischen Ritterschaft, zog unter dem Oberbefehl des Antiphilos dem Feind entgegen. Die feindlichen Heere trafen sich in einer Ebene, die, mit waldigen Höhen umschlossen, sich nach der einen Seite zu einem schilfigen Sumpf hinabzog; das Feld war der Reiterei – und darin bestand die Stärke der Verbündeten – günstig. Es entspann sich ein Reitergefecht, das lange und mit großer Heftigkeit fortgesetzt wurde; der Übermacht und der ungemeinen Trefflichkeit der thessalischen Ritterschaft widerstanden endlich die makedonischen Geschwader nicht mehr, sie wurden gesprengt, ein Teil von ihnen in den Sumpf gedrängt, unter ihnen Leonnatos. Er hatte mit der ihm eigenen Heftigkeit und Kühnheit gekämpft; mit Wunden bedeckt, sank er nun zusammen und verschied; mit Mühe retteten die Seinigen des Feldherrn Leiche vor dem siegreichen Feinde. Während dieses Reitergefechts hatte das beiderseitige Fußvolk ruhig außer Gefecht gestanden; sobald der Sieg der Verbündeten entschieden war, zog sich die makedonische Linie, entweder vor dem Einhauen der siegeswilden Thessaler besorgt oder auf ausdrücklichen Befehl, den Kampf abzubrechen18, auf die waldigen Anhöhen zurück. Wiederholt sprengten die Thessaler heran, die Höhen zu gewinnen; es gelang ihnen nicht; von dem mehrstündigen Gefecht ermüdet, waren die Pferde endlich zu weiteren Versuchen nicht mehr verwendbar. Die Verbündeten errichteten auf dem Schlachtfeld das Siegeszeichen und zogen sich in ihre Stellung zurück.

Trotz des Sieges hatten die Verbündeten nichts gewonnen, da sie nicht das ganze Entsatzheer zu vernichten imstande gewesen waren; auch war das Versäumte nicht nachzuholen, indem bereits am Tag nach der Schlacht Antipatros von Lamia aus, wo man kein Beobachtungskorps hatte zurücklassen können, sich mit dem frischen Heere, dessen Hauptmacht unversehrt war, vereinigte. Für ihn selbst war der Ausgang des vorigen Tages entschieden günstig: Leonnatos wäre ein gefährlicher Nebenbuhler gewesen, und neben dem Sieger hätte er, der Gerettete, eine[38] untergeordnete Rolle spielen müssen. Jetzt ging der Natur der Sache nach das Kommando auch der Armee, die jener herangeführt hatte, auf ihn über; er war, wenn noch nicht den Verbündeten überlegen, zumal da seine Reitermacht sehr zusammengeschmolzen sein mochte, doch imstande, sich in Feindesland ihnen gegenüber zu halten. Die Ebenen und jedes Gefecht vermeidend, zog er sich über die meist waldigen Höhen aus dem südlichen Teil Thessaliens langsam zurück und nahm endlich eine Stellung, in der er, Makedonien nahe, imstande war, Verstärkungen und die nötigen Vorräte an sich zu ziehen. Antiphilos aber lagerte mit dem Heer der Verbündeten in der thessalischen Ebene; er wagte nicht, die Makedonen in ihren festen Stellungen anzugreifen; er war gezwungen, ihre weiteren Bewegungen abzuwarten.

Indes hatte der Krieg zur See eine Wendung genommen, die man nach der Stärke der beiderseitigen Seemacht, wie sie im Anfang des Krieges war, nicht hatte erwarten können. Der Gang desselben ist nach den vorliegenden Überlieferungen nur noch teilweise zu erkennen.

Diodor allein gibt einigermaßen Zusammenhängendes. Nachdem er den Landkrieg bis zum Gefecht des Leonnatos und den Rückzug des Antipatros nach der makedonischen Grenze erzählt, fährt er fort: Da die Makedonen Herren zur See waren, rüsteten die Athener zu den Schiffen, die sie in See hatten, andere, so daß ihre Flotte 170 Schiffe stark wurde, während die der Makedonen 240 war, die der Nauarch Kleitos führte, der, gegen den attischen Nauarchen Euetion kämpfend, in zwei Seeschlachten siegte und viele Schiffe der Gegner vernichtete bei den »Echinadischen Inseln«. Diese liegen an der aitolischen Küste; man hat, da es undenkbar schien, daß dort der Seekrieg geführt und gar zwei Seeschlachten geschlagen sein sollten, vermutet, daß Diodor etwa die Echinadischen Inseln für den Hafen Echinos, wenige Stunden östlich von Phalara, geschrieben hat, oder daß die Lichadischen Inseln gemeint seien, die nahe dabei an der Nordwestspitze von Euboia liegen.

Die Athener hatten im Beginn dieses Krieges 40 Tetreren und 200 Trieren in Dienst zu stellen verfügt, während Kleitos anfangs nur 110 Schiffe in See führen konnte. Mochte von den 240 attischen Schiffen eine bedeutende Zahl zur Deckung der attischen Häfen und Küsten zurückbleiben, die zum Aussegeln bestimmte Seemacht wäre immer noch der feindlichen überlegen gewesen, wenn deren Ausrüstung so schnell, wie nötig war, beschafft worden wäre. Daß Antipatros, nach Lamia sich zurückziehend, als schon Thessalien von ihm abgefallen war, über Phalara von der See her die nötigen Lebensmittel und Kriegsgeräte an sich ziehen konnte, zeigt, daß auch im August und September die attische Flotte ihre Aktion noch nicht beginnen konnte.[39]

Wenn die makedonische Flotte, die anfangs nur 110 Segel stark gewesen, dann 240 stark erscheint, so kann ihr wohl nur aus Kypros, Phoinikien, Kilikien Verstärkung gekommen sein; und schon Alexander hatte kurz vor seinem Ende auf die Nachricht von der beginnenden Aufregung in Griechenland 1000 Kriegsschiffe fertigzustellen befohlen.

Auch in Athen mußte man voraussehen oder erfahren, daß Kleitos so bedeutende Verstärkungen erwartete; Grund genug zu dem Beschluß, eine größere Zahl von Schiffen in See zu stellen, um Kleitos zu schlagen, bevor er die Verstärkungen erhielt, oder diesen den Weg zu verlegen, sie möglichst weit ostwärts aufzufangen, da man vielleicht hoffen durfte, daß dann die Rhodier, die schon die makedonische Besatzung aus ihrer Stadt getrieben hatten, ihre Flotte mit der attischen vereinigen würden.

Für die makedonische Flotte war, seit Lamia eng eingeschlossen und von dem Hafen Phalara abgeschnitten war, in den engen malischen Gewässern nichts mehr zu tun; am wenigsten hätte sie dort, wie man Diodor sagen lassen will, zwei Seeschlachten zu schlagen Anlaß gehabt, wenn beide, vollständige Siege, doch nichts zur Erleichterung des Heeres in Lamia wirkten. Der Nauarch Kleitos mußte vor allem jene Verstärkungen aus Asien an sich ziehen, um an den Küsten der Feinde landend Diversionen zu machen, welche deren Landmacht abzogen, oder wenigstens durch energische Demonstrationen zu hindern, daß die zum Winter nach Hause marschierten Bundesgenossen, wie namentlich die Aitoler, nicht zum Bundesheer nach Thessalien zurückkehrten.

Hier scheint eine Anekdote weiter zu führen, von der Plutarch einige Male spricht. Kleitos, sagt er, habe, nachdem er bei Amorgos drei oder vier hellenische Schiffe zerstört, sich Poseidon nennen lassen und den Dreizack geführt19. Er sagt von derselben Seeschlacht: man habe in Athen sich einen glänzenden Erfolg versprochen, da sei denn eines Tages Stratokles gekränzt durch den Kerameikos geeilt, habe verkündet, daß die attische Flotte gesiegt habe, Dankopfer und Speisung des Volkes beantragt; aber während das Volk in Festschmaus und Jubel gewesen, seien die Reste der geschlagenen Flotte in den Peiraieus gekommen; und als das Volk den, der es so getäuscht, zur Verantwortung habe ziehen wollen, sei Stratokles frech genug gewesen, zu sagen: was es denn Schlimmes sei, daß er sie drei Tage habe fröhlich sein lassen?[40]

Vielleicht darf man eine nächste Folge dieser Seeschlacht in dem sehen, was Plutarch im Leben des Phokion nach der Ernennung des Antiphilos zum Strategen an Leosthenes' Stelle und vor der Schlacht des Leonnatos in Thessalien erzählt: bei Rhamnus seien makedonische Schiffe erschienen, von denen Makedonen und Söldner in Menge unter Mikions Führung gelandet seien und die ganze Paralia, weithin streifend und plündernd, verwüstet hätten. Sehr lebhaft schildert er das Weitere der Vorgänge in Athen: wie die Athener zusammenlaufen, jeder seinen besonderen Rat erteilt, daß man da die Höhe besetzen, dort die Reiter in des Feindes Flanke schicken müsse, so daß Phokion ausruft: »Herakles, wie viele Strategen und wie wenige Soldaten habe ich!« Er hat endlich eine Schar Hopliten beieinander, zieht an deren Spitze dem Feind entgegen; wie er sie in Linie gestellt hat, läuft einer den anderen voraus, als wolle er allein, den Gegner von dannen treiben, kehrt aber, sowie er es Ernst werden sieht, wieder in Reih und Glied zurück, unter dem bitteren Vorwurf des Strategen, daß er zweimal seinen Posten verlassen habe, den, welchen ihm sein Stratege, und den, welchen er sich selbst angewiesen habe. Trotzdem gelang es dem alten wackeren Strategen, die Makedonen zu schlagen; viele derselben, unter ihnen Mikion, fanden den Tod20.

Nach der Nachricht von der Niederlage bei Amorgos mag der zur Deckung der attischen Küste bestimmte Teil der Flotte schleunigst vor Munychia und dem Peiraieus zusammengezogen worden sein, um den Rest der geschlagenen Armada aufzunehmen und die Häfen zu decken; Kleitos wird, wenn er diese so gedeckt sah, nach dem mißlungenen Versuch bei Rhamnus keinen zweiten gemacht, sondern sich dahin gewandt haben, wo er für den Krieg in Thessalien das Wirksamste tun konnte; und das Wirksamste war, die Aitoler an einem neuen Auszug zu hindern, bis Leonnatos so weit war, Lamia zu entsetzen; oder wenn Leonnatos schon gefallen, Antipatros frei geworden war und jenseits des Peneios Stellung genommen hatte, so war die Diversion gegen die aitolische Küste nur um so notwendiger.[41]

Hatten die Athener im Beginn des »hellenischen Krieges« eine bedeutend größere Zahl von Schiffen in Dienst zu stellen beschlossen, so war jetzt, nach der Niederlage und bei der Wendung der Dinge in Thessalien die höchste Zeit, daß es geschah. In den sogenannten Seeurkunden finden sich Reste der Verzeichnisse von den Schiffen, Geräten, Geldsummen usw., welche beim Wechsel der Behörden im Sommer 321 übergeben worden sind. Man erkennt da, daß Schiffe nach Aphetai gesandt worden sind, dem Eingang des Meerbusens von Pagasai – dies mochte notwendig sein, um dem in Thessalien stehenden Landheer die Verbindung mit dem Meer zu sichern; daß ferner Schiffe unter Metrobios ausgesandt wurden –, vielleicht eine vorläufige Sendung, bis die weiter beschlossenen Ausrüstungen fertig waren, nach der aitolischen Küste zu folgen; man erkennt, daß unter diesen weiteren Ausrüstungen sich eine Pentere befand, die erste, die Athen in See stellte.

Nur aus der angeführten Stelle des Diodor erhellt, daß die Flotte der Athener in einer zweiten Seeschlacht erlag; daß er beide als bei den Echinadischen Inseln geschlagen bezeichnet, fällt wohl nur der Flüchtigkeit des Auszugs oder einer Lücke im Text zur Last. Wie sich der Zeit nach diese zweite Schlacht an der aitolischen Küste zu den Vorgängen in Thessalien verhält, ist nicht mehr zu ersehen21.

Krateros, der Prostates des Königtums, war – es mochte im Mai oder Juni 322 sein – aus Asien herangekommen; er hatte die 10000 Veteranen aus dem großen makedonischen Heere, 1000 persische Schleuderer und Bogenschützen, 1500 Reiter mit sich. Ohne Aufenthalt war er durch Makedonien gezogen, rückte dann schnell nach Thessalien vor, vereinigte sich mit Antipatros, dem er als dem unumschränkten Strategen für Makedonien und Hellas den Oberbefehl überließ; das vereinigte Heer, das sich jetzt auf mehr als 40000 Mann Fußvolk, 3000 Schützen und Schleuderer, 5000 Mann Reiter belief, rückte sofort tiefer nach Thessalien hinein und nahm eine Stellung am Peneios.

In den Ebenen südwärts von diesem Flusse nach den Bergen zu stand das Heer der Verbündeten; indes war dasselbe nichts weniger als in gutem Stande; viele der griechischen Verbündeten waren nach dem Rückzug der Makedonen im Frühjahr nach der Heimat gegangen, teils des Feldzuges, der keine Entscheidung brachte, überdrüssig, teils in der Meinung, alles sei gewonnen, teils wohl auch infolge gegenseitiger Eifersüchteleien. Die Macht der Verbündeten belief sich auf nicht mehr als 25000 Mann Fußvolk und 3500 Reiter; übler noch war, daß sie dem Heer der[42] Feinde nicht bloß an Zahl der Truppen, sondern auch an Kriegserfahrung und strenger Disziplin entschieden nachstand; im Heer der Verbündeten waren viele junge Offiziere, die, um mit ihren Untergebenen auszukommen, ihnen um so nachgiebiger sein mußten, je weniger anerkannte Tüchtigkeit und militärische Erfahrung ihnen ein Übergewicht gab. In demselben Maße, als sich die Lage der Verbündeten verschlimmerte, wuchs die Unordnung in der Menge und die Unschlüssigkeit im Kriegsrat. Die Verbündeten hätten sich durchaus in der Defensive halten müssen, um so mehr, da sie am Abhang der Berge fast unangreifbar standen, da sie von den hellenischen Staaten frische Truppen zu erwarten hatten, da ihre Verbindung mit der Heimat und dem Meere gesichert war. Aber der Feind stand nahe, drängte mit jedem Tage mehr; die Ungeduld im hellenischen Heer wuchs in bedenklicher Weise; im Vertrauen auf die thessalische Reiterei, auf das günstige Terrain und auf die festen Stellungen in den Bergen, die zum Rückzug blieben, entschloß man sich zur Schlacht.

Im Süden des Peneios dehnt sich etwa zwei Meilen südwärts die von Bergeshöhen umschlossene Ebene von Krannon aus, durch welche die Straßen von Larissa nach Lamia und Pagasai führen. Auf dem Höhenzuge im Süden lagerte das Heer der Verbündeten, während Antipatros etwas oberhalb Larissa den Fluß überschritten und von hier aus den Feind wiederholt zum Gefecht zu zwingen versucht hatte. Endlich, es war am 7. August, dem Tage der Schlacht von Chaironeia, senkten sich die Kolonnen des griechischen Fußvolks in die Ebene hinab und stellten sich in Schlachtlinie; auf ihrer rechten Flanke ritten die Geschwader der thessalischen Ritterschaft auf. Bald stand gegenüber das makedonische Heer in Linie, die Reiterscharen auf dem linken Flügel, um mit der feindlichen Reiterei, der Hauptmacht der Verbündeten, das Gefecht zu beginnen. Mit aller Tapferkeit und trotz ihrer Übermacht vermochten die Makedonen nicht, dem gewaltigen Eindringen der thessalischen Ritter zu widerstehen; sie waren bald gezwungen, sich zurückzuziehen. Indes hatte Antipatros die makedonischen Phalangen auf die Linie der feindlichen Schwerbewaffneten geführt; sie wurde durchbrochen, ein blutiges Handgemenge begann; der Übermacht und der Schwere der Phalangen nicht gewachsen, eilten die Verbündeten, das Gefecht abzubrechen; sie zogen sich in bestmöglicher Ordnung auf die Höhen zurück, von wo aus es ihnen möglich wurde, jeden weiteren Angriff der makedonischen Schwerbewaffneten, die mehrfach bergan zu kämpfen versuchten, zurückzuweisen. Die Reiterei der Verbündeten aber, die bereits im vollen Siege war, beeilte sich, da sie ihr Fußvolk sich zurückziehen sah, um selbst nicht abgeschnitten zu werden, die Höhen zu erreichen. So endete die Schlacht ohne Entscheidung,[43] wenn sich auch der Sieg auf die Seite der Makedonen neigte, indem sich der Verlust der Makedonen nicht über 130, der der Verbündeten auf etwa 500 Tote, worunter 200 Athener, belief.

Am Tage nach dem Treffen beriefen Antiphilos und Menon die Führer ihres Heeres zum Kriegsrat, um zu entscheiden, ob man die Truppensendung aus der Heimat abwarten und, wenn hinreichende Verstärkungen eingetroffen wären, eine entscheidende Schlacht wagen sollte, oder ob es besser sei, Friedensunterhandlungen anzuknüpfen. Noch war das Heer der Verbündeten bedeutend genug, um sich in seiner festen Stellung zu behaupten, und selbst der Gang des Treffens von Krannon hatte gezeigt, daß man, wenn nur einigermaßen die eigenen Streitkräfte denen der Makedonen an Zahl gleich kämen, diesen die Spitze würde bieten können; Verstärkungen konnten bald eintreffen; unter gehöriger Führung mußte man, im Besitz der trefflichen thessalischen Reiterei, den Feind im Schach halten können. Aber das Treffen hatte viele entmutigt, das Mißlingen schien nicht unverschuldet; die letzten Bande der Einigkeit und des Gehorsams lösten sich; und wer konnte wissen, ob die Städte daheim unter diesen Umständen noch Verstärkungen senden würden, ob die Makedonen nicht gleichfalls neue Truppen heranzögen? Jetzt noch schien es möglich, einen ehrenvollen Frieden zu erhalten, noch schien Antipatros dem Bunde aller Hellenen gegenüber mit einigen Zugeständnissen zufrieden sein zu müssen. So wurden Gesandte in das makedonische Lager gesandt, namens der Verbündeten Unterhandlungen anzuknüpfen. Der makedonische Stratege antwortete: er könne sich nicht in Unterhandlungen mit einem Bunde einlassen, den er nicht anerkenne; die Staaten, die den Frieden wollten, möchten ihm einzeln ihre Anträge zukommen lassen. Solche Forderungen mochten den Verbündeten als schimpfliche Zumutung erscheinen; die Verhandlungen wurden abgebrochen.

Nachteiliger als das Gefecht von Krannon war für die hellenische Sache dieser mißglückte Versuch, zu unterhandeln; es lag in demselben das Bekenntnis von Entmutigung, von Mangel an festem Willen, das einmal Begonnene um jeden Preis zu Ende zu führen. Das Anerbieten des Antipatros, mit den einzelnen Staaten des Bundes unterhandeln zu wollen, klang den einen und anderen lockend genug, um auf Kosten der gemeinsamen Sache Rettung zu suchen; wie hätte man sich noch aufeinander verlassen können, wie nicht die einen verraten, die anderen mißbraucht zu werden fürchten sollen?

Noch standen die Kontingente des Bundesheeres in wohlverschanzter Stellung beieinander; aber die Stimmung der Truppen machte weitere militärische Bewegungen unmöglich. Ungehindert zogen makedonische[44] Kommandos vor diese, vor jene thessalische Stadt; ohne Hilfe von seiten des Bundes, mußte sich ein fester Platz nach dem andern ergeben. Schon hatten sich die Verbündeten, wohl in der Besorgnis, umgangen zu werden, aus ihrer Stellung zurückgezogen; dann fiel auch Pharsalos, des Hipparchen Menon Vaterstadt; die thessalische Ritterschaft, die Hauptmacht im Heere der Verbündeten, ging auseinander, Thessalien war in der Gewalt der Makedonen. Einzelne Staaten des Bundes waren bereits mit Antipatros und Krateros in Unterhandlung getreten; man wird denen, die zuerst kamen, Bedingungen gemacht haben, welche die noch Schwankenden locken konnten. Auch Athen erbot sich zum Frieden; Antipatros forderte Auslieferung der Redner, die gegen Makedonien gesprochen hätten, sonst werde er kommen und mit den Waffen in der Hand ein Ende machen; darüber zerschlugen sich diese Unterhandlungen. Desto mehr beeilten sich die anderen Staaten; im Verlauf einiger Wochen war der Hellenische Bund vollkommen aufgelöst. Nur die Athener und Aitoler hielten noch zueinander; sie wußten, daß für sie kein Ausgleich mit Makedonien möglich war, daß ihnen nichts als vollkommene Unterwerfung oder der Kampf des Untergangs blieb.

Die attischen Truppen hatten sieh nach der Heimat zurückgezogen. Man beratschlagte über die Fortsetzung des Krieges; als aber das makedonische Heer aus Thessalien heranrückte, als es ungehindert die Thermopylen durchzogen hatte, als es bereits in Boiotien eingerückt war und bei der Kadmeia lagerte, da war es mit dem Mute der Bürger zu Ende; sie wandten sich dem Demades zu, sie forderten, daß er als Gesandter zu Antipatros gehen solle. Aber er erschien nicht in der Versammlung: er sei ja infolge seiner Paranomien nicht berechtigt, öffentlich zu reden. Schleunigst wurde die über ihn verhängte Atimie aufgehoben, und nun empfahl er, Gesandte mit unumschränkter Vollmacht an Antipatros und Krateros zu senden. Freilich schien nichts anderes übrig; aber um nicht alles in seine Hand zu legen, wählte man den alten Phokion, auf dessen Rechtlichkeit man sich verlassen zu können gewiß war, mit in die Gesandtschaft; sie eilte ins makedonische Lager nach Theben.

Nach Eröffnung der Unterhandlungen war es Phokions erste Bitte, daß das makedonische Heer nicht weiter vorrücken, daß Antipatros an dem Orte, wo er stehe, den Frieden abschließen möge. Krateros machte die Unbilligkeit der Forderung bemerklich: das Heer lagere jetzt im Lande der treuen Verbündeten, die schon durch den Krieg genug belästigt worden; es sei gerecht, daß man in das Gebiet der Besiegten einrücke. Antipatros faßte ihn traulich bei der Hand: »Laß uns dies dem Phokion zu Gefallen tun.« Als aber Phokion von den Bedingungen sprach, unter denen Athen den Frieden annehmen werde, antwortete Antipatros:[45] als er in Lamia eingeschlossen gewesen, habe der Feldherr der Athener Ergebung auf Gnade oder Ungnade gefordert; ebenso fordere er jetzt vollkommene Einwilligung in alle Maßregeln, die er zu treffen für gut finden werde.

Mit dieser Botschaft kamen die Gesandten nach Athen zurück; man hätte sich noch hinter den Mauern verteidigen, man hätte, wie in den Tagen des Themistokles, nach Salamis auswandern können; aber die attische Flotte war zweimal geschlagen, auf Beistand keine Aussicht; Demosthenes, Hypereides, Aristonikos von Marathon, Himeraios von Phaleron22, die Führer der antimakedonischen Partei, eilten, hinwegzukommen, ehe der Demos sie preisgab. Eine zweite Gesandtschaft ging nach Theben, die Friedensartikel entgegenzunehmen; es befanden sich in derselben Phokion, Demades, der greise Xenokrates aus Kalchedon, der damals der Akademie vorstand; obschon nicht athenischer Bürger, wurde er mitgesandt, da er unter den berühmtesten Namen der damaligen Zeit war und man sich von seiner Fürsprache einigen Erfolg bei dem Strategen und dem Prostates Makedoniens, die ihn hochschätzten, versprach.

Als die Gesandtschaft vorgelassen wurde, empfing Antipatros sie freundlich, bot ihnen die Hand zum Gruße, nur, so sagt die eine Überlieferung, dem Philosophen nicht, der darauf geäußert haben soll: Antipatros tue recht daran, sich wegen der Grausamkeit, die er gegen Athen begehen wolle, vor ihm allein zu schämen; und als Xenokrates zu reden habe beginnen wollen, sei ihm Antipatros unwillig in das Wort gefallen, ihn schweigen zu heißen. War dem wirklich so, so mochte Antipatros ihn, den Metoiken von Athen, nicht für geeignet halten, mit dreinzureden. Eine andere Überlieferung sagt ungefähr das Gegenteil: der makedonische Stratege habe den Philosophen nicht nur mit aller Höflichkeit empfangen, sondern auch auf seine Bitte mehrere Gefangene freigegeben. Es mag richtig sein, daß Phokion gesagt hat: da sich der Staat ganz in des Siegers Hände gebe, so möge er des alten Ruhmes der Athener und der Schonung, mit der sie von Philipp und Alexander behandelt worden, eingedenk sein. Für Antipatros war ein anderer Gesichtspunkt maßgebend: er sei bereit, mit den Athenern Frieden und Bündnis zu schließen, wenn ihm Demosthenes, Hypereides und deren Genossen ausgeliefert würden. Nach einer vielleicht sachgemäßeren Fassung forderte er, daß ihm die volle Gewalt über die Stadt und die weitere Fürsorge derselben übergeben werde. Er wird seine Absicht ausgesprochen haben, auch die Verfassung der Stadt[46] so zu ändern, daß endlich ein sicheres Verhältnis mit ihr möglich werde, nicht minder, daß er zur weiteren Garantie eine Besatzung nach Munychia legen und solange wie nötig dort lassen werde; auch Kriegsentschädigung und Strafgeld forderte er; über den Besitz von Samos, das immer noch von den attischen Kleruchen besetzt war, sollte in Babylon entschieden werden. Phokion bat, den Artikel wegen der makedonischen Besatzung zu streichen; auf die Gegenfrage, ob er für die Athener bürgen wolle, daß sie den Frieden nicht brechen und Ruhe halten würden, schwieg Phokion, und es blieb bei dem, was Antipatros gefordert hatte: gern würde er dem Phokion alles zugestehen, nur das nicht, was beiden zum Nachteil gereiche. Die übrigen Gesandten erklärten sich mit dem Geforderten einverstanden, namentlich Demades, von dem der Gedanke einer makedonischen Besatzung in Anregung gebracht worden war23. So war der Friede im Anfang September zwischen Makedonien und Athen geschlossen, ein Friede, wie Xenokrates gesagt haben soll, »für Sklaven zu billig, für freie Männer zu hart«.

Es war am 19. September 322, und die Athener feierten den Iakchos, den sechsten Tag der großen Eleusinien; der Zug der Geweihten, unter Vorgang des gekränzten Daduchen, zog auf der heiligen Straße der Ebene von Eleusis zu; da sah man makedonische Truppen, die zur Besatzung für Munychia bestimmt waren, über die Ebene daherziehen. Einer der Geschichtschreiber dieser Zeit hat daran eine Reihe trauriger Betrachtungen geknüpft: es sei gewesen, als solle das tiefe Unglück der Stadt noch bitterer schmerzen, indem es gerade mit diesem Festzug zusammenfiel; man habe sich der Salaminischen Schlacht erinnert, die gerade an diesem Tage geliefert worden, und wie damals die eleusinischen Gottheiten mit leuchtenden Erscheinungen und lautem Rufen durch die Luft hin ihre Nähe und ihren Beistand kundgegeben; jetzt hätten die Götter für denselben Festtag die tiefste Erniedrigung der glorreichen Stadt verhängt, jetzt erfülle sich die Warnung des Dodonaiischen Orakels, Artemis' Höhe – eben die der Artemis in Munychia – zu hüten, ehe die Fremdlinge sie nähmen.

Indes hatte die makedonische Besatzung von Munychia Besitz genommen; die weiteren Maßregeln folgten. Zunächst wurde die Verfassung Athens verändert; hinfort sollten nur diejenigen, welche über 2000 Drachmen Vermögen hatten, als Bürger gelten; eine Maßregel, die mindestens[47] ebenso verständig wie hart war. Denn bisher hatten nach der Schatzung vom Jahre 378 die, deren Vermögen über 2500 Drachmen betrug, die öffentlichen Lasten allein zu tragen gehabt, während die, welche weniger besaßen, die Majorität in der Ekklesie, nicht nur ohne Rücksicht auf die Mittel der Vermögenden und des Staates in den öffentlichen Angelegenheiten entschieden, sondern überdies ihr Stimmrecht in Versammlung und Gericht feil hatten oder stets zu solchen Maßregeln geneigt waren, die ihrem Vorteil oder ihren Leidenschaften entsprachen. Diesem demokratischen Unwesen zu steuern und eine Verfassung ins Werk zu setzen, mit der ein dauerndes Verhältnis möglich war, mußte das Bürgertum auf solche beschränkt werden, deren Vermögen einige Garantie gab; es war anzunehmen, daß, wer im Fall eines Krieges zu Vermögensteuer, Leiturgie usw. verpflichtet war, den Frieden zu erhalten bemüht sein werde; es schien nötig, den niedrigsten Zensus, da seit der Schätzung von 378 der Wohlstand Attikas gesunken war, um ein Fünftel herabzusetzen. Und dennoch war mehr als die Hälfte der Bürger unter diesem Zensus; sie verloren die Rechte des aktiven Bürgertums, sie wurden von Gericht und Ekklesie ausgeschlossen; ihnen wurde seitens der Makedonen Übersiedlung nach Thrakien angeboten, und viele Tausende, so heißt es, folgten der Aufforderung, wurden hinübergeschifft. Fortan bestand der Körper des Staates aus etwa 9000 Bürgern; er behielt seine hergebrachten Gesetze, den Bürgern wurde ihr Eigentum gelassen, aber die alte Souveränität der Stadt war dahin; was ihr blieb, war nur ihre kommunale Autonomie. Von ihren auswärtigen Besitzungen verlor sie sicher Imbros und Oropos, Lemnos blieb »den Athenern in Lemnos«; Samos betreffend entschied Perdikkas, der Reichsverweser, namens der Könige, daß dieser Staat, den die Athener seit vierzig Jahren mit Kleruchen besetzt hatten, wiederhergestellt werden sollte.

Zu einer der hauptsächlichsten Friedensbedingungen hatte Antipatros die Auslieferung der Redner gemacht, die bei dem Herannahen der Makedonen geflüchtet waren. Sie wurden nun seitens des attischen Volkes vorgeladen, und da sie nicht erschienen, auf Demades' Antrag in contumaciam zum Tode verurteilt; Antipatros übernahm es, das Urteil zu vollstrecken. Er zog eben jetzt von Theben aus nach der Peloponnes, überall die demokratischen Verfassungen nach Art der attischen ändernd, überall mit Festzügen empfangen, mit goldenen Kränzen und Ehrengeschenken als der wahre Gründer der Ordnung in den hellenischen Landen gefeiert. Er sandte einen Haufen Kriegsknechte aus, die Flüchtlinge lebend oder tot zu ihm zu bringen; ein gewesener Schauspieler Archias von Thurioi übernahm die Führung der Exekution. Er eilte nach Aigina; dort im Heiligtum des Aiakos fand er Hypereides, Himeraios, Aristonikos,[48] Eukrates; er ließ sie vom Altar hinwegreißen und nach Kleonai transportieren, wo Antipatros stand; dort wurden sie unter Martern hingerichtet. Demosthenes war vor Ankunft des Archias von Aigina nach Kalauria in den Tempel des Poseidon geflüchtet, um dort ein Asyl zu finden. Bald, so erzählt Plutarch, wohl nach Duris, kam Archias mit seinen Kriegsknechten, ließ von ihnen die Ausgänge des Tempels besetzen, um selbst in das Innere zu gehen. Dort hatte Demosthenes, an der Statue des Gottes sitzend, übernachtet; im Traum war es ihm gewesen, als hätte er im schauspielerischen Wettkampf mit Archias den lautesten Beifall des Publikums für sich gehabt, aber wegen der Dürftigkeit seiner Choregie dennoch den Sieg verloren. Aus seinem Traume erwachend, sieht er den Archias vor sich stehen; dieser begrüßt ihn freundlich, fordert ihn auf, mit ihm zu kommen zu Antipatros, der ihn gnädig aufnehmen werde, ihm und dem makedonischen Strategen sein Schicksal anzuvertrauen. Demosthenes bleibt unbeweglich: »Tratest du auf im Schauspiel, o Archias, so hat deine Kunst mich nie zu täuschen vermocht, und du sollst es auch jetzt nicht, da du mir gute Botschaft bringst.« Umsonst versuchte Archias ihn zu bereden; dann ward er dringender, drohte mit Gewalt; und Demosthenes entgegnete ihm: »Jetzt bist du in deiner Rolle; laß mich einen Augenblick, damit ich noch eine Zeile an die Meinigen schreibe.« Mit diesen Worten trat er ein wenig zurück, zog seine Schreibtafel vor, hielt den Griffel an den Mund und kaute dran, wie er pflegte, ehe er zu schreiben begann; dann verhüllte er sich und senkte den Kopf; die Kriegsknechte aber lachten, daß der berühmte Mann sich fürchte und zögere. Dann trat Archias zu ihm: er möge aufstehen und folgen, alles würde noch gut werden, Antipatros sei gnädig. Demosthenes aber, der schon die Wirkungen des Giftes, das er aus seinem Griffel gesogen, spürte, enthüllte das Haupt und sprach: »Nun kannst du den Kreon in der Tragödie spielen und meinen Leichnam hinauswerfen und unbegraben liegen lassen.« Schon zitternd und hinsterbend, wankte er fort, bei dem Altare des Gottes stürzte er tot zusammen24.

Schwer genug lag die Hand des Siegers auf dem besiegten Hellas. Außer Demosthenes und den vier Rednern wurden viele der antimakedonischen Partei in Athen, viele in den anderen hellenischen Staaten teils[49] hingerichtet, teils des Landes zwischen Tainaron und den Keraunischen Bergen verbannt; sie retteten sich meist in das aitolische Gebiet, es galt für große Gnade, wenn auf Phokions Fürbitte attischen Flüchtlingen vergönnt wurde, sich nach der Peloponnes zurückzuziehen25; die Peloponnes erhielt in der Person des Korinthers Deinarchos einen Epimeleten. Die Aitoler, die einzigen, welche sich noch in ihren Bergen hielten, gedachte Antipatros, vereinzelt wie sie waren, mit leichter Mühe in einem Winterfeldzug zu überwältigen. Wenigstens zu neuen Rüstungen war ein solcher der erwünschte Vorwand. Sie zu betreiben, zugleich weitere Vorsorge, wie der Gang der Dinge jenseits des Hellesponts sie nötig machte, zu treffen, kehrte er nach Makedonien zurück.

Mit dem Reichsverweser stand er bisher dem Anschein nach in gutem Einvernehmen. Beider Interessen gingen in mehr als einer Beziehung Hand in Hand; auch dem Reichsverweser waren die hohen Ansprüche der Mutter Alexanders im Wege, und gegen die der einzelnen Satrapen schien er des Rückhalts der makedonisch-hellenischen Macht nicht entbehren zu können. Darum hatte Perdikkas sich bei Antipatros um die Hand seiner Tochter Nikaia beworben; Antipatros erklärte sich gern bereit dazu; er sandte Nikaia unter Begleitung des Archias26 und ihres Bruders Iolaos nach Asien. Nicht daß der eine dem andern um so mehr getraut hätte; war dem Reichsverweser der altbegründete Einfluß des Strategen in Makedonien und nun auch über Hellas ein Gegenstand der Besorgnis, so mußte er in der treuen Gemeinschaft, in der der Prostates des Königtums mit dem Strategen den schweren hellenischen Krieg zu Ende geführt hatte, für das politische System, das er zu entwickeln gedachte, ein Hemmnis erkennen, das sehr bald gefährlich werden konnte. Und wieder Antipatros konnte sich nicht darüber täuschen, daß Perdikkas mit aller Energie seine Stellung als Reichsverweser geltend zu machen entschlossen sei und auf dem Wege zur unumschränkten Herrschaft über die Strategen und Satrapen des Reiches festen Schrittes vorwärts gehe; bereits im Anfang des Jahres 322 hatte Ptolemaios von Ägypten ihn wissen lassen, er besorge, daß der Reichsverweser sich anschicke, ihn in dem Besitz Ägyptens zu gefährden; glücke ihm das, so werde bald über[50] die anderen Strategen und Satrapen die gleiche Gefahr kommen. Eben das war des Antipatros Ansicht; er schloß mit den Vertrauten, die ihm Ptolemaios zugesandt, eine förmliche Übereinkunft, um für einen Fall vorbereitet zu sein, den sie für unvermeidlich hielten und in dem es galt, die eigene Einzelmacht gegen die Autorität des Reiches zu behaupten.

Zugleich suchte Antipatros sich noch fester als bisher mit Krateros zu vereinigen, der, ganz Soldat und in unverbrüchlicher Treue dem Königtum ergeben, vielleicht, wenn es zur Entscheidung kam, Bedenken trug, sich gegen die einmal bestellte Vertretung der höchsten Gewalt zu entscheiden. Gelang es, diesen hochbewährten Feldherrn, den Alexander seines ganzen Vertrauens würdig gehalten hatte, der beim Heere und beim Volk in höchstem Ansehen stand und dafür bekannt war, wie kein anderer unter den Genossen Alexanders ohne selbstische Zwecke und ganz im Interesse der Sache, welcher er sich einmal hingegeben hatte, zu handeln, an sein Interesse zu ketten, so hatte er in ihm eine Hauptstütze für das, was er zu schaffen gedachte, gewonnen. Er überhäufte ihn mit Ehren und Geschenken, er ließ keine Gelegenheit unbenutzt, zu bezeugen, daß er ihm allein seine Rettung, seinen Sieg über die Macht der Hellenen danke; er vermählte ihm seine Tochter, die hochherzige Phila, auf deren klugen Rat, auch in den wichtigsten Angelegenheiten, er zu hören gewohnt war, unter den Frauengestalten dieser wildbewegten Zeit eine der edelsten.

Zu den Hochzeitsfeierlichkeiten waren viele Gesandtschaften der hellenischen Staaten gekommen. Man darf annehmen, daß bereits überall die makedonisch Gesinnten wieder an die Spitze der Angelegenheiten getreten waren; wieweit oligarchische Regierungsformen durchgesetzt worden, ist nicht mit Sicherheit aus der Analogie des attischen Staates zu schließen; es wird berichtet, daß Antipatros die Verfassungen der Städte geordnet habe und dafür mit Dankadressen und goldenen Kränzen seitens der Städte geehrt worden sei.

Nur die Aitoler hatten sich noch nicht unterworfen; solange sie in ihren Bergen unabhängig blieben, war für die Ruhe in Griechenland keine dauernde Gewähr; daß so viele Geflüchtete aus den hellenischen Staaten bei ihnen Aufnahme gefunden, zeigte, daß erst der Untergang der aitolischen Eidgenossenschaft die makedonische Herrschaft in Griechenland sichern werde.

Mit dem Ausgang des Jahres 322 brach ein makedonisches Heer unter Antipatros und Krateros, 30000 Mann Fußvolk und 2500 Reiter, nach Aitolien auf; es galt nicht bloß die Aitoler zu besiegen, ihr Gemeinwesen, sollte aufgelöst, das ganze Volk, so heißt es, nach Asien übersiedelt werden. Die Aitoler brachten schnell 10000 streitbare Männer zusammen, flüchteten Weiber, Kinder und Greise in die Berge, gaben die Städte des[51] flachen Landes, die nicht Widerstand zu leisten geeignet waren, preis, legten Besatzungen in die festen Plätze, erwarteten festen Mutes den überlegenen Feind. Die Makedonen beeilten sich, da sie die Städte im flachen Lande leer fanden, der Hauptmacht der Aitoler in ihren festen Stellungen beizukommen; es wurde makedonischerseits mit großem Verlust, ohne bedeutenden Erfolg gekämpft. Als aber die harte Winterszeit herankam, als sich Krateros mit den Makedonen in festen Winterlagern förmlich ansiedelte und die Aitoler, gezwungen, in den hohen schneereichen Bergen auszudauern, bald an dem Nötigsten Mangel litten, da schien ihr Untergang nahe zu sein; denn entweder mußten sie in die Ebenen herabkommen und gegen eine Übermacht unter der vorzüglichsten Führung kämpfen, oder sie gingen dem elendesten Hungertod entgegen.

Eine unerwartete Wendung der Dinge rettete sie. Eben jetzt kam der Satrap Antigonos von Großphrygien als Flüchtling in das makedonische Lager; über die Nachrichten, die er brachte, auf das höchste bestürzt, hielt Antipatros mit Krateros und den Führern des Heeres Kriegsrat; nach einmütigem Beschluß wurde sofort aufgebrochen, nach Asien zu marschieren. Man behielt es sich vor, diesen Krieg gegen die Aitoler zu gelegener Zeit wieder aufzunehmen; für jetzt wurde ihnen ein sehr günstiger Friede gewährt.


Quelle:
Johann Gustav Droysen: Geschichte des Hellenismus. Tübingen 1952/1953, Band 2, S. 23-52.
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