Vorwort zur vierten Auflage.

Bei der Bearbeitung dieser neuen Auflage des fünften Bandes des Graetzschen Geschichtswerkes mußte darauf Bedacht genommen werden, demselben, unbeschadet des vom verewigten Verfasser herrührenden Textes, eine solche Gestalt zu geben, daß er, auch nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft, ein brauchbares Hilfswerk sei. Es war ein unabweisbares Bedürfnis, in manchen Punkten, in denen Graetz' Ausführungen von sicheren Ergebnissen der neueren Forschungen überholt sind, diesen Rechnung zu tragen. So ließ sich die noch vielfach im Werke vorkommende Ansicht von der Bedeutung der Karäer für die Bibelexegese und die Sprachwissenschaft nicht mehr aufrecht erhalten, eben so wenig wie die Darstellung betreff der sogenannten vier Gefangenen in der bisher vorliegenden Gestalt und auch Note 23 ferner ohne jede Bemerkung geboten werden konnten. Auch in anderen Partien dieses Bandes, wie z.B. der Zusammensetzung der Hochschulkollegien, Entstehung der synagogalen Poesie, u.a.m. mußte auf neuere Ergebnisse hingewiesen werden.

Anderseits mußte auch manches Neue, das besonders die letzten Funde aus Handschriften, vor allem der Genisa, zutage gefördert haben, und das dem Verfasser s.Z. noch nicht bekannt sein konnte, aufgenommen werden. Allen diesen Anforderungen suchte ich nach Möglichkeit gerecht zu werden, freilich bin ich mir dessen bewußt, daß mir wohl noch so manches entgangen sein dürfte, da mir die notwendigen Hilfsmittel hier nicht jederzeit erreichbar waren. Meine Berichtigungen und Ergänzungen habe ich in den mit [] versehenen Fußnoten gegeben, wobei ich mich einer knappen Fassung befleißigte, zugleich jedoch auf eine möglichst vollständige Literaturangabe achtend.

Die näheren Ausführungen zu diesen meinen Bemerkungen, besonders betreffs: 1. Bostanaï; 2. Das Verhältnis zwischen Exilarchat und Gaonat, wie die Zusammensetzung und Tätigkeit der Hochschulen; 3. Die Entwickelung der synagogalen Poesie [5] und das geistige Leben in Palästina von 500-900; 4. Saadias Leben und seine Schriften; 5. Das Problem der vier Gefangenen habe ich in den von der »Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums« freundlichst aufgenommenen »Beiträgen zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter« niedergelegt, und darauf in meinen Noten verwiesen. Hiervon sind die ersten drei Abhandlungen im Jahre 1908 erschienen, während die beiden letzten erst im laufenden Jahrgang zum Abdruck kommen können, so daß ich die an den betreffenden Stellen sich findende Zahl 1908 in 1909 zu ändern bitte. – Im Text des Werkes habe ich einige kleine stilistische Änderungen vorgenommen, ohne jedoch in die dem verewigten Graetz eigene, schwungvolle und frische Darstellung, die gleichfalls dem Werk mit Recht so viele Bewunderer erworben hat, mir Eingriffe zu erlauben. Auch das bisher unzulängliche Register ist vervollständigt worden.

Die in der dritten Auflage aufgenommenen mit (H) bezeichneten Fußnoten des seitdem auch entschlafenen Halberstam, wie die überaus wertvolle Ergänzung zu Note 17 von Harkavy, sind auch hier beibehalten.

Möge nun dieser Band des monumentalen Werkes auch in der vorliegenden Gestalt dazu beitragen, das Andenken des dahingegangenen Meisters der jüdischen Geschichtsschreibung, der selbst der Würdigung der neueren Ergebnisse seines Forschungsgebietes sich niemals verschlossen hat, noch ferner in gebührender Weise hoch zu halten, wie auch das Studium der Geschichte und Literatur gerade in dem hier behandelten, für die Entwicklung des Judentums so überaus wichtigen Zeitabschnitt weiter zu fördern!

Ich kann jedoch diesen Band der Öffentlichkeit nicht übergeben, ohne mit einigen Worten meiner großen Erkenntlichkeit Ausdruck zu geben für die HH. Prof. Dr. Berliner-Berlin, Dr. Brann-Breslau, Dr. Perles-Königsberg und Dr. Poznański-Warschau, die meine Arbeit teils durch Überlassung von wichtigen Büchern und Zeitschriften, teils durch beachtenswerte Ratschläge, sehr gefördert haben. Zu ganz besonderem Dank jedoch hat mich Herr Dr. Elbogen-Berlin verpflichtet, der mir viel schätzenswertes Material zur Verfügung gestellt und der großen Mühe der Mithilfe bei der Korrektur des Druckes in liebenswürdigster Weise sich unterzogen hat.


Briesen, Wpr., Mai 1909.

Eppenstein.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1909, Band 5, S. V5-VI6.
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