1. Kapitel. Das holländische Jerusalem.

[1] Die Amsterdamer Gemeinde, ihre Erwerbsquellen, ihre Reichtümer und ihre geachtete Stellung. Zacuto Lusitano. Der Dialog des Siebengebirges. David Abenatar Melo und seine spanischen Psalmen. Spaltung in der Gemeinde und Wiedervereinigung. Das Lehrhaus. Saul Morteira, Isaak Aboab und Manasse Ben-Israel. Gewalt und Einfluß der Amsterdamer Gemeinde. Die Pintos in Rotterdam. Die portugiesische Gemeinde in Hamburg. Rodrigo de Castro. Gutachten zweier lutherischer Fakultäten über die Juden. Die jüdischen Begründer der Hamburger Bank. Die erste Synagoge. Intoleranz der lutherischen Geistlichkeit. Bendito de Castro. Diego Texeira de Mattos. Reibungen zwischen den Juden und der Geistlichkeit. Der Eiferer Johannes Müller und seine judenfeindliche Schrift. Dionysius Musaphia. Die erste große Synagoge in Hamburg. Jüdische Kolonie in Brasilien.


(1618-1648.)

Man kann das Leben des jüdischen Stammes in seiner fast zweitausendjährigen Diaspora (Zerstreuung) füglich dem eines Polypen vergleichen. So vielfach verwundet und zerstückelt, starben die vom Ganzen losgetrennten Teile nicht ab, sondern begannen eine selbstständige Existenz, entwickelten sich organisch und setzten einen neuen Grundstock an. Aus der Urheimat Palästina verdrängt, sammelten sich die zersprengten Glieder dieses eigenartigen Volksorganismus an den Ufern des Euphrat und Tigris und in den Palmenstrichen Arabiens. Dort dem Untergange geweiht, zogen sie mit dem Kulturvolk des Mittelalters, mit den Arabern, nach Spanien und wurden die Lehrer des in Barbarei steckenden Europas. Auch von dort aus verjagt und gebrochen, zogen sie ostwärts, und als auch da keines Bleibens für sie war, siedelten sie sich im Norden an, immer der aufgehenden Kultur nachziehend. Die Zulassung der Juden in Holland war das erste [1] zitternde Aufdämmern eines hellen Tages aus nächtlichem Dunkel. Amsterdam, das nordische Venedig, war im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ein neuer Mittelpunkt für die Juden geworden; sie nannten es mit Recht ihr neues, großes Jerusalem1. Diese Stadt wurde mit der Zeit eine feste Arche in der neuen Sintflut für den jüdischen Stamm. Mit jedem Inquisitionsprozesse in Spanien und Portugal wegen des Judaisierens der dortigen Marranen, mit jedem Scheiterhaufen für Überführte und Verdächtige vermehrte sich die Mitgliederzahl der Amsterdamer Gemeinde, als hätten es die Fanatiker darauf angelegt, die erzkatholischen Länder zu entvölkern und arm zu machen, um die ketzerischen Staaten der Niederlande zu bevölkern und zu bereichern. Die über vierhundert portugiesischen Gemeindeglieder Amsterdams besaßen bereits in diesem durch sie zur blühenden Handelsstadt erhobenen Platze dreihundert stattliche Häuser und Paläste. Sie betrieben meistens mit ihren bedeutenden Kapitalien den Handel im großen Stile, waren bei der ostindischen und westindischen Kompagnie beteiligt oder leiteten Bankgeschäfte. Dem Wucher aber, der die Juden anderer Länder so sehr verhaßt machte, waren sie abgesagte Feinde. Von dem Umfange ihrer Kapitalien und des Umsatzes gibt die Synagogensteuer, die sie sich selbst aufgelegt haben, einen annähernden Begriff. Von jedem Pfund der von ihnen nach auswärts versandten und empfangenen Waren pflegten sie einen Deut zu steuern, und diese Steuer betrug jährlich beinahe 12000 Francs (9000 Mk.). Dabei waren nicht die Einnahmen berechnet, welche den Beteiligten von der Handelskompagnie zuflossen2.

Doch nicht um ihrer Reichtümer willen allein nahmen sie eine angesehene Stellung in der neuen batavischen Handelsstadt ein. Die eingewanderten Marranen gehörten meistens den gebildeten Ständen an, hatten in ihrer Rabenmutterheimat Spanien oder Portugal Stellungen als Ärzte, Rechtsgelehrte, Staatsbeamte, Offiziere oder Geistliche eingenommen, waren daher meistens ebenso der lateinischen Sprache und der Literatur, wie der schönen Wissenschaften kundig und gewandt in den Umgangsformen der Gesellschaft. In den Niederlanden, damals dem gebildeten Teile Europas, deren Staatsmänner die Berufung Scaligers, des Fürsten der Gelehrsamkeit, an die Universität von Leiden als eine hochwichtige Angelegenheit behandelten, in diesem Lande galt humanistische Bildung an sich schon als [2] eine besondere Empfehlung. Gebildete Juden verkehrten daher in Holland mit christlichen Männern der Wissenschaft auf dem Fuße der Gleichheit und verwischten das Vorurteil gegen den jüdischen Stamm. Einzelne unter ihnen erlangten einen europäischen Ruf und standen mit hochgestellten Persönlichkeiten in Verbindung. Abraham Zacuto Lusitano (geb. 1576, gest. 1642), Urenkel des Historikers und Astronomen Zacuto (B. VIII4370, IX4 14)3, war einer der berühmtesten Ärzte seiner Zeit. Von marranischen Eltern in Lissabon geboren, hatte er schon im achtzehnten Jahre den Doktorgrad er langt. Aber weder seine reichen Kenntnisse, noch seine Geschicklichkeit als Arzt vermochten ihn vor den lauernden Schergen der Inquisition zu schützen. Glücklich nach Amsterdam entkommen, konnte er ungehindert seiner Wissenschaft und dem Judentume leben. Zacuto Lusitano stand in brieflicher Verbindung mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz und dessen gelehrter Gemahlin, jenem unglücklichen Eintagskönigspaare von Böhmen, das den Janustempel des dreißigjährigen Krieges aufschloß. Christliche wie jüdische Fachgenossen verkündeten sein Lob in Poesie und Prosa. Aus den Briefen und Versen an Zacuto Lusitano erkennt man nicht, daß Vorurteile gegen Juden damals noch im Schwange waren. Die Statthalter der Niederlande, die Reihe der edlen Fürsten aus dem Hause Oranien-Nassau, Moritz, Heinrich und Wilhelm II., waren wie ihr Stammgründer Wilhelm I. wohlwollend gegen die Juden und behandelten sie wie vollberechtigte Bürger. Auch die niederländischen Gelehrten zollten den Gebildeten unter ihnen Achtung und verkehrten mit ihnen wie mit ihresgleichen. Selbst die Peiniger der Marranen in ihren Ländern, die spanischen und portugiesischen Könige, bequemten sich nach und nach dazu, den Nachkommen ihrer gehetzten Opfer Ehren zu erweisen, Amtsbefugnisse zu übertragen und ihnen die Konsulatsgeschäfte für ihre Staaten anzuvertrauen.

Die Anhänglichkeit der Amsterdamer Juden an ihre neugewonnene und mit so vielen Gefahren erkaufte Religion war tief empfunden und erneuerte sich beim jedesmaligen Eintreffen neuer Flüchtlinge und bei jeder Nachricht von dem Märtyrertum ihrer Brüder auf den Scheiterhaufen des Inquisitionstribunals. Diese tiefe Hingebung spiegelte sich in all ihrem Tun ab und verkörperte sich in Versen, die sie allerdings nur in der Sprache ihrer Peiniger dichten konnten.

[3] Jener Dichter, welcher einst auf dem Sprunge stand, Mönch zu werden, Paul de Pina, oder Rëuel Jesurun (IX4 S. 466) dichtete für eine feierliche Gelegenheit Wechselgesänge in portugiesischer Sprache, welche von sieben Jünglingen vorgetragen wurden, um die erste Synagoge (Bet Jakob) zu verherrlichen (1624). Die Berge des heiligen Landes: Sinaï, Hor, Nebo, Garisim, Karmel, Zetim (Ölberg) wurden redend eingeführt, um die Vortrefflichkeit des israelitischen Gottesbekenntnisses, des jüdischen Gesetzes, des jüdischen Volkes in wohlklingenden Versen zu feiern. Zetim, dargestellt von David Belmonte, einem der acht würdigen Söhne des für die Gründung der Amsterdamer Gemeinde so eifrigen Jakob Israel Belmonte (IX4 S. 469), pries diejenigen glücklich, welche auserwählt wurden, den einigen Gott zu bekennen. Der Sinaï, von Abraham de Fonseca dargestellt, sprach: »Wie selig ist der zu nennen, der Tag und Nacht dem Gesetze Gottes nachsinnt.« Die heiligen Höhen vermissen indes den Hauptberg Zion, und als er sich endlich blicken läßt (Isaak Coen Lobato), bewillkommnen ihn die übrigen voll Jubel, als den Ergänzer der heiligen Siebenzahl. In wohlgesetzten Versen preisen sie die tausend Gnadenwege, welche Gott sein Volk von den Urzeiten bis auf die Gegenwart geführt hat4. Die Einheit Gottes, die Heiligkeit des Gesetzes und die Erwartungen der messianischen Gnadenzeit, von den sefardischen Marranen tiefer empfunden, als neugewonnene, gewissermaßen mit Blut erkaufte Überzeugungen, das waren unerschöpfliche Themata für ihre Poesie. Im Hintergrunde glänzender Gemälde zeigte sie aber stets die schauerlichen Kerker, die Molochspriester und den lodernden Flammenschein der Inquisition. Diese zugleich fröhliche und düstere Stimmung der Amsterdamer marranischen Juden veranschaulichte ein tiefsinniger Dichter treu und farbenreich, David Abenatar Melo (blühte um 1600 bis 1625). Im Scheinchristentum in Spanien geboren, hatte die argusäugige Inquisition auch ihn in eine ihrer mörderischen Höhlen gebracht und mehrere Jahre darin schmachten lassen Die Kerkernacht [4] hat aber, wie er selbst erzählt, seinen Geist erleuchtet; Melo lernte in der düstern Umgebung seinen Gott erkennen. Unter eigenen Umständen der Inquisition und dem Höllenrachen entflohen (1611) und dem Lichte wiedergegeben, stellte er sich zur Aufgabe, die Psalmen in spanische Verse umzugießen. Die traurigen und frohen Weisen des Psalters belebten sich in seiner Dichterbrust zu einem ergreifenden Abbilde der Gegenwart; er verwandelte sie zu einer neuen Sangweise. Abenatar Melo widmete seine spanischen Psalmen »dem gebenedeiten Gott und der heiligen Genossenschaft Israels und Judas, welche in langer Gefangenschaft durch die Welt zerstreut ist«. Jenes erhebende Triumphlied, welches zur Einweihung des Tempels nach mehrjähriger Schändung in jauchzenden Chören, durchzuckt von schmerzlichen Erinnerungen (Ps. 30), gesungen worden war, bildete Melo in ein individuelles Danklied für seine eigene Befreiung von den Folterqualen des Tribunals um:


»Mich warf in tiefen Kerkers Nacht

Der Ketzerrichter Schreckgewalt

Den Zähnen wilder Leuen hin.

Du hast die Freiheit mir gebracht,

Der Schmerz verrauscht, die Klage schweigt,

Weil ich ein reuig Herz gezeigt,

Hast dich mir gnädig zugeneigt.

Weil ich dir Besserung versprach,

Wenn die Erlösung mir genaht,

Erhörtest mich mit deiner Gnad',

Und meiner Quäler Macht zerbrach.

Als meine Kraft schon fast vernichtet,

Da hast, o Gott, du sie gerichtet.

Und als in schwerer Marter Schmerz

Die Glieder sie mit Fesseln banden,

Daß in der Qualen Übermacht

Den Freund ich, ja den Brudermorde,

Als Nacht umhüllt das zage Herz,

Zur Folter sie empor mich wanden,

Da fleht' ich die entmenschte Horde:

Nehmt nur die Fesseln mir vom Leibe,

Und man verzeichne, und man schreibe,

Und ich will euch gern gestehen

Mehr als ihr von mir verlanget.«


Seine Hoffnung auf die messianische Erlösung kleidete David Abenatar Melo in ein inbrünstiges, wohlklingendes Gebet, das sich dem Herzen mit wohltuender Wärme einschmeichelt5.

[5] In dieser durch die stete Rückerinnerung an die überstandenen Leiden und Martern gehobenen Stimmung gründeten die Mitglieder der Amsterdamer Gemeinde Wohltätigkeitsanstalten aller Art mit vollem Herzen und reicher Hand, Waisenhäuser, Unterstützungsgesellschaften (hermandades), Hospitäler, wie sie in keiner der älteren Gemeinden vorhanden waren. Sie hatten Mittel und den rechten Sinn dafür. Ihre Frömmigkeit äußerte sich in Mildtätigkeit und Edelsinn. Indessen, wie gehoben auch ihre Stimmung war, so waren sie doch Menschen mit Leidenschaften, und darum stellten sich auch Zwistigkeiten in der jungen Gemeinde ein. Viele Mitglieder, im Katholizismus geboren und erzogen, brachten ihre katholischen Anschauungen und Gewohnheiten mit und behielten sie bei; sie glaubten sie mit dem Judentum vereinigen zu können: »Kann jemand Kohlen in seinem Schoße tragen, ohne daß seine Kleider davon versengt werden?« Von Kindesbeinen an hatten die Marranen gehört und gesehen, daß man sündigen dürfe, wenn man sich nur von Zeit zu Zeit mit der Kirche aussöhnt. Dazu waren eben die katholischen Priester in allen Rangstufen da, um die Sündenvergebung zu vollziehen und die einstigen Höllenstrafen durch kirchliche Mittel von den Sündern abzuwenden. In den Augen der meisten Marranen vertraten die Riten und Zeremonien des Judentums die Stelle der katholischen Sakramente und die Rabbiner die der Priester und Beichtväter. Sie glaubten, wenn man die jüdischen Riten gewissenhaft befolge und zum Überfluß noch dieses und jenes tue, so dürfe man dem Antrieb der Begierden nachgeben, ohne seines Seelenheiles verlustig zu gehen. Allenfalls könnten die Rabbiner Absolution erteilen. Der Lebenswandel der Amsterdamer Marranen war daher weit entfernt, geläutert zu sein, namentlich im Punkte der Keuschheit. Die ersten beiden Rabbiner der Amsterdamer Gemeinde Joseph Pardo und Juda Vega drückten unter Berücksichtigung der Umstände ein Auge bei den Schwächen und geschlechtlichen Vergehungen zu. Der dritte, Isaak Usiel, hielt aber nicht mehr an sich, geißelte vielmehr mit unerbittlichem Eifer von der Kanzel die üblen Gewohnheiten der Halbjuden und Halbkatholiken. Diese Strenge verletzte die Betroffenen; aber anstatt in sich zu gehen, grollten sie dem strengen Prediger, und mehrere verließen den Verband und die Synagoge und taten sich zusammen, eine neue (dritte) zu gründen (1618). An der[6] Spitze der Ausgetretenen stand David Osorio; er mag sich am meisten von Usiels Strafpredigten verletzt gefühlt haben. Für die neue Synagoge (Bet Israel), welche die Ausgetretenen errichtet hatten, wählten sie zum Rabbiner und Prediger David Pardo, Joseph Pardos Sohn. Dieser entschuldigte die Annahme dieses Amtes bei der neuen Gemeindegruppe, welche Isaak Usiel gewissermaßen zum Trotz gegründet war, mit der Angabe, er habe damit dem Umsichgreifen der Zwietracht entgegenarbeiten wollen. Indessen dauerte die Spannung doch zwei Jahrzehnte (1618 bis 1639)6.

Inzwischen suchten auch deutsche Juden, welche die Kriegsfurie des dreißigjährigen Krieges aus ihren Ghettos vertrieben hatte, das Asyl Amsterdam auf und wurden zugelassen (1636)7. Wenn der Amsterdamer Rat früher der Einwanderung und Ansiedelung der Juden nur durch die Finger sah, so beförderte er sie später förmlich, weil er den bedeutenden Nutzen, den sie der Stadt brachten, vor Augen hatte. Holland wurde damals der duldsamste Staat auf dem ganzen Erdrunde. Die Juden unterlagen keinerlei Beschränkung, ein und dasselbe Gesetz war für sie und die christliche Bevölkerung, nur daß sie nicht Staatsämter bekleideten, was sie auch gar nicht beansprucht haben8. Infolge des Friedensschlusses der Niederlande mit Spanien und Portugal verlangten die holländischen Vertreter für die jüdischen Untertanen dieselben Rechte in diesen Ländern wie für die christlichen, daß sie auch daselbst unbelästigt wohnen dürften. Dafür bemühte sich besonders der Gesandte Baron van Reede9. – Die eingewanderten deutschen Juden konnten sich natürlich der portugiesischen Gemeinde nicht eng [7] anschließen, weil sie nicht bloß durch Sprache, sondern auch durch Haltung und Manieren von ihr geschieden waren. Eine weite Kluft trennte die Stamm-und Religionsgenossen portugiesischer und deutscher Zunge voneinander. Jene sahen auf diese mit Stolz wie auf Halbbarbaren herab, und diese erkannten jene nicht als vollbürtige Juden an10. Sobald ihrer eine hinlängliche Zahl zusammen war, bildeten die deutschen Juden sofort einen eigenen Synagogenverband mit einem eigenen Rabbinen. Ihr erster war Moses Well. Die Spaltung innerhalb der portugiesischen Gemeinde ist aber schmerzlich empfunden worden. Darum gab sich ein angesehener Mann, Jakob Curiel, welcher später Resident des portugiesischen Hofes in Hamburg wurde, die größte Mühe, eine Versöhnung zustande zu bringen. Erst seit der Einigung der drei Synagogen zu einer einzigen Körperschaft (April 1639) trat die portugiesische Gemeinde durch das harmonische Zusammenwirken der Kräfte mit Glanz auf und überragte alle ihre älteren Schwestern in den drei Erdteilen. Die Amsterdamer Gemeinde glich in ihrer Jugend in manchen Punkten der Gemeinde Alexandrien in alter Zeit. Sie besaß wie diese große Reichtümer, Bildung und ein gewisses vornehmes Wesen, litt aber auch wie diese an Unkunde ihres religiösen und wissenschaftlichen Schrifttums. Haben doch die meisten, wenn auch nicht sämtliche marranische Gemeindeglieder erst im Alter Hebräisch lernen müssen!

Bei der Vereinigung der drei Gemeindegruppen zu einer einzigen, wofür Statuten festgesetzt wurden, haben die Vertreter auch Sorge getragen, dieser Unkunde entgegen zu arbeiten. Sie gründeten eine Lehranstalt (Talmud Thora), in welcher zugleich Knaben und Jünglinge Unterricht in den wissenswerten Fächern der jüdischen Theologie erhalten sollten. Es war vielleicht die erste derartige Lehranstalt in der Judenheit, worin eine gewisse Ordnung und eine Stufenfolge in den Lehrgegenständen eingeführt war. Sie bestand anfangs aus sieben Klassen11. Anfänger konnten darin von der untersten Stufe des hebräischen Alphabets bis zur höchsten des Talmudstudiums hinaufgeführt werden. Es war zugleich eine Elementarschule und ein höheres Lehrhaus. Auch gründliche hebräische Sprachkunde, Beredsamkeit und neuhebräische Poesie wurden darin gelehrt, was in keiner anderweitigen jüdischen Lehranstalt üblich war. In den höchsten Lehrfächern erteilten [8] die Rabbinen oder Chachams den Unterricht, zu jener Zeit Saul Morteira und Isaak Aboab. Diese beiden ohne ihr Verdienst berühmt gewordenen Männer bildeten mit Manasse Ben-Israel und David Pardo das erste Rabbinatskollegium. Das reich ausgestattete Lehrhaus wurde eine Pflanzstätte zur Ausbildung von Rabbinen für die Amsterdamer Gemeinde und ihrer Töchter in Europa und Amerika. Aus ihm gingen Zöglinge hervor, welche auf größere Kreise wirkten; nennen wir bloß des Gegensatzes wegen den kabbalistisch wirren Moses Zacuto und den geisteshellen Baruch Spinoza.

Es war kein Glück für die Amsterdamer Gemeinde, daß ihre ersten geistlichen Führer, die einen außerordentlichen Einfluß ausübten, nur mittelmäßige, zum Teil verschrobene Persönlichkeiten waren. Bei den großartigen Mitteln, welche dieser ersten holländischen Gemeinde zu Gebote standen, bei der vielfältigen Bildung, die in ihr vorhanden war, und der Hingebung ihrer Mitglieder an das Judentum, hätten ihre Führer, wenn sie einen freieren Blick, tieferen Geist und Schwung besessen hätten, Wunderbares zutage fördern können. Die Zeitumstände waren außerordentlich günstig. Sie hätten eine Verjüngung des Judentums schon damals anbahnen können. Allein das erste Amsterdamer Rabbinatskollegium hatte von dem allen nichts, gar nichts. David Pardo scheint gar wenig Bedeutung gehabt zu haben12. Saul Levi Morteira (geb. um 1596 gest. 1660)13 stammte wahrscheinlich [9] von portugiesischen Eltern, war aber in Venedig geboren. Er scheint in seiner Jugend in Begleitung des zu seiner Zeit berühmten Arztes Elia Montalto (zuletzt im Dienste der französischen Königin Maria von Medici) gewesen zu sein. Montaltos Leiche, welche diese Königin mit allen Ehrenbezeugungen von Tours über Nantes nach Amsterdam gesandt hatte, begleitete Morteira nächst Mose Montalto, des Verstorbenen Sohn, und seinem Oheim Josua de Luna. In Amsterdam wurde Morteira festgehalten und zum Prediger der ersten Synagoge nach Mose ben Arroyo erwählt. Er war aber nicht einmal ein ausgezeichneter Kanzelredner, denn sein Kollege Aboab und Manasse Ben-Israel überstrahlten ihn bei weitem. Seine Predigten, das einzige, was von ihm gedruckt wurde, haben wohl einen philosophischen Anstrich, aber keinen Gedankenkern. Auch was Morteira sonst schriftlich hinterlassen hat – über die Unsterblichkeit der Seele, über die Wahrheit des Judentums und Gottes Vorsehung für sein Volk, zugleich zur Abwehr feindseliger Angriffe gegen das Judentum und zur Widerlegung christlicher Dogmen – bietet nichts besonders Originelles. Morteira folgte nur breitspurigen Bahnen und wiederholte nur das, was andere vor ihm gedacht und aufgezeichnet hatten. Selbst in der rabbinischen Gelehrsamkeit hatte er keine Meisterschaft und wurde von den zeitgenössischen Talmudisten nicht als Autorität betrachtet.

Noch viel weniger war sein Kollege Isaak Aboab de Fonseca (geb. 1606 gest. 1693)14. Er stammte ebenfalls aus Portugal, einem Städtchen Castro d'Ayre oder San Juan de Luz, und kam, wie es scheint, mit seiner Mutter, die ihn als Fünfzigerin geboren hatte, als Kind nach Amsterdam. Unter Isaak Usiel bildete er sich aus und lernte von ihm, was dieser bieten konnte, Kanzelberedsamkeit, wenn sich das überhaupt erlernen läßt. Aboab wurde ein ausgezeichneter und beliebter Prediger. Seine Art zu sprechen hat der kluge und von geheimnisvollem Wohlwollen für die Juden erfüllte portugiesische Jesuit Antonio Vieira aus Lissabon sehr gut charakterisiert. Als er einst in[10] Amsterdam war, Aboab und Manasse Ben-Israel predigen hörte und gefragt wurde, wie er sie gefunden habe, antwortete er: »Der eine (Manasse) spricht, was er weiß, und der andere weiß, was er spricht«15. Aber eine wohlgesetzte, eindringliche und anmutende Predigt ist nicht immer die Frucht gediegenen Wissens und klarer Überzeugung. Wenigstens war es bei Aboab nicht der Fall. Er hat weder auf dem Gebiete der Wissenschaft, noch auf dem des Talmuds etwas Nennenswertes geleistet. Von Charakter war er schwankend, dem Einflusse anderer zugänglich, für Schmeichelei empfänglich und daher unselbstständig16. Diesem Manne war es gegeben, die Amsterdamer Gemeinde fast siebzig Jahre, drei Menschenalter, zu leiten. Einschneidend wichtige Fragen sind an ihn herangetreten und fanden ihn kleinlich, beschränkten Geistes, ohne Verständnis für die Vergangenheit und ohne Blick in die Zukunft. Aboab war wahngläubig wie die Menge, und anstatt sie zu leiten, wurde er von ihr mitgerissen.

Bedeutender war allerdings Manasse Ben-Israel (geb. 1604, starb 1657)17, ein Kind der Amsterdamer Gemeinde, wohin sein Vater durch die Folterqualen der Inquisition gebrochen und aller Mittel beraubt, gekommen war. Lernbegierigen Geistes bildete sich auch der junge Manasse unter Isaak Usiel aus und brachte es in Kenntnis der Bibel und des Talmuds, wenn auch nicht zur vollendeten Meisterschaft, so doch zur Gewandtheit und Eingelesenheit. Durch den geschichtlichen Wurf aufs Erlernen mehrerer Sprachen gewiesen – portugiesisch als seine angeborene Muttersprache, hebräisch als nationale Muttersprache, holländisch als Landessprache und auch lateinisch als Literatursprache, und noch mehr, im ganzen etwa zehn, – verstand es Manasse, sich in allen diesen Zungen mit mehr oder weniger Vollendung in gehobenem Stile mündlich und schriftlich auszudrücken. Von Natur redegewandt, bildete auch er sich zum Prediger aus, mit allen Licht- und Schattenseiten [11] dieses Standes. Neigung und Anlage befähigten ihn schon im fünfzehnten Jahre die Kanzel zu besteigen. Er wurde ein fruchtbarer Schriftsteller und er hat, obwohl jung gestorben, unvergleichlich mehr als seine Kollegen geleistet. War er auch eine hervorragende Persönlichkeit? Man sollte es eigentlich mit diesem liebenswürdigen Manne, welcher der Judenheit einen so wesentlichen Dienst geleistet und eine Lebensaufgabe hatte, der er die größten Opfer brachte, nicht so genau nehmen, man sollte nicht untersuchen, wie viel Anteil Schwärmerei und eine gewisse Eitelkeit daran hatten. Aber die Geschichte ist eine strenge Richterin. Was seine Zeitgenossen an Manasse bewunderten, war nicht sein tiefer Geist, nicht seine überwältigende, hinausgreifende Größe, sondern im Gegenteil seine ruhige, sich anschmiegende, bescheidene Umgänglichkeit, sein einfaches Wesen. Er hat sich selbst ohne Unterschätzung und Überschätzung richtig und kurz gezeichnet: »Ich erfreue mich einer mittelmäßigen Anlage, allerdings einer glücklichen, der Geschicklichkeit, mit einer gewissen Ordnung die Gegenstände beschreiben zu können, welche der Wille ihr entgegenbringt«18. Er hat keine großen und fruchtbaren Gedanken in die Welt gesetzt, sondern die Geisteskinder anderer gehegt und gepflegt, sie wie seine eigenen behandelt. Er war mehr Vielwisser als Denker. Obwohl er auch in der Profanliteratur und der christlichen Theologie heimisch war, so hielt er doch zähe am überkommenen Judentume, nicht bloß an dem rabbinischen Wesen, sondern auch an der Kabbala und betrachtete wie seine minder gebildeten Kollegen jedes Wort im Talmud und Sohar als eine tiefe, überschwengliche Offenbarung. Wie sie, war auch Manasse Ben-Israel dem Wahnglauben ergeben, der in ihm noch stärker hervortrat und seine Willenskraft anspornte.

So waren die Männer beschaffen, welche berufen waren, die junge, unwissende, katholisierende und folgsame Gemeinde Amsterdams zu führen und zu belehren. Ihnen war eine große Macht gegeben. Wichtige Angelegenheiten wurden in gemeinschaftlichen Sitzungen des von den Gemeindegliedern gewählten Vorstandes und des Rabbinats (Maamad) beraten und beschlossen. In religiösen Angelegenheiten gaben die Chachams allein den Ausschlag, weil die Laien – im Anfang wenigstens – sich kein Urteil zutrauten. Die Beschlüsse des Rabbinats waren für die Gemeindeglieder bindend, niemand durfte sich dagegen [12] auflehnen, weil das Regiment einen despotischen Charakter hatte. Die Behörden ließen dem Vorstande und dem Rabbinatskollegium vollständige Freiheit, geistliche Strafen über ungefügige Mitglieder zu verhängen19. Von dieser Freiheit und dieser Gewalt machten die Vertreter einen nur allzu ausgedehnten Gebrauch. Sie hatten von Spanien und Portugal den unseligen Eifer mitgebracht, den Glauben rein erhalten und Ketzerei ausrotten zu wollen. Das Amsterdamer Rabbinat hat die Neuerung eingeführt, religiöse Meinungen und Überzeugungen vor seinen Richterstuhl zu ziehen, sich als eine Art Inquisitionstribunal zu konstituieren und Autodafés, wenn auch unblutige, so doch für die Betroffenen nicht minder empfindliche, zu veranstalten. – Der Charakter, und die Organisation der größten portugiesischen Gemeinde in Europa haben auf den Gang der jüdischen Geschichte mächtig eingewirkt. Denn es bildeten sich von hier aus Töchtergemeinden, welche sich nicht bloß den Ordnungssinn, die Würde, die hingebende Frömmigkeit und Wohltätigkeit, sondern auch die Torheiten und Verkehrtheiten ihrer Mutter zum Muster nahmen. Die zweite Gemeinde auf holländischem Boden sammelte sich nach und nach in Rotterdam an. Zwei eben so fromme wie reiche Brüder Pinto (Abraham und David)20 legten den Grund zu dieser Gemeinde und beriefen zu ihrem Chacham und Vorsteher eines von ihnen fundierten Lehrhauses (Jesiba de los Pintos) einen jungen Mann, Josiahu Pardo, Sohn David Pardos und Schwiegersohn Morteiras, der sich aber durch nichts besonders hervortat.

Auch in Harlem sollten Juden Erlaubnis zur Ansiedlung erhalten. Die Humanisten und Beförderer der Duldung, wie der König der Philologen, Joseph Scaliger, freuten sich schon darauf; allein zuletzt siegte doch die Intoleranz und es wurde anfangs nichts daraus21. Dafür entstanden portugiesische Gemeinden im deutschen Norden, jenseits des Ozeans und erst nach und nach auch in anderen niederländischen Städten.

In Hamburg bildete sich zunächst eine bedeutende Kolonie der Amsterdamer Gemeinde. Aber wie viele Schwierigkeiten hat es gemacht, um die deutschen Vorurteile und die deutsche Pedanterie zu überwinden. [13] Gegen die Vorteile aus der Niederlassung der reichen und intelligenten Juden, welche die Amsterdamer schnell begriffen, sträubten sich die Hamburger Bürger mit Händen und Füßen. Es war den eingefleischten Lutheranern ein Greuel, Juden in ihrer Mitte zu haben. Ein jüdischer Juwelier Isaak aus Salzuflen (im Lippeschen) hatte mit zwölf Glaubensgenossen, die gezwungen waren, eine neue Wohnstätte auszukundschaften, den Versuch gemacht, sich in Hamburg niederzulassen. Er hatte eine Bittschrift an den Senat gerichtet, sie auf zwölf Jahre aufzunehmen, und dafür die Summe von 3000 Talern Einzugsgeld und 400 Mark jährliche Steuer geboten. Alle Gründe, welche sich damals für die Aufnahme geltend machen ließen, hatte der Unterhändler Isaak erschöpfend auseinandergesetzt und von vornherein erklärt, sich allen Bedingungen unterwerfen zu wollen. Er hatte darauf hingewiesen, daß nicht bloß in papistischen, sondern auch in evangelischen Ländern Juden geduldet wurden, nicht bloß im Westen, in Frankfurt und Worms, sondern auch im nördlichen Deutschland, in Hannover, Minden, Hildesheim, Göttingen, Norden, Dortmund, Hamm, Lippe und Emden22. Alles vergebens. Hamburg, das damals viel Behagen an pfäffischem Gezänk über Rechtgläubigkeit und Ketzerei hatte, mochte von Juden nichts wissen.

Spaßhaft ist es aber, daß Hamburg damals, als es sich gegen die zeitweise Aufnahme von Juden so sehr sträubte, bereits, ohne es zu ahnen, solche in seiner Mitte beherbergte, freilich unter der Maske portugiesischer Papisten, mit denen die rechtgläubigen Christen täglich verkehrten. Marranische Flüchtlinge, den Scheiterhaufen der Inquisition entkommen, hatten sich nämlich auch in der norddeutschen Reichs- und Hansestadt niedergelassen und galten als portugiesische »Kommerzanten«, welche die Handelsblüte der Stadt beförderten23. Bei der Nachricht, daß ihre Genossen in Amsterdam, mit denen sie in Verbindung standen, sich offen zum Judentum bekannten und geduldet wurden, [14] lüfteten auch sie mehr ihre Maske und wollten als Juden erkannt werden, ließen aber noch immer ihre neugeborenen Kinder taufen. Darob erhob die strenglutherische Bürgerschaft ein lautes Geschrei und richtete an den Senat die Forderung, daß die reichen Juden, welche aus Portugal und anderen Orten vertrieben seien, ausgewiesen und nicht geduldet werden sollten24. Allein der Rat mochte nicht darauf eingehen; eine Art Schamgefühl hinderte ihn, diese Portugiesen von edelmännischer Haltung und intelligentem Wesen wie Landstreicher oder wie Juden zu behandeln. Zu den heimlichen Juden Hamburgs gehörte auch der zu seiner Zeit beliebte und gesuchte Arzt Rodrigo de Castro (geb. um 1560 in Lissabon, st. 1627 oder 1628)25, der beim Wüten der Seuche mit Selbstaufopferung an das Siechbett der von der Pest Befallenen eilte und manchem das Leben rettete. Auch war de Castro ein geschickter Frauenarzt und hatte dadurch das schwache, gerade auf Erregung von Sympathie oder Antipathie so starke Geschlecht für sich gewonnen. Geschickte Ärzte waren damals überhaupt und noch mehr im deutschen Norden nicht häufig. Andere »Portugiesen«, wie sich die verkappten Marranen in Hamburg nannten und genannt wurden, besaßen Kapitalien oder leiteten als Faktoren bedeutende Geschäfte spanischer oder portugiesischer Häuser. Kurz, es schien dem Senat nicht tunlich, diese Portugiesen auszuweisen. Er verlegte sich daher anfangs der Bürgerschaft gegenüber auf ein offizielles Dementieren, daß sich unter ihnen gar keine Juden befänden; später gab er die Zahl derselben geringer an – etwa sieben portugiesische Juden, »welche allhier Feuer und Rauch haben«, das heißt Familien26. Anfangs begnügte sich die Bürgerschaft mit dieser offiziellen Angabe und drang nur darauf, die »Portugiesen« höher oder nach einem andern Modus zu besteuern, worauf diese wiederum nicht eingehen mochten und ihre Kapitalien und Geschäfte nach Stade oder anderen benachbarten Orten zu verlegen drohten. Dieser Streit um die Besteuerung zog sich einige Jahre hin und artete in eine kirchlich-fanatische Gewissensfrage aus. Die in Hamburg am intolerantesten sich gebärdende lutherische Geistlichkeit hetzte nämlich gegen die Duldung der portugiesischen Juden und klagte [15] den Senat geradezu der Pflichtvergessenheit an. Dieser, welcher nur den Handelsvorteil im Auge hatte, die Juden darum nicht missen mochte und auch sein Gewissen nicht beschweren oder vielmehr sich nicht un christliche Gesinnung vorwerfen lassen wollte, wendete sich von der Hamburger Geistlichkeit – dem Ministerium – an eine höhere Instanz, an die theologischen Fakultäten von Frankfurta O. und Jena27. Die theoretischen Gründe, welche der Senat für die Duldung der Juden geltend machte, nehmen sich recht drollig aus und zeugen für die Verknöcherung des Luthertums in jener Zeit. Das Gutachten der Frankfurter Fakultät28 geht auch auf diese Gründe ein und gibt sich der Hoffnung hin, daß die portugiesischen Juden, – welche um ihrer Überzeugung willen Leben, Ehren, Vermögen und ihre liebgewonnene Heimat aufgegeben hatten – sich in Hamburg zum Christentum bekehren würden! Das ausführlich gehaltene Gutachten der Jenaer Fakultät29 sieht aus, als hätte es ein Professor der Dominikaner-Theologie ein Jahrhundert vorher zur Zeit Hochstratens geschrieben, und als wäre der Zeiger der Geschichte unverrückt stehen geblieben. Sie könnte die Zulassung der Juden nur gestatten, wenn der Senat ihnen weder öffentliche Synagogen, noch heimliche gottesdienstliche Zusammenkünfte erlauben würde, weil sie darin Jesus schmähten, und wer den Sohn schmähe, lästre auch den Vater, und wenn der Rat dieses stillschweigend duldete, würde er sich damit auch der Gotteslästerung teilhaftig machen. Ferner dürfte er nicht die Beschneidung zugeben, noch dulden, daß sie christliche Dienstboten hielten, noch daß sie zu irgendeinem Amte zugelassen würden. Wie die unduldsamsten Päpste wünschte auch die lutherisch-theologische Fakultät die Juden zum Anhören christlicher Predigten zu zwingen.

Der Senat, der durch diese beiden Gutachten im ganzen von der kirchlichen Seite geschützt war, gestattete (Februar 1612) den portugiesischen Juden offen den Aufenthalt in Hamburg, allerdings mit solchen Beschränkungen, wie sie dem deutschen Geiste oder der deutschen Engherzigkeit jener Zeit eigen war, die Folgerichtigkeit nach beiden Seiten hin pedantisch-bedächtig vermeidend. Sie galten eigentlich als Schutzjuden, die jährlich einen Schoß oder Schutzgeld von 1000 Mark zu leisten hatten. Auch war ihr Aufenthalt kündbar. Synagogen zu halten wurde ihnen nicht gestattet, auch nicht häusliche Andacht nach jüdischen Gebräuchen, und auch die Beschneidung sollten sie nicht üben: [16] aber sie durften ihre Toten auf einem eigenen Gottesacker bei Altona, den sich einige Familien zu diesem Zwecke vom Grafen zu Schaumburg gekauft hatten, beerdigen. Es befanden sich damals in Hamburg 125 erwachsene Personen marranischer Abkunft, 26 Ehepaare und 73 Unverheiratete und Alte (Kinder nicht mitgerechnet), darunter 10 Kapitalisten, zwei Ärzte und drei Handwerker30. Wichtig in den vereinbarten Artikeln war, daß neue Ankömmlinge auch Aufnahme finden sollten, »wenn der hoch- und wohlweise Rat deren Qualifikation so beschaffen befindet, daß er dieselben in Schutz zu nehmen kein Bedenken findet«. So vergrößerte sich die junge, halbgeduldete Hamburger Gemeinde von Jahr zu Jahr, und innerhalb eines Jahrzehntes waren auch mehrere Kapitalisten hinzugekommen31. Die Vergrößerung der Gemeinde mit solchen Ansiedlern, die geradezu als Juden und nicht mehr als verkappte Portugiesen aufgenommen waren, machte eine neue Vereinbarung zwischen ihnen und dem Senate erforderlich (1617), welche ihre Privilegien in geschäftlicher Beziehung erweiterte, aber in bürgerlicher beschränkte. Sie durften kein eigenes Haus oder Liegenschaft besitzen und mußten dieselben, wenn erworben, wieder veräußern. Eine Ausnahme wurde nur dem beliebten Arzte Rodrigo de Castro wegen seiner viele Jahre geleisteten treuen Dienste zugestanden, aber nur für die Dauer seines Lebens; vererben durfte er sein Haus nicht. Synagogen durften sie immer noch nicht haben, und das zu ihrem Gebrauche taugliche Fleisch nicht aus Altona oder Wandsbeck, sondern von weiter gelegenen Plätzen beziehen32.

Indessen je mehr die portugiesischen Juden durch ihre Kapitalien und ihre geschäftliche Verbindung mit den großen, im Senate sitzenden Handelsherren Bedeutung erlangten, desto mehr durchbrachen sie die um sie gezogenen Schranken einer engherzigen Gesetzgebung. Als die Bank in Hamburg gegründet wurde (1619 bis 1623), welcher diese Stadt ihre auf fester Basis beruhende Handelsblüte verdankt, haben mindestens zwölf jüdische Kapitalisten33 sich dabei mit ihren Fonds [17] interessiert und mit daran gearbeitet, wie die Amsterdamer Portugiesen an der Entstehung der überseeischen holländischen Handelsgesellschaften. Den bedeutenden Handel Hamburgs mit Spanien und Portugal haben die portugiesisch-jüdischen Ansiedler allein begründet34. Sie konnten daher darauf rechnen, daß die Herren des Senats, welche das Regiment in Händen hatten, bei Überschreitungen der Artikel ein Auge zudrücken würden. Am meisten lag ihnen daran, zum gemeinsamen Gottesdienste zusammen kommen zu dürfen, und gerade das war ihnen verboten. Auf ihre Unentbehrlichkeit vertrauend, richteten sie aber still eine Synagoge ein auf dem Platze genannt »auf der Herrlichkeit« (um 1626). Eliahu Aboab Cardoso war es, welcher dieses Wagestück begann. Sie nannten sie Talmud Thora und beriefen dazu einen Chacham Isaak Athias, einen Jünger Isaak Usiels35, aus Amsterdam.

Diese wohl einfache, aus zwei großen Zimmern bestehende Synagoge hat sehr viel böses Blut gemacht und viel Ärgernis gegeben. Der Kaiser Ferdinand II., der Schrecken der Protestanten, den es verdroß, daß die erzlutherische Elbstadt den Katholiken den Bau einer Kirche versagte, richtete ein drohendes Schreiben an den Senat (28 Juli 1627), daß den Juden um des Handels willen eine öffentliche Synagoge gestattet werde, während den Römisch-Katholischen die Religionsübung verboten sei36. Mehr brauchte es nicht, um die lutherischen Fanatiker in Harnisch zu bringen. Wenn man den Juden freie Religionsübung gestatte.[18] so müsse man sie auch den Katholiken und gar auch den Calvinisten einräumen, sagten sie. Allerdings eine erschreckende Konsequenz! Als das Ministerium oder der geistliche Konvent, welcher in Hamburg eine große Macht besaß, den Senat wegen Überschreitung der mit den Juden vereinbarten Artikel anfuhr, und dieser wieder die Juden zur Rede stellte, erklärten die letzteren, sie hätten keine Synagoge, sondern lediglich Versammlungsorte, um das Gesetz Mose, die Psalmen, die Propheten und andere Bücher des alten Testaments zu lesen, allenfalls beteten sie auch darin für das Wohl der Stadt und der Obrigkeit. Der Rat beruhigte sich dabei, weil die Juden drohten, falls ihnen der Gottesdienst untersagt werden sollte, würden sie sämtlich Hamburg verlassen und ihre Kapitalien und Handelsverbindungen einem benachbarten Platze zuwenden. Das zog. Aber die Geistlichen hörten nicht auf, von der Kanzel gegen die Juden und den pflichtvergessenen Senat zu donnern. Sie verlangten nicht weniger, als daß ein christlicher Rabbiner angestellt werden solle, um den Juden in der Synagoge oder irgenwo das Christentum zu predigen37. Auch die Ärzte sahen mit Ingrimm auf die Beliebtheit jüdischer Fachgenossen und suchten nicht bloß sie, sondern die Judenheit überhaupt zu verdächtigen und gegen sie zu hetzen. Diese Verleumder fertigte ein geschickter und gesuchter jüdischer Arzt ab, Bendito de Castro oder Baruch Nehemias (geb. 1598 st. 1648)38, ein Sohn Rodrigo Castros, in einer geharnischten Gegenschrift (Flagellum Calumniantium sive Apologia, 1631). Sie war lebendig, in zierlichem Latein abgefaßt und machte einen guten Eindruck. Der Verfasser wurde später Leibarzt der Königin Christine von Schweden.

Die Gemeinde und ihr Wohlstand wuchsen aber von Jahr zu Jahr, und der Senat nahm die Zuzügler mit Kapitalien und Handelsverbindungen gerne auf. Wenn auch die Schilderungen des damaligen Erzjudenfeindes (Johannes Müller) übertrieben erscheinen, so läßt sich doch daraus der Reichtum der portugiesischen Juden Hamburgs entnehmen. »Sie gehen einher, geschmückt mit goldnen und silbernen Stücken, mit köstlichen Perlen und Edelgesteinen. Sie speisen auf ihren Hochzeiten aus silbernen Gefäßen und fahren in solchen Karossen, die nur hohen Standespersonen zustehen, und gebrauchen noch obendrein Vorreiter und eine große Gefolgschaft«39. Ganz besonders machte die [19] in Hamburg angesiedelte, überaus reiche Familie Texeira einen geradezu fürstlichen Aufwand. Der erste Gründer dieses Bankierhauses, Diego Texeira de Mattos, hieß in Hamburg, wie einst Joseph von Naxos in Konstantinopel »der reiche Jude«. Er stammte aus Portugal, führte einen hohen Adelstitel und war früher spanischer Resident in Flandern. Als Siebziger unterwarf er sich noch der gefahrvollen Operation, um Volljude zu werden. Vermöge seines Reichtums und seiner Verbindungen, sowohl mit dem Adel als mit den Kapitalisten, konnte Diego Texeira den vornehmen Herrn spielen. Er fuhr in einer mit Samt belegten Kutsche und hielt Bediente in Livree. Ein geistlicher Herr, an welchem einst der alte Texeira in seidenem Talar vorüberfuhr, machte in seiner deutschen Unterwürfigkeit vor dem Unbekannten eine tiefe Reverenz, als ob es dem Kurfürsten von Sachsen gelte. Als er aber hörte, daß er seine Verehrung an einen Juden verschwendet hatte, schämte er sich vor sich selbst, und wünschte die Macht zu haben, diesen und alle Juden, wie einst Josua die Gibeoniten, zum Holzspalten und Wassertragen zu erniedrigen40. Die lutherische Geistlichkeit war es besonders, welcher der Wohlstand und die dadurch erlangte religiöse Freiheit der Juden am meisten in die Augen stachen. Die portugiesischen Juden hatten bereits zwei oder gar drei Synagogen, die zweite von Abraham Aboab Falero und die dritte von David de Lima erbaut41. Auch eine kleine deutsche Gemeinde hatte sich nach und nach in Hamburg zusammengefunden und eine Betstube eingerichtet. Und das sollten die treuen Söhne Luthers ruhig mit ansehen, obwohl dieser gewissermaßen auf dem Totenbette seinen Anhängern befohlen hatte, die Juden wie die Zigeuner zu behandeln, ihnen keine Synagogen zu gestatten und ihren Rabbinern die Zungenausschneiden zu lassen?42. Die Hamburger Pastoren durften das nicht zugeben, drängten den Rat und hetzten die Bürgerschaft, ihnen diese sehr geringe religiöse Duldung zu entziehen. Unter ihnen tat sich ein Erzeiferer hervor, Johannes Müller, Senior an der Petrikirche, ein protestantischer Großinquisitor und Hauptverketzerer, ein schmäh-und skandalsüchtiger Mensch, welcher seine ehrbarsten Amtsbrüder von der Kanzel und in Schmähschriften begeiferte. Es verstand sich bei diesem giftigen Pastor, der sich für eine Säule der lutherischen Rechtgläubigkeit hielt, von selbst, daß es eine Gewissenssache für ihn sei, die Juden gründlich zu hassen und zu [20] demütigen. Er und seine Genossen drangen stets darauf, die Synagoge schließen zu lassen (zwischen 1631 bis 1644). Der Rat antwortete darauf, es gehe über seine Befugnisse; die Juden beteten darin den wahren Gott an, den Gott der Erzväter, welcher Himmel und Erde geschaffen. Sollten sie denn da wie das dumme Vieh ohne Religion leben? Man könne ihnen doch nicht das Beten und Singen der Psalmen verbieten! Auch habe man ihnen das Privilegium einmal zugesagt, sie in ihren religiösen Angelegenheiten nicht zu stören, und eine christliche Obrigkeit müsse ein gegebenes Versprechen heilig halten. Endlich – und das war die Hauptsache – wenn man ihnen die Synagogen verböte, würden sie wegziehen, was der Stadt zum größten Schaden gereichen würde, sie würde zu einem Dorfe herabsinken43. Und der Senat und die Juden behaupteten ihre Sache; denn da wo Einsicht und Gerechtigkeit nicht durchdringen konnte, schlug das Geld der Juden an, gegen das auch Pastoren nicht gleichgültig waren. Der Pastor Gesius zu St. Nikolai hatte gegen die deutschen Juden so heftig von der Kanzel gedonnert, daß sie, welche nicht so viel Bevorzugungen genossen, die Stadt »auf Nimmerwiedersehen« verlassen hatten. Ein ansehnliches Geschenk für den Pastor bewirkte indes ihre Rückkehr44.

Der Senior Müller durfte das Verdienst der Unbestechlichkeit für sich beanspruchen; dafür war er aber um so giftiger gegen die Juden. In Schrift und Wort, auf der Kanzel und im Kreise seiner Schüler, im Privatgespräch und in offiziellen Äußerungen war sein Lieblingsthema die Juden und ihre Demütigung. Alles ärgerte ihn an ihnen, ihre Freude und Gastereien am Purim, ihre Trauer am Zerstörungstage, ihre Trachten, ihr Umgang mit Christen, ihre Leichenbegängnisse. In einigen Punkten hatte der Eiferer nicht Unrecht, so in der Rüge gegen den Erbfehler der portugiesischen Marranen, ihre fleischlichen Vergehen mit Christinnen und gegen die Art, wie einige unter ihnen das Christentum herausforderten. Zur Bestärkung der aus der pyrenäischen Halbinsel, im Christentum geborenen und erzogenen Marranen in dem neuangenommenen [21] Bekenntnisse hatte der erste Hamburger Chacham Isaak Athias die gegenchristliche Schrift des Karäers Isaak Troki (Bd. IX4, S. 437) ins Spanische übersetzt45. Außerdem hatte ein jüdischer Schriftsteller (Jakob Jehuda Leon?) ein Gespräch zwischen einem Rabbiner und einem Christen über den Wert oder Unwert der christlichen Dogmen, der Evangelien und Kirchenschriften in lateinischer Sprache verfaßt (Colloquium Middelburgense)46, worin die Schwächen des Christentums aufgedeckt wurden. Solche gegenchristliche Schriften waren für die Marranen notwendig, damit sie ihre gewissermaßen im Katholizismus angebornen Irrtümer los würden. Sie wurden daher von geschäftigen Juden verbreitet und in Umlauf gesetzt. Allein sie beschränkten sie nicht auf jüdische Kreise, sondern sprachen davon und rühmten sie vor Christen. Wie es scheint, war der junge Arzt und Lexikograph Dionys (Benjamin) Musaphia in Hamburg tätig, diese Schriften unter Christen zu bringen und viel Wesens davon zu machen. Er rühmte sich, den gelehrtesten Christen über die Entstehung des Christentums und die christlichen Dogmen in Verwirrung und zur Beschämung bringen zu können47. Nach solchen Vorgängen war Müller zu einer Gegenschrift berechtigt. Er verfaßte eine, wie soll [22] man sagen? – Verteidigungs- oder Schmähschrift: Judaismus oder Judentum, d.i. ausführlicher Bericht von des jüdischen Volkes Unglauben, Blindheit und Verstockung (1644). Sie ist weder vom heiligen Geist, noch von der christlichen Liebe diktiert. Luthers giftige Worte gegen die Juden waren für den Pastor von St. Petri unleugbare Offenbarungen. Aus ihr sprach das verknöcherte Luthertum kein und unverfälscht, das eben so wenig Herz wie der von ihm angefeindete Papismus hatte, und sein Wesen in trockene Glaubensformeln setzte. Müllers Albernheiten und Lieblosigkeiten gehören nicht ihm, sondern dem Bewußtsein der damaligen verrotteten lutherischen Kirche an. Müller wünschte die vollständige Knechtung der Juden; ihnen irgendeine freie Bewegung lassen, hieße sich einer Sünde schuldig machen und Gott lästern. Nach seiner Ansicht müßte die Obrigkeit sie zwingen, einen gelben Lappen zu tragen, dürfte ihnen nicht Grundbesitz, nicht eine Synagoge gestatten, Christen dürften nicht Dienst in einem jüdischen Hause nehmen, nicht einmal Gemeinschaft für Geschäfte mit ihnen machen. Und nun gar sich jüdischer Ärzte zu bedienen, das sei der Sünden größte. Mit dieser Ansicht stand er noch weniger allein. Drei theologische Fakultäten, die hauptlutherische von Wittenberg, die Straßburger und die Rostocker, hatten auf Müllers Anfrage den Bescheid erteilt, daß jüdische Ärzte nie und nimmer zu christlichen Patienten zugelassen werden dürften48. Also unter den Augen des siebzehnten Jahrhunderts, als der bluttriefende dreißigjährige Krieg mit der Zuchtrute die Toleranz einprägte, von Vertretern des Luthertums eine neue Auflage der Konzilbeschlüsse gegen Juden aus der westgotischen Zeit! Aber die Zeit war denn doch eine andere geworden. Der König Christian IV. von Dänemark, Schleswig und Holstein, der Hort der Protestanten nächst Gustav Adolf, dem Müller sein judenfeindliches Buch gewidmet hat, gerade er hatte den jüdischen Arzt Benjamin Musaphia zu seinem Leibarzt angenommen49.

[23] In Hamburg selbst hatte Müllers fanatischer Eifer auch nicht den besten Erfolg. Er und die Gesamtgeistlichkeit haben zwar bei dem beabsichtigten Bau einer größeren, gemeinsamen Synagoge großen Lärm geschlagen und ihm Hindernisse in den Weg gelegt, aber vereiteln konnten sie ihn doch nicht50. Die Bürgerschaft gewöhnte sich nach und nach an die Juden und lernte sie achten. Einige unter ihnen wurden von hohen, selbst katholischen Potentaten zu Geschäftsträgern oder Residenten ernannt. Der König von Portugal bestimmte zuerst Duarte Nuñes da Costa und dann Jakob Curiel zu seinen Agenten, und die katholische Majestät Ferdinand III. erhob einen jüdischen Schriftsteller von portugiesischer Abstammung, Imanuel Rosales, zum Palastbeamten51. Die portugiesischen Juden, überall günstiger gestellt, als die deutschen, fühlten sich so behaglich in Hamburg, daß sie es ihr »kleines Jerusalem« nannten.52

Eine Kolonie der Amsterdamer Muttergemeinde bildete sich in Südamerika, in dem von Portugiesen entdeckten und bevölkerten Brasilien und besonders in der Stadt Pernambuco. Dorthin hatte die portugiesische Regierung öfter jüdische Verbrecher, d.h. Marranen, welche sie nicht dem Scheiterhaufen überliefern wollte, zugleich mit Lustdirnen und anderem Gesindel als Kolonisten transportieren lassen. Diese geschändeten Marranen erleichterten den Holländern die Eroberung von Brasilien, das eine holländische Kolonie wurde und einen eigenen Statthalter an dem einsichtigen Johann Moritz von Nassau erhielt (1624 bis 36). Sofort trat eine Verbindung zwischen der Amsterdamer Gemeinde und der brasilianischen ein, welche die Maske des Christentums abgeworfen hatte und von den Holländern fast verhätschelt wurde. Schon nannten sich die Juden auf Recife bei Pernambuco die »heilige Gemeinde« (Kahal Kados) und hatten einen Vorstand, bestehend aus David Señor Coronel, Abraham de Moncado, Jakob Mucate, Isaak Cathunho53. Mehrere hundert Amsterdamer Portugiesen schifften sich, sei es auf [24] Grund einer Einladung oder aus eigenem Antrieb, um Geschäftsverbindungen mit der Kolonie anzuknüpfen, nach Brasilien ein und nahmen den Chacham Isaak Aboab da Fonseca mit (1642)54. Er war der erste brasilianische Rabbiner, wahrscheinlich auf Recife. Auch auf Tamarica bildete sich eine Gemeinde, welche einen eigenen Chacham an Jakob Lagarto55 hatte – dem ersten talmudischen Schriftsteller in Südamerika. Es verstand sich von selbst, daß die brasilianischen Juden vollständige Gleichberechtigung genossen, denn sie leisteten den Holländern die wesentlichsten Dienste als Ratgeber und Krieger. Als die eingeborenen Portugiesen, welche die Unterjochung durch die Holländer mit Ingrimm ertrugen, eine Verschwörung anzettelten, um sich bei einem Schmause der holländischen Beamten der Hauptstadt zu entledigen und dann über die hauptlose Kolonie herzufallen, warnte sie ein Jude und rettete sie und die Kolonie vor sicherem Untergange. Als später (1646) ein offener Krieg zwischen Portugiesen und Holländern ausbrach, und die Besatzung von Recife, von Hungersnot aufgerieben, auf dem Punkte stand, sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben, waren es die Juden, welche den Gouverneur zur mutigen Ausdauer und zur Fortsetzung des Kampfes antrieben. Sie rieten, die Kranken und vor Hunger Ausgezehrten in die Mitte zu nehmen, sich durch das feindliche Heer durchzuschlagen und das Binnenland zu erreichen56. Selbst die jüdischen Marranen in Portugal nahmen ein lebendiges Interesse an den Holländern, den Beschützern ihrer Brüder. Der portugiesische Hof, welcher die Aufständischen in Brasilien heimlich unterstützte, stellte offiziell jede Teilnahme daran in Abrede und wiegte die Generalstaaten in eine gefährliche Sicherheit ein. Indessen war es einem Marranen gelungen, Beweise von dem falschen Spiele des Hofes zu erlangen. Er beeilte sich, seinen Stammesgenossen in Amsterdam Kunde davon zu geben, und diese teilten sie der holländischen Regierung mit, welche von dieser Zeit an, von der Verblendung geheilt, mit Energie Truppen zur Hilfe der bedrängten Kolonie schickte. Indessen half diese zu spät nachgesandte Verstärkung nicht; ein fanatischer Rassen- und Religionskrieg zwischen den Portugiesen [25] und den holländischen Kolonisten verwüstete das schöne Brasilien, die Hungersnot gesellte sich dazu. Eine Stadt nach der andern fiel den Portugiesen in die Hände. Die Juden litten und kämpften mit den Holländern um die Wette. Der Chacham der brasilianischen Gemein de, Isaak Aboab, schildert die Kriegsnöte, die er selbst mit erlitten, mit grellen Farben. »Bücher wären nicht imstande unsere Leiden zu fassen. Der Feind breitete sich in Feld und Wald aus, lauerte hier auf Beute und dort auf das Leben. Viele von uns starben mit dem Schwerte in der Hand, andere aus Mangel. Sie ruhen jetzt in kalter Erde. Wir Übriggebliebenen waren dem Tode in jeder Gestalt ausgesetzt. Die an Leckerbissen Gewöhnten waren froh, trockenes verschimmeltes Brot zur Stillung ihres Hungers zu erhaschen«57. Endlich waren die Generalstaaten, durch europäische Kriege gedrängt, gezwungen, die Kolonie den Portugiesen zu überlassen. Ein jüdischer Zeitgenosse bemerkt dabei, dieses Aufgeben einer so blühenden Kolonie hätte vermieden werden können, wenn man den Ratschlägen der Juden Folge gegeben hätte58. Dieser hingebende Eifer der Juden für das Staatswohl der Holländer war ein fester Kitt zwischen ihnen und der Republik, welcher sich nie mehr löste. Die Duldung und Gleichstellung der Juden in den Niederlanden blieben für die Dauer gesichert.


Fußnoten

1 Schudt, Jüd. Merkwürdigkeiten I, 271.


2 Manasse Ben-Israel, Adresse an Cromwell, Übers. p. 152.


3 Seine Biographie ist kurz angegeben im ersten Teil seiner medizinischen Werke von de Lemos; auch Biographie universelle s.v.


4 De Barrios teilt auf einem Blättchen als Eingang zu einem Sonett mit: Al dialogo de los Siete montes que compuso Rohel Jesurun, representaronlo en la sinagoga de Amsteladama de Bet Jehacob año de 5384. Indes muß daselbst emendiert werden: David de Belmonte (representó) á Zetim, statt Zerim. S. auch dessen Triumpho de govierno popular oder Casa de Jacob, p. 24. Kayserling, Sephardim, S. 340, Note 192 gab aus einer Handschrift den Anfang der Berg-Dialoge; sie sind gedruckt Amsterdam 1767.


5 Melos Psalmen sind gedruckt Frankfurt a.M. 1625; s. über ihn ausführlich de los Rios, Estudios sobre los Judios de España, p. 521 ff. Kayserling, a.a.O., S. 169 ff. Diesen Dichter Melo darf man nicht identifizieren mit dem Chasan und Prediger desselben Namens, der fast ein Jahrhundert später gelebt hat; s. Note 6.


6 De Barrios, Vida de Ishac Huziel, p. 33, 34, 36, 43, falsch die Jahreszahl der Vereinigung 1619, richtig in Toro Hor, p. 21: unieronse en Veadar 28 año 5399 que corresponde 3 d. Abril 1639; auch Govierno popular, p. 27 (nach p. 64) und Arbol de las vidas, p. 62.


7 David Franco Mendes gibt in einem handschriftlichen Bericht über die erste Ansiedelung der Amsterdamer Gemeinde diese Jahreszahl an: ו"צש תנשב כ"ג בשיתהל ןילופו הינמילא ישורג וניחא ואב (דסח יפל 'ן'ר'צ'ק הריעה (im Besitze des Herrn Carmoly). Kœnen, Geschiedenis der Joden in Nederland, p. 196.


8 Thomas de Pinedo hebt diese Toleranz Hollands gegen die Intoleranz Spaniens mit schönen Worten hervor (in seinen Anmerkungen zu Stephanus Byzantius de urbibus, p. 138): Ex commercio in tantam excrevit magnitudinem Amstelodamus ac etiam ex isonomia. Ejus consules semper in ore habent illud Maronis: Tros Rutulus fuat, nullo discrimine habebo.


9 Koenen, a.a.O., p. 152 ff. Die Verhandlungen darüber dauerten von 1652 bis 1657. Freilich konnten die Staaten der Inquisition solche Forderungen nicht bewilligen.


10 Vgl. Rittanglii cum Judaeo altercatio bei Wagenseil, Tela ignea Satanae I, p. 371 und Lettres de quelques Juifs à M. de Voltaire, p. 15.


11 De Barrios, Arbol de las vidas p. 63 ff. Sabbatai Baß oder Bassista Schifte Jeschenim Einleitung.


12 Die Schriften, welche David Pardo zum Verfasser haben, gehören Ältern oder Jüngern dieses Namens an; vgl. Kayserling in Frankels Monatsschrift 1859, S. 388 ff.


13 Seine Biographika sind bei sämtlichen Bibliographen nach de Barrios' Angabe zusammengestellt, namentlich sein Todesjahr. Sein Geburtsjahr ergibt sich aus folgender Notiz. Seine Jünger, die Editoren seiner Predigtsammlung לואש תעבג, geben in der Einleitung an, er sei mit 20 Jahren nach Amsterdam gekommen, mit der Absicht nach Venedig, seinem Geburtsort, zurückzukehren: ונילע רבע וכלמב לואש םינש 'כ ןבכ דלונ הז איציניו םיהלאל הלודג וריע לא בושל (םדרטשמאב) םש. Nach Amsterdam war er, wie de Barrios öfter erzählt, mit der vom französischen Hofe dahin gesandten Leiche Elia Montaltos (st. Febr. 1616) gekommen. Folglich ist er geboren 20 Jahre vorher = 1596. Eigen ist es, daß ihn de Barrios nennt: Saul Morteira Aleman oder de Alemania. Die Sprache, deren sich Morteira bediente, weist ihn aber nach Portugal. Denkbar ist nun diese Bezeichnung, daß Aleman Eigen- oder Familienname bedeutet, nicht selten bei sefardischen Juden. Daraus mag Barrios oder ein Vorgänger de Alemania gemacht haben, als wenn Morteira aus Deutschland stammte. Über seine meist handschriftlich gebliebenen Werke geben die Bibliographen, Wolf, Rodriguez de Castro und de Rossi Auskunft. Über sein Verhältnis zu Sasportas s. Note 2.


14 Seine Geburtsgeschichte und Lebensumstände gibt de Barrios Tora Hor p. 20, 21, auch unter Aboabs Porträt (bei Wolf IV, p. 805): Nacio en San Jan de Luz del anno 1609 (l. 1606) pr. Februar, murio de edad de 88 annos em 27. de Ve-Adar em Schabbat del año 5453. Von seinem Familiennamen da Fonseca wissen die Bibliographen nichts, und doch nennt er sich so in einer Approbation zur Übersetzung Josephus' contra Apionem von Joseph Semach Arias vom Jahre 1677: Aprovacion del magniffico y venerable Señor Ishac Abuab da Fonseca, insigne predicador, y Maestro en la primera Catedra de sagrada Theologia. Von seinen Übersetzungen und unbedeutenden eigenen Schriften bei den Bibliographen.


15 Mitteilungen bei Wolf, Bibliotheca III, p. 709: Manassen dicere quae sciat, Aboabum scire, quae dicat. Über Vieira im 8. Kapitel.


16 So schildert ihn sein ernsterer Kollege im Alter, Jakob Sasportas (Resp., Nr. 66) an Josua da Silva: ךלהתמ (בהובא קחצי) א"ירהו וחיש תאו שיאה תא תעדי התאו המרמ תוקלח תפשבו וירבד תא ול םיעטמ לכל ןזא הטמ ומותב ומע גהנתהש ומצעב א"ירה רמאש ומכ ותארוה לע ךמוסש דע וב .ראליגא יד לאפר השמ םכחה


17 Von Manasse Ben-Israel gibt es viele Biographien, die ausführlichste und quellenmäßigste ist die von Kayserling im Jahrbuche für die Geschichte des Judentums vom Institute der israel. Literatur, Jahrg. 1860-61, S. 87 ff. Ich beziehe mich auf diese Monographie und werde nur Neugefundenes durch Zitate belegen.


18 M. B. Israel Estatua de Nebuchadnezar, Widmung an David Naßi p. IV unten: Ne he tenido tal fortuna que gozé de lo raro, ma solamente de un ingenio mediocre, aun que felice en escrivir con alguna disposicion las materias que la voluntad le ofrece.


19 Uriel de Costa, exemplar humanae vitae gegen Ende.


20 De Barrios, Insigne Jesiba de los Pintos, Arbol de las vidas, p. 82.


21 Scaligerana II. Artikel Judaei: Les Juifs viendront à Harlem et y auront Synagogue et privilège des estats; erit magna in his regionibus commoditas; ils seroient plus libres qu'ailleurs. Dazu die Anmerkung des Editors: cela n'est point arrivé.

22 Der Archivar Lappenberg fand im Hamburger Archiv eine Supplik von einem unterzeichneten »Isach Jude« an den Senat um Zulassung von 12 Familien, ohne Datum, abgedruckt in Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Bd. I, S. 286. Er vermutete, daß diese Supplik dem Jahre 1580 angehört. Später teilte Dr. Reils eine zweite Supplik desselben Isaak mit, welche das Datum 1583 trägt (das. Bd. II, 159 ff.). Er bezeichnete mit Recht jene als eine spätere. Beide Suppliken hat Kayserling mitgeteilt in Frankels Monatsschrift 1859, S. 410.


23 Mit Recht macht Dr. Reils das. II, S. 158 auf die Äußerung von Stephan Gerlach in seinem Tagebuche aufmerksam, daß mindestens schon 1574 sich verkappte Marranen in Hamburg aufhielten.


24 Reils Beiträge zur ältesten Geschichte der Juden in Hamburg, aus den Akten des Staats- und Ministerial-Archivs gesammelt, das. II, S. 362, petitum vom 9. Dez. 1603 und vom 4. März 1604.


25 Carmoly, histoire de médecins juifs, p. 173; Kayserling zur Geschichte der jüd. Ärzte, in Frankels Monatsschrift 1859, S. 330 ff. S. Rießer Briefe, G. I, S. 57.


26 Reils Beiträge S. 363 vom Jahre 1606.


27 Reils, Beiträge, S. 370 vom 2. August 1611.

28 Vom 29. August 1611 das. S. 371.


29 Das. vom 13. Sept. d.J. das. S. 372 ff.


30 Das 1612 aufgenommene Verzeichnis der in Hamburg befindlichen Juden oder Rolla der portugiesischen Nation oder Nomina der sämtlichen allhier residierenden und wohnenden Portugiesen« ist aus dem Archiv mitgeteilt von Dr. Reils a.a.O., S. 376 ff. Diese »Rolla« hat auch negativ-geschichtlichen Wert, zu wissen, welche Hamburger jüdische Berühmtheit 1612 noch nicht daselbst weilte.


31 Vgl. weiter unten.


32 Reils das. S. 381 ff.


33 Reils teilt das. S. 380 eine ihm von Herrn O. C. Geedechens zugekommene Notiz mit, daß vierzig portugiesisch, spanisch oder italienisch klingende Namen der ersten Interessenten bei der Bankgründung unzweifelhaft portugiesischen Juden angehören. Allein das ist nicht so ausgemacht. Es gab damals in Hamburg auch christliche Spanier und Portugiesen. Jüdischen Teilhabern an der Bank gehören ohne Zweifel an: 1. die Namen, welche auch in der Rolla von 1612 vorkommen und 2. welche mit echt jüdischen Vornamen verbunden sind. Zu 1 gehören: Joan Francisco Brandon (Rolla Nr. 24); Gonsalvo Cardoso (Nr. 7); Diego Carlos (Nr. 9); Francesco Gomes (Nr. 23); Diego Gonsalvo da Lima (Nr. 16, der 1607 nach Hamburg gekommen ist, wie aus einer Notiz Benditos de Castro hervorgeht, Kayserling in Frankels Monatsschrift 1860, S. 97, Note 7); Henrico da Lima (Nr. 2); Gonsalvo Lopez (Nr. 22); Lope Nuñes (Nr. 2 bei Reils das. S. 378, nicht auf der Rolla befindlich). Zu 2 gehören Mardochaï Abendana (im Verzeichnis Geedechens); David Brandon; Abraham da Costa und Joseph Mendes.


34 Zeugnis des Rats und der Bürgerschaft, das. S. 380.


35 De Barrios, vida de Ishac Huziel p. 44:.. Su primer Sinagoga nominada Talmud Torá, por su Iaxam ostenta al referido Atias que sustenta. Edificóla Eliahu Aboab Cardosa. Fasch bei Reils, daß David de Lara erster Rabbiner von Hamburg gewesen wäre.


36 C. Caraffa, Germania sancta restaurata p. 22, bei Schudt, jüdische Merkwürdigkeiten I, S. 373, Reils das. S. 394.


37 Reils das. S. 395 ff.


38 Vgl. über ihn Kayserling in Frankels Monatsschrift 1860, S. 92 ff. Er nannte sich später, als er offen als Jude leben durfte, Baruch Nehemias.


39 Bei Reils das. S. 400.

40 Bei Schudt, jüdische Merkwürdigkeiten I, S. 375; vgl. über die Familie Texeira Note 2.


41 De Barrios, vida de Ishac Huziel, p. 44.


42 Siehe Band IX4, S. 315 ff.


43 Diese Gründe des Senats für Zulassung der Synagogen, welche Reils erst aus den Jahren 1660-69 mitteilt (Zeitschrift II, S. 412), zählt bereits Johannes Müller in seiner judenfeindlichen Schrift (Judaismus) auf vom Jahr 1644 (S. 1424-1431). Die Einleitung dazu lautet: »Es werden aber etliche Ursachen fürgewendet, um welcher willen man den Juden ihre Synagoge lassen solle.« Darauf werden sieben Gründe aufgeführt, die wörtlich mit der Verteidigung des Senats von 1660-69 übereinstimmen. Es folgt daraus, daß Müller das. Hamburger Verhältnisse im Auge hatte, und daß der Streit zwischen Senat und Ministerium wegen der Synagogen noch vor 1644 entbrannt war.


44 Reils das. S. 392 und S. 400 Anmerkungen.


45 Vgl. Wolf Bibliotheca III, p. 546, 610, de Rossi Bibliotheca antichristiana Nr. 17.


46 Fabricius behauptet, das nur handschriftlich bekannte Colloquium Middelburgense gehöre Manasse Ben-Israel an, und Wolf glaubte diese Annahme durch den Umstand bestätigt, daß Manasse in Middelburg gestorben sei (Wolf, T. IV, S. 903). Allein abgesehen davon, daß M. B.-Isr. nur zufällig in Middelburg bei seiner Rückkehr von London war und zwar 1657, ist diese Annahme schon dadurch widerlegt, daß J. Müller von diesem Colloquium schon 1644 spricht und es widerlegt. Plausibler ist die Konjektur de Rossis (Bibl. antichr. Nr. 15), daß Jak. Jeh. Leon Verfasser desselben sei, weil dieser in den vierziger Jahren in Middelburg gewohnt hat. Er hat auch ein Buch der Disputationen con diferentes Theologos de la Christianidad geschrieben.


47 J. Müller in der genannten Schrift Judaismus Vorrede: »Es wird ein Buch hier (in Hamburg) herumgeschleppt, in hebr.-hispanischer und nunmehr auch teutscher Sprache, dessen Titel ist הנומאה קוזח von Isaak ben Abraham ... welche Schrift dieses Ortes ziemlich bekannt ist ... Ein solches giftiges Buch hat an einem vornehmen Orte übergeben ein schwätzhafter Juden-Arzt allhier, welcher sich große Kunst einbildet und wohl eher gesagt: ego doctissimum quemque Christianorum possum confundere. Selbige Schrift ist in lat. Sprache weitläufig gestellt in Gestalt eines Gesprächs, welches ein hisp. Rabbi mit einem chr. Theologo zu Middelburg.. gehalten. Dieses Buch speit lauter Gift und Galle ..., welche ich colloquium Middelburgense nenne ... und mögen wohl etliche Rabbiner daran gearbeitet haben.« Der geschwätzige Arzt soll wohl Benjamin Musaphia bedeuten, wenn man damit die Äußerung Müllers bei Reils a.a.O., S. 399 vergleicht, wo es heißt: »Sie (die Juden) fordern die Ministerialen zum Disputieren heraus und klagen, daß niemand unter denselben sei, der sie bestehen könne. So der Arzt Benjamin in seinem Buche Axiomata.«


48 Bei Müller, Judaismus, S. 1434-1449.


49 Daß Musaphia Leibarzt Christians IV. war, ist nirgends genügend hervorgehoben, vgl. Carmoly, histoire des Médecins juifs, p. 181. Musaphia widmete diesem König 1642 seine Schrift über Ebbe und Flut. Deutlich sagt er in seinem ךורעה ףסומ (gedr. 1655) Artikel ינירס, daß er vor 10 Jahren im Dienste Christians IV. gestanden hat: ונאו ינופצה לודגה ךלמש יל ודיגהו םדוק (Syrene) ינרס וז היה האר איגיורונו..אקרמנידב ךלומה קחש ךלמהו הז לע והיתלאש ולצא ודמעב םינש הרשע. Also um 1645 war Musaphia Leibarzt Christians IV., wahrscheinlich noch früher. Denn die gehässige Abhandlung Müllers über Judenärzte scheint an Christian adressiert, dem das Buch gewidmet ist, weil er einen so gefährlichen Judenarzt in seiner Nähe duldete.


50 Reils a.a.O., S. 411 ff.


51 Manasse Ben-Israel in humble Adress an das Parlament.


52 Schudt, jüd. Merkw. I, S. 271.


53 Manasse Ben-Israel, Widmung seines Conciliador, Teil II.


54 De Barrios Tora Hor, p. 21.


55 Ders. Arbol de las vidas, p. 87, Wolf III, p. 511 ותרגאל das. zu lesen statt ותדגאל. Die von Lagarto verfaßte Schrift über talmudische Aphorismen hatte nicht den Titel םירמאמה 'ס, wie Wolf angibt, sondern בקעי להא = Tienda de Jacob, bei Barrios.


56 Vgl. über die portugiesischen Juden in Brasilien, Koenen, Geschiedenis der Joden, p. 277 ff.


57 Isaak Aboab, Einleitung zu Herreras Porta Coeli.


58 Manasse Ben-Israel, humble Adress.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 10, S. 27.
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