Nachmittagssitzung.

[312] MR. ALDERMAN: Wie ich bereits früher gesagt habe, war die nächste Phase des Angriffs der Entwurf und die Ausführung des Planes, Polen anzugreifen; und damit der Beginn des Angriffskriegs in Polen im September 1939. Dies wird behandelt in Paragraph 4 (a) und (b) des Abschnittes IV (F) der Anklageschrift und erscheint auf Seite 9 des gedruckten englischen Textes. Dadurch, daß der Adjutant Schmundt sorgfältig und peinlich genau Aufzeichnungen machte, verfügen wir auch hier wieder über eine Urkunde in seiner eigenen Handschrift, welche die Katze aus dem Sack läßt. Die Urkunde stellt das Protokoll einer Konferenz dar, die am 23. Mai 1939 stattfand. Die Konferenz fand im Arbeitszimmer des Führers in der neuen Reichskanzlei statt. Der Angeklagte Göring war anwesend.

Ich glaube, daß einer der Angeklagten angedeutet hat, daß ich mich auf das unrichtige Jahr bezogen hatte. Meine Aufzeichnungen lauten auf 23. Mai 1939, wie dies aus dem Originaldokument hervorgeht.


VORSITZENDER: Auf welches Dokument beziehen Sie sich?


MR. ALDERMAN: Auf Dokument L 79. Wie ich sagte, war der Angeklagte Göring anwesend, der Angeklagte Raeder war anwesend und der Angeklagte Keitel war anwesend. Das Thema der Konferenz war, ich zitiere:

»Unterrichtung über die Lage und Ziele der Politik.« Diese Urkunde ist von geschichtlicher Bedeutung und ist von ebenso großer Bedeutung als das politische Testament des Führers, das von Adjutant Hoßbach aufgezeichnet wurde.

Das Originaldokument wurde erbeutet und kam auf Umwegen über den Atlantik nach den Vereinigten Staaten. Dort wurde es von Mitgliedern der amerikanischen Anklagebehörde gefunden und sodann von diesen nach London und später nach Nürnberg gebracht. Das »L« in der Identifizierungsnummer bedeutet, daß es eine der Urkunden ist, die in London gesammelt und von dort hierher gebracht wurden. Wir glauben, daß die Echtheit der Urkunde außer jedem Zweifel steht. Ihre Echtheit sowie die Tatsache, daß sie eine genaue Aufzeichnung dessen enthält, was über die Konferenz vom 23. Mai 1939 verlautbart wurde, ist von dem Angeklagten Keitel in einem seiner Verhöre zugegeben worden. Wie gesagt, die Nummer der Urkunde ist L 79 in unserer Nummernfolge. Ich lege sie dem Gerichtshof als US-27 vor. Diese Urkunde ist auch von solch großer geschichtlicher Wichtigkeit und spielt eine große Rolle in diesem Prozeß, so daß ich mich veranlaßt sehe, sie fast vollständig zu verlesen:

»Chefsache – Nur durch Offiziere. Bericht über Besprechung am 23. 5. 1939. Ort: Arbeitszimmer des Führers, neue [312] Reichskanzlei; diensttuender Adjutant: Oberstleutnant d. G. Schmundt. Beteiligte: Der Führer, Feldmarschall Göring, Großadmiral Baeder, Gen.Oberst v. Brauchitsch, Gen.Oberst Keitel, Gen.Oberst Milch, Gen. d. Artl. Halder, Gen. Bodenschatz, Ktr.Adm. Schniewindt, Oberst i. G. Jeschonnek, Oberst Warlimont, Oberstleutnant d. G. Schmundt, Hauptmann Engel, Korv.Kpt. Albrecht, Hauptmann v. Below.

Gegenstand: Unterrichtung über die Lage und Ziele der Politik.

Der Führer bezeichnet als Zweck der Besprechung

1. Darstellung der Lage.

2. Stellung der sich aus der Lage für die Wehrmacht ergebenden Aufgaben.

3. Klarstellung der sich aus den Aufgaben ergebenden Konsequenzen.

4. Sicherstellung der Geheimhaltung aller Entschlüsse und Arbeiten, die das Ergebnis der Konsequenzen auslöst.

Die Geheimhaltung ist die Voraussetzung für den Erfolg.

Nachstehend werden die Ausführungen des Führers sinngemäß wiedergegeben:

Unsere heutige Lage ist unter zwei Gesichts punkten zu betrachten:

1. Tatsächliche Entwicklung von 1933-1939.

2. Die ewig gleichbleibende Situation, in der Deutschland ist. In der Zeit 1933-1939 Fortschritte auf allen Gebieten. Unsere militärische Lage ist gewaltig gewachsen.

Unsere Lage zur Umwelt ist die gleiche geblieben. Deutschland war ausgeschieden aus dem Kreis der Machtstaaten. Das Gleichgewicht der Kräfte hatte sich ohne Deutschland ausbalanciert.

Geltendmachen der Lebensansprüche Deutschlands und Wiedereintritt in den Kreis der Machtstaaten stört das Gleichgewicht. Alle Ansprüche werden als ›Einbruch‹ gewertet. Die Engländer fürchten eine wirtschaftliche Gefährdung mehr als eine durch die Macht allein.

Die 80-Millionen-Masse hat die ideellen Probleme gelöst. Die wirtschaftlichen Probleme müssen gelöst werden. Um die Schaffung der wirtschaftlichen Voraussetzungen hierzu kommt kein Deutscher herum. Zur Lösung der Probleme gehört Mut. Es darf nicht der Grundsatz gelten, sich durch Anpassung an die Umstände einer Lösung der Probleme zu entziehen. Es heißt vielmehr die Umstände den Forderungen anzupassen. Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums ist dies nicht möglich.

[313] Der Lebensraum, der staatlichen Größe angemessen, ist die Grundlage für jede Macht. Eine Zeitlang kann man Verzicht leisten, dann aber kommt die Lösung der Probleme so oder so. Es bleibt die Wahl zwischen Aufstieg oder Abstieg. In 15 oder 20 Jahren wird für uns die Lösung zwangsweise notwendig. Länger kann sich kein deutscher Staatsmann um die Frage herumdrücken.

Zur Zeit befinden wir uns im Zustand nationalen Hochgefühls in gleicher Gesinnung mit zwei anderen Staaten: Italien und Japan.

Die zurückliegende Zeit ist wohl ausgenützt worden. Alle Schritte waren folgerichtig auf das Ziel ausgerichtet. Nach sechs Jahren ist die heutige Lage folgende: Nationalpolitische Einigung der Deutschen ist erfolgt, abgesehen von geringen Ausnahmen.« Ich nehme an, es handelte sich um jene in den Konzentrationslagern. Weitere Erfolge können ohne Bluteinsatz nicht mehr errungen werden.

Die Grenzziehung ist von militärischem Wert.

Der Pole ist kein zusätzlicher Feind. Polen wird immer auf der Seite unserer Gegner stehen. Trotz Freundschaftsabkommen hat in Polen zu lange die innere Absicht bestanden, jede Gelegenheit gegen uns auszunützen.

Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung. Aufrollen des Ostsee- und Baltikum-Problems. Lebensmittelversorgung nur von dort möglich, wo geringe Besiedelung. Neben der Fruchtbarkeit wird die deutsche, gründliche Bewirtschaf tung die Überschüsse um ein Mehrfaches steigern.

In Europa ist keine andere Möglichkeit zu sehen.

Kolonien: Warnung vor Schenkung kolonialen Besitzes. Es ist keine Lösung des Ernährungsproblems. Blockade!

Zwingt uns das Schicksal zur Auseinandersetzung mit dem Westen, ist es gut, einen größeren Ostraum zu besitzen. Im Kriege werden wir noch weniger wie im Frieden mit Rekordernten rechnen können.

Die Bevölkerung nichtdeutscher Gebiete tut keinen Waffendienst und steht zur Arbeitsleistung zur Verfügung.

Das Problem »Polen« ist von der Auseinandersetzung mit dem Westen nicht zu trennen.

Polens innere Festigkeit gegen den Bolschewismus ist zweifelhaft. Daher auch Polen eine zweifelhafte Barriere gegen Rußland.

Kriegsglück im Westen mit schneller Entscheidung fraglich, ebenso dann die Haltung Polens.

[314] Einem Druck durch Rußland hält das polnische Regime nicht stand. Polen sieht in einem Siege Deutschlands über den Westen eine Gefahr und wird uns den Sieg zu nehmen versuchen.

Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen, und bleibt der Entschluß bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen.«

Dieser Teil des Satzes ist im Originaltext unterstrichen.

»An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Es wird zum Kampf kommen.

Aufgabe ist es, Polen zu isolieren. Das Gelingen der Isolierung ist entscheidend.

Daher muß sich der Führer endgültigen Befehl zum Losschlagen vorbehalten. Es darf nicht zu einer gleichzeitigen Auseinandersetzung mit dem Westen (Frankreich und England) kommen.

Ist es nicht sicher, daß im Zuge einer deutsch- polnischen Auseinandersetzung ein Krieg mit dem Westen ausgeschlossen bleibt, dann gilt der Kampf primär England und Frankreich. Grundsatz: Auseinandersetzung mit Polen – beginnend mit Angriff gegen Polen – ist nur dann von Erfolg, wenn der Westen aus dem Spiel bleibt.

Ist das nicht möglich, dann ist es besser, den Westen anzufallen und dabei Polen zu erledigen.

Es ist Sache geschickter Politik, Polen zu isolieren.

Schwerwiegende Frage ist Japan. Wenn auch zunächst aus verschiedenen Gründen kühl einem Zusammengehen mit uns gegenüberstehend, so ist es doch im eigenen Interesse Japans, vorzeitig gegen Rußland vorzugehen.

Zu Rußland sind wirtschaftliche Beziehungen nur möglich, wenn politische Beziehungen sich gebessert haben. In Presseerörterungen tritt vorsichtige Haltung in Erscheinung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Rußland sich an der Zertrümmerung Polens desinteressiert zeigt. Wenn Rußland weiter gegen uns treibt, kann das Verhältnis mit Japan enger werden.

Ein Bündnis Frankreich-England-Rußland gegen Deutschland-Italien-Japan würde mich veranlassen, mit wenigen, vernichtenden Schlägen England und Frankreich anzugreifen. Der Führer zweifelt an der Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung mit England. Es ist notwendig sich auf die Auseinandersetzung vorzubereiten. England sieht in unserer Entwicklung die Fundierung Hegemonie, die England entkräften würde. England ist daher unser Feind und die Auseinandersetzung mit England geht auf Leben und Tod.

Wie wird diese Auseinandersetzung aussehen?« Im deutschen Original unterstrichen.

[315] »England kann Deutschland nicht in wenigen kraftvollen Schlägen erledigen und uns niederzwingen.

Für England ist es entscheidend, den Krieg möglichst nahe an das Ruhrgebiet heranzutragen. Man wird französisches Blut nicht sparen. (Westwall!!)

Der Besitz des Ruhrbeckens entscheidet die Dauer unseres Widerstandes.

Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden. Wollen Frankreich und England es beim Krieg Deutschland-Polen zu einer Auseinandersetzung kommen lassen, dann werden sie Holland und Belgien in ihrer Neutralität unterstützen und Befestigungen bauen lassen, um sie schließlich zum Mitgehen zu zwingen.

Belgien und Holland werden, wenn auch protestierend, dem Druck nachgeben. Wir müssen daher, wenn bei polnischem Krieg England eingreifen will, blitzartig Holland angreifen. Erstrebenswert ist es eine neue Verteidigungslinie auf holländischem Gebiet bis zur Zuider-See zu gewinnen.

Der Krieg mit England und Frankreich wird ein Krieg auf Leben und Tod.

Die Ansicht, sich billig loskaufen zu können, ist gefährlich; die Möglichkeit gibt es nicht. Die Brücken sind dann abzubrechen und es handelt sich nicht mehr um Recht oder Unrecht, sondern um Sein oder Nichtsein von 80 Millionen Menschen.

Frage: Kurzer oder langer Krieg?«

Im deutschen Original unterstrichen.

»Jede Wehrmacht beziehungsweise Staatsführung hat den kurzen Krieg anzustreben. Die Staatsführung hat sich dagegen jedoch auch auf den Krieg von 10- bis 15jähriger Dauer einzurichten.

Es war immer in der Geschichte so, daß man an kurze Kriege glaubte. 1914 war man noch der Ansicht, lange Kriege nicht finanzieren zu können. Auch heute spukt die Auffasung in manchen Köpfen. Dagegen wird jeder Staat solange wie möglich aushalten, wenn nicht sofort eine wesentliche Schwächung (z. B. Ruhrgebiet) eintritt. England hat ähnliche Schwächen. England weiß, daß der unglückliche Kriegsausgang das Ende seiner Weltmacht bedeutet. England ist der Motor, der gegen Deutschland treibt. Seine Stärke liegt im folgenden:

1. Der Brite selbst ist stolz, tapfer, zäh, widerstandsfähig und organisatorisch begabt. Weiß jeden Fortschritt auszuwerten. Er hat das Abenteurertum und den Mut der nordischen [316] Rasse. Mit der Verbreiterung sinkt die Qualität. Der deutsche Querschnitt ist besser.

2. Es ist eine Weltmacht an sich seit 300 Jahren konstant. Vergrößert durch Verbündete. Die Macht ist nicht nur als real, sondern auch als psychologisch erdumspannend zu betrachten. Dazu kommt der unermeßbare Reichtum mit der damit verbundenen Kreditwürdigkeit.

3. Die geopolitische Sicherung und Beschirmung durch eine starke Seemacht und eine tapfere Luftwaffe.

Englands Schwäche:

Wenn wir im Kriege zwei Panzerschiffe und zwei Kreuzer mehr gehabt hätten und die Skagerrakschlacht am Morgen begonnen hätte, wäre die britische Flotte geschlagen worden und England wäre in die Knie gezwungen worden. Es hätte das Ende des Weltkrieges bedeutet.

Früher genügte es nicht, die Flotte zu schlagen. Man mußte landen, um England zu besiegen. Eng land konnte sich selbst ernähren. Das ist heute nicht mehr möglich.

Im Augenblick, wo England von seiner Zufuhr abgeschnitten ist, ist es zur Kapitulation gezwungen. Die Lebensmittel- und Betriebsstoffzufuhr ist vom Schutz durch die Flotte abhängig.

Der Angriff der Luftwaffe gegen England ins Mutterland zwinge England nicht an einem Tag zur Kapitulation. Wird die Flotte jedoch vernichtet, so ist unmittelbare Kapitulation die Folge.

Es besteht kein Zweifel, daß der überraschende Überfall zu einer schnellen Lösung führen kann. Es ist jedoch verbrecherisch, wenn die Staatsführung sich auf die Überraschung verlassen wollte. Die Überraschung kann erfahrungsgemäß scheitern an:

1. Verrat aus größerem Kreis militärischer Fachbearbeiter.

2. Blödsinniger Zufall, der die ganze Aktion zusammenbrechen läßt.

3. Menschliche Unzulänglichkeit.

4. Witterungsverhältnisse.

Der Termin zum Losschlagen muß lange vorher bestimmt werden. Darüber hinaus kann man aber nicht lange in Spannung bleiben. Es muß damit gerechnet werden, daß die Witterungsverhältnisse überraschend das Eingreifen von Flotte oder Luftwaffe unmöglich machen. Dies muß der Bearbeitung als ungünstige Grundlage zugrunde gelegt werden.

[317] 1. Anzustreben bleibt, dem Gegner zu Beginn einen oder den vernichtenden Schlag beizubringen. Hierbei spielen Recht oder Unrecht oder Verträge keine Rolle. Dies ist nur möglich, wenn man nicht durch Polen in einen Krieg mit England »hineinschlittert«.

2. Vorzubereiten ist der lange Krieg neben dem überraschenden Überfall unter Zerschlagen der englischen Möglichkeiten auf dem Festlande.

Das Heer hat die Positionen in Besitz zu nehmen, die für Flotte und Luftwaffe wichtig sind. Gelingt es Holland und Belgien zu besetzen und zu sichern, sowie Frankreich zu schlagen, dann ist die Basis für einen erfolgreichen Krieg gegen England geschaffen.

Die Luftwaffe kann dann von Westfrankreich aus die engere Blockade Englands, die Flotte mit den U-Booten die weitere übernehmen.

Folgen:

England kann auf dem Kontinent nicht kämpfen.

Die täglichen Angriffe der Luftwaffe und der Kriegsmarine zerschneiden sämtliche Lebensadern.

Die Zeit entscheidet gegen England. Deutschland verblutet nicht zu Lande.

Diese Kriegführung ist in ihrer Notwendigkeit bewiesen durch den Weltkrieg und die kriegerischen Handlungen seither.

Aus dem Weltkrieg ergeben sich folgende verpflichtende Rückschlüsse für die Kriegführung:

1. Bei einer stärkeren Kriegsmarine zu Beginn des Weltkrieges, oder einem Abdrehen des Heeres auf die Kanalhäfen, hätte der Krieg einen anderen Ausgang genommen.

2. Ein Land ist durch die Luftwaffe nicht niederzuzwingen. Es können nicht alle Objekte gleichzeitig angegriffen werden und wenige Minuten Zeitunterschied rufen die Abwehr auf den Plan.

3. Wichtig ist der rücksichtslose Einsatz aller Mittel.

4. Hat erst einmal das Heer im Zusammenwirken mit der Luftwaffe und Kriegsmarine die wichtigsten Positionen genommen, dann fließt die industrielle Produktion nicht mehr in das Danaidenfaß der Schlachten des Heeres, sondern kommt der Luftwaffe und der Kriegsmarine zugute.

Daher muß das Heer in der Lage sein, diese Position einzunehmen. Der planmäßige Angriff ist vorzubereiten.

Das zu studieren ist wichtigste Aufgabe.

Ziel ist immer, England auf die Knie zu zwingen.

[318] Jede Waffe trägt die schlachtentscheidende Wirkung nur solange in sich, als sie der Feind nicht besitzt. Das gilt für Gas, U-Boote und die Luftwaffe. Für die letztere traf das zu, solange, zum Beispiel, bei der englischen Flotte keine Abwehr vorhanden war; das wird 1940 oder 1941 nicht mehr zutreffen. Gegen Polen zum Beispiel, wird die Tankwaffe wirksam sein, da der polnischen Armee die Abwehr fehlt.

Wo die Wirkung entscheidend nicht mehr zu bewerten ist, tritt an ihre Stelle die Überraschung und der geniale Einsatz.«

Der Rest der Urkunde, Hohes Gericht, beschäftigt sich mehr mit einzelnen militärischen Plänen und Vorbereitungen. Ich halte es nicht für nötig, sie weiter zu verlesen.

Die gerade verlesene Urkunde ist der Beweis, auf dem der Anklagepunkt Absatz 4 (a) des Abschnitts IV (F) der Anklageschrift aufgebaut ist, der sich auf Seite 9 des englischen Textes befindet und die Konferenz vom 23. Mai 1939 beschreibt. Unserer Ansicht nach bleibt damit nichts von diesen Behauptungen unbewiesen.

VORSITZENDER: Herr Alderman! Vielleicht sollten Sie die letzte Seite, und zwar die letzten fünf Zeilen lesen, da diese sich besonders auf einen der Angeklagten beziehen.

MR. ALDERMAN: Ich habe sie nicht verlesen, weil ich glaube, sie sind falsch übersetzt in der englischen Übersetzung. Ich würde sie gerne im deutschen Original lesen lassen.


VORSITZENDER: Gewiß, wenn Sie der Ansicht sind.


MR. ALDERMAN: Wir könnten das deutsche Original heranziehen.

VORSITZENDER: Sie meinen, daß die englische Übersetzung nicht richtig ist?


MR. ALDERMAN: Ja.


VORSITZENDER: Sie sollten uns angeben, wenn sie falsch ist.


MR. ALDERMAN: Beziehen Sie sich auf den letzten Absatz mit der Überschrift: »Grundsatz bei der Arbeit«?


VORSITZENDER: Ja.


MR. ALDERMAN: Darf ich den deutschen Dolmetscher bitten das zu lesen, damit es in die anderen Sprachen übersetzt werden kann? Es befindet sich auf Seite 16 des Originals.


DEUTSCHER DOLMETSCHER: Seite 16.

»Der Zweck.

1. Studium des Gesamtproblems.

2. Studium des Vorgehens.

[319] 3. Studium der erforderlichen Mittel.

4. Studium der notwendigen Ausbildung.

Dem Stabe müssen Männer mit großer Phantasie und bestem Fachwissen angehören, sowie Offiziere mit nüchternem, skeptischem Verstand.

Grundsatz für die Arbeit:

1. Niemand ist zu beteiligen, der es nicht wissen muß.

2. Niemand darf mehr erfahren, als er wissen muß.

3. Wann muß der Betreffende es spätestens wissen? Niemand darf früher etwas wissen, als er es wissen muß.

Auf Anfrage des Generalfeldmarschalls Göring bestimmt der Führer, daß:

a) Die Wehrmachtsteile bestimmen, was gebaut wird.

b)An dem Schiffsbauprogramm nichts geändert wird.

c) Die Rüstungsprogramme auf 1943 beziehungsweise 1944 abzustellen sind.

Für die Richtigkeit der Wiedergabe:


gez. Schmundt, Oberstleutnant.«

MR. ALDERMAN: Die Übersetzung war genauer, als ich ursprünglich gedacht habe. Wir sind der Ansicht, wie ich gerade gesagt habe, daß die Urkunde keine der in der Anklageschrift erhobenen Behauptungen unbewiesen läßt. Sie beweist, daß die Verschwörer nach einem festgesetzten Plan vorgegangen sind. Sie beweist die kaltblütige Absicht, über Polen herzufallen. Sie beweist, daß die Danziger Frage, die die Nazis mit Polen aufgerollt hatten, bloß ein politischer Vorwand und nicht die wirkliche Frage war, sondern daß fingierte Streitpunkte geschaffen wurden, um die wahren Beweggründe, nämlich aggressive Ausbreitung zur Erlangung von Nahrungsmitteln und Lebensraum, zu tarnen.

Bei Vorlage von Belastungsurkunden über den Beginn des Krieges im Jahre 1939 muß ich die Aufmerksamkeit des Gerichts auf eine Reihe von Dokumenten lenken, die sich auf eine Ansprache Hitlers an seine führenden Kommandeure auf dem Obersalzberg am 22. August 1939, gerade eine Woche bevor der Angriff auf Polen begonnen wurde, beziehen.

Wir haben drei solcher Urkunden, die miteinander zusammenhängen und eine einzige Gruppe darstellen. Die erste beabsichtige ich nicht als Beweismittel vorzulegen, die beiden anderen werde ich jedoch vorlegen.

Der Grund hierfür ist folgender: die erste der drei Urkunden kam in unseren Besitz durch Vermittlung eines amerikanischen Journalisten und stellt angeblich das Originalprotokoll dieser Sitzung auf dem Obersalzberg dar. Der amerikanische Journalist [320] soll dieses Dokument durch eine dritte Person erhalten haben, und wir haben keinen Beweis dafür, daß die Urkunde diesem Zwischenmann tatsächlich von der Person, die das Protokoll aufnahm, übergeben wurde. Diese Urkunde brachte daher unsere Anklagebehörde darauf, nach besseren Quellen zu suchen. Glücklicherweise kamen die beiden anderen Urkunden in unsere Hand, aus denen wir schließen können, daß Hitler an diesem Tage zwei Reden hielt, vermutlich eine am Morgen und eine am Nachmittag, wie aus dem Originalproto koll zu schließen ist, das wir erbeutet haben. Durch Vergleich dieser beiden mit der ersten Urkunde kamen wir zur Schlußfolgerung, daß die erste eine etwas zugestutzte Zusammenfassung der beiden Reden war.

Am 22. August 1939 hat Hitler die drei Obersten Befehlshaber der drei Wehrmachtsteile sowie die kommandierenden Generale, die den Titel Oberbefehlshaber führten, auf dem Obersalzberg zusammengerufen.

Ich habe bereits angeführt, wie nach Entdeckung der ersten Urkunde die Anklagebehörde Schritte unternahm, bessere Beweise zu finden für das, was sich an diesem Tage ereignete. Das gelang der Anklagebehörde auch. Unter den Akten des OKW (Oberkommando der Wehrmacht) in Flensburg wurden zwei Reden gefunden, die Hitler auf dem Obersalzberg am 22. August 1939 gehalten hat. Diese Urkunden tragen die Bezeichnungen 798-PS und 1014-PS und befinden sich in unserer Serie von Dokumenten.

Um die Seriennummern in fortlaufender Reihe zu halten, Hohes Gericht, haben wir das erste Dokument, das ich nicht als Beweismittel vorlege, zu Feststellungszwecken als US-28 bezeichnet. Die zweite Urkunde (798-PS) ist demgemäß US-29 und die dritte Urkunde (1014-PS) US-30, die ich beide als Beweisstücke vorlege.

Dies sind wieder ziemlich lange Reden, besonders die erste. Ich brauche nicht die ganze Rede zu verlesen.

Ich lese zunächst aus Dokument 798-PS, US-29:

Der Führer spricht vor den Oberbefehlshabern am 22. August 1939:

»Ich habe Sie zusammengerufen...«


VORSITZENDER: Haben Sie einen Beweis dafür, wo die Rede stattfand?


MR. ALDERMAN: Auf dem Obersalzberg.


VORSITZENDER: Wie können Sie das beweisen?


MR. ALDERMAN: Sie meinen, ob dies auf dem Dokument steht?


VORSITZENDER: Ja.


MR. ALDERMAN: Ich glaube, daß der Ort Obersalzberg im ersten Dokument genannt ist, das ich nicht als Beweismittel vorgelegt [321] habe. Ich zweifle jedoch nicht, daß die Angeklagten zugeben werden, daß der Obersalzberg der Ort war, wo die Rede gehalten wurde. Der Ort selbst hat keine weitere Bedeutung, nur die Zeit.


VORSITZENDER: Sehr gut.


MR. ALDERMAN:

»Ich habe Sie zusammengerufen, um Ihnen ein Bild der politischen Lage zu geben, damit Sie Ein blick tun in die einzelnen Elemente, auf die sich mein Entschluß zu handeln aufbaut und um Ihr Vertrauen zu stärken. Danach werden wir militärische Einzelheiten besprechen. Es war mir klar, daß es früher oder später zu einer Auseinandersetzung mit Polen kommen mußte. Ich faßte den Entschluß bereits im Frühjahr.«

Ich füge hier ein, daß er sich wahrscheinlich auf das Dokument vom Mai bezieht, das bereits als Beweismittel vorliegt (L-79).

»Dachte aber, daß ich mich in einigen Jahren zunächst gegen den Westen wenden würde und dann erst gegen den Osten. Aber die Zeitfolge läßt sich nicht festlegen. Man darf auch vor bedrohlichen Lagen nicht die Augen schließen. Ich wollte zunächst mit Polen ein tragbares Verhältnis herstellen, um zunächst gegen den Westen zu kämpfen. Dieser mir sympathische Plan war aber nicht durchführbar, da sich Wesentliches geändert hatte. Es wurde mir klar, daß bei einer Auseinandersetzung mit dem Westen Polen uns angreifen würde. Polen strebt den Zugang zum Meer an. Nach der Besetzung des Memel-Gebietes zeigte sich die weitere Entwicklung und es wurde mir klar, daß unter anderem eine Auseinandersetzung mit Polen zu einem ungünstigen Zeitpunkte kommen könnte.

Als Gründe für diese Überlegung führe ich an:

1. Zunächst zwei persönliche Bedingungen:

Meine eigene Persönlichkeit und die Mussolinis. Wesentlich hängt es von mir ab, von meinem Da sein, wegen meiner politischen Fähigkeiten.«

Ich möchte hier die besondere Bedeutung der Annahme einfügen, daß ein Krieg, der fast die ganze Welt umfaßte, von der Persönlichkeit eines einzigen Mannes abhing.

»Dann die Tatsache, daß wohl niemand wieder so wie ich das Vertrauen des ganzen deutschen Volkes hat. In der Zukunft wird es wohl niemals wieder einen Mann geben, der mehr Autorität hat als ich. Mein Dasein ist also ein großer Wertfaktor. Ich kann aber jederzeit von einem Verbrecher, von einem Idioten beseitigt werden.

Der zweite persönliche Faktor ist der Duce. Auch sein Dasein ist entscheidend. Wenn ihm etwas zustößt, wird die Bündnistreue [322] Italiens nicht mehr sicher sein. Die Grundeinstellung des italienischen Hofes ist gegen den Duce. Vor allem, der Hof sieht in der Erweiterung des Imperiums eine Belastung. Der Duce ist der nervenstärkste Mann in Italien.

Der dritte persönliche für uns günstigste Faktor, ist Franco. Wir können von Spanien nur wohlwollende Neutralität verlangen. Aber das hängt von der Persönlichkeit Francos ab. Er garantiert eine gewisse Einheitlichkeit und Stetigkeit des jetzigen Systems in Spanien. Wir müssen in Kauf nehmen, daß es in Spanien noch keine faschistische Partei von unserer inneren Geschlossenheit gibt.

Auf der Gegenseite ein negatives Bild, soweit es die maßgebenden Persönlichkeiten betrifft. In Eng land und in Frankreich gibt es keine Persönlichkeiten von Format.«

Hier möchte ich einfügen: Hitler hat wohl Einen übersehen, vielleicht Viele.

»Bei uns ist das Fassen von Entschlüssen leicht; wir haben nichts zu verlieren, nur zu gewinnen. Unsere wirtschaftliche Lage ist infolge unserer Einschränkungen so, daß wir nur noch wenige Jahre durchhalten können. Göring kann das bestätigen. Uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen handeln. Unsere Gegner riskieren viel und können nur wenig gewinnen. Der Einsatz Englands in einem Kriege ist unfaßbar groß. Unsere Gegner haben Führer, die unter dem Durchschnitt stehen. Keine Persönlichkeiten. Keine Herren, keine Tatmenschen.«

Ich unterbreche wieder: vielleicht erklärt dieser letzte Satz, was er mit »keine Persönlichkeiten« meinte – keine Befehlshaber, die die Autorität besitzen, über die er bei der Beherrschung seiner Nation verfügte.

»Neben den persönlichen Faktoren ist die politische Lage für uns günstig; im Mittelmeer Rivalitäten zwischen Italien und Frankreich und England; in Ostasien Spannung zwischen Japan und England, im Orient Spannung, die zur Alarmierung der mohammedanischen Welt führt.

Das englische Empire ist schon aus dem letzten Krieg nicht gestärkt hervorgegangen. Maritim wurde nichts erreicht, Konflikt England-Irland. Die Unabhängigkeit der Südafrikanischen Union ist größer geworden. Indien mußten Konzessionen gemacht werden. England wird auf das äußerste bedroht. Ungesunde Industrialisierung. Ein britischer Staatsmann kann nur mit Sorgen in die Zukunft blicken.

Frankreichs Stellung ist ebenfalls schlechter geworden, vor allem im Mittelmeer.

[323] Als günstig für uns ist ferner anzusprechen:

Auf dem Balkan ist seit Albanien das Gleichgewicht der Kräfte. Jugoslawien trägt den Todeskeim des Verfalls in sich infolge seiner inneren Verhältnisse.

Rumänien ist nicht stärker geworden. Es ist angreifbar und verwundbar. Es wird durch Ungarn und Bulgarien bedroht. Seit dem Tode Kemals wird die Türkei von kleinen Geistern regiert, haltlose schwache Menschen.

Alle diese glücklichen Umstände bestehen in zwei bis drei Jahren nicht mehr. Niemand weiß, wie lange ich noch lebe. Deshalb Auseinandersetzung besser jetzt.

Die Gründung Großdeutschlands war politisch gesehen eine große Leistung, militärisch war sie bedenklich, da sie erreicht wurde durch einen Bluff der politischen Leitung. Es ist notwendig, das Militär zu erproben. Wenn irgend möglich, nicht in einer Generalabrechnung, sondern bei der Lösung einzelner Aufgaben.

Das Verhältnis zu Polen ist untragbar geworden. Meine bisherige polnische Politik stand im Gegensatz zu der Auffassung des Volkes. Meine Vorschläge an Polen (Danzig und Korridor) wurden durch Eingreifen Englands gestört. Polen änderte seinen Ton uns gegenüber. Spannungszustand auf die Dauer unerträglich. Gesetz des Handelns darf nicht auf andere übergehen. Jetzt ist der Zeitpunkt günstiger als in zwei bis drei Jahren. Attentat auf mich oder Mussolini könnte Lage zu unserem Nachteil ändern. Man kann nicht ewig mit gespanntem Gewehr einander gegenüberliegen. Eine uns vorgeschlagene Kompromißlösung hätte von uns Gesinnungsänderung verlangt und gute Gesten. Man sprach wieder in der Versailler Sprache zu uns. Die Gefahr des Prestigeverlustes bestand. Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit noch groß, daß der Westen nicht eingreift. Wir müssen mit rücksichtsloser Entschlossenheit das Wagnis auf uns nehmen. Der Politiker muß ebenso wie der Feldherr ein Wagnis auf sich nehmen. Wir stehen vor der harten Alternative, loszuschlagen oder früher oder später mit Sicherheit vernichtet zu werden.«

Ich lasse zwei Paragraphen aus.

»Auch jetzt ist es ein großes Risiko. Eiserne Nerven, eiserne Entschlossenheit.«

Es folgt nun eine lange Besprechung, die, wie ich glaube, nicht verlesen zu werden braucht. Dann, gegen Schluß, setze ich fort:

»Wir brauchen keine Angst vor Blockade zu haben. Der Osten liefert uns Getreide, Vieh, Kohle, Blei und Zink. Es ist ein großes Ziel, das vielen Einsatz fordert. Ich habe nur [324] Angst, daß mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt.«

Und dann der letzte Paragraph eines Satzes:

»Göring antwortet an den Führer mit Dank und der Versicherung, daß die Wehrmacht ihre Pflicht tun würde.«

Ich glaube, daß ich bereits Beweisstück US-30 vorgelegt habe, das ein kürzeres Schriftstück ist, betitelt »Zweite Ansprache des Führers am 22. August 1939.« Ich lese aus US-30:

»Zweite Ansprache des Führers am 22. August 1939:

Es kann auch anders kommen bezüglich England und Frankreich. Es läßt sich nicht mit Sicherheit prophezeien. Ich rechne mit Handelssperre, nicht mit Blockade, ferner mit Abbrechung der Beziehungen. Eisernste Entschlossenheit bei uns. Vor nichts zurückweichen.

Jedermann muß die Ansicht vertreten, daß wir von vornherein auch zum Kampf gegen die Westmächte entschlossen waren. Kampf auf Leben oder Tod. Deutschland hat jeden Krieg gewonnen, wenn es einig war. Eiserne, unerschütterliche Haltung vor allem der Vorgesetzten, feste Zuversicht, Siegesglauben, Überwindung vergangener Zeiten durch Gewöhnen an schwerste Belastung. Eine lange Friedenszeit würde uns nicht gut tun. Es ist also notwendig, mit allem zu rechnen. Mannhafte Haltung. Nicht Maschinen ringen miteinander, sondern Menschen. Bei uns qualitativ der bessere Mensch. Seelische Faktoren sind ausschlaggebend. Auf der Gegenseite schwächere Menschen. 1918 fiel die Nation, weil die seelischen Vorbedingungen ungenügend waren. Friedrich der Große hatte seinen Enderfolg nur durch seine Seelenstärke.

Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist die Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie. Auch wenn im Westen Krieg ausbricht, bleibt Vernichtung Polens im Vordergrund. Mit Rücksicht auf Jahreszeit schnelle Entscheidung.

Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg.

Herz verschließen gegen Mitleid. Brutales Vorgehen. 80 Millionen Menschen müssen ihr Recht bekommen. Ihre Existenz muß gesichert werden. Der Stärkere hat das Recht. Größte Härte.

[325] Schnelligkeit der Entscheidung notwendig. Festen Glauben an den deutschen Soldaten. Krisen sind nur auf Versagen der Nerven der Führer zurückzuführen.

Erste Forderung: Vordringen bis zur Weichsel und bis zum Narew. Unsere technische Überlegen heit wird die Nerven der Polen zerbrechen. Jede sich neubildende lebendige polnische Kraft ist sofort wieder zu vernichten. Fortgesetzte Zermürbung.

Neue deutsche Grenzführung nach gesunden Gesichtspunkten. Eventuell Protektorat als Vorgelände. Militärische Operationen nehmen auf diese Überlegungen keine Rücksicht. Restlose Zertrümmerung Polens ist das militärische Ziel. Schnelligkeit ist die Hauptsache. Verfolgung bis zur völligen Vernichtung. Überzeugung, daß die deutsche Wehrmacht den Anforderungen gewachsen ist. Auslösung wird noch befohlen, wahrscheinlich Samstag morgen.«

Hier endet dieses Dokument. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß tatsächlich der Beginn auf den 1. September verschoben wurde.

DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Herr Präsident, ich bitte eine kurze Erklärung zu diesen beiden eben verlesenen Urkunden abgeben zu dürfen. Die beiden verlesenen Urkunden sowie die dritte, zwar nicht verlesene, aber in Bezug genommene Urkunde, werden von der Verteidigung nicht anerkannt. Um nicht den Anschein zu erwecken, ob dieser Widerspruch leichtfertig erhoben ist, gebe ich dazu folgende kurze Begründung:

Die beiden verlesenen Urkunden enthalten eine Reihe von sachlichen Unrichtigkeiten. Sie tragen keine Unterschriften, es hat außerdem, daraus ergibt sich ihre Unrichtigkeit, nur eine Sitzung stattgefunden. Es hat niemand in der Sitzung Auftrag bekommen, den Gang der Verhandlung niederzuschreiben. Da die Unterschriften fehlen, läßt sich nicht feststellen, wer sie geschrieben hat und wer für ihre Zuverlässigkeit verantwortlich ist.

Das dritte, nicht verlesene Schriftstück ist nach der im Dokumentenort vorliegenden Photokopie lediglich mit Schreibmaschine geschrieben. Es ist ohne Angabe des Ortes, ohne Angabe der Zeit seiner Errichtung.


VORSITZENDER: Wir haben uns nicht mit der dritten Urkunde zu befassen, da diese nicht verlesen wurde.


DR. STAHMER: Herr Präsident, diese Urkunde ist aber schon veröffentlicht in der Presse, und zwar offenbar dadurch, daß die Anklagevertretung sie der Presse übergeben hat. Die Verteidigung und auch die Angeklagten haben daher ein dringendes Interesse daran, daß eine Erklärung zu diesen Urkunden kurz abgegeben wird.


[326] VORSITZENDER: Der Gerichtshof untersucht den Fall auf Grund der vorliegenden Beweise und nicht auf Grund der Veröffentlichungen in der Presse, und dieses dritte Dokument liegt dem Gericht nicht als Beweismaterial vor.

MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ich verstehe, daß die Verteidigung wissen möchte, wieso diese zwei soeben von mir verlesenen Dokumente in unserer Hand sind. Wir erhielten sie aus zuverlässiger Quelle. Sie sind deutsche Urkunden. Sie wurden unter OKW-Akten gefunden. Wenn Sie nicht richtige Aufzeichnungen über die Geschehnisse sind, wäre es sehr verwunderlich, daß sie bei der Sorgfalt, mit der die Deutschen genaue Aufzeichnungen führten, Dokumente in den OKW-Archiven verwahrten, die nicht die Wahrheit enthalten.


VORSITZENDER: Herr Alderman, das Gericht will selbstverständlich hören, welche Beweise die Angeklagten bezüglich dieser Dokumente führen wollen.


MR. ALDERMAN: In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, daß, wenn einer der Angeklagten eine genauere Niederschrift der vom Führer bei dieser Gelegenheit gesprochenen Worte besitzen sollte, der Gerichtshof diese berücksichtigen sollte. In der anderen Frage, die der Verteidiger erwähnte, fühle ich mich irgendwie schuldig. Es ist wirklich richtig, daß die Presse durch irgendeinen technischen Fehler das erste Dokument erhielt, obwohl wir nicht die Absicht hatten, dieses der Presse zu übergeben. Ich fühle mich diesbezüglich irgendwie verantwortlich. Es war in den Dokumentenbüchern enthalten, die dem Gerichtshof am Freitag übergeben wurden, weil wir nur beabsichtigten, uns darauf zu beziehen und es mit einer Kennzeichnungsnummer zu versehen, aber es nicht als Beweismittel vorlegen wollten. Ich habe geglaubt, daß Dokumente solange nicht der Presse freigegeben würden, bis sie tatsächlich als Beweismittel angeboten werden. Bei einer so umfangreichen Organisation wie hier, ist es schwer, alle diese Dinge zu überwachen.


VORSITZENDER: Herr Alderman! Der Gerichtshof möchte wissen, wie viele dieser Dokumente der Presse übergeben worden sind.


MR. ALDERMAN: Das kann ich nicht beantworten.


OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Soviel ich weiß, werden Dokumente nur dann der Presse übergeben, wenn sie als Beweismittel vorgelegt worden sind.


VORSITZENDER: In welcher Anzahl?


OBERST STOREY: Ich glaube, 250 Exemplare jedes Dokuments, ungefähr 200 bis 250 vervielfältigte Abschriften.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Verteidigung Abschriften dieser Dokumente erhalten sollte, bevor [327] solche der Presse übergeben werden. Ich meine, daß die Verteidigung vor der Presse den Vorzug haben sollte, d. h. die Verteidigung sollte diese Dokumente zuerst bekommen.


OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Soviel ich weiß, hatten diese Herren die 10 Dokumente Samstag morgens oder Sonntag morgens. Abschriften der heute verlesenen Dokumente waren 24 Stunden lang im Informationszentrum der Verteidiger zur Verfügung der Herren.


VORSITZENDER: Ich habe festgestellt, daß zufolge des auf Ihre Veranlassung getroffenen vorläufigen Übereinkommens zehn Kopien der Schriftsätze und fünf Abschriften der Dokumentenbücher der Verteidigung übergeben werden sollten.


OBERST STOREY: Ich besitze die Empfangsbestätigung, daß sie im Informations-Zentrum hinterlegt worden sind.


VORSITZENDER: Gut, ich möchte jedoch bemerken, daß, wenn 250 Abschriften der Presse übergeben werden können, die Verteidigung nicht auf 5 Abschriften beschränkt werden sollte.


OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Die 250 Abschritten sind vervielfältigte Abschriften von Dokumenten in englischer Sprache, die als Beweismittel vorgelegt wurden. Ich habe hier in der Hand oder in meiner Aktenmappe die Bestätigung, daß das Dokumentenbuch sowie die Schriftsätze 24 Stunden früher abgeliefert worden sind.


VORSITZENDER: Sie scheinen nicht ganz zu verstehen, was ich meine. Wenn es Ihnen möglich ist, 250 Abschriften in englischer Sprache der Presse zu übergeben, können Sie sicherlich der Verteidigung mehr als 5 Kopien zur Verfügung stellen – jedem Verteidiger eine. Gut, wir wollen das nicht weiter erörtern. In Zukunft wird es so gehandhabt werden.


DR. DIX: Darf ich darauf hinweisen, daß also von jedem Beweisdokument ein Exemplar pro Verteidiger übergeben wird und nicht nur eines für mehrere Mitglieder der Verteidigung.


VORSITZENDER: Setzen Sie fort, Mr. Alderman.


MR. ALDERMAN: Nachdem der Angriffskrieg im September 1939 eingeleitet, und Polen kurz nach dem Beginn des Angriffs vollkommen geschlagen worden war, verwandelten die Nazis den Krieg in einen allgemeinen Angriffskrieg und dehnten ihn auf Skandinavien, die Niederlande und den Balkan aus. Zufolge der Aufteilung des Prozesses auf die vier Hauptanklagevertreter wird dieses Thema der Britische Hauptanklagevertreter vortragen.

Eine andere Änderung unseres Planes, die ich viel leicht erwähnen sollte ist, daß nachdem der Britische Hauptanklagevertreter seine einleitenden Feststellungen über Anklagepunkt 2 gemacht [328] hat, wir die ausführliche Behandlung der späteren Entwicklung des Angriffskrieges wieder übernehmen wollen. Die englische Anklagevertretung wird sich, anstatt der amerikanischen, mit den Einzelheiten des Angriffs gegen Polen befassen. Mit der Ausdehnung des Krieges in Europa werde ich, den von Amerika zu vertretenden Anklagepunkt 1 und den von England zu vertretenden Anklagepunkt 2 verbindend, den Angriff gegen Rußland, sowie den japanischen Angriff behandeln. Die zwei noch verbleibenden Gegenstände, die ich zum Schlusse ausführlicher und unter Vorlage von besonders wichtigen Urkunden, behandeln werde, sind der Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und die Zusammenarbeit Italiens, Japans und Deutschlands sowie der sich daraus ergebende Angriff auf die Vereinigten Staaten am 7. Dezember 1941.

Was den Angriff gegen Rußland betrifft, so möchte ich zu diesem Zeitpunkt zwei Urkunden vorlegen. Die erste der beiden Urkunden beweist die Vorsätzlichkeit und den Vorbedacht, mit denen der Angriff geplant wurde. So wie die Nazis im Falle des Angriffs gegen die Tschechoslowakei für die geheime Operation ein Deckwort »Fall Grün« hatten, so benutzten sie auch einen Decknamen im Falle des Angriffs gegen Rußland, »Fall Barbarossa«.


VORSITZENDER: Wie buchstabieren Sie dieses Wort?


MR. ALDERMAN: B-a-r-b-a-r-o-s-s-a, nach Barbarossa, dem Kaiser Friedrich. Aus den Akten des OKW Flensburg besitzen wir eine geheime Weisung Nummer 21, die vom Hauptquartier des Führers am 18. Dezember 1940 in Angelegenheit des »Falles Barbarossa« erlassen wurde. Diese Weisung erging 6 Monate vor dem Angriff. Weitere Beweismittel werden zeigen, daß der Plan sogar noch früher gefaßt wurde. Die Urkunde ist von Hitler unterschrieben und von den Angeklagten Jodl und Keitel mit ihren Anfangsbuchstaben gezeichnet. Dieser geheime Befehl wurde in neun Exemplaren ausgegeben. Das erbeutete Dokument ist das vierte der neun Exemplare. Es trägt die Nummer 446-PS in unserer Nummernfolge. Ich lege es dem Gericht als Beweisstück, US-31, vor.

Hoher Gerichtshof! Ich glaube, daß es genügt, wenn ich die erste Seite dieser Weisung vorlese. Ich meine die erste Seite der englischen Übersetzung. Die Seitenfolge kann auf dem deutschen Original verschieden sein.

»Abschrift. Geheime Kommandosache! F.H.Qu., den 18. 12. 40. Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht.

OKW/WFST/Abt. L (I) Nr. 33408/40 gk Chefs. Chef-Sache- Nur durch Offiziere. 9 Ausfertigungen – 4. Ausfertigung.

Weisung Nr. 21

Fall Barbarossa.

Die deutsche Wehrmacht muß darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England, Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen. (Fall Barbarossa.) [329] Das Heer wird hierzu alle verfügbaren Verbände einzusetzen haben mit der Einschränkung, daß die besetzten Gebiete gegen Überraschungen gesichert sein müssen.

Für die Luftwaffe wird es darauf ankommen, für den Ostfeldzug so starke Kräfte zur Unterstützung des Heeres freizumachen, daß mit einem raschen Ablauf der Erdoperationen gerechnet werden kann und die Schädigung des ostdeutschen Raumes durch feindliche Luftangriffe so gering wie möglich bleibt. Diese Schwerpunktbildung im Osten findet ihre Grenze in der Forderung, daß der gesamte von uns beherrschte Kampf- und Rüstungsraum gegen feindliche Luftangriffe hinreichend geschützt bleiben muß und die Angriffshandlungen gegen England, insbesondere seine Zufuhr, nicht zum Erliegen kommen dürfen.

Der Schwerpunkt des Einsatzes der Kriegsmarine bleibt auch während eines Ostfeldzugs eindeutig gegen England gerichtet.

Den Aufmarsch gegen Sowjetrußland werde ich gegebenenfalls acht Wochen vor dem beabsichtig ten Operationsbeginn befehlen.

Vorbereitungen, die eine längere Anlaufzeit benötigen, sind – soweit noch nicht geschehen – schon jetzt in Angriff zu nehmen und bis zum 15. 5. 41 abzuschließen. Entscheidender Wert ist jedoch darauf zu legen, daß die Absicht eines Angriffs nicht erkennbar wird.

Die Vorbereitungen der Oberkommandos sind auf folgender Grundlage zu treffen:

I. Allgemeine Absicht:

Die im westlichen Rußland stehende Masse des russischen Heeres soll in kühnen Operationen unter weitem Vortreiben von Panzerkeilen vernichtet, der Abzug kampfkräftiger Teile in die Weite des russischen Raumes verhindert werden.

In rascher Verfolgung ist dann eine Linie zu erreichen, aus der die russische Luftwaffe reichsdeutsches Gebiet nicht mehr angreifen kann. Das Endziel der Operation ist die Abschirmung gegen das asiatische Rußland aus der allgemeinen Linie Wolga-Archangelsk. So kann erforderlichenfalls das letzte Rußland verbleibende Industriegebiet am Ural durch die Luftwaffe ausgeschaltet werden.

Im Zuge dieser Operationen wird die russische Ostseeflotte schnell ihre Stützpunkte verlieren und damit nicht mehr kampffähig sein.

Wirksames Eingreifen der russischen Luftwaffe ist schon bei Beginn der Operation durch kraftvolle Schläge zu verhindern.«


[330] VORSITZENDER: Herr Alderman, vielleicht wäre es Ihnen angenehm, wenn wir jetzt für 10 Minuten unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ein anderes Geheimdokument, das aus OKW-Akten erbeutet wurde, beweist, wie wir glauben, die Beweggründe für den Angriff auf Rußland. Es beweist ebenfalls, daß sich die Nazi-Verschwörer der Verbrechen gegen die Humanität voll bewußt waren, die eine Folge ihres Angriffs sein würden. Die Urkunde ist ein Memorandum vom 2. Mai 1941 und behandelt die Ergebnisse einer Unterredung mit den Staatssekretären vom gleichen Tag über den Fall »Barbarossa«. Die Urkunde ist gezeichnet von einem Major von Gusovius vom Stabe des Generals Thomas, der den Auftrag hatte, die wirtschaftliche Ausbeutung der von den Deutschen während ihres Angriffs auf Rußland besetzten Gebiete zu leiten. Die Urkunde trägt die Nummer 2718-PS und wird hiermit als Beweisstück US-32 dem Gericht vorgelegt.

Ich verlese nur die ersten beiden Absätze dieser Urkunde einschließlich der einführenden Bemerkungen:

»Chefsache – Stab Ia – 2.5.41 – Zwei Ausfertigungen. Erste Ausfertigung Akten 1a. Zweite Ausfertigung Gen. Schubert.

Aktennotiz über Ergebnis der heutigen Besprechung mit den Staatssekretären über Barbarossa.

1. Der Krieg ist nur weiterzuführen, wenn die gesamte Wehrmacht im dritten Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird.

2. Hierbei werden zweifellos -zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.«

Dieses Dokument ist bereits von Justice Jackson besprochen und in seiner Eröffnungsrede zitiert worden. Die unglaubliche Bedeutung dieses Dokuments kann man sich kaum vorstellen. Nach den Worten dieser Urkunde ist der Beweis dafür gegeben, daß der Krieg, den die Nazi-Verschwörer im September 1939 entfesselt haben, nur fortgesetzt werden konnte, wenn die gesamten Streitkräfte im dritten Kriegsjahr aus Rußland ernährt werden konnten. Noch niemals ist wohl ein unheilvollerer Satz niedergeschrieben worden, als der Satz in dieser Urkunde, der heißt:

»Hierbei werden zweifellos -zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.«

Über das Ergebnis wissen wir alle Bescheid.

Ich wende mich nun der Zusammenarbeit der Nazis mit Japan und Italien zu und dem daraus entstandenen Angriff auf die Vereinigten Staaten vom 7. Dezember 1941. Mit der Entfesselung des [331] deutschen Angriffskrieges gegen Bußland im Jahre 1941 wandten sich die Nazi-Verschwörer und besonders der Angeklagte von Ribbentrop an den Mitschöpfer der »Neuen Ordnung« Japan und ersuchten um einen Angriff im Rücken. Unser Beweismaterial wird zeigen, daß die Nazi-Verschwörer eine Macht, die notwendigerweise einen Angriff auf die Vereinigten Staaten mit sich bringen würde, aufreizten und in Bewegung brachten. Eine Zeitlang blieben die Nazi-Verschwörer dabei, daß die Vereinigten Staaten nicht in den Konflikt hineingezogen werden müßten, weil sie wußten, welche militärischen Folgen dies nach sich ziehen würde. Jedoch hatte ihre Hetzerei den Überfall auf Pearl Harbour zur Folge, und lange vor dem Angriff gaben sie Japan die Versicherung, daß sie gegen die Vereinigten Staaten Krieg erklären würden, sollte ein Krieg zwischen Japan und den Vereinigten Staaten ausbrechen. Japan verließ sich auf diese Zusicherungen, als es die Vereinigten Staaten angriff.

Über diesen Punkt werde ich jetzt nur eine Urkunde als Beweismaterial vorlegen. Diese Urkunde wurde in den Akten des Deutschen Auswärtigen Amtes vorgefunden. Sie enthält Niederschriften, die das Datum vom 4. April 1941 tragen, unterschrieben von »Schmidt«, und hat Besprechungen des Führers mit dem japanischen Außenminister Matsuoka in Gegenwart des Angeklagten von Ribbentrop zum Gegenstand. Die Urkunde trägt in unserer numerierten Ur kundenserie die Nummer 1881-PS, ich lege sie als Beweisstück US-33 vor.

Das Original ist deutsch und auf einer Schreibmaschine mit sehr großen Lettern geschrieben. Ich lese nur die Teile vor, die ich für erheblich halte. Zuerst die Überschrift:

»Aufzeichnung über die Unterredung zwischen dem Führer und dem japanischen Außenminister Matsuoka in Anwesenheit des Reichsaußenministers und des Staatsministers Meißner in Berlin am 4. April 1941.

... Matsuoka brachte dann anschließend noch die Bitte vor, der Führer möge die zuständigen Stellen in Deutschland anweisen, den Wünschen der Japanischen Militärkommission möglichst großzügig entgegen zu kommen. Japan bedürfe besonders auf dem Gebiet des Unterseebootkrieges der deutschen Mithilfe in Gestalt einer Zurverfügungstellung der neuesten Kriegserfahrungen und der neuesten technischen Verbesserungen und Erfindungen.«

Für das Protokoll möchte ich sagen, daß ich Seite 6 des deutschen Originals lese:

»Japan würde alles in seinen Kräften Stehende tun, um einen Krieg mit den Vereinigten Staaten zu vermeiden. Für den [332] Fall, daß das Land sich zu einem Schlag gegen Singapore entscheide, müsse die japanische Marine natürlich auch für einen Kampf gegen die Vereinigten Staaten ihre Vorbe reitungen treffen, da Amerika sich dann möglicherweise auf die Seite Großbritanniens stellen würde. Persönlich glaube er (Matsuoka) durch diplomatische Bemühungen die Vereinigten Staaten vom Eintritt in den Krieg auf Seiten Großbritanniens abhalten zu können. Heer und Marine müßten jedoch mit dem ungünstigsten Falle, das heißt mit einem Krieg gegen Amerika rechnen. Sie seien der Ansicht, daß dieser Krieg sich über fünf Jahre oder mehr hinziehen könne und in Form eines Guerillakrieges im Stillen Ozean und in der Südsee ausgefochten werden würde. Aus diesem Grunde seien die Erfahrungen, die Deutschland in seinem Guerillakrieg gemacht habe, für Japan sehr wichtig. Es handle sich darum, wie ein solcher Krieg am besten zu führen sei und wie sämtliche technische Verbesserungen der Unterseeboote, bis zu den einzelnen Teilen wie Periskop und dergleichen, von Japan nutzbar gemacht werden könnten.

Zusammenfassend bat Matsuoka den Führer, dafür zu sorgen, daß die von Japan benötigten Verbesserungen und Erfindungen auf dem Gebiet der Marine und des Heeres den Japanern von den zuständigen deutschen Stellen zur Verfügung gestellt würden. Der Führer sagte dies zu und wies darauf hin, daß auch Deutschland einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten für unerwünscht halte, ihn aber in seine Rechnung schon einkalkuliert habe. In Deutschland stehe man auf dem Standpunkt, daß Amerikas Leistungen von seinen Transportmög lichkeiten abhingen, die wiederum durch die zur Verfügung stehende Tonnage bedingt sei. Der Krieg Deutschlands gegen die Tonnage bedeute eine entscheidende Schwächung nicht nur Englands, sondern auch Amerikas. Deutschland habe seine Vorbereitungen so getroffen, daß in Europa kein Amerikaner landen könne. Es würde mit seinen Unterseebooten und seiner Luftwaffe einen energischen Kampf gegen Amerika führen und infolge seiner größeren Erfahrung, die Amerika erst erwerben müsse, erheblich überlegen sein, ganz abgesehen davon, daß die deutschen Soldaten selbstverständlich hoch über den Amerikanern stünden.

Im weiteren Verlauf des Gespräches betonte der Führer, daß, wenn Japan in einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten geriete, Deutschland seinerseits sofort die Konseqenzen ziehen würde. Es sei gleichgültig, mit wem die Vereinigten Staaten zuerst in Konflikt gerieten, ob mit Deutschland oder mit Japan. [333] Sie würden stets darauf aus sein, zunächst ein Land zu erledigen, nicht etwa, um sich anschließend mit dem anderen Land zu verständigen, sondern um dieses danach ebenfalls zu erledigen. Daher würde Deutschland, wie gesagt, unverzüglich in einem Konfliktfalle Japan-Amerika eingreifen, denn die Stärke der Dreier-Pakt-Mächte sei ihr gemeinsames Vorgehen. Ihre Schwäche würde darin liegen, wenn sie sich einzeln niederschlagen ließen.

Matsuoka wiederholte noch einmal seine Bitte, der Führer möge die nötigen Weisungen erteilen, damit die zuständigen deutschen Stellen den Japanern die neuesten, für sie in Frage kommenden Erfindungen und Verbesserungen zur Verfügung stellen. Denn für einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten müßte sich die japanische Marine sofort vorbereiten.

Bezüglich der japanisch-amerikanischen Beziehungen, führte Matsuoka weiter aus, habe er in seinem Lande stets behauptet, daß, wenn Japan weiter so dahin treibe wie jetzt, ein Krieg mit den Vereinigten Staaten früher oder später unvermeidlich sei.

Seiner Ansicht nach würde dieser Konflikt eher früher als später eintreten. Weshalb, so habe seine Argumentation weiter gelautet, solle Japan deshalb nicht im richtigen Augenblick entschlossen handeln und das Risiko eines Kampfes gegen Amerika auf sich nehmen? Gerade dadurch würde es vielleicht auf Generationen hinaus einen Krieg verhindern, besonders, wenn es in der Südsee die Herrschaft gewonnen habe. In Japan allerdings zögerten viele, diesen Gedankengängen zu folgen. Man hielte Matsuoka in diesen Kreisen für einen gefährlichen Mann mit gefährlichen Gedanken. Er aber behaupte, daß, wenn Japan auf dem jetzigen Wege weitergehe, es doch eines Tageskämpfen müsse und daß dies dann unter ungünstigeren Umständen als jetzt geschehen würde.

Der Führer erwiderte, er habe für die Lage Matsuokas größtes Verständnis, da er sich selber in ähnlichen Situationen (Rheinlandräumung, Erklärung der Wehrhoheit) befunden habe. Auch er sei der Ansicht gewesen, daß er in einer Zeit, wo er selbst noch jung und tatkräftig sei, günstige Umstände ausnutzen und das Risiko eines doch unvermeidlichen Kampfes auf sich nehmen mußte. Daß er mit dieser Stellungnahme recht gehabt hätte, sei durch die Ereignisse bewiesen worden. Europa sei jetzt frei. Er würde keinen Augenblick zögern, auf jede Kriegsausweitung, sei es durch Rußland, sei es durch Amerika, sofort zu antworten. Die Vorsehung liebe denjenigen, der die Gefahren nicht über sich kommen ließe, sondern ihnen mutig entgegensähe.

[334] Matsuoka erwiderte, daß die Vereinigten Staaten oder vielmehr die dort herrschenden Staatsmänner gegenüber Japan kürzlich noch ein letztes Manöver unternommen hätten, indem sie erklärten, Amerika würde Japan nicht wegen China oder der Südsee bekämpfen, unter der Voraussetzung, daß Japan die Lieferung von Gummi und Zinn aus diesen Gegenden ungehindert nach Amerika an ihren Bestimmungsort durchließe. Amerika würde jedoch in dem Augenblick gegen Japan kämpfen, in dem es fühle, daß Japan mit der Absicht in den Krieg eintrete, bei der Zerstörung Großbritanniens mitzuhelfen. Bei der englischorientierten Erziehung, die viele Japaner erhalten hätten, verfehle natürlich eine solche Argumentation nicht ihre Wirkung auf die Japaner.

Der Führer bemerkte hierzu, daß diese Haltung Amerikas weiter nichts bedeute als daß, solange das Britische Weltreich bestehen bliebe, die Vereinigten Staaten Hoffnung hegten, eines Tages, gemeinsam mit Großbritannien, gegen Japan vorgehen zu können, während sie bei einem Zusammenbruch des Weltreiches Japan gegenüber völlig allein dastehen würden und nichts gegen es ausrichten könnten. Der Reichsaußenminister warf hier ein, daß die Amerikaner eben unter allen Umständen die Machtposition Englands in Ostasien aufrechterhalten wollten, daß aber andererseits diese Haltung beweise, mit welcher Furcht sie einem gemeinsamen Vorgehen Japans und Deutschlands entgegensähen.

Matsuoka führte weiter aus, es erschiene ihm wichtig, dem Führer über die wirkliche Haltung in Japan reinen Wein einzuschenken. Deshalb müsse er ihm auch die bedauerliche Tatsache mitteilen, daß er, Matsuoka, als japanischer Außenminister in Japan selbst nicht ein Wort von dem, was er vor dem Führer und dem Reichsaußenminister über seine Pläne dargelegt habe, äußern dürfte. In politischen und finanziellen Kreisen würde ihm das sehr schaden. Er habe bereits vorher einmal, ehe er japanischer Außenminister wurde, den Fehler begangen, einem nahen Freunde etwas über seine Absichten mitzuteilen. Dieser habe dann anscheinend die Dinge herumgetragen, so daß alle möglichen Gerüchte entstanden, denen er, obwohl er sonst immer die Wahrheit spräche, als Außenminister energisch entgegentreten mußte.

Unter diesen Umständen könne er auch nicht angeben, wie bald er dem japanischen Premierminister oder, dem Kaiser über die besprochenen Fragen Vortrag halten könne. Er würde die Entwicklung in Japan zunächst genau sorgfältig verfolgen müssen, um sich in einem günstigen Augenblick zu entscheiden, dem Prinzen Konoye und dem Kaiser über seine [335] eigentlichen Pläne reinen Wein einzuschenken. Die Entscheidung müßte dann in ein paar Tagen erfolgen, da die Probleme sonst zerredet würden. Sollte er (Matsuoka) sich nicht mit seinen Absichten durchsetzen, wäre es ein Beweis, daß es ihm an Einfluß, Überzeugungskraft und taktischen Fähigkeiten fehle. Sollte er sich jedoch durchsetzen, so würde das beweisen, daß er einen großen Einfluß in Japan habe. Er persönlich glaube, daß er sich durchsetzen würde.

Bei seiner Rückkehr würde er dem Kaiser, dem Premierminister, dem Marine- und dem Kriegsminister auf deren Fragen zwar zugeben, daß über Singapore gesprochen worden sei, er würde jedoch erklären, daß dies nur in hypothetischer Form geschehen wäre.

Außerdem bat Matsuoka ausdrücklich über die Angelegenheit Singapore nichts zu kabeln, da er fürchte, daß durch Telegramme etwas durchsickern würde. Falls nötig, würde er einen Kurier schicken. Der Führer stimmte dem zu und versicherte im übrigen, daß er sich auf die deutsche Verschwiegenheit voll und ganz verlassen könne.

Matsuoka erwiderte, er glaube zwar an die deutsche Verschwiegenheit, könne aber leider nicht dasselbe von Japan sagen.

Nach einigen persönlichen Abschiedsworten fand die Unterredung ihr Ende.

Berlin, den 4. April 1941.

Schmidt.«

Damit ist die Vorlage der von mir so bezeichneten Handvoll ausgesuchter Urkunden vollendet, nicht so sehr, um eine ausführliche Behandlung irgendeines dieser Angriffskriege zu geben, vielmehr um zu beweisen, daß jeder dieser Angriffskriege nach einem sorgfältig vorbereiteten Plan und mit lange vorbedachter Überlegung durchgeführt wurde.

Ich will jetzt zu einer mehr ins einzelne gehenden und mehr oder weniger chronologischen Behandlung der einzelnen Phasen dieser Angriffe übergehen.

VORSITZENDER: Das Gericht vertagt sich auf morgen 10.00 Uhr.


[Das Gericht vertagt sich bis

27. November 1945, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 2, S. 312-337.
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