Vormittagssitzung.

[480] VORSITZENDER: Ich ersuche den Anklagevertreter der Vereinigten Staaten, das Wort zu ergreifen.

JUSTICE JACKSON: Oberst Amen wird heute Morgen für die Vereinigten Staaten sprechen.


OBERST JOHN HARLAN AMEN, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich rufe heute als ersten Zeugen der Anklage Generalmajor Erwin Lahousen auf.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof bittet mich, bekanntzugeben, daß die Aussage des Zeugen, den Sie vorzuladen wünschen, sich streng auf den Anklagepunkt, der von den Vereinigten Staaten behandelt wird, beschränken muß, nämlich Anklagepunkt 1.


OBERST AMEN: Darf ich einen Augenblick Zeit erbitten, um dies mit dem Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten zu besprechen?


VORSITZENDER: Ja, selbstverständlich.


DR. NELTE: Herr Präsident, meines Wissens war zwischen der Anklagebehörde und der Verteidigung eine Vereinbarung getroffen, wenn immer möglich vorher bekanntzugeben, was am nächsten Tage verhandelt werden soll. Der klare Zweck dieser, wie mir scheint, vernünftigen Vereinbarung war, den Verteidigern die Möglichkeit zu geben, über die bevorstehenden Fragen mit den Angeklagten zu sprechen und dadurch den glatten und raschen Verlauf des Prozesses sicherzustellen.

Ich habe nicht gehört, daß heute der Zeuge Lahousen von der Anklagebehörde eingeführt werden soll; auch nicht, über welche Fragen er verhört werden soll. Es wäre dies auch deshalb besonders wichtig, weil wir heute, wie ich glaube, den Zeugen Lahousen nicht über Fragen hören sollen, die im Zusammenhang mit dem Vortrag der Anklagebehörde in den letzten Tagen stehen.


VORSITZENDER: Das ist das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt, daß der Zeuge auf Aussagen beschränkt werden soll, die sich auf Anklagepunkt 1 beziehen, welcher bis heute als einziger. Punkt besprochen worden ist.


DR. NELTE: Meint der Herr Präsident in diesem Zusammenhang, daß der Verteidigung, um die Möglichkeit zu haben, den Zeugen auch im Kreuzverhör zu vernehmen, die Möglichkeit gegeben [480] wird, nach der Vernehmung durch die Anklagebehörde in einer Pause mit den Angeklagten zu sprechen, damit sie wissen, welche Fragen sie zu stellen haben?

Der Zeuge Lahousen war, soviel ich mich entsinne, in dem bisherigen Vortrag der Anklagebehörde nicht erwähnt.


VORSITZENDER: Ist das alles, was Sie zu sagen haben?


DR. NELTE: Jawohl.


VORSITZENDER: Ich glaube, der Gerichtshof möchte gern den Vertreter der Vereinigten Staaten über die vom Verteidiger des Angeklagten Keitel erwähnte Vereinbarung hören, dahingehend, daß das, was am nächsten Tage besprochen werden soll, vorher den Verteidigern der Angeklagten mitgeteilt werde.


JUSTICE JACKSON: Ich kenne keine Vereinbarung, die besagt, daß den Verteidigern der Angeklagten über irgendeinen Zeugen oder dessen Aussage Mitteilung zu machen sei; ich würde auch keine solchen treffen wollen. Aus Sicherheitsgründen können wir die Namen der Zeugen den Verteidigern vorher nicht nennen; ich brauche das nicht weiter zu erläutern.

Ich bin auch sicher, daß wir ihnen mitgeteilt haben, sie würden über alles Dokumentenmaterial unterrichtet werden; ich glaube, das wurde eingehalten. Wenn es sich jedoch um Zeugen handelt, so ist eine praktische Erwägung maßgebend. Diese Zeugen sind nicht immer Gefangene. Sie müssen in etwas anderer Art behandelt werden als Gefangene, und die Wahrung ihrer Sicherheit ist von größter Bedeutung, da wir diesen Prozeß geradezu in der Hochburg des Nazitums durchführen, mit dem einige Verteidiger identifiziert wurden.


VORSITZENDER: Ich glaube, das genügt, Justice Jackson. Wenn Sie dem Gerichtshof sagen, daß eine solche Vereinbarung nicht besteht, so wird der Gerichtshof dies natürlich akzeptieren.


JUSTICE JACKSON: Mir ist in dieser Hinsicht in Bezug auf Zeugen nichts bekannt. Das bezieht sich auch auf Dokumente. Es ist sehr schwierig für uns, den genauen Sinn des vom Gerichtshof soeben bekanntgegebenen Entscheids zu erkennen. Punkt 1 der Anklageschrift stellt einen Verschwörungspunkt dar, der den ganzen materiellen Inhalt der Anklage deckt. Es bestehen natürlich gewisse sich überschneidende Probleme, von denen ich annahm, daß sie von der Anklagevertretung bis heute Morgen ausgearbeitet worden sind.

Wenn man eine Verschwörung in einem Prozeß behandelt, so ist es unmöglich, die Tatsache unerwähnt zu lassen, daß die Handlung, die das Ziel der Verschwörung war, ausgeführt wurde. Es ist dies in der Tat ein Bestandteil des Beweismaterials über die Verschwörung. [481] Ich glaube, ich brauche mich nicht ausführlich über den weiten Umfang des Beweismaterials in einem Verschwörungsfalle. zu äußern. Es wäre vielleicht das beste, den Zeugen zu vereidigen. Wenn die anderen Anklagevertreter das Gefühl haben, man dringe in ihr Gebiet ein, oder wenn die Richter der Ansicht sind, wir gingen zu weit, sollen sie spezielle Einwendungen erheben; denn ich weiß nicht, wie wir Anklagepunkt 1 von den anderen Punkten trennen können, besonders von einem Augenblick zum anderen. Wir haben unser möglichstes getan, um ein Übereinkommen auszuarbeiten, das uns und den anderen Anklagevertretern gerecht wird; aber es ist uns unmöglich, es immer jedem recht zu machen.

Mit größter Achtung vor dem Entscheid des Gerichtshofs möchte ich vorschlagen, daß wir fortfahren. Ich weiß zwar nicht genau, wie weit der Gerichtsentscheid geht, aber wir können das wohl nur dadurch ermitteln, daß wir fortfahren und besondere Einwendungen in besonderen Fällen erheben, wenn jemand das Empfinden hat, es läge eine Überschreitung vor. Ich möchte dabei unsere größte Achtung vor dem Entscheid betonen; möglicherweise könnten wir aber damit in Konflikt geraten, weil es schwer ist, in dieser Sache die Grenzen zu ziehen.


VORSITZENDER: Dr. Stahmer?


DR. STAHMER: Herr Präsident, ich muß nochmals auf die von Dr. Nelte aufgeworfene Frage zurückkommen, nämlich seine Behauptung, daß vor Beginn des Prozesses zwischen der Verteidigung und der Anklagebehörde eine Vereinbarung getroffen sei, daß jeweils am Tage zuvor die Verteidigung über das Programm des nächsten Verhandlungstages unterrichtet werden soll. Eine solche Vereinbarung ist tatsächlich getroffen, und ich kann nicht verstehen, daß diese Vereinbarung nicht zur Kenntnis der Anklagebehörde gelangt ist. Wir haben in einer Besprechung erwogen, daß dieser Weg gangbar wäre und eingeschlagen werden solle, wie uns Dr. Kempner, unser Verbindungsmann, versicherte. Ich habe darum ferner noch auf das Folgende hinzuweisen:

Es wurde von der Anklagebehörde erklärt, daß aus Sicherheitsgründen der Verteidigung Zeugen, die am nächsten Tage verhört werden sollen, am Tage vorher nicht namhaft gemacht werden können. Die Presse war jedoch bereits gestern über die Zeugen unterrichtet, die heute verhört werden sollen; das haben wir heute Morgen durch Pressevertreter erfahren und, soviel ich weiß, steht das auch heute bereits in der Zeitung. Mir ist auch nicht verständlich, warum uns eine solche Mitteilung vorenthalten werden sollte, da aus Sicherheitsgründen uns solche Mitteilungen nicht gemacht werden dürften. Mir scheint, daß dies ein unberechtigtes Mißtrauen gegen die Verschwiegenheit der Verteidigung bedeutet. Es ist ferner [482] nicht richtig, daß uns die Dokumente jetzt rechtzeitig zugestellt werden. Wir bekommen diese Dokumente auch heute noch verspätet. Heute Morgen erst ist uns z.B. eine Urkunde auf den Platz gelegt worden, über die heute gesprochen werden soll und überdies noch in einer Sprache, die viele Verteidiger nicht verstehen, weil sie nicht Englisch können.

Da ich der Anklagebehörde einen Antrag über diese Beschwerde bereits schriftlich überreicht habe, möchte ich den Gerichtshof bitten, möglichst bald darüber eine Entscheidung zu treffen.


VORSITZENDER: Sind Sie fertig?


DR. STAHMER: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Es ist richtig, daß der Name des Zeugen, der heute vorgeladen werden soll, der Presse genannt wurde. Die Frage unserer Methode, die Namen von Zeugen bekanntzugeben, wurde mir gestern abend nach Gerichtsschluß unterbreitet, denn bis jetzt haben wir von Zeugen noch keinen Gebrauch gemacht; und ich erklärte Oberst Storey daraufhin, daß die Namen von Zeugen den Verteidigungsanwälten aus Sicherheitsgründen nicht gegeben werden dürfen. Ich glaube, er hat das Dr. Dix mitgeteilt. Ich habe dann später gehört, daß sie der Presse gegeben wurden. Daher haben sie natürlich über diesen Zeugen hinreichend Bescheid gewußt. Doch ich spreche jetzt über die Methode. Wir können uns nicht verpflichten, den Verteidigern die Namen der Zeugen, die aufgerufen werden, und die hier in Nürnberg sind, sich aber nicht im Gefängnis befinden, mitzuteilen. Die Lage läßt das nicht zu; wir können auch keine Abschriften und Aussagen der Zeugen oder ähnliches im voraus geben. Wir wollen den Verteidigern alles geben, was sie zu einer gerechten Durchführung des Prozesses haben sollten. Sie erhalten jetzt in mancher Hinsicht schon viel mehr als das, was ein Bürger der Vereinigten Staaten in einem Prozeß vor den Gerichten der Vereinigten Staaten erhält, was Vorausmitteilungen, Abschriften, Hilfskräfte und Dienstleistungen betrifft. Ich glaube, es wäre nicht richtig, von uns zu verlangen, ihnen im voraus entweder die Namen oder den Inhalt einer Aussage – der Inhalt würde oftmals den Zeugen preisgeben – zu enthüllen. Es wurde gestern erklärt, daß wir heute einen Zeugen verhören würden.


VORSITZENDER: Wir hörten bereits zwei Vertreter der Verteidigung. Haben Sie noch etwas Neues zu den Aussagen derselben hinzuzufügen?

DR. DIX: Ja. Ich glaube, daß ich ein Mißverständnis aufklären und damit zur Vereinfachung der Situation beitragen kann. Darf ich mich nun an den Hohen Gerichtshof wenden. Ich glaube, daß [483] hier ein Mißverständnis vorliegt. Die Lage ist zuletzt folgende: Soweit ich informiert bin, ich weiß nicht, was in meiner Abwesenheit erörtert wurde, ist die Lage die folgende: Obgleich Verhandlungen geführt wurden, ist eine Vereinbarung zwischen der Anklagebehörde und der Verteidigung nicht zustande gekommen. Vielmehr liegt, wie der Herr Vorsitzende weiß, nur eine Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Dokumente vor, eine Entscheidung, die bekannt ist, und die ich deshalb nicht zu wiederholen brauche. Was Zeugen anbelangt, so glaube ich voraussetzen zu dürfen, daß zwischen uns allen Einigkeit darüber besteht, daß der Wunsch der Verteidigung, vorher zu erfahren, welche Zeugen erscheinen, berechtigt ist.

Das Hohe Gericht muß darüber entscheiden, wie weit diesem an sich berechtigten Wunsch aus Sicherheitsgründen nicht stattgegeben werden kann. Das sind Dinge, die nicht von der Verteidigung entschieden werden können. Aber ich glaube, Justice Jackson darin richtig verstanden zu haben, daß, wenn der Presse Mitteilung gemacht wird, welche Zeugen am nächsten Tage erscheinen, dann selbstverständlich dieselbe Mitteilung auch den Verteidigern gleichzeitig zugehen müßte. Es war nur eine unglückliche Verkettung von Umständen, die jederzeit eintreten kann, und die bei gegenseitigem guten Willen in Zukunft vermieden werden könnte. Ich sagte schon, daß ich nicht weiß, was vor meiner Zeit vereinbart worden ist, und daß ich deshalb meinem Kollegen Dr. Stahmer in diesem Punkte nicht widersprechen kann. Ich halte es aber für möglich, daß das Mißverständnis dadurch entstanden ist, daß auf Anordnung des Gerichts uns die Dokumente 48 Stunden vorher übergeben werden sollten, und daß auch der Film uns vorher gezeigt werden sollte. Dies gab meinem Kollegen den Eindruck, der, wie ich glaube, gerechtfertigt ist, daß alles derartige uns unterbreitet werden sollte. Selbstverständlich erwarten wir nicht, den Inhalt der Zeugenaussage zu erfahren. Nach dieser Klarstellung möchte ich nun die Bitte aussprechen, daß uns in Zukunft mitgeteilt wird, welcher Zeuge gerufen wird, sobald dies möglich ist, und dieser Bitte die weitere Bitte hinzufügen, doch die Sicherheitserwägungen von dem Gedanken tragen zu lassen, daß es sich hier um eine zuverlässige Verteidigerbank handelt, deren Mitglieder alle entschlossen und fähig sind, durch diszipliniertes Verfahren dem Gericht bei der Findung des Rechtsspruches zu helfen; und daß in Zukunft die Fälle, in welchen der Sicherheitsoffizier glaubt, daß er uns den Namen des Zeugen nicht vorher mitteilen kann, sich auf unbedingt notwendige Fälle beschränken sollen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Anträge, die im Namen der Verteidigung gestellt worden sind, bezüglich der Dinge, [484] die ihnen mitgeteilt und der, die ihnen nicht mitgeteilt werden sollen, erwägen. Die Vereinigten Staaten dürfen jetzt den Zeugen aufrufen, den sie aufrufen wollen. Bezüglich meiner Bemerkung, daß der Zeuge seine Aussagen auf Anklagepunkt 1 beschränken soll, denkt der Gerichtshof, es wäre am besten, wenn die anderen Ankläger jetzt Gelegenheit hätten, irgendwelche Fragen zu stellen, die sie für richtig halten, und daß sie, wenn sie es wünschen, Gelegenheit haben sollen, den Zeugen später für ihre eigenen Anklagepunkte zu laden.

Was das Kreuzverhör durch die Verteidiger der Angeklagten betrifft, so wird ihnen dieses auf die ihnen möglichst genehme Weise gestattet werden, damit sie, wenn sie wünschen mit ihren Klienten vor dem Kreuzverhör zu sprechen, dazu Gelegenheit haben. Jetzt werden wir fortsetzen.


OBERST AMEN: Können wir nun General Lahousen dem Gerichtshof vorführen?


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?


ZEUGE ERWIN LAHOUSEN: Erwin Lahousen.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren Namen buchstabieren?


LAHOUSEN: L-a-h-o-u-s-e-n.


VORSITZENDER: Wollen Sie, bitte, diesen Eid nachsprechen: Ich schwöre bei Gott – dem Allmächtigen und Allwissenden – daß Ich die reine Wahrheit sprechen werde – und nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Denken Sie nicht, daß sich der Zeuge hinsetzen sollte?

OBERST AMEN: Ich glaube, man sollte ihm gestatten, sich hinzusetzen, besonders da er einen Herzfehler hat, der sich verschlimmern konnte.


VORSITZENDER: Gut, Sie können sich setzen.


OBERST AMEN: Wo sind Sie geboren?


LAHOUSEN: Ich bin in Wien geboren.


OBERST AMEN: Wann sind Sie geboren?


LAHOUSEN: Am 25. Oktober 1897.


OBERST AMEN: Was war Ihr Beruf?

LAHOUSEN: Ich war Berufssoldat.


OBERST AMEN: Wo sind Sie ausgebildet worden?


LAHOUSEN: Ich bin in Österreich, in der Theresianischen Militärakademie in Wiener-Neustadt, ausgebildet worden.


[485] OBERST AMEN: Wurden Sie sofort zum Offizier befördert?


LAHOUSEN: Ich wurde im Jahre 1915 zum Leutnant in der Infanterie ernannt.


OBERST AMEN: Haben Sie im ersten Weltkrieg gedient?


LAHOUSEN: Ja, als Leutnant und als Oberleutnant in der Infanterie.


OBERST AMEN: Sind Sie danach von Zeit zu Zeit befördert worden?


LAHOUSEN: Ja, ich bin Im Rahmen der damals in Österreich geltenden Bestimmungen befördert worden.


OBERST AMEN: Welchen Rang hatten Sie im Jahre 1930 erreicht?


LAHOUSEN: Im Jahre 1930 war ich Hauptmann.


OBERST AMEN: Sind Sie von 1930 an weiter aus gebildet worden?


LAHOUSEN: Im Jahre 1930 kam ich in die österreichische Kriegsschule, das ist jene Einrichtung, die in der deutschen Wehrmacht der Kriegsakademie entspricht. Ich hatte die Ausbildung zum Generalstabsoffizier.


OBERST AMEN: Wie lange sind Sie dort ausgebildet worden?


LAHOUSEN: Diese Ausbildung dauerte drei Jahre.


OBERST AMEN: Zu welcher Einheit der regulären Armee gehörten Sie im Jahre 1933?


LAHOUSEN: Im Jahre 1933 machte ich Dienst bei der Zweiten österreichischen Division; das war die Wiener Division.


OBERST AMEN: Welche Art von Arbeit hatten Sie dort zu verrichten?


LAHOUSEN: Ich war als Nachrichtenoffizier eingeteilt, jener Dienst, für den ich schon mit dem Verlassen meiner Ausbildung bestimmt und vorgesehen war.


OBERST AMEN: Sind Sie dann weiter befördert worden?


LAHOUSEN: Ich bin damals ebenfalls im Rahmen der in Österreich geltenden Bestimmungen normal weiter befördert worden und wurde etwa Ende 1933 Major, wurde dann etwa 1935 oder Anfang 1936 in den Generalstab übernommen, und dann im Juni, jedenfalls im Sommer 1936, Oberstleutnant im Generalstab in Österreich.


OBERST AMEN: Und wurden Sie ungefähr um diese Zeit der Nachrichtenabteilung zugeteilt?


LAHOUSEN: Ich kam in die österreichische Nachrichtenabteilung; das entspricht fachlich demselben Begriff, der in der deutschen Wehrmacht »Abwehr« genannt wird. Ich muß hinzufügen, daß in [486] Österreich eine »Nachrichtenabteilung« erst zu diesem Zeitpunkt, also 1936 errichtet wurde. Vorher gab es diese Einrichtung nicht. Da die Absicht bestand, im Rahmen des österreichischen Bundesheeres den militärischen Nachrichtendienst, der nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im Jahre 1918 völlig eingestellt war, wieder neu einzurichten, wurde ich für diesen Dienst ausgebildet, um in der nunmehr errichteten Nachrichtenabteilung diesen Dienst zu organisieren.


OBERST AMEN: Was war Ihr hauptsächliches Tätigkeitsfeld, nachdem Sie zu der Abwehr gekommen waren?


LAHOUSEN: Mein verantwortlicher Chef, das heißt, richtiger gefaßt, der verantwortliche Chef war damals Oberst des Generalstabs Böhme, der Abteilungschef, dem ich unterstand, der Chef der Nachrichtenabteilung, also derjenige, dem ich verantwortlich war und von dem ich meine Befehle und Anweisungen erhielt, in weiterer Folge der Chef des österreichischen Generalstabs.


VORSITZENDER: Könnten Sie das nicht etwas abkürzen, Oberst Amen? Wir brauchen wirklich nicht alle diese Einzelheiten.


OBERST AMEN: Wie Sie wünschen. Es ist jedoch meiner Ansicht nach wichtig, daß der Gerichtshof mehr von diesen Tatsachen erfährt, da der Zeuge später in einer gleichen Stellung in die deutsche Armee übernommen wurde. Ich möchte, daß der Gerichtshof dies entsprechend berücksichtigt. Wollen Sie dem Gerichtshof erklären, was Ihre Haupttätigkeit war, nachdem Sie der Abwehrabteilung zugeteilt wurden? Und welche Information Sie interessierte und Sie zu erlangen trachteten?


LAHOUSEN: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ich war ein Mitglied des österreichischen Nachrichtendienstes, das heißt, im österreichischen Nachrichtendienst und nicht in der deutschen sogenannten »Abwehr«.


OBERST AMEN: Welche Stellung nahmen Sie nach dem Anschluß ein?


LAHOUSEN: Nach dem Anschluß wurde ich automatisch in das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht in den gleichen Dienst übernommen, und zwar in die deutsche Abwehr, deren Chef damals Admiral Canaris war.


OBERST AMEN: Und was war die Stellung von Admiral Canaris?


LAHOUSEN: Canaris war damals der Chef der deutschen Abwehr.


OBERST AMEN: Und wollen Sie kurz die Verantwortlichkeit der Hauptabteilungen der Abwehr unter Admiral Canaris erklären?


[487] LAHOUSEN: Als ich in das Amt Ausland-Abwehr kam, das war im Jahre 1938 nach dem Anschluß, bestanden dort drei Abwehrabteilungen und die damalige Abteilung Ausland, organisatorisch zusammengefaßt in dem Amt Ausland-Abwehr. Wenigstens habe ich diese Zusammensetzung, wie ich sie jetzt wiedergebe, erlebt. Wie es vorher war, kann ich nicht genau sagen.


OBERST AMEN: Und was waren Ihre Aufgaben?


LAHOUSEN: Ich kam zunächst automatisch in die Abwehr-Abteilung I, das ist jene Abteilung, die mit der Nachrichtenbeschaffung befaßt ist oder Geheimer Meldedienst, wie es auch bezeichnet wurde, und zwar beschäftigt oder arbeitete unter dem damaligen Abteilungschef, dem Oberst des Generalstabs, Pieckenbrock, den ich, ebenso wie Canaris, ja schon aus meiner österreichischen Vergangenheit kannte.


OBERST AMEN: Admiral Canaris war Ihr unmittelbarer Vorgesetzter?


LAHOUSEN: Admiral Canaris war mein unmittelbarer Vorgesetzter.


OBERST AMEN: Haben Sie von Zeit zu Zeit als sein persönlicher Vertreter gehandelt?


LAHOUSEN: Ja, in allen jenen Fällen und Anlässen, wo sein Vertreter, sein unmittelbarer Vertreter, das war der Oberst Pieckenbrock, nicht anwesend war, oder bei jenen Anlässen, wo Canaris aus irgendwelchen Gründen es für notwendig und erforderlich hielt, mich als seinen Vertreter in Erscheinung treten zu lassen.


OBERST AMEN: Und kamen Sie in dieser Eigenschaft irgendwie in Berührung mit Feldmarschall Keitel?


LAHOUSEN: Ja.

OBERST AMEN: Kamen Sie auch in Berührung mit Jodl?


LAHOUSEN: In weit geringerem Maße, aber ab und zu auch.


OBERST AMEN: Und nahmen Sie gelegentlich an Besprechungen teil, denen auch Herr Hitler beiwohnte?


LAHOUSEN: Ja, ich habe an einigen wenigen Sitzungen oder Besprechungen teilgenommen, bei denen Hitler anwesend war und den Vorsitz geführt hat.


OBERST AMEN: Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, ob die Leiter der »Abwehr« Hitlers Kriegsprogramm guthießen?


LAHOUSEN: Ich muß dazu erklären, daß wir damaligen Chefs der »Abwehr« durch die Persönlichkeit Canaris' – in seiner inneren Haltung, die uns, das heißt einem kleinen Kreis, völlig klar und eindeutig war – verbunden und gebunden waren.


[488] OBERST AMEN: Und gab es eine besondere Gruppe oder Gruppen innerhalb der »Abwehr«, die gegen die Nazis arbeiteten?


LAHOUSEN: Innerhalb des Amtes Ausland-Abwehr gab es zwei Gruppen, die, obwohl sie hinsichtlich ihres Wollens und ihres Handelns stark ineinander verflochten waren, doch irgendwie auseinandergehalten werden müssen.


OBERST AMEN: Und welches waren diese beiden Gruppen?


LAHOUSEN: Bevor ich diese Frage beantworte, muß ich ganz kurz die Persönlichkeit von Canaris, des geistigen Führers und Mittelpunktes dieser Gruppe darstellen.


VORSITZENDER: Fassen Sie sich, bitte, so kurz wie möglich.


LAHOUSEN: Canaris war eine Person des reinen Intellekts, der in seinem interessanten, sehr eigenartigen und komplizierten Wesenszug die Gewalt an sich haßte; und darum verabscheute er den Krieg, Hitler, sein System und insbesondere seine Methoden. Canaris war, wie immer man ihn betrachten mag, ein Mensch.


OBERST AMEN: Wollen Sie nun auf die beiden Gruppen, von denen Sie sprachen, zurückkommen und mir über jede dieser beiden Gruppen und ihre respektiven Mitglieder erzählen?


LAHOUSEN: Die eine Gruppe, die man als den Kreis Canaris bezeichnen kann, umfaßte in der Ausland-Abwehr, das heißt in den Spitzenstellungen, vor allem Canaris selbst als den geistigen Führer; ferner den damaligen General Oster, zu dieser Zeit Chef der Zentralabteilung und Leiter der Ausland-Abwehr; meinen Vorgänger, den damaligen Oberstleutnant Großcurth, der mich in diesen Kreis um Canaris 1938 noch in Wien eingeführt hatte; weiter den Chef der Abteilung I, den damaligen Oberst Pieckenbrock, der mit Canaris eng befreundet war; den Nachfolger Pieckenbrocks, Oberst Hansen, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde; meinen Nachfolger, Oberst von Freytagh-Loringhoven, der am 26. Juli 1944 vor seiner Verhaftung Selbstmord beging; dann in einer gewissen Differenzierung, die für alle zutrifft, den Chef der Abwehrabteilung III, Oberst v. Bentivegni; und in all diesen Abteilungen verschiedene Personen, die zum größten Teil in Zusammenhang mit den Ereignissen des 20. Juli 1944 hingerichtet oder ins Gefängnis geworfen wurden.

Ich muß in diesem Zusammenhang, – nicht den genannten Gruppen angehörend, aber als Mitwisser von Aktionen, die die Nichtbefolgung oder Verhinderung von Mordbefehlen und anderen Greueltaten beinhaltet haben – den Chef der Abteilung Ausland, den damaligen Admiral Bürckner, ebenfalls nennen. Das sind im wesentlichen die Spitzen dieser als Kreis Canaris bezeichneten Gruppe.

[489] Die zweite und viel kleinere Gruppe war verbunden mit General Oster als geistigen Führer jener Leute im Amt Ausland-Abwehr, die sich schon 1938, dann für mich klar erkennbar 1939/1940 und in späterer Folge aktiv mit Plänen und Absichten befaßten, die darauf zielten, den Entfeßler dieser Katastrophe, Adolf Hitler, mit Gewalt zu beseitigen.


OBERST AMEN: Welcher Art waren die Ziele der Gruppe, der Sie angehörten, nämlich des inneren Kreises der Canaris-Gruppe?


LAHOUSEN: Über die politischen Ziele oder Motive war ich nicht unterrichtet. Ich kann nur die Gedankengänge wiedergeben, die mir sehr gut bekannt waren, da ich einer der engsten Vertrauten Canaris' war. Seine innere Grundhaltung, die nicht nur meine, sondern auch die Tätigkeit der Personen, die ich erwähnte, im wesentlichen bestimmte, war ungefähr folgende:

Es ist uns nicht gelungen, diesen Angriffskrieg zu verhindern. Der Krieg bedeutet das Ende Deutschlands und unser Ende, somit ein Unglück und eine Katastrophe größten Ausmaßes. Ein Unglück, das aber noch viel größer wäre als diese Katastrophe, wäre ein Triumph dieses Systems, das mit allen nur irgendwie möglichen Mitteln zu verhindern, der letzte Sinn und Zweck unseres Kampfes sein muß.

Das, was ich jetzt gesagt habe, ist von Canaris in dem Kreis, den ich vorher besprochen habe, oft dem Sinne nach wiederholt zum Ausdruck gebracht worden.


OBERST AMEN: Ist diese Gruppe, der Sie und Canaris angehörten, oft zusammengekommen?


LAHOUSEN: Ich muß erklären, daß diese Gruppe oder dieser Kreis nicht etwa als Organisation im technischen Sinne oder als ein Verschwörerklub anzusehen gewesen ist. Das hätte völlig dem Wesen Canaris' widersprochen. Es war vielmehr eine geistige Organisation von gleichgesinnten Leuten, von Leuten, die sehend und wissend waren, wissend durch ihre Dienststellungen, die sich verstanden haben und gehandelt haben, aber jeder für sich selbst, seiner eigenen Individualität entsprechend. Daher die Differenzierung, von der ich eingangs sprach.

Es wurde nicht von jedem einzelnen das gleiche verlangt, sondern Canaris wandte sich jeweils an die Person, die er für eine bestimmte Aufgabe nach seinem Wissen um die innere Haltung dieses Menschen für geeignet hielt.


OBERST AMEN: Hat man sich bei diesen offiziellen Zusammenkünften, bei welchen Canaris seine Ansicht ausdrückte, zum Beispiel über die Anwendung von Gewalt in Polen unterhalten?


LAHOUSEN: Diese und ähnliche Methoden wurden wiederholt, ich kann sagen, jedesmal in unserem Kreis besprochen. Sie fanden [490] die selbstverständliche und ganz natürliche Ablehnung von uns allen.


OBERST AMEN: Können Sie sich erinnern, was Canaris über den polnischen Krieg sagte, als dieser begann?


LAHOUSEN: Ich erinnere mich ganz genau der Stunde, als Canaris völlig erschüttert hereintrat und uns von der Tatsache, daß es nun doch ernst geworden sei, berichtete, obwohl es zuvor den Anschein hatte, daß die Sache doch noch gerettet werden könne. Und damals sagte er: »Das ist das Ende«.


OBERST AMEN: Unterhielten Sie sich mit Canaris und den anderen Mitgliedern Ihrer Gruppe bezüglich der Ausmerzung von Nazis aus Ihrem Stabe?


LAHOUSEN: Ich hatte noch in Wien, bevor ich meine Dienstleistung im OKW antrat, von Canaris die Weisung bekommen, in sein Amt, also nach Berlin, absolut keine Nazis mitzubringen. Ebenso hatte ich die Weisung, in meiner Abteilung, wo es nur irgendwie durchführbar war, namentlich in leitenden Stellen, keine Parteileute oder parteimäßig gebundenen Offiziere zu beschäftigen.


OBERST AMEN: Hat Canaris ein Tagebuch geführt?

LAHOUSEN: Ja, Canaris führte ein Tagebuch, und zwar schon vor Beginn des Krieges. Ein Tagebuch, zu dem ich selbst viele Beiträge liefern mußte und geliefert habe.


OBERST AMEN: War es ein Teil Ihrer Pflichten, in dieses Tagebuch Eintragungen zu machen?


LAHOUSEN: Nein, es gehörte nicht unmittelbar zu meinen Pflichten. Aber es ergab sich ganz natürlich, daß ich von jenen Besprechungen, denen ich mit Canaris oder für Canaris als sein Vertreter beiwohnte, entsprechende Auszüge oder Abschriften für sein Tagebuch verfaßt habe.


OBERST AMEN: Haben Sie Abschriften jener Eintragungen, die Sie in das Tagebuch machten, für sich behalten?


LAHOUSEN: Ja, ich habe solche Abschriften mit Canaris' Wissen und Wollen zurückbehalten.


OBERST AMEN: Haben Sie die Originale von einigen dieser Abschriften heute hier bei sich?


LAHOUSEN: Ich habe sie nicht bei mir, aber sie sind hier verfügbar.


OBERST AMEN: Und haben Sie Ihr Gedächtnis bezüglich dieser Eintragungen aufgefrischt?


LAHOUSEN: Jawohl.


OBERST AMEN: Zu welchem Zwecke führte Canaris dieses Tagebuch?


[491] LAHOUSEN: Wenn ich diese Frage beantworte, muß ich sie der Wahrheit gemäß mit den Worten wiederholen, die Canaris diesbezüglich an mich gerichtet hat: Sinn und Zweck dieses Tagebuchs war – und durch mich spricht die Stimme von Canaris – dem deutschen Volk und der Welt einmal Jene zu zeigen, die die Geschicke dieses Volkes in dieser Zeit geführt und gelenkt haben.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich, daß Sie mit Canaris an Sitzungen im Führerhauptquartier kurz vor dem Fall Warschau teilgenommen haben?


LAHOUSEN: Ich nahm mit Canaris an einer Besprechung teil, die zwar nicht im Führerhauptquartier, sondern im Führerzug unmittelbar vor dem Falle Warschaus stattfand.


OBERST AMEN: Nachdem Sie Ihr Gedächtnis unter Zuhilfenahme der Eintragungen in Canaris' Tagebuch aufgefrischt haben, können Sie uns wohl sagen, wann diese Sitzungen stattgefunden haben?


LAHOUSEN: Nach den mir zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen und dem Aktenmaterial war es am 12. September 1939.


OBERST AMEN: Fanden alle diese Konferenzen am selben Tage statt?


LAHOUSEN: Die Besprechungen im Führerzuge fanden an einem Tage statt, dem 12. September 1939.


OBERST AMEN: Fand an diesem Tage mehr als eine Konferenz statt? Waren sie in verschiedene Sitzungen geteilt?


LAHOUSEN: Ich kann sie nicht als Sitzungen bezeichnen, es waren kürzere oder längere Besprechungen oder Unterredungen.


OBERST AMEN: Wer war bei dieser Gelegenheit anwesend?


LAHOUSEN: Bei dieser Gelegenheit waren anwesend, und zwar räumlich und zeitlich unabhängig: der damalige Außenminister von Ribbentrop, der Chef des OKW, Keitel, der damalige Chef des Wehrmachtführungsstabes, Jodl, Canaris und ich.


OBERST AMEN: Erkennen Sie Ribbentrop hier im Gerichtssaal?


LAHOUSEN: Jawohl.


OBERST AMEN: Können Sie für das Protokoll sagen, wo er sitzt?

LAHOUSEN: In der ersten Reihe, der Dritte von links.


OBERST AMEN: Sehen Sie auch Keitel im Gerichtssaal?


LAHOUSEN: Ja, er sitzt neben Ribbentrop.


OBERST AMEN: Sehen Sie auch Jodl im Gerichtssaal?


LAHOUSEN: Ja, er sitzt in der zweiten Bankreihe neben Herrn von Papen.


[492] OBERST AMEN: Wollen Sie nun bitte Ihrem besten Wissen und Ihrer Erinnerung nach dem Gerichtshof, soweit wie möglich, in Einzelheiten genau erklären, was bei dieser Besprechung im Führerzuge gesagt wurde und was geschah?


LAHOUSEN: Zuerst hatte Canaris eine kurze Besprechung mit Außenminister von Ribbentrop, in welcher Ribbentrop im großen die politischen Zielsetzungen bezüglich des polnischen Raumes erklärte, und zwar im Zusammenhang mit der ukrainischen Frage. Diese ukrainische Frage hat dann der Chef des OKW in einer anschließenden Besprechung in seinem Arbeitswagen erklärt. Sie sind in den Notizen, die ich auf Befehl Canaris' sofort machte, festgehalten. Immer noch im Arbeitswagen des Chefs des OKW hat Canaris auf seine schweren Bedenken wegen der ihm bekannten Absicht des Bombardements von Warschau hingewiesen, und zwar wurde von Canaris auf die verheerenden außenpolitischen Folgen dieses geplanten Bombardements hingewiesen. Der damalige Chef des OKW, Keitel, antwortete darauf, daß diese Maßnahmen zwischen dem Führer und Göring direkt festgelegt worden seien und er, Keitel, darauf keinen Einnuß gehabt hätte. Er sagte damals wörtlich, und das gebe ich naturgemäß nur aus dem Nachlesen meiner Aufzeichnungen wieder: »Der Führer und Göring telephonierten häufig miteinander, manchmal erfuhr auch ich etwas davon, aber nicht immer.«

Zum zweiten warnte Canaris in sehr eindringlicher Form vor den Maßnahmen, die ihm, Canaris, bekannt geworden waren, nämlich den bevorstehenden Erschießungen und Ausrottungsmaßnahmen, die sich insbesondere gegen die polnische Intelligenz, den Adel, die Geistlichkeit, wie überhaupt alle Elemente, die als Träger des nationalen Widerstandes angesehen werden konnten, richten sollten. Canaris sagte damals ungefähr wörtlich: »Für diese Methoden wird einmal die Welt auch die Wehrmacht, unter deren Augen diese Dinge stattfinden, verantwortlich machen.« Der damalige Chef OKW erwiderte darauf -ich gebe das, was ich jetzt sage, ebenfalls nach meinen Aufzeichnungen wieder, die ich vor einigen Tagen angesehen habe –, daß diese Dinge bereits vom Führer entschieden seien, und der Führer, der Oberbefehlshaber des Heeres, habe wissen lassen, daß, wenn die Wehrmacht diese Dinge nicht durchführen wolle, beziehungsweise damit nicht einverstanden sei, sie es sich auch gefallen lassen müsse, wenn neben ihr SS, Sicherheitspolizei und dergleichen Organisationen in Erscheinung träten und diese Maßnahmen ausführen würden. Es würde daher neben jedem Militärbefehlshaber auch ein entsprechender ziviler Funktionär eingesetzt werden. Das war ungefähr der wesentliche Sinn des Themas, betreffs der geplanten Erschießungs- und Ausrottungsmethoden in Polen.


[493] OBERST AMEN: Wurde etwas über eine sogenannte Säuberungsaktion gesagt?


LAHOUSEN: Ja, der damalige Chef OKW gebrauchte in diesem Zusammenhang einen Ausdruck, der jedenfalls von Hitler stammte, und der diese Maßnahmen als politische »Flurbereinigung« bezeichnete. Dieser Ausdruck ist mir ganz klar in Erinnerung geblieben, auch ohne meine Aufzeichnungen.


OBERST AMEN: Damit das Protokoll vollkommen verständlich ist, welche genaueren Maßnahmen, sagte Keitel, wären bereits vereinbart worden?


LAHOUSEN: Man hatte sich nach der Darstellung des damalige? Chefs OKW bereits über das Bombardement Warschaus und über die Erschießungen der von mir bezeichneten Volkskategorien oder Gruppen in Polen geeinigt.


OBERST AMEN: Welche waren dies?


LAHOUSEN: Ja, das waren vor allem die polnische Intelligenz, Adel, Geistlichkeit und selbstverständlich die Juden.


OBERST AMEN: Was, wenn überhaupt etwas, wurde über eine mögliche Zusammenarbeit mit einer ukrainischen Gruppe gesagt?


LAHOUSEN: Ja, es wurde – und zwar vom damaligen Chef OKW als Weitergabe einer Richtlinie, die er offenbar von Ribbentrop empfangen hatte, weil er sie im Zusammenhang mit dem politischen Vorhaben des Reichsaußenministers Ribbentrop bekanntgegeben hat – es wurde Canaris aufgetragen, in der galizischen Ukraine eine Aufstandsbewegung hervorzurufen, die die Ausrottung der Juden und Polen zum Ziele haben sollte.


OBERST AMEN: Zu welchem Zeitpunkt kamen Hitler und Jodl zu dieser Zusammenkunft?


LAHOUSEN: Hitler und der damalige Chef des Führungsstabes Jodl traten ein, entweder nachdem das, was ich oben wiedergegeben habe, besprochen war, oder als sich die Besprechung dieses Themas ihrem Ende zuneigte und Canaris bereits mit seinem Bericht über die Lage im Westen begonnen hatte, das heißt, über die Nachrichten, die mittlerweile eingelaufen waren über das Verhalten der Franzosen, das heißt, der französischen Armee am Westwall.


OBERST AMEN: Welche weiteren Besprechungen fanden dann statt?


LAHOUSEN: Nach diesen Gesprächen im Arbeitswaggon des damaligen Chefs OKW verließ Canaris den Wagen und hatte noch eine kurze Unterredung mit Ribbentrop, der ihm, noch einmal auf das Thema »Ukraine« zurückkommend, sagte, es müsse der Aufstand oder die Aufstandsbewegung derart inszeniert werden, daß alle Gehöfte der Polen in Flammen aufgingen und alle Juden totgeschlagen würden.


[494] OBERST AMEN: Wer sagte das?


LAHOUSEN: Das hat der damalige Außenminister Ribbentrop zu Canaris gesagt. Ich stand daneben.


OBERST AMEN: Haben Sie irgendwie den geringsten Zweifel darüber?


LAHOUSEN: Nein, darüber habe ich nicht den geringsten Zweifel. Es ist mir ganz besonders klar in Erinnerung, daß »alle Gehöfte in Flammen aufgehen sollten«. Das war einigermaßen neu. Ansonsten wurde nur von »liquidieren« oder »umlegen« gesprochen.


OBERST AMEN: Fanden Sie hierüber irgendeine Notiz im Tagebuch von Canaris, die Ihnen zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses auch in diesem Punkte geholfen hat?


LAHOUSEN: Nein.


OBERST AMEN: Was wurde, wenn überhaupt etwas, über das Thema Frankreich gesagt?


LAHOUSEN: Ja, über das Thema Frankreich wurde im Wagen des damaligen Chefs OKW gesprochen; und zwar wurde von Canaris die Lage im Westen erläutert. Nach den Abwehrnachrichten, die ihm zur Verfügung standen, brachte Canaris die Lage damals in dem Sinn zur Darstellung, daß seiner Auffassung nach von den Franzosen ein großer Angriff im Raume Saarbrücken methodisch vorbereitet werde. In diese Unterredung mischte sich Hitler, der inzwischen eingetreten war; er übernahm sofort das Gespräch, indem er lebhaft die von Canaris zum Vortrag gebrachte Darstellung zurückwies, mit Argumenten, die ich heute rückschauend, als sachlich richtig bezeichnen muß.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich, ob Ribbentrop im Verlaufe dieser Konferenz etwas über die Juden sagte?


LAHOUSEN: Während der Unterhaltung, die im Arbeitswagen des damaligen Chefs OKW stattfand, war Ribbentrop nicht anwesend.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich, ob Ribbentrop irgendwann im Verlaufe von Besprechungen etwas über die Juden sagte?


LAHOUSEN: Während dieser Besprechung, ich wiederhole nochmals, während der Besprechung, die im Arbeitswagen stattfand, nein.


OBERST AMEN: Um für den Verhandlungsbericht alles klarzustellen: wenn immer Sie vom Chef OKW sprachen, so meinten Sie Keitel?


LAHOUSEN: Ja.


OBERST AMEN: Wurde die Wehrmacht jemals um irgendwelche Hilfe für den Polnischen Feldzug gebeten?


[495] LAHOUSEN: Ja.


OBERST AMEN: Hatte dieses Unternehmen einen besonderen Namen?


LAHOUSEN: So, wie es im Tagebuch meiner Abteilung aufgezeichnet erscheint, wurde diesem Unternehmen, das unmittelbar vor Beginn des Polnischen Feldzuges lief, die Bezeichnung Unternehmen »Himmler« gegeben.


OBERST AMEN: Wollen Sie dem Gerichtshof die Art der geforderten Hilfe erklären?


LAHOUSEN: Die Angelegenheit, für die ich jetzt Zeugnis ablege, ist eine der mysteriösesten Aktionen, die sich in der Atmosphäre des Amtes Ausland-Abwehr abspielte. Einige Tage oder einige Zeit, ich glaube, es war Mitte August – das genaue Datum kann im Tagebuch der Abteilung nachgelesen werden – erhielt sowohl die Abteilung Abwehr I, als auch meine Abteilung, die Abwehrabteilung II, den Auftrag, polnische Uniformen und Ausrüstungsgegenstände, wie Feldbücher oder ähnliche polnische Dinge, für ein Unternehmen »Himmler« bereitzustellen oder herbeizuschaffen. Den Auftrag erhielt – wie aus den Aufzeichnungen des Tagebuchs der Abteilung hervorgeht, die nicht ich, sondern mein Adjutant gemacht hat – Canaris vom Wehrmachtführungsstab oder von der Abteilung Landesverteidigung. Ich glaube, der Name des Generals Warlimont ist genannt.


OBERST AMEN: Wissen Sie, von wem diese Forderung stammte?


LAHOUSEN: Woher diese Forderung stammte, kann ich nicht sagen. Ich kann es nur so wiedergeben, wie es uns als Befehl erreichte, ein Befehl allerdings, über den wir uns, also die betreffenden Abteilungschefs, schon damals eigene Gedanken machten, ohne zu wissen, um was es im letzten ging. Der Name »Himmler« sprach schon für sich. In den Aufzeichnungen im Tagebuch der Abteilung kommt dies auch insofern zum Ausdruck, als ich die Frage gestellt habe, wieso Herr Himmler dazu kommt, Uniformen von uns geliefert zu bekommen


OBERST AMEN: An wen sollte die Abwehr das polnische Material liefern?


LAHOUSEN: Diese Ausrüstungsgegenstände mußten bereitgestellt werden und wurden eines Tages von irgendeinem Mann der SS oder des SD – der Name ist im offiziellen Kriegstagebuch der Abteilung enthalten – abgeholt.


OBERST AMEN: Wann wurde die Abwehr benachrichtigt, wie dieses polnische Material verwendet werden sollte?


LAHOUSEN: Den wirklichen Zweck, den wir eigentlich bis zum heutigen Tage in seinen Einzelheiten nicht erfahren haben, wußten [496] wir damals nicht. Wir alle hatten allerdings damals schon den sehr erklärlichen Verdacht, daß hier eine ganz üble Sache gespielt würde. Dafür verbürgte der Name des Unternehmens.


OBERST AMEN: Haben Sie sodann von Canaris erfahren, was tatsächlich vor sich gegangen war?


LAHOUSEN: Der tatsächliche Ablauf war folgender. Als der erste Wehrmachtsbericht erschien, der von einem Angriff der Polen oder polnischer Einheiten auf deutsches Gebiet sprach, sagte Pieckenbrock, der den Bericht in der Hand hatte und vorlas, jetzt wissen wir, wofür unsere Uniformen da waren. Ich weiß nicht, ob es am gleichen Tage oder einige Tage später war, daß Canaris uns davon in Kenntnis setzte, daß mit diesen Umformen Leute aus Konzentrationslagern verkleidet wurden, die dann irgendeine militärische Angriffshandlung gegen den Sender Gleiwitz, eine andere Örtlichkeit ist mir nicht in Erinnerung, durchführen sollten. Trotzdem wir uns brennend interessiert haben, namentlich General Oster, wie die Einzelheiten dieser Aktion abgelaufen waren, also wo sie geschehen ist, und was im einzelnen geschehen ist – im wesentlichen konnten wir es uns vorstellen, wußten aber nicht, wie es durchgeführt wurde –, kann ich bis heute nicht sagen, was tatsächlich vorgegangen ist.


OBERST AMEN: Haben Sie jemals erfahren, was mit den Leuten aus den Konzentrationslagern geschah, die polnische Uniformen trugen und den Zwischenfall verursachten?

LAHOUSEN: Es ist eigenartig, daß ich mich für diese Sache die ganze Zeit sehr interessiert habe; sogar nach der Kapitulation habe ich in dem Lazarett, in dem ich lag, und wo ich über diese Dinge sprach, einen dort anwesenden SS-Hauptsturmführer, er war ein Wiener, befragt, wie sich die Dinge eigentlich zugetragen haben. Und der Mann, er hieß Birckel, sagte mir: »Es ist ganz eigenartig, daß sogar wir, in unseren Kreisen, von dieser Sache erst viel später etwas, und zwar nur andeutungsweise, erfahren haben. Nach meiner Kenntnis (also Birckels Kenntnis) sollen auch alle Leute des SD, die daran beteiligt gewesen sind, umgelegt, also getötet worden sein«. – Das ist das Letzte, was ich über diese Sache gehört habe.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich, im Jahre 1940 an einer Besprechung teilgenommen zu haben, in welcher der Name Weygand fiel?


LAHOUSEN: Ja.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich zufällig an den betreffenden Monat, in welchem diese Besprechung stattfand?


LAHOUSEN: Die Besprechungen fanden im Winter 1940 statt, meiner Erinnerung nach etwa im November oder Dezember. Ich [497] habe das genaue Datum auf Wunsch und mit Wissen von Canaris in meinen persönlichen Aufzeichnungen festgehalten.


OBERST AMEN: Wer war nach Ihrem besten Wissen und Gewissen anwesend?


LAHOUSEN: Damals waren wir fast jeden Tag bei der üblichen Lagebesprechung, die täglich stattfand: nämlich die drei Abteilungschefs und der Chef der Abteilung Ausland, der damalige Admiral Bürckner.


OBERST AMEN: Was hat Ihnen Canaris bei dieser Besprechung gesagt?


LAHOUSEN: Bei dieser Besprechung eröffnete uns Canaris, daß er schon seit einiger Zeit von Keitel bedrängt würde, eine Aktion durchzuführen, die die Beseitigung des französischen Marschalls Weygand zum Ziele hätte und ich – er meinte damit naturgemäß meine Abteilung – hätte diese Aufgabe durchzuführen.


OBERST AMEN: Wenn Sie von »Beseitigung« sprechen, was meinen Sie damit?


LAHOUSEN: Töten.


OBERST AMEN: Was tat Weygand zu dieser Zeit?


LAHOUSEN: Weygand war, meiner Erinnerung nach, damals in Nordafrika.


OBERST AMEN: Was war der angegebene Grund für den Mordversuch auf Weygand?


LAHOUSEN: Als Grund war die Besorgnis angegeben worden, daß Weygand mit den ungeschlagenen Teilen der französischen Armee in Nordafrika irgendein Widerstandszentrum bilden könnte. Das ist natürlich nur der wesentliche Sinn, der mir noch heute in Erinnerung ist. Es kann sein, daß noch andere Gründe maßgebend waren.


OBERST AMEN: Nachdem Sie so von Canaris unterrichtet wurden, was wurde weiterhin bei dieser Konferenz gesagt?


LAHOUSEN: Dieses Ansinnen, das in dieser offenen und unverhüllten Form der militärischen Abwehr zum erstenmal von einem Vertreter der Wehrmacht gestellt wurde, wurde von allen Anwesenden entrüstet und schärfstens zurückgewiesen. Ich selbst als der Betroffene – nachdem meiner Abteilung zugemutet wurde, diese Aktion durchzuführen – habe schlankweg vor allen Anwesenden dem Sinn nach erklärt, ich dächte nicht daran, diesen Befehl durchzuführen. Meine Abteilung und meine Offiziere sind für den Kampf da, aber sie sind keine Mordorganisation oder sie sind keine Mörder.


OBERST AMEN: Was hat Canaris dann gesagt?


[498] LAHOUSEN: Canaris sagte darauf, etwa dem Sinne nach: »Beruhigen Sie sich, wir sprechen uns nachher«.


OBERST AMEN: Haben Sie dann später mit Canaris darüber gesprochen?


LAHOUSEN: Ich habe, nachdem die anderen Herren den Raum verlassen hatten, unter vier Augen mit Canaris gesprochen, und Canaris sagte mir sofort: »Es ist ganz selbstverständlich, der Befehl wird nicht nur nicht durchgeführt, er wird auch gar nicht weitergegeben«. Und so ist es auch geschehen.


OBERST AMEN: Wurden Sie später befragt, ob Sie diesen Befehl ausgeführt haben?


LAHOUSEN: Ich bin bei einem Vortrag, den Canaris bei Keitel hielt, und bei dem ich anwesend war, von dem damaligen Chef OKW, Keitel, auf das Thema angesprochen worden in dem Sinn, daß er mich fragte, was in der Angelegenheit bisher geschehen sei oder unternommen wurde. Ich habe das Datum dieses Vorfalls in meinen Aufzeichnungen auf Anregung und mit Wissen von Canaris festgehalten.


OBERST AMEN: Welche Antwort haben Sie Keitel gegeben?


LAHOUSEN: Ich kann mich heute naturgemäß auf den Wortlaut nicht mehr erinnern. Eines ist ganz sich er. Ich habe bestimmt nicht geantwortet, daß ich nicht daran denke, diesen Befehl durchzuführen; ich habe es auch nicht gesagt. Ich konnte es nicht tun, sonst würde ich heute nicht hier sitzen. Wahrscheinlich habe ich, wie in vielen ähnlichen Fällen, die Antwort gegeben, es ist schwer, aber es wird alles gemacht werden, oder eine ähnliche Erklärung. Natürlich kann ich mich auf den genauen Wortlaut nicht mehr, erinnern.


OBERST AMEN: Übrigens, sind Sie der einzige dieser Vertrauten der Canaris-Gruppe, der heute noch am Leben ist?


LAHOUSEN: Ich glaube, zumindest einer der wenigen. Es könnte noch Pieckenbrock da sein, vielleicht Bentivegni, der aber nicht zu dem engeren Kreis gehört hat. Die meisten sind durch die Ereignisse des 20. Juli erledigt worden.


OBERST AMEN: Haben Sie im Jahre 1941 einer Konferenz beigewohnt, bei welcher General Reinecke anwesend war?


LAHOUSEN: Ja.


OBERST AMEN: Wer war General Reinecke?


LAHOUSEN: General Reinecke war damals Chef des Allgemeinen. Wehrmachtsamtes, also eines Amtes, das dem OKW angehörte.


OBERST AMEN: Können Sie sich an den ungefähren Zeitpunkt dieser Konferenz erinnern?


[499] LAHOUSEN: Es war ungefähr im Sommer 1941, verhältnismäßig bald nach Beginn des Rußlandfeldzuges, etwa im Juli.


OBERST AMEN: Wollen Sie nach Ihrem besten Wissen und Gewissen genau angeben, wer bei dieser Konferenz anwesend war?


LAHOUSEN: Bei dieser Konferenz, die auch in den Aufzeichnungen für Canaris festgehalten ist, und an der ich als sein Vertreter teilgenommen habe, waren General Reinecke als Vorsitzender, Obergruppenführer Müller vom Reichssicherheitshauptamt, Oberst Breyer, der für die Abteilung Kriegsgefangenenwesen zuständig war, und ich als Vertreter für Canaris zugegen.


OBERST AMEN: Wollen Sie erklären, wer Müller war, und warum er an dieser Konferenz teilnahm?


LAHOUSEN: Müller war ein Amtschef im Reichssicherheitshauptamt und hat an dieser Sitzung teilgenommen, weil er für die Durchführung dieser Maßnahmen, die die Behandlung russischer Kriegsgefangener zum Gegenstand hatte, zuständig war, nämlich für die Durchführung der Exekutionen.


OBERST AMEN: Wollen Sie erklären, wer Oberst Breyer war und warum er an dieser Konferenz teilnahm?


LAHOUSEN: Oberst Breyer war für das Kriegsgefangenenwesen zuständig. Ich weiß nicht, wie damals die Abteilung organisatorisch eingegliedert war. Jedenfalls war er zuständig für Kriegsgefangenenfragen im Rahmen des OKW.


OBERST AMEN: Was war der Zweck dieser Besprechung?


LAHOUSEN: Diese Besprechung hatte den Zweck, die bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen Befehle über die Behandlung russischer Kriegsgefangener zu erläutern und darüber hinaus auch noch zu begründen.


OBERST AMEN: Haben Sie aus den Gesprächen bei dieser Konferenz erfahren, was der Inhalt dieser Befehle war, die besprochen wurden?


LAHOUSEN: Der Inhalt umfaßte im wesentlichen zwei Gruppen von Maßnahmen, die zu treffen waren, und zwar erstens die Tötung der russischen Kommissare und zweitens die Tötung aller jener Elemente unter den russischen Kriegsgefangenen, die nach einem Aussonderungsverfahren des SD durchgeführt werden sollte; also: bolschewistisch Verseuchte, beziehungsweise aktive Träger der bolschewistischen Weltanschauung.


OBERST AMEN: Haben Sie aus diesen Gesprächen auch die Grundlage für diese. Befehle erfahren?


LAHOUSEN: Die Grundlage dieser Befehle wurde von Reinecke dahingehend in ihren wesentlichen Zügen erläutert, daß der Krieg zwischen Deutschland und Rußland nicht ein Krieg zweier Staaten

[500] ##- also zweier Armeen – war, sondern eine Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen, nämlich der nationalsozialistischen und der bolschewistischen; daß der Rotgardist nicht als Soldat im Sinne des Begriffs, wie er für unsere westlichen Gegner zutraf, genommen werden sollte, sondern als ideologischer Feind, das heißt, als Todfeind des Nationalsozialismus, und entsprechend zu behandeln sei.


OBERST AMEN: Hat Ihnen Canaris gesagt, warum er Sie gewählt hat, um an dieser Besprechung teilzunehmen?

LAHOUSEN: Canaris hat mich aus zweierlei, vielleicht aus dreierlei Gründen und Motiven zu dieser Besprechung befohlen, obwohl er selbst in Berlin war. Erstens wollte er ein persönliches Zusammentreffen mit Reinecke, den er als Prototyp eines allzeit willfährigen nationalsozialistischen Generals ansah, und dem er persönlich schärfstens abgeneigt war, vermeiden; zweitens hat er mir befohlen, zu versuchen, durch sachliche Argumente, also unter Einwirkung auf die Vernunft diesen nicht nur brutalen, sondern völlig unsinnigen Befehl entweder zu Fall zu bringen oder zumindest in seiner Auswirkung herabzudrücken, soweit es möglich war. Er bestimmte mich auch aus taktischen Erwägungen, weil er als Abteilungschef sich lange nicht so weit vorwagen konnte wie ich, der ich dank meiner untergeordneten Stellung eine viel schärfere Sprache führen konnte. Drittens kannte er ganz genau meine innere Haltung, namentlich in dieser Frage, eine Haltung, die ich praktisch überall dort bewiesen habe, wo es möglich war, bei meinen vielen Reisen und Fahrten an die Front, wo ich Zeuge von Mißhandlungen von Kriegsgefangenen war. Diese Tatsache ist in den Aufzeichnungen ebenfalls eindeutig festgelegt.


OBERST AMEN: Hatten Canaris und die anderen Mitglieder Ihrer Gruppe einen besonderen Namen für Reinecke?


LAHOUSEN: Er hieß nicht nur bei unserer Gruppe, sondern auch in anderen Kreisen der »kleine« oder »andere Keitel«.


OBERST AMEN: Hat Canaris, bevor Sie zu dieser Besprechung gingen, irgendwelche anderen Bemerkungen bezüglich dieser Befehle gemacht?


LAHOUSEN: Canaris hatte schon bei Erlaß dieser Befehle, die ja in unseren Kreisen, wenn ich unsere Kreise sage, so meine ich in erster Linie die Abteilungschefs, schärfstens dagegen Stellung genommen und einen Protest durch das Amt Ausland, also durch Bürckner, vorbringen lassen. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob es schriftlich geschehen ist, oder ob es mündlich Keitel direkt vorgetragen hat, ich glaube beides. Bürckner muß darüber genau Bescheid wissen.


OBERST AMEN: Wenn Sie sagen, »durch Bürckner protestiert«, was meinen Sie damit?


[501] LAHOUSEN: Wenn ich sage, durch Bürckner protestiert, so meine ich die Abteilung oder nur eine Gruppe, oder vielleicht einen Referenten in seinem Amt....


OBERST AMEN: Wollen Sie das wiederholen?


LAHOUSEN: Dieser Protest oder diese Gegenargumente in der Frage der Behandlung der russischen Kriegsgefangenen wurden durch Canaris über das Amt Ausland, also über Bürckner, weitergeleitet. Im Amt Ausland war nämlich ein Referat eingebaut, das sich mit Völkerrechtsfragen zu befassen hatte. Der Sachbearbeiter dieses Referats war der Graf Moltke, der ebenso wie andere Personen zum engeren Kreis Oster gehört hatte und nach dem 20. Juli hingerichtet wurde.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 2, S. 480-503.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon