Vormittagssitzung.

[533] MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Am Ende der gestrigen Sitzung haben wir Auszüge aus dem mit dem Angeklagten Alfred Rosenberg aufgenommenen Verhör vom 6. Oktober 1945 besprochen und verlesen.

Die Dokumente 017-PS und 019-PS wurden bereits vorgelegt, und ich habe Teile davon verlesen. Der Gerichtshof wird sich wohl noch daran erinnern, daß es sich um Briefe des Angeklagten Sauckel an den Angeklagten Rosenberg handelt, in denen er die Unterstützung des Angeklagten Rosenberg bei der Rekrutierung weiterer ausländischer Arbeiter erbittet. Ich verweise nochmals auf diese Urkunden, um mich auf die Teilnahme des Angeklagten Sauckel an diesem Sklavenarbeitsprogramm und die Mithilfe des Angeklagten Rosenberg zu beziehen. Der Angeklagte Sauckel erhielt auch die Unterstützung des Angeklagten Seyß-Inquart, des Reichskommissars für die besetzten Niederlande.

Ich verweise wieder auf das Protokoll über die eidliche Vernehmung des Angeklagten Sauckel, die gestern verlesen wurde. Ich komme nun zu einer anderen Stelle desselben Protokolls. Die Niederschrift dieser Vernehmung ist am Schluß des Dokumentenbuchs zu finden. Es ist die allerletzte Urkunde, aus der ich folgendes zitieren möchte. Die erste Frage lautet:

»Frage: Ich möchte für einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit auf Holland wenden. Ich verstehe Sie dahingehend, daß die Quote der Arbeiter von Holland vereinbart war, und daß alsdann die Zahl dem Reichskommissar Seyß-Inquart gegeben wurde, um sie zu füllen. Ist das richtig?

Antwort: Ja, das ist richtig.

Frage: Ist es richtig, daß die Quote, nachdem sie Seyß-Inquart gegeben war, von ihm mit Hilfe Ihrer Vertreter erfüllt wurde?

Antwort: Ja, das war der einzig mögliche Weg für mich, und dies wurde in anderen Ländern in derselben Weise gehandhabt.«

Auch der Angeklagte Hans Frank, Generalgouverneur des Generalgouvernements Polen, hat zur Erfüllung der vom Angeklagten Sauckel verlangten Quoten beigetragen.

[533] Ich verweise nochmals auf das Verhör mit dem Angeklagten Sauckel, und zwar auf Seite 1 der Auszüge des im Dokumentenbuch enthaltenen Protokolls über diese Einvernahme.

»Antwort: Ja, ich muß grundsätzlich erneut sagen, daß die einzige Möglichkeit, diese Sache durchzuführen, darin bestand, sich mit der höchsten deutschen Militärbehörde in dem betreffenden Land in Verbindung zu setzen und die Befehle des Führers zu übermitteln und äußerst dringlich auf deren Erfüllung zu bestehen.

Frage: Waren diese Diskussionen in Polen mit dem Generalgouverneur Frank?

Antwort: Ja, ich verbrachte einen Morgen und Nachmittag in Krakau zwei- oder dreimal und sprach mit Generalgouverneur Frank persönlich. Natürlich war auch Sekretär Dr. Goebble anwesend.«

Die SS hat auch hier, wie in den meisten Fällen, in denen Gewalt und Brutalität anzuwenden war, mitgeholfen. Wir verweisen auf Dokument 1292-PS, US-225. Es handelt sich hier um den Bericht des Chefs der Reichskanzlei, Lammers, über eine Konferenz mit Hitler, der unter anderen der Angeklagte Sauckel, der Angeklagte Speer und der Reichsführer SS Himmler beigewohnt haben.

Ich gehe nun zur zweiten Seite dieses Dokuments über und beginne mit der dritten Zeile von oben im englischen Text. Im deutschen Text ist es Seite 4, Absatz 2. Ich zitiere wie folgt:

»GBA Sauckel erklärte, daß er mit fanatischem Willen den Versuch machen werde, diese Arbeitskräfte zu beschaffen. Bisher habe er seine Zusagen in Bezug auf die Zahlenhöhe der zu beschaffenden Arbeitskräfte stets gehalten, für 1944 sei er jedoch mit dem besten Willen nicht in der Lage, eine feste Zusage zu geben. Er werde alles tun, was in seinen Kräften stehe, um für 1944 die gewünschten Arbeitskräfte zu beschaffen. Ob dies gelinge, hänge aber im wesentlichen davon ab, welche deutschen Exekutivkräfte zur Verfügung gestellt würden. Mit einheimischen Exekutivkräften sei eine Aktion nicht durchzuführen.«

Es sind hier, wie der Hohe Gerichtshof bemerken wird, einige Zusätze zu dem von mir verlesenen Teil, auf die ich etwas später zurückkommen werde.

Der Angeklagte Sauckel arbeitete an der Aufstellung des Gesamtbedarfs an Arbeitskräften für Deutschland mit und bestimmte die Hohe der Quoten, die mit Hilfe der erwähnten Personen und Ämter aufzubringen waren, wobei er genau wußte, daß Anwendung von Gewalt und Grausamkeit die einzigen Mittel waren, diesen Anforderungen zu genügen. Ich komme nun wieder auf Urkunde 1292-PS zurück und zitiere auf Seite 1:

[534] »I. Beim Führer fand heute eine Besprechung statt, bei der anwesend waren: der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Sauckel; der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Speer; der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Keitel; Generalfeldmarschall Milch; der mit der Führung des Geschäftes des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft beauftragte Staatssekretär Backe; der Reichsminister des Innern; Reichsführer SS Himmler, und ich. (Der Reichsminister des Aus wärtigen und der Reichswirtschaftsminister hatten vor der Besprechung mehrfach um ihre Teilnahme gebeten, der Führer hat diese Teilnahme jedoch nicht gewünscht.)

Einleitend erklärte der Führer:

Ich will Klarheit darüber gewinnen:

1. Wieviel Arbeitskräfte werden für die deutsche Kriegswirtschaft

a) zur Aufrechterhaltung ihrer bisherigen Kapazität,

b) zur Steigerung ihrer Kapazität benötigt?

2. Wieviel Arbeitskräfte können aus den besetzten Gebieten herangeführt oder durch geeignete Maßnahmen (Leistungssteigerung) im Deutschen Reich noch gewonnen werden?

Es handelt sich hierbei also einmal um die Deckung des Abganges an Arbeitskräften durch Tod, Invalidität, das dauernde Fluktuieren der Arbeitskräfte usw., ferner aber auch um die Beschaffung von zusätzlichen Arbeitskräften. GBA Sauckel erklärte, daß er, um den bisherigen Bestand an Arbeitskräften zu erhalten, im Jahre 1944 mindestens 2 1/2 Millionen, voraussichtlich aber 3 Millionen neue Arbeitskräfte zuführen müsse; andernfalls würde ein Absinken der Produktion eintreten.

Reichsminister Speer erklärte, daß er zusätzlich 1,3 Millionen Arbeitskräfte bedürfe. Allerdings hänge dies davon ab, ob es möglich sein werde, die Eisenerzförderung zu erhöhen; gelinge es nicht, so benötige er keine zusätzlichen Arbeitskräfte. Vor aussetzung für die Beschaffung neuer Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten sei aber, daß diese Arbeitskräfte nicht aus der dort arbeitenden Rüstungsindustrie und Zulieferungsindustrie entnommen würden. Denn dies würde ein Absinken der Leistungen dieser Industrien bedeuten, das für ihn nicht erträglich sei. Wer z. B. in Frankreich in den erwähnten Industrien arbeite, müsse dagegen geschützt sein, durch den GBA zum Arbeitseinsatz in Deutschland erfaßt zu werden.

[535] Der Führer stimmte den Ausführungen des Reichsministers Speer zu und betonte, daß die Maßnahmen des GBA keinesfalls dazu führen dürften, daß Arbeiter der in den besetzten Gebieten schaffenden Rüstungs- und Zulieferungsindustrie entzogen würden, da eine solche Verlagerung der Arbeitskräfte nur dazu angetan sei, die Produktion in den besetzten Gebieten zu stören.

Der Führer wies ferner darauf hin, daß für Luftschutzvorbereitungen auf dem Gebiete des zivilen Luftschutzes auch noch mindestens 250000 Arbeiter nötig seien. Für Wien seien sofort 2000 bis 2500 nötig. Gehe man davon aus, daß der GBA zur Erhaltung des Bestandes der gegenwärtigen Arbeitskräfte 2 1/2 Millionen Arbeiter benötige und Reichsminister Speer 1,3 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte, und daß für die erwähnten Luftschutzvorbereitungen 0,25 Millionen Arbeiter nötig seien, so ergäbe sich ein Bedarf von mindestens 4 Millionen Arbeitskräften, deren Zuführung durch GBA erforderlich sei.«

Ich verweise wieder auf Seite 2, Absatz 1 des englischen Textes dieser Urkunde; es ist Seite 5, Absatz 1 des deutschen Textes:

»Der Reichsführer-SS legte dar, daß die ihm zur Verfügung gestellten Exekutivkräfte außerordentlich gering seien, daß er aber versuchen werde, durch ihre Vermehrung und erhöhte Einspannung der Aktion Sauckel zum Ziele zu verhelfen. Für Luftschutzvorbereitungen in Wien stellte der Reichsführer-SS alsbald 2000 bis 2500 Mann aus den Konzentrationslagern zur Verfügung.«

Ich überspringe den nächsten Absatz dieses Dokuments und fahre mit dem Absatz unter der Überschrift: »Endergebnis der Besprechung« fort. Ich zitiere wörtlich nach 1.:

»Der GBA soll mindestens 4 Millionen neue Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten beschaffen.«

Wie aus Urkunde 3012-PS, die bereits als US-190 vorgelegt wurde, hervorgeht, erklärte der Angeklagte Sauckel überdies in seinem Ersuchen um Beistand der Wehrmacht bei der Aushebung von einer Million Männern und Frauen aus den besetzten Ostgebieten dem Angeklagten Keitel, daß rasches Vorgehen notwendig sei und daß, wie in allen anderen besetzten Ländern, Zwang ausgeübt werden solle, wenn andere Mittel versagten. Wie aus Urkunde 018-PS hervorgeht, die bereits vorgelegt und zum Teil verlesen wurde, ist der Angeklagte Sauckel vom Angeklagten Rosenberg unterrichtet worden, daß die Versklavung ausländischer Arbeiter mit Gewalt und Grausamkeit erreicht worden sei. Ungeachtet seiner Kenntnis dieser Umstände fuhr der Angeklagte [536] Sauckel fort, immer weiteren Nachschub von Menschenmaterial aus Gebieten anzufordern, in denen die grausamsten Methoden angewendet wurden. Als deutsche Feldkommandanten an der Ostfront versuchten, Sauckels Forderungen entgegenzutreten oder zu beschränken, weil die Zwangsaushebung die Reihen der Partisanen verstärkte und die Aufgaben der Armee erschwerte, sandte Sauckel an Hitler ein Telegramm, in welchem er ihn, Hitler, bat, einzuschreiten.

Ich verweise auf Urkunde 407-II-PS, US-226. Es ist dies das Telegramm Sauckels an Hitler vom 10. März 1943. Es handelt sich um ein ziemlich langes Schreiben,« und ich möchte die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs besonders auf den letzten Absatz auf Seite 1 des englischen Textes lenken. Im deutschen Text ist es Seite 2, Absatz 5. Ich zitiere den letzten Absatz des englischen Textes:

»Ich bitte deshalb, mein Führer, Befehle, die der Dienstverpflichtung fremder Arbeiter und Arbeiterinnen entgegenstehen, aufheben zu wollen und mir gütigerweise mitzuteilen, ob meine hier niedergelegte Auftragsauffassung noch richtig ist.«

Wenn wir zu Absatz 5 auf Seite 1 dieses englischen Textes übergehen, finden wir folgende Worte, die ich wörtlich zitiere:

»Wenn im Osten in den besetzten Gebieten die Arbeitsdienstverpflichtung und die zwangsmäßige Einziehung von Arbeitskräften nicht mehr möglich ist, dann kann auch die deutsche Kriegswirtschaft und Landwirtschaft ihre Aufgabe nicht mehr im vollen Maße erfüllen.«

Und dann heißt es im nächsten Absatz:

»Ich selbst bin der Meinung, daß unsere Heerführer doch unter keinen Umständen der bolschewistischen Greuel- und Verleumdungspropaganda der Partisanen Glauben schenken dürfen. Die Generale haben doch selbst das größte Interesse daran, daß die rechtzeitige Stellung des Ersatzes für die Truppen ermöglicht wird.

Ich bitte, darauf hinweisen zu dürfen, daß unmöglich Hunderttausende von hervorragenden Arbeitern, die nun als Soldaten ins Feld gehen, durch vollkommen arbeitsungewohnte deutsche Frauen – selbst wenn diese besten Willens sind – ersetzt werden können. Ich muß hierfür die Leute aus den Ostgebieten einsetzen können.«


VORSITZENDER: Ich glaube, daß Sie auch den nächsten Absatz lesen sollten.

MR. DODD: »Ich selber melde Ihnen, daß die bei uns schaffenden Angehörigen aller fremden Nationen menschlich [537] einwandfrei, korrekt und sauber behan delt, ernährt, untergebracht, ja auch bekleidet werden. Auf Grund meines eigenen Dienstes bei fremden Nationen bin ich sogar so kühn zu behaupten, daß niemals zuvor in der Weltfremde Arbeiter so ordentlich behandelt worden sind, als wie dies im härtesten aller Kriege durch das deutsche Volk jetzt geschieht.«

Außer für die Zwangsaushebung ausländischer Zivilarbeiter war der Angeklagte Sauckel auch für die Zustände verantwortlich, unter denen die ausländischen Arbeiter nach Deutschland transportiert wurden, und für die Behandlung, der sie in Deutschland ausgesetzt waren.

Wir haben bereits die Verhältnisse, unter denen diese nach Deutschland gebrachten Arbeiter transportiert wurden, geschildert und aus der Urkunde 2241-3-PS verlesen, um zu beweisen, daß Sauckel diese Verhältnisse kannte. Gestern schilderten wir ausführlich die grausamen, erniedrigenden und unmenschlichen Verhältnisse, unter denen diese Arbeiter in Deutschland arbeiteten und lebten. Wir lenken die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs nun wieder auf 3044-PS, US-206. Es ist dies Anordnung Nummer 4 vom 7. Mai 1942, die von Sauckel, als dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz über Aushebung, Pflege, Unterbringung, Ernährung und Behandlung ausländischer Arbeiter beiderlei Geschlechts, erlassen wurde. In diesem Erlaß ordnete Sauckel ausdrücklich an, daß die Zusammenstellung und Durchführung von Bahntransporten, sowie die Beistellung von Nahrung bis zur Ankunft der Transporte in Deutschland, Aufgabe seiner Agenten sei. Mit dem gleichen Erlaß bestimmte Sauckel, daß die Betreuung ausländischer industrieller Arbeiter Sache der Deutschen Arbeitsfront, und die der ausländischen landwirtschaftlichen Arbeiter Aufgabe des Reichsnährstands sei. Mit den Bestimmungen dieses Erlasses behielt sich Sauckel die oberste Entscheidung in allen Fragen der Betreuung, Behandlung, Unterbringung und Verpflegung der ausländischen Arbeiter während der Überführung nach und in Deutschland vor.

Ich verweise hier insbesondere auf den englischen Text des Dokuments 3044-PS, US-206; und zwar befindet sich die Stelle, die ich zitieren will, am Schluß von Seite 1 des englischen Textes und auf Seite 518 des deutschsprachigen Bandes.

Ich zitiere wörtlich aus dem englischen Text:

»Die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte wird durchgeführt:

a) bis zur Reichsgrenze:

von meinen Beauftragten oder – in den besetzten Gebieten – von den zuständigen militärischen oder zivilen Arbeitseinsatzdienststellen.

[538] Die Betreuung erfolgt in Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen ausländischen Organisa tionen.

b) innerhalb des Reichsgebietes:

1. von der Deutschen Arbeitsfront bei nichtlandwirtschaftlichen Arbeitskräfte;

2. vom Reichsnährstand bei landwirtschaftlichen Arbeitskräften.

Die Deutsche Arbeitsfront und der Reichsnährstand sind bei der Durchführung ihrer Betreuungsaufgaben an meine Weisungen gebunden.

Die Dienststellen der Arbeitseinsatzverwaltung sind gehalten, die Deutsche Arbeitsfront und den Reichsnährstand bei der Erfüllung ihrer Betreuungsaufgaben weitgehend zu unterstützen.

Durch die Beauftragten der Deutschen Arbeitsfront und des Reichsnährstandes mit der Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte wird meine Zuständigkeit für die Durchführung dieser Aufgaben nicht berührt.«


VORSITZENDER: Herr Dodd, glauben Sie nicht, daß es sich hier um eine Stelle handelt, die zusammengefaßt und nicht verlesen werden sollte, da sie ja nur besagt, daß Sauckel, sein Amt und seine Beauftragten verantwortlich waren, und das wird von ihm zugegeben.

MR. DODD: Gewiß, Herr Vorsitzender, wir wollten eine ausführliche Darstellung geben, da wir annahmen, die Stelle müsse vollständig verlesen werden, um gemäß den Bestimmungen über die Protokollführung ins Protokoll aufgenommen zu werden. Ich stimme jedoch vollkommen mit Ihnen überein.


VORSITZENDER: Ich glaube, daß eine Zusammenfassung genügen wird.


MR. DODD: Ich möchte weiter in demselben Dokument auf die Angaben auf Seite 3, Absatz III des englischen Textes verweisen, die unter der Überschrift »Zusammenstellung und Durchführung der Transporte« besagen, daß diese Aufgaben den Beauftragten des Angeklagten Sauckel oblagen. Sauckel bestimmte weiter in Absatz C auf Seite 5 des englischen Textes unter der Überschrift »Transportversorgung«, nach Festsetzung einiger Verantwortlichkeiten für das Amt der Deutschen Arbeitsfront, daß die Versorgung der Transporte Sache seiner Dienststellen bleibe.

Der Angeklagte Sauckel hatte ein Übereinkommen mit dem Chef der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Robert Ley, in dem der Angeklagte Sauckel durch die Schaffung einer Zentralinspektion zur Kontrolle [539] der Arbeits- und Lebensbedingungen der Fremdarbeiter seine endgültige Verantwortung betonte.

Wir verweisen auf 1913-PS, US-227. Dieses Übereinkommen zwischen dem Angeklagten Sauckel und dem damaligen Chef der Deutschen Arbeitsfront ist in der Ausgabe des Reichsarbeitsblattes 1943, Teil 1, Seite 588, veröffentlicht. Es ist ein ziemlich langes Übereinkommen, und ich werde es weder im ganzen noch zum größeren Teil verlesen, sondern nur jenen Teil, der die Grundlage des Übereinkommens zwischen dem Angeklagten Sauckel und Ley über Fremdarbeiter und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen bildet.

Auf der ersten Seite des englischen Textes heißt es:

»Zur laufenden Überwachung aller Betreuungsmaßnahmen für die unter 1. genannten ausländischen Arbeitskräfte errichtet der Reichsleiter Dr. Ley, gemeinsam mit dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Sauckel, eine ›Zentralinspektion‹. Diese führt die Bezeichnung: ›Zentralinspektion für die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte‹.«

Im Absatz 4, der mit der römischen Zahl IV bezeichnet ist, sagt dieser Text:

»Die Dienststellen der Arbeitseinsatzverwaltung werden durch die Zentralinspektion für die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte laufend von ihren Beobachtungen unterrichtet, insbesondere unverzüglich in jedem Falle, in dem ein Einschreiten der staatlichen Organe geboten ist.«

Ich möchte den Hohen Gerichtshof auch auf einen anderen Absatz auf derselben Seite aufmerksam machen. Es ist der vierte Absatz weiter unten nach der kleinen Nummer 2 und beginnt mit den Worten:

»Unberührt hiervon bleibt die Befugnis des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Mit glieder seines Stabes und die Präsidenten der Landesarbeitsämter zu beauftragen, sich unmittelbar über die Verhältnisse im Ausländereinsatz in den Betrieben und Lagern zu unterrichten.«

Wir haben dem Hohen Gerichtshof bereits Beweise für die Verantwortlichkeit des Angeklagten Sauckel vorgelegt, dafür, daß Staatsbürger der besetzten Länder gegen ihren Willen gezwungen wurden, Waffen und Munition zu erzeugen und militärische Befestigungen zu bauen, die in Kriegsoperationen gegen ihr eigenes Land und seine Alliierten Verwendung fanden.

Er war überdies verantwortlich für den auf Kriegsgefangene ausgeübten Zwang, Waffen und Munition zu erzeugen, die gegen [540] ihre eigenen Länder und gegen ihre aktiven Widerstand leistenden Alliierten gebraucht wurden.

Die Verordnung, mit der Sauckels Ernennung ausgesprochen worden war, bestimmte, daß seine Ernennung zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz zu dem ausdrücklichen Zweck erfolgte, unter anderem die Kriegsgefangenen in die deutsche Kriegsindustrie einzugliedern; und in einer Reihe von Berichten an Hitler beschrieb Sauckel, wie erfolgreich er bei der Durchführung dieses Programms gewesen sei. Einer dieser Berichte gibt an, daß der Angeklagte Sauckel in einem einzigen Jahr 1622829 Kriegsgefangene der deutschen Kriegswirtschaft einverleibt hat.

Ich verweise auf Dokument 407-V-PS, US-228. Es ist dies ein Brief des Angeklagten Sauckel an Hitler vom 14. April 1943. Obwohl die in dieser Urkunde genannten Ziffern noch in einem anderen Dokument enthalten sind, ist dies die erste Vorlage dieser Urkunde.

Ich zitiere Absatz 1 und 2 des englischen Textes und beginne mit:

»Mein Führer!... Nach einjähriger Tätigkeit als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz darf ich Ihnen melden, daß vom 1. April vorigen Jahres bis zum 31. März dieses Jahres der deutschen Kriegswirtschaft 3638056 neue fremdvölkische Arbeitskräfte zugeführt werden konnten.«

Etwas später finden wir mit besonderer Bezugnahme auf die Kriegsgefangenen folgende Feststellung:

»Außer den fremdvölkischen Zivilarbeitern werden noch 1622829 Kriegsgefangene in der deutschen Wirtschaft beschäftigt.«

Ein späterer Bericht erklärt, daß 846511 fremdländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene zusätzlich in die deutsche Kriegswirtschaft eingegliedert wurden, und ich verlese aus Dokument 407-IX-PS, US-229, ebenfalls ein Brief des Angeklagten Sauckel an Hitler, von Seite 1, Absätze 1 und 2:

»Mein Führer! Ich bitte, Ihnen den Stand des Arbeitseinsatzes für die ersten 5 Monate des Jahres 1943 hiermit vorlegen zu dürfen. Es wurden erst malig an neuen Ausländern und Kriegsgefangenen der deutschen Kriegswirtschaft zur Verfügung gestellt:..., insgesamt 846511.«

Diese Zuweisung von Kriegsgefangenen für die Erzeugung von Rüstungsmaterial durch den Angeklagten Sauckel wird auch von dem Angeklagten Speer bestätigt, der erklärte, daß 40 % aller Kriegsgefangenen in Waffen- oder Munitionsfabriken oder in Hilfsindustrien beschäftigt waren.

Ich möchte kurz auf die Absätze 6, 7 und 8, Seite 15 des englischen Textes eines Verhörs mit dem Angeklagten Speer vom [541] 18. Oktober 1945 verweisen, auf das wir uns schon gestern berufen und als US-220 vorgelegt haben. Ich möchte aus den Absätzen 6, 7 und 8 auf Seite 15, Absatz 1, Seite 19 des deutschen Textes verlesen: Es handelt sich um zwei Fragen, die die darauf gegebenen Antworten verständlich machen werden:

»Frage: Wenn Sie Arbeitskräfte verlangten, haben Sie Kriegsgefangene besonders angefordert, oder verlangten Sie eine Gesamtzahl an Arbeitern?

Antwort: Nur Schmelter kann diese Frage genau beantworten. Soweit die Verwendung von Kriegsgefangenen berührt war, wurde dies durch die Beschäftigungsoffiziere des Stalags geregelt. Ich versuchte mehrfach die Gesamtzahl der Kriegsgefangenen, die in der Produktion beschäftigt waren, auf Kosten anderer Anforderungsfaktoren zu erhöhen.

Frage: Wollen Sie das etwas genauer erklären?

Antwort: Während der letzten Produktionsphase, das war im Jahre 1944, als alles zusammenbrach, hatte ich ungefähr 40 % aller Kriegsgefangenen in der Produktion beschäftigt. Ich wollte diesen Prozentsatz erhöhen.

Frage: Wenn Sie sagen ›in der Produktion beschäftigt‹, meinen Sie damit Hilfsindustrien, die Sie diskutiert haben, und ebenso Produktion von Waffen und Munition. Ist das richtig?

Antwort: Ja, dies war das Gesamtausmaß meiner Aufgabe.«


MR. BIDDLE: Was meinen Sie mit Hilfsindustrien, Herr Dodd; sind das Kriegsindustrien?

MR. DODD: Ja, Kriegsindustrien, wie wir es verstehen. Sie sind von den Angeklagten oft als wesentliche Bestandteile in ihren Plänen erwähnt worden.

Ich möchte nun die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs wiederum auf das Protokoll der 36. Sitzung der Zentralen Planung lenken. Es ist Dokument R-124, aus dem ich gestern einige Stellen verlesen habe, und ich möchte dem Gerichtshof in Erinnerung bringen, daß der Angeklagte Speer laut Protokoll über diese Zusammenkunft feststellte:

»Von den 90000 russischen Kriegsgefangenen, die in der gesamten Rüstungsindustrie beschäftigt sind, sind der größte Teil gelernte Facharbeiter.«

Wir möchten nun zur Besprechung der besonderen Verantwortlichkeit des Angeklagten Speer übergehen und die Beweise für die mannigfachen Verbrechen erörtern, die der Angeklagte Speer mit der Planung und Teilnahme an dem umfangreichen Programm der Zwangsverschickung von Einwohnern der besetzten Länder beging. Er war Reichsminister für Bewaffnung und Munition und Chef [542] der Organisation Todt; und zwar erlangte er diese beiden Stellen am 15. Februar 1942. Da er später auch noch die Kontrolle über die Rüstungsämter des Heeres, der Kriegsmarine und Luftwaffe und über die Produktionsämter des Wirtschaftsministeriums erhielt, war der Angeklagte Speer sowohl für die gesamte Kriegsproduktion des Reiches als auch für den Bau von Befestigungen und Einrichtungen für die Wehrmacht verantwortlich. Den Beweis für die Stellungen, die der Angeklagte Speer innehatte, liefern seine eigenen Angaben, die in 2980-PS enthalten und dem Gerichtshof als Beweisstück US-18 bereits vorgelegt worden sind.

Die Industrien unter der Kontrolle des Angeklagten Speer haben vor allen anderen in Deutschland Arbeitskräfte gebraucht, und deshalb hatten nach der Darstellung des Angeklagten Sauckel die Forderungen Speers nach Beistellung von Arbeitern den unbedingten Vorrang gegenüber allen anderen Forderungen nach Arbeitskräften.

Wir verweisen auf das Protokoll über das Verhör des Angeklagten Sauckel vom 22. September 1945, US-230. Es ist das vorletzte Dokument im Dokumentenbuch. Ich möchte auf Seite 1, Absatz 4, dieses Dokuments verweisen. Es ist eine kurze Stelle, die letzte Antwort auf der Seite. Dem Angeklagten Sauckel wurde die folgende Frage vorgelegt:

»Frage: Ausgenommen für Speer gab man Ihnen die Erfordernisse allgemein für das ganze Feld, aber soweit es Speers Abteilung betraf, bekamen Sie die Anforderungen verteilt auf die verschiedenen Industrien. Ist das richtig?

Antwort: Die anderen bekamen, was immer übrig blieb, denn Speer sagte mir einmal in Gegenwart des Führers, daß ich dazu da sei, für Speer zu arbeiten, und daß ich hauptsächlich sein Mann sei;...«

Der Angeklagte Speer hat unter Eid zugegeben, daß er an den Besprechungen teilgenommen habe, bei denen die Entscheidung gefällt wurde, ausländische Arbeitskräfte zwangsweise zu verwenden. Er hat auch angegeben, daß er dieser Entscheidung zustimmte, und daß sie die Basis für das Programm bildete, ausländische Arbeitskräfte zwangsweise nach Deutschland zu bringen.

Ich verweise auf das Verhör des Angeklagten Speer vom 18. Oktober 1945, US-220. Wir haben Stellen daraus bereits verlesen, und ich verweise insbesondere auf Seite 12 unten und auf den Anfang der Seite 13 des englischen Textes:

»Frage: Ist es Ihnen klar, Herr Speer, daß im Jahre 1942, als die Entscheidungen über die Verwendung von ausländischen Zwangsarbeitern getroffen wurden, Sie an diesen Diskussionen selbst teilnahmen?

[543] Antwort: Ja.

Frage: Es ist demnach richtig, wenn ich annehme, daß die Ausführung des Programms, ausländische Arbeiter zwangsmäßig durch Sauckel nach Deutschland zu bringen, auf früheren Entscheidungen basierte, die mit Ihrem Einverständnis getroffen worden waren?

Antwort: Ja, aber ich möchte hierzu ausführen, daß nur ein kleiner Teil der Arbeitskräfte, die Sauckel nach Deutschland brachte, für mich verwendbar gemacht wurde und daß ein großer Teil anderen Abteilungen überlassen wurde, die sie verlangten.«

Dieses Geständnis ist bestätigt in einem Protokoll über Besprechungen Speers mit Hitler am 10., 11. und 12. August 1942, deren Inhalt im Dokument R-124 enthalten ist, das wir bereits vorgelegt und aus dem wir Auszüge verlesen haben. Seite 34, Absatz 1 des englischen Textes dieses Dokuments habe ich bereits zitiert und diese Stellen gestern zur Verlesung gebracht. Wie sich der Hohe Gerichtshof erinnern wird, hat der Angeklagte Speer über das Ergebnis seiner Unterhandlungen über die Zwangsaushebung einer Million russischer Arbeitskräfte für die deutsche Kriegsindustrie berichtet, und diese Gewaltanwendung ist von Hitler und dem Angeklagten Speer am 4. Januar 1943 erneut besprochen worden, wie die zur Verlesung gebrachten Stellen aus dem Dokument 556-13-PS zeigen. Bei dieser Besprechung wurde entschieden, daß schärfere Maßnahmen angewendet werden sollten, um die Zwangsaushebung französischer Zivilarbeiter zu beschleunigen.

Wir behaupten, daß der Angeklagte Speer ausländische Arbeiter für die unter seiner Kontrolle stehenden Industrien anforderte und diese Arbeiter beschäftigte, obwohl er wußte, daß sie mit Gewalt verschleppt worden waren und zur Arbeit gezwungen wurden. In seinem Verhör vom 18. Oktober 1945 gab Speer unter Eid an, und ich zitiere seine Worte von Seite 5, Absatz 9 des englischen Textes:

»Ich wünsche nicht den Eindruck zu erwecken, daß ich nicht von Sauckel sehr energisch Arbeitskräfte und ausländische Arbeitskräfte verlangte.«

Er hat zugegeben, gewußt zu haben, daß er ausländische Arbeitskräfte zugewiesen erhielt, und daß die Mehrzahl von ihnen unter Zwang arbeiteten. Ich verweise wieder auf dasselbe Verhör vom 18. Oktober 1945 und verlese Seite 8 und 9 des englischen Textes, Seite 10 des deutschen Textes:

»Frage: Ist es richtig, daß während der Zeit, als Sie für Arbeitskräfte anfragten, Sie sich darüber klar waren, daß Sie sowohl ausländische Arbeiter als auch inländische Arbeiter [544] bekommen werden, und daß ein großer Teil der ausländischen Arbeitskräfte Zwangsarbeiter sein würden?

Antwort: Ja.

Frage: Das heißt also, nur um ein Beispiel zu nennen, lassen Sie uns annehmen, daß Sie am 1. Januar 1944 für einen bestimmten Zweck 50000 Arbeiter benötigten. Alsdann machten Sie eine Anforderung für 50000 Arbeiter in dem Bewußtsein, daß unter den 50000 Arbeitern Zwangsarbeiter sein würden. Ist das richtig?

Antwort: Ja.«

Der Angeklagte Speer hat auch unter Eid angegeben, zumindest schon im September 1942 gewußt zu haben, daß Arbeiter aus der Ukraine zwangsweise zur Arbeit nach Deutschland verschleppt wurden. Ebenso war es dem Angeklagten Speer bekannt, daß die große Mehrzahl der Arbeiter aus den besetzten Ländern im Westen gleichfalls Sklavenarbeiter waren, die gegen ihren Willen gezwungen worden waren, nach Deutschland zu kommen. Und abermals verweise ich auf sein Verhör vom 18. Oktober 1945 und beginne mit dem vierten Absatz von unten auf Seite 5 des englischen Textes, Absatz 10 auf Seite 6 des deutschen Textes, wo wir die folgende Reihe von Fragen und Antworten finden:

Frage: »Zu welcher Zeit haben Sie zum erstenmal festgestellt, daß ein Teil der Arbeitskräfte aus der Ukraine nicht freiwillig kam?

Antwort: Es ist ziemlich schwierig, dies hier zu be antworten, d. h. Ihnen ein bestimmtes Datum zu nennen. Aber ich weiß, daß zu einer gewissen Zeit, d. h. von einem bestimmten Zeitpunkt an, die Arbeitskräfte von der Ukraine nicht freiwillig kamen.

Frage: Trifft das auch für Arbeitskräfte aus anderen besetzten Gebieten zu, d. h. war Ihnen ein Zeitpunkt bekannt, wann Sie wußten, daß diese Leute nicht freiwillig kamen?

Antwort: Ja.

Frage: Wann, im allgemeinen, können Sie sagen, trat dieser Zeitpunkt ein, ohne sich auf einen bestimmten Monat festzulegen?

Antwort: Soweit die Ukraine in Frage kommt, nehme ich an, daß sie nach einigen Monaten nicht mehr freiwillig kamen, weil ungeheure Fehler in ihrer Behandlung von uns gemacht worden waren. Ich möchte ganz allgemein sagen, daß dies entweder im Juli, August oder September 1942 war.«

Ich gehe nun zu Seite 6, Absatz 11 des englischen Textes desselben Verhörs und Seite 7, Absatz 8 des deutschen Textes über, wo wir die nachstehenden Fragen und Antworten finden:

[545] »Frage: Ist es nicht richtig, daß viele Arbeiter tatsächlich aus dem Westen nach Deutschland kamen?

Antwort: Ja.

Frage: Bedeutet das, daß die große Mehrheit der Arbeiter, die aus den westlichen besetzten Gebieten kamen, gegen ihren Willen nach Deutschland gebracht wurden?

Antwort: Ja.«

Diese Eingeständnisse werden selbstverständlich auch durch andere Beweise bekräftigt, denn, wie aus Dokument R-124 hervorgeht, und wie wir durch Verlesen einiger Stellen daraus bewiesen haben, konnte die Aushebung von Arbeitern für Deutschland in allen Ländern nur mit tätiger Hilfe der Polizei durchgeführt werden; die bei der Werbung vorwiegend angewandten Methoden erzeugten solche Gewalttätigkeit, daß zahlreiche deutsche Werbungsagenten ermordet wurden.

Und bei einer Zusammenkunft mit Hitler zur Besprechung über den Bedarf an Arbeitskräften für das Jahr 1944, deren Inhalt in Dokument 1292-PS wiedergegeben ist, wurde Speer von dem Angeklagten Sauckel dahin unterrichtet, daß der Gesamtbedarf, einschließlich der von Speer angeforderten 1300000 zusätzlichen Arbeiter, nur dann gedeckt werden könne, wenn deutsche Vollzugsorgane beigestellt wurden, um das Versklavungsprogramm in den besetzten Ländern durchzuführen.

Wir behaupten nun, daß Speer, obwohl er davon Kenntnis hatte, daß diese Arbeiter gegen ihren Willen ausgehoben und nach Deutschland verschleppt worden waren, fortfuhr, Forderungen auf Zuweisung ausländischer Arbeiter zu stellen und ihre Zuteilung an die von ihm kontrollierten Industrien zu verlangen.

Dies geht aus dem Sitzungsprotokoll der Zentralen Planung hervor, wie es im Dokument R-124 enthalten ist, besonders aus Seite 13, Absatz 4 des englischen Textes. Es ist Seite 6, Absatz 4 des deutschen Textes.

Speer sagt dort:

»Nun das Arbeitsproblem in Deutschland. Ich glaube, daß es noch einmal möglich ist, aus den Westgebieten einiges herüber zu bekommen, Der Führer hat erst vor kurzem erklärt, er wolle diese Hibis (?) auflösen, weil er den Eindruck hätte, daß die Heeresgruppen sehr viel Belastung mit sich herumführten. Es muß daher, wenn wir von uns aus nicht durchkommen, beim Führer eine Besprechung anberaumt werden, in der die ganze Kohlensituation klargelegt wird. Dazu werden auch Keitel und Zeitzler eingeladen werden, um festzustellen, was uns an Russen aus dem rückwärtigen Heeresgebiet zugeführt werden muß. Ich sehe zwar auch[546] noch eine Möglichkeit, daß wir noch eine Aktion machen, um innerhalb der russischen Kriegsgefangenen im Reich noch Leute für den Bergbau herauszuholen. Aber zu stark ist diese Möglichkeit nicht gegeben.«

In einer weiteren Zusammenkunft der Zentralen Planung lehnte der Angeklagte Speer einen Vorschlag ab, dahingehend, daß Arbeitskräfte für die von ihm kontrollierten Industrien anstatt von ausländischen Quellen aus deutschen Quellen herangezogen werden sollten. Ich zitiere nun von R-124, Seite 16, Absatz 3, 4 und 5 des englischen Textes, Seite 12, Absatz 6 und 7 des deutschten Textes, die Worte des Angeklagten Speer:

»Wir würden es so machen, daß Kehrl die Forderung der einzelnen sammelt, die notwendig sind, um den Kohlen- und Eisenplan durchzuführen, die Zahlen dann an Sauckel übermittelt. Wahrscheinlich wird in der nächsten Woche beim Reichsmarschall die Besprechung über diese Gesamtfrage stattfinden, und bis dahin müßte ein Ergebnis von Sauckel vorliegen. Die Frage der Erfassung in der Rüstungswirtschaft wird gemeinsam mit Weger abgestimmt.«

Kehrl erwiderte:

»Ich möchte aber dringend bitten, daß die Zuweisungen an den Bergbau nicht auf der Möglichkeit der Anwerbung von Männern im Auslande basiert werden. Wir haben damit in den letzten 3 Monaten vollkommen aufgesessen. Wir haben ein Minus von 25000 Mann aus dem Dezember übernommen, und es ist kein Ersatz geliefert worden. Er muß aus Deutschland genommen werden.«

Antwort Speers:

»Nein, nichts zu machen.«

Wir behaupten auch, daß der Angeklagte Speer schuldig ist, Terror und Brutalität als Mittel zur höchstmöglichen Produktionssteigerung durch Sklavenarbeiter befürwortet zu haben. Ich verweise wiederum auf Dokument R-124. Auf Seite 42 finden wir eine Besprechung über Beischaffung und Ausnützung von Arbeitskräften. Diese Stelle wurde bereits verlesen, und ich verweise auf sie nur kurz. Es ist die Stelle, in der Speer sagte, daß die SS und Polizei ruhig hart zufassen können, wenn sie durchsetzten, daß diese Leute mehr arbeiteten und erzeugten.

Wir behaupten weiter, daß er auch schuldig ist, alliierte Staatsbürger und. Kriegsgefangene gezwungen zu haben, an der Fabrikation von Rüstungsmaterial und Munition und sogar an unmittelbaren militärischen Operationen gegen ihr eigenes Land mitzuwirken.

[547] Wir behaupten endlich, daß Speer als Chef der »Organisation Todt« für die Politik dieser Organisation verantwortlich ist, die in direktem Widerspruch zum Kriegsrecht stand, denn die »Organisation Todt« hat in Verletzung des Kriegsrechts alliierte Staatsangehörige in ihre Dienste gezwungen.

Dokument L-191, US-231, ist eine Studie des Internationalen Arbeitsamts über die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte durch Deutschland. Wir haben nur ein Exemplar dieses Dokuments. Es ist eine Abhandlung des Internationalen Arbeitsamts und wurde 1945 in Montreal, Kanada, gedruckt. Wir bitten den Hohen Gerichtshof, es amtlich zur Kenntnis zu nehmen, da es sich um eine offizielle Veröffentlichung des Internationalen Arbeitsamts handelt.

Ich möchte dem Gerichtshof zu unserer Entschuldigung mitteilen, daß dieses Dokument so spät hier anlangte, daß wir nicht einmal den Auszug vervielfältigen und drucken lassen konnten, um ihn Ihrem Dokumentenbuch einzuverleiben. So ist dies das einzige Dokument, das in Ihrem Dokumentenbuch fehlt. Ich möchte jedoch trotzdem Seite 73, Absatz 2 dieser Studie des Internationalen Arbeitsamts verlesen. Das Zitat ist nicht lang, sogar sehr kurz, und ich lese wörtlich:

»Die für die Anwerbung derjenigen ausländischen Arbeitskräfte benützten Methoden, die zur Beschäftigung in der Organisation bestimmt waren, unterschieden sich nicht sehr von den für die Rekrutierung von Ausländern zur Deportation nach Deutschland gebrauchten Methoden.«

Mit Organisation ist die »Organisation Todt« gemeint. Ich fahre in dem Zitat fort:

»Der größte Unterschied war der, daß die Haupttätigkeit der Organisation außerhalb der Grenzen Deutschlands lag und Ausländer deshalb nicht nach Deutschland transportiert wurden, sondern entweder in ihrem eigenen Lande arbeiteten oder in einem anderen besetzten Land.

Bei den Aushebungen von ausländischen Arbeitern für die Organisation wurden sowohl Zwangsmaßnahmen als auch Überredungsmethoden benutzt. Die letzteren gewöhnlich mit sehr geringem Erfolg.«

Außerdem wurden zum Arbeitsdienst ausgehobene alliierte Staatsangehörige von derselben Organisation Todt gezwungen, an Kriegsoperationen gegen ihr eigenes Land mitzuarbeiten.

Dokument 407-VIII-PS enthüllt, daß die ausländischen Arbeiter, die infolge Sauckels Bestrebungen in die »Organisation Todt« hineingezwungen wurden, tatsächlich an dem Bau der Befestigungen des Atlantik-Walls mitgearbeitet haben.

[548] Als Chef der deutschen Kriegsproduktion befürwortete und förderte der Angeklagte Speer die Verwendung von Kriegsgefangenen in der Erzeugung von Rüstungsmaterial und Munition. Dies geht aus dem bereits erörterten Beweismaterial klar hervor.

Um es kurz zusammenzufassen, behaupten wir, daß dies zunächst dadurch bezeugt wird, daß Speer, nachdem er die Leitung der Rüstungsproduktion übernommen hatte, darauf bedacht war, sich in den Besprechungen mit seinen Mitschuldigen eine größere Zuteilung von Kriegsgefangenen für seine Rüstungsfabriken zu sichern. Dies wird bezeugt durch die von uns verlesenen Stellen des Dokuments R-124, der Protokolle über die Sitzungen der Zentralen Planung. Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, beklagte sich Speer in einer dieser Sitzungen, daß nur 30 Prozent der russischen Kriegsgefangenen in der Rüstungsindustrie beschäftigt waren. Wir verweisen auf eine Rede Speers, 1435-PS, die wir zitierten, und in der er erklärte, daß auf seine Anordnung hin 10000 Kriegsgefangene der Rüstungsindustrie zur Verfügung gestellt wurden.

Und schließlich trat Speer dafür ein, daß entflohene Kriegsgefangene nach ihrer Wiedereinlieferung als Sträflinge in Fabriken eingestellt wurden. Dies geht wiederum aus Dokument R-124, Absatz 5, Seite 13 des englischen Textes hervor, wo der Angeklagte Speer sagt, daß er zu einer Regelung gekommen sei.

VORSITZENDER: Herr Dodd, glauben Sie nicht, daß wir das schon zur Genüge gehört haben?

MR. DODD: Ja, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Wir haben Speers eigenes Zugeständnis und eine ganze Anzahl von Dokumenten, die beweisen, auf welche Art und Weise diese Kriegsgefangenen und andere Arbeiter nach Deutschland gebracht wurden.


MR. DODD: Ich wollte nur kurz auf diese Stelle in Dokument R-124 verweisen, um zu zeigen, daß dieser Angeklagte es befürwortete, entflohene Kriegsgefangene in die Rüstungsfabriken zurückzubringen.


VORSITZENDER: Welche Seite?


MR. DODD: Seite 13. Ich möchte nicht weiter die Frage der Verantwortlichkeit des Angeklagten Speer herausarbeiten. Ich war nur bemüht, oder besser gesagt, wir alle sind überaus darum bemüht, daß alle diese Dokumente zu Protokoll genommen werden und dem Hohen Gerichtshof vorliegen.


VORSITZENDER: Auf welche Stelle der Seite 13 wollen Sie verweisen?


[549] MR. DODD: Ich habe nur kurz auf die Erklärung verwiesen, die damit beginnt: »Wir müssen mit dem Reichsführer der SS sobald wie möglich zu einer Klärung kommen.«

Und im vorletzten Satz heißt es: »Die Leute würden als Sträflinge in den Betrieben eingesetzt.«

Schließlich möchte ich noch mit Bezug auf den Angeklagten Speer vorbringen, daß er das Konzentrationslager Mauthausen besucht hat und auch Fabriken, wie die von den Kruppwerken geführten Betriebe, in denen Arbeiter aus KZ-Lagern unter erniedrigenden Bedingungen ausgebeutet wurden. Obwohl er diese Zustände in Mauthausen und an anderen Orten, wo diese Zwangsarbeiter in Fabriken arbeiteten, also aus erster Quelle kannte, fuhr er fort, die Verwendung dieser Art von Arbeit in unter seiner Kontrolle stehenden Fabriken anzuordnen.


VORSITZENDER: Wie wollen Sie dies hinsichtlich der Konzentrationslager beweisen?

MR. DODD: Ich will den Hohen Gerichtshof auf Seite 9 der Vernehmung vom 18. Oktober 1945 verweisen, und zwar auf Seite 11, Absatz 5 des deutschen Textes. Ich beginne mit Seite 9, Absatz 9 des englischen Textes:

»Frage: Aber im allgemeinen war Ihnen die Verwendung von Arbeitskräften aus Konzentrationslagern bekannt, und Sie billigten dies als eine Quelle für Arbeitskräfte?

Antwort: Ja.

Frage: Wußten Sie auch, wie ich annehme, daß unter den Insassen der Konzentrationslager sich sowohl Deutsche als auch Ausländer befanden?

Antwort: Ich dachte zu jener Zeit nicht darüber nach.

Frage: Nur als eine Tatsache, haben Sie das österreichische Konzentrationslager persönlich besucht?

Antwort: Ich habe nicht – ich war einmal in Mauthausen, aber zu jener Zeit wurde mir nicht gesagt, zu welcher Kategorie die Insassen des Konzentrationslagers gehörten.

Frage: Ist es richtig, daß im allgemeinen jedermann wußte, daß Ausländer, die von der Gestapo weggenommen oder von ihr verhaftet waren, ebenso wie Deutsche, ihren Weg in die Konzentrationslager fanden?

Antwort: Natürlich, ja. Ich wollte nicht irgendeinen Eindruck dieser Art erwecken.«

Auf Seite 15 dieses Verhörs, und zwar Absatz 13 des englischen Textes, und Seite 20 des deutschen Textes finden wir die Frage:

»Frage: Haben Sie, nebenbei bemerkt, jemals die Bedürfnisse von Krupp für ausländische Arbeitskräfte diskutiert?

[550] Antwort: Ich bin sicher, daß mir berichtet wurde, was Krupp an ausländischen Arbeitern fehlte.

Frage: Haben Sie jemals mit einem Mitglied der Firma Krupp darüber diskutiert?

Antwort: Ich kann das nicht genau sagen, aber während meiner Tätigkeit besuchte ich die Krupp- Fabrik mehr als einmal, und es ist sicher, daß dies diskutiert wurde, d. h. der Mangel an Arbeitskräften.«

Bevor ich schließe, möchte ich die Zeit des Gerichtshofs noch zwei Minuten in Anspruch nehmen, um auf die Gesetze zu verweisen, die unserer Meinung nach auf diesen Fall bei Beurteilung der von uns vorgelegten Beweisdokumente anzuwenden sind. Zu allererst berufen wir uns auf Abschnitte 6 (b) und (c) des Statuts des Gerichtshofs. Wir behaupten weiter, daß die Taten der Verschwörer offenkundige Verletzungen der Artikel 46 und 52 der Bestimmungen des Anhangs zur Haager Konvention Nummer IV von 1907 darstellen.

Artikel 46 sucht die Ehre der Familie zu schützen, die Rechte und das Leben von Personen in Gebieten unter feindlicher Besetzung.

Artikel 52 sieht teilweise vor:

»Sachanforderungen und Dienste sollen von den Gemeinden oder Bewohnern nicht gefordert werden, mit Ausnahme für Bedürfnisse des Besatzungsheeres. Sie sollen im Verhältnis zu den Mitteln des Landes stehen.«

Wir behaupten, daß die Nazi-Verschwörer diesen Artikel verletzt haben, weil die von ihnen ausgehobenen Arbeitskräfte nicht zur Deckung des Bedarfs des Besatzungsheeres verwendet, sondern ganz im Gegenteil mit Gewalt aus den besetzten Gebieten verschleppt und im Interesse der deutschen Kriegsmaschine ausgebeutet wurden.

Schließlich erklären wir, daß diese Verschwörer, und insbesondere die Angeklagten Sauckel und Speer, durch Planung, Durchführung und Zustimmung zu dem gestern und heute beschriebenen Programm Kriegsgefangene versklavt und zu Zwangsarbeit mißbraucht haben. Sie haben sich dadurch der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen schuldig gemacht und tragen hierfür die strafrechtliche Verantwortung.

VORSITZENDER: Sind Sie nun am Ende Ihrer Ausführungen, Herr Dodd?

MR. DODD: Ja, ich habe sie beendet.


VORSITZENDER: Ich möchte Sie fragen, warum Sie das Dokument 3057-PS nicht verlesen haben, das Sauckels Aussage enthält?


[551] MR. DODD: Ja, ich hatte die Absicht, dieses Dokument vorzulegen. Der Verteidiger Sauckels hat mich vor ein oder zwei Tagen darüber unterrichtet, daß sein Mandant auf dem Standpunkt steht, daß er zur Abgabe dieser Aussage gezwungen worden sei. Da wir nicht genügend Zeit hatten, die Tatsachen des Falles festzustellen, zogen wir es vor, die Urkunde zurückzubehalten, anstatt sie dem Hohen Gerichtshof vorzulegen, solange nicht alle Zweifel behoben sind.


VORSITZENDER: Er hat Einspruch erhoben, und deshalb haben Sie sie nicht vorgelegt?


MR. DODD: Nein, wir haben sie nicht vorgelegt, da die Sache noch nicht geklärt ist.


VORSITZENDER: Jawohl.


MR. DODD: Darf ich dem Hohen Gerichtshof vorschlagen, eine kurze Verhandlungspause einzuschalten? Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß ich den Gerichtshof noch einige Zeit mit den Verhältnissen in den Konzentrationslagern in Anspruch zu nehmen haben werde.


VORSITZENDER: Sie meinen, daß wir jetzt unterbrechen sollen?


MR. DODD: Wenn der Herr Vorsitzende einverstanden ist.


VORSITZENDER: Sicherlich, ja, für 10 Minuten.


[Pause von 10 Minuten.]


MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Wir wollen nun weitere Beweise darüber vorlegen, wie man in Nazi-Konzentrationslagern gegen das deutsche Volk und die Völker der alliierten Länder vorging. Wir schlagen vor, die Zwecke und die Rolle der Konzentrationslager in dem gesamten Nazi-Programm zu untersuchen. Wir wollen zeigen, daß das Konzentrationslager eine der grundlegenden Einrichtungen des Nazi-Regimes waren, ein Pfeiler des Terrorsystems, wodurch die Nazis ihre Macht über Deutschland befestigt und ihre Weltanschauung dem deutschen Volke aufgezwungen haben; daß sie die Hauptwaffe im Kampf gegen die Juden, gegen die christliche Kirche, gegen die Arbeiterschaft und alle diejenigen, die Frieden wollten, gegen jede Opposition oder Nichtübereinstimmung waren. Wir behaupten, daß sie die Anwendung von Terror zum System machten, um innerhalb Deutschlands den Zusammenhalt zu erzielen, der notwendig war, um die Angriffspläne der Verschwörer durchzuführen.

Wir beabsichtigen zu zeigen, daß das Konzentrationslager eins der Hauptmittel der Verschwörer zur Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen in einem ungeheuren Ausmaß war, das letzte Glied in einer Kette von Terror[552] und Unterdrückung durch SS und Gestapo, das zur Festnahme ihrer Opfer und zu ihrer Haft ohne Gerichtsverfahren, oft ohne Anklage und im allgemeinen ohne Angabe der Dauer der Haft führte.

Meine Kollegen werden das volle Beweismaterial für die verbrecherische Rolle von SS und Gestapo hinsichtlich eines Punktes des Nazi-Terrorismus, nämlich der Konzentrationslager, vorlegen. Hier möchte ich nur darauf hinweisen, daß die SS durch ihr Spionagesystem die Opfer ausfindig machte, daß die Kriminalpolizei und die Gestapo sie festnahmen und in die Lager brachten, und daß die Konzentrationslager von der SS verwaltet wurden.

Unserer Meinung nach hat der Gerichtshof bereits ekelerregende Beweise der Brutalität in den Konzentrationslagern durch die Vorführung der Filme empfangen. Außerdem sind Einzelverfahren vor anderen Gerichten im Gange, in denen diese Gewalttätigkeiten in allen Einzelheiten dargestellt werden. Deshalb haben wir nicht die Absicht, ein Verzeichnis über alle einzelnen Grausamkeiten vorzulegen, wir wollen vielmehr den Beweis über die grundlegenden Zwecke erbringen, für die diese Lager verwendet wurden, für die Terrormethoden, die angewandt wurden, für die Riesenzahl der Opfer und für den Tod und die Qualen, die sie verursachten.

Die Beweise, die sich auf Konzentrationslager beziehen, sind in einem Dokumentenbuch unter dem Buchstaben »S« zusammengefaßt. Ich möchte bemerken, daß die Dokumente in diesem Buch in der Reihenfolge ihrer Vorlage angeordnet wurden und nicht, wie wir es bisher gehandhabt haben, nach Nummern. Ein Dokument aus diesem Buch, und zwar 2309-PS ist mehrmals erwähnt; wir haben es daher mit einer Klappe gekennzeichnet, um das Zurückblättern zu diesem Dokument zu erleichtern. Auf diese Urkunde wird mehr als einmal verwiesen werden.

Die Nazis erkannten frühzeitig, daß sie ohne äußerst drastische Unterdrückung jedes wirklichen und möglichen Widerstands ihre Macht über das deutsche Volk nicht festigen konnten. Wir haben gesehen, daß unmittelbar nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, die Verschwörer sofort die bürgerlichen Freiheiten durch die Notverordnung des Präsidenten vom 28. Februar 1933 aufhoben. Dies ist Dokument 1390-PS im Dokumentenbuch; es enthält die Verordnung, die dem Gerichtshof bereits zum Beweis vorgelegt wurde und die in dem Beweisstück US-B enthalten ist. Diese Verordnung war die Grundlage für die sogenannte »Schutzhaft«, die schreckliche Vollmacht, mit der man Leute ohne Gerichtsverfahren einsperren konnte. Dokument 2499-PS zeigt dies klar, es ist ein typischer Schutzhaft-Befehl. Wir legen es daher als typischen Schutzhaft-Befehl vor, der in den Besitz der Anklagebehörde gelangt ist. Es ist Beweisstück US-232, und ich möchte aus dem Text dieses Befehls verlesen:

[553] »Schutzhaft-Befehl.

Auf Grund des Paragraphen 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (Reichsgesetzblatt I, Seite 83) werden Sie im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Schutzhaft genommen.

Gründe: Verdacht staatsfeindlicher Betätigung«.

Der Angeklagte Göring suchte in einem Buche mit dem Titel: »Aufbau einer Nation«, das im Jahre 1934 veröffentlicht wurde, anscheinend den Eindruck zu erwecken, daß die Konzentrationslager ursprünglich für Leute bestimmt waren, die die Nazis als Kommunisten und Sozialdemokraten ansahen. Wir verwiesen auf Dokument 2324-PS, US-233. Dieses Dokument ist ein Auszug aus Seite 89 des deutschen Buches. Wir verwiesen auf den dritten und vierten Absatz des Dokumentes und verlesen wie folgt:

»Mit ganzer Rücksichtslosigkeit mußte gegen die Staatsfeinde vorgegangen werden. Es darf nicht vergessen werden, daß im Augenblick unserer Machtübernahme sich offiziell laut Reichstagswahl vom März zum Kommunismus über 6 Millionen Menschen und zum Marxismus etwa 8 Millionen bekannten.... So entstanden die Konzentrationslager, in die wir zunächst Tausende von Funktionären der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei einliefern mußten.«

In der Praxis war die Vollmacht, die Haft in diesen Lagern anzuordnen, fast unbegrenzt. Der Angeklagte Frick machte dies in einer Verordnung, die er als Innenminister am 25. Januar 1938 erließ, ganz klar. Ein Auszug aus dieser Verordnung ist Dokument 1723-PS, auf das wir Bezug nehmen. Es ist Beweisstück US-206. Ich möchte Paragraph 1 verlesen; und zwar beginne ich auf Seite 5 unter der englischen Übersetzung dieser Verordnung:

»Die Schutzhaft kann als Zwangsmaßnahme der Geheimen Staatspolizei zur Abwehr aller volks- und staatsfeindlichen Bestrebungen gegen Personen angeordnet werden, die durch ihr Verhalten den bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates gefährden.«

Ich möchte auch die ersten beiden Absätze dieser Verordnung in das Protokoll verlesen, die sich auf Seite 1, oben, oder, englischen Übersetzung befinden.

»In Zusammenfassung aller bisher über die Zusammenarbeit zwischen der Partei und der Geheimen Staatspolizei erlassenen Anordnungen weise ich auf folgendes hin bzw. verfüge ich:

1. Der Geheimen Staatspolizei ist vom Führer der Auftrag übertragen worden, die Feinde der Partei und des nationalsozialistischen Staates sowie alle gegen beide gerichteten« [554] zersetzenden Kräfte aller Art zu überwachen und unschädlich zu machen. Die erfolgreiche Lösung dieser Aufgabe bildet eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die ungestörte und reibungslose Arbeit der Partei. Der Geheimen Staatspolizei ist bei dieser äußerst schwierigen Tätigkeit durch die NSDAP in jeder Weise Hilfestellung zu leisten und Unterstützung zu gewähren.«

Die Verschwörer haben damals ihre Terrormaschine gegen »Staatsfeinde«, gegen »zersetzende Kräfte« und gegen Leute, die den Staat »durch ihre Haltung« gefährdeten, gerichtet. Wer war es, der ihrer Meinung nach zu diesen breiten Kategorien gehörte? In erster Linie waren es die Deutschen, die Frieden wollten. Wir verweisen diesbezüglich auf Dokument L-83, US-234.

VORSITZENDER: Was war das Datum dieses Dokuments, auf das Sie sich soeben berufen haben, Nummer 1723-PS?

MR. DODD: Der 25. Januar 1938. Es ist bereits vorgelegt worden und befindet sich in Beweisstück US-B. Dieses Dokument enthält eine eidesstattliche Erklärung des Gerhart H. Seger, und ich möchte nur Seite 1, Absatz 2 davon verlesen:

»... 2. Während der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis zu meiner Einlieferung in das Leipziger Gefängnis und in das Konzentrationslager Oranienburg im Frühjahr 1933 nach der Machtübernahme durch die Nazis im Januar desselben Jahres war ich durch meine geschäftliche Tätigkeit und meine politischen Verbindungen dem vollen Ansturm der Nazi-Theorien und ihrer brutalen militärischen und terrorisierenden Gepflogenheiten ausgesetzt. Meine Zusammenstöße mit den Nazis auf Grund meiner Verbindung mit der Friedensbewegung und als ein Mitglied des Reichstags, der eine politische Richtung vertrat (Sozialdemokratische Partei), die dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstand, zeigten ganz deutlich, daß selbst in der Zeit vor 1933 die Nazis Verbrechen und Terrormaßnahmen als notwendige und erwünschte Waffen betrachteten, um über die demokratische Opposition die Überhand zu gewinnen.«

Ich gehe nun zu Seite 5 desselben Dokuments über, und zwar zu Absatz (e):

»Daß die Nazis schon die Idee der Konzentrationslager als ein Mittel der Unterdrückung und Knebelung von Oppositionselementen geboren hatten, wurde mir im Laufe einer Unterhaltung mit Dr. Wilhelm Frick im Dezember 1932 klar zum Bewußtsein gebracht. Frick war zu jener Zeit Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Reichstag, dessen Mitglied ich war. Als ich Frick meinen Standpunkt [555] in einer besonderen Angele genheit, die gerade zur Diskussion stand, klar machte, antwortete er: ›Schon gut, wenn wir zur Macht kommen, werden wir Euch Kerle alle ins Konzentrationslager stecken!‹ Als die Nazis zur Macht kamen, wurde Frick zum Innenminister ernannt und rührte zusammen mit Göring, als der Chef der preußischen Staatspolizei, und Himmler seine Drohung prompt aus.«

Dieser Absatz beweist klar, daß die Nazis, noch ehe sie in Deutschland die Macht ergriffen, bereits den Plan gefaßt hatten, jeden nur möglichen Widerstand mit Terror zu unterdrücken, und Fricks Erklärung Seger gegenüber stimmt völlig mit einem früheren Ausspruch überein, den er am 18. Oktober 1929 gemacht hat. Wir verweisen hierzu auf Dokument 2513-PS, US-235, das gleichfalls zum Beweis vorgelegt und im Beweisstück US-B enthalten ist. Wir verweisen auf die erste Seite der englischen Übersetzung, Seite 48 des deutschen Textes. Auf Seite 1 beginnt das Zitat:

»Dieser Schicksalskampf wird zunächst mit dem Stimmzettel geführt, er kann aber nicht von Dauer sein, denn die Geschichte hat es uns gelehrt, daß im Kampfe Blut fließt und Eisen gebrochen wird. Der Stimmzettel ist der Anfang zu diesem Schicksalskampf. Wir sind entschlossen, mit der Faust zu verteidigen, was wir predigen. Genau so wie Mussolini die Marxisten in Italien ausgerottet hat, so muß es auch bei uns durch Diktatur und Terror er reicht werden.«


VORSITZENDER: Ist das der Angeklagte?

MR. DODD: Ja, der Angeklagte Frick. Es gab noch viele andere Fälle, in denen man sich der Konzentrationslager bediente, um gegen Leute vorzugehen, die den Frieden wollten. Es gab zum Beispiel eine Gruppe, die sogenannten Bibelforscher, von denen die meisten als »Jehovas Zeugen« bekannt waren. Sie waren Pazifisten, und so ließen die Verschwörer sie nicht nur vor ordentlichen Gerichten verfolgen, sondern noch nach Verbüßung ihrer Gerichtsstrafen in Konzentrationslagern festhalten. Wir verweisen hierzu auf Dokument Nummer D-84, US-236.

Dieses Dokument ist vom 5. August 1937 datiert und stellt einen Befehl der Geheimen Staatspolizei in Berlin dar. Ich verweise ganz besonders auf den ersten und letzten Absatz dieses Befehls, der wie folgt lautet:

»Der Herr Reichsminister der Justiz hat mir mitgeteilt, daß er die verschiedentlich von den ihm nachgeordneten Behörden geäußerte Meinung, die Inschutzhaftnahme der Bibelforscher nach Strafverbüßung gefährde die Autorität der Gerichte, nicht teile. Die Notwendigkeit staatspolizeilicher Maßnahmen, auch nach Strafverbüßung sei ihm durchaus verständlich. [556] Er bittet jedoch, die Verbringung der Bibelforscher in Schutzhaft nicht unter Be gleitumständen vorzunehmen, die dem Ansehen der Gerichte abträglich sein könnten.«

Ich komme nun zu Punkt 2:

»Wird von den Strafvollstreckungsbehörden über die bevorstehende Entlassung von Bibelforschern aus der Strafhaft Mitteilung gemacht, so ist umgehend meine Entscheidung über Anordnung staatspolizeilicher Maßnahmen gemäß meinem vorbezeichneten RdErl. vom 22. 4. 1937 einzuholen, damit die Überführung in ein Konzentrationslager unmittelbar im Anschluß an die Strafverbüßung erfolgen kann. Solange die Überführung in ein Konzentrationslager nicht unmittelbar nach der Strafverbüßung erfolgen kann, sind die Bibelforscher in Polizeigefängnissen unterzubringen.«

Die Gewerkschaften, von denen ich mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, daß die Mehrzahl traditionsgemäß Gegner von Angriffskriegen ist, bekamen ebenfalls die volle Gewalt des Nazi-Terrors zu spüren. Major Wallis, ein Mitglied der amerikanischen Anklagebehörde, hat bereits dem Hohen Gerichtshof Beweismaterial für das Vorgehen der Verschwörer gegen die Gewerkschaften vorgelegt. Das Konzentrationslager war eine wichtige Waffe in diesem Feldzug, und der Gerichtshof wird sich des Dokuments 2324-PS erinnern, auf das ich heute Morgen verwiesen habe, in welchem der Angeklagte Göring klar aussprach, daß Angehörige der Sozialdemokratischen Partei in Konzentrationslagern festzuhalten seien. Arbeiterführer waren zum großen Teil Mitglieder dieser Partei, und so lernten sie bald die Schrecken der Schutzhaft kennen. Ich verweise auf Dokument 2330-PS, US-237, welches bereits als Bestandteil von Beweisstück US-G vorgelegt wurde; es enthält einen Befehl, daß ein gewisser Josef Simon in Schutzhaft zu nehmen sei. Wir verweisen auf die Mitte der ersten Seite der englischen Übersetzung dieses Befehls, beginnend mit dem Wort »Gründe«:

VORSITZENDER: Ich denke, Sie sollten mit dem vorhergehenden Satz beginnen, zwei Zeilen weiter oben; dort heißt es: »Gegen die Verhängung der Schutzhaft steht dem Verhafteten kein Beschwerderecht zu.«

MR. DODD: »Gegen die Verhängung der Schutzhaft steht dem Verhafteten kein Beschwerderecht zu.« Dann kommt die Überschrift »Gründe«:

»Simon war langjähriges Mitglied der SPD, vorübergehend der USP. Von 1907 bis 1918 war er Landtagsabgeordneter der SPD und von 1908 bis 1930 sozialdemokratischer Stadtrat in Nürnberg. Im Hinblick auf die maßgebende Rolle, die Simon in der internationalen Gewerkschaftsbewegung spielte, [557] wie auf seine auch nach der nationalen Erhebung fortbestehenden Verbindungen zu internationalen, marxistischen Führern und Zentralstellen, wurde er am 3. 5. 33 in Schutzhaft genommen und bis 25. 1. 34 im Konzentrationslager Dachau untergebracht. Simon steht in dem dringenden Verdacht, noch nach diesem Zeitpunkt für die illegale Fortführung der Sozialdemokratischen Partei tätig gewesen zu sein. Er beteiligte sich an Besprechungen, die die illegale Fortführung der Sozialdemokratischen Partei, sowie die Verbreitung von illegalen marxistischen Druckschriften in Deutschland zum Ziele hatten. Durch dieses radikale staatsfeindliche Verhalten gefährdet Simon unmittelbar die öffentliche Sicherheit und Ordnung.«

Wir werden diesen Prozeß nicht mit der Wiederholung solcher Fälle belasten; wir möchten den Hohen Gerichtshof jedoch auf Dokumente aufmerksam machen, die im Zusammenhang mit der Beweisführung über die Zerstörung der Gewerkschaften vorgelegt wurden. Insbesondere möchten wir auf die Dokumente Nummer 2334-PS und 2928-PS, US-238 und 239, die beide Teile des Beweisstücks US-G sind, verweisen.

Tausende von Juden wurden, wie der ganzen Welt bekannt ist, in diesen Konzentrationslagern gehalten. Das Beweismaterial zu diesem Gegenstand wird bei einem späteren Vorbringen von einem anderen Mitglied der Anklagevertretung der Vereinigten Staaten erörtert werden. Aber aus der großen Anzahl der hierzu vorliegenden Beweise über Inhaftierung von Deutschen aus dem einzigen Grunde, weil sie Juden waren, möchte ich Dokument 3051-PS als Beweisstück US-240 vorlegen. Es ist dies die Abschrift eines Fernschreibens von SS-Gruppenführer Heydrich, das vom 10. November 1938 datiert ist. Es wurde »an alle Staatspolizei(leit)stellen und Staatspolizeistellen, an alle SD-Oberabschnitte und SD-Unterabschnitte« gesandt. Wir verweisen auf Absatz 5 dieses Fernschreibens, Seite 3 der englischen Übersetzung. Es beginnt unten auf Seite 2 und fährt auf Seite 3 fort. Ich verlese Punkt 5:

»Sobald der Ablauf der Ereignisse dieser Nacht die Verwendung der eingesetzten Beamten hierfür zuläßt, sind in allen Bezirken so viele Juden – insbesondere wohlhabende – festzunehmen, als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können. Es sind zunächst nur gesunde männliche Juden nicht zu hohen Alters festzunehmen. Nach Durchführung der Festnahme ist unverzüglich mit den zuständigen Konzentrationslagern wegen schnellster Unterbringung der Juden in den Lagern Verbindung aufzunehmen. Es ist besonders darauf zu achten, daß die auf Grund dieser Weisung festgenommenen Juden nicht mißhandelt werden.«

[558] Im Jahre 1934 deutete Himmler an, daß die Einsperrung der Juden in Konzentrationslager nicht nur aus Gründen der Nazi-Rassentheorie erfolgt war. Himmler deutete vielmehr an, daß diese Politik motiviert worden war mit der Furcht, die Juden könnten ein Hindernis für die Aggression sein. Es ist nicht nötig, zu erwägen, ob diese Furcht gerechtfertigt war. Wichtig ist, daß diese Furcht bestand, und im Zusammenhang damit verweisen wir auf Dokument 1919-PS, US-170. Das Dokument enthält eine Rede, die von Himmler bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943 gehalten wurde, in der er die antijüdische Politik der Nazis zu rechtfertigen suchte. Wir verweisen auf einen Teil dieses Dokuments oder dieser Rede auf Seite 4, Absatz 3 der englischen Übersetzung, der mit den Worten beginnt: »Ich meine jetzt die Judenevakuierung.«

»Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ›Das jüdische Volk wird ausgerottet‹, sagt ein jeder Parteigenosse, ›ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.‹ Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte, denn wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten.«

Wir behaupten, daß aus dem Vorhergesagten klar hervorgeht, daß vor dem Beginn der Aggression der Nazis das Konzentrationslager eine der Hauptwaffen darstellte, mit welchen die Verschwörer den sozialen Zusammenhalt erreichten, der zur Ausführung ihrer Angriffspläne nötig war. Nachdem sie mit dem Angriff begonnen hatten und ihre Armeen Europa überrannten, brachten sie Konzentrationslager in die besetzten Länder und brachten die Bürger dieser besetzten Länder nach Deutschland, wo sie dem ganzen Apparat von Nazi-Brutalität ausgesetzt wurden.

Dokument Nummer R-91, US-241, enthält eine Mitteilung von Müller an Himmler, den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, [559] vom 16. Dezember 1942 über die Verhaftung polnischer Juden und deren Verbringung in Konzentrationslager nach Deutschland. Ich beginne mit dem ersten Absatz:

»Im Zuge der bis 30. Januar 1943 befohlenen verstärkten Zuführung von Arbeitskräften in die KL, kann auf dem Gebiete des Judensektors wie folgt verfahren werden:

1. Gesamtzahl 45000 Juden

2. Transportbeginn 11. 1. 1943

Transportende 31. 1. 1943

(Die Reichsbahn ist nicht in der Lage, in der Zeit vom 15. 12. 1942 bis 10. 1. 1943 infolge des verstärkten Wehrmachtsurlaubverkehrs Sonderzüge für die Evakuierung bereitzustellen.)

3. Aufgliederung: Die 45000 Juden verteilen sich auf 30000 Juden aus dem Bezirk Bialystok, 10000 aus dem Ghetto Theresienstadt. Davon 5000 arbeitsfähige Juden, die bisher für im Ghetto erforderliche kleinere Arbeiten eingesetzt waren und 5000 im allgemeinen arbeitsunfähige, auch über 60 Jahre alte Juden.«

Ich überspringe den nächsten Satz:

»Es würden, wie bisher, für den Abtransport nur Juden, die über keine besonderen Beziehungen und Verbindungen verfügen und keine hohen Auszeichnungen besitzen, erfaßt. 3000 Juden aus den besetzten niederländischen Gebieten; 2000 Juden aus Berlin = 45000. In der Zahl von 45000 ist der arbeitsunfähige Anhang (alte Juden und Kinder) mit Inbegriffen. Bei Anlegung eines zweckmäßigen Maßstabes fallen bei der Ausmusterung der ankommenden Juden in Auschwitz mindestens 10000 bis 15000 Arbeitskräfte an.«

Die Juden von Ungarn erlitten dasselbe tragische Schicksal. In der Zeit vom 19. März bis zum 1. August 1944 wurden mehr als 400000 ungarische Juden zusammengetrieben. Viele davon wurden in Waggons gesteckt und nach Vernichtungslagern transportiert. Wir verweisen auf Dokument 2605-PS, US-242. Es ist eine in London abgegebene eidesstattliche Erklärung von Dr. Rudolph Kastner, einem früheren Beamten der Ungarischen Zionistischen Organisation. Ich verlese den dritten Absatz auf Seite 3:

»Im März 1944 kam zusammen mit der deutschen militärischen Besetzung ein Spezialkommando der deutschen Geheimpolizei in Budapest an, dessen einzige Aufgabe war, die Juden in Ungarn zu liquidieren. An seiner Spitze stand Adolf Aichmann, SS-Obersturmbannführer, Chef der Abteilung IV B, des Reichssicherheitsamtes. Seine nächsten Mitarbeiter waren: [560] SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey, Hauptsturmführer Wisliczeny, Hunsche, Novak, Dr. Seidl, später Dannecker und Wrtok. Sie verhafteten alle Führer des jüdischen politischen und geschäftlichen Lebens und Journalisten, zusammen mit den ungarischen demokratischen und antifaschistischen Politikern. Das ›Interregnum‹, das der deutschen Besetzung folgte und vier Tage dauerte, ausnützend, setzten sie ihre Quislinge in das Innenministerium.«

Ich verlese nun auf Seite 7, Absatz 8 des gleichen Dokuments und beginne, wo es heißt: »Die Kommandanten der Todeslager...«:

»Die Kommandanten der Todeslager vergasten nur auf direkten oder indirekten Befehl von Aichmann. Der besondere Offizier von IV B, der die Deporta tionen aus einem bestimmten Land leitete, hatte die Vollmacht, zu bestimmen, ob der Zug in ein Todeslager gehen sollte oder nicht, sowie, was mit den Passagieren zu geschehen habe. Die Befehle wurden gewöhnlich von SS-Unteroffizieren, die den Zug begleiteten, ausgeführt. Die Buchstaben ›A‹ oder ›M‹ auf den Begleitpapieren deuteten Auschwitz (Oswiecim) oder Maidanek an. Sie bedeuteten, daß die Passagiere vergast werden sollten.«

Ich überspringe den nächsten Satz und komme zu folgender Stelle:

Bezüglich der ungarischen Juden wurden in Oswiecim folgende allgemeine Regeln festgelegt: Kinder bis zu 12 oder 14 Jahren und alte Leute über 50, sowie Kranke oder Personen mit Vorstrafen (die in besonders gekennzeichneten Wagen befördert wurden) wurden sofort nach Ankunft in die Gaskammern gebracht.

Die Übrigen wurden einem SS-Arzt vorgeführt, der auf das bloße Ansehen hin bestimmte, wer arbeitsfähig und wer nicht arbeitsfähig war. Die Arbeitsunfähigen wurden in die Gaskammern gebracht, während die anderen auf die verschiedenen Arbeitslager verteilt wurden.«

In den sogenannten »Ostgebieten« wurden diese Opfer zum Zweck der Vernichtung festgenommen....

VORSITZENDER: Herr Dodd, wollen Sie nicht zum Beweis für die von Ihnen genannten Zahlen von Seite 5 verlesen, wo es heißt »bis zum 27. Juni 1944«? Sie haben uns noch keine Quelle für die Ziffern angegeben, die Sie genannt haben.

MR. DODD: Ja, auf Seite 5 des gleichen Dokuments 2605-PS heißt es: »Bis zum 27. Juni 1944 wurden 475000 Juden verschleppt.«

In den sogenannten »Ostgebieten« wurden diese Opfer verhaftet, um in Konzentrationslagern ermordet zu werden, ohne daß man auch nur Beschuldigungen gegen sie erhob. In den besetzten Gebieten [561] des Westens sind anscheinend gegen einige dieser Opfer Beschuldigungen vorgebracht worden. Einige der Beschuldigungen, welche die Nazi-Verschwörer als genügend für eine Inhaftierung in einem Konzentrationslager angesehen haben, sind in Dokument L-215, US-243, angeführt. Dieses Dokument ist eine Zusammenfassung eines Aktenstücks, das die Verhaftung von 25 Personen in Luxemburg zwecks Verschickung in verschiedene Konzentrationslager behandelt und Beschuldigungen gegen jede einzelne Person enthält. Ich beginne unten auf der ersten Seite mit dem Absatz unter dem Namen »Henricy« und lese:

»Name: Henricy«, Beschuldigung: «... indem er mit Angehörigen der illegalen Widerstandsbewegung Verbindung unterhielt und sich von ihnen unter Verstoß gegen devisenrechtliche Bestimmungen Geldmittel verschaffte, die Belange des Rei ches schädigt, und erwarten läßt, er werde auch in Zukunft gesetzliche und behördliche Anordnungen mißachten und sich deutschfeindlich verhalten. Konzentrationslager Natzweiler.«

Dann kommt der Name »Krier« und Beschuldigung:

»..., daß er fortgesetzte Arbeitssabotage treibt und auf Grund seines politischen und kriminellen Vorlebens zu der Befürchtung Anlaß gibt, er werde in Freiheit sein asoziales Treiben fortsetzen.... Konzentrationslager Buchenwald.«

Ich gehe nun auf die Mitte der Seite 2 über und lese unter dem Namen »Monti«, Beschuldigung:

»... da er der Beihilfe zur Fahnenflucht dringend verdächtig ist.... Konzentrationslager Sachsenhausen.«

Sodann folgt auf den Namen »Junker« Beschuldigung:

»... da er als Angehöriger einer fahnenflüchtigen Person erwarten läßt, er werde in Freiheit die Belange des Großdeutschen Reiches schädigen.... Konzentrationslager Sachsenhausen.«

Der nächste Name ist der »Jäger«, und die Beschuldigung gegen Jäger lautet:

»... indem er als Angehöriger eines Fahnenflüchtigen erwarten läßt, er werde in Freiheit jede Gelegenheit zur Schädigung der Belange des Großdeutschen Reiches wahrnehmen.... Konzentrationslager Sachsenhausen.«

Dann folgt der Name »Ludwig«, und die Beschuldigung gegen Ludwig lautet, daß er

»der Beihilfe zur Fahnenflucht dringend verdächtig ist. Konzentrationslager Dachau.«

Nicht nur Zivilpersonen aus den besetzten Gebieten, sondern auch Kriegsgefangene waren den Schrecken und der Brutalität in [562] den Konzentrationslagern ausgesetzt. Ich verweise hier auf Urkunde 1165-PS, US-244. Dieses Dokument ist eine Aufzeichnung, Schnellbrief, gerichtet an alle Offiziere der Staatspolizei vom 9. November 1941, unterschrieben von Müller, dem Chef der Gestapo. Die Aufzeichnung trägt den aufschlußreichen Titel »Transport der zur Exekution bestimmten sowjetrussischen Kriegsgefangenen in die Konzentrationslager.«

Ich möchte aus dem Inhalt der Aufzeichnung auf Seite 2 der englischen Übersetzung verlesen. Es heißt dort wörtlich:

»Die Kommandanturen der Konzentrationslager führen Klage darüber, daß etwa 5 bis 10 % der zur Exekution bestimmten Sowjetrussen tot oder halbtot in den Lagern ankommen. Es erweckt daher den Eindruck, als würden sich die Stalags auf diese Weise solcher Gefangener entledigen. Insbesondere ist festgestellt worden, daß bei Fußmärschen, z. B. vom Bahnhof zum Lager eine nicht unerhebliche Zahl von Kriegsgefangenen wegen Erschöpfung unterwegs tot oder halbtot zusammenbricht und von einem nachfolgenden Wagen aufgelesen werden muß.

Es ist nicht zu verhindern, daß die deutsche Bevölkerung von diesen Vorgängen Notiz nimmt.

Wenn auch derartige Transporte bis zum Konzentrationslager in der Regel von der Wehrmacht durchgeführt werden, so wird die Bevölkerung doch diesen Sachverhalt auf das Konto der SS buchen. Um derartige Vorgänge in Zukunft nach Möglichkeit auszuschließen, ordne ich daher mit sofortiger Wirkung an, daß als endgültig verdächtig ausgesonderte Sowjetrussen, die bereits offensichtlich dem Tode verfallen sind (z. B. bei Hungertyphus) und daher den Anstrengungen, insbesondere eines, wenn auch kurzen Fußmarsches, nicht mehr gewachsen sind, in Zukunft grundsätzlich vom Transport in die Konzentrationslager zur Exekution auszuschließen sind.«

Weiteres Beweismaterial darüber, daß russische Kriegsgefangene in Konzentrationslagern festgehalten wurden, findet sich in einem amtlichen Bericht über die Untersuchung des Konzentrationslagers Flossenbürg durch das Hauptquartier der 3. Amerikanischen Armee, Abteilung Armeejustiz, und im besonderen der Kriegsverbrechen-Abteilung, vom 21. Juni 1945: Es ist unser Dokument 2309-PS, US-245. Die beiden letzten Sätze auf Seite 2, unten, des englischen Textes lauten, und ich zitiere:

»Im Jahre 1941 wurde dem Lager Flossenbürg ein zusätzliches Gefangenenlager angeschlossen, um 2000 russische Gefangene aufzunehmen. Von diesen 2000 Gefangenen blieben nur 102 am Leben.«

[563] Russische Kriegsgefangene fanden aber auch ihre Alliierten in den Konzentrationslagern vor; das zeigt sich auf Seite 4 des gleichen Dokuments, 2309-PS, insbesondere Absatz 5 auf Seite 4:

»Unter den Opfern von Flossenbürg befanden sich russische Zivilisten und Kriegsgefangene, deutsche Staatsangehörige, Italiener, Belgier, Polen, Tschechen, Ungarn, britische und amerikanische Kriegsgefangene. Zur Vervollständigung der Liste der Opfer dieser Lager standen praktische Mittel nicht zur Verfügung, jedoch wird die Zahl der mit Lagergründung 1938 bis zum Tage der Befreiung Getöteten auf mehr als 29000 Insassen geschätzt.«

Entflohene Kriegsgefangene wurden von den Verschwörern in Konzentrationslager gesandt, und diese Lager waren speziell als Vernichtungslager eingerichtet. Ich verweise hierzu auf Dokument 1650-PS, US-246. Bei diesem Dokument handelt es sich um eine Mitteilung der Geheimen Staatspolizei in Köln vom 4. März 1944. Oben am Anfang der Seite 1 des englischen Textes erscheint der Vermerk »Geheim durchgegeben, als geheime Reichssache zu behandeln«. Ich zitiere vom dritten Absatz:

»Betrifft Maßnahmen gegen wiederergriffene flüchtige kriegsgefangene Offiziere und nichtarbeitende Unteroffiziere mit Ausnahme britischer und amerikanischer Kriegsgefangener. Das OKW hat folgendes angeordnet:

1. Jeder wiederergriffene flüchtige kriegsgefangene Offizier und nichtarbeitende Unteroffizier, mit Ausnahme britischer und amerikanischer Kriegsgefangener, gleichgültig, ob es sich um eine Flucht beim Transport, um eine Massenflucht oder Einzelflucht handelt, ist nach seiner Wiederergreifung dem Chef der Sipo und des SD mit dem Kennwort ›Stufe ROEM. 3‹ zu übergeben.

2. Da die Überstellung der Kriegsgefangenen an die Sicherheitspolizei und den SD nach außen unter keinen Umständen offiziell bekannt werden darf, dürfen andere Kriegsgefangene von der Wiederergreifung keinesfalls Kenntnis erhalten. Die Wiederergriffenen sind der Wehrmachtsauskunftsstelle als ›geflohen und nicht wiederergriffen‹ zu melden. Ihre Post ist entsprechend zu behandeln. Auf Anfragen von Vertretern der Schutzmacht, des Internationalen Roten Kreuzes und anderen Hilfsgesellschaften wird die gleiche Auskunft gegeben werden.«

Die gleiche Mitteilung enthielt auch die Abschrift eines Befehls des SS-Generals Müller, der in Vertretung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD handelte, mit Anweisung an die Gestapo, entflohene, wiederergriffene Gefangene direkt nach Mauthausen zu transportieren. Ich zitiere die ersten beiden Absätze des Befehls von [564] Müller, der auf Seite 1, unten, anfängt und bis Seite 2 des englischen Textes weiter geht. Ich zitiere:

»Die Staatspolizei-Leitstellen übernehmen von den Stalagkommandanturen die wiederergriffenen flüchtigen kriegsgefangenen Offiziere und überführen sie im bisher üblichen Verfahren, falls den Umständen nach nicht ein besonderer Transport erforderlich erscheint, in das KL. Mauthausen. Auf dem Transport – nicht auf dem Wege zum Bahnhof, soweit dieser vom Publikum eingesehen werden kann – sind die Kriegsgefangenen zu fesseln. Der Lagerkommandantur Mauthausen ist mitzuteilen, daß die Überstellung im Rahmen der Aktion ›Kugel‹ erfolgt. Über die Überstellung ist von den Staatspolizei-Leitstellen halbjährlich rein zahlenmäßig, erstmalig zum 5. 7. 44 (genau) Bericht zu erstatten.«

Ich lasse die nächsten drei Sätze aus und komme zu folgendem Satz:

»Das OKW ist gebeten worden, die Kriegsgefangenenlager anzuweisen, im Interesse der Tarnung die Wiederergriffenen nicht unmittelbar nach Mauthausen, sondern der örtlich zuständigen Staatspolizeistelle zu übergeben.«

Es ist kein Zufall, daß die wörtliche Übersetzung für das deutsche Wort »Kugel« im Englischen »bullet« ist, denn Mauthausen, wohin die wiederergriffenen Gefangenen gesandt wurden, war ein Vernichtungslager.

Die Nazi-Eroberung war gekennzeichnet durch die Errichtung von Konzentrationslagern in ganz Europa. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf Dokument R-129, ein Bericht über Standorte der Konzentrationslager, gezeichnet von Pohl, einem SS-General, der mit der Leitung des Konzentrationslager-Arbeitseinsatzes beauftragt war. Dokument R-129 ist das Beweisstück US-217.

Ich möchte besonders auf Seite 1, Abschnitt 1, Absatz 1 und 2 des englischen Textes dieses Dokuments verweisen. Es ist an Reichsführer SS gerichtet und trägt den Stempel »Geheim«:

»Reichsführer! Ich berichte Ihnen heute über die augenblickliche Lage der Konzentrationslager, über Maßnahmen, welche ich getroffen habe, um Ihren Befehl vom 3. März 1942 durchzuführen:

1. Bei Kriegsausbruch waren folgende Konzentrationslager vorhanden:

a) Dachau 1939, 4000 Gefangene;

heute 8000

b) Sachsenhausen 1939, 6500 Gefangene;

heute 10000

c) Buchenwald 1939, 5300 Gefangene;

heute 9000

d) Mauthausen 1939, 1500 Gefangene;

heute 5500

e) Flossenbürg 1939, 1600 Gefangene;

heute 4700

f) Ravensbrück 1939, 2500 Gefangene;

heute 7500«

[565] Im Absatz 2 heißt es, und ich zitiere:

»2. In den Jahren 1940 und 1942 wurden neun weitere Lager errichtet, und zwar:

a) Auschwitz.

b) Neuengamme.

c) Gusen.

d) Natzweiler.

e) Groß-Rosen.

f) Lublin.

g) Niederhagen.

h) Stutthof.

i) Arbeitsdorf.«

Außer den Lagern im besetzten Gebiet, die in diesem Dokument R-129 genannt sind, aus dem ich diese Namen und Zahlen soeben verlesen habe, gab es noch viele, viele andere. Ich verweise auf den offiziellen Bericht des Hauptquartiers der 3. Amerikanischen Armee, auf den ich mich schon früher berufen habe. Er befindet sich in der Urkunde 2309-PS, und ich zitiere von Seite 2 des englischen Textes, Abschnitt IV, Absatz 4:

»Konzentrationslager Flossenbürg wurde im Jahre 1938 als Lager für politische Gefangene gegründet. Bauarbeiten begannen 1938; der erste Gefangenentransport traf erst April 1940 ein.

Von diesem Zeitpunkt an begann ein steter Zustrom von Gefangenen in das Lager (Beweisstück B-1). Flossenbürg war das Hauptlager, und unter seiner unmittelbaren Kontrolle befanden sich 47 unterstellte Lager oder Außenkommandanturen für männliche Gefangene und 27 Lager für Arbeiterinnen. Diesen Außenkommandanturen wurden die erforderlichen Gefangenen für die in Angriff genommenen verschiedenen Arbeitsprojekte geliefert.

Von all diesen Außenkommandanturen wurden Hersbruck und Leitmeritz (in der Tschechoslowakei), Oberstaubling, Mulsen und Sall (an der Donau) als die schlimmsten Lager betrachtet.«

Ich möchte die Zeit des Gerichtshofs nicht dafür in Anspruch nehmen, jedes einzelne der Nazi-Konzentrationslager zu besprechen, mit denen Europa übersät war. Wir sind der Ansicht, daß der weitverbreitete Gebrauch dieser Konzentrationslager allgemein bekannt ist. Wir wollen jedoch dem Gerichtshof eine Tabelle vorführen, die wir angefertigt haben. Die starken schwarzen Linien bezeichnen die Grenzen Deutschlands nach dem Anschluß. Wir möchten den Gerichtshof auf die Tatsache aufmerksam machen, daß die Mehrzahl der Lager, die auf dieser Tabelle eingezeichnet sind, sich innerhalb der Grenzen Deutschlands selbst befinden. Es sind die [566] roten Punkte auf der Karte. In der Mitte Deutschlands liegt in der Nähe von Weimar das Lager Buchenwald, und am äußersten unteren Ende der Tabelle befindet sich Dachau, wenige Meilen von München entfernt; am oberen Rand der Karte finden Sie Neuengamme und Bergen- Belsen in der Nähe von Hamburg. Links davon ist das Lager Niederhagen im Ruhrtal. Rechts oben sehen Sie eine ganze Reihe von Lagern in der Nähe von Berlin, darunter Sachsenhausen, früher Oranienburg, eines der ersten Lager, das nach der Machtübernahme durch die Nazis errichtet wurde. In der Nähe davon ist das Lager Ravensbrück, das ausschließlich für Frauen bestimmt war. Einige der bekanntesten Lager befanden sich außerhalb Deutschlands. Mauthausen lag in Österreich. In Polen lag das berüchtigte Auschwitz; und auf der linken Seite der Tabelle befindet sich das Lager Hertogenbosch auf holländischem Gebiet, wie die Karte zeigt; darunter liegt Natzweiler in Frankreich.

Die Lager waren netzartig angelegt, und man kann beobachten, daß jedes der Hauptlager – die größeren roten Punkte – von einer Gruppe von Nebenlagern umgeben ist. Die Namen der bedeutendsten und berüchtigtsten Lager sind über der Karte und darunter auf der Tabelle angegeben. Diese Namen sind für viele Menschen ein Symbol des Nazi-Systems der Konzentrationslager, wie sie für die Welt seit Mai 1945 oder etwas später bekannt geworden sind.

Ich möchte nun unsere Aufmerksamkeit kurz der Behandlung zuwenden, die den Insassen in diesen Lagern zuteil wurde. Der Film, von dem ich vorher sprach, der den Mitgliedern des Hohen Gerichtshofs vorgeführt wurde, hat bereits die schreckliche und grausame Behandlung dieser alliierten Staatsbürger, Kriegsgefangenen und anderen Opfer des Nazi-Terrors gezeigt. Weil dieser Film die Lage, zumindest wie sie zur Zeit der Aufnahme war, deutlich veranschaulicht, will ich mich auf eine ganz kurze Besprechung dieses Gegenstands beschränken.

Wir behaupten, daß die Zustände in diesen Lagernden gleichen Zwecken entsprachen, die diese Nazi-Verschwörer durch Anwendung von Terror außerhalb der Lager zu erzielen versuchten.

Es ist unserer Ansicht nach wirklich erstaunlich, wie leicht dieses Wort »Konzentrationslager« diesen Männern über die Lippen ging. Wie einfach wurden alle Probleme, wenn sie sich der Schreckensinstitute der Konzentrationslager bedienen konnten. Ich verweise auf Dokument R-124, das dem Gerichtshof bereits als US-179 vorliegt. Es ist wieder das Dokument über die Protokolle der Zentralen Planung, deren Leiter der Angeklagte Speer war, und in der die wichtigsten und obersten Pläne der Nazi-Rüstungsproduktion formuliert wurden. Ich habe nicht die Absicht, neuerlich Verlesungen aus dem Dokument vorzunehmen, da ich dies heute Morgen [567] zur Darstellung eines anderen Gegenstands getan habe. Aber es wird dem Gerichtshof noch in Erinnerung sein, daß es diese Sitzung war, in der der Angeklagte Speer und andere über die sogenannten Bummler bei der Arbeit und die Einleitung drastischer Maßnahmen gegen diese Leute sprachen, die nicht genug leisteten, um ihre Herren zufriedenzustellen. Der Angeklagte Speer schlug vor: »SS und Polizei könnten hier ruhig hart zufassen und die Leute, die als Bummelanten bekannt sind, in KZ-Betriebe stecken.« Er gebrauchte den Ausdruck »KZ-Betriebe« und fügte hinzu: »Das braucht nur ein paarmal zu passieren, das spricht sich herum.«

Wir behaupten, daß derartige Aussprüche das Schicksal von vielen Opfern besiegelt haben. Was das »sich herumsprechen« betrifft, das der Angeklagte Speer erwähnte, blieb dies nicht dem Zufall überlassen, wie wir sogleich beweisen werden.

Die Schreckenswirkung der Konzentrationslager auf die Öffentlichkeit war sehr sorgfältig geplant. Um die Atmosphäre des Schreckens zu erhöhen, wurden die Vorgänge in den Lagern geheimgehalten. Was hinter den Stacheldrahtzäunen geschah, war Gegenstand angstvoller Vermutungen in Deutschland und den Ländern unter Nazi-Kontrolle. Dies entsprach der Politik der Nazis vom Augenblick an, in dem sie zur Macht kamen und das System der Konzentrationslager einführten. Wir verweisen jetzt auf Dokument 778-PS, US-247. Es ist dies ein Befehl vom 1. Oktober 1933 vom Lagerkommandanten von Dachau. Das Dokument sieht ein Programm von Prügelstrafen, Einzelhaft und Hinrichtungen für Häftlinge im Falle von Überschreitungen der Vorschriften vor. Unter diesen Vorschriften waren auch solche, die strengste Zensur für alle Mitteilungen über die Zustände im Lager vorsahen; ich verweise auf Seite 1 des englischen Textes und zitiere den Absatz, der mit Paragraph 11 überschrieben ist:

»Wer im Lager, an der Arbeitsstelle, in den Unterkünften, in Küchen und Werkstätten, Aborten und Ruheplätzen zum Zwecke der Aufwiegelung politisiert, aufreizende Reden hält, sich mit anderen zu diesem Zwecke zusammenfindet, Cliquen bildet oder umhertreibt, wahre oder unwahre Nachrichten zum Zwecke der gegnerischen Greuelpropaganda über das Konzentrationslager oder dessen Einrichtungen sammelt, empfängt, vergräbt, weiter erzählt, an fremde Besucher oder an andere weitergibt, mittels Kassiber oder auf andere Weise aus dem Lager hinausschmuggelt, Entlassenen oder Überstellten schriftlich oder mündlich mitgibt, in Kleidungsstücken oder anderen Gegenständen versteckt, mittels Steinen usw. über die Lagermauer wirft, oder Geheimschriften anfertigt, ferner wer zum Zwecke der Aufwiegelung auf Barackendächer und Bäume steigt, durch Lichtsignale oder auf andere Weise[568] Zeichen gibt oder nach außen Verbindung sucht, oder wer andere zur Flucht oder zu einem Verbrechen verleitet, hierzu Ratschläge erteilt oder durch andere Mittel unterstützt, wird kraft revolutionären Rechts als Aufwiegler gehängt.«

Die Zensur über die Lager selbst wurde noch durch eine offiziell geführte Gerüchtepropaganda außerhalb der Lager unterstützt. Man sprach nur im Flüsterton über Konzentrationslager, und diese geflüsterten Gerüchte wurden durch Agenten der Geheimpolizei verbreitet. Als der Angeklagte Speer bemerkte, daß, wenn man mit Konzentrationslagern drohe, sich die Nachricht darüber schnell genug herumsprechen werde, wußte er, wovon er sprach.

Wir verweisen nun auf Dokument 1531-PS. Zu diesem Dokument möchte ich eine kurze Erklärung abgeben. Der Originaltext in deutscher Sprache, die deutsche Originalurkunde, die von uns erbeutet wurde, befand sich hier im Dokumentenraum und wurde, wie unsere Übersetzung zeigt, ins Englische übersetzt. Gestern wurde uns mitgeteilt, daß der deutsche Originaltext leider entweder verloren gegangen oder verlegt worden ist, und daß keine Photokopie in Nürnberg vorhanden ist. Eine beglaubigte Abschrift davon wurde jedoch von Frankfurt abgeschickt und befindet sich heute auf dem Wege hierher. Ich bitte den Gerichtshof um die Genehmigung, die englische Übersetzung des deutschen Originals, die vom Übersetzer als richtig bestätigt ist, als Beweis vorlegen zu dürfen, mit dem Vorbehalt, sie zurückzuziehen, falls die beglaubigte Abschrift des deutschen Originals einlaufen sollte.

Ich verweise nun auf Urkunde 1531-PS, US 248. Dieses Dokument trägt den Vermerk »Geheime Reichssache« und ist an alle Staatspolizei(leit)stellen und an das Geheime Staatspolizeiamt, sowie nachrichtlich an die Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD gerichtet. Es ist ein Befehl, erlassen vom Chef der Gestapo hinsichtlich der Konzentrationslager; ich verlese wörtlich den englischen Text, indem ich mit dem zweiten Absatz beginne:

»Um eine weitergehende abschreckende Wirkung zu erzielen, ist in jedem Einzelfall in Zukunft folgendes zu beachten:...

3. In keinem Falle darf, auch wenn der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei bzw. der Chef der Sicherheitspolizei und des SD die Dauer der Einweisung bereits bestimmt hat, diese Zeitdauer erwähnt werden.

Nach außen ist die Dauer der Einweisungen in ein Konzentrationslager stets mit ›bis auf weiteres‹ anzugeben. Hingegen bestehen keine Bedenken, wenn in schweren Fällen durch die Auslösung einer geschickt einsetzenden Flüsterpropaganda die abschreckende Wirkung erhöht wird, etwa in dem Sinne, man habe gehört, daß der Eingewiesene im Hinblick auf die [569] Schwere des Falles vor Ablauf von 2 bis 3 Jahren nicht entlassen wird.

4. In Einzelfällen wird der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei neben der Einweisung in ein Konzentrationslager auch die Verabreichung von Stockhieben anordnen. Solche Anordnungen werden in Zukunft der zuständigen Staatspolizei(leit)stelle ebenfalls mitgeteilt. Auch in diesem Falle bestehen keine Bedenken, wenn diese Verschärfung wie zu Ziffer 3, Absatz 3, in Umlauf gesetzt wird, sofern dies geeignet erscheint, die abschreckende Wirkung zu erhöhen.

5. Für die Verbreitung solcher Mitteilungen sind selbstverständlich besonders geeignete und zuverlässige Personen auszuwählen.«


VORSITZENDER: Herr Dodd, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß von dem amerikanischen Dokument 2309-PS amtlich Kenntnis genommen wird. Um der Verteidigung entgegenzukommen, wird der Gerichtshof, da die Sitzung bis 1 Uhr gedauert hat, nicht vor 2.15 Uhr nachmittags wieder zusammentreten.

MR. DODD: Sehr gut, Herr Vorsitzender.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 3, S. 533-571.
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