Vormittagssitzung.

[335] HAUPTMANN SPRECHER: Hoher Gerichtshof! Ich komme jetzt zu Schirachs Tätigkeit, die in der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit besteht, wie sie unter Punkt 1 der Anklageschrift beschrieben sind. Die Darlegung der besonderen Handlungen bezieht sich auf den Reichsgau Wien. Zunächst möchte ich mich jedoch auf zwei wichtige Punkte der früheren Beweisführung beziehen, mit denen ich zeigen will, daß Schirach für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich ist, die sich auf ganz Europa erstrecken. Auf Grund seiner Vereinbarungen mit Himmler stellte er durch die Hitlerjugend viele, wenn nicht die meisten Jugendlichen der SS zur Verfügung, die in der Hauptsache in den Konzentrationslagern eingesetzt war, und deren in ganz Europa begangene Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit allgemein bekannt sind.

Auch wollen wir nicht auf weitere spezielle Handlungen Schirachs eingehen, ohne den weiteren Punkt zu erwähnen, daß Schirach sich nicht seiner Verantwortung dafür entziehen kann, daß er in die Herzen der Jugend die allgemeine Nazi-Ideologie eingepflanzt hat mit ihren Grundsätzen über »Herrenrasse«, »Untermenschentum«, »Lebensraum« und »Weltherrschaft«: Diese Ideen stellen die psychologischen Vorbedingungen für die Anstiftung und die Billigung jener Greueltaten dar, die fanatische Nazis in Deutschland und den besetzten Ländern verübt haben.

Um Schirachs Verantwortung für die Verbrechen darzulegen, die in Wien begangen wurden, wo Schirach Gauleiter und Reichskommissar von Juli 1940 bis zum Zusammenbruch war, müssen die grundlegenden Funktionen dieser beiden Ämter in Betracht gezogen werden.

Das erste Dokument, auf das ich mich beziehe, ist Urkunde 1893-PS. Es handelt sich um einen Auszug aus dem Organisationsbuch der NSDAP vom Jahre 1943, der Schirach auf der Höhe seiner Tätigkeit im Reichsgau Wien zeigt. Ich beziehe mich auf Seite 42 des Dokumentenbuchs und auf die Seiten 70, 71, 75, 98, 136 und 140b des Organisationsbuches der Partei. Auszüge aus jeder dieser Seiten befinden sich im Dokumentenbuch des Gerichtshofs.

Aus den angegebenen Seiten gehen die folgenden Höhepunkte der Tätigkeit des Gauleiters hervor, die ich nur kurz umschreiben möchte. Da der Hohe Gerichtshof das Organisationsbuch der Partei amtlich zur Kenntnis nehmen kann, ist es auch möglich, es nach [335] Belieben einzusehen, falls der Gerichtshof nicht wünscht, daß ich die eine oder andere spezielle Anordnung verlesen soll. Aus diesen Anweisungen geht hervor, daß der Gauleiter Hitlers höchster Vertreter in seinem Gau war, daß er der Souveränitätsträger, der höchste Hoheitsträger war, und daß er politische Hoheitsrechte besaß. Darüber hinaus war er für die gesamte politische Lage in seinem Gau verantwortlich. Er konnte, und wir glauben, daß dies sehr wesentlich ist, die SA- und SS-Führer heranziehen »wenn sie zur Lösung einer politischen Aufgabe benötigt wurden«. Ferner war es seine Pflicht, mindestens einmal monatlich mit den Leitern der angeschlossenen Parteiorganisationen seines Gaues, einschließlich der SS, zusammenzutreffen.

Die Stellung des Reichsstatthalters in Wien war irgendwie eigenartig, denn nach dem Anschluß wurde der österreichische Bundesstaat aufgelöst und in sieben Reichsgaue aufgeteilt, deren wichtigster der Reichsgau Wien unter Schirach war. Jedes statistische Handbuch des Reiches aus dieser Zeit beweist, daß Wien damals eine Bevölkerungszahl von über zwei Millionen hatte. Sie zählte daher zu den bedeutendsten Städten des Reiches. Wir bitten den Gerichtshof, von dem Gesetz im Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 777 amtlich Kenntnis zu nehmen, das sich als unser Dokument 3301-PS auf Seite 107 des Dokumentenbuchs befindet. Es handelt sich um das Grundgesetz über den Verwaltungsaufbau in Österreich. Es wurde im April 1939 erlassen, also etwas über ein Jahr vor der Ernennung Schirachs zum Reichsstatthalter. Dieses Gesetz zeigt, daß Schirach als Statthalter der Vertreter des deutschen Staatsoberhaupts Hitler war, daß er Verordnungen und Weisungen innerhalb der von den Obersten Reichsbehörden gesetzten Grenzen erlassen konnte, daß er speziell unter der Dienstaufsicht des Reichsministers des Innern, des Angeklagten Frick, stand, und daß er auch die Stellung eines Oberbürgermeisters von Wien bekleidete. Während der Zeit, in der er Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien war, war er auch Reichsverteidigungskommissar von Wien; und nach 1940 befand sich das Reich im Kriegszustand.

Wegen seiner weitreichenden Verantwortung und Vollmachten in diesen Stellungen wird seitens der Anklagevertretung geltend gemacht, daß Schirach für alle Verbrechen der Nazi-Verschwörer im Reichsgau Wien ausdrücklich als schuldig zu betrachten ist, und zwar auf Grund der Tatsache, daß er diese Verbrechen entweder anstiftete, sie billigte, ausführte oder ihnen Vorschub leistete. Wir werden besondere Beispiele anführen, aus denen hervorgeht, daß Schirach persönlich und aktiv in die Nazi-Verbrechen verstrickt war, und daß, wenn er prahlerisch wurde, ein Charakteristikum, an dem es bei den meisten der Angeklagten niemals mangelte, er selbst seine Beteiligung bei Handlungen zugab, die als Verbrechen unter die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs fallen.

[336] Ich komme zunächst zur Sklavenarbeit.

Das Sklavenarbeitsprogramm spielte natürlich bei der Arbeiterbeschaffung für die Industrien in einer so großen und wichtigen Stadt wie Wien eine besondere Rolle. Die allgemeine Art dieses Programms und die sich daraus ergebenden Verbrechen wurden bereits teilweise von Herrn Dodd dargelegt. Die Anklagevertretung der Sowjetunion wird später weiteres Material dafür vorbringen. Unser Dokument 3352-PS, das sich auf Seite 116 des Dokumentenbuchs befindet, und das ich als Beweisstück US-206 vorlegen möchte, gibt Auszüge aus einer Reihe von Verfügungen der Parteikanzlei wieder. Jede dieser Anweisungen, aus denen die Auszüge entnommen sind, beziehen sich auf die Verantwortung des Gauleiters gegenüber dem Arbeitseinsatz und seiner Nutzbarmachung. Sie beweisen in einfacher und unmißverständlicher Sprache, daß die Gauleiter unter der Leitung des erfahrenen früheren Gauleiters Sauckel, des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, die höchsten und wirksamsten Mitarbeiter der Nazi-Verschwörer auf dem Gebiet des gesamten Zwangsarbeitsprogramms wurden. Aus Seite 116 des dem Gerichtshof vorliegenden Dokumentenbuchs, Seite 508 des Originaltextes, geht hervor, daß der Angeklagte Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan dem Vorschlage Sauckels zustimmte, nach dem die Gauleiter herangezogen werden sollten, um die höchste Leistungsfähigkeit im Arbeitseinsatz zu erzielen. Auf Seite 117 des Dokumentenbuchs, Seite 511 der Verfügungen der Parteikanzlei, ernannte Sauckel im Juli 1942 die Gauleiter zu seinen besonderen Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz in ihren Gauen mit dem Auftrage, eine harmonische Zusammenarbeit aller in Betracht kommenden Kreise zu gewährleisten. Tatsächlich wurden die Gauleiter die obersten Schiedsrichter für alle widerstreitenden Interessen, die sich während des Krieges bezüglich des Arbeitseinsatzes ergaben. Mit dem gleichen Befehl wurden die Präsidenten der Landesarbeitsämter und ihre Mitarbeiter

»angewiesen, den Gauleitern zu jeglicher Auskunft und Beratung zur Verfügung zu stehen und die Anregungen und Wünsche der Gauleiter zum Zwecke von Verbesserungen beim Arbeitseinsatz... zu erfüllen«.

Auf Seite 118 und 119 des Dokumentenbuchs, Seite 567 der Verfügungen der Parteikanzlei, ordnete der Angeklagte Sauckel an, daß sich seine besonderen Bevollmächtigten, die Gauleiter, mit den allgemeinen Merkblättern für die Ostarbeiter vertraut machen sollten. Er erklärte als sein unmittelbares Ziel,

»zu verhindern, daß politisch ungeschickte Betriebsführer den Ostarbeitern ein Übermaß an Betreuung zukommenlassen und damit berechtigte Verärgerung unter den deutschen Arbeitern hervorrufen«.

[337] Wir behaupten, Hoher Gerichtshof, daß, wenn Schirach als Gauleiter sich selbst mit solchen Einzelheiten des Arbeitseinsatzes beschäftigen mußte, wie mit dem angeblichen Ärger deutscher Arbeiter wegen der Betreuung der Ostarbeiter, es nicht notwendig ist, auf weitere Einzelheiten des Arbeitseinsatzprogramms einzugehen, um Schirachs Verbindung mit dem Sklavenarbeiterprogramm im Reichsgau Wien und seine Verantwortlichkeit hierfür festzustellen.

Ich gehe nun zum Thema der Kirchenverfolgung über.

Die Ausschaltung der religiösen Jugendorganisationen unter Leitung Schirachs als Nazi-Reichsjugendführer wurde bereits erwähnt. Im März 1941 wurden zwei Briefe, der eine von dem Angeklagten Bormann, der andere von dem Verschwörer Hans Lammers...

VORSITZENDER: Hauptmann Sprecher, haben Sie irgendein anderes Beweismaterial, das die Verbindung von Schirach zum Arbeitseinsatzprogramm darlegt?

HAUPTMANN SPRECHER: Ich beabsichtigte, nichts weiter vorzubringen, Herr Vorsitzender. In Anbetracht der Tatsache, daß unsere russischen Kollegen weitere Einzelheiten über das Arbeitseinsatzprogramm, besonders im Osten, vorbringen werden, dachte ich, daß das Hauptziel unter Anklagepunkt 1 sein sollte, die allgemeine Verantwortlichkeit des Angeklagten Schirach für das Sklavenarbeitsprogramm festzustellen, während die Behandlung einzelner Tatbestände im späteren Verlaufe des Verfahrens erfolgen soll.

VORSITZENDER: Sehr gut.


HAUPTMANN SPRECHER: Ich möchte nur einen weiteren Punkt erwähnen: Wenn ich in einigen Minuten auf die Behandlung der Juden zu sprechen komme, dann werde ich ein oder zwei besondere Beispiele anführen.


VORSITZENDER: Sie befassen sich jetzt mit den Kirchenverfolgungen, nicht wahr?


HAUPTMANN SPRECHER: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Ich verweise den Gerichtshof auf die Urkunde R-146, auf Seite 5 des Dokumentenbuchs und unterbreite sie als Beweisstück US-678.

Ich bin im Zweifel, ob ich in Anbetracht unseres gemeinsamen Wunsches, den Prozeß so schnell wie möglich voranzutreiben, das ganze Dokument verlesen soll. Aber vielleicht kann ich seinen Inhalt kurz umschreiben und es nur dann verlesen, wenn der Gerichtshof dies nicht für ausreichend erachtet.

Diese Dokumente zeigen klar, daß Schirach und zwei andere Beamte während eines Besuches von Hitler in Wien bei dem Führer Beschwerde mit dem Ziel erhoben, daß die unter verschiedenen [338] Vorwänden erfolgte Beschlagnahme von Kirchengütern in Österreich zugunsten der Gaue und nicht zugunsten des Reiches erfolgen solle. Später entschied der Führer zugunsten des von Schirach vertretenen Standpunktes, nämlich zugunsten des Gaues. Ich erwähne dies nur, um Schirachs Verbindung mit den Kirchenverfolgungen darzulegen, bezüglich derer bereits früher sehr viel Beweismaterial vorgelegt worden ist.


MR. BIDDLE: Darüber ist noch kein Beweismaterial vorhanden. Sie haben noch kein Beweismaterial vorgelegt. Wir können von einer Sache nur dann amtlich Kenntnis nehmen, wenn Sie uns darum ersuchen.


HAUPTMANN SPRECHER: Bedeutet dies nach den Vorschriften des Gerichtshofs, daß es nur dann als Beweismaterial gilt, wenn ich es verlese?


MR. BIDDLE: Ich mache keinerlei Vorschriften; ich wollte Ihnen lediglich sagen, daß uns das letzte Schriftstück nicht als Beweismaterial unterbreitet wurde.


HAUPTMANN SPRECHER: Ich glaube, daß es unter diesen Umständen besser ist, wenn ich dieses Dokument verlese:

»München 33, den 20. März 1941, Braunes Haus. Persönlich – Geheim – An alle Gauleiter.

Betrifft: Beschlagnahme von Kirchengütern (Klosterbesitz u. dgl.).

In der letzten Zeit mußten in größerem Umfang, namentlich in der Ostmark, wertvolle Besitzungen der Kirchen beschlagnahmt werden; diese Beschlagnahmen erfolgten, wie dem Führer von den Gauleitern berichtet wurde, vielfach wegen der Verstöße gegen Verordnungen der Kriegswirtschaft (z.B. wegen Hamstern von irgendwelchen Lebensmitteln, von Stoffen, Lederwaren etc.), in weiteren Fällen wegen Verstößen gegen das Heimtückegesetz und endlich vielfach wegen unbefugten Waffenbesitzes. Bei Beschlagnahmen aus den vorgenannten Gründen kommt selbstverständlich die Zahlung einer Entschädigung an die Kirchen nicht in Frage.

Mit Rücksicht auf die weiteren Beschlagnahmen haben verschiedene Gauleiter der Ostmark bei dem letzten Besuch des Führers in Wien die Frage geklärt, wem der beschlagnahmte Besitz zufallen solle; die Entscheidung des Führers bitte ich aus dem Schreiben des Reichsministers Dr. Lammers an den Reichsminister des Innern vom 14. März 1941, das ich auszugsweise in Abschrift beifüge, zu ersehen. (gez.) M. Bormann.«

Ich habe dieses Dokument als US-Beweisstück 678 vorgelegt.

Wünscht der Gerichtshof, daß ich die dazu gehörige Beilage verlese?

[339] MR. BIDDLE: Ich verlange nicht, daß Sie etwas verlesen. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß dies, da Sie es nicht verlesen hatten, nicht als Beweismaterial vorlag.

HAUPTMANN SPRECHER: In diesem Falle will ich fortfahren. Hoher Gerichtshof. Die Abschrift lautet wie folgt:

»Berlin, den 14. März 1941, Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei. An den Herrn Reichsminister des Innern. Betrifft: Entwurf einer Verordnung zur Ergänzung der Vorschriften über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens.

Der Reichsstatthalter und Gauleiter von Schirach sowie Dr. Jury und Eigruber haben kürzlich beim Führer Klage darüber geführt, daß der Reichsfinanzminister immer noch den Standpunkt vertrete, die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens müsse zugunsten des Reichs und nicht zugunsten der Reichsgaue erfolgen.

Der Führer hat mich daraufhin davon unterrich tet, daß er die Einziehung der in Frage stehenden Vermögen nicht zugunsten des Reiches, sondern zugunsten desjenigen Reichsgaues wünsche, in dem sich das eingezogene Vermögen befindet...«


VORSITZENDER: Sie brauchen nicht weiter daraus zu zitieren.

HAUPTMANN SPRECHER: Ich gehe jetzt zum Thema der Judenverfolgung über.

Die Anklagevertretung bemerkt schließlich ergebenst, daß Schirach antisemitische Maßnahmen billigte, lenkte und an ihnen teilnahm. Selbstverständlich war die gesamte Ideologie und Lehre der Hitlerjugend auf dem Rassemythos der Nazis aufgebaut. Schirach hielt vor dem Krieg eine Rede auf einer Versammlung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, dessen Führer er von 1929 bis 1931 gewesen war.

Das Dokument 2441-PS, das ich als Beweisstück US-679 einführe, stellt eine eidesstattliche Erklärung von Gregor Ziemer dar. Ich möchte daraus nur vom Ende der Seite 95 des Dokumentenbuchs bis zum Ende des ersten Absatzes auf Seite 96 dieses Buchs verlesen.

Der Zeuge Ziemer bezieht sich auf ein Treffen in Heidelberg, Deutschland, dem er einige Zeit vor Beginn des Krieges beigewohnt hat, und auf dem Baldur von Schirach eine Ansprache an den Studentenbund, dessen Führer er selbst einst war, gehalten hat...


VORSITZENDER: Um was für ein Dokument handelt es sich?


HAUPTMANN SPRECHER: Um eine eidesstattliche Erklärung von Gregor Ziemer.

[340] »Er« – nämlich Schirach – »erklärte, daß die wichtigste Phase des deutschen Universitätslebens im Dritten Reich das Programm des NSDSTB wäre. Er pries verschiedene Maßnahmen des Bundes. Er erinnerte die Jungen an den Dienst, den sie während der jüdischen Säuberungsaktion geleistet hätten. Dramatisch zeigte er über den Fluß auf die alte Universitätsstadt Heidelberg, in der verschiedene ausgebrannte Synagogen stumme Zeugen für die Tüchtigkeit der Heidelberger Studenten waren. Die Ruinen dieser Gebäude würden für Jahrhunderte stehen bleiben als Mahnmal für künftige Studenten, als Warnung für die Feinde des Staates.«

Wenn wir versuchen, den wahren Umfang der teuflischen Behandlung der Juden unter Schirach vor Augen zu führen, dann müssen wir seine Tätigkeit im Reichsgau Wien und die seiner Gehilfen, der SS und der Gestapo in Wien, betrachten.

Das Dokument 1948-PS, Seite 63 im Dokumentenbuch, wird als Beweisstück US-680 unterbreitet. Der Gerichtshof wird bemerken, daß es auf dem Briefpapier des ehemaligen Reichsstatthalters von Wien geschrieben ist.

VORSITZENDER: Hauptmann Sprecher, ich habe in diesem Dokument, 2441-PS, auf Seite 96 des Dokumentenbuchs weitergelesen. Meiner Ansicht nach sollten Sie die nächsten drei Abschnitte auf Seite 96 verlesen, von der Stelle an, wo Sie aufgehört haben.

HAUPTMANN SPRECHER: Jawohl.


VORSITZENDER: Den zweiten, dritten und vierten Absatz.


HAUPTMANN SPRECHER:

»Ebenso wie das Heidelberger Schloß der Beweis dafür wäre, daß das alte Deutschland zu schwach gewesen wäre, um den einfallenden Franzosen, die es zerstörten, Widerstand zu leisten, so würden die schwarzen Ruinen der Synagogen ein ewiges Denkmal der Stärke des neuen Deutschlands für zukünftige Generationen sein.

Er erinnerte die Studenten daran, daß es immer noch Länder gäbe, die ihre Zeit und Energie an Bücher und unnötige Diskussionen über philosophische und metaphysische Themen verschwendeten. Diese Tage wären vorüber. Das neue Deutschland wäre ein Land der Tat. Die anderen Länder befänden sich in tiefem Schlaf.

Aber er wäre dafür, daß man sie schlafen ließe. Je tiefer sie schlummerten, desto mehr Gelegenheit hätten die Männer des Dritten Reiches, sich für weitere Taten vorzubereiten. Der Tag würde kommen, an dem die Heidelberger Studenten [341] ihren Platz an der Seite von Legionen anderer Studenten einnehmen würden, um die Welt für die Ideologie des Nationalsozialismus zu erobern.«

Ich stand im Begriff, den Hohen Gerichtshof auf das Dokument 1948-PS zu verweisen, das sich auf Seite 63 des Dokumentenbuchs befindet, und das ich als Beweisstück US-680 vorlege. Wie Sie bemerken werden, ist es auf einem Briefbogen des Reichsstatthalters in Wien geschrieben:

»... 7. November 1940.

Betrifft: Pflichtarbeit von arbeitsfähigen Juden.

1. Vermerk:

Am 5. November 1940 telefonische Rücksprache mit der Geheimen Staatspolizei, Standartenführer Huber. Die Gestapo hat vom Reichssicherheitshauptamt interne Anweisung, wie die arbeitsfähigen Juden zur Pflichtarbeit herangezogen werden sollen. Sie führt zurzeit Erhebungen durch, wie viel arbeitsfähige Juden noch zur Verfügung stehen, um dann über die geplanten Masseneinsätze zu disponieren. Vermutlich stehen nicht mehr viel Juden zur Verfügung. Falls aber doch, so sieht die Gestapo auch keine Bedenken, die Juden auch zur Beseitigung der zerstörten Synagogen heranzuziehen.

SS-Standartenführer Huber wird dem Herrn Regierungspräsidenten noch persönlich darüber Bericht erstatten.

Ich habe dem Herrn Regierungspräsidenten in diesem Sinne vorgetragen. Die Sache soll weiter im Auge behalten werden.«

Die Unterschrift stammt von Dr. Fischer.

Ich möchte den Gerichtshof auf die Bedeutsamkeit des Titels »Regierungspräsident« hinweisen. Der Standartenführer der SS sollte, wie Sie bemerken werden, dem Regierungspräsidenten Bericht erstatten. Wenn Sie sich den Erlaß vergegenwärtigen, durch den der Reichsgau Wien geschaffen wurde, Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 777, Dokument 3301-PS, so werden Sie finden, daß der Regierungspräsident Schirachs persönlicher Vertreter in der Verwaltung der Stadt Wien war.

Es scheint uns, daß dieses von Fischer unterschriebene Dokument 1948-PS, das sich mit der Pflichtarbeit von arbeitsfähigen Juden beschäftigt, auf das Argument Antwort gibt, daß Leute vom Range eines Gauleiters von den Greueltaten, die von der Gestapo und dem SD in ihrer eigenen Umgebung begangen wurden, nichts gewußt hätten. Es zeigt weiter, daß selbst die Mitarbeiter der Gauleiter über die Einzelheiten der Verfolgungspläne, die damals im Gange waren, genau unterrichtet waren.

Schirach hatte auch Interesse und Kenntnis von dem Wohnungsmangel in Wien, der für einige Angehörige der behaupteten [342] »Herrenrasse« dadurch gemildert wurde, daß ihnen die Häuser der unglücklichen Juden zugewiesen wurden, die man in Polen der Vergessenheit anheimfallen ließ.

Am 3. Dezember 1940 schrieb der Verschwörer Lammers einen Brief an Schirach. Es handelt sich um unser Dokument 1950-PS, Seite 64 des dem Gerichtshof vorliegenden Dokumentenbuchs, das ich als Beweisstück US-681 einführe. Dieser Brief ist sehr kurz:

»Berlin, 3. Dezember 1940.«

Er ist auf dem Briefbogen des Reichsministers und Chef der Reichskanzlei geschrieben und trägt den Vermerk »Geheim«. Er ist an den Reichsstatthalter von Wien, Gauleiter von Schirach, gerichtet.

»Wie mir Reichsleiter Bormann mitteilt, hat der Führer auf einen von Ihnen erstatteten Bericht entschieden, daß die in dem Reichsgau Wien noch wohnhaften 60000 Juden beschleunigt« – also noch während des Krieges – »wegen der in Wien herrschenden Wohnungsnot ins Generalgouvernement abgeschoben werden sollen. Ich habe diese Entscheidung des Führers dem Herrn Generalgouverneur in Krakau sowie dem Reichsführer SS mitgeteilt und darf Sie bitten, gleichfalls von ihr Kenntnis nehmen zu wollen. gez. Lammers.«

Als letzten aufschlußreichen Beweis gegen dieses jüngste Mitglied auf der Anklagebank zitiere ich seinen eigenen Ausspruch, der in ganz Wien veröffentlicht wurde, und tatsächlich, bereits damals, ganz Deutschland und der ganzen Welt zur Kenntnis kom men sollte. Er erscheint in der Wiener Ausgabe des »Völkischen Beobachter« vom 15. September 1942. Er trägt die Nummer 3048-PS und befindet sich in dem Dokumentenbuch auf Seite 106. Er ist bereits als Beweisstück US-274 eingeführt.

Ich möchte darauf hinweisen, daß diese Worte im Jahre 1942 an den sogenannten europäischen Jugendbund in Wien gerichtet wurden.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Schirach damals noch Reichsjugendführer der NSDAP war:

»Jeder Jude, der in Europa wirkt, ist eine Gefahr für die europäische Kultur. Wenn man mir den Vorwurf machen wollte, daß ich aus dieser Stadt, die einst die europäische Metropole des Judentums gewesen ist, Zehntausende und aber Zehntausende von Juden ins östliche Ghetto abgeschoben habe, muß ich antworten: Ich sehe darin einen aktiven Beitrag zur europäischen Kultur.«

Obwohl Schirachs Hauptbeitrag zu der Verschwörung darin bestand, daß er die deutsche Jugend den Zielen der Verschwörer dienstbar machte, hat er sich ebenfalls als hoher Partei- und Regierungsbeamter der abscheulichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht, nachdem die Verschwörung zu der unvermeidlichen Verwicklung der Angriffskriege geführt hatte.

[343] Damit, Hoher Gerichtshof, beende ich die Beweisführung über die Verantwortlichkeit des Angeklagten Schirach.

Die Anklagevertretung wird sich nun mit der Verantwortlichkeit des Angeklagten Martin Bormann befassen, dessen Fall von Leutnant Lambert vorgetragen werden wird.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Zu verschiedenen Unrichtigkeiten im Vorbringen der Anklagevertretung gegen Schirach werde ich dann Stellung nehmen, wenn wir Verteidiger an der Reihe sind. Ich möchte aber jetzt schon gegen einen Übersetzungsfehler in einer Urkunde Stellung nehmen. Es ist das die Urkunde 3352-PS. Es ist das ein Befehl der Reichskanzlei an die untergeordneten Stellen, und dieser Befehl spricht davon, daß die Arbeitsämter in gewisser Beziehung den Gauleitern zur Verfügung stehen mußten. Im deutschen Original dieses Befehls heißt es »Anregungen und Wünsche«, Anregungen und Wünsche, und das ist nun...

VORSITZENDER: Auf welcher Seite des Dokuments steht das?


DR. SAUTER: Das ist, ich – ich glaube, Seite 512 der Urkunde 3352-PS. Ich glaube, auf Seite 117 des Dokumentenbuchs.

Dieser deutsche Ausdruck »Anregungen und Wünsche« ist nun in der englischen Übersetzung wiedergegeben mit »suggestions« für »Anregung« und »demands« für »Wünsche«. Die erste Übersetzung für Anregung halten wir für richtig, aber die zweite Übersetzung – demands – die halten wir für falsch, denn dieses Wort bedeutet unseres Wissens im Deutschen »Befehl«, oder »Forderungen«. Wir würden es für richtig halten, wenn in der englischen Übersetzung das Wort »demands« ersetzt würde durch ein anderes Wort, nämlich durch das Wort »wishes«: »Wünsche« – wishes –. Ich weiß nicht, ob ich das Wort im Englischen richtig ausgesprochen habe.

Soviel für diesen Augenblick. Danke sehr.


VORSITZENDER


[zu Hauptmann Sprecher gewandt]:


Wollen Sie etwas hierzu sagen?


HAUPTMANN SPRECHER: Ich glaube, die Bemerkung von Dr. Sauter ist sehr angebracht. Ich habe den Übersetzer neben mir gefragt, Hoher Gerichtshof, und das deutsche Wort »Wünsche« ist zu nachdrücklich übersetzt worden.


VORSITZENDER: Sehr wohl.


LEUTNANT THOMAS F. LAMBERT JR., HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof, die Anklagevertretung befaßt sich nun mit dem Fall des Angeklagten Bormann und unterbreitet das Beweismaterial, das seine Verantwortung für die Verbrechen betrifft, die in der Anklageschrift dargestellt sind. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich zu Beginn bemerken, daß wir der Ansicht sind, daß gerade deshalb, weil der [344] Angeklagte Bormann von der Anklagebank fern ist, wir uns besonders bemühen werden, die Beweisführung gegen ihn aus Billigkeit der Verteidigung gegenüber und im Interesse des Gerichtshofs so einwandfrei wie möglich zu gestalten.

Ich lege das Dokumentenbuch, das dieses gerichtliche Verfahren unterstützen soll, als US-Beweisstück JJ, zusammen mit einer Anklageschrift gegen den Angeklagten Bormann vor.

Der Angeklagte Bormann ist in hohem Maße verantwortlich für die von ihm geleistete Mithilfe bei der Machtübernahme der Nazi-Verschwörer, für die Festigung ihrer totalen Kontrolle über Deutschland und für die Vorbereitung zum Angriffskrieg, wie es in Punkt 1 der Anklageschrift dargelegt ist.

Wie aus dem Verhandlungsbericht dieses Prozesses hervorgeht, waren die Nazi-Partei und das Korps der Politischen Leiter die Hauptträger und der Urquell der Verschwörung.

Nach der Flucht des Angeklagten Heß nach Schottland im Mai des Jahres 1941 wurde Bormann das Haupt der Nazi-Parteiexekutive. Sein offizieller Titel lautete: »Leiter der Partei-Kanzlei«. Vor dieser Zeit war Bormann der Chef des Stabes des Angeklagten Heß, des Stellvertreters des Führers.

Auf Grund dieser beiden einflußreichen Stellungen, Leiter der Partei-Kanzlei und Chef des Stabes des Stellvertreters des Führers, steht Bormann heute als einer der Hauptschöpfer der Verschwörung da. Nur, und ich unterstreiche, nur der obersten Autorität, Hitler, unterstellt, leitete und benutzte er die gewaltigen Machtmittel der Partei, ihre Ämter und Gliederungen zur Förderung der Nazi-Verschwörung. Er benutzte die Partei, um den Willen der Verschwörer dem deutschen Volke aufzuzwingen, und er lenkte die Machtmittel der Partei in dem Bestreben, die Herrschaft über ganz Europa zu erlangen.

Aus diesem Grunde werden dem Angeklagten Bormann die unzähligen Verbrechen der Verschwörer zur Last gelegt, die unzähligen Verbrechen, die von der Partei, ihren Gliederungen und dem deutschen Volke zur Förderung der Verschwörung begangen wurden.

Es ist vielleicht angebracht, einen kurzen Überblick über die Verschwörerlaufbahn des Angeklagten Bormann zu geben.

Bormann begann seine Verschwörerlaufbahn vor mehr als zwanzig Jahren. Im Jahre 1922, erst 22 Jahre alt, trat er der Organisation Roßbach bei, einer der illegalen Gruppen, die die militärische Tradition der deutschen Armee fortsetzten und durch Anwendung von Terrorakten die widerstrebenden kleinen friedliebenden Minderheiten Deutschlands einschüchterten. Während seiner Tätigkeit als Bezirksführer, mecklenburgischer Landesleiter dieser Organisation, wurde er verhaftet und wegen Teilnahme an einem [345] politischen Mord vor ein Gericht gestellt. Das zeigt unseres Erachtens seine Einstellung gegenüber der Anwendung ungesetzlicher Mittel zur Erreichung solcher Ziele, die ihm richtig erschienen. Am 15. Mai 1924 wurde er von dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik für schuldig befunden und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahre 1925 nahm Bormann seine umstürzlerische Tätigkeit wieder auf. Er trat der militärischen Organisation »Frontbann« bei. Im gleichen Jahre wurde er Mitglied der NSDAP und begann seinen Aufstieg zu einer hervorragenden Stellung innerhalb der Verschwörung. Im Jahre 1927 wurde er Pressechef des Parteigaues Thüringen. Mit anderen Worten, um auf die Anklage gegen das Korps der Politischen Leiter zurückzukommen, er wurde ein bedeutender Stabsoffizier eines Gauleiters. Am 1. April 1928 wurde er Bezirksleiter von Thüringen und Geschäftsführer für den ganzen Gau.

Wir kommen nun zu einem besonders wichtigen Punkt, der Bormanns Verbindung mit der SA betrifft.

Vom 15. November 1928 bis August 1930 gehörte er zum Stabe des Oberkommandos der SA.

Der Gerichtshof hat den Vortrag über den verbrecherischen Charakter der SA angehört und ist deshalb darüber genauestens unterrichtet, daß die SA eine halbmilitärische Organisation junger Männer war, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Macht über die Straße zu erlangen und den Widerstand gegen die Verschwörung durch Terror zu unterdrücken.

Wir vertreten in diesem Stadium die Auffassung, daß Bormann auf Grund seiner Stellung im Stabe des Oberkommandos der SA für die illegale Tätigkeit der SA zur Förderung der Verschwörung mitverantwortlich ist.

Im August 1930 organisierte Bormann die Hilfskasse der Nazi-Partei, deren Leitung er übernahm. Durch diese Kasse sammelte er große Summen, die er angeblich zur Unterstützung der Familien von Parteimitgliedern, die im Kampfe für die Partei getötet oder verletzt wurden, verwandte.

Wie dem Gerichtshof bekannt ist, übernahmen die Verschwörer und ihre Partei am 30. Januar 1933 die Regierung in Deutschland. Kurz danach, im Juli 1933, erlangte Bormann die dritthöchste Stellung in der Partei. Er wurde zum Chef des Stabes des Angeklagten Heß, des Stellvertreters des Führers, ernannt. Zur gleichen Zeit wurde er zum Reichsleiter ernannt, und damit wurde er, wie der Gerichtshof weiß, Mitglied des höchsten Kreises der als illegal geltenden Organisation, des Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei.

Im November 1933 wurde er Mitglied des Reichstags.

[346] Ich bitte den Gerichtshof, die amtliche deutsche Veröffentlichung »Der Großdeutsche Reichstag«, Ausgabe 1943, amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Tatsachen, die ich soeben in der kurzen Beschreibung der Laufbahn von Bormann angeführt habe, stehen auf Seite 167 dieser Veröffentlichung. Die englische Übersetzung befindet sich in Dokument 2981-PS in dem dem Gerichtshof vorliegenden Dokumentenbuch.

Was Bormanns Verurteilung wegen politischen Mordes anbetrifft, so unterbreite ich dem Gerichtshof Dokument 3355-PS, US-682. Es handelt sich um eine eidesstattliche Erklärung von Dr. Robert M. W. Kempner. Ich zitiere daraus kurz das Folgende:

»Ich, Robert M. W. Kempner, Sachverständiger und Berater des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten, erscheine vor dem unterzeichneten Offizier und sage nach ordnungsmäßiger Vereidigung wie folgt aus:

In meiner Eigenschaft als Oberregierungsrat und Hauptrechtsberater der Preußischen Polizei verwaltung in der Zeit vor Hitler wurde ich amtlich mit dem Strafregister des Martin Bormann, der mit dem jetzt vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, Deutschland, angeklagten Martin Bormann identisch ist, bekannt. Das amtliche Strafregister des Martin Bormann enthält nachstehende Eintragung:

Bormann Martin, verurteilt am 15. Mai 1924 durch den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik in Leipzig (Deutschland) zu einem Jahr Gefängnis für die Teilnahme an einem politischen Mord. gez. Robert M. W. Kempner.«

Ende des Zitats.

VORSITZENDER: Leutnant Lambert, wenn Sie sich mit einem derartigen Dokument beschäftigen, so glaube ich, daß es für Sie nicht notwendig ist, die Formalien zu verlesen. Wenn Sie die Art des Dokuments erklären und seinen wesentlichen Inhalt verlesen, dann brauchen Sie sich nicht mit den Formalien zu befassen, zum Beispiel: Ich, Robert Kempner, Sachverständiger Berater und so weiter. Haben Sie mich verstanden?

LEUTNANT LAMBERT: Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender, für Ihren sehr zweckmäßigen Hinweis.

Als Stabschef des Angeklagten Heß war Bormann verantwortlich für die Entgegennahme aller Forderungen der Partei in allen Staatsangelegenheiten und für deren Weiterleitung an den Angeklagten Heß. Diese Forderungen wurden dann durch den Angeklagten Heß auf Grund seiner Teilnahme bei der Gesetzgebung und seiner Befugnis zur Ernennung und Beförderung von Staatsbeamten und auf Grund seiner Stellung im Reichskabinett sichergestellt.

[347] Ich komme nun zu einem meines Erachtens sehr wichtigen Punkt, der die Verbindung des Angeklagten Bormann mit dem SD und der Gestapo herstellt. Als Stabschef des Angeklagten Heß traf Bormann Maßnahmen, um die Herrschaft der Gestapo und des SD über die deutsche Zivilbevölkerung zu festigen. Ich bitte den Gerichtshof, den Erlaß Bormanns vom 14. Februar 1935 in der amtlichen Veröffentlichung »Anordnungen des Stellvertreters des Führers«, Ausgabe 1937, Seite 257 amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Ich zitiere nur die wesentlichen Teile dieses Erlasses, dessen englische Übersetzung in unserem Dokument 3237-PS niedergelegt ist.


VORSITZENDER: Wenn es sich um ein Dokument handelt, von dem der Gerichtshof amtlich Kenntnis nehmen kann, dann brauchen Sie es nicht zu verlesen. Es genügt, wenn Sie es zusammenfassen.


LEUTNANT LAMBERT: Ich nehme es zur Kenntnis, Herr Vorsitzender. Dieses Zitat ist so kurz und bündig, daß eine Zusammenfassung vielleicht nicht nötig ist.

VORSITZENDER: Sehr gut, fahren Sie fort.


LEUTNANT LAMBERT:

»Der Stellvertreter des Führers erwartet, daß die Dienststellen der Partei nunmehr alles Mißtrauen gegenüber dem SD aufgeben und ihn bei Lösung seiner schweren Aufgaben, die ihm zum Schutz von Bewegung und Volk übertragen worden sind, mit allen Kräften zu unterstützen.

Da die Arbeit des SD in erster Linie auch der Arbeit der Partei zugute kommt, darf er in seinem Ausbau nicht durch unsachliche Angriffe bei Versagen einzelner gestört werden, muß vielmehr mit allen Kräften gefördert werden. gez. M. Bormann, Stabsleiter des Stellvertreters des Führers.«

Dies zeigt Bormanns Unterstützung des SD.

Ich wende mich nun den Bestrebungen Bormanns, die Arbeit der Gestapo zu unterstützen, zu.

VORSITZENDER: Leutnant Lambert, hätte es nicht genügt, zu sagen, daß dieses Dokument zeigt, wie Bormann dem SD die nötige Hilfe zuteil werden ließ?

LEUTNANT LAMBERT: Ich fürchtete lediglich, Herr Vorsitzender, daß ein Dokument nicht als Beweismaterial betrachtet wird, falls es nicht zitiert wird.


VORSITZENDER: Gut, aber Sie haben im Anfang gesagt, Sie ersuchten uns, es amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Wenn wir davon amtlich Kenntnis nehmen können, dann ist die Verlesung nicht notwendig.


LEUTNANT LAMBERT: Ich behandle nunmehr weiter die Bemühungen Bormanns, die Herrschaft der Gestapo zu verstärken. [348] Ich bitte den Gerichtshof, einen Befehl Bormanns vom 3. September 1935 amtlich zur Kenntnis zu nehmen, durch den alle Parteidienststellen angewiesen wurden, der Gestapo alle Personen zu melden, die die Nazi-Partei oder deren Einrichtungen kritisierten. Diese Verordnung steht in der amtlichen Partei-Veröffentlichung »Anordnungen des Stellvertreters des Führers« 1937, Seite 190. Die englische Übersetzung ist im Dokument 3239-PS niedergelegt. Ich werde den Inhalt dieses Dokuments kurz zusammenfassen. Der erste Absatz bezieht sich auf ein Gesetz vom 20. Dezember 1934. Wie der Gerichtshof sich erinnern wird, gewährte dieses Gesetz den Parteieinrichtungen und den Parteiuniformen den gleichen Schutz, dessen sich die entsprechenden staatlichen Einrichtungen erfreuten. In dem ersten und zweiten Absatz dieser Anordnung wird bestimmt, daß, wo immer ein Fall eines heimtückischen oder verleumderischen Angriffs gegen Parteimitglieder, die Partei oder ihre Gliederungen auftauchte, der Reichsjustizminister sich mit dem Stellvertreter des Führers beraten würde, um gemeinsam gegen die Übeltäter vorzugehen. Im dritten Absatz weist sodann Bormann alle Parteidienststellen an, der Gestapo die Personen anzuzeigen, welche die Partei oder deren Einrichtungen kritisierten. Ich zitiere lediglich den letzten Absatz.


VORSITZENDER: Ich habe festgehalten, was Sie in Ihrem ersten Satz gesagt haben: Dieses Dokument beweise, daß Bormann befohlen habe, daß alle diejenigen, die die Partei kritisierten, der Gestapo zu melden seien. Meiner Ansicht nach ist dies ausreichend, und alles, was Sie weiterhin sagten, ist kumulativ.


LEUTNANT LAMBERT: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich jedoch eine Kleinigkeit aus dem letzten Absatz hervorheben, der für die Beweisführung der Anklage gegen das Korps der Politischen Leiter der NSDAP sachdienlich sein könnte.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß er die bestimmte und sehr wesentliche Frage aufgeworfen hat, ob die allgemeinen Mitglieder des Korps der Politischen Leiter durch das Beweismaterial der Anklagevertretung in den Fall verwickelt wären. Im letzten Absatz ordnete Bormann an, daß die Ortsgruppenleiter, also die rangmäßig in der Hierarchie des Korps der Politischen Leiter unter dem Kreisleiter und Gauleiter am weitesten unten stehenden Politischen Leiter, der Gestapo alle Personen anzuzeigen hätten, die irgendwelche Nazi-Parteieinrichtungen kritisierten. Und nun ein wichtiger Punkt über die Verbindung zwischen Bormann und der SS: Dem Gerichtshof ist bereits das Material vorgelegt, das die SS als eine verbrecherische Organisation bloßstellt. In diesem Zusammenhang bitte ich den Gerichtshof ergebenst, von unserem Dokument 3234-PS, die Ausgabe der Zeitschrift »Das Archiv« vom Juli 1940 amtlich Kenntnis zu nehmen. Auf Seite 399 dieser Veröffentlichung wird unter dem [349] 21. Juli 1940 bekanntgemacht, daß der Führer den Angeklagten Bormann vom SS-Gruppenführer zum SS-Obergruppenführer beförderte. Aus diesem Grunde behaupten wir, daß Bormann für die verbrecherischen Handlungen der SS mitschuldig und mitverantwortlich ist.

Nach der im Mai 1941 erfolgten Flucht des Angeklagten Heß nach Schottland wurde Bormann dessen Nachfolger als Chef der Nazi-Partei unter Hitler und erhielt den Titel »Leiter der Partei-Kanzlei«. Ich bitte den Gerichtshof, von einer Verordnung, die am 24. Januar 1942 im Reichsgesetzblatt, Teil I, Seite 35, veröffentlicht wurde, amtlich Kenntnis zu nehmen. Es ist unserer Ansicht nach eine äußerst wichtige Verordnung, weil durch sie angeordnet wurde, daß die Mitwirkung der Partei an allen Gesetzgebungsakten, Beamtenernennungen und Beförderungen ausschließlich durch den Angeklagten Bormann zu erfolgen habe. Er mußte, und dies betonen wir besonders, sowohl an der Ausarbeitung als auch an der Beschlußfassung und Veröffentlichung aller Reichsgesetze und Verordnungen teilnehmen. Außerdem mußte er seine Zustimmung zu allen Verordnungen sowohl der Länder als auch der Reichsstatthalter erteilen. Jeder Verkehr zwischen den Staats- und Parteiämtern mußte durch seine Hände gehen. Als ein Ergebnis dieser Verordnung behaupten wir, daß Bormann für jedes Gesetz, das nach dem 24. Januar 1942 in Deutschland herauskam, und das die Verschwörung erleichterte und sie förderte, verantwortlich ist.

Es dürfte zweckmäßig sein, auf einen Erlaß vom 29. Mai 1941, Reichsgesetzblatt Teil I, Seite 295, Dokument 2099-PS, hinzuweisen, den ich den Gerichtshof bitte, amtlich zur Kenntnis zu nehmen. In diesem Erlaß verfügt Hitler, daß Bormann alle Befugnisse und alle Ämter übernehmen sollte, die früher der Angeklagte Heß innehatte. Ich bitte den Gerichtshof, ein weiteres wichtiges Gesetz des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 16. November 1942 amtlich zur Kenntnis zu nehmen...


VORSITZENDER: Befinden sich diese Dokumente im Dokumentenbuch?


LEUTNANT LAMBERT: Jawohl, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sie haben uns die Dokumenten nummer nicht genannt.


LEUTNANT LAMBERT: Das stimmt, Herr Vorsitzender. Ich kann mich daran erinnern, obwohl es nicht in meinem Manuskript steht, daß diese wichtige, am 24. Januar 1942 veröffentlichte Verordnung unser Dokument 2100-PS ist.

Ich bitte den Gerichtshof nunmehr, die wichtige Verordnung des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 16. November 1942, Reichsgesetzblatt, Teil I, Seite 649, Dokument JN-5, amtlich zur [350] Kenntnis zu nehmen. Auf Grund dieser Verfügung wurden alle Gauleiter, die Bormann infolge seiner Stellung als Leiter der Parteikanzlei unterstellt waren, zu Reichsverteidigungs-Kommissaren ernannt und mit der Zusammenfassung, Überwachung und Lenkung der aggressiven nazistischen Kriegsanstrengungen betraut.

Von diesem Augenblick an wurde die Partei unter Bormann der entscheidende Faktor bei der Ausarbeitung und Leitung der aggressiven Nazi-Kriegswirtschaft.

Am 12. April 1943 wurde Bormann, wie aus der Veröffentlichung »Der Großdeutsche Reichstag«, Ausgabe 1943, Seite 167, Dokument 2981-PS, hervorgeht, zum Sekretär des Führers ernannt. Wir behaupten, daß diese Tatsache beweist, wie einflußreich der Angeklagte Bormann beim Führer war und in welch nahem Verhältnis er zu ihm stand, und daß dies seine Schuld an und seine Verantwortung in dieser Verschwörung noch erhöht und erschwert.

Wir kommen nun zu dem wichtigen Punkt von Bormanns Verantwortlichkeit für den Vollzug der Maßnahmen des »Volkssturms«. Ich bitte den Gerichtshof, den Führerbefehl vom 18. Oktober 1944, der im »Völkischen Beobachter« am 20. Oktober 1944 veröffentlicht wurde, amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Darin ernannte Hitler Bormann zum politischen und organisatorischen Führer des »Volkssturms«. Dies ergibt sich aus dem Dokument 3018-PS. In dieser Verfügung wurde Himmler zum militärischen Führer des Volkssturms ernannt, während die organisatorische und politische Führung dem Angeklagten Bormann anvertraut wurde. Es ist dem Gerichtshof bekannt, daß der Volkssturm eine Organisation war, die alle Deutschen männlichen Geschlechts von sechzehn bis sechzig Jahren erfaßte. Auf Grund seiner Führerschaft im Volkssturm trug Bormann zur unnötigen Verlängerung des Krieges bei, was die Vernichtung der deutschen und europäischen Wirtschaft, den Verlust an Leben und die Zerstörung von Eigentum zur Folge hatte.

Wir kommen nunmehr auf die Verantwortlichkeit des Angeklagten Bormann gegenüber der Verfolgung der Kirche zu sprechen. Der Angeklagte Bormann billigte, leitete und nahm teil an Maßnahmen zur Verfolgung der christlichen Kirche. Der Gerichtshof hat in diesem Verfahren schon viel über die Verfolgung der christlichen Kirche durch die Verschwörer gehört. Ich habe nicht die Absicht, dies nochmals vorzutragen. Wir sind nur an einer Sache interessiert, nämlich daran, die Verantwortlichkeit des Angeklagten Bormann, seine eigene persönliche Verantwortlichkeit für die Kirchenverfolgung festzulegen.

Ich werde jetzt die Beweise vorlegen, die die Verantwortlichkeit von Bormann gegenüber der Verfolgung der christlichen Kirchen veranschaulicht.

[351] Bormann gehört zu den erbarmungslosesten Feinden der christlichen Kirche und der christlichen Geistlichkeit in Deutschland und in dem von Deutschland besetzten Europa. Ich verweise den Gerichtshof, ohne daß ich daraus verlese, auf Dokument D-75, das bereits früher als Beweisstück US-348 eingeführt worden ist. Es enthält die Abschrift eines Geheimerlasses von Bormann vom 6. Juni 1941 mit der Überschrift »Verhältnis von Nationalsozialismus und Christentum«. In diesem Erlaß erklärte Bormann ganz offen, wie der Gerichtshof sich erinnern wird, daß Nationalsozialismus und Christentum miteinander unvereinbar seien, und er deutete an, daß das Endziel der Verschwörer die Ausschaltung des Christentums selbst sei.

Ich beziehe mich weiterhin, ohne aus ihm zu verlesen, auf Dokument 098-PS, das bereits früher als Beweisstück US-350 unterbreitet worden ist. Es handelt sich hierbei um einen Brief des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg vom 22. Februar 1940, in dem Bormann wiederum darauf hinweist, daß Christentum und Nationalsozialismus miteinander unvereinbar seien.

Um das Ziel der Verschwörer, die Schwächung der christlichen Kirche, zu erreichen, ergriff der Angeklagte Bormann Maßnahmen mit dem Ziel, den Einfluß der christlichen Kirche innerhalb der Partei und ihrer Gliederungen auszuschalten. Ich biete zum Beweis Dokument 113-PS, US-683, an, einen Befehl des Angeklagten Bormann vom 27. Juli 1938, den er als Stabschef des Stellvertreters des Führers, Heß, herausgab. Dieser Befehl verbietet, daß Geistliche Parteiämter bekleiden. Ich will die Zeit des Gerichtshofs nicht damit in Anspruch nehmen, dieses Dokument in das Protokoll zu verlesen. Sein Inhalt besteht, wie bereits erwähnt, darin, daß Bormann den Befehl erließ, in dem das Verbot ausgesprochen wurde, daß Geistliche innerhalb der Partei Stellungen bekleideten.


VORSITZENDER: Vielleicht ist es angebracht, die Verhandlung jetzt für zehn Minuten zu unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


LEUTNANT LAMBERT: Hoher Gerichtshof, wir beschäftigten uns mit den Bemühungen des Angeklagten Bormann, jeden kirchlichen und religiösen Einfluß aus der Partei auszuschalten.

Ich lege nunmehr Dokument 838-PS als Beweisstück US-684 vor. Ich will den Verhandlungsbericht nicht unnötig mit langen Zitaten aus diesem Beweisstück belasten, sondern lediglich darauf hinweisen, daß es sich hier um die Abschrift eines Erlasses von Bormann vom 3. Juni 1939 handelt, in dem festgelegt wird, daß die Anhänger der »Christlichen Wissenschaft« aus der Partei auszuschließen seien.

[352] Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs weiterhin auf das Dokument 840-PS, das bereits als Beweisstück US-355 vorliegt. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß es sich hier um eine Anordnung Bormanns vom 14. Juli 1939 handelt, die sich bestätigend auf eine frühere Anordnung Bormanns vom 9. Februar 1937 bezieht, in welcher der Angeklagte Bormann bestimmt hatte, daß in Zukunft alle Parteimitglieder, die dem geistlichen Stande beitraten oder das theologische Studium ergriffen, aus der Partei auszuschließen seien.

Weiter lege ich als Beweisstück Dokument 107-PS, US-351, vor, ein Rundschreiben des Angeklagten Bormann vom 17. Juni 1938, das an alle Reichs- und Gauleiter, die höchsten Führer des Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, gerichtet war, und das eine Abschrift der Richtlinien über die Nichtbeteiligung des Reichsarbeitsdienstes an religiösen Feiern enthielt.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß sich alle Deutschen zwangsläufig dem Reichsarbeitsdienst anschließen mußten.


DR. FRIEDRICH BERGOLD, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN BORMANN: Der Herr Vertreter des Generalstaatsanwalts hat eben eine Reihe von Beweisstücken vorgelegt, mit denen er beweist, daß auf Anregung Bormanns Mitglieder der »Christlichen Religion« von der Mitgliedschaft aus der Partei oder bestimmten Organisationen ausgeschlossen werden sollen. Ich bitte den Hohen Gerichtshof, den Herrn Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft zu veranlassen, mir zu erklären, warum und weshalb diese Tätigkeit, nämlich der Ausschluß christlicher Mitgliedschaft aus der Partei, ein Kriegsverbrechen sein soll, und dies zu begründen. Aus dem Trialbrief kann ich das nicht entnehmen. Die Partei wird als eine verbrecherische, als eine Verschwörung bezeichnet. Ist es denn auch ein Verbrechen, andere Personen von der Teilnahme an einer verbrecherischen Verschwörung zurückzuhalten; wird das als Verbrechen betrachtet oder was und weshalb ist der Ausschluß bestimmter Menschen aus der Partei ein Verbrechen?


VORSITZENDER: Der Anklagevertreter wird Ihre Frage beantworten.


LEUTNANT LAMBERT: Wenn der Gerichtshof bereit ist, eine Diskussion zu diesem Zeitpunkt zu erlauben, so finden wir, daß diese Frage...


VORSITZENDER: Nur eine kurze Diskussion.


LEUTNANT LAMBERT: Jawohl, Herr Vorsitzender! Es wird eine kurze und, wie es uns scheint, auch eine einfache Antwort auf diese Frage möglich sein.

Wir versuchen hier, zu beweisen, und dafür ist reichliches Beweismaterial vorhanden, daß Bormann gegenüber der christlichen [353] Kirche Haß und Feindschaft hegte, und daß er feindliche Maßnahmen gegen sie anwandte. Die Partei war die Quelle der politischen Macht in Deutschland. Um Macht zu haben, mußte man der Partei angehören oder von der Partei begünstigt werden. Für sein bewußtes, ununterbrochenes und ständiges Bestreben Geistliche, Theologiestudenten oder andere der christlichen Religion sympathisch gegenüberstehende Personen auszuschalten, hätte Bormann keine klarere Methode wählen können, um zu zeigen, wie sehr er die christliche Religion haßte und denjenigen, die ihr anhingen, mißtraute.


VORSITZENDER: Der Verteidiger für Bormann kann seinen Einspruch über diesen Gegenstand später vorbringen. Die Dokumente scheinen nach Ansicht des Gerichtshofs sachdienlich zu sein.


LEUTNANT LAMBERT: Hoher Gerichtshof, ich habe soeben Dokument 107-PS vorgelegt und darauf hingewiesen, daß es Richtlinien über die Nichtbeteiligung des Reichsarbeitsdienstes an religiösen Feiern enthält. Ich zitiere nur Absatz 4 und 5 auf Seite 1 der englischen Übersetzung des Dokuments 107-PS, die folgendermaßen lauten:

»Jede konfessionelle Erörterung ist im Reichsarbeitsdienst verboten, weil sie das kameradschaftliche Zusammenwachsen aller Arbeitsmänner und Arbeitsmaiden stört. Aus diesem Grunde ist auch jede Teilnahme des Reichsarbeitsdienstes an kirchlichen, das heißt konfessionellen Veranstaltungen und Feiern nicht möglich.«

Ich verweise den Gerichtshof weiterhin auf Dokument 070-PS, das als Beweisstück US-349 bereits eingereicht wurde. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß dies ein Brief von Bormanns Dienststelle an den Angeklagten Rosenberg vom 25. April 1941 war, in dem Bormann feststellte, daß er zunehmende Erfolge im Abbau und in der Beseitigung des Religionsunterrichts in den Schulen erreicht habe, indem er christliche Gebete durch nationalsozialistische Sinnsprüche und Bräuche ersetzt habe. In diesem Briefe schlug Bormann auch eine nationalsozialistische Morgenandacht in Schulen an Stelle der bisherigen konfessionellen Morgenandacht vor.

Bei seinen wohlüberlegten Bemühungen, den Einfluß der christlichen Kirche zu untergraben und zu zerstören, befürwortete, leitete und nahm Bormann an Maßnahmen teil, die zur Schließung, Einschränkung und Unterdrückung der theologischen Schulen, Fakultäten und Einrichtungen führten. Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument 116-PS, US-685, das ich zum Beweis vorlege. Dies ist ein Brief des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg vom 24. Januar 1939, dem eine Abschrift von Bormanns Brief an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und [354] Volksbildung zur Kenntnisnahme durch Rosenberg beigefügt ist. In diesem beigefügten Brief unterrichtet Bormann den Minister über die Stellungnahme der Partei zugunsten einer Beschränkung und Unterdrückung der theologischen Fakultäten. Bormann erklärt, daß es im Hinblick auf kriegerische Verhältnisse notwendig geworden sei, die deutschen Hochschulen zu reorganisieren, und fordert den Minister auf, im Hinblick auf diese Lage bestimmte theologische Fakultäten einzuschränken und zu schließen.

Ich zitiere nun vom ersten Absatz auf Seite 3 der englischen Übersetzung des Dokuments 116-PS, das folgendermaßen lautet:

»Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Sie die theologischen Fakultäten, soweit sie nach den obigen Ausführungen nicht ganz beseitigt werden können, wesentlich einschränken. Dabei wird es nicht nur auf die theologischen Fakultäten an den Universitäten ankommen, sondern auf die verschiedenen staatlichen Anstalten, die als ausschließlich theologische Hochschulen, ohne Verbindung mit einer Universität, in vielen Orten noch bestehen.

Ausdrückliche Erklärungen Kirchen oder sonstigen Stellen gegenüber, sowie ein Bekanntgeben dieser Maßnahmen in der Öffentlichkeit, bitte ich dabei zu unterlassen. Beschwerden und dergleichen müßten, wenn sie überhaupt zu beantworten sind, damit begründet werden, daß diese Maßnahmen im Zuge der planwirtschaftlichen Gestaltung, ebenso wie dies an den anderen Fakultäten geschieht, durchgeführt werden.

Wenn die dadurch freiwerdenden Lehrstühle den besonders in den letzten Jahren neugeschaffenen Forschungsgebieten, wie der Rassenforschung, der Altertumskunde usw., zugeführt werden, können, würde ich dies durchaus begrüßen. gez. Martin Bormann.«

Unserer Meinung nach besteht der Sinn dieses Dokuments in folgendem Verlangen Bormanns: »Bitte, schließen Sie die theologischen Fakultäten und ersetzen Sie sie durch Nazi-Fakultäten und Lehrstühle für Rassenforschung, Kultus und Nazi-Altertumskunde.« Derartige Dinge wurden auf der »Hohen Schule« gepflegt, wie es so klar in den Darlegungen der Anklagevertretung über die Raubaktionen des Einsatzstabs Rosenberg gezeigt wurde.

Ich verweise den Gerichtshof weiterhin auf Dokument 122-PS, das bereits als Beweisstück US-362 eingereicht worden ist. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Dokument 122-PS einen Brief des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg vom 17. April 1939 darstellt, in dem Bormann Rosenberg einen Lichtabdruck eines Planes des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung über die Zusammenlegung und Auflösung gewisser, namentlich angeführter theologischer Fakultäten [355] übermittelt. In seinem Übermittlungsbrief bat Bormann Rosenberg »um Kenntnis- und Stellungnahme« bezüglich der vorgeschlagenen Unterdrückung religiöser Einrichtungen.

Weiterhin lege ich als Beweisstück Dokument 123-PS, US-686, vor, einen Geheimbrief des Angeklagten Bormann an den Erziehungsminister vom 23. Juni 1939. In diesem Brief legt Bormann die Entscheidung der Partei über die Unterdrückung zahlreicher theologischer Fakultäten und kirchlicher Anstalten dar. Der Gerichtshof wird bemerken, daß der Brief neunzehn verschiedene religiöse Ausbildungsanstalten aufzählt, deren Schließung beziehungsweise Einschränkung Bormann anordnete.

Nachdem Bormann dem Minister wegen der zu unternehmenden Schritte gegenüber den verschiedenen theologischen Fakultäten Weisung erteilt hat, erklärt er das Folgende; und ich zitiere den vorletzten Absatz auf Seite 3 der englischen Übersetzung des Dokuments 123-PS:

»Ich habe Ihnen im Vorstehenden, nach eingehender Prüfung der Angelegenheit mit sämtlichen Parteidienststellen, die Wünsche der Partei mitgeteilt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die dazu notwendigen Maßnahmen möglichst rasch in die Wege leiten würden. Bei der großen politischen Bedeutung, die aber eine derartige Zusammenlegung in jedem einzelnen Fall für den betreffenden Gau besitzt, bitte ich Sie, diese Maßnahmen, insbesondere auch die Bestimmung des Zeitpunktes hierfür, jeweils im Einvernehmen mit mir zu treffen....«

Ich biete weiterhin, ohne daraus zu verlesen, Dokument 131-PS als Beweisstück US-687 an. Zusammenfassend und ohne Zitate anzuführen, möchte ich bemerken, daß es sich um einen Brief des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg vom 12. Dezember 1939 handelt, der sich auf die Aufhebung von sieben Lehrstühlen an der in der Nähe gelegenen Universität München bezieht.

Ich werde mich nun weiterhin kurz mit der Verantwortlichkeit Bormanns für die Beschlagnahme religiösen und kulturellen Eigentums beschäftigen. Bormann benutzte seine außerordentliche Vollmacht und Stellung dazu, die Beschlagnahme von Kirchenbesitz zu veranlassen und die christlichen Kirchen sowohl als auch die Geistlichkeit einem diskriminierenden gesetzlichen Status zu unterwerfen.

Ich führe als Beweisstück Dokument 099-PS, US-688, ein. Es handelt sich um die Abschrift eines Briefes von Bormann an den Reichsfinanzminister vom 19. Januar 1940, in dem Bormann eine erhebliche Erhöhung der den Kirchen auferlegten Kriegssteuer verlangte. Ich zitiere die ersten beiden Absätze der Seite 2 der [356] englischen Übersetzung des Dokuments 099-PS, die folgendermaßen lauten:

»Wie mir mitgeteilt wird, ist der Kriegsbeitrag für die Kirchen ab 1. 11. 1939 zunächst für die Dauer von drei Monaten auf RM 1.800.000.- monatlich festgesetzt worden, von denen die evangelische Kirche RM 1.000.000- die katholische Kirche RM 800.000- im Monat zu bezahlen haben.

Die Festsetzung eines so niedrigen Beitrages hat mich überrascht. Aus zahlreichen Berichten entnehme ich, daß die politischen Gemeinden einen so hohen Kriegsbeitrag aufzubringen haben, daß die Durchführung ihrer, zu einem Teil überaus wichtigen Arbeiten, z.B. auf dem Gebiete der öffentlichen Fürsorge, gefährdet wird. Mit Rücksicht darauf erschiene mir eine höhere Belastung, auch der Kirchen, durchaus angebracht.«

Es könnte sich die Frage ergeben, wieso es eine verbrecherische Handlung wäre, von kirchlichen Stellen höhere Steuern zu verlangen. Die Forderung Bormanns ist nach Ansicht der Anklagevertretung an sich nicht verbrecherisch. Aber, wenn man sie in dem weiteren Zusammenhang mit seiner geschilderten Feindseligkeit der Christlichen Kirche gegenüber und im Lichte seiner Anstrengungen betrachtet, die Kirche nicht nur zu beschränken, sondern sie auszuschalten, dann möchten wir sagen, daß dieses Dokument Beweiswert hat, da es Bormanns Feindschaft den Kirchen und der Geistlichkeit gegenüber zeigt, wie auch die konkreten Maßnahmen zu ihrer Durchführung.

Weiterhin beziehe ich mich auf Dokument 089-PS, das bereits als Beweisstück US-360 vorliegt. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß dies ein Brief Bormanns an den Reichsleiter Amann vom 8. März 1940 ist, in dem Bormann den Reichsleiter der Presse, Amann, anweist, weitere Einschränkungen der Papierzuteilung an das konfessionelle Schrifttum zugunsten von Veröffentlichungen, die für die Nazi-Weltanschauung wertvoller sind, vorzunehmen.

Weiterhin lege ich Dokument 066-PS als Beweisstück US-689 vor. Es handelt sich um einen Brief des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg vom 24. Juni 1940, dem der Entwurf einer geplanten diskriminierenden Kirchenverordnung für Danzig und Westpreußen beigelegt ist. Diese Verordnung stellt eine unmittelbare Aufhebung der Glaubensfreiheit dar. Denn in Paragraph 1, ich werde ihn nicht zitieren, sondern nur kurz zusammenfassen, heißt es, daß die Genehmigung des Reichsstatthalters für Danzig-Westpreußen zur Erlangung der Rechtsfähigkeit aller religiösen Vereinigungen erforderlich sei.

[357] Paragraph 3 dieser Verordnung hob alle Ansprüche der Religionsgesellschaften und religiösen Vereinigungen auf Gewähr staatlicher und kommunaler Zuschüsse auf und verbot den religiösen Vereinigungen die Ausübung ihrer Befugnis zur Erhebung von Beiträgen ohne Zustimmung des Reichsstatthalters.

In Paragraph 5 der Verordnung wurde der Erwerb von Vermögenswerten durch Religionsgesellschaften von der Zustimmung des Reichsstatthalters abhängig gemacht. Alle Vermögensansprüche der Religionsgesellschaften aus der Zeit vor dem 1. Januar 1940 mußten zu ihrer Rechtswirksamkeit die Bestätigung durch den Reichsstatthalter erhalten.

Ich lege nun Dokument 1600-PS, Beweisstück US-690, vor. Es enthält den Schriftwechsel Bormanns während der Jahre 1940 und 1941, der sich auf die Beschlagnahme verschiedener Kirchenkunstschätze bezieht. Ich zitiere den Inhalt des zweiten Briefes, der sich auf Seite 1 der englischen Übersetzung des Dokuments 1600-PS befindet. Es handelt sich um einen von dem Angeklagten Bormann an Dr. Posse, den Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie in Dresden, gerichteten Brief vom 16. Januar 1941, der folgendermaßen lautet; ich zitiere:

»Sehr geehrter Herr Posse!

In der Anlage übermittle ich Ihnen die Bilder des Hohenfurther Altars, der sich im Stift Hohenfurth bei Krumau befindet. Das Stift wird in allernächster Zeit wegen des staats-abträglichen Verhaltens seiner Insassen mit seinem gesamten Vermögen beschlagnahmt werden.

Von Ihnen wäre zu entscheiden, ob die Altarbilder im Stift Hohenfurth verbleiben oder ob sie nach Fertigstellung des Linzer Museums in dieses überführt werden sollen.

Ich erbitte Ihre Stellungnahme. gez. Bormann.«

Dem Gerichtshof wird vielleicht bekannt sein, daß Hitler in seinem sogenannten letzten Willen und Testament ein Vermächtnis aller seiner Kunstschätze, die er im Museum in Linz hatte, errichtete, und daß er aus rechtlichen Gründen die beschönigende Ausdrucksweise »Kunstschätze, die ich gekauft habe«, gebraucht.

Dieses Dokument zeigt augenscheinlich, auf welche Art und Weise wenigstens gewisse dieser Kunstgegenstände für das Museum in Linz erworben worden sind.

Als schließlich der Krieg eine immer höhere Zahl von Jugendlichen in die Wehrmacht führte, ergriff der Angeklagte Bormann Maßnahmen, um jeden religiösen Einfluß von der Truppe fernzuhalten. Hoher Gerichtshof, ich verweise auf Dokument 101-PS, das bereits früher als US-361 vorgelegt wurde. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß dies ein Brief des Angeklagten Bormann vom [358] 17. Januar 1940 ist, in dem er die ablehnende Stellungnahme der Partei gegen die Verbreitung religiöser Literatur unter die Angehörigen der Deutschen Wehrmacht darlegte. In diesem Brief erklärt Bormann, daß, wenn der Einfluß der Kirche auf die Truppen wirksam bekämpft werden solle, dies nur dadurch geschehen könne, daß in kürzester Frist eine große Anzahl von Nazi-Druckschriften und -Veröffentlichungen herausgegeben würden.

Ich biete weiterhin Dokument 100-PS, US-691, zum Beweis an. Es handelt sich um einen Brief des Angeklagten Bormann an Rosenberg vom 18. Januar 1940, in dem Bormann erklärt, daß die Veröffentlichung von Nazi-Literatur für Wehrmachtsrekruten als Gegenmaßnahme gegen die Verbreitung religiöser Schriften das »wesentlichste Erfordernis der Stunde« sei.

Ich verzichte darauf, aus diesem Dokument zu verlesen, da ich seinen Inhalt bereits angegeben habe.

Nun bitte ich den Gerichtshof, die amtliche Nazi- Veröffentlichung »Anordnungen des Stellvertreters des Führers«, Ausgabe 1937, amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Ich zitiere einen wichtigen diesbezüglichen Erlaß von Seite 235 dieses Bandes, der von dem Angeklagten Bormann am 7. Januar 1936 herausgegeben und an den Kommissar des Parteidirektoriums gerichtet war. Die englische Übersetzung unseres Dokuments ist im Dokument 3246-PS enthalten. In diesem einen Satz gibt Bormann die Absicht kund, die Schrecken der Gestapo gegen die andersdenkenden Mitglieder der Kirche, die sich den Zielen der Verschwörer widersetzten, anzuwenden; und ich zitiere:

»Nehmen Pfarrer oder sonstige katholische Unterführer gegen den Staat oder die Partei Stellung, so ist Meldung hierüber auf dem Dienstwege an die Geheime Staatspolizei zu erstatten. gez. Bormann.«

Hoher Gerichtshof! Ich wende mich jetzt der Verantwortlichkeit des Angeklagten Bormann bei der Verfolgung der Juden zu.

Wiederum hat die Anklagevertretung nicht die Absicht, das umfangreiche Beweismaterial nochmals zu erläutern, das im Zusammenhang mit der Judenverfolgung im Verhandlungsprotokoll bereits vorliegt, sondern sie möchte sich auf das Beweismaterial beschränken, das sich auf den Angeklagten Bormann und seine persönliche Verantwortlichkeit für die Judenverfolgung bezieht. Bormann teilt die große Schuld der Nazi-Verschwörer für ihr furchtbares Programm der Judenverfolgung. Es war der Angeklagte Bormann, der, wie wir wissen, von Hitler mit der Weitergabe und Durchführung der Führerbefehle zur Lösung des sogenannten Judenproblems beauftragt war.

In der von der Partei geplanten und geleiteten Aktion vom 8. und 9. November 1938 wurde eine große Anzahl von Juden getötet [359] und verletzt, jüdische Geschäfte geplündert und zerstört und Synagogen im ganzen Reich angezündet. Nach dieser Aktion unterrichtete der Angeklagte Bormann auf Befehl Hitlers den Angeklagten Göring davon, daß die »endgültige Lösung der Judenfrage« in Deutschland durchzuführen sei.

Ich verweise den Gerichtshof nunmehr auf Dokument 1816-PS, das bereits als Beweisstück US-261 vorgelegt wurde. Dem Gerichtshof ist dieses Dokument sehr wohl bekannt. Es wurde häufig erwähnt. Der Gerichtshof weiß, daß das Dokument 1816-PS die Niederschrift der Besprechung über die Judenfrage ist, die unter dem Vorsitz Görings am 12. November 1938 stattfand. Ich zitiere lediglich den ersten Satz des Dokuments 1816-PS, das die Verantwortlichkeit Bormanns festlegt, und der folgendermaßen lautet:

»Göring spricht: Meine Herren, die heutige Sitzung ist von entscheidender Bedeutung. Ich habe einen Brief bekommen, den mir der Stabsleiter des Stellvertreters des Führers, Bormann, im Auftrag des Führers geschrieben hat, wonach die Judenfrage jetzt einheitlich zusammengefaßt werden soll und so oder so zur Erledigung zu bringen ist.«

Der Gerichtshof ist sehr gut über die Bedeutung der in dieser Besprechung gemachten Vorschläge, Diskussionen und Entscheidungen unterrichtet, welche die sogenannte »Erledigung der Judenfrage« darstellten.

Als Ergebnis dieser Konferenz wurde eine Reihe judenfeindlicher Erlasse und Maßnahmen von den Nazi-Verschwörern in Kraft gesetzt. Ich lege jetzt Dokument 069-PS, US-589, vor. Es ist dies eine Anordnung des Angeklagten Bormann vom 17. Januar 1939, in der er die Durchführung dieser neuen antijüdischen Vorschriften verlangt, die in der angezogenen Besprechung mit Göring beschlossen wurden, und denen zufolge den Juden das Recht auf Wohnungen, Reisen und auf andere Bedürfnisse des täglichen Lebens versagt wurde. Ich zitiere den Erlaß Bormanns, der auf Seite 1 der englischen Übersetzung des Dokuments 069-PS erscheint und der, wie folgt, lautet:

»Der Führer hat auf Vortrag des Generalfeldmarschalls Göring einige grundsätzliche Entscheidungen in der Judenfrage getroffen. Ich gebe Ihnen in der Anlage von diesen Entscheidungen Kenntnis und ersuche, sich unter allen Umständen an diese Richtlinien zu halten. Unterschrift M. Bormann.«

Um die Verhandlung nicht zu verzögern, werde ich der Versuchung widerstehen, die Richtlinien, die dem Brief Bormanns beigefügt waren, ausführlich zu zitieren. Das Ergebnis war im wesentlichsten, daß den Juden die Benutzung von Schlafwagen und das Betreten gewisser Hotels in Berlin, München, Nürnberg, Augsburg und so weiter verboten wurde. Sie wurden mit einem Bann belegt [360] und von der Benutzung von Badeanstalten, gewissen öffentlichen Plätzen, Kurorten, Mineralbädern und dergleichen ausgeschlossen. Die Brandmarkung, die Erniedrigung und die Unannehmlichkeiten in den alltäglichen Dingen des Lebens, die durch diesen Befehl verursacht wurden, sind klar.

Weiter bitte ich den Gerichtshof, den Erlaß vom 12. November 1938, Reichsgesetzblatt, Teil I, Seite 1580 (Dokument JN-6), amtlich zur Kenntnis zu nehmen, der dem Gerichtshof wohlbekannt ist. Es war der Erlaß, der die Juden vom Wirtschaftsleben ausschloß. Dieser Erlaß verbot den Juden, Kleinhandelsgeschäfte zu betreiben, und trug wesentlich dazu bei, die Juden aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen.

Bormann bewirkte auch durch andere staatliche Institutionen die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit für große Teile der jüdischen Bevölkerung. In diesem Zusammenhang bitte ich den Gerichtshof, die amtliche Nazi-Veröffentlichung »Anordnungen des Stellvertreters des Führers«, Ausgabe 1937, Dokument 3240-PS, amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Auf Seite 383 dieser Veröffentlichung befindet sich eine Anordnung des Angeklagten Bormann vom 8. Januar 1937, der einen Befehl des Angeklagten Frick wiedergibt. Diese Anordnung, die auf Bormanns Veranlassung herausgegeben wurde, versagte den Staatsbeamten jegliche finanzielle Unterstützung, wenn sie die Dienste jüdischer Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker, Leichenbestatter und anderer Berufe in Anspruch nahmen. Ich sehe davon ab, den Text dieser Anordnung zu zitieren. Ihren Inhalt habe ich soeben angegeben.

Hoher Gerichtshof! Ich möchte die Übersetzer darauf aufmerksam machen, daß ich auf Seite 25 des Manuskripts fortfahre.

Nach Ausbruch des Krieges nahmen die antijüdischen Maßnahmen an Heftigkeit und Brutalität zu. So beteiligte sich der Angeklagte Bormann zusammen mit der SS und der Gestapo an den Maßnahmen für die Abschiebung von sechzigtausend jüdischen Einwohnern Wiens nach Polen. Der Gerichtshof hat sicher unser Dokument 1950-PS im Zusammenhang mit der Anklage gegen von Schirach erhalten, in dem Lammers sagt, daß Bormann von Schirach von der Annahme seines Vorschlags informiert habe, die Verschickung zu betreiben. Ich beschränke mich darauf, lediglich diese eine Tatsache anzuführen.

Als Bormann als Nachfolger des Angeklagten Heß Leiter der Parteikanzlei wurde, benützte er seine weitgehenden Vollmachten derartig, daß er die treibende Kraft im Programm der Aushungerung, Erniedrigung, Plünderung und der Ausrottung der Juden wurde, die, wir gebrauchen diese Worte mit Vorbedacht, den drakonischen Anordnungen der Verschwörer unterworfen waren.

[361] Ich bitte den Gerichtshof, die Verordnung vom 31. Mai 1941, Reichsgesetzblatt Teil I, Seite 297, amtlich zur Kenntnis zu nehmen, die die Unterschrift des Angeklagten Bormann trägt und die Anwendung der diskriminierenden Nürnberger Gesetze auf die angegliederten Ostgebiete ausdehnt. Ich bitte den Gerichtshof weiterhin, die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, Reichsgesetzblatt 1941, Teil I, Seite 722, amtlich zur Kenntnis zu nehmen, die von dem Angeklagten Bormann unterzeichnet ist und die Beschlagnahme des Vermögens aller derjenigen Juden anordnete, die Deutschland verlassen hatten oder verschickt worden waren.

Ich bitte den Gerichtshof ferner, eine Anweisung des Angeklagten Bormann vom 3. Oktober 1941 amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

VORSITZENDER: Sie haben uns weder die PS- Nummer der Verordnung vom 31. Mai 1941 noch die der darauffolgenden Verordnung mitgeteilt.

LEUTNANT LAMBERT: Ich gestehe, daß ich das versäumt habe. Die Übersetzungen dieser Verordnungen befinden sich sämtlich im Dokumentenbuch. In meinem Manuskript sind ihre PS-Nummern nicht angegeben, sie sind jedoch in dem Schriftsatz, der dem Gerichtshof vorliegt oder alsbald vorgelegt werden wird, enthalten.


VORSITZENDER: Es handelt sich um die Nummern 3354-PS und 3241-PS.


LEUTNANT LAMBERT: Das ist sehr freundlich, Herr Vorsitzender, vielen Dank!

Ich bitte den Gerichtshof, von einem Erlaß des Angeklagten Bormann vom 23. Oktober 1942 amtlich Kenntnis zu nehmen. Er befindet sich im Band II der Veröffentlichung: »Verfügungen, Anordnungen, Bekanntmachungen«, Seite 147. Es ist unser Dokument 3243-PS, ein Erlaß des Ernährungsministers, der auf Bormanns Veranlassung erging und die Juden vieler notwendiger Nahrungsmittel, aller Sonderzuteilungen für Kranke und werdende Mütter beraubte, und der darüber hinaus die Beschlagnahme von Nahrungsmittelpaketen anordnete, die den bedrängten Juden aus dem sympathisierenden Ausland geschickt wurden.

Ich bitte den Gerichtshof weiterhin, die Dreizehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 1. Juli 1943, Reichsgesetzblatt 1943, Teil I. Seite 372, amtlich zur Kenntnis zu nehmen, die vom Angeklagten Bormann unterschrieben ist, und die allen Juden den Schutz der ordentlichen Gerichte aberkannte und sie der ausschließlichen Jurisdiktion der Himmlerschen Polizei überantwortete. Dies ist unser Dokument 1422-PS.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchten wir die Gelegenheit benutzen, die Wichtigkeit dieses Erlasses besonders zu betonen. In einer [362] Gesellschaft, die nach den Regeln des Rechtes zu leben wünscht, kann jemand nur nach Verhandlung und Entscheidung durch ein Gericht verurteilt werden. Diese Verordnung sollte jedoch alle angeblichen jüdischen Rechtsbrecher der Rechtsprechungsbefugnis der ordentlichen Gerichte entziehen und sie der Polizei überantworten. Die Polizei, nicht die ordentlichen Gerichte, sollte demzufolge die Rechtsprechungsbefugnis über angebliche jüdische Rechtsbrecher besitzen.

Die Folgen dieses Gesetzes traten alsbald in Erscheinung, Folgen, für die der Angeklagte Bormann mitverantwortlich ist. Am 3. Juli 1943 erließ Himmler eine Verordnung, unser Dokument 3085-PS, die ich den Gerichtshof bitte, amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Sie ist im Amtsblatt 1943 »Ministerium des Innern«, Seite 1085, enthalten und beauftragt die Polizei Himmlers und die Gestapo mit der Durchführung der eben erwähnten Verordnung, entzieht die Juden der Rechtsprechung durch die ordentlichen Gerichte und liefert sie der Polizei Himmlers aus.

Zum Schluß bitte ich den Gerichtshof wegen der Verantwortlichkeit Bormanns in der Frage der Judenverfolgung seinen Erlaß vom 9. Oktober 1942, Band II der »Erlasse, Verordnungen und Bekanntmachungen«, Seite 131 bis 132, amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Erlaß erklärt, daß das Problem der Ausschaltung von Millionen von Juden aus dem Großdeutschen Reich nicht länger mehr durch Auswanderung allein, sondern nur durch Anwendung rücksichtsloser Gewalt in Speziallagern im Osten gelöst werden könnte.


MR. BIDDLE: Auf welches Dokument beziehen Sie sich?


LEUTNANT LAMBERT: Es handelt sich um Dokument 3244-PS.

Wir hatten ursprünglich die Absicht, den ganzen Erlaß zu verlesen als unwiderlegbare Antwort auf die Frage, die vor einigen Tagen von der Verteidigung bei einem Kreuzverhör gestellt wurde, ob nämlich die antisemitische Politik der Verschwörer nur die Politik einzelner irrsinniger oder abseits stehender Mitglieder der Verschwörer und nicht die gemeinsam festgelegte Politik der gesamten Verschwörergruppe wäre. Wir haben nicht genügend Zeit, um die gesamte Verordnung zur Verlesung zu bringen, aber mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich den Hauptinhalt dieses Erlasses in einigen wenigen Sätzen zusammenfassen.

Bormann erklärt zu Beginn dieses Erlasses, daß neuerdings Gerüchte im Reichsgebiet im Umlaut seien, die sich auf sehr scharfe Maßnahmen gegen die Juden bezögen. Diese Gerüchte kämen der Regierung zu Gehör durch unsere Urlauber der verschiedenen im Osten eingesetzten Verbände, die selbst Gelegenheit gehabt hätten, dies zu beobachten. Um jeder Gerüchtebildung entgegentreten zu [363] können, müßten die nachstehenden Ausführungen, die sich aus seinen Erlassen ergäben, zur Unterrichtung der deutschen Zivilbevölkerung wiedergegeben werden. Dann bezieht sich Bormann auf den zweitausend Jahre alten Kampf gegen das Judentum und teilt das Parteiprogramm in zwei Punkte. Erstens Zurückdrängung der Juden aus den einzelnen Lebensgebieten des deutschen Volkes. Dann fügt er hinzu, daß, als wir unseren Krieg anfingen, diese Maßnahme nicht ausreichend gewesen sei. Wir hätten auf Zwangsemigration zurückgreifen und die Lager im Osten errichten müssen. Dann fährt er fort, daß wir mit dem Vormarsch unserer Armee im Osten jene Gebiete überrannt hätten, in die wir die Juden gebracht hätten, und jetzt seien diese Emigra tionsmaßnahmen – unser zweites Ziel – nicht mehr ausreichend.

Dann spricht er von dem Vorschlag, der von ihm selbst in der Parteikanzlei unterbreitet wurde, daß wir diese Juden nach dem Osten oder noch weiter nach dem Osten in Lager transportieren müßten, wo sie zur Arbeit eingesetzt werden sollten. Ich zitiere lediglich den letzten Satz des Erlasses von Bormann:

»Es liegt in der Natur der Sache, daß diese teilweise sehr schwierigen Probleme im Interesse der endgültigen Sicherung unseres Volkes nur mit rücksichtsloser Härte gelöst werden können. Bormann.«

Ich bitte den Gerichtshof, sich an...

VORSITZENDER: Trägt das Dokument Bormanns Unterschrift? Es scheint nicht so zu sein, Sie sagten doch »Bormann«.

LEUTNANT LAMBERT: Jawohl, Herr Vorsitzender, das stimmt. Der Gerichtshof wird aus dem Dokument 3244-PS erkennen, daß dies offensichtlich ein Erlaß Bormanns ist, der aus dem Amt des Stellvertreters des Führers stammt. Es ist richtig, daß der Name Bormann auf der Übersetzung dieses Erlasses nicht erscheint, aber aus dem Original geht deutlich hervor, daß es sich um einen Erlaß Bormanns handelt, der von der Parteikanzlei herausgegeben wurde. Die Anklagevertretung gibt dem Gerichtshof diese Versicherung und übernimmt für diese Behauptung die Verantwortung.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich nunmehr die Verantwortlichkeit des Angeklagten Bormann für öffentliche Handlungen, für die Begehung und Planung vieler verschiedener Verbrechen zur Förderung der Verschwörung besprechen. Der Gerichtshof kennt die großen Machtbefugnisse, die Bormann innehatte. Das ist bereits in die Beweisführung einbezogen worden. Unsere Aufgabe geht dahin, zu zeigen, daß er, gestützt auf seine Stellung als Sekretär des Führers, der bei allen Versammlungen im Hauptquartier des Führers anwesend war, seine Machtstellung zur Planung, Billigung und Teilnahme an solchen öffentlichen Handlungen benützte, die wir [364] als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen.

Ich bitte den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit dem Dokument L-221 zuzuwenden, das bereits als Beweisstück US-317 eingeführt wurde. Der Gerichtshof weiß, daß dieses Dokument ein umfassender Bericht vom 16. Juli 1941 ist, der von dem Angeklagten Bormann abgefaßt ist, und zwar genau drei Wochen nach der deutschen Invasion der Sowjetunion. Es ist ein Bericht über eine zwanzigstündige Konferenz im Hauptquartier des Führers, bei der Göring, Rosenberg, Keitel und Reichsminister Lammers anwesend waren. Diese Besprechung führte zur Annahme von detaillierten Plänen und Richtlinien für die Versklavung, Entvölkerung, Germanisierung und Annexion ausgedehnter Gebiete der Sowjetunion und anderer osteuropäischer Länder.

In seinem Bericht über diese Konferenz, Dokument L-221, erwähnt Bormann zahlreiche von ihm selbst gemachte Vorschläge zur Durchführung dieser Pläne.

Später nahm der Angeklagte hervorragenden Anteil an der Ausführung des Programms der Verschwörung. Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument 072-PS, das als Beweisstück US-357 bereits vorliegt. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß es sich hierbei um einen Brief des Angeklagten Bormann an den Angeklagten Rosenberg vom 19. April 1941 handelt, der sich mit der Beschlagnahme von kulturellem Eigentum im Osten befaßt. Ich zitiere nur die letzten zwei Absätze der englischen Übersetzung des Dokuments 072-PS, die wie folgt lauten:

»Der Führer betonte, auf dem Balkan sei die Einschaltung Ihrer Sachbearbeiter nicht notwendig, denn irgendwelche Kunstgegenstände seien dort nicht zu beschlagnahmen.«

Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es sich hier um die Sachbearbeiter des Einsatzstabes Rosenberg handelt, der Plünderungsorganisation.

»In Belgrad existiere lediglich die Sammlung des Prinzen Paul, die dieser vollständig zurückerhalten würde. Das sonstige Material der Logen etc. würde durch die Organe des Gruppenführers Heydrich sichergestellt werden.

Die Büchereien und die Kunstgegenstände der im Reich beschlagnahmten Klöster sollten zunächst in diesen Klöstern verbleiben, soweit die Gauleiter nichts anderes bestimmten; nach dem Kriege könne in aller Ruhe eine sorgfältige Überprüfung der Bestände vorgenommen werden. Keinesfalls solle aber eine Zentralisierung der gesamten Bibliotheken,... vorgenommen werden. gez. Bormann.«

Ich lege nun Dokument 061-PS als Beweisstück US-692 vor. Es handelt sich hierbei um ein Geheimschreiben Bormanns vom [365] 11. Januar 1944, in dem er die, wie uns scheint, äußerst wichtige Tatsache enthüllt, daß eine großangelegte Aktion im Gange war, Güter aus den von Deutschland besetzten europäischen Gebieten zur Belieferung der ausgebombten Bevölkerung Deutschlands abzuleiten. Wie dem Gerichtshof bekannt ist, erlauben die Haager Bestimmungen und die Kriegsgesetze lediglich die Beschlagnahme von Gütern und Dienstleistungen für die Zwecke der Besatzungsarmee und für den Bedarf der Gebietsverwaltung. Dieser Vorschlag und diese Aktion stellen jedoch die Beschlagnahme von Materialien in den besetzten Gebieten zur Verwendung der Bevölkerung im Heimatland, der Heimatfront, dar.

Ich zitiere nun die ersten zwei Absätze der englischen Übersetzung des Briefes von Bormann vom 11. Januar 1944. Die englische Übersetzung ist im Dokument 061-PS enthalten, das folgendermaßen lautet:

»Da die Versorgung der luftkriegsbetroffenen Bevölkerung mit Textilien und Haushaltungsgegenständen immer schwieriger wird, wurde wiederholt der Vorschlag gemacht, in größerem Maße als seither, Aufkäufe in den besetzten Gebieten zu tätigen. Verschiedene Gauleiter schlugen vor, diese Aufkäufe durch geeignete Privatwirtschaftler, die die Gebiete kennen und entsprechende Verbindungen haben, durchführen zu lassen.

Ich habe dem Reichswirtschaftsminister diese Vorschläge zur Kenntnis gebracht und teile dessen Antwort vom 16. Dezember 1943 wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung nachfolgend mit:

Ich habe es als eine besonders wichtige Aufgabe angesehen, die Wirtschaftskraft der besetzten Gebiete in den Dienst des Reiches zu stellen. Ihnen ist bekannt, daß seit der Besetzung der Westgebiete der Auskauf dieser Länder in stärkstem Umfange vor sich ging. Rohstoffe, Halbfabrikate und Fertigvorräte rollten monatelang nach Deutschland, hochwertige Maschinen wurden in unsere Rüstungsindustrie überführt. Es ist seinerzeit alles getan worden, um unser Rüstungspotential zu erhöhen. Später trat an die Stelle dieses Abtransportes wichtigen Wirtschaftsguts die sogenannte Auftragsverlagerung von Industrie zu Industrie...«

Ich will das Zitat hier beenden, da der Rest für den vorliegenden Fall nicht erheblich ist.

Im weiteren Verlauf des Krieges, und dies ist nach Ansicht der Anklagevertretung von größter Bedeutung...

VORSITZENDER: Ist es klar, daß es sich hier um Beschlagnahme handelt?

[366] LEUTNANT LAMBERT: Es wurde nicht behauptet, Hoher Gerichtshof, daß es sich um Beschlagnahmen gehandelt hätte. Wir wollten nur betonen, daß das Haager Abkommen Requisitionen gegen Bezahlung nur für die Bedürfnisse der Besatzungsarmee und die Bedürfnisse der Verwaltung der besetzten Gebiete zuläßt. Hier handelt es sich jedoch nach unserer Meinung um ein Requisitionsprogramm für die Bedürfnisse der Heimatfront. Deshalb legen wir das Beweisstück vor.

Wir gelangen nun zu einem weiteren Punkt gegen den Angeklagten Bormann, der von der Anklagevertretung als äußerst wichtig angesehen wird. Im Verlauf des Krieges hat Bormann eine Reihe von Anordnungen erlassen, welche die Zuständigkeit der Partei für die Frage der Behandlung von Kriegsgefangenen begründete, insbesondere dann, wenn diese als Zwangsarbeiter Verwendung fanden.

Es ist dem Gerichtshof bekannt, daß nach dem Genfer Kriegsgefangenen-Abkommen vom Jahre 1929 Kriegsgefangene nicht die Gefangenen der Truppe oder selbst der Armee sind, die sie gefangengenommen haben, sondern vielmehr die Gefangenen des betreffenden Staates, der auch die Gerichtsbarkeit über sie hat und die Verantwortung für sie trägt.

Durch die Anordnungen, die wir jetzt dem Gerichtshof vorlegen werden, behauptet und begründet Bormann die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP über die Kriegsgefangenen der Vereinten Nationen. In Ausübung dieser Parteigerichtsbarkeit verlangte er eine außerordentlich strenge und brutale Behandlung der alliierten Kriegsgefangenen.

Ich lege nunmehr zum Beweis Dokument 232-PS, US-693, vor. Es handelt sich um eine Bekanntmachung des Angeklagten Bormann vom 13. September 1944, die, wie der Gerichtshof bemerken wird, an alle Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter sowie an die Führer der angeschlossenen Verbände, also an zahlreiche Stellen des Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, gerichtet ist, eine Bekanntmachung, in der die Zuständigkeit der Nazi-Partei bei der Frage des Einsatzes von Kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit begründet wird.

Ich zitiere die ersten drei Absätze aus der Anordnung Bormanns, die auf Seite 1 der englischen Übersetzung des Dokuments 232-PS niedergelegt sind und die folgendermaßen lauten:

»Die bisher geltenden Bestimmungen über die Behandlung der Kriegsgefangenen und die Aufgaben der Wachmannschaften werden den Erfordernissen des totalen Kriegseinsatzes nicht mehr gerecht.«

Die Anklagevertretung möchte an dieser Stelle folgende Frage einschalten: Seit wann heben die dringenden Erfordernisse der [367] Kriegsanstrengungen die Bestimmungen des Völkerrechts auf oder erlauben ihre Abänderung?

»Das OKW erließ deshalb auf meine Anregung die abschriftlich anliegende Verfügung.

Zu ihrem Inhalt sei bemerkt:

1. Es besteht zwischen dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht und mir Einverständnis darüber, daß die Mitwirkung der Partei beim Einsatz der Kriegsgefangenen unerläßlich ist. Deshalb werden die im Kriegsgefangenenwesen eingesetzten Offiziere angewiesen, engstens mit den Hoheitsträgern zusammenzuarbeiten; die Kommandanten der Kriegsgefangenenlager haben ab sofort Verbindungsoffiziere zu den Kreisleitern abzustellen.

Damit wird den Hoheitsträgern die Möglichkeit gegeben, entsprechende Schwierigkeiten örtlich zu bereinigen, auf die Haltung der Wachmannschaften Einfluß zu nehmen und den Einsatz der Kriegsgefangenen den politischen und wirtschaftlichen Erfordernissen besser anzupassen.«

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich bemerken, daß auf Grund dieser Bekanntmachung, die an die Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter, also an die Amtsträger des Korps der Politischen Leiter gerichtet ist, die Hoheitsträger nach dem eigenen Wortlaut der Bekanntmachung darauf hingewiesen werden, sich zur Mitarbeit in diesem System zur Verfügung zu stellen.

Der Gerichtshof hat mir Gelegenheit gegeben, darauf aufmerksam zu machen, daß diese Bekanntmachung an die Reichsleiter, Gauleiter, Kreisleiter und an die Führer der angeschlossenen Verbände gerichtet ist. Wie dem Gerichtshof bekannt ist, stehen die Kreisleiter innerhalb des Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei rangmäßig auf einer ziemlich niedrigen Stufe. Ein Kreisleiter ist der Führer innerhalb eines Kreises. In der Bekanntmachung wird die Mitwirkung der Hoheitsträger angeordnet. Es ist dem Gerichtshof auf Grund der Beweisaufnahme gegen das Korps der Politischen Leiter bekannt, daß der Begriff des Hoheitsträgers alle Leiter, von den Reichsleitern an bis hinab zu den ungefähr 500000 Blockleitern, einschließt.

Ich lege nun Dokument D-163, Beweisstück US-694, vor. Es handelt sich um einen Brief des Angeklagten Bormann vom 5. November 1941, der, wie der Gerichtshof sehen wird, an alle Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter, welch letztere einfache Führer ihrer Kreise sind, gerichtet ist. Er übermittelt diesen Mitgliedern des Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei die Anweisungen des Reichsministers des Innern, nach denen eine den Sitten entsprechende Bestattung unter religiösen Feierlichkeiten für [368] russische Kriegsgefangene verboten wurde. Ich zitiere die diesbezüglichen Abschnitte dieser Anweisungen und beginne mit dem vorletzten Absatz auf Seite 1 der englischen Übersetzung von Dokument D-163, der wie folgt lautet:

»Auch im übrigen ist zur Kostenersparnis, soweit möglich und zweckmäßig, wegen der Leichenüberführung (Gestellung von Fahrzeugen) mit Dienststellen der Wehrmacht in Verbindung zu treten. Für die Überführung und Bestattung ist ein Sarg nicht zu fordern. Die Leiche ist mit starkem Papier (möglichst Öl-, Teer- oder Asphaltpapier) oder sonst geeignetem Material vollständig einzuhüllen. Die Überführung und Bestattung ist unauffällig durchzuführen. Bei gleichzeitigem Anfall mehrerer Leichen ist die Bestattung in einem Gemeinschaftsgrab vorzunehmen. Hierbei sind die Leichen nebeneinander (aber nicht übereinander) in der ortsüblichen Grabestiefe zu betten. Auf Friedhöfen ist als Begräbnisort ein entlegener Teil zu wählen. Feierlichkeiten und Ausschmückung – wir wiederholen: Feierlichkeiten und Ausschmückung – der Gräber haben zu unterbleiben.«

Ich lege nun Dokument 228-PS als Beweisstück US-695 vor. Es handelt sich um ein Rundschreiben Bormanns vom 25. November 1943, das aus dem Führerhauptquartier veröffentlicht wurde. Es verlangt eine strengere Behandlung von Kriegsgefangenen und eine gesteigerte Ausbeutung ihrer Arbeitskraft. Ich verlese nun das Rundschreiben Bormanns, auf Seite 1 der englischen Übersetzung des Dokuments 228-PS, das wie folgt lautet:

»Einzelne Gauleitungen wiesen in Berichten mehrfach auf eine zu nachsichtige Behandlung der Kriegsgefangenen durch die Wachmannschaften hin. Mancherorts sollen sich danach die Bewachungsorgane geradezu zu Beschützern und Betreuern der Kriegsgefangenen entwickelt haben.

Von diesen Berichten gab ich dem Oberkommando der Wehrmacht Kenntnis mit dem Hinweis, es bestehe bei der schaffenden deutschen Bevölkerung absolut kein Verständnis dafür, wenn in einer Zeit, in der das deutsche Volk um Sein oder Nichtsein kämpft, Kriegsgefangene – unsere Feinde also – ein besseres Leben führen als der deutsche Arbeiter. Es sei vordringliche Pflicht eines jeden Deutschen, der mit Kriegsgefangenen zu tun habe, diese zum vollen Einsatz ihrer Arbeitskraft zu veranlassen.

Der Chef des Kriegsgefangenenwesens im Oberkommando der Wehrmacht hat jetzt den in Abschrift beigefügten eindeutigen Befehl an die Kommandeure der Kriegsgefangenen in den Wehrkrei sen herausgegeben. Ich bitte, diesen Befehl [369] allen Amtsträgern der Partei mündlich in geeigneter Weise zur Kenntnis zu bringen.

Sofern auch künftig noch Klagen über eine unangebrachte Behandlung Kriegsgefangener bekannt werden, sind diese unter Hinweis auf den anliegenden Befehl zunächst den Kommandeuren der Kriegsgefangenen mitzuteilen.«

Der Gerichtshof wird bemerken, daß Bormann in dieser Anweisung bestimmt, diese Befehle allen Amtsträgern der Partei mündlich zur Kenntnis zu bringen, was naturgemäß die Mitglieder des Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei einschließt.

VORSITZENDER: Ich spreche nur für mich selbst. Ich sehe kein besonderes Unrecht in diesem Rundschreiben.

LEUTNANT LAMBERT: Was diesen Punkt anbetrifft, Herr Vorsitzender, so behaupten wir, daß, wenn man ein Dokument betrachtet, in dem gesagt wird: »Wir wollen die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen möglichst unter unserer Aufsicht ausnützen und hierfür geeignete Maßnahmen treffen«, so erscheint dies wahrscheinlich nicht als etwas Außergewöhnliches. Betrachtet man jedoch das Dokument im Zusammenhang mit dem übrigen Beweismaterial, das dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden ist, oder noch vorgelegt werden wird, und das eine vorbedachte und bestimmte Politik Bormanns und seiner Mitverschwörer zeigt, dann...


VORSITZENDER: Gut, es ist nicht nötig, daß wir hierüber diskutieren.


LEUTNANT LAMBERT: Jawohl, danke sehr.

Ich möchte nun den Gerichtshof auf Dokument 656-PS verweisen, das bereits als Beweisstück US-339 vorgelegt wurde. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß es sich um ein von Bormann herausgegebenes geheimes Rundschreiben handelt, mit dem eine Verfügung des Oberkommandos der Wehrmacht vom 29. Januar 1943 übermittelt wird. Diese letztere sieht vor, daß zur Steigerung der Arbeitsleistung gegenüber alliierten Kriegsgefangenen von der Waffe und von körperlichen Züchtigungen Gebrauch gemacht werden kann. Ich verlese einen kurzen Auszug aus dieser Anweisung und beginne mit dem dritten Satz des numerierten dritten Absatzes, auf Seite 2 der englischen Übersetzung des Dokuments 656-PS, der folgendermaßen lautet:

»Folgen Kr.Gef. seinem...« – das heißt des Wachmannes – »dementsprechenden Befehl nicht, so hat er im Falle der äußersten Not und dringendsten Gefahr das Recht, in Ermangelung anderer Mittel den Gehorsam mit der Waffe zu erzwingen. Er darf die Waffe soweit gebrauchen, als dies zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist. Ist der Hilfs wachmann [370] nicht bewaffnet, so ist er berechtigt, mit anderen geeigneten Mitteln den Gehorsam zu erzwingen.«

Es ist dem Gerichtshof bekannt, daß nach dem Genfer Kriegsgefangenen-Abkommen vom Jahre 1929 Kriegsgefangene, die sich irgendwelcher Vergehen schuldig machen und sich weigern, angemessene Befehle der sie gefangenhaltenden Macht oder ihrer Organe auszuführen, einem Kriegsgericht und Militärstrafverfahren unterworfen sind, genau so, als ob sie in ihrem heimatlichen Heer dienten. Hier handelt es sich um eine Verfügung, die dem Bewachungspersonal das Recht verleiht oder zu verleihen versucht, die Waffe oder andere geeignete Gewaltmittel zu gebrauchen. Der Herr Vorsitzende wird deshalb verstehen, daß es sich um diese Art von Dokumenten handelte, von denen wir sagten, daß die Verfügung Bormanns nur im Zusammenhang mit seinen anderen Weisungen betrachtet werden sollte, die sich auf die Behandlung der Kriegsgefangenen beziehen.

VORSITZENDER: Das Gericht wird sich jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 5, S. 335-372.
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