Nachmittagssitzung.

[614] M. GERTHOFFER: Ich hatte heute vormittag die Ehre, Hoher Gerichtshof, darzulegen, wie die Besatzungsbehörden sich eines großen Teiles der Zahlungsmittel in Norwegen bemächtigten. Wir werden nun auf Grund der ersten uns zuteil gewordenen Aufschlüsse sehen, welchen Gebrauch die Besatzungsmacht von diesen Geldmitteln gemacht hat.

Die Deutschen haben, wie auch in den anderen besetzten Ländern, erhebliches Privateigentum in Besitz genommen, und zwar unter dem Vorwand, daß dieses Eigentum Juden, Freimaurern oder Pfadfinder-Organisationen gehörte.

Eine genaue Festsetzung des Wertes dieser Plünderungen konnte bisher noch nicht erfolgen. Wir können den Wert daher auch nur schätzungsweise angeben.

Nach dem Bericht der Norwegischen Regierung beschlagnahmten die Deutschen im Jahre 1941 alle Radiogeräte, die Privatpersonen gehörten. Der Wert dieser Geräte ist auf etwa 120 Millionen Kronen zu schätzen.

Die Deutschen belegten norwegische Gemeinden unter den verschiedensten Vorwänden, wie Bombardierungen der Alliierten und Sabotageakte, mit schweren Geldstrafen.

In dem Bericht, der als RF-121 vorgelegt ist, gibt die Norwegische Regierung zwei oder drei Beispiele für eine solche kollektive Geldstrafe:

Am 4. März 1941 mußte die Bevölkerung der kleinen Ortschaft Ostvagoy nach einem Luftangriff 100.000 Kronen bezahlen. Diese Ortschaften mußten auch für den Unterhalt deutscher Familien und der Familien sogenannter »Quislinge« aufkommen.

Nach einem englischen Luftangriff auf Oslo am 25. September 1942 mußten einhundert Einwohner dreieinhalb Millionen Kronen bezahlen.

Im Januar 1941 wurden den Städten Trondheim, Stavanger und Vest-Opland 60.000, 50.000 und 100.000 Kronen auferlegt.

Im September 1941 mußte die Stadtverwaltung von Stavanger zwei Millionen Kronen für einen angeblichen Sabotageakt an Telegraphenleitungen zahlen.

Im August 1941 mußte die Stadt Rogaland 500.000 Kronen und die Stadt Alesund 100.000 Kronen zahlen.

Man kann also grundsätzlich feststellen, daß die Deutschen während der Besetzung Norwegens nicht nur alle finanziellen Hilfsquellen erschöpft haben, und zwar mit Mitteln, die ungefähr die gleichen waren, wie sie auch in den übrigen besetzten Ländern[614] angewandt wurden, sondern daß Norwegen auch in beträchtlichem Umfang verschuldet wurde.

Es ist noch nicht möglich gewesen, eine genaue Aufstellung über all das zu geben, was sich die Deutschen verschafft haben, sei es durch Requirierungen mit oder ohne Schadenersatz, sei es durch Käufe, die scheinbar in gegenseitigem Einverständnis fiktiv mit den Zahlungsmitteln abgewickelt wurden, die von Norwegen erpreßt worden waren.

In dem Bericht, den ich als RF-121 vorgelegt habe, hat die Norwegische Regierung die dem Lande zugefügten Schäden in einer Tabelle zusammengestellt, die ich dem Gerichtshof in kurzer Zusammenfassung vortragen darf.

Die Norwegische Regierung schätzt die Schäden, die Industrie und Handel erlitten haben, auf etwa 440 Millionen Kronen, von denen Deutschland nur sieben Millionen abgewickelt hat, und dies auch nur fiktiv.

Die Handelsschiffe haben einen Wert von 1.733 Millionen Kronen, von denen Deutschland nichts bezahlt hat.

Die Schäden in den Hafen- und Marineanlagen beziffern sich auf 74 Millionen Kronen, auf die Deutschland fiktiv nur eine Million bezahlt hat.

Die Zerstörungen bei den Eisenbahnen, Kanälen, Lufthäfen und ihren Einrichtungen stellen einen Schaden von 947 Millionen Kronen dar, wovon Deutschland fiktiv nur 490 Millionen Kronen abgetragen hat.

Straßen und Brücken: 199 Millionen Kronen, wovon nur 67 Millionen Kronen beglichen wurden.

Die Plünderungen in der Landwirtschaft erreichten 242 Millionen Kronen, wovon nur 46 Millionen Kronen bezahlt wurden.

Die Gegenstände persönlichen Eigentums stellen eine Summe von 239 Millionen Kronen dar, wofür nichts bezahlt wurde.

Die verschiedenen Requirierungen, die in den soeben angeführten Kategorien nicht enthalten sind, belaufen sich auf die Summe von 1.566 Millionen Kronen, von denen die Besatzungsbehörden fiktiv 1.154 Millionen Kronen beglichen haben.

Die Norwegische Regierung schätzt, daß die Arbeitsjahre, die für die Kriegsanstrengungen Deutschlands geleistet wurden, eine Summe von 226 Millionen Kronen darstellen. Sie schätzt weiterhin, daß die Arbeitsjahre, die infolge der Zwangsdeportationen nach Deutschland und infolge der auf deutschen Befehl durchgeführten Zwangsarbeit der Volkswirtschaft verlorengegangen sind, die Summe von 3.122 Millionen Kronen darstellen.

Die an deutsche Stellen erzwungenen Zahlungen betragen 11.054 Millionen Kronen, von denen Deutschland, wohlverstanden, nichts bezahlt hat.

[615] Insgesamt schätzt Norwegen den erlittenen Schaden auf 21 Milliarden Kronen, das heißt auf 4 Milliarden 700 Millionen Dollar.

Norwegen hat unter der deutschen Besetzung besonders schwer zu leiden gehabt. Wenn auch seine Hilfsquellen tatsächlich sehr bedeutend sind und in Holz und Erzen, wie Nickel, Wolfram, Molybdän, Zinn, Kupfer und Aluminium bestehen, so muß es doch die allerwichtigsten Konsumgüter für die Ernährung seiner Bevölkerung einführen.

Da die Deutschen eine vollständige Kontrolle über den Seehandel ausübten, so konnten ohne ihre Zustimmung keine Waren nach Norwegen eingeführt werden. Sie konnten daher durch dieses Druckmittel ihre Forderungen viel leichter durchsetzen, als sie es später auch in Frankreich mit der Demarkationslinie zwischen den beiden Zonen tun wollten. Die Rationen, wie sie von der Besatzungsmacht festgelegt wurden, waren für die norwegische Bevölkerung unzureichend. Die jahrelang fortdauernde Unterernährung hatte die schlimmsten Folgen. Die Krankheitsfälle wurden zahlreicher, die Sterblichkeit stieg an. Die Zukunft der Bevölkerung ist wegen der körperlichen Schwächung der Jugend in Frage gestellt.

Dies, Hoher Gerichtshof, sind die Feststellungen, die ich in Bezug auf Norwegen vorzubringen hatte. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs gehe ich nun auf den Teil über, der Holland gewidmet ist.

Die wirtschaftliche Ausplünderung der Niederlande:

Als die Deutschen unter Verletzung aller Grundsätze des Völkerrechts in Holland einfielen, kamen sie in ein Land, das überreich an den verschiedensten Schätzen war, ein Land, dessen Einwohner die am besten genährten ganz Europas waren, ein Land, das im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl eines der reichsten der Welt war. Die holländische Goldreserve überstieg den Betrag des Notenumlaufs. Als die Alliierten vier Jahre später das Land befreiten, fanden sie eine fast verhungerte Bevölkerung vor und sahen sich einem Lande gegenüber, das, abgesehen von den Zerstörungen durch militärische Operationen, infolge der Plünderungen durch die Besatzungsmacht fast völlig ruiniert war.

Die unehrlichen Absichten Deutschlands gehen aus einem Geheimbericht Seyß-Inquarts über seine Verwaltungstätigkeit während der Zeit vom 29. Mai bis 19. Juni 1940 hervor, einem Bericht, der von der Armee der Vereinigten Staaten aufgefunden und als Beweisstück 997-PS festgehalten wurde. Ich überreiche diesen Bericht als RF-122.

Ich verlese aus ihm die wichtigsten Auszüge:

»Es war klar, daß mit der Besetzung der Niederlande eine große Anzahl von wirtschaftlichen, aber auch polizeilichen Maßnahmen getroffen werden mußte, deren erstere den Zweck hatten, den Verbrauch der Bevölkerung herabzusetzen, um [616] einerseits Vorräte für das Reich zu gewinnen, anderer seits unter einem auch eine gleichmäßige Verteilung der verbliebenen Vorräte sicherzustellen. Im Hinblick auf die gestellte Aufgabe mußte getrachtet werden, daß alle diese Maßnahmen die Unterschrift von Niederländern tragen. Es wurde daher den Generalsekretären im Wege einer Ermächtigung durch den Reichskommissar die Möglichkeit gegeben, im Verordnungswege alle notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Tatsächlich sind bis heute nahezu schon alle Anordnungen über die Erfassung und Verteilung der Vorräte auf die Bevölkerung und Verordnungen über die Beschränkungen in der öffentlichen Meinungsbildung ergangen, aber auch Vereinbarungen über den Abtransport außerordentlich großer Vorräte in das Reich getroffen worden, die alle die Unterschriften der niederländischen Generalsekretäre oder der zuständigen Wirtschaftsführer tragen, so daß alle diese Maßnahmen durchaus den Charakter der Freiwilligkeit haben. Hierbei soll erwähnt werden, daß den Generalsekretären in der ersten Unterredung bedeutet wurde, es werde von ihnen eine loyale Mitarbeit erwartet, sie hätten aber dafür das Recht, wenn eine ihnen unvertretbar scheinende Sache angeordnet werde, zurückzutreten. Bisher hat von diesem Recht kein Generalsekretär einen Gebrauch gemacht, so daß man mit Recht folgern kann, daß sie alle an sie gestellten Ansprüche freiwillig erfüllt haben.

Durchgeführt sind nahezu die vollkommene Er fassung und Verteilung der Lebensmittel, der Spinnstoffe, zumindest sind alle bezüglichen Anordnungen ergangen und in Durchführung.

Eine Reihe von Anweisungen, die sich mit der Neuorientierung der Landwirtschaft befassen, sind ergangen und in Durchführung, im wesentlichen handelt es sich darum, daß die vorhandenen Futtermittel so verwendet werden, daß ein möglichst großer Rindviehbestand, etwa 80 %, zu Lasten des überdimensionalen Hühner- und Schweinebestandes in die nächste Wirtschaftsperiode überführt wird. Regelungen und Beschränkungen wurden im Transportwesen eingeführt und hier die Grundsätze der Benzinbewirtschaftung des Reiches durchgeführt.

Erflossen sind Beschränkungen über das Kündigungsrecht auf dem Arbeitsgebiet sowie der Wohnungsmiete, um die liberalkapitalistischen Gewohnheiten der niederländischen Unternehmer zu zügeln und Unruhen zu ersparen. In gleicher Weise wurden auch unter gewissen Umständen die Fristen für Schuldrückzahlungen erstreckt....

[617] Die Verordnung über die Anmeldung und Kontrolle des feindlichen Vermögens sowie über die Einziehung des Vermögens von Personen, die sich reichs- und deutschfeindlich benehmen, sind in diesem Fall im Namen des Reichskommissars ergangen. Auf Grund dieser Verordnung ist bereits ein Verwalter für das königliche Vermögen eingesetzt worden.

Die Rohstoffvorräte wurden erfaßt und unter Zustimmung des Generalfeldmarschalls nach dem Plan verteilt, daß den Niederländern für die Aufrechterhaltung ihrer Wirtschaft Rohstoffe für ein halbes Jahr verbleiben, wobei sie die gleichen Zuteilungsquoten erhalten, wie dies im Reich der Fall ist. Derselbe Grundsatz der gleichen Behandlung wird bei der Versorgung mit Lebensmitteln usw. angewendet. Es konnten namhafte Rohstoffvorräte dem Reich sichergestellt werden, so z.B. 70000 Tonnen Industriefette, das soll ungefähr die Hälfte der dem Reich fehlenden Menge sein. Eine Devisengesetzgebung nach dem Reichsmuster wurde eingeführt.

Schließlich wurde erreicht, daß der Niederländische Staat jene Mittel, und zwar in auskömmlicher Weise, zur Verfügung stellt, die das Reich einschließlich der deutschen Verwaltung in den Niederlanden benötigt, so daß diese Ausgabeposten den Reichshaushalt in keiner Weise belasten.

So sind Beträge in Gulden flüssig gemacht zur Einlösung der Reichskreditkassenscheine im Ausmaß von etwa 36 Millionen, ferner in der Höhe von 100 Millionen für die Zwecke des Besatzungsheeres, insbesondere Ausbau der Flugplätze; ferner 50 Millionen für die Aufbringung der in das Reich abzutransportierenden Rohstoffe, soweit sie nicht Beute sind; ferner für den unbeschränkten Transfer, um die Überweisung der Ersparnisse der in das Reich gebrachten niederländischen Arbeiter an ihre Familien usw. sicherzustellen. Schließlich wurde der Kurs der Reichskreditkassenscheine, der anfangs vom OKH im Verhältnis zu 1 Gulden = 1,50 RM festgesetzt wurde, wieder auf das richtige Verhältnis 1 fl = 1,33 RM herabgesetzt.

Vor allem aber war es möglich, eine von Generalkommissar Fischböck vorgeschlagene Maßregel, die die Zustimmung des Generalfeldmarschalls gefunden hat, beim Präsidenten der Niederländischen Bank, Trip, durchzusetzen, nämlich die unbeschränkte gegenseitige Annahmeverpflichtung für die beiderseitigen Valuten, d.h., die Niederländische Bank ist verpflichtet, jeden Markbetrag, den ihr die Reichsbank anbietet, zu übernehmen und hierfür Gulden zum Kurse von 1,33, d.i. eine Reichsmark gleich 75 Cent, zur Verfügung zu stellen. Eine Kontrolle hierüber hat lediglich die Reichsbank, [618] nicht aber die Niederländische Bank, der nur die einzelnen Geschäftsfälle mitgeteilt werden. Diese Regelung geht weit über alle bezüglichen Regelungen hinaus, die bisher mit den Nachbarvolkswirtschaften einschließlich der des Protektorats getroffen wurden, und stellt eigentlich den ersten Schritt zu einer Währungsunion dar. Mit Rücksicht auf diese Bedeutung des Abkommens, die schon an die Unabhängigkeit des niederländischen Staates herankommt, ist es von besonderem Ausschlag, daß der in der westlerischen Bank- und Finanzwelt außerordentlich bekannte Bankpräsident Trip diesen Vertrag wieder freiwillig im obi gen Sinne unterschrieben hat.«

Soweit das Zitat aus dem Bericht Seyß-Inquarts.

Wie der Gerichtshof aus der folgenden Darstellung erkennen wird, versuchten die Deutschen, sich insbesondere in Holland mit allen Anstrengungen der Zahlungsmittel zu bemächtigen. Dieser Raub wird Gegenstand eines ersten Kapitels sein.

Sodann werden wir auf die Verwendung eingehen, die der Besatzungsträger von diesen Zahlungsmitteln gemacht hat. In einem zweiten Kapitel werden wir uns mit dem schwarzen Markt befassen. In Kapitel 3 werden wir die verschiedenen Erwerbungen näher betrachten, die lediglich dem äußeren Schein nach rechtmäßig durchgeführt wurden. Ein viertes Kapitel wird verschiedenartigen Räubereien gewidmet sein. Schließlich werden wir die wesentlichsten Schlußfolgerungen aus dieser wirtschaftlichen Ausplünderung in Holland ziehen.

Kapitel 1: Beschlagnahme der Zahlungsmittel durch deutsche Maßnahmen.

1. Entschädigung für die Besatzungskosten:

Ich habe schon die Ehre gehabt, meine Herren Richter, Ihnen vorzutragen, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Grenzen die Besatzungsmacht nach dem Haager Abkommen die Möglichkeit hat, geldliche Kontributionen für den Unterhalt ihrer Besatzungstruppen zu erheben.

Ich darf mich darauf beschränken, dem Gerichtshof in Erinnerung zu rufen, daß diese den besetzten Ländern auferlegten Kosten nur die Kosten für Unterbringung, Verpflegung und gegebenenfalls für die Besoldung der zur Besetzung der betreffenden Gebiete unbedingt notwendigen Truppenteile umfassen dürfen.

Die Deutschen haben diese Grundsätze wissentlich mißachtet, indem sie den Niederlanden die Zahlung einer Entschädigung für den Unterhalt der Truppe in einem Umfang auferlegten, der in keinem Verhältnis zu den Bedürfnissen dieser Truppe stand.

Auf Grund der von der Holländischen Regierung erteilten Informationen, die in drei Berichten enthalten sind, dem [619] Trip-Bericht, dem Hirschfeld-Bericht und dem Bericht des Finanzministers, die ich alle als Beweisstück RF-123 einreiche, sind folgende Summen unter dem Vorwand einer Entschädigung für den Unterhalt der Besatzungstruppen gefordert worden:

1940, 7 Monate, 477 Millionen Gulden,

1941 1 Milliarde 124 Millionen Gulden,

1942 1 Milliarde 181 Millionen Gulden,

1943 1 Milliarde 328 Millionen Gulden,

1944 1 Milliarde 757 Millionen Gulden,

1945, nur 4 Monate, 489 Millionen Gulden,

insgesamt also:

6 Milliarden 356 Millionen Gulden.

Eine derartig bedeutsame Summe stellt einen erheblichen Kriegstribut dar, der unter dem Vorwand des Unterhalts der Besatzungsarmee erhoben wurde.

Deutschland hat auf diese betrügerische Art die Bestimmungen des Haager Abkommens umgangen, um sich in den Besitz einer bedeutenden Summe von Zahlungsmitteln zu setzen.

2. Clearing.

Im Jahre 1931 erklärte Deutschland, das damals vor großen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten stand, ein allgemeines Moratorium seiner schwebenden Verpflichtungen.

Um jedoch seine ausländischen Handelsgeschäfte weiterführen zu können, hatte Deutschland mit fast allen anderen Ländern, namentlich mit Holland, Abkommen geschlossen, welche die Bezahlung über »Clearing«, das heißt auf Kompensationsgrundlage ermöglichten.

Vor dem Krieg wies das holländische Clearing einen Überschuß zugunsten Deutschlands für erfolgte deutsche Warenlieferungen aus. Aber bereits nach den ersten Monaten der Besatzung zeigte sich ein bedeutender Überschuß der Ausfuhr nach Deutschland, wohingegen die aus Deutschland stammenden Einfuhren erheblich abnahmen.

Seit Juni 1940 forderten die Deutschen von den Holländern die Anmeldung fremder Devisen, von Gold und Edelmetallen, Wertpapieren und ausländischen Guthaben, wie sich im übrigen aus der Verordnung vom 24. Juni 1940 ergibt, die ich bereits als RF-95 eingereicht habe.

Im übrigen konnten die Holländer nach der gleichen Verordnung gezwungen werden, ihre Werte an die Niederländische Nationalbank zu verkaufen.

Da Deutschland im Clearing keinen Warenausgleich leisten konnte, forderte Reichskommissar Seyß-Inquart von der Niederländischen Bank Guldenvorschüsse zur Sicherung des Gleichgewichts. Andererseits wurde bestimmt, daß das Clearing sowohl [620] für Warenlieferungen als auch für die Tilgung irgendwelcher anderen Schulden verwandt werden könnte.

Auf diese Weise konnten die Deutschen in Holland Waren und bewegliche Werttitel ohne Gegenleistung kaufen. Die Reichsmark-Guthaben der holländischen Verkäufer waren bei der Niederländischen Bank blockiert, die ihrerseits gezwungen war, einen Vorschuß in entsprechender Höhe in das Clearing einzuzahlen.

Um eine Begrenzung der Belastung des holländischen Clearingkontos zu versuchen und eine sich auf diesem Wege vollziehende Abwanderung von Gulden oder beweglichen Werten nach Deutschland zu verhindern, belegte der holländische Generalsekretär der Finanzen am 8. Oktober 1940 die im Clearing blockierten Markbeträge mit einer hohen Steuer.

Jedoch überstieg am 31. März 1941 der Kreditsaldo Hollands bereits 400 Millionen Gulden, die in Wahrheit vom holländischen Staate vorgeschossen waren. In diesem Augenblick meldete die Besatzungsmacht ihre Forderungen an:

1. Eine Summe von 300 Millionen Gulden solle auf den Saldo von 400 Millionen vorweggenommen und der deutschen Seite unter dem Titel »Militärische Besatzungskosten ›außerhalb‹ der Niederlande« eingezahlt werden. Dies geschah also ohne Berücksichtigung der effektiven Zahlungen für die Besatzungskosten dieses Landes.

2. Auf Grund einer Entscheidung des Reichskommissars vom 31. März 1941, die im Verordnungsblatt Nummer 14 angeführt ist, das ich dem Gerichtshof als RF-124 einreiche, sollten die Zahlungsoperationen nicht mehr über das Clearing vollzogen werden, sondern sich von Bank zu Bank abwickeln, was für die holländischen Banken eine unmittelbare Verschuldung gegenüber den deutschen Banken nach sich zog, und zwar zum Zwangskurse von 100 Reichsmark für 75,36 Gulden.

3. Durch eine Verordnung vom gleichen Tage, dem 31. März 1941, die ich als RF-125 dem Gerichtshof einreiche, wurde die Steuer auf die blockierten Markbeträge, die am 8. Oktober 1940 von den holländischen Behörden geschaffen worden war, abgeschafft.

In dieser für das holländische Schatzamt besonders gefährlichen Lage legte Herr Trip sein Amt als Generalsekretär der Finanzen und Präsident der Niederländischen Bank nieder.

Der Reichskommissar ersetzte ihn durch Rost van Tonningen, einen notorischen Kollaborateur, der sich willig allen Forderungen der Besatzungsmacht fügte.

Da die Privatbanken die Reichsmark-Guthaben zu diesem im Verhältnis zur wahren Parität niedrigen Kurse von 100 Reichsmark gleich 75,36 Gulden nicht behalten wollten, überwiesen sie ihre Forderungen der Niederländischen Bank. Die Forderungen der [621] Notenbank gegenüber Deutschland stiegen infolge dieser Operationen in erheblichem Umfang: Während der offenstehende Saldo sich am 1. April 1941 auf 235 Millionen Gulden belief, stieg er bis 1. Mai 1945 auf 4 Milliarden 448 Millionen Gulden.

Nach den von der Holländischen Regierung gegebenen Berichten ist dieses Guthaben durch deutsche Käufe in Holland verursacht worden, und zwar durch Käufe von Waren aller Art, mobilen Wertgegenständen oder Wertpapieren. Es ist weiterhin verursacht worden durch die Regulierung der den niederländischen Unternehmungen aufgezwungenen Dienstleistungen, durch Lohnzahlungen für die nach Deutschland deportierten Arbeiter und zur Amortisation der Schulden der Besatzungsmacht.

Neben diesen beiden Verfahren, Entschädigung für den Unterhalt der Besatzungskosten und Clearing, wußten sich die Deutschen noch dadurch Quellen zu erschließen, daß sie unter Verletzung des Artikels 50 des Haager Abkommens kollektive Geldstrafen auferlegten.

Während der Besatzungszeit belegten die Deutschen die Gemeinden unter allerlei Vorwänden mit erheblichen Geldstrafen, sei es unter dem Gesichtspunkt der Vergeltungsmaßnahmen, sei es, um sie einzuschüchtern. Diese Geldstrafen mußten von den Einwohnern gezahlt werden, mit Ausnahme der deutschen Staatsangehörigen, der Mitglieder der nazifreundlichen Organisationen, NSB, Waffen-SS und NSKK, der Gesellschaft zur Unterstützung der deutsch-holländischen Kulturgemeinde und der Personen, die auf Rechnung der Deutschen arbeiteten.

Nach den bis heute eingetroffenen Berichten machen die allein von zweiundsechzig Ortschaften auf diese Weise beigetriebenen Geldstrafen die Summe von mindestens 20.243.024 Gulden aus. Dies geht aus einer Bestätigung der Holländischen Regierung hervor, die ich dem Gerichtshof als RF-126 vorlege.

Aus dem gleichen Dokument geht hervor, daß in den von den Deutschen im Haag zurückgelassenen Archiven zwei Briefabschriften entdeckt wurden, die sich auf Kollektivgeldstrafen beziehen.

Die erste dieser Abschriften, vom 7. März 1941, besagt, daß die Kollektivgeldstrafen zu Beginn des Jahres 1941: 18 Millionen 500 tausend Gulden betrugen.

Die zweite dieser Abschriften beweist, daß Hitler den Befehl gegeben hatte, diese Summe für die nationalsozialistische Propaganda in Holland zu verwenden.

Ich zitiere:

»Reichskommissar. Den Haag FS 1808, den 8. 3. 1941, 17.20 Uhr.

An den V-Stab Berlin.

[622] Zur sofortigen Vorlage an Reichsleiter M. Bormann.

Durch die einigen holländischen Städten auferlegte Sühneleistung wird in den nächsten Tagen ein Betrag von 18 1/2 Millionen Gulden eingehen. Der Reichskommissar fragt an, ob der Führer für diesen Betrag eine bestimmte Verwendung vorschreibt oder ob diese Summe demselben Zweck zugeführt werden soll, die der Führer seinerzeit im Falle der Beschlagnahme feindlichen Vermögens angeordnet hat. Der Führer verfügte damals, daß diese Summe gemeinnützigen Zwecken unter Beobachtung politischer Gesichtspunkte in den Niederlanden zugeführt werden sollen.

Heil Hitler! gez. Schmidt-Münster, Generalkommissar.«

Es folgt die Uebersetzung der Antwort; Dokument RF-126:

»Obersalzberg, den 10. März 1941, 10 Uhr, FS NR/4 Reichsleiter Bormann...«

VORSITZENDER: Einen Moment bitte! Einige der Abschriften, die Sie dem Gerichtshof unterbreitet haben, scheinen nicht genau zu stimmen. Der Absatz, den Sie gerade verlesen haben, fehlt in manchen Abschriften.


[Dem Vorsitzenden wird eine andere Abschrift überreicht.]


Ich habe nun eine weitere Abschrift des Dokuments, das Sie gerade verlesen haben. Die beiden Abschriften, die uns gegeben wurden, scheinen nicht übereinzustimmen.

M. GERTHOFFER: Das Dokument war vielleicht unklar numeriert. Es gibt zwei Dokumente unter RF-126. Man hätte sie als RF-126 (I) und RF-126 (II) bezeichnen sollen.

Im ersten Dokument RF-126 bestätigt der Vertreter der Holländischen Regierung die Richtigkeit der Übersetzung der ersten Abschrift und im zweiten Dokument RF-126 bestätigt derselbe Vertreter der Holländischen Regierung das Vorhandensein der Antwort aus dem Führerhauptquartier.


VORSITZENDER: Das erste Dokument ist das, welches Sie gerade verlesen haben. Das zweite Dokument fängt mit den Worten an:

»Ihre Anfrage vom...«. Sprechen Sie von diesem?


M. GERTHOFFER: Es ist das zweite Dokument.


VORSITZENDER: Könnten wir das Original dieses Dokuments sehen? Es sind zwei verschiedene Dokumente, die beide mit denselben Worten beginnen.


M. GERTHOFFER: Beide Dokumente wurden von der Holländischen Regierung vorgelegt. Der Vertreter der Holländischen [623] Regierung, der sie überreicht hat, bestätigt, daß diese Dokumente in Holland unter den deutschen Akten aufgefunden wurden.

Die Holländische Regierung war gezwungen, erhebliche Zahlungen für deutsche Rechnung zu leisten. Aus dem Bericht, der als RF-123 eingereicht wurde, geht folgendes hervor:

1. Die Deutschen verlangten, daß eine Summe von 3.000 Millionen Gulden, die auf dem Konto der Niederländischen Bank lag, für die Bedürfnisse der Besatzungstruppen außerhalb Hollands benutzt werden könne und daß eine Summe von 76.800.000 Gulden aus demselben Grunde in Gold eingezahlt werden sollte. Insgesamt mußte Holland also unter diesem Vorwand für den Unterhalt der Besatzungstruppen in anderen Ländern 376.800.000 Gulden zahlen.

2. Ab Juni 1941 wurde Holland gezwungen, als monatlichen Beitrag für die Kosten des Krieges gegen Rußland eine Summe von 37.500.000 Gulden zu zahlen, und zwar teilweise in Gold; insgesamt hat Deutschland unter diesem Titel eine Summe von 1.696.000 Gulden gefordert.

3. Die Niederländische Bank wurde gezwungen, die Rückzahlung der Reichskreditkassenscheine in Höhe von 133.600.000 Gulden zu übernehmen.

4. Die Kosten für die deutsche Zivilverwaltung in Holland wurden zu Lasten dieses Landes geschrieben und belaufen sich auf 173.800.000 Gulden.

5. Das Niederländische Schatzamt wurde darüber hinaus gezwungen, für Rechnung des Reiches 414.500.000 Gulden zur Deckung verschiedener Ausgaben zu zahlen. Dazu gehören: Löhne für die nach Deutschland deportierten Arbeiter, Kosten, die durch die Räumung verschiedener Gebiete und Kosten, die durch die Abtragung verschiedener Befestigungsbauten entstanden waren, angebliche Kosten für die Bewachung von Eisenbahnlinien, Gelder, die dem Reichskommissar für verschiedene Industrieunternehmungen zur Verfügung gestellt waren, welche für deutsche Zwecke arbeiteten.

6. Die Deutschen setzten sich im Juli 1940 in den Besitz von 816 Goldbarren, die der holländischen Nationalbank gehörten, und die sich auf einem bei Rotterdam versenkten holländischen Schiffswrack befanden und einen Gesamtwert von 21.100.000 Gulden darstellten.

7. Der holländische Staat wurde gezwungen, jährliche Ausgaben in Höhe von 1.713.000.000 Gulden zu decken, um die Finanzierung der von der Besatzungsmacht in Holland neu eingerichteten Verwaltungsdienststellen zu sichern.

[624] Auf diese Weise hat Holland 8.565.000.000 Gulden verloren. Insgesamt beläuft sich die Gesamtsumme der effektiv an Deutschland geleisteten Beträge, einschließlich des von dem auf der Maas gestrandeten Schiffes fortgenommenen Goldes, auf 11.380.800.000 Gulden. Wenn man diese Kosten noch zu den Besatzungskosten und zu dem Clearing hinzuzählt, dann beläuft sich die Gesamtsumme der Holland auferlegten finanziellen Belastungen auf 22.224.800.000 Gulden.

Diese Tatsachen hatten für die holländische Wirtschaft ernste Folgen. Tatsächlich war der Goldstand, der am 1. April 1940 auf 1.236.000.000 Gulden zu beziffern war, am 1. April 1945 auf 932.000.000 Gulden gefallen.

Der Notenumlauf hingegen war von 1.127.000.000 Gulden am 1. April 1940 auf 5.468.000.000 Gulden am 1. April 1945 gestiegen.

Als die Deutschen die Niederlande besetzten, war schon ein großer Teil des Goldbestandes der Niederländischen Bank in das Ausland verbracht worden; je doch bemächtigten sich die Deutschen unter den verschiedensten Vorwänden des ganzen Goldes, das sich in den Kassen der Bank befand. Ich möchte daran erinnern, daß sie sich als Besatzungskosten 75.000.000 Gulden in Gold geben ließen, und daß sie als Zwangsbeitrag Hollands für den Russenfeldzug etwa 144.000.000 Goldgulden forderten.

Rost van Tonningen, der von den Deutschen eingesetzte Generalsekretär der Finanzen und Präsident der Niederländischen Bank, schrieb dem Reichskommissar am 18. Dezember 1943, daß es in Holland seit März 1943 kein Gold mehr gäbe.

Die Abschrift dieses Briefes ist dem Gerichtshof als RF-127 vorgelegt. Ein Dokument, das von der Armee der Vereinigten Staaten aufgefunden wurde, und das ich als RF-128 einreiche, stellt einen Bericht des Kommissars der Niederländischen Bank vom 12. Juni 1941 dar und führt aus, daß die Goldreserven der Niederländischen Bank sich am 12. Juni 1941 auf 1.021.800.000 Gulden beliefen, von denen sich nur 134.600.000 Gulden in Holland befänden, während der Rest entweder in England oder in Südafrika oder in den Vereinigten Staaten sei. Der gleiche Bericht bestätigt, daß alles Gold aus Holland fortgeschafft worden sei.

Die Deutschen beschlagnahmten nicht nur das Gold der Niederländischen Bank, sondern nahmen auch die Gold- und Devisenbestände fort, die sich im Besitz der Bevölkerung befanden. Die Besatzungsbehörden zwangen die Eigentümer, Gold, das sich in ihrem Besitz befand, bei der Niederländischen Bank zu hinterlegen. Alsdann requirierten sie dieses Gold und übertrugen es der [625] Reichsbank. Ein Betrag von ungefähr 71.300.000 Gulden wurde auf diese Weise dem Publikum als Ausgleich für das beschlagnahmte Gold ausbezahlt.

Auf die gleiche Weise kauften die Deutschen von Privatpersonen auch verschiedene ausländische Wertpapiere im Betrage von 13.224.000 Gulden sowie schwedische Staatspapiere für 4.623.000 Gulden.

Mit Hilfe der bedeutenden finanziellen Mittel, die die Deutschen zur Verfügung hatten, konnten sie in Holland zahlreiche Ankäufe tätigen. Diese Ankäufe, die mit Hilfe der von Holland erpreßten Gelder durchgeführt wurden, können nicht so betrachtet werden, als ob sie auf der Grundlage einer echten Gegenleistung erfolgt wären. Sie sind in Wahrheit lediglich mit Hilfe fiktiver Zahlungen beglichen worden.

Neben den zahlreichen Requisitionen, auf die keinerlei Regelungen erfolgten, tätigten die Deutschen auch heimliche Ankäufe auf dem schwarzen Markt und schlossen Geschäfte ab, die scheinbar in Ordnung waren.

Sie verschafften sich auf diese Weise eine Menge von Waren aller Art und ließen der Bevölkerung nur ein Mindestmaß von Erzeugnissen, die nicht ausreichten, um ihre Lebensbedürfnisse zu sichern.

In Kapitel 2 dieser Ausführung werden wir die heimlichen Ankäufe auf dem schwarzen Markt untersuchen und im dritten Kapitel die Ankäufe behandeln, die auf angeblich legaler Grundlage getätigt wurden.

Kapitel 2: Der schwarze Markt.

Wie in allen anderen besetzten Ländern haben die Deutschen auch in Holland bedeutende Warenmengen auf dem schwarzen Markt wucherisch aufgekauft, obwohl dies in Widerspruch zu der Rationierungs-Gesetzgebung stand, die sie selbst erlassen hatten.

Es ist bis jetzt infolge der Heimlichkeit, mit der diese Maßnahmen durchgeführt worden sind, noch nicht möglich gewesen, auch nur annähernd das Ausmaß der Warenmengen zu bestimmen, die sich die Deutschen auf diesem unehrlichen Wege verschafft haben. Jedoch gibt uns der Geheimbericht des deutschen Obersten Veltjens, den ich heute morgen als RF-112 einzureichen die Ehre hatte, einige Angaben über das Ausmaß dieser deutschen Aufkäufe, und zwar für einen Zeitraum von ungefähr fünf Monaten, das heißt von Juli bis November. Ich verlese einen Abschnitt aus dem Bericht von Oberst Veltjens:

[626] »In den Niederlanden wurden seit Beginn der Aktion – gegen Überweisung im normalen Bankverkehr – gekauft:

NE-Metalle: 6.706.744 Reichsmark

Spinnstoffe: 55.285.568

Wolle: 753.878

Leder, Häute und Felle: 4.723.130

Hölzerne Fässer: 254.982

Möbel: 272.990

Nahrungs- und Genußmittel: 590.859

Chemische und Kosmetische Artikel:

152.191

Diverse Eisen- und Stahlwaren:

3.792.166

Lumpen: 543.416

Motoröl: 52.284

Rohe Diamanten: 25.064

Sonstiges: 531.890

insgesamt: 73.685.162 Reichsmark.«

Diese Einkäufe wurden durch Abrechnung über die Banken ausgeglichen. Eine erhebliche Menge anderer Waren, die bis jetzt noch nicht festgestellt werden konnte, ist durch Käufe erstanden worden, die über solche Gulden abgewickelt worden sind, die aus der sogenannten Entschädigung für die Besatzungskosten herrührten.

VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt für zehn Minuten vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


M. GERTHOFFER: Im Kapitel 3, das der wirtschaftlichen Ausplünderung Hollands gewidmet ist, werden wir die Frage der Ankäufe auf scheinbar legaler Basis auf diejenigen Angaben beschränken, die uns seitens der Holländischen Regierung zugänglich gemacht worden sind.

1. Industrielle Produktion:

Aus einem Bericht des Vertreters der Holländischen Regierung, den ich als RF-129 einführe, geht hervor, daß die Deutschen den größten Teil der industriellen Kapazität Hollands zu ihren Gunsten ausnutzten und die erheblichen Vorräte, die sich in den Fabriken befanden, in gleicher Weise für sich in Anspruch nahmen. Der Wert dieser Bestände betrug mindestens 800 Millionen Gulden. Außerdem verschleppten die Besatzungsbehörden zahlreiche Maschinen, die in einigen Fällen noch nicht einmal durch Scheinzahlungen beglichen wurden. Eine genaue Bilanz dieser Plünderungen, die manchmal sämtliche Maschinen eines Industrieunternehmens umfaßten, konnte noch nicht aufgestellt werden.

[627] Als Beispiel kann angeführt werden, daß in Verfolg eines Requirierungsbefehls des Reichskommissars vom 4. März 1943 alle Maschinen und technischen Einrichtungen unter Einschluß der Zeichnungen und Pläne sowie sämtlicher Hallen und Zubehörteile der Hochöfen einer großen Fabrik ohne jedwede Entschädigung fortgeschafft und in die Nähe von Braunschweig für die »Hermann-Göring-Werke« verbracht wurden. Dies ergibt sich aus einem Dokument, das ich als RF-130 vorlege.

Die Deutschen haben in allen besetzten Gebieten eine Zahl von Ämtern geschaffen, die den besonderen Auftrag hatten, Maschinen fortzuschaffen. Sie haben ihnen den Namen »Maschinenausgleichsamt« gegeben. Diese Ämter, die den Rüstungsinspektionen unterstanden, erhielten die Anforderungen für Produktionsmittel von der deutschen Industrie und mußten sie durch Beschlagnahmen in den besetzten Gebieten erfüllen.

Auf der anderen Seite wurden technische Stäbe mit der Aufgabe betraut, Maschinen ausfindig zu machen, sie abzumontieren und nach Deutschland zu verfrachten. Die Organisation dieser offiziellen Plünderungsstäbe geht aus deutschen Urkunden hervor, die dem Gerichtshof in Verbindung mit dem besonderen Fall Belgien vorgelegt werden sollen.

Aus einem an den Militärbefehlshaber gerichteten Bericht vom 1. März 1944 geht hervor, daß das Maschinenausgleichsamt vom Haag nur einen kleinen Teil der Forderungen erfüllen konnte. So betrugen am 1. Januar 1944 diese Forderungen 677 Millionen Reichsmark, und da im Monat Januar für 61 Millionen Reichsmark Maschinen geliefert wurden gegenüber den 87 Millionen neuen Forderungen, so belief sich der Stand der Maschinenanforderungen Ende Januar 1944 auf 703 Millionen Reichsmark.

Dies geht aus einem Dokument hervor, das ich als RF-131 vorlege.

Vor ihrem Rückzug aus den Niederlanden haben die Deutschen erhebliche Zerstörungen aus angeblich strategischen Gründen, tatsächlich aber aus Zerstörungswut vorgenommen. Ehe sie zur Zerstörung der Fabriken schritten, entnahmen sie ihnen vorher diejenigen Maschinen, die sie abmontieren konnten, und verschleppten sie, wie auch die Rohstoffe, nach Deutschland. So wurden sie insbesondere tätig in den Phillips-Werken in Eindhoven, Hilversum und Bussum, in den Petroleumlagern von Amsterdam und Bjoern und in den Rüstungsfabriken von Breda, Tilbourg, Berg-op-Zoom und Dordrecht.

Diese Tatsachen ergeben sich aus einem Bericht des Feldwirtschaftsoffiziers beim Wehrmachtbefehlshaber in den Niederlanden vom 9. Oktober 1944, den ich als RF-132 vorlege.

[628] Dieser Bericht gibt uns einige Aufschlüsse über die Organisierung der deutschen Plünderungen, insbesondere über die Entnahme von Maschinen.

Ich verlese einige Auszüge:

»Als erstes und wichtiges wehrwirtschaftliches Objekt in den Niederlanden wurden die Phillips- Werke in Eindhoven in Angriff genommen.«

Etwas weiter unten schreibt der Verfasser:

»... gelang es doch, vor Einbruch des Gegners... dieses bedeutende Werk des Kontinents auf dem Gebiet der Radio-Röhren- und Glühlampenfabrikation und der Nachrichtenmittel-Erzeugung nachhaltig zu zerstören, nachdem vorher, durch Einsatz des Fwi.Kdo. 7, die wertvollsten Metalle und Spezialmaschinen abtransportiert waren.

Schon am 7. 9. konnte ein Kommando in Eindhoven bei den Phillips-Werken wichtigste NE-Metalle, wie Wolfram, Mangan, Kupfer und hochwertige Apparate mit Lkw ins Reich befördern. Auch weiter beteiligte sich das Fwi.Kdo. 7 am Abtransport der Fertig- und Halbfertigfabrikate sowie der Maschinen bei Phillips. Infolge der Besetzung in Eindhoven durch den Gegner fand dieser Abtransport sein Ende. Es erfolgte dann die Räumung der Phillips-Filialen in Hilversum und Bussum. Hier gelang der restlose Abtransport aller Vorräte an NE-Metallen, Fertig- und Halbfertigfabrikaten, Maschinen und Fabrikationsunterlagen.

Gleichzeitig wurden zu den jeweiligen Außenstellenleitern des Beauftragten des Reichsministers für Rüstungs- und Kriegsproduktion in den Ndl., die für jede Provinz eingeteilt sind, Abtransportkommandos abgestellt. Diese Kommandos haben im Einvernehmen mit den erwähnten Außenstellenleitern und den zuständigen zivilen Dienststellen Abtransporte wichtiger Rohstoffe und Erzeug nisse sowie Maschinen durchgeführt. Durch restlosen, anerkennenswerten Einsatz der Offiziere, Beamten, Sdf. und Mannschaften ist es gelungen, während des Monats September ganz erhebliche Bestände an NE-Metallen, wertvollen Rohstoffen und Fabrikaten ins Reich abzubefördern bzw. geeignetes Material der Truppe zuzuführen. Einsatz und Steuerung dieser Aktionen im westlichen und südlichen Raum der Ndl. oblag federführend dem FwiONdl.«

Der Verfasser schließt sodann mit folgenden Worten:

»Für die Räumungsaufgaben und Vorbereitungen der ARLZ-Maßnahmen im Befehlsbereich des AOK 15 und gleichzeitig als Verbindungsmann zum O.Qu./Stab des AOK 15 [629] wurde vom Fwi.Kdo. 7 ein Trupp unter Führung des Hptm. Rieder abgestellt. Auch hier konnte, in enger Zusammenarbeit mit den zivilen Dienststellen und der Abteilung IVa des AOK 15, wertvolle Arbeit beim Abtransport von Rohstoffen und Mangelgütern sowie Maschinen geleistet werden. Diese Aktionen liefen erst am Ende des Berichtsmonats an.«

Die Requisition von Rohstoffen.

Neben dieser Verschleppung von Maschinen gibt uns die Holländische Regierung nähere Einzelheiten über die Vorräte an Rohstoffen und Fertigfabrikaten. Außer den Beständen, die sich in den Fabriken befanden, haben sich die Deutschen riesige Mengen von Rohstoffen und Fertigwaren verschafft, deren Minimalwert nicht unter einer Milliarde Gulden liegt.

In diese Schätzung sind die durch den Krieg hervorgerufenen Zerstörungen nicht einbegriffen, die sich auf etwa 300 Millionen Gulden belaufen.

3. Landwirtschaft:

Die Deutschen haben landwirtschaftliche Erzeugnisse und Vieh requiriert und auf diesem Sektor in großem Umfang Masseneinkäufe getätigt. Diese Erhebungen hierüber belaufen sich auf mindestens 300 Millionen Gulden, wobei eine genaue Bewertung noch nicht vorgenommen werden konnte.

Um eine Größenordnung zu geben, wollen wir mitteilen, daß die Deutschen sich Ende 1943 folgender Dinge bemächtigten;

600000 Schweine, 275000 Kühe und 30000 Tonnen Konservenfleisch, was aus einer Erklärung des Vertreters der Holländischen Regierung hervorgeht, die ich dem Gerichtshof als RF-133 vorlege.

Zusätzlich möchte ich noch bemerken, obgleich diese Frage von meinem Kollegen, der die gegen Einzelpersonen begangenen Kriegsverbrechen behandeln wird, wieder aufgegriffen werden wird, daß am 12. April 1944 offensichtlich ohne jeden strategischen Grund 20 Hektar bebautes Land in Weeringemer überflutet wurden.

4. Transportwesen und Verkehr:

Die Deutschen haben auf dem Gebiet des Transportwesens und des Verkehrs ungeheure Materialmengen fortgeführt. Es ist noch nicht möglich, ein genaues Inventar aufzustellen. Die Auskünfte, die die Holländische Regierung gegeben hat, erlauben jedoch, sich eine Vorstellung über die ungeheure Größenordnung dieser Plünderungen zu machen.

Ich unterbreite dem Gerichtshof als RE-134 den Bericht des Vertreters der Holländischen Regierung über Transport- und Verkehrswesen und gebe im folgenden eine Zusammenfassung:

a) Eisenbahnen: Bei einem Gesamtbestand von 890 Lokomotiven wurden 490 weggenommen. Bei einem Gesamtbestand von 30000 [630] Waggons wurden 28950, bei einem Gesamtbestand von 1750 Personenwaggons wurden 1466, bei einem Gesamtbestand von 300 elektrischen Zügen wurden 215 und bei einem Gesamtbestand von 37 elektrischen Dieselzügen wurden 36 fortgeführt.

Im allgemeinen war das wenige Material, das die Deutschen zurückgelassen haben, entweder durch den Gebrauch oder durch Kriegsschäden oder durch Sabotage erheblich beschädigt.

Außer dem rollenden Material haben die Deutschen große Mengen von Schienen, Signalen, Kranen, Drehbrücken und Werkstattwagen in das Reich verbracht.

b) Straßenbahnen: Das Straßenbahnmaterial aus den Städten Den Haag und Rotterdam wurde fortgenommen und in deutsche Städte verbracht. So sind zum Beispiel 50 Triebwagen und 42 Anhänger nach Bremen und Hamburg überführt worden.

Eine erhebliche Anzahl von Schienen, Kabeln und anderen Zubehörteilen sind ebenfalls fortgenommen und nach Deutschland verbracht worden, ebenso auch die Autobusse der Straßenbahngesellschaften.

c) Die Deutschen haben die Mehrzahl aller Automobile, Motorräder und ungefähr eine Million Fahrräder entführt und der Bevölkerung nur solche Maschinen zurückgelassen, die nicht mehr in Ordnung waren.

d) Schiffahrt: Die Deutschen bemächtigten sich eines großen Teils der Motorpinassen und Binnenschiffahrtsboote, ebenso wie auch eines erheblichen Teiles der Handelsflotte von insgesamt etwa eineinhalb Millionen Tonnen.

e) Das Postwesen: Die Deutschen haben eine Unzahl von Telephonapparaten und Telegraphen, Leitkabeln und Zubehörteilen entführt, deren Zahl nicht genau geschätzt werden kann. 600000 Radioapparate sind beschlagnahmt worden.

Ich gehe nunmehr zum nächsten Kapitel über.

Kapitel 4: Plünderungen verschiedener Art:

Zwangsarbeit für die Besatzungsmacht.

Nach den Auskünften der Holländischen Regierung, die ich als RF-136 vorlege, wurde eine große Zahl holländischer Arbeiter teils in Holland, teils in Deutschland zur Arbeit gezwungen. Es gab ungefähr 550000 nach Deutschland Verschleppte, was eine erhebliche Zahl von Arbeitsstunden bedeutet, die der holländischen Eigenproduktion verloren gingen.

Plünderungen der königlichen Paläste:

Das Mobiliar, die Privatarchive, die Rennställe, Wagen sowie die Keller der königlichen Paläste wurden von Deutschen beraubt. So wurde insbesondere der Palast von Nordeinde völlig ausgeplündert, und zwar einschließlich des Mobiliars, vor allem der[631] Möbel, Tischwäsche, des Silbers, der Bilder, Teppiche, Kunstgegenstände und Haushaltsartikel. Ähnliche Gegenstände wurden aus dem Palast Het Loo gestohlen und fanden in einem Genesungsheim für deutsche Generale Verwendung.

Die Archive des königlichen Hauses wurden in gleicher Weise bestohlen. Dies ergibt sich aus einem Bericht des holländischen Regierungsvertreters, den ich dem Gerichtshof als RF-136 unterbreite.

Plünderung der Stadt Arnhem:

Außer den vielen Fällen von Einzelplünderungen, von denen im gegenwärtigen Vortrag nicht gesprochen wird, haben systematisch durchgeführte Plünderungen ganzer Städte stattgefunden. So wurde die Stadt Arnhem im Oktober und November des Jahres 1944 Gegenstand einer derartigen Plünderung.

Die Deutschen hatten Grubenarbeiter aus Essen kommen lassen, die unter militärischer Leitung in Spezialmannschaften aufgeteilt waren und alle zum Transport geeigneten Möbel und andere Dinge verschiedenster Art fortnahmen und nach Deutschland auf den Weg brachten. Diese Tatsache geht aus einem Bericht des holländischen Regierungsvertreters hervor, den ich als RF-137 vorlege.

Die Folgen der wirtschaftlichen Ausplünderung in den Niederlanden sind beträchtlich. Ich darf daran erinnern, daß die ungeheure Verringerung des Nationalvermögens auf Jahre hinaus eine verminderte Produktion für die Bedürfnisse des Landes zur Folge haben wird. Die ernsteste Folge aber liegt in dem öffentlichen Gesundheitswesen, weil sie nämlich nicht wieder ausgeglichen werden kann.

Die übermäßige, während mehrerer Jahre durchgeführte Rationierung der Lebensmittel, der Kleidung und des Heizmaterials, die von der Besatzungsmacht angeordnet wurde, um das Ausmaß ihrer Plünderungen zu steigern, haben eine Schwächung der Bevölkerung zur Folge gehabt.

Die durchschnittlich von den Einwohnern verbrauchte Kalorienzahl betrug seinerzeit 2800 bis 3000 Kalorien, ging dann nach und nach auf 1800 zurück, um sodann im April 1945 sogar auf nur 400 Kalorien zu fallen.

Mit Ausgang des Sommers 1944 wurde die Ernährungslage immer schwieriger. Der Reichskommissar Seyß-Inquart verbot die Lebensmitteltransporte zwischen den nordöstlichen und westlichen Teilen des Landes. Diese Maßnahme, die durch keine militärischen Notwendigkeiten bedingt war, scheint einem Gefühl des Hasses der Bevölkerung gegenüber entsprungen und auf die Absicht gegründet zu sein, die Bevölkerung zu berauben, einzuschüchtern, zu schwächen und zu terrorisieren.

[632] Erst im Monat März 1945 wurde diese unmenschliche Maßnahme aufgehoben, aber es war bereits zu spät; die Hungersnot war allgemein geworden. In den Städten Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Leyden, Delft und Gouda stieg die Sterblichkeitsziffer erheblich an, und zwar ging sie von 198 Prozent auf 260 Prozent hinauf. Krankheiten, die in dieser Gegend fast verschwunden waren, tauchten wieder auf.

Eine derartige Lage wird für die Zukunft der Bevölkerung Folgen haben, die niemals wieder gutzumachen sind.

Die soeben geschilderten Tatsachen ergeben sich aus zwei Berichten, die ich als RF-139 und RF-140 vorlege.

Dadurch, daß die Deutschen derartige Rationierungsmaßnahmen anordneten, um sich unter Mißachtung des Völkerrechts der für den Lebensunterhalt der Holländer notwendigen Erzeugnisse zu sichern, haben sie eines ihrer größten Verbrechen begangen.

Ich beende hiermit meine Darlegungen über Holland. Mein Kollege, Herr Delpech, wird nunmehr den Fall Belgien vortragen.

M. HENRY DELPECH, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter!

Ich beehre mich, dem Gerichtshof eine Darstellung der wirtschaftlichen Ausplünderung Belgiens vorzutragen.

Schon seit Anfang 1940 hatten die nationalsozialistischen Führer die Absicht gehabt, in Belgien, Holland und Nord-Frankreich einzufallen. Sie wußten, daß sie dort die Rohstoffe, Einrichtungen und Unternehmen finden würden, die ihnen die Erhöhung ihres Kriegspotentials erlaubten.

Sofort nach der Besetzung Belgiens hat sich die deutsche Militärverwaltung bemüht, den höchsten Nutzen aus dem Lande zu ziehen. Zu diesem Zweck haben die deutschen Machthaber eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um alle vorhandenen Reichtümer zu blockieren und sich aller Zahlungsmittel zu bemächtigen. Die in der Zeit von 1936 bis 1938 gebildeten bedeutenden Warenbestände wurden umfassenden Requirierungen unterworfen. Maschinen und Einrichtungen vieler Unternehmen wurden fortgeschafft und nach Deutschland verschleppt, Maßnahmen, die zur Schließung zahlreicher Fabriken sowie zur zwangsweisen Konzentrierung auf verschiedenen Gebieten führten. Unter Berücksichtigung des hochgezüchteten industriellen Charakters des Landes haben die Besatzungsbehörden der belgischen Industrie unter den verschiedensten Androhungen schwere Tribute auferlegt.

Aber selbst die Landwirtschaft wurde nicht verschont.

Dem Studium dieser Maßnahmen ist der dritte Teil des französischen Vortrags über die Wirtschaft gewidmet. Die Ausführungen gliedern sich in vier Kapitel:

[633] In unserem ersten Kapitel werden wir die Beschlagnahme der Zahlungsmittel behandeln. Das zweite Kapitel wird den heimlichen Aufkäufen und der Darstellung des schwarzen Marktes gewidmet sein. Das dritte Kapitel wird über die Ankäufe berichten, die sich auf scheinbar legaler Basis abwickelten, und das vierte Kapitel wird den Dienstleistungen vorbehalten sein. In einem fünften Kapitel endlich werden dem Gerichtshof die Ankäufe belgischer Beteiligungen an ausländischen Unternehmen vorgetragen werden, um zum Schluß den deutschen Eingriff in das öffentliche Gesundheitswesen darzustellen.

Schließlich sollen noch einige Bemerkungen über das Benehmen der Deutschen nach der Annexion des Großherzogtums Luxemburg vorgebracht werden.

Kapitel 1: Beschlagnahme von Zahlungsmitteln seitens der Deutschen.

Das einfachste Mittel, um sich des Landes vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus zu versichern, bestand darin, daß man sich in den Besitz des größten Teiles der Zahlungsmittel setzte und die Ausfuhr von Geld und Werten aller Art verbot.

Die Verordnung vom 17. Juni 1940 untersagte die Ausfuhr von Geld oder Werten aller Art. Diese Verordnung wurde im Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete Belgiens, Luxemburgs und Nordfrankreichs veröffentlicht, das für die Folge in diesen Ausführungen mit der gewöhnlichen Abkürzung »VOBEL« bezeichnet werden wird.

Die Verordnung, die im VOBEL, Nummer 3, veröffentlicht ist, wird dem Gerichtshof als RF-99 vorgelegt. In der gleichen Ausgabe des VOBEL ist eine Bekanntmachung vom 9. Mai 1940 erschienen, die die Ausgabe von Reichskreditkassenscheinen zur Versorgung der Besatzungstruppen mit Zahlungsmitteln regelte.

Die Deutschen hatten somit die Möglichkeit, alles, was sie begehrten, ohne Gegenleistung zu kaufen, und zwar in einem Lande, das an Erzeugnissen aller Art Überfluß besaß, ohne daß die Einwohner die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Güter den Eindringlingen vorzuenthalten.

Darüber hinaus wandten die Deutschen drei weitere Verfahren an, um den größten Teil der Zahlungsmittel mit wucherischen Methoden aufzukaufen. Diese drei Verfahren bestanden in der Schaffung einer Emissionsbank, in der Einführung einer Kriegssteuer unter dem Vorwand des Unterhalts der Besatzungstruppen und schließlich in der Einrichtung eines Clearing-Verfahrens, das zu ihrem ausschließlichen Vorteil diente. Diese Maßnahmen werden den Gegenstand dreier Abschnitte bilden, die nunmehr entwickelt werden sollen.

[634] 1. Schaffung einer Emissionsbank.

Unmittelbar nach ihrem Einzug in Belgien errichteten die Deutschen ein Bankaufsichtsamt, das zu gleicher Zeit mit der Kontrolle über die Belgische Nationalbank betraut wurde. Dies geschah durch eine Verordnung vom 14. Juni 1940, VOBEL, Nummer 2, die dem Gerichtshof als RF-141 vorgelegt wird.

Zu dieser Zeit befand sich das Direktorium der Belgischen Nationalbank außerhalb der besetzten Gebiete. Andererseits reichten die vorhandenen Banknoten nicht aus, um einen normalen Umlauf sicherzustellen, da zahlreiche Belgier vor der Invasion unter Mitnahme großer Papiergeldbeträge geflohen waren. Dies sind zumindest die von den Deutschen vorgebrachten Gründe, um die Errichtung einer Emissionsbank durch Verordnung vom 27. Juni 1940 zu rechtfertigen. Die Verordnung ist in den Nummern 4 und 5 des VOBEL veröffentlicht, die dem Gericht als RF-142 vorgelegt werden.

Auf Grund dieser letztgenannten Verordnung vom 27. Juni 1940 erhielt die neue Emissionsbank mit einem Kapital von 150 Millionen belgischen Francs, von denen 20 Prozent in barem Geld eingezahlt wurden, das Monopol der Ausgabe von belgischem Papiergeld. Tatsächlich sah sich die Belgische Nationalbank ihres Emissionsrechts entkleidet. Die Deckung der Emissionsbank bestand nicht in Gold, sondern erstens in Forderungen, die aus Diskontierungen und Darlehen herrührten, die die Bank in Übereinstimmung mit Artikel 8 ihrer neuen Statuten eingegangen war; zweitens bestand die Deckung aus Forderungen an die Belgische Nationalbank sowie aus Münzgeld, das auf Rechnung des Staatsschatzes in Umlauf war; endlich bestand das dritte Element der Deckung aus Devisen und ausländischen Franken und im besonderen aus deutschem Geld, einschließlich der Reichskreditkassenscheine, den Guthaben bei der Reichsbank, der Deutschen Verrechnungskasse und bei der Reichskreditkasse.

Der deutsche Kommissar, der auf Grund der Verordnung vom 26. Juni 1940 eingesetzt war, wurde auch Kontrolleur der Emissionsbank, und zwar durch die Bekanntmachung vom 26. Juni 1940, die im VOBEL, Nummer 3, Seite 88 erschienen ist und dem Gerichtshof als RF-143 vorgelegt wird.

Nach der am 10. Juli 1940 erfolgten Rückkehr der Direktoren der Belgischen Nationalbank kam eine Verbindung zwischen der Nationalbank und der neuen Emissionsbank dadurch zustande, daß der Direktor der Belgischen Nationalbank an die Spitze der neuen Emissionsbank berufen wurde.

Die Emissionsbank gab sofort ungeheure Mengen von Papiergeld heraus. Am 8. Mai 1940 belief sich der Notenumlauf auf 29.800.000.000 belgische Francs. Am 29. Dezember 1943 erreichte er[635] 83.200.000.000 und am 31. April 1944 100.200.000.000 belgische Francs, was eine Erhöhung von 236 Prozent bedeutet.

Die Emissionsbank arbeitete nicht ohne gewisse Schwierigkeiten, sei es mit der Militärregierung, sei es mit ihrem eigenen Personal oder mit der Belgischen Nationalbank. Neben ihren Aufgaben als Emissionsbank oblag ihr im wesentlichen das Postscheckwesen und die Abwicklung des Devisenwesens sowie der Geschäftsverkehr mit den deutschen Stellen, vor allem auch hinsichtlich der Besatzungskosten und des Clearing.

Die Belgische Nationalbank ging ihres Rechtes zur Ausgabe von Notengeld vorläufig verlustig und nahm ihre traditionellen Geschäfte für Rechnung von Privatkunden und des Staates wieder auf, insbesondere die Börsengeschäfte.

Diese Tatsachen, Hoher Gerichtshof, werden durch den Schlußbericht der deutschen Militärverwaltung in Belgien bestätigt, und zwar, dessen neunten Teil, der den Fragen des Geldes und der Finanzen gewidmet ist. Der Schlußbericht der deutschen Militärverwaltung in Belgien ist durch die Armee der Vereinigten Staaten aufgefunden worden. Es handelt sich um ein Dokument, auf das wir uns noch oft beziehen werden. Es trägt die Bezeichnung ECH-5 und wird dem Gerichtshof als RF-144 vorgelegt.

Der uns hier interessierende neunte Teil wurde von drei Abteilungsleitern der Verwaltung in Brüssel verfaßt: Wetter, Hofrichter und Jost.

Trotz der Schaffung der Emissionsbank blieben die Reichskreditkassenscheine in Belgien weiterhin bis zum August 1942 in Umlauf, und die Belgische Nationalbank mußte diese Noten im September 1944 einlösen. Dadurch erwuchs der belgischen Wirtschaft ein Schaden von 3.567.000.000 belgischen Franken. Diese Zahl ist dem von Wetter verfaßten Bericht, Seite 112, entnommen. Der entsprechende Auszug aus diesem Bericht wurde als RF-145 eingereicht.

Außerdem hatte die Emissionsbank nach Auskünften der Belgischen Regierung bei der Befreiung des belgischen Gebietes in ihrer Kasse eine Gesamtsumme von 664 Millionen in auf Reichsmark lautenden Reichskreditkassenscheinen und besaß darüber hinaus ein Verrechnungskonto in Höhe von 12.000.000 Reichsmark bei der Reichskreditkasse, was insgesamt einen Verlust von 656.000.000 belgischen Francs bedeutete.

Diese Zahl ergibt sich aus einem Bericht der belgischen Regierung, der als RF-146 zu den Gerichtsakten gegeben wurde.

Wir kommen nun zu den Besatzungskosten:

Artikel 49 des Haager Abkommens bestimmt, daß, falls die Besatzungsmacht irgendwelche Kontributionen in Geld auferlegt, diese nur für die Bedürfnisse der Besatzungsarmee der Gebietsverwaltung dienen dürfen. Die Besatzungsmacht kann somit Kontributionen [636] für den Unterhalt ihres Heeres einfordern, jedoch nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus. Andererseits sind unter dem Begriff »Bedürfnisse des Besatzungsheeres« nicht die Kosten für Bewaffnung und Ausrüstung zu verstehen, sondern lediglich die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und normale Besoldung, so daß in jedem Fall Luxusausgaben ausgeschlossen sind.

Im übrigen ermächtigt Artikel 52 die Besatzungs macht zur Vornahme von Requisitionen für die Bedürfnisse ihres Heeres, und zwar derart, daß diese Requisitionen in Natural- oder Dienstleistungen bestehen können. Dabei wird jeweils vorausgesetzt, daß die Requisitionen mit den Hilfsquellen des Landes in Einklang stehen und die Bevölkerung nicht zwingen, an Kriegshandlungen teilzunehmen, die gegen ihr eigenes Vaterland gerichtet sind. Der gleiche Artikel 52 bestimmt darüber hinaus, daß die Naturalleistungen so weit wie möglich gegen bar bezahlt werden sollen.

Infolgedessen verlangten die Deutschen bis zum August 1941 eine monatliche Zahlung von einer Milliarde. Von diesem Augenblick an wurde die Zahlung auf anderthalb Milliarden pro Monat erhöht. Am 20. August 1944 beliefen sich die unter diesem Titel geleisteten Zahlungen auf 67 Milliarden belgische Franken. Diese Zahl wird von der Verteidigung nicht bestritten werden können, da in dem oben angeführten Bericht, Seite 103 ff, Herr Wetter im Juni 1944 schreibt, daß die für das Besatzungsheer gezahlte Summe sich auf 64.181.000.000 belg. Franken beliefe. Die diesbezügliche Stelle aus dem Bericht wird dem Gerichtshof als RF-147 vorgelegt.

Diese Summe von 64 Milliarden stand außerhalb der Bedürfnisse der Besatzungarmee. Dies geht aus dem oben angeführten Bericht von Wetter hervor, einer Stelle, die ich als RF-148 vorlege. Auf Seite 245 dieses Berichts wird erwähnt, daß der Oberbefehlshaber in Belgien am 17. Januar 1941 beim Oberkommando des Heeres angefragt hatte, ob die Entschädigung nur die eigentlichen Besatzungskosten decken sollte. Diese Ansicht wurde vom Oberkommando des Heeres zurückgewiesen, das mit Entscheid vom 29. Oktober 1941 ausführte, daß die Besatzungskosten nicht nur für die Bedürfnisse der Besatzungstruppen, sondern auch für diejenigen der Operationstruppen verwandt werden sollten.

Überdies heißt es auf Seite 11 des deutschen Originaltextes des gleichen Berichts, wobei ich dem Gerichtshof den zweiten Absatz eines Teiles verlesen werde, das sich im Dokumentenbuch als RF-149 befindet:

»Da das Ansteigen der Wehrmachtsausgaben voraussehen ließ, daß mit diesem Betrag nicht auszukommen sein werde, drängte die MV auf eine Bereinigung der Besatzungskosten durch Herausnahme der besatzungsfremden Ausgaben. Es handelte sich hierbei um erhebliche Aufwendungen der [637] militärischen Dienststellen in Belgien zum Ankauf von Gütern aller Art, insbesondere Pferden, Kraftfahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen, die für andere Gebiete bestimmt waren, und die diese unter Inanspruchnahme der Besatzungskosten gemacht hatten und laufend noch machten. Durch Entscheidung des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 11. Juni 1941 wurde die Finanzierung der besatzungsfremden Ausgaben über das Clearing angeordnet. Zur Durchführung dieser Entscheidung ließ sich der Intendant beim Mil.-Bef. ab Juni 1941 die besatzungsfremden Ausgaben, die zunächst aus Besatzungskosten bezahlt worden waren, monatlich zwecks Rückerstattung im Clearing melden. Auf Grund dieser Unterlagen konnten erhebliche Beträge wieder hereingebracht und dem Besatzungskonto zugeführt werden.«

Bevor ich diesen Punkt beende, der dem Kriegstribut gewidmet ist, diesem Besatzungskostentribut, scheint es mir am Platze zu sein, darauf hinzuweisen, daß die Deutschen schon durch Verordnung vom 17. Dezember 1940, die als RF-150 vorgelegt wird, verlangt hatten, daß die Kosten für die Unterkunft ihrer Truppen zu Lasten Belgiens gehen sollten. Aus diesem Grunde hat Belgien Ausgaben von insgesamt 5.900.000.000 Francs bestreiten müssen, die zur Deckung der Kosten für Unterkunft der Truppen, für die Einrichtung, Ausstattung und das Mobiliar gedient haben.

Auf Seite 104 seines Berichts, einem Fragment, das bereits als RF-147 vorgelegt ist, gibt Wetter an, daß sich Ende Juni 1944 die belgischen Zahlungen für den Unterhalt der Truppe auf 5.423.000.000 belgische Franken belaufen haben.

Wir kommen somit zum dritten Teil der deutschen Beschlagnahmemaßnahmen, dem Clearing.

Die Ausgabe von Reichskreditkassenscheinen und der Kriegstribut, die »Besatzungskosten«, genügten dem Reiche immer noch nicht. Seine Machthaber führten ein Clearing-System ein, das ihnen gestattete, sich unrechtmäßig Zahlungsmittel im Betrage von 62.200.000.000 belgischen Franken anzueignen.

Sofort nach ihrem Einmarsch in Belgien haben die Deutschen durch die Verordnungen vom 10. Juli, 2. August und 5. Dezember 1940, die als RF-151, RF-152 und RF-153 in das Dokumentenbuch aufgenommen wurden, angeordnet, daß erstens sämtliche Zahlungen von in Belgien ansässigen Schuldnern an in Deutschland wohnhafte Gläubiger auf ein Belga-Konto »Deutsche Verrechnungskasse, Berlin«, das bei der Belgischen Nationalbank in Brüssel eröffnet wurde, eingezahlt werden sollten, und zwar entgegen der Devisenverbotsverordnung vom 17. Juni 1940, auf die ich bereits im Zusammenhang mit der Blockierung der belgischen Zahlungsmittel hingewiesen habe.

[638] Durch Verfügung vom 4. August 1940 wurde darüber hinaus vorgeschrieben, daß die Durchführung und Rechnungsführung des Clearing von nun an nicht mehr der Belgischen Nationalbank, sondern der Emissionsbank in Brüssel obliegen sollte, die, wie ich zu bemerken bereits die Ehre hatte, von der Besatzungsmacht geschaffen worden war und unter ihrer vollständigen Kontrolle stand.

Die Deutschen zwangen zweitens die Schuldner, die im Reich ansässig waren, ihre belgischen Gläubiger ebenfalls über das offene Konto bei der Emissionsbank in Brüssel zu bezahlen, und zwar zum Kurs von 100 Belgas für 40 Mark, das heißt eine Mark für 12.50 belgische Franken.

Diese Maßnahmen wurden übrigens auf die von Deutschland besetzten Gebiete ausgedehnt, um die deutschen Operationen in diesen Gebieten zu erleichtern, ja, sie wurden sogar auf gewisse neutrale Staaten durch verschiedene ähnliche Verfügungen ausgedehnt, die in der Sammlung der Verordnungen veröffentlicht wurden.

Die Aufgabe der Emissionsbank in Brüssel bestand also einerseits darin, Zahlungen von in Belgien ansässigen Personen oder Dienststellen an ausländische Gläubiger zu erhalten und andererseits Zahlungen an diejenigen belgischen Personen oder Stellen zu leisten, die an das Ausland Forderungen hatten.

Mit andern Worten, wenn immer ein Exporteur Waren an einen Importeur eines anderen zum Clearing-System gehörenden Landes lieferte, so wurde diese Rechnung von der Emissionsbank geregelt, die dann in ihren Büchern als Gegenleistung eine entsprechende Forderung an die »Deutsche Verrechnungskasse« buchte. Im Falle eines Imports fand eine umgekehrte Operation statt.

Tatsächlich aber funktionierte dieses System unter der deutschen Führung zum Schaden der belgischen Gesamtheit, da Belgien im Augenblick der Befreiung Clearinggläubiger in Höhe von 62665 Millionen Franken war.

Die Belgische Nationalbank war gezwungen worden, der Emissionsbank Vorschüsse zu leisten, um das Konto der deutschen Verrechnungskasse auszugleichen.

Zahlreiche über das Clearing abgewickelte Operationen trugen keinen geschäftlichen Charakter, sondern waren ganz einfach reine militärische und politische Ausgaben.

Nach den Auskünften der Belgischen Regierung können die Clearing-Operationen folgendermaßen zusammengefaßt werden, wobei ich mich auf die wesentlichen Feststellungen des bereits zitierten Berichts der Belgischen Regierung berufe, der als RF-146 vorgelegt worden ist.

[639] Auf die Gesamtheit der Kontenbewegungen abgestellt, bezogen sich 93 Prozent auf die deutsch-belgischen Ausgleichszahlungen, und zwar für die Waren 93 Prozent und für die Dienstleistungen 91 Prozent.

Wenn man die entsprechenden Teile näher betrachtet, die die Waren, die Dienstleistungen oder das Kapital betreffen, so erhält man per Saldo Übersichten, die eine beredte Sprache sprechen. Das gesamte belgische Clearing mit dem Ausland erreichte am 2. September 1944 die Summe von 61.636.000.000 belgischen Franken, von denen 57.298.000.000 auf den deutsch-belgischen Geschäftsverkehr und nur 4 Milliarden auf Frankreich, 1 Milliarde auf Holland und 929 Millionen auf die übrigen Länder entfielen.

Besonders in dem Sektor »Waren und Dienstleistungen« offenbarte sich das fehlende Gleichgewicht, ein Umstand, der vor allem auf die von Deutschland für seine eigene Rechnung durchgeführten Requisitionen von Waren und Dienstleistungen zurückzuführen ist. Man weiß, daß die angeblichen deutschen Ausfuhren sich hauptsächlich auf Metalle, Metallerzeugnisse, Maschinen und auf Erzeugnisse der Textilindustrie erstreckten, die zu ungefähr neun Zehntel vom Reich mit Beschlag belegt wurden, das sich durch diesen Umstand erheblicher Ausplünderungen schuldig gemacht hat.

Was den Transfer von Kapitalien anbetrifft, so hat dieser in der ersten Zeit der Besatzung eine besondere Ausdehnung erfahren. Es handelte sich um die zwangsweise Realisierung belgischer ausländischer Beteiligungen, ebenso wie um die Zwangsabtretung blockierter belgischer Guthaben in Deutschland an deutsche Gruppen, wobei kein effektiver Ausgleich als Gegenleistung zugestanden wurde.

Die unter dem Titel »Dienstleistungen« vorgenommenen Transferierungen bezogen sich im wesentlichen auf Lohnzahlungen für belgische Arbeiter im Ausland.

Das Guthaben für die Dienstleistungen ergibt sich per 2. September 1944 aus der folgenden Übersicht in Millionen belgischer Franken:

Gesamtclearing auf Konto Dienstleistungen: 20.116.000.000, das heißt, zur Bezahlung der Arbeitskräfte 73 Prozent der Gesamtsumme; für Deutschland allein 18.227.000.000, das heißt, 72 Prozent der Gesamtsumme; für Frankreich ergeben sich nur 1.600.000.000 belgische Franken, das heißt, nur ein ganz kleiner Teil.

Nicht zufrieden mit dem Einsatz der Arbeitskräfte zur Zwangsarbeit in Deutschland oder in den besetzten Gebieten, wurde Belgien von den Deutschen darüber hinaus gezwungen, auch die finanzielle Belastung dieses Einsatzes zu tragen, und zwar dadurch, daß sie entweder die über Clearing überwiesenen Ersparnisse liquidierten oder die beim Reichsbankdirektorium in Berlin vorhandenen [640] belgischen Banknoten verwendeten, um die Arbeiter in nationaler Währung bezahlen zu können.

VORSITZENDER: Halten Sie es für notwendig, sich den Einzelheiten dieser Clearing-Operation nochmals zu widmen? In jedem einzelnen Fall der verschiedenen bereits behandelten Länder waren die Clearing-Operationen jeweils die gleichen. Es ist deshalb vielleicht nicht nötig, dasselbe noch einmal für Belgien zu wiederholen?

M. DELPECH: Sehr wohl, Herr Vorsitzender. Auf jeden Fall haben die Deutschen diese Tatsache anerkannt, und die Zahlen, die ich eben angegeben habe, unterstützen die Schlußfolgerungen meines Vortrags.

Bevor ich das Kapitel über die Beschlagnahme der Zahlungsmittel durch die Deutschen beende, darf ich dem Gerichtshof mitteilen, daß die Deutschen durch Verordnung vom 22. Juli 1940 den Wert des belgischen Franken auf 8 Reichspfennige festgesetzt hatten, das heißt, 12 Franken 50 Cts. einer Mark gleichsetzten. In seinem bereits früher zitierten Bericht schreibt Wetter über diesen Punkt auf Seite 37 und 38 das Folgende, wobei ich den Gerichtshof um die Erlaubnis bitte, diese Stelle verlesen zu dürfen, die im Dokumentenbuch als RF-158 bezeichnet ist:

»Die de facto Aufrechterhaltung der Vorkriegswährung hatte darüber hinaus auch eine erhebliche politische Bedeutung, weil weite Kreise der Bevölkerung eine starke Abwertung oder eine wiederholte Änderung der Kursrelation als Ausbeutungsmanöver empfunden haben würden.«

Man muß in Bezug auf diese Anschauung folgendes festhalten: Die Besatzungsbehörden hatten es nicht nötig, in Belgien zur Unterstützung ihrer wirtschaftlichen Ausplünderung zu bestimmen, daß der belgische Franken einen geringeren Wert haben sollte, da sie im Gegensatz zu der Entwicklung in Frankreich im Augenblick ihres Einmarsches in Belgien neue Noten herausgegeben hatten, über die sie die Kontrolle ausübten.

Schließlich darf ich noch in Erinnerung bringen, daß sich Deutschland von der Vichy-Regierung 221730 Kilogramm Gold aushändigen ließ, das 1939 einen Wert von 9.500.000.000 Francs hatte; da aber Frankreich dieses Gold an die Belgische Nationalbank zurückerstattet hatte, wird diese Frage bei der Darlegung über die wirtschaftliche Ausplünderung Frankreichs behandelt werden.

Um, Hoher Gerichtshof, die von der Besatzungsarmee beschlagnahmten Zahlungsmittel zusammenzufassen, darf ich einige Zahlen anführen:

[641] Reichskreditkassenscheine 3.567.000.000,

verschiedene Banknoten und Konten der

Reichskreditkasse 656.000.000,

Kriegsentschädigung unter dem Vorwand

der Besatzungskosten 67.000.000.000,

denen noch hinzugefügt werden muß:

Der Kredit-Saldo im Clearing von

62.665.000.000,

so daß sich insgesamt ergeben: 133.888.000.000 belg. Franken.

Die Deutschen haben also mindestens mehr als 130 Milliarden belgische Franken beschlagnahmt, deren sie sich bedient haben, um ihre scheinbar gesetzmäßigen Ankäufe zu tätigen, ihre Requirierungen zu bezahlen, und ihre heimlichen Ankäufe auf dem schwarzen Markt zu machen. Diese angeblichen Käufe und Requirierungen werden den Gegenstand des nachfolgenden Kapitels bilden:

Kapitel 2: Schleichhandel, schwarzer Markt:

Wie in anderen besetzten Ländern auch, haben die Deutschen in Belgien seit Oktober 1941 den schwarzen Markt organisiert.

Ein Geheimbericht über den schwarzen Markt unter dem Titel »Abschluß-Bericht der Überwachungsstelle beim Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich über die legalisierte Ausschöpfung des schwarzen Marktes in Belgien und Nordfrankreich«, der für die Zeitspanne vom 13. März 1942 bis 31. Mai 1943 abgefaßt wurde, wird im Dokumentenbuch als RF-159 angeführt.

Die Deutschen gaben für diese Organisierung des schwarzen Marktes drei Gründe an:

1. Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen deutschen Käufern auf dem schwarzen Markt einzudämmen.

2. Die belgischen Hilfsquellen bestmöglichst für die deutsche Kriegswirtschaft auszuschöpfen.

3. Den Druck auf das allgemeine Preisniveau zu verhindern und dadurch allen Inflationsgefahren zu begegnen, die letzten Endes das deutsche Geld selbst gefährden würden.

Der Bericht läßt auf den Seiten 3ff erkennen, daß ein echter Verwaltungsapparat zur Durchführung dieser Politik errichtet wurde.

Die Buchführung wurde von der Wehrmachtsverrechnungskasse durchgeführt, die alle diese Operationen in ihren Büchern zusammenfaßte.

Die Lenkung der Aufkäufe wurde durch eine Zentralstelle sichergestellt, deren Name im Laufe der Jahre verschiedentlich geändert wurde und der eine Reihe von nachgeordneten Stellen unterstanden, insbesondere eine ganze Reihe von Einkaufsstellen.

[642] Diese Zentralstelle wurde in Ausführung einer Verordnung des Militärbefehlshabers in Belgien vom 20. Februar 1942 geschaffen. Sie wurde am 13. März 1942 ins Leben gerufen und erhielt seit ihrer Gründung ihre besonderen Anweisungen von dem Beauftragten des Reichsmarschalls, des Angeklagten Göring. Dieser Beauftragte war Oberstleutnant Veltjens, von dem heute Morgen die Rede war.

Diese Stelle wurde nun ins Leben gerufen, um die Aktionen der Legalisierung und Lenkung des schwarzen Marktes miteinander zu verbinden, so wie sie im Verfolg der Besprechungen zwischen dem Generalintendanten und dem Wehrmachtbefehlshaber in Belgien einerseits und dem Kommandeur der Rüstungsinspektion andererseits beschlossen und vorgesehen war. Nach diesem Übereinkommen, das noch durch eine Erklärung des Reichswirtschaftsministers vom 16. Februar 1942 unterstützt wurde, bestand das Ziel darin, den schwarzen Markt auch weiterhin nach einheitlichen Gesichtspunkten in legaler Form auszuschöpfen, und zwar unter einem leitenden Grundsatz, der zur Sicherung des Reichsbedarfs den notwendigen Vorsichtsmaßregeln Rechnung trug. Diese Stelle hatte ihren Sitz in Brüssel; die Einkäufe selbst wurden von gewissen Spezialorganisationen getätigt, deren Liste sich auf Seite 5 des vorerwähnten Berichts befindet.

Diese Stellen erhielten ihre Weisungen von der »Rohstoffhandelsgesellschaft«, von der bereits zu Anfang unseres Berichts über die wirtschaftliche Ausplünderung Westeuropas die Rede war.

Die »ROGES« spielte eine bedeutende Rolle bei der Organisation des schwarzen Marktes; ihre Aufgabe war tatsächlich eine vierfache:

1. Die von der Zentralstelle in Brüssel genehmigten Richtlinien für den Einkauf wurden von der ROGES an die Einkaufsorganisationen je nach deren Besonderheit weitergeleitet.

2. Die Lieferungen der für das Reich angekauften Waren erfolgten an die ROGES, die für die Verteilung in Deutschland sorgte.

3. Die ROGES übernahm die Finanzierung dieser Maßnahmen.

4. Schließlich war sie beauftragt, den Preisunterschied der zwischen dem Ankaufspreis, der in der Regel als Schwarzhandelspreis sehr hoch war, und dem endgültigen Verkaufspreis auf dem inneren deutschen Markt zu bezahlen. Der Unterschied wurde durch einen Ausgleichsfonds gedeckt, der über das Konto »Besatzungskosten« gespeist wurde und an den das Reichsfinanzministerium über das Rüstungsministerium Kredite zur Verfügung der ROGES gewährte.

Der vorerwähnte Bericht gibt eine Reihe von Einzelheiten über die Arbeitsweise der Zentralstelle selbst. Es ist interessant zu bemerken, daß die Zentralstelle in Brüssel durch eine Verordnung [643] des Wehrmachtbefehlshabers in Belgien vom 3. November 1942 angewiesen wurde, eine Zweigstelle in Lille für den Bereich Nordfrankreich ins Leben zu rufen. Gleichzeitig wurde die Brüsseler Stelle ermächtigt, ihrer Filiale in Lille Weisungen zu erteilen. Im Dokumentenbuch erscheint als RF-160 ein Schlußbericht der Liller Stelle. Dieser Bericht, der am 20. Mai 1943 gefertigt worden ist, enthält eine Reihe interessanter Einzelheiten über die Tätigkeit dieser Organisation.

VORSITZENDER: Es ist jetzt 5 Uhr. Ich glaube, Herr Delpech, es dürfte der Wunsch des Gerichtshofs sein, falls es Ihnen möglich ist, solche Teile dieses Dokuments auszulassen, die sich auf dieselben Grundsätze beziehen, die uns mit Bezug auf andere Länder bereits unterbreitet worden sind. Falls Sie dies tun könnten, so glaube ich, daß Sie dem Gerichtshof damit einen Gefallen täten. Sollten jedoch in der Behandlung Belgiens wichtige Unterschiede bestehen, dann können Sie uns natürlich auf diese besonders aufmerksam machen.

M. DELPECH: Gewiß, Herr Vorsitzender.


[Das Gericht vertagt sich bis

22. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 6.
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