Vormittagssitzung.

[7] M. HENRY DELPECH, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Vorsitzender! Ich hatte gestern die Ehre, mit der Erklärung der Methoden der wirtschaftlichen Ausbeutung Belgiens durch die Deutschen während der Besetzung dieses Landes zu beginnen.

Um auf das zurückzukommen, was im Verlauf der allgemeinen Betrachtungen über wirtschaftliche Plünderung und das Betragen der Deutschen in Norwegen, Dänemark und Holland gesagt wurde, so habe ich gezeigt, daß sich überall der Wille des Nationalsozialismus zur wirtschaftlichen Beherrschung offenbarte. Die Methoden waren, wenigstens in Umrissen, überall ähnlich. Deshalb werde ich mich, sowohl dem Wunsche des Gerichtshofs entsprechend als auch in Erfüllung der Aufgabe, die der Französischen Anklagebehörde von der Belgischen Regierung anvertraut wurde, nämlich deren Fall dem Hohen Gerichtshof darzulegen, auf die Hauptlinien dieser Entwicklung beschränken und mir erlauben, bezüglich der Einzelheiten der deutschen Ausbeutung der belgischen Produktion auf unseren, dem Gerichtshof überreichten Bericht und die zahlreichen Dokumente hinzuweisen, die in unserem Dokumentenbuch angeführt sind.

Ich hatte die Ehre, auf die Existenz des schwarzen Marktes in Belgien, seine Organisation durch die Besatzungstruppen und deren schließlichen Entschluß, diesen schwarzen Markt abzuschaffen, hinzuweisen. In diesem Zusammenhang kann man, wie bereits im Laufe der allgemeinen Betrachtungen angedeutet wurde, die Schlußfolgerung ziehen, daß die Deutschen entgegen ihrer Behauptung den schwarzen Markt nicht bekämpft haben, um eine Inflation in Belgien zu vermeiden.

Als die Deutschen sich entschlossen, den schwarzen Markt zu verbieten, verkündeten sie laut ihre Absicht, der belgischen Volkswirtschaft und der belgischen Bevölkerung die überaus ernsten Folgen einer drohenden Inflation zu ersparen. In Wirklichkeit aber Schritten die deutschen Behörden gegen den schwarzen Markt ein, um zu vermeiden, daß durch seine immer größere Ausdehnung alle verfügbare Ware verschlungen und dadurch der offizielle Markt vollkommen gedrosselt würde. Kurz ausgedrückt: die Aufrechterhaltung des offiziellen Marktes mit seinen niedrigen Preisen erwies sich schließlich als für die Besatzungsarmee viel vorteilhafter.

[7] Ich, komme, meine Herren, nun zum dritten Kapitel, Seite 46 meiner Darlegungen, zu den scheinbar ordnungsgemäßen Erwerbungen, die jedoch nur ein einziges Ziel hatten: die Dienstbarmachung der belgischen Produktionskraft.

Die Deutschen wandten vom Augenblick des Einfalls nach Belgien im Mai 1940 ihr schon vor 1939 ausgearbeitetes Programm der Beherrschung der westeuropäischen Länder an und trafen alle Maßnahmen, die ihnen geeignet schienen, um die Dienstbarmachung der belgischen Produktionskraft sicherzustellen.

Kein Zweig der belgischen Wirtschaft blieb verschont. Wenn die Plünderung auf industriellem Gebiet am stärksten in Erscheinung tritt, so ist dies nur die Folge des betont industriellen Charakters der belgischen Wirtschaft.

Auch die Landwirtschaft und der Verkehr sollten dem deutschen Zugriff nicht entgehen. Zunächst werde ich mich mit den der Industrie auferlegten Sachlieferungen befassen.

In erster Linie war es auf die belgische Industrie abgesehen. Um dies durchzuführen, arbeitete der Militärbefehlshaber in Belgien unter Vereinbarung mit verschiedenen Dienststellen des Reiches für Rohmaterialien und unter Zustimmung der Dienststelle des Vierjahresplanes und des Wirtschaftsministeriums ein ganzes Programm aus, dessen Zweck die Ausnutzung fast der gesamten belgischen Produktion für die kriegerischen Zwecke des Reiches war.

Am 13. September 1940 konnten den vorgesetzten Behörden bereits eine Reihe von Plänen für die Bewirtschaftung von Eisen, Kohle, Textilien und Kupfer vorgelegt werden. Zur Unterstützung meiner Erklärung lege ich unser Dokument ECH-2, RF-162, vor.

Andererseits ergibt ein von Oberstleutnant Hedler erstatteter Bericht, betitelt »Umsteuerung der Wirtschaft«, daß ab 14. September 1940 das Heereswaffenamt seinen untergeordneten Stellen die folgenden Anweisungen gab. Diese können aus EC-84, RF-163, des Dokumentenbuches ersehen werden. Ich verlese den letzten Absatz des deutschen Textes auf Seite 41:

»Ich lege den größten Wert darauf, daß die Betriebe in den besetzten westlichen Gebieten – Holland, Belgien, Frankreich – weitgehend zur Entlastung der deutschen Rüstungsfertigung und zur Erhöhung des Kriegspotentials eingesetzt werden. Die in Dänemark gelegenen Unternehmen sind ebenfalls in verstärktem Umfang zu Unterlieferungen heranzuziehen.

Dabei sind die Ausführungsbestimmungen zu der Anordnung des Reichsmarschalls sowie die Anordnungen betr. Rohstoffwirtschaft in den besetzten Gebieten genau zu beachten.«

[8] Alle diese Vorkehrungen erlaubten den Deutschen rasch, die gesamte Produktion und Verteilung in Belgien zugunsten der deutschen Kriegsanstrengungen zu kontrollieren und zu leiten.

Ein Erlaß vom 27. Mai 1940, VOBEL, Nummer 2, als RF-164 vorgelegt, schuf »Warenstellen«, deren Aufgabe es war; ich zitiere aus dem dritten Absatz:

»... im Rahmen der von der Heeresgruppe erteilten Weisungen durch allgemeine Vorschriften oder Einzelverfügungen an die Betriebe, in denen bewirtschaftete Waren erzeugt, gehandelt oder verbraucht werden, die Erzeugung zu lenken sowie für eine gerechte Verteilung und für eine rationelle Verwertung unter möglichster Sicherung der Arbeitsplätze zu sorgen.«

Artikel 4 desselben Schriftstücks zeigte in Einzelheiten die Vollmachten dieser Warenstellen und erteilte ihnen besonders das Recht:

»... Betriebe dazu anhalten, Waren an bestimmte Abnehmer zu verkaufen...

... die Verarbeitung von Rohstoffen... verbieten oder zu verlangen,

... die Veräußerung oder den Bezug von Waren... von ihrer Genehmigung abhängig zu machen.«

Um ihre wahren Ziele besser zu verbergen, machten die Deutschen diese Warenstellen unabhängig und zu juristischen Personen. Auf diese Weise wurden elf Warenstellen geschaffen, welche die ganze Wirtschaft mit Ausnahme des Kohlensektors, dessen Leitung dem belgischen Kohlenamt belassen wurde, umfaßten. Die Dokumente erscheinen im Dokumentenbuch unter ECH-3, RF-165, und beweisen diese Behauptung.

Die Ausführung der Vorschriften wurde durch eine Reihe von Erlassen, die von den belgischen Behörden in Brüssel veröffentlicht wurden, gesichert. Diese erließen insbesondere eine vom 3. September 1940 datierte Verordnung, nach der die belgischen Dienststellen ihre Tätigkeit in den Ämtern wieder aufnahmen, die ihnen die Deutschen überließen.

Die Tätigkeit dieser Ämter sollte verschiedene Schicksale erfahren; obwohl dem belgischen Wirtschaftsministerium unterstehend, wurden sie von den deutschen militärischen Dienststellen scharf überwacht. In dieser Richtung wurde die Beschlagnahme der belgischen Produktionskraft durch die Ernennung von Betriebsbevollmächtigten vervollständigt. Der Erlaß vom 29. April 1941, als RF-166 vorgelegt, Artikel 2, umreißt die Vollmachten der Betriebsbevollmächtigten:

»Der Betriebsbevollmächtigte hat für die Ingangsetzung oder Inganghaltung des von ihm betreuten Betriebes für die [9] planmäßige Ausführung von Aufträgen, sowie überhaupt für alle Maßnahmen zu sorgen, die der Leistungssteigerung des Betriebes dienen.«

Der Verfall dieser Warenstellen fing mit einem Erlaß vom 6. August 1942 an, in welchem prinzipiell die Möglichkeit zum Verbot bestimmter Fertigungen oder zur Anweisung der Verwendung bestimmter Rohmaterialien festgelegt wurde. Diesen Erlaß finden Sie im Dokumentenbuch als RF-167. Es wurde alsbald eine Aufsicht der Warenstellen durch Entsendung eines von der Reichsstelle ernannten deutschen Beauftragten an jede Dienststelle geschaffen.

Seit Ende 1943 pflegte das Büro des Rüstungsobmanns im Rüstungsministerium, Ministerium Speer, seine Befehle direkt zu erteilen, ohne den Weg über die »Warenstellen« zu benutzen.

Jedoch waren schon vor dieser Zeit Maßnahmen getroffen worden, um jede Initiative, die nicht im Einklang mit den deutschen Kriegszielen stand, zu vereiteln. Es empfiehlt sich ferner, außer dem vorerwähnten Erlaß vom 6. August 1942 jenen vom 30. März 1942 zu erwähnen, der jede Gründung oder Erweiterung von Handelsunternehmen der vorherigen Zustimmung des Militärbefehlshabers unterwarf.

In dem schon erwähnten Bericht der Militärverwaltung in Belgien legte der Verwaltungschef Reeder, Dokument EC-335, RF-169, dar, daß allein im Zeitraum Januar bis März 1943 von 2000 eisenverarbeitenden Unternehmungen 400 als unrentabel arbeitend oder nutzlos für die Zwecke des Krieges geschlossen wurden. Diese Schließungen von Fabriken scheinen übrigens weniger aus Sorge um eine rationelle Produktion geschehen zu sein, als aus dem schlauen Wunsch, Werkzeug und Maschinen von großem Wert billig zu erhalten.

In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht, auf die Gründung der Maschinen-Ausgleichstelle hinzuweisen. In dieser Hinsicht ist der vorher erwähnte Bericht der Militärverwaltung in Belgien in seinem elften Teil, Seite 56 und folgende, besonders kennzeichnend. Ich lege hier einen Auszug des deutschen Textes vor, und zwar den letzten Absatz von Seite 56 der französischen Übersetzung, die letzten Zeilen.

DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Stammt der von Ihnen verlesene Satz über den Angeklagten Raeder aus dem Schriftstück 169 oder 170?

M. DELPECH: Herr Vorsitzender, ich erwähnte gestern den Chef der Verwaltungsabteilung Reeder. Er war Sektionschef in Brüssel, er steht mit dem Angeklagten Raeder in keinem Zusammenhang.


VORSITZENDER: O ja! Gut.


[10] M. DELPECH: Dokument ECH-10, RF-171, zweiter Absatz des französischen Textes.

Der Absatz befaßt sich mit den Transaktionen des Maschinenausgleiches:

»Dies zeigt ein kurzer Überblick über die behandelten und die durchgeführten Ausgleichsfälle. Be arbeitet wurden insgesamt 567 Anforderungen im Gesamtwerte von 4,6 Mill. RM.«

Reeder gibt dann eine ganze Reihe von Zahlen an. Ich übergehe diese Zahlen und komme zum Schluß des ersten Absatzes, Seite 57 des deutschen Textes:

»Die Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme der Maschinen war die Haager Landkriegsordnung vom Jahre 1907, Art. 52 und 53. Die Formulierung der Haager Landkriegsordnung, die Beschlagnahmen nur zugunsten und für Zwecke der Besatzungsmacht vorsieht, war den Zeitverhältnissen des Jahres 1907 angepaßt, einer Zeit also, in der Kriegshandlungen sich auf räumlich eng begrenzte Gebiete beschränkten und praktisch nur die militärische Front in das Kriegsgeschehen einbezogen war. Bei dieser räumlichen Beschränkung des Krieges war es klar, daß die Fassung der Haager, Landkriegsordnung die Beschlagnahmen nur für Zwecke der Besatzungsmacht vorsah, den Erfordernissen der Kriegsführung durchaus genügte. Der moderne Krieg jedoch, der in seiner Ausweitung zum totalen Krieg räumlich nicht mehr begrenzt, sondern zu einem Kampf der Völker gegeneinander und der Wirtschaftsräume gegeneinander geworden ist, erfordert, unter Aufrechterhaltung der Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung, eine sinngemäße Auslegung ihrer Grundsätze entsprechend den Gegebenheiten der neuzeitlichen Kriegsführung.«

Ich überspringe einige Zeilen und komme zum letzten Absatz:

»Soweit bei der Beschlagnahme auf die Verordnung des Mil.Bef. vom 6. August 1942 Bezug genommen wurde, geschah dies, um der belgischen Bevölkerung die notwendige sinngemäße Auslegung der die Grundlage der Beschlagnahme bildenden Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung zu geben.«

Solche Auslegung kann Juristen, die nicht nationalsozialistisch ausgebildet wurden, in Erstaunen versetzen. Sie kann jedenfalls die Ausplünderung der Industrie und die Versklavung der belgischen Produktion nicht rechtfertigen.

Diese wenigen Betrachtungen zeigen, wie vielseitig und verschiedenartig die Methoden waren, die von den Deutschen zwecks Verwirklichung ihrer wirtschaftlichen Ziele angewandt wurden. Ebenso wie die vorherigen Ausführungen über das Clearing und [11] die Verwendung der Besatzungskosten geben uns auch diese Betrachtungen die Möglichkeit, die angewandten Methoden festzustellen, mit denen riesige Zwangsbeiträge aus der belgischen Wirtschaft herausgeholt wurden.

Wenn es auch möglich war, für einige Abschnitte, wie zum Beispiel die Landwirtschaft und das Verkehrswesen, den Umfang der wirtschaftlichen Ausplünderung mit einer gewissen Genauigkeit festzustellen, so sind andererseits die Schätzungen in vielen Industriezweigen noch nicht abgeschlossen. In der Tat stammt ein beträchtlicher Teil der industriellen Verluste aus den Clearing-Transaktionen, insbesondere durch die Requirierung von Vorräten. Es wird daher notwendig sein, uns auf die allgemeinen Richtlinien der von den Deutschen betriebenen Politik zu beschränken.

Es ist angebracht, kurz die Folgen dieser wirtschaftlichen Ausplünderung auf drei Gebieten zu untersuchen: Industrie, Landwirtschaft, Verkehrswesen.

Zuerst das industrielle Gebiet: Die statistischen Angaben des Clearing geben in erster Linie Hinweise auf die Gesamtlasten, die von den verschiedenen industriellen Zweigen getragen wurden.

Der Bericht der Militärverwaltung in Belgien, auf den ich bei jeder Gelegenheit zurückgreife, gibt hierzu die im folgenden kurz zusammengefaßten Einzelheiten:

Gleich bei Beginn der Besetzung ordneten die Deutschen eine Aufstellung über die Waren an, von denen sie bedeutende Lieferungen fordern wollten, insbesondere von Textilien und Nichteisenmetallen.

Ich werde mich auf kurze Bemerkungen über Textilwaren und Nichteisenmetalle beschränken. Das Beispiel der Textilindustrie ist besonders klar. Kurz vor dem Überfall war die belgische Industrie mit ihren 165000 Arbeitern die zweitwichtigste Industrie Belgiens nach der Metallindustrie. Unter dem Vorwand, die Erschöpfung der seinerzeit sehr beträchtlichen Vorräte zu vermeiden, verbot eine Verordnung vom 27. Juli 1940 der Textilindustrie, mehr als 30 Prozent ihrer Kapazität vom Jahre 1938 auszunutzen. Allein in der Zeitspanne von Mai bis Dezember 1940 betrugen die Requirierungen mindestens eine Milliarde belgische Franken; sie erstreckten sich insbesondere auf fast die Hälfte des Wollvorrates des Landes vom 10. Mai 1940 und auf fast ein Drittel des Vorrates an Rohbaumwolle.

Andererseits bildete die Zwangsschließung der Fabriken für die Deutschen einen ausgezeichneten Grund für die Demontage der unausgenutzten Betriebseinrichtung unter dem Vorwand von Mietsverträgen, sofern sie nicht gegen einen Spottpreis requiriert wurde. Die Verordnung vom 7. September 1942, die im Dokumentenbuch als RF-174 zu finden ist, setzte die Einzelheiten der [12] Schließung der Unternehmungen in Ausführung der Rechte, die sich die Besatzungsbehörden zuerkannten, fest. Sie erteilte das Recht, gewisse Arbeitgeber- und industrielle Verbände aufzulösen und ihre Liquidation unter dem Vorwand der Konzentrierung der Unternehmungen anzuordnen. Im Monat Januar 1944 waren 65 Prozent der Fabriken stillgelegt worden.

Ich werde mich nicht mit den Einzelheiten dieser Transaktionen beschäftigen und gehe zur Seite 58 über. Der vorerwähnte Bericht der deutschen Militärverwaltung gibt besonders interessante Zahlen hinsichtlich der Produktion. Bei einer gesamten Wollproduktion von rund 72000 Tonnen von Mai 1940 bis Ende Juni 1944 im Werte von etwa 397 Millionen Reichsmark, ist die Verteilung der Lieferungen auf die deutschen und belgischen Märkte die folgende:

Deutscher Markt 64700 Tonnen im Werte von 314 Millionen Reichsmark. Belgischer Markt 7700 Tonnen im Werte von 83 Millionen Reichsmark. Die ganze Ausplünderung der Textilindustrie ist in diesen Ziffern enthalten.

Der belgische Verbrauch litt offensichtlich stark unter der deutschen Politik der Lenkung des Textilmarktes. Es ist wieder derselbe Bericht der Militärverwaltung, welcher Einzelheiten darüber gibt, daß Im Jahre 1938 die Bedürfnisse an Textilwaren in Belgien einen monatlichen Durchschnitt von 12 Kilogramm erreichten. Die entsprechenden Zahlen für die Besatzungsjahre sind:

1940/41: 2,1 Kilogramm pro Einwohner

1941/42: 1,4 Kilogramm pro Einwohner

1942/43: 1,4 Kilogramm pro Einwohner

1943/44: 0,7 Kilogramm pro Einwohner.

Die Erschöpfung des belgischen Verbrauchs durch die Deutschen zeigen folgende zwei Zahlen: 12 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung im Jahre 1938 und 0,7 Kilogramm am Ende der Besetzung.

Andererseits gibt die belgische Regierung folgende Angaben über die Plünderung dieser Produktion. Die Zwangslieferungen an Deutschland während der Besetzung betrugen:

Baumwollgarn ungefähr 40 Prozent der Produktion, Leinen 75 Prozent, Kunstseide 15 Prozent.

Von den Vorräten, die noch in Belgien geblieben waren, ist schließlich noch ein sehr großer Prozentsatz von Deutschland weggenommen worden, und zwar durch Käufe von Endprodukten oder Fertigware auf den belgischen Märkten. Der Gegenwert dieser Zwangslieferungen erscheint in den Statistiken des Clearing, soweit er nicht unberechtigterweise unter Besatzungskosten verbucht wurde.

Ich bin mit der Textilindustrie fertig und wende mich nun der Industrie der Nichteisenmetalle zu.

[13] Belgien war 1939 der größte Erzeuger Europas von Nichteisenmetallen, wie Kupfer, Blei, Zink und Zinn. Die Statistiken aus den Berichten des Militärkommandos, welche im Dokument RF-173, ECH-11, zu finden sind, werden dem Gerichtshof hierüber als Beweis dienen.

Am 18. Februar 1941 arbeiteten die Reichsstelle für Metalle und das Oberkommando der Wehrmacht in Verbindung mit dem Amt für den Vierjahresplan einen Metallplan aus, welcher betraf: den belgischen Verbrauch, die Ausführung von deutschen Aufträgen, die Ausfuhr nach Deutschland.

Die verschiedenen Maßnahmen genügten der Besatzungsmacht nicht. Sie unternahm verschiedene Altmetallsammelaktionen, die sogenannten »Sonderaktionen«, nach einer Methode, die in allen Ländern Westeuropas angewandt wurde. Ich werde mich mit diesen Aktionen nicht aufhalten. Sie werden auf Seite 63 und den folgenden des Berichts behandelt. Es handelt sich um die Abnahme der Kirchenglocken, sowie um Sammlungen des Druckereibleies, des Bleies, des Kupfers und so weiter, nach den durch die belgische Regierung gegebenen Angaben, Dokument RF-146, Seite 65 des Berichts.

Auf anderen Gebieten haben die Deutschen, ohne es einzugestehen, eine Politik durchgeführt, die dazu bestimmt war, die belgische Konkurrenz auszuschalten oder zu beschränken. Es war beabsichtigt, im Falle eines deutschen Sieges bestimmte Zweige auf den belgischen Markt zu beschränken, der überdies weitgehend den deutschen Lieferanten hätte offengehalten werden müssen.

Diese Versuche einer sofortigen oder späteren Unterdrückung der Konkurrenz zeigten sich besonders auf den Gebieten der Metallgießerei, Glaswarenfabrikation, der Textilindustrie, der Bauindustrie, der Wa genherstellung, der Schmalspureisenbahnindustrie und der Lederindustrie, besonders der Schuhfabrikation, wo der Wiederaufbau der zerstörten Unternehmungen systematisch verboten wurde.

Aber darüber hinaus läßt sich die wirtschaftliche Schwächung sowohl in der Textilindustrie als auch auf zahlreichen anderen Gebieten, insbesondere in der Metallindustrie, nicht allein aus dem Maße der Zwangslieferungen beurteilen, sondern nur in Verbindung mit der von der Besatzungsmacht betriebenen Politik. Die belgische Industrie, besonders die Kohlen- und Eisenindustrie, erlitt sehr starke Verluste durch die Anordnungen, die ihr zum Zwecke der vorteilhaftesten Finanzierung der deutschen Kriegsbedürfnisse gegeben wurden.

Ich überspringe die Kohlenpreise. Die Kontrolle der Kohlenindustrie wurde durch die Einsetzung eines Bevollmächtigten für [14] Kohlenfragen und durch eine Zentralisierung aller Verkäufe in den Händen eines einzigen Organs, »Alleinverkäufer«, unter belgischer Leitung, aber mit einem deutschen Beauftragten, gesichert. Es war dies das Belgische Kohlenkontor, welches einem einzigen Käufer gegenüberstand, dem Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat, welches die Anordnungen für die Lieferungen an das Reich, Elsaß-Lothringen und Luxemburg gab.

Nach demselben deutschen Bericht, Seite 67, zeigte die Kohlenindustrie trotz Erhöhungen der Kohlenpreise, die am 20. August 1940, am 1. Januar 1941 und 1. Januar 1943 bewilligt wurden, im Laufe der Besatzungsjahre große Verluste. Im Februar 1943, nachdem das Kohlenkontor einer Erhöhung des Kohlenverkaufspreises zugestimmt hatte, überstieg der Preis per Tonne für die belgische Kohle den Preis des deutschen Binnenmarktes; der deutsche Beauftragte der Bergwerksindustrie zwang die belgische Industrie, diese Preisdifferenz bei der Ausfuhr nach Deutschland mit Hilfe von Kompensationsprämien zu decken.

Der Gerichtshof wird sich ein Bild über die finanziellen Verluste, soweit es sich um Ausbeutungsverluste handelt, an Hand der in den Dokumenten ECH-35, RF-176, und ECH-26 und ECH-27, RF-178, enthaltenen Zahlen machen können. Der Bericht der Militärverwaltung gibt in seinem elften Teile genaue Angaben über die Metallindustrie. Diese hat durch die Besatzung in demselben Ausmaß wie die Kohlenindustrie gelitten. In den Thomas-Werken im besonderen entstanden die Verluste sowohl durch Erhöhung der Selbstkostenpreise als auch durch zahlreiche Abweichungen von den für bestimmte Elemente des Produktionsprozesses festgesetzten Preisen. Laut Bericht der Belgischen Regierung können in diesem einen Industriezweig die dadurch entstandenen Verluste auf etwa drei Milliarden belgische Franken geschätzt werden. Nach demselben Bericht sind von einer totalen Erzeugung von 1400000 Tonnen 1300000 Tonnen verschiedener Waren nach Deutschland ausgeführt worden, nicht eingerechnet die Metallieferungen an belgische Fabriken, die ausschließlich für die Besatzungsmacht arbeiteten.

Andererseits geht aus Angaben der Belgischen Regierung hervor, daß die Deutschen Material von sehr hohem Werte im ganzen mitgenommen und nach Deutschland transportiert haben. Der Gesamtwert der industriellen Plünderungen ist von der Belgischen Regierung auf eine Summe von zwei Milliarden belgische Franken geschätzt worden, und zwar nach dem Kurs von 1940.

Diese Wegnahmen bedeuten einen wirklichen Substanzverlust, und ich bitte, von den fragmentarischen Angaben, die dem Gerichtshof vorgelegt wurden, sich diese Summe vor zwei Milliarden belgische Franken zu merken.

[15] Beim heutigen Stand der Erhebungen ist es nicht leicht, das Ausmaß der Abgaben der Industrie zu erfassen. Es ist noch viel schwieriger, davon eine Schätzung auf landwirtschaftlichem Gebiet zu geben; ich werde diesem Bereich einige kurze Ausführungen widmen.

Außer den zulässigen Bedürfnissen der Besatzungstruppen haben die deutschen Behörden sich bemüht, zusätzliche Lieferungen von Lebensmitteln von Belgien zur Ergänzung der Versorgung des Reiches und anderer von seinen Truppen besetzter Gebiete zu erhalten. Nach Anwendung direkter Abgabemethoden bedienten sich die Deutschen skrupelloser Vermittler, deren Aufgabe es war, zu jedem Preis auf den geheimen Märkten einzukaufen. Der schwarze Markt nahm hier ein solches Ausmaß an, daß die Besatzungsbehörden sich darüber zu verschiedenen Malen beunruhigten und ihn im Jahre 1943 verbieten mußten.

Abgesehen von den Verlusten im Viehbestand, in der Holz- und Forstwirtschaft, die in Belgien einen wichtigen Platz einnehmen, haben die Schäden durch planwidrigen Einschlag in den Wäldern ein Übermaß der Entholzung verursacht, welches sich auf zwei Millionen Tonnen beläuft. Der Kapitalschaden, der durch diese verfrühte Holzfällung entstanden ist, kann ungefähr auf 200 Millionen belgische Franken geschätzt werden.

Die eigentlichen militärischen Operationen haben Schäden verursacht, die sich auf etwa 100 Millionen belgische Franken belaufen. Nach einer Denkschrift der Belgischen Regierung erreichte der gesamte Schaden im Bereiche der Forstwirtschaft 460 Millionen belgische Franken. Wenn man den Schaden, der durch vorzeitiges Fällen in den Wäldern und durch die Errichtung von Flughäfen verursacht wurde, berücksichtigt, so ist die Belgische Regierung der Ansicht, daß ihre Landwirtschaft während der Besatzungszeit einen Schaden von ungefähr einer Milliarde Franken erlitten hat.

Es muß hier, ohne näher darauf einzugehen, bemerkt werden, daß es sich auf diesem Gebiet um reine Kapitalverluste, um eine tatsächliche Erschöpfung der Substanz, und zwangsläufig damit um eine Verminderung und um eine wirkliche Aufzehrung des Volksvermögens handelt.

Ich bin nun mit der Landwirtschaft fertig und komme jetzt zum Verkehrswesen.

Die Kriegführung brachte die Deutschen dazu, das belgische Eisenbahn- und Flußverbindungsnetz voll auszunutzen. Daraus ergibt sich, daß die Eisenbahnen und die Flußschiffahrt zu den Bereichen der belgischen Wirtschaft zählen, die am meisten unter der deutschen Besatzung und unter den Kriegshandlungen, die sich auf belgischem Boden abspielten, gelitten haben. Der deutsche Verkehr war gleichzeitig durch die Kriegshandlungen bedingter Personenverkehr sowie Frachtverkehr für Kohle, Erze, Grubenholz, [16] Lebensmittel, abgesehen von bedeutenden Mengen von Baumaterialien für die Befestigung der Nordseeküsten.

Eisenbahnen: Der Bericht der Belgischen Regierung zeigt, daß die Schäden, die die belgischen Eisenbahnen erlitten, zugleich Kapital- und Einnahmeverluste sind. Was die Kapitalverluste betrifft, so handelt es sich zunächst und hauptsächlich um die Requirierungen und Wegnahmen, die durch die Deutschen seit ihrem Einzug in Belgien in großem Ausmaß durchgeführt wurden. So haben sie sich insbesondere beeilt, Abgaben aus dem Lokomotivpark durchzuführen unter dem Vorwand der Entschädigung für die deutschen Lokomotiven, die nach dem Kriege 1914 bis 1918 an Belgien als Entschädigung abgetreten worden waren.

Über die Beschlagnahme von Lokomotiven hinaus war die Nationale Gesellschaft Belgischer Eisenbahnen sehr zahlreichen Materialrequirierungen ausgesetzt. Manche Requirierungen sind in der Form von Mietsverträgen gemacht worden. Diese Requirierungen werden auf 4,5 Milliarden Franken, Währung 1940, geschätzt.

Gegenüber den Kapitalverlusten stammen die Einnahmeverluste, Seite 77, hauptsächlich aus den Gratistransporten, welche von der Deutschen Wehrmacht gefordert wurden. Sie entstammen gleicherweise der von der Besatzungsmacht vorgeschriebenen Preispolitik. Diese Leistungen und außergewöhnlichen Kosten konnten von den betroffenen Organen nur durch große Inanspruchnahme des Schatzamtes getragen werden.

Über die Kraftwagen werde ich kurz sprechen, Seite 79. Die Schäden betragen etwa drei Milliarden belgische Franken, wofür Einzelpersonen etwa eine Milliarde belgische Franken, Währung 1938, als Requisitionsentschädigung erhalten haben.

Nun kommen wir zu den Flußtransporten; Die Durchführung des Planes für die wirtschaftliche Ausplünderung Belgiens stellte die Besatzungsmächte vor schwierige Verkehrsprobleme, die ich schon erwähnt habe. So legte die deutsche Militärverwaltung der belgischen Flußschiffahrt sehr schwere Lasten auf.

Auf Grund des Berichts der Belgischen Regierung sind die Schäden, die die belgische Flußschiffahrt erlitt, unter drei verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten:

1. Requirierung und Wegnahme durch die Deutschen.

2. Teil- oder Gesamtschäden durch Kriegsereignisse.

3. Übergroße Abnutzung des Materials.

Die durch diese drei Hauptpunkte entstandenen Schäden erreichen eine halbe Milliarde Franken, wovon nur hundert Millionen auf Clearing-Konto erscheinen.

Die Schäden an Wasserstraßen, Seite 81, Flüssen, Strömen und Kanälen können auf eineinhalb bis zwei Milliarden Franken von [17] 1940 geschätzt werden, insbesondere in Anbetracht der Requirierungen und der Wegnahme von Material der öffentlichen oder privaten Hafeneinrichtungen.

Die Fischerboote wurden zur Kennzeichnung der Fahrrinne der Schelde requiriert und verschwanden dann spurlos.

Andere erlitten Schäden infolge dieser Requirierungen oder durch Verleihung auf Mietvertrag für militärische Zwecke.

Vor Abschluß dieses den Sachabgaben gewidmeten Kapitels empfiehlt es sich, ganz kurz die Frage der Wegnahme des Industriematerials zu erwähnen, Seite 82.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die seitens der Militärverwaltung im Rahmen der Produktionslenkung und sachlichen Steuerung ergriffenen Maßnahmen die Schließung sehr zahlreicher Unternehmungen zur Folge gehabt hatte und hierdurch den Deutschen als Gegenmaßnahme erlaubte, eine beträchtliche Anzahl von Maschinen unter dem Vorwand zu beschlagnahmen, daß sie unnütz geworden seien.

Es gibt keine industriellen Zweige, die nicht auf diese Weise ausgeplündert worden wären. Die Metallindustrie ist, wie ihre heutige Lage beweist, eine derjenigen Industrien, die am schwersten gelitten haben. Wie sehr es auch unsere Absicht ist, die Geduld des Gerichtshofs nicht zu mißbrauchen, so er scheint es doch besonders zweckmäßig, kurz seine Aufmerksamkeit auf das Verfahren selbst hinzulenken, das schon dem Plan der Wegnahme zugrunde lag. Die Einzelheiten dieses Planes waren schon vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Gebiete von Westeuropa festgelegt. Nach diesem Plan wurden die militärischen Formationen eingesetzt, und er stammte vom Wehrwirtschaftsamt im Oberkommando der Wehrmacht, und demnach von dem Angeklagten Keitel als Chef des OKW.

Die Existenz dieser militärischen Abteilungen, wahre Plünderungstrupps, wird durch verschiedene deutsche Dokumente bewiesen. Unter dem Namen »Wirtschaftstrupp« oder Sonderkommandos haben diese Plünderungstrupps ihre unselige und rechtswidrige Tätigkeit in allen Ländern Westeuropas ausgeübt.

Die Geheimanweisungen für den »Wirtschaftstrupp J«, welcher in Antwerpen stationiert war, sind als RF-183 vorgelegt. Sie stellen ein sehr wichtiges Dokument dar, ein unwiderlegbares Dokument des Plünderungswillens der Deutschen und einen neuen Beweis für die Mißachtung der nationalsozialistischen Führer den Regeln des Völkerrechts gegenüber.

Diese Anweisungen stammen aus den letzten Maitagen des Jahres 1940. Ich werde mir erlauben, einige Stellen daraus dem Gerichtshof zu verlesen. Dokument RF-183, Seite 1:

[18] »Die Wirtschaftstrupps werden vom OKW/WiRüAmt aufgestellt. Sie werden dem OKH für den Einsatz in den zu besetzenden Gebieten zur Verfügung gestellt.«

Ich gehe zum letzten Teil der Seite 1 des deutschen Dokuments über:

»Ihre Aufgabe ist es, in ihrem Bereich die kriegswichtigen Mangel- und Spargüter (Rohstoffe, Halbfabrikate, Mineralöle usw.) und die kriegswichtigsten Produktionsmaschinen für die Zwecke der Reichsverteidigung schnell und restlos zu erkunden, ihren Bestand genau aufzunehmen. Bei Maschinen ist die Beschlagnahme durch Beschilderung wirksam zu machen, bei den übrigen Mangel- und Spargütern durch Beschilderung und Bewachung zu sichern.

Die Wirtschaftstrupps haben ferner die Aufgabe, den Abtransport von Mangel- und Spargütern, Mineralölen sowie wichtigsten Maschinen vorzubereiten und auf Befehl der Heeresgruppe durchzuführen. Diese Aufgaben werden ausschließlich durch die Wirtschaftstrupps wahrgenommen.

Die Wirtschaftstrupps sollen ihre Tätigkeit im neubesetzten Gebiet so frühzeitig aufnehmen als dies die Gefechtslage erlaubt.«

Nachdem Maschinen und Rohstoffe so aufgefunden und identifiziert worden waren, traten die neuen Organisationen für die Fortschaffung und Verwendung die ser Maschinen und Rohstoffe in Deutschland in Tätigkeit.

Das vorerwähnte Dokument RF-183 gibt genaue und sehr interessante Angaben über den Aufbau und die Stärke des Trupps »J« in Antwerpen. Die acht Offiziere sind sämtlich Reserve-Offiziere, Ingenieure, Großkaufleute, Bergwerksdirektoren, Importeure von Rohstoffen, beratende Ingenieure. Ihre Namen und Berufe werden im Dokument erwähnt. Diese Leute sind also alle Spezialisten aus Handel und Industrie. Die Auswahl dieser Techniker kann nicht auf Zufall beruhen.

Nach den vorerwähnten Anweisungen und noch mehr nach den wiederaufgefundenen Anweisungen vom Mai 1940, die von General Hannecken erlassen wurden – Dokument ECH-33, RF-184 – traten die Organe, sobald die Maschinen und die Vorräte identifiziert worden waren, in Tätigkeit: die ROGES einerseits und die Kompensationsdienststellen andererseits, deren Tätigkeit schon anläßlich der Ausplünderung Hollands und der Industrie der Nichteisenmetalle Belgiens angeführt und beschrieben wurde.

Ein anderes Dokument, das ebenfalls unter ECH-33, RF-184, eingereicht worden ist, zeigt, daß selbst die Zusammensetzung der Wirtschaftstrupps vom Oberkommando festgelegt wurde. Ich zitiere aus Seite 6:

[19] »Die bereits im Abschnitt I erwähnten Wirtschaftstrupps, die aus Fachleuten für die in den betreffenden Einsatzgebieten vorhandenen Industriezweige zusammengesetzt sind, erkunden und sichern gegenwärtig wichtige Rohstoffvorräte und Spezialmaschinen für die Munitions- und Kriegsgeräteherstellung.«

VORSITZENDER: Wäre es jetzt angenehm, eine Pause einzuschalten?


[Pause von 10 Minuten.]


M. DELPECH: Neben den dem Gerichtshof soeben beschriebenen Wirtschaftstrupps, die die Abnahme und Wiederverteilung der Maschinen an für die Besatzungsmacht arbeitende einheimische Werke und an in Deutschland ansässige Werke durchzuführen hatten, stand die Maschinenausgleichsstelle, welche diese Transaktionen leitete und sicherte.

Solche Dienststellen wurden in allen besetzten Gebieten Westeuropas im Laufe der letzten Monate des Jahres 1942 geschaffen, sowohl auf Befehl des Rüstungsministers, das heißt des Angeklagten Speer, als auch auf Grund des Vierjahresplanes, also auf Befehl des Angeklagten Göring.

Die Maschinenausgleichstelle für Belgien und Nordfrankreich wurde durch einen Beschluß des Leiters der militärischen Wirtschaftsabteilung in Brüssel am 18. Februar 1943 errichtet. Ihre Tätigkeit wurde dem Gerichtshof bereits anläßlich der Beraubung der Unternehmungen, die die Nichteisenmetalle verarbeiten, geschildert. Sie hat sich nicht hierauf beschränkt; ihre Spur kann in sämtlichen Industriezweigen aufgezeigt werden. Das Dokument ECH-29, RF-185, gibt Zahlen über ihre Tätigkeit. Diese Tätigkeit hat sich bis zu den letzten Tagen der Besetzung fortgesetzt. Die Fortnahme von Maschinen und Instrumenten hat sich nicht auf die Industrie beschränkt. Die Dokumente, die als ECH-16, RF-193, und ECH-15, RF-194, vorgelegt sind, zeigen das Ausmaß des Raubes an wissenschaftlichen Instrumenten.

Damit bin ich mit der Frage der Fortnahme von industriellem Material fertig. Ich werde schnell in einem vierten Kapitel die Frage der Dienstleistungen behandeln, zuerst die Einquartierung der Truppen.

Durch Anordnung vom n. Dezember 1940, Seite 88, haben die Deutschen die Kosten der Unterbringung ihrer Truppen Belgien auferlegt. Hierbei haben sich die Besatzungsbehörden auf eine ziemlich weitgehende Auslegung des Artikels 52 des Haager Abkommens gestützt, nach dessen Bestimmungen die Besatzungsmacht Naturalleistungen und Dienstleistungen verlangen kann.

[20] Der Bericht Wetter, Dokument RF-186, behauptet zu Unrecht, daß der Artikel 49 dazu berechtige, die Kosten den besetzten Ländern aufzuerlegen, da in der Konvention nicht ausgeführt werde, von wem die Zahlung erfolgen müsse.

Danach mußte Belgien Ausgaben in Höhe von 5 Milliarden 900 Millionen Franken für Kosten der Unterkunft, Einrichtung und Möbellieferungen tragen. Die Ausgaben des belgischen Schatzamtes für die Einquartierung der Truppen wird in dem Bericht der Militärverwaltung in Belgien auf 5 Milliarden 423 Millionen Franken geschätzt.

Es ist klar, daß unter dem Vorwand von Einquartierungskosten andere Ausgaben zum Schaden der belgischen Wirtschaft gemacht worden sind, besonders, wie dies in den anderen besetzten Gebieten der Fall war, Ankäufe von Möbeln, die zum Versand nach Deutschland bestimmt waren.

2. Transport- und Verkehrswesen:

Um die Transporte und den Verkehr zu sichern, mußte das belgische Schatzamt eine Gesamtsumme von 8 Milliarden Franken vorschießen. Dem Gerichtshof wurde bereits gezeigt, daß der Griff der Besatzungsbehörden sich in gleichem Maße auf die Flußschiffahrt erstreckte, indem der Transportplan die Benutzung der Eisenbahnen den Operationstruppen vorbehielt.

Nach Artikel 53 des Haager Abkommens hat ein Besatzungsheer das Recht, die Transport- und Nachrichtenmittel eines besetzten Gebietes zu beschlagnahmen; es muß diese zurückerstatten und entsprechende Entschädigungen bezahlen, es hat jedoch nicht das Recht, das besetzte Land zu zwingen, ihm auf seine Kosten Transportmittel zur Verfügung zu stellen. So hat jedoch Deutschland in Belgien gehandelt.

3. Arbeitskräfte:

Die Verschickung von Arbeitskräften nach Deutschland und die Zwangsarbeit in Belgien sind dem Gerichtshof bereits vorgetragen worden. Es erscheint daher überflüssig, weiter bei diesem Gegenstand zu verweilen, Seite 91. Höchstens sollte man an gewisse ungünstige Folgen für die belgische Wirtschaft erinnern. Die im Zusammenhang mit der Arbeiterdeportation getroffenen Maßnahmen haben eine beispiellose Unordnung und wirtschaftliche Schwächung hervorgerufen.

In zweiter Linie hat der Abzug der Arbeiter, und besonders der gelernten Arbeiter, die nur unzureichend durch ungelernte Arbeitskräfte, wie Frauen, Jugendliche und Pensionierte ersetzt wurden, eine Verminderung der Produktion mit sich gebracht und gleichzeitig eine Erhöhung der Gestehungskosten, was dazu beigetragen hat, das Problem des finanziellen Gleichgewichts der Unternehmen zu erschweren.

[21] Eine dritte Feststellung: Die Verschickung von Arbeitskräften war eine der Ursachen der politischen und sozialen Unzufriedenheit, und zwar wegen der Familientrennungen und der Ungerechtigkeiten, die bei den Arbeiterdeportierungen vorkamen.

Vierte und letzte Feststellung: Die Arbeiter wurden gezwungen, Arbeiten auf Gebieten zu leisten, die nicht notwendigerweise ihren Berufen entsprachen; daher haben sie zum Teil ihre Kenntnisse verloren. Die Belegschaften wurden auseinandergerissen und deklassiert. Die Schließung von Handwerksbetrieben hat mehr oder weniger fühlbare Strukturänderungen in gewissen Produktionszweigen hervorgerufen. Die Verluste, die hier entstanden sind, kann man nicht in Geldwerten ausdrücken. Sie sollten aber nichtsdestoweniger Ihrem richterlichen Befinden vorgelegt werden.

Damit habe ich dieses Gebiet beendet und komme zum letzten Kapitel, dem Kapitel V: Die Erwerbungen von Beteiligungen an belgischen Auslandsunternehmungen.

Entsprechend ihrer politischen Linie in allen besetzten Gebieten Westeuropas waren die Deutschen seit 1940 intensiv bestrebt, sich an belgischen Finanzunternehmungen im Auslande zu beteiligen.

Der offizielle deutsche Standpunkt geht klar aus einem Brief vom 29. Juli 1941 hervor, einem Brief des Finanzministers an den Militärbefehlshaber in Belgien. Diesen Brief habe ich als RF-187 des Dokumentenbuches vorgelegt.

Die Auffassung, daß es ein Recht zum Erwerb von Beteiligungen gäbe, ist sicherlich von dem Geist der im Haager Abkommen zur Ausübung des Requisitionsrechts anerkannten Beweggründe sehr weit entfernt. Sie läßt die Absicht der deutschen Führer erkennen, sich auf Kosten Belgiens zu bereichern.

So haben die Deutschen seit Mai 1940 versucht, über belgische Holding-Gesellschaften Einfluß zu gewinnen. Da sie nicht in der Lage waren, die Vorschriften des internationalen Rechtes und insbesondere den Artikel 46 des Haager Abkommens offen zu verletzen, bemühten sie sich, auf die Vorstandsmitglieder einzuwirken, und zwar mehr durch Überzeugungskunst als durch Gewalt.

Im Verlauf einer am 3. Mai 1940 im Reichswirtschaftsministerium abgehaltenen Besprechung, die sich mit denjenigen Teilen des belgischen und holländischen Kapitals, deren Erwerb möglich erschien, befaßte, wurde beschlossen, daß der Militärbefehlshaber in Belgien alle zweckdienlichen Maßnahmen treffen sollte, um einerseits die Vernichtung, die Übertragung, den Verkauf und den illegalen Besitz von allen Obligationen und Wertpapieren dieser Länder zu verhindern, und andererseits die belgischen Kapitalisten anzuregen, den Deutschen ihre ausländischen Werte abzutreten.

Das Protokoll dieser Konferenz ist im Dokumentenbuch als RF-187 enthalten.

[22] Um jede Kapitalflucht zu vermeiden, wurde am 17. Juni 1940 eine Anordnung veröffentlicht, die jegliche Ausfuhr von Wertpapieren und jeden Erwerb oder jede Verfügung über ausländische Wertpapiere einer Genehmigung unterwarf.

Seit dem 2. August 1940 hatten die deutschen Führer und der Angeklagte Göring selbst zu diesem Punkt Stellung genommen. Im Verlauf der allgemeinen Bemerkungen über die wirtschaftliche Ausplünderung sind Ihnen die durch den Angeklagten Göring gegebenen geheimen Richtlinien hierüber verlesen worden. Es handelt sich um das als RF-105 vorgelegte Dokument, Seite 97.

Trotz der deutschen Zusicherungen, trotz des Wunsches der Besatzungsmacht, scheinbar legal vorzugehen, war der deutsche Wille zur Übernahme bestimmter Beteiligungen auf ernste Widerstände gestoßen. Die Besatzungsbehörden mußten öfters Gewalt anwenden, um Verkäufe durchzusetzen, ein Recht, das sie sich selbst mit der vorerwähnten Verordnung vom 27. August 1940 vorbehalten hatten. Das war besonders der Fall bei den Beteiligungen, die der belgische Metalltrust an den elektrischen Unternehmungen von Ostschlesien besaß, und ganz besonders bei den Aktien der Österreichischen Metallgesellschaft, die damals von den Hermann-Göring-Werken begehrt wurden.

Die Unwilligkeit Belgiens wuchs in dem gleichen Maße, in dem der deutsche Wille zur Ausplünderung klarer zutage trat. In seinem Bericht vom 1. Dezember 1942, Dokument ECR-132, RF-191, brandmarkt der deutsche Beauftragte bei der Nationalbank ganz eindeutig diesen Widerstandswillen des belgischen Marktes.

Fast alle Erwerbungen, die von den Deutschen durchgeführt werden konnten, sind im Clearing bezahlt worden, Seite 98.

Der Kapitalclearingsaldo, der Belgien mit einer Summe von einer Milliarde belgische Franken am 31. August 1944 kreditierte, stellt eine Belgien auferlegte Zwangsanleihe ohne jeden rechtlichen oder logischen Zusammenhang mit den Besatzungskosten dar, sie ist nur auf die Hegemoniebestrebungen Deutschlands begründet.

Ein solches Vorgehen steht im Gegensatz zu den Prinzipien des Völkerrechts und den Regeln des Strafrechts der zivilisierten Nationen und fällt unter Artikel 6b des Statuts des Hohen Gerichtshofs. Es stellt sehr wohl einen solchen Plünderungsakt von öffentlichem oder privatem Eigentum dar, wie er im vorerwähnten Text angegeben worden ist.

Im Zusammenhang mit dem Erwerb von Kapitalan teilen und immer am Rand der Legalität stehen die von den deutschen Behörden erhobenen Abgaben auf ausländisches, feindliches und jüdisches Vermögen, auf die den Gerichtshof noch hinzuweisen passend erscheint.

[23] Mit Bezug auf die deutsche Beschlagnahme ausländischen Eigentums empfiehlt es sich festzustellen, daß diese Maßnahme, trotz zahlreicher Proteste der Französischen Regierung, auf französische Kapitalien in Belgien angewandt worden ist.

Was das jüdische Eigentum betrifft, so sind die Zahlen für die Jahre 1943 und 1944 dem Gerichtshof mit Dokument ECH-35, RF-192, vorgelegt worden.

Mit der Darlegung der wirtschaftlichen Drosselung Belgiens bin ich nun fertig, Seite 100.

Die Schäden, die den hauptsächlichen Zweigen der belgischen Wirtschaft zugefügt wurden, sind eben dem Gerichtshof dargelegt worden. Ein Teil der zahlenmäßigen Angaben wurde entweder den deutschen Berichten oder den offiziellen Berichten der Belgischen Regierung entnommen. Die verfügbaren Schätzungen und Zahlen sind noch nicht exakt genug, um genau die Kosten des Krieges, der Besatzung und der wirtschaftlichen Ausplünderung Belgiens zu ermessen; gewisse Verluste und Schäden können gar nicht in Geldwerten ausgedrückt werden. Es empfiehlt sich, unter ihnen in erster Linie die Entbehrungen, die aus der deutschen Beschlagnahme eines großen Teiles der Lebensmittel und den außergewöhnlichen Wohnungs-und Bekleidungsverhältnissen entstanden sind, anzuführen. Dieser rein materielle Gesichtspunkt der Angelegenheit darf Um so weniger die Folgen der Besetzung in Bezug auf die allgemeine Gesundheit vergessen machen, Seite 103. In Ermangelung genauer statistischer Zahlen ist es schwer, den endgültigen Einfluß der besonderen Verhältnisse auf die Volksgesundheit zu präzisieren.

Eine Tatsache darf jedenfalls nicht vergessen werden: die beträchtlich zunehmende Zahl von Personen, die zur Krankenkost Zuflucht genommen haben. Diese Zahl ist von monatlich 2000 im Jahre 1941 auf mehr als 25000 im Jahre 1944 gestiegen. Sie hat sich also trotz der immer strengeren Handhabung der Lebensmittelbewilligungen mehr als verzehnfacht.

Dieses Ansteigen der Anzahl von Krankenkostkarten verdient die Aufmerksamkeit des Gerichtshofes, weniger als solches oder als absoluter Wert, denn als Anzeichen des Ansteigens der Krankheiten in Belgien. Diese Zunahme an sich ist die Folge der Unterernährung im Verlauf von vier Besatzungsjahren.

Diese bedauerliche Tatsache war indessen der Aufmerksamkeit der Besatzungsbehörden nicht entgangen, wie aus einem schon erwähnten Schreiben des Militärbefehlshabers in Belgien hervorgeht. Es er scheint im Dokumentenbuch als RF-187:

»In Belgien ist auf dem Ernährungsgebiet weder das Existenzminimum für die Zivilbevölkerung noch das Minimum der Ernährung von Schwerarbeitern, die ausschließlich [24] im deutschen kriegswirtschaftlichen Interesse arbeiten, sichergestellt.«

Ich werde hierbei nicht länger verweilen. Diese Unterernährung der belgischen Bevölkerung war die unvermeidliche und ernsteste Folge der gewaltigen Abgaben, die von den Besatzungsbehörden erhoben wurden, die absichtlich die elementaren Bedürfnisse eines besetzten Landes mißachtet haben, um allein die Kriegsziele des Reiches zu verfolgen.

Die Senkung des durchschnittlichen Gesundheitszustandes und die Zunahme der Sterblichkeit in Belgien von 1940 bis 1945 können deshalb mit gutem Recht als direkte Folge der Plünderungen betrachtet werden, die von den Deutschen in Belgien unter Mißachtung der Vorschriften des Völkerrechtes begangen wurden.

Ich bin am Ende meiner Ausführungen über Belgien.

Nun einige sehr kurze Bemerkungen über die wirtschaftliche Ausraubung von Luxemburg, Seite 106.

Als Anhang zu den Ausführungen über Belgien erscheint es angebracht, dem Gerichtshof einige Einzelheiten über das Verhalten der Deutschen in Luxemburg vorzulegen.

Die Regierung des Großherzogtums hat eine allgemeine kurze Zusammenfassung dieser Anschuldigungen übermittelt, die dem Gerichtshof unter der allgemeinen Nummer UK-77 vorgelegt wurde. Ein Auszug davon über Verbrechen gegen Vermögen, Wirtschaftsteil, kommt im Dokumentenbuch als RF-194 vor.

Die Deutschen haben das Großherzogtum kurz nach ihrem Einzug faktisch annektiert. Diese Haltung, die derjenigen sehr ähnlich ist, welche sie gegenüber den Einwohnern der Kreise Mosel, Unterrhein und Oberrhein einnahmen, verlangt einige Bemerkungen.

Entsprechend ihrer Gewohnheit war eine der ersten Maßnahmen die Umwechslung des luxemburgischen Geldes zum Kurse von zehn luxemburgischen Franken für eine Mark. Das war der Zweck der Verordnung vom 26. August 1940, RF-195 des Dokumentenbuches. Dieser Kurs entsprach nicht der respektiven Kaufkraft der beiden Währungen. Er stellte eine erhebliche Vermögensabgabe für die Staatsangehörigen dar und sicherte den Deutschen vor allem die vollkommene Erfassung der Geldzeichen. Er verschaffte ihnen also das Mittel, sich einen bedeutenden Teil der Reserven an Rohmaterial und Fertigprodukten des Landes anzueignen.

Die Käufe wurden mit entwerteter Mark bezahlt, auf der Basis von Festpreisen, die von den Deutschen auferlegt worden waren.

Schließlich wurde durch Verordnung vom 29. Januar 1941 die Reichsmark als einziges gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt; Verordnung, vorgelegt als RF-196. Die luxemburgischen Franken und die Reichskreditkassenscheine wurden aus dem Umlauf zurückgezogen, genau so wie die belgischen Franken, die bis dahin als [25] Einheiten der französisch-luxemburgischen Geldunion angesehen worden waren. Vom 5. Februar 1941 ab wurden diese alle ausländische Devisen.

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tatsache lenken, daß unter allen von Deutschland besetzten Ländern Luxemburg mit Elsaß und Lothringen das einzige Land ist, das völlig seiner nationalen Währung beraubt wurde.

Außerdem hat, um dem Reich eine finanzielle Stütze zu geben, die zur Weiterführung des Krieges notwendig war, die Verordnung vom 27. August 1940, Dokument RF-197, vorgeschrieben, daß Gold und ausländische Devisen zwangsweise abgeliefert werden mußten. Derselbe Text ordnete weiter an, daß die ausländischen Aktien und Obligationen der Reichsbank zum Verkauf angeboten werden mußten zu von der Besatzungsmacht vorgeschriebenen Kursen und Bedingungen.

Wie schon erwähnt wurde, bemächtigten sich die Deutschen industrieller Vorräte. Ein Bericht vom 21. Mai 1940 über die wirtschaftliche Lage in Holland, Belgien und Luxemburg gibt uns in diesem Zusammenhang Angaben über die im Lande vorgefundenen Warenlager:

1600 000 Tonnen Eisenerz

125 000 Tonnen Manganerz

10 000 Tonnen Roheisen

10 000 Tonnen Ferro-Mangan

36 000 Tonnen Halbfabrikate und Fertigprodukte;

und ich könnte diese Aufzählung noch fortsetzen.

Die Beschlagnahme seitens der Deutschen traf auch die Leitung der industriellen Produktion.

Entsprechend der Denkschrift, die von der Luxemburgischen Regierung der Reparationskommission übergeben wurde, Dokument RF-198, belaufen sich die Schäden wirtschaftlicher Art auf:

5.800.000.000 luxemburgische Franken, nach dem Wert von 1938.

Diese Zahl verteilt sich folgendermaßen:

Industrie und Handel: 1.900.000.000

Eisenbahnen: 200.000.000

Verkehrswege: 100.000.000

Landwirtschaft: 1.600.000.000

Schäden an Vermögen im allgemeinen:

1.900.000.000

Nach derselben offiziellen Quelle stellt der Gesamtverlust an Kapital ungefähr 33 Prozent des Nationalvermögens von Luxemburg dar. Vor dem Kriege wurde das Nationalvermögen auf ungefähr fünf Milliarden luxemburgische Franken geschätzt.

Die Beeinträchtigungen der finanziellen und monetären Lage des Landes überschreiten sechs Milliarden luxemburgische Franken. [26] Unter diesen Schäden stehen an erster Stelle die Erhöhung des Geldumlaufs und der Betrag der erzwungenen Investierungen in Deutschland in Höhe von über 4800 Millionen luxemburgische Franken, sowie die zusätzliche Bürde, die den Steuerpflichtigen des Großherzogtums durch die Einführung des deutschen Steuersystems auferlegt wurde.

Zu diesen Lasten kamen noch die Gewinnabschöpfung, die Geldstrafen und die sogenannten »freiwilligen Abgaben« aller Art, die den Luxemburgern auferlegt wurden.

In Nachahmung dessen, was in den anderen Ländern gemacht worden war, sieht die Verordnung vom 21. Februar 1941, Dokument RF-199 des Dokumentenbuches über Luxemburg, vor, daß für diejenigen Großbetriebe, vor allem die Stahlwerke, die nach dem Wortlaut der Verordnung »nicht unter allen Umständen bereit wären, für das Deutschtum einzutreten«, deutsche Geschäftsführer ernannt werden könnten.

Der Auftrag dieser Beauftragten bestand darin, dem Reiche im Rahmen des Vierjahresplans die Oberleitung und Kontrolle ihrer Ausbeutung im ausschließlichen Interesse der deutschen Kriegsanstrengungen zu sichern.

So hat am 2. August 1940 der »Reichskommissar für die Verwaltung feindlichen Eigentums« drei deutsche Beauftragte bei der größten Metallgesellschaft Luxemburgs, den Vereinigten Stahlwerken von Burbach-Eich-Dudelange, Arbed, eingesetzt, die eine völlige Beherrschung dieser Gesellschaft sicherten.

Die anderen großen Gesellschaften sind dieser Vormundschaft ebenfalls nicht entgangen, wie aus den Dokumenten hervorgeht, die dem Gerichtshof als RF-200 vorgelegt wurden. Die Ausplünderung der luxemburgischen und ausländischen Interessen auf dem Gebiet des Versicherungswesens, einem der wichtigsten Gebiete des luxemburgischen Wirtschaftslebens, wurde bis zum letzten durchgeführt. Ausgenommen blieben nur drei Schweizer und eine deutsche Gesellschaft. Jegliche Tätigkeit wurde den luxemburgischen Gesellschaften verboten, ihr Versicherungsbestand und ihr Vermögen wurden den deutschen Versicherungsgesellschaften übertragen, und zwar in offizieller Form bei den luxemburgischen Gesellschaften und in versteckter Form bei den ausländischen Gesellschaften.

Die luxemburgischen Versicherungsgesellschaften wurden ihres Feuerversicherungsbestandes durch die Einführung der Versicherungspflicht für Brandrisiken beraubt. Das Monopol hierfür wurde den deutschen Gesellschaften übertragen.

Durch Einführung ihrer Rassenpolitik haben die Nationalsozialisten allen jüdischen Besitz mit Beschlag belegt und eingezogen, und zwar im Großherzogtum zugunsten der Verwaltung für die Judenvermögen.

[27] Im Rahmen der Umsiedlungspolitik wurden außerdem 1500 Familien, das heißt 7000 Luxemburger, verschleppt. Die Deutschen bemächtigten sich ihrer Habe. Eine deutsche Treuhandgesellschaft, die in der Dienststelle für Deutschtum und Siedlung untergebracht war, wurde mit der Verwaltung beauftragt. In Wirklichkeit betrieb sie deren Liquidation. So wurden bedeutende Werte eingezogen und ins Reich verbracht.

Wie bereits an anderer Stelle angegeben, wurden die Deutschen aus Tirol in den Häusern, Fabriken, Geschäften und handwerklichen Betrieben der Deportierten untergebracht.

Mit anderen Worten, meine Herren, wurde das Großherzogtum Luxemburg das Opfer eines systematisch organisierten wirtschaftlichen Raubzuges, der dem von Belgien in nichts nachstand.

VORSITZENDER: Herr Delpech, der Gerichtshof ist Ihnen dankbar für die Art und Weise, wie Sie die Aufgabe durchgeführt haben, um die wir Sie gestern gebeten haben, nämlich, was nicht so leicht ist, die von Ihnen beabsichtigten Ausführungen abzukürzen. Soweit wir beurteilen können, wurden keine wichtigen Teile Ihres Vortrags ausgelassen. Es ist von großer Bedeutung, daß das Verfahren schnell durchgeführt werden soll, wie es das Statut festlegt, und aus diesem Grunde forderte der Gerichtshof Sie auf, Ihren Vortrag, falls möglich, abzukürzen.

M. DELPECH: Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender, für Ihr Wohlwollen.


VORSITZENDER: Ja, Herr Gerthoffer.


M. CHARLES GERTHOFFER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Präsident! Meine Herren! Ich komme jetzt zum sechsten Teil dieser Ausführungen, der der wirtschaftlichen Ausplünderung Frankreichs gewidmet ist.

Als die Deutschen in Frankreich eindrangen, fanden sie dort beträchtliche Reichtümer vor. Ihr Bestreben ging darauf hinaus, sich die nationale Produktion anzueignen und dienstbar zu machen.

Im Wege des gewöhnlichen Requisitionsverfahrens konnte dies Ziel nicht erreicht werden. Sie benutzten daher Umwege, indem sie gleichzeitig List und Gewalt anwandten und sich bemühten, ihre verbrecherischen Taten mit dem äußeren Schein der Rechtmäßigkeit zu tarnen. Zu diesem Zweck bedienten sie sich in betrügerischer Weise der Waffenstillstandsbedingungen. Diese enthielten keine Klausel wirtschaftlicher Art und keine Geheimklauseln. Sie bestanden nur aus dem veröffentlichten Texte. Nichtsdestoweniger haben die Deutschen zwei Bestimmungen benutzt, um ihre Unternehmungen zu fördern. Ich unterbreitete dem Gerichtshof als RF-203 einen Abdruck der Waffenstillstandsbedingungen, und ich zitiere Artikel 18 dieses Vertrags:

[28] »Die Kosten für den Unterhalt der deutschen Besatzungstruppen auf französischem Boden trägt die Französische Regierung.«

Diese Klausel verstößt nicht gegen die Vorschriften des Haager Abkommens. Aber Deutschland verlangte die Zahlung enormer Summen, die weit über das hinausgingen, was für die Bedürfnisse der Besatzungsarmee notwendig war. Damit war es ihm möglich, ohne Gegenleistung beinahe über das ganze Geld zu verfügen, das sie in der tat sehr geschickt in ein Instrument zur Ausplünderung umwandelten.

Artikel 17 der Waffenstillstandsbedingungen war folgendermaßen abgefaßt:

»Die Französische Regierung verpflichtet sich, jedes Verbringen von wirtschaftlichen Werten und Vorräten aus dem von den deutschen Truppen zu besetzenden Gebiete in das unbesetzte Gebiet oder ins Ausland zu verhindern. Über diese im besetzten Gebiet befindlichen Werte und Vorräte ist nur im Einvernehmen mit der Deutschen Regierung zu verfügen. Die Deutsche Regierung wird dabei die Lebensbedürfnisse der unbesetzten Gebiete berücksichtigen.«

Offensichtlich war es das Ziel dieser Bestimmung, die Versendung irgendwelcher Gegenstände nach England oder den Kolonien zu verhindern, die möglicherweise gegen Deutschland benutzt werden konnten. Aber die Besatzungsmacht sollte hieraus profitieren und sich die Leitung der Produktion und der Rohstoffverteilung in ganz Frankreich verschaffen, da die nichtbesetzte Zone ohne die Produkte der besetzten Zone nicht leben konnte, und umgekehrt diese die Produkte der sogenannten freien Zone benötigte.

Diese Absicht der Deutschen wird besonders durch ein von der Amerikanischen Armee aufgefundenes und als 1741-PS-I eingetragenes Aktenstück bewiesen, das ich als RF-204 vorlege.

Ich möchte dem Gerichtshof die Verlesung dieses langen Beweisstückes ersparen; ich werde eine kurze Zusammenfassung geben.

Es handelt sich um einen geheimen Bericht vom 5. Juli 1940, gerichtet an den Präsidenten des Rates...

VORSITZENDER: Herr Gerthoffer, da es kein Dokument ist, von dem wir amtlich Kenntnis nehmen können, denke ich, daß Sie die Teile verlesen müssen, die Sie als Beweismaterial unterbreiten wollen.

M. GERTHOFFER: Ich werde mir gestatten, einen Teil des Dokuments zu verlesen.


VORSITZENDER: Gut.


M. GERTHOFFER:

»Artikel 17 gibt Deutschland das Recht auf Sicherstellung der wirtschaftlichen Werte und Vorräte im [29] besetzten Gebiet und bindet die Französische Regierung bei ihren Verfügungen an die deutsche Zustimmung. Auf französischen Wunsch hat Deutschland zugesagt, bei der Entscheidung über die Anträge der Französischen Regierung auf Genehmigung zur Verfügung über im besetzten Gebiet befindliche Werte und Vorräte auch die Lebensbedürfnisse der Bevölkerung des unbesetzten Gebietes zu berücksichtigen.«

Ich will nur diese Stelle zitieren, um meine Ausführungen abzukürzen, und ich komme jetzt zum nächsten Dokument, das irgendwie eine Antwort an den deutschen Beamten darstellt, der diesen Bericht abgefaßt hat. Ich unterbreite dieses Dokument als EC-409, RF-205. Dieses Dokument ist ein von der amerikanischen Armee aufgefundener Bericht. Hier ist die Antwort auf das Dokument zusammengefaßt, von dem ich einen Teil verlesen habe:

»Die Auffassung des Führers geht dahin, daß die gesamten Verhandlungen mit Frankreich nur von der politischen, nicht aber von der wirtschaftlichen Seite zu sehen sind. Die Aufhebung der Demarkationslinie kommt neuerdings nicht in Frage, und wenn dadurch die Ingangsetzung des Wirtschaftslebens in Frankreich unterbunden wird, so muß uns das völlig gleichgültig sein. Die Franzosen haben den Krieg verloren und müssen nun den Schaden bezahlen. Auf meine Einwendung, daß dadurch Frankreich ein Unruhezentrum werden wird, wurde mir geantwortet, daß dann einfach geschossen wird oder das bisher noch nicht besetzte Gebiet besetzt wird. Alle Zugeständnisse, die wir den Franzosen machen, müssen sie teuer bezahlen durch Lieferungen aus dem unbesetzten Gebiet oder aus den Kolonien. Es muß angestrebt werden, daß das Nebeneinanderarbeiten auf wirtschaftlichem Gebiet in Frankreich abgestellt wird.«

Nun, meine Herren, ein anderes Dokument, das die Armee der Vereinigten Staaten gefunden hat, und das ich als RF-206 überreiche. Es ist von Dr. Gramsch unterzeichnet und gibt uns die folgenden Aufklärungen:

»Im Rahmen der Verhandlungen über die Lockerung der Demarkationslinie ist der Französischen Regierung nahegelegt worden, in ganz Frankreich die Gold- und Devisenwerte zu erfassen.«

Weiter schreibt der Verfasser dieses Dokuments:

»Die Devisenwerte des besetzten Frankreichs würden eine Stärkung unseres Kriegspotentials darstel len. Diese Maßnahme könnte im übrigen auch bei Verhandlungen mit der Französischen Regierung als Druckmittel ausgenutzt werden, um diese zu einer entgegenkommenderen Haltung auf anderen Gebieten zu veranlassen.«

[30] Eine Überprüfung dieser Dokumente ergibt die Absicht der Deutschen, unter Mißachtung aller Rechtsprinzipien alle Reichtümer und das Wirtschaftsleben Frankreichs unter ihre Verfügungsgewalt zu bringen.

Durch Gewalt gelang es den Deutschen, nach einem Besatzungsjahr fast die gesamte französische Wirtschaft unter ihre Herrschaft zu bringen. Dieses ergibt sich besonders aus einem von Dr. Michel veröffentlichten Artikel. Dieser war Leiter der Wirtschaftsabteilung beim Militärbefehlshaber in Frankreich. Der Artikel erschien in der »Berliner Börsen-Zeitung« vom 10. April 1942. Ich lege ihn als RF-207 vor und werde eine Stelle hieraus verlesen:

»Für die zuständigen Stellen der deutschen Militärverwaltung mußte die Aufgabe zeitentsprechend in einer Lenkung der Wirtschaftslenkung gesehen werden, also in der Ausgabe von Direktiven und zugleich in einer Überwachung, ob diese Direktiven auch wirklich befolgt würden.«

Sodann, auf Seite 12 des Exposés, schreibt Dr. Michel:

»Scharfe Drosselung des kriegswirtschaftlich unwichtigen Verbrauches steht nunmehr auch in Frankreich, nachdem Rohstoff- und Auftragslen kung organisiert sind und zweckmäßig arbeiten, beherrschend im Vordergrund. Die Verbrauchseinschränkungen, die der französischen Bevölkerung auferlegt wurden, sind bezüglich Ernährung, Kleidung, Schuhversorgung, Heizung schon seit längerem einschneidender als im Reich.«

Nachdem ich Ihnen nunmehr in dieser kurzen Einführung über die wirtschaftliche Ausplünderung Frankreichs gezeigt habe, was aus diesem Lande unter deutscher Herrschaft geworden war, möchte ich Ihnen einige Erklärungen über die Methoden geben, die angewandt wurden, um ein derartiges Ergebnis zu erzielen. Dies wird der Zweck der folgenden vier Kapitel sein:

1. Die deutsche Besitzergreifung der Zahlungsmittel.

2. Geheime Aufkäufe oder schwarzer Markt.

3. Erwerbungen unter rechtlichem Anschein, und schließlich

4. Dienstleistungen.

1. Die deutsche Besitzergreifung der Zahlungsmittel:

Diese Besitzergreifung war das Ergebnis der Bezahlung von Entschädigungen für den Unterhalt der Besatzungstruppen, der einseitigen Clearing-Regelung, der einfachen Beschlagnahme und Abgabe von Goldmünzen, Banknoten, ausländischen Devisen oder Auferlegung von Kollektivstrafen, Seite 15.

A) Entschädigung für Unterhalt der Besatzungstruppen.

Ich werde auf die rechtlichen Grundsätze in dieser Angelegenheit nicht zurückkommen. Ich werde mich vielmehr damit begnügen, Ihnen einige Erklärungen zu geben, damit Sie den Druck abschätzen [31] können, der damals auf die führenden Persönlichkeiten ausgeübt wurde, um die Zahlung beträchtlicher Beträge zu erreichen.

Wie ich Ihnen bereits gezeigt habe, ist in den Waffenstillstandsbedingungen der Grundsatz des Unterhalts von Besatzungstruppen nur ohne genaue Angabe des Betrags und der Art der Eintreibung in einfacher Weise formuliert worden. Die Deutschen wollten aus dieser Lage Nutzen ziehen, indem sie diese Verpflichtung Frankreichs anders auslegten und erweiterten, so daß diese Verpflichtung nur noch ein Vorwand für die Auferlegung einer ungeheuren Abgabe wurde.

Während der ersten Sitzungen der Waffenstillstandskommission drehten sich die Besprechungen um diesen Punkt. Die Franzosen machten geltend, daß man ihnen nur die Zahlung einer bestimmten Pauschale für den Unterhalt einer Armee auferlegen könne, die für die Besetzung des Landes unerläßlich sei. Der deutsche General Mieth mußte die Berechtigung dieser Behauptung anerkennen, indem er erklärte, daß die Truppen, die gegen England kämpfen sollten, nicht auf Frankreichs Kosten unterhalten werden sollten.

Diese Tatsache kommt in einem Auszug der Waffenstillstandskommission zum Ausdruck, welchen ich als RF-208 vorlege. Wahrscheinlich wurde später General Mieth von seinen Vorgesetzten desavouiert, denn im Laufe einer späteren Konferenz, am 16. Juli 1940, erklärte er dazu, ohne ausdrücklich auf seine Änderung zurückzukommen, daß er keinen Bescheid dahingehend geben könne, daß diese Frage nicht mehr besprochen werden würde, und daß, kurz gesagt, alles Nötige veranlaßt werden würde, um der Französischen Regierung die Aufstellung ihres Budgets zu ermöglichen. Dies ergibt sich aus dem Protokollauszug der Waffenstillstandskommission, den ich als RF-209 vorlege.

Am 8. August überreichte der Leiter der Deutschen Wirtschaftsdelegation in Wiesbaden, Hemmen, dem Präsidenten der Französischen Delegation, General Huntziger, eine Note, in welcher er erklärte, daß im Hinblick auf die Unmöglichkeit die Besatzungskosten genau zu berechnen, die Französische Regierung bis auf weiteres Abschlagszahlungen von mindestens zwanzig Millionen Reichsmark auf Basis eines Kurses von einer Mark für zwanzig französische Franken, das heißt, vierhundert Millionen Franken täglich, zu bezahlen habe. In diesen Abschlagszahlungen waren die Kosten für die Einquartierung der Truppen, die gesondert bezahlt werden mußten, nicht enthalten. Diese Tatsache ergibt sich aus Dokument RF-210, welches ich dem Gerichtshof vorlege, und das die Unterschrift »Hemmen« trägt.

In einer durch diese Forderungen veranlaßten Antwort vom 12. August 1940 wurde betont, daß man auf Grund der Höhe dieser täglichen Zahlungen nicht annehmen könne, daß sie unter Zugrundelegung der Normalstärke einer Besatzungsarmee und der normalen [32] Kosten für deren Unterhalt festgesetzt worden wären; daß außerdem die den angegebenen Zahlen entsprechende Truppenstärke in keinem Verhältnis zu allem stünde, was militärische Präzedenzfälle und die gegenwärtigen Bedürfnisse vernünftigerweise annehmen ließen. Dies ergibt sich aus der Note vom 12. August, vorgelegt als RF-211.

Am 15. August 1940 nahm die Deutsche Delegation von der Tatsache Kenntnis, daß die Französische Regierung bereit war, Abschlagszahlungen zu leisten; sie weigerte sich aber kategorisch, sowohl die Höhe der Abschlagszahlungen als auch die Unterscheidung zwischen Besatzungs- und Operationstruppen zu diskutieren. Dies ergibt sich aus Dokument RF-212, das ich zum Gegenstand meiner Ausführungen mache.

Am 18. August nahm die Französische Delegation die Note vom 15. August zur Kenntnis und machte darauf aufmerksam, ich zitiere diese Stelle wörtlich aus RF-213:

»... daß, von Frankreich die Zahlung von Ausgaben für den Unterhalt von Operationstruppen zu verlangen, eine Forderung darstellt, die zweifellos nicht dem Sinn und dem Buchstaben des Waffenstillstandsvertrags entspricht;

... daß die geforderten Kosten zu einem Kurs in Franken umgewandelt werden, der die entsprechende Kaufkraft der Mark und des Franken bedeutend übersteigt; ferner, daß die Käufe des deutschen Heeres in Frankreich eine Art Kontrolle über das Leben in diesem Lande bedeuten und daß sie überdies, wie die Deutsche Regierung zugibt, teilweise durch Sachlieferung ersetzt werden sollen.«

Die Note schließt wie folgt:

»Unter diesen Umständen erscheint der erdrückende Beitrag, der von der Französischen Regierung verlangt wird, als willkürlich und übersteigt in einem beträchtlichen Ausmaß das, was rechtmäßig erwartet werden konnte.

Die Französische Regierung, die immer bestrebt ist, die Klauseln des Waffenstillstandsvertrags loyal auszuführen, kann dann nur noch an die Reichsregierung appellieren, in der Hoffnung, daß sie die oben entwickelten Argumente berücksichtigen wird.«


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nunmehr vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 6, S. 7-34.
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