Nachmittagssitzung.

[34] M. GERTHOFFER: Heute Morgen habe ich dem Gerichtshof dargelegt, daß die Deutschen von Frankreich eine Entschädigung von 400 Millionen Franken pro Tag zum Unterhalt ihrer Besatzungstruppen verlangten.

Ich hatte angegeben, daß die damaligen französischen Regierungsleiter, ohne ihre grundsätzlichen Verpflichtungen zu verkennen, sich gegen die Höhe der verlangten Summe auflehnten. Gleich bei ihrer Ankunft in Frankreich hatten die Deutschen dort, wie in den anderen besetzten Ländern; Reichskreditkassenscheine sowie Requisitionsscheine ausgegeben, welche in keiner Weise der Kontrolle der Notenbank unterlagen und nur innerhalb Frankreichs Kurs hatten. Diese Ausgabe von Scheinen stellte eine Gefahr dar, denn ihr Umlauf konnte nach dem alleinigen Belieben der Besatzungsmacht vergrößert werden.

Durch einen im VOBIF vom 17. Mai 1940 Nummer 7 veröffentlichten Erlaß vom 17. Mai 1940, welcher im Dokumentenbuch als RF-214 erscheint, setzte die Besatzungsmacht gleichzeitig den Kurs der Reichsmark auf 20 französische Franken für eine Reichsmark fest, während sich der tatsächliche Wert auf ungefähr 1 Reichsmark für 10 Franken belief.

Da die französische Abordnung über die Bedeutung dieses ständig steigenden Umlaufs der Reichskreditkassenscheine sowie über den Umfang der deutschen Ankäufe und den Kurs der Reichsmark stark beunruhigt war, teilte ihr die deutsche Abordnung am 14. August 1940 mit, daß sie sich weigere, den Kurs der besagten Scheine in Frankreich herabzusetzen. Dies geht aus einem Schreiben vom 14. August hervor, das ich als RF-215 unterbreite.

Die Besatzungsmacht hatte sich somit unrechtmäßigerweise ein Druckmittel auf die derzeitige Französische Regierung geschaffen, um diese dazuzubringen, ihren Forderungen sowohl betreffend der Höhe der Besatzungskosten als auch des aufgezwungenen Kurses der Mark und der Clearing-Abkommen, die in einem nachfolgenden Kapitel erörtert werden, nachzukommen.

General Huntziger, der Vorsitzende der französischen Abordnung, wandte sich verschiedene Male in dramatischer Form an die deutsche Abordnung mit der Bitte, Frankreich nicht in den Abgrund zu stürzen. Dies geht aus einem ferngeschriebenen Bericht Hemmens hervor, den er am 18. August 1940 an seinen Außenminister richtete. Dieser Bericht, den ich dem Gerichtshof als RF-216 unterbreite, wurde von der amerikanischen Armee entdeckt und trägt die Nummer 1741-PS-5. Hier ist der wichtige Teil dieses Berichts:

»Die laufenden sehr hohen Zahlungen gäben Deutschland die Möglichkeit, ganz Frankreich aufzukaufen, einschließlich [34] seiner Industrie und ausländischen Anlagen. Sie bedeuten deshalb den Ruin Frankreichs.«

Durch Schreiben und Note vom 20. August fordert die deutsche Abordnung von der Französischen Delegation Anzahlungen. Dieses Schriftstück betont, daß keine Unterscheidung gemacht werden solle zwischen den deutschen Truppen in Frankreich, daß die Stärke der deutschen Besatzung von den Erfordernissen der weiteren Kriegführung abhängig sei, und daß außerdem die Festsetzung des Markkurses nichts mit den zu leistenden Zahlungen zu tun habe, da diese Zahlungen nur als Abschlagszahlung zu betrachten seien.

Ich unterbreite das Schreiben der Deutschen Regierung vom 20. August als RF-217.

Am nächsten Tag, dem 21. August 1940, hatte General Huntziger eine Unterredung mit Hemmen, in der er sich erfolglos bemühte, eine Herabsetzung der deutschen Forderungen zu erreichen. Dem Protokoll dieser Unterredung, Dokument RF-218, zufolge faßte Deutschland bereits eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Frankreich durch Einsetzung von Beauftragten für die Devisenkontrolle und für die Überwachung des Außenhandels ins Auge. Als Gegenleistung täuschte Hemmen ein Projekt der Aufhebung der Demarkationslinie zwischen den beiden Zonen vor, aber er weigerte sich, über die Höhe der Besatzungskosten weiterhin zu diskutieren.

In einer Note vom 26. August 1940 erklärte die Französische Regierung, daß sie sich verpflichtet fühle, dem Zwange nachzugeben, und protestierte gegen die deutschen Forderungen; das Schreiben endet mit folgenden Zeilen:

»Die französische Nation fürchtet weder Arbeit noch Leid, jedoch muß sie leben können. Aus diesem Grunde wird die Französische Regierung künftighin den bisher beschrittenen Weg nicht weiter gehen können, wenn die Forderungen der Reichsregierung sich als unvereinbar mit diesem Recht zum Leben erweisen sollten.«

Ende des Zitats dieses Dokuments, das ich als RF-219 vorlege. Die Deutschen hatten die unbestreitbare Absicht, die als Besatzungskosten geforderten Summen nicht nur zum Unterhalt, zur Ausrüstung und zur Bewaffnung ihrer in Frankreich stationierten Besatzungs- oder Operationstruppen zu verwerten, sondern auch zu anderen Zwecken. Dies geht insbesondere aus einem Fernschreiben des OKW vom 2. September 1940 hervor, das die US-Armee aufgefunden hat, und das ich als EC-204, RF-220, vorlege. Hier folgt ein Auszug des Fernschreibens, den ich dem Gerichtshof verlese, Seite 22:

»Soweit die eingehenden Frankenbeträge nicht von den Truppen in Frankreich benötigt werden, behält sich OKW das Recht zur weiteren Verfügung über die Devisen vor.

[35] Insbesondere bedarf die Zurverfügungstellung der Devisen an alle Stellen, die nicht der Wehrmacht angehören, der Genehmigung von OKW, damit unbedingt sichergestellt ist, daß zunächst der gesamte Wehrmachtsbedarf an Frankenbeträgen gedeckt werden kann und dann ein etwaiger Überschuß OKW für wichtige Zwecke des Vierjahresplanes zur Verfügung steht.«

Ende des Zitats.

In einem anderen Fernschreiben, das auf gleiche Weise aufgefunden wurde, und das ich als EC-201, RF-221, vorlege, heißt es:

»Es besteht offenbar keinerlei Übereinstimmung mit den Franzosen, was unter ›Kosten für den Unterhalt der Besatzungstruppen in Frankreich‹ zu verstehen ist. Wenn wir uns auch intern darüber klar sind, daß wir im gegenwärtigen Zeitpunkt eine (uferlose) Diskussion mit den Franzosen aus praktischen Gründen vermeiden müssen, so darf auf der anderen Seite kein Zweifel darüber bestehen, daß wir berechtigt sind, den Begriff ›Unterhalt‹ im weitesten Sinne... auszulegen...«

Später in demselben Schnellbrief Seite 24, Absatz 2:

»In jedem Falle folgt hieraus, daß die von den Franzosen geforderten Konzessionen hinsichtlich der Ermittlung der Höhe der Besatzungskosten und der Mitwirkung über die abgelieferten Franken abgelehnt werden müssen.«

Und schließlich der folgende Absatz:

»Verwendung der Frankenbeträge:

Was die Verwendung der eingezahlten Franken betrifft, die nicht für die eigentlichen Kosten für den Unterhalt der Besatzungstruppen in Frankreich Verwendung finden, so ist eine Erörterung mit den französischen Stellen nicht am Platze.«

Hier endet dieses Zitat.

Später verbuchten die Franzosen vergeblich, eine Verringerung der Besatzungskosten und eine Änderung des Markkurses zu erreichen, die Deutschen lehnten jede Diskussion ab.

Anfang 1941 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Wegen der Unerbittlichkeit der Deutschen stellte die Französische Regierung die Zahlungen im Mai 1941 ein, nahm sie dann jedoch unter dem Druck der Besatzungsmacht wieder auf, zahlte aber nicht mehr als einen Vorschuß von 300 Millionen Franken täglich. Dies ergibt sich aus dem Dokument RF-222.

Am 15. Dezember 1942, nachdem das gesamte französische Gebiet besetzt worden war, verlangte Deutschland, daß die tägliche Teilzahlung [36] von 300 Millionen Franken auf 500 Millionen Franken erhöht würde.

Die für den Unterhalt der Besatzungstruppen bezahlten Beträge belaufen sich insgesamt auf 631.866.000.000 Franken, das heißt zwangskursmäßig auf 31.593.000.000 Reichsmark. Diese Summe ergibt sich nicht nur aus den von der französischen Verwaltung erteilten Auskünften, sondern auch aus den deutschen Dokumenten, und insbesondere aus dem Bericht des genannten Hemmen.

Hemmen, Ministerialdirektor im Auswärtigen Amte in Berlin, war zum Vorsitzenden der Deutschen Wirtschaftsdelegation bei der Waffenstillstandskommission ernannt worden, und handelte tatsächlich auf direkten Befehl seines Ministers von Ribbentrop als wahrer Diktator in Wirtschaftsfragen; sein Hauptmitarbeiter in Paris war Dr. Michel, von dem wir bereits gesprochen haben.

Hemmen behielt seine Funktion als Chef der Wirtschaftsabteilung der Waffenstillstandskommission in Wiesbaden bei, und wurde außerdem noch durch Beschluß Hitlers am 19. Dezember 1942 zum Beauftragten der Reichsregierung für Wirtschaftsfragen bei der Französischen Regierung ernannt. Dies geht aus dem Dokument 1763-PS, RF-223, hervor.

Hemmen sandte regelmäßig geheime Wirtschaftsberichte an seinen Minister. Diese Dokumente sind von der Armee der Vereinigten Staaten entdeckt worden. Sie sind für diesen Teil des Prozesses besonders wichtig, denn, wie Sie sehen werden, enthalten sie das Eingeständnis Deutschlands bezüglich der wirtschaftlichen Plünderung.

Diese umfangreichen Berichte liegen dem Gerichtshof unter den Nummern RF-224, RF-225, RF-226, RF-227, RF-228 und RF-229 (1986-PS, 1987-PS, 1988-PS, 1989-PS, 1990-PS und 1991-PS) vor. Es ist mir unmöglich, sie hier ausführlich zu verlesen, weil sie zu umfangreich sind. Ich werde mich damit begnügen, in meinen nachfolgenden Erklärungen einige kurze Auszüge zu geben. Um ihre Wichtigkeit zu unterstreichen, gebe ich Ihnen hierzu die Übersetzung des letzten Bandes der Hemmen-Berichte. In diesem in Salzburg am 15. Dezember 1944 abgefaßten letzten Bericht wird auf Seite 26 von Hemmen das Zugeständnis gemacht, daß Frankreich für den Unterhalt der Besatzungstruppen einen Betrag in Höhe von 31.593.300.000 Mark, das sind...

VORSITZENDER: Sind diese Dokumente in deutscher Sprache?

M. GERTHOFFER: Jawohl, diese Dokumente sind in deutscher Sprache. Nur den letzten Band konnte ich ins Französische übersetzen lassen; die anderen Dokumente konnte ich wegen ihres Umfangs noch nicht völlig übersetzen lassen, aber gerade aus diesem letzten Band, der ins Französische übersetzt worden ist, werde ich [37] zur Unterstützung meiner Ausführungen einige kurze Auszüge zitieren:


VORSITZENDER: Dann werden Sie sich also auf gewisse Auszüge des letzten Dokuments beschränken?


M. GERTHOFFER: Ich werde mich darauf beschränken.


VORSITZENDER: Nachdem dieses Dokument hier nicht amtlich zur Kenntnis genommen wird, werden uns nur die von Ihnen verlesenen Dokumente als Beweismaterial dienen können.


M. GERTHOFFER: Der auferlegte enorme Betrag war viel größer als irgendeine Summe, welche Deutschland hätte verlangen können. Trotz der Riesenausgaben, die die Deutschen in den ersten zwei Jahren in Frankreich gemacht haben, konnten sie nicht einmal die Hälfte der ihnen zur Verfügung gestellten Beträge benutzen. Dies geht aus dem Bericht Hemmens Seite 27 hervor, Seite 59 der französischen Übersetzung, wo er zusammenfassend eine Tabelle aufstellt, in der die französischen Zahlungen für Besatzungskosten und die deutschen Ausgaben in Millionen Mark angegeben sind. Diese, Tabelle ist sehr kurz, und ich werde sie dem Gerichtshof verlesen. Dies ist ein deutsches Beweisstück, das meine Ausführungen unterstützt.

Im Jahre 1940 französische Zahlungen in Millionen Mark: 4.000

deutsche Ausgaben in M.M.: 1.569

1941 französische Zahlungen in M.M.: 6.075

deutsche Ausgaben in M.M.: 5.205

1942 französische Zahlungen in M.M.: 5.475

deutsche Ausgaben in M.M.: 8.271

1943 französische Zahlungen in M.M.: 9.698,3

deutsche Ausgaben in M.M.: 9.524

1944 französische Zahlungen in M.M.: 6.345

deutsche Ausgaben in M.M.: 6.748

1940/44 Gesamtsumme der französischen Zahlungen:

31.593,3

Gesamtsumme der deutschen Ausgaben

31.317 Millionen Mark.

Die in dieser Tabelle enthaltenen Zahlen sind unbestritten ein deutsches Eingeständnis, daß die Besatzungskosten viel zu hoch angesetzt worden waren, da Deutschland die ihm zur Verfügung gestellten Kredite nicht erschöpfen konnte. Der größte Teil dieser Kredite wurde überdies dazu benutzt, die Ausgaben betreffend Rüstung, Operationstruppen und Lebensmittelversorgung Deutschlands zu finanzieren. Dies geht aus dem Dokument EC-232 hervor, das ich als RF-230 unterbreite.

Nach den Berechnungen des Instituts für Konjunk turforschung hätten sich die forderungsberechtigten Besatzungskosten höchstens auf 74.531.800.000 Franken belaufen dürfen, wenn man eine tägliche [38] Unterhaltsbasis pro Einheit bei der interalliierten Rheinlandsbesatzung von 1919 ins Auge faßt, das heißt eine Summe von 17 Franken, die man auf 21 Franken erhöht hat, um die Wohnungen mit einzuberechnen, die seinerzeit von der Deutschen Regierung geliefert wurden.

Gemäß dem Verhältnis zu dem durchschnittlichen Preisindex, bei einem Koeffizienten von 3,14, müßte die Summe von 21 Franken im Jahre 1939 66 Franken entsprechen. Wenn man noch den Koeffizienten der Frankenentwertung während der Besetzung berücksichtigt, das heißt 2,10 Prozent, so würde die tägliche Durchschnittszahlung 139 Franken betragen. Wenn man die wirklichen Ausgaben des Besatzungsheeres also auf die Hälfte der Berechnungen von Hemmen schätzt, das heißt 27.032.279.120 Mark, so liegt diese Summe noch unterhalb den 74.531.800.000, die vom Institut für Konjunkturforschung berechnet worden waren. Und wenn man den Angeklagten noch die günstige Lösung zubilligt, so kann man schätzen, daß der erpreßte Betrag sich auf 631.866.000.000, minus 74.531.000.000, das heißt 557.335.000.000 Franken beläuft.

In seinem Endbericht Seite 10, auf Seite 22 der französischen Übersetzung, schreibt Hemmen, daß während der vier Jahre, die seit dem Waffenstillstand verstrichen sind, für Besatzungskosten und Unterkunftskosten 34 Milliarden Reichsmark gezahlt wurden, das heißt 680 Milliarden Franken. Frankreich ist somit mit 40 Prozent der Gesamtbesatzungskosten und der Kriegskontributionen beteiligt, die von allen besetzten und verbündeten Ländern gezahlt worden sind. Auf jeden Einwohner kommt somit eine Last von 830 Reichsmark, das heißt 16.600 Franken.

In dem zweiten Teile dieses Kapitels werden wir schnell die Clearing-Frage besprechen. Der Gerichtshof kennt den Mechanismus dieses Clearings; ich werde also darauf nicht mehr zurückkommen. Ich möchte nur angeben, unter welchen Bedingungen die seinerzeitige Französische Regierung dazu gebracht wurde, die aufgezwungenen Abkommen zu unterzeichnen.

Gleichzeitig mit den Besprechungen über die Besatzungskosten wurden Verhandlungen über ein Clearing-Abkommen fortgesetzt. Schon am 24. Juli 1940 hatte die deutsche Abordnung angekündigt, daß sie in Kürze ein Projekt unterbreiten werde. Am 8. August 1940 übergab Hemmen der französischen Abordnung ein Projekt zur deutsch-französischen Regelung der Zahlungen durch Kompensation. Dieses Projekt, das ich als Beweisstück RF-231-bis unterbreite, enthielt eigenmächtige Klauseln, die nicht freiwillig angenommen werden konnten. In der Tat sah es Überweisungen von Frankreich nach Deutschland vor, aber keine Gegenleistungen von Deutschland nach Frankreich. Der Wechselkurs wurde durch eine willkürliche und einseitige Entscheidung auf 20 Franken für eine Mark festgesetzt [39] wohingegen der Kurs an der Berliner Börse ungefähr 17,65 betrug und die wirkliche Parität der beiden Kurse, wenn man ihre diesbezügliche Kaufkraft in Betracht zog, nur 10 Franken für eine Mark ausmachte.

Ich komme nun auf Seite 34. Die französische Abordnung der Waffenstillstandskommission übergab ohne jedweden Erfolg am 20. August 1940 einen Gegenvorschlag und versuchte eine Erleichterung der ungünstigsten Klauseln zu erreichen. Die Gegenvorschläge unterbreite ich als RF-232.

Am 21. August 1940 prüfte die französische Abordnung bei der Waffenstillstandskommission die Frage der Parität Reichsmark-Franken sehr genau und bemerkte dazu, daß das Verbot, finanzielle Übertragungen von Deutschland nach Frankreich vorzunehmen, eine große Ungerechtigkeit darstelle, während zur gleichen Zeit die Übertragungen aus Frankreich organisiert waren, so daß die Französische Regierung eine tatsächliche Enteignung der französischen Gläubiger zu erlauben schien. Ein Auszug dieses Protokolls ist als RF-233 vorgelegt.

In einem Brief vom 31. August nahm General Huntziger vergeblich die Besprechungen über die Parität Franken-Reichsmark wieder auf. Diesen Brief unterbreite ich als RF-234. Am 6. September 1940 machte die Französische Delegation wiederum einen Versuch, eine Änderung der ungünstigsten Klauseln des Clearing-Projektes zu erreichen, aber sie wurde endgültig abgewiesen. Die deutsche Abordnung wollte unter dem Schein eines gegenseitigen Abkommens ein von ihr allein ausgearbeitetes Projekt aufzwingen. Ich zitiere aus einem Teile des Protokolls der Waffenstillstandsdelegation, Dokument RF-235. Herr Schöne, deutscher Delegierter, versicherte:

»Ich kann hierüber nicht mehr diskutieren und kann absolut keine Konzessionen machen.«

Was die Parität Franken-Mark betrifft, teilte Hemmen der französischen Abordnung am 4. Oktober 1940 mit, daß der Kurs 20 Franken für 1 Reichsmark als endgültig anzusehen sei.

Ich zitiere seine Worte: »Hierüber braucht nicht mehr gesprochen zu werden.« Er fügte hinzu, daß, wenn man sich französischerseits weigere, das Zahlungsabkommen abzuschließen, das heißt den Vertrag, den Deutschland eigenmächtig aufzwingen wollte, er dies dem Führer mitteilen würde, und daß alle Erleichterungen für die Demarkationslinie dann aufgehoben würden. Ich unterbreite dieses Protokoll als RF-236.

Schließlich versuchte die Französische Delegation bei den Unterhandlungen, die am 10. Oktober 1940 stattfanden, zum letzten Male, Erleichterungen an diesen drakonischen Maßnahmen zu erreichen. Aber die Deutschen waren unerbittlich und Hemmen sagte...

[40] VORSITZENDER: Herr Gerthoffer, führten diese Verhandlungen schließlich zu einem Abschluß? Denn, wenn dies der Fall ist, wäre es da vielleicht ausreichend, uns das Endergebnis bekanntzugeben und nicht alle Verhandlungen zu erwähnen, die dazu geführt haben?

M. GERTHOFFER: Ich schließe gerade, Herr Präsident, mit dem letzten Zitat, um dem Gerichtshof zu zeigen, wie groß der Druck und die Drohungen waren, die deutscherseits auf die mitarbeitenden Franzosen ausgeübt wurden. Ich werde dann mit diesem Zitat über die Frage des Clearings abschließen. Es ist das letzte Zitat, das diese Frage betrifft. Es handelt sich nämlich um die letzte Besprechung, die am 10. Oktober 1940 stattfand und in deren Verlauf Hemmen sich wie folgt äußerte, RF-237:

»Sie versuchen, den Kurs der Mark zu machen. Ich bitte Sie, Ihre Regierung zu warnen. Wir werden die Verhandlungen abbrechen.

Tatsächlich habe ich vermutet, daß Sie nicht imstande sein würden, eine Preissteigerung zu ver meiden. Aber jetzt steigern Sie die Preise beim Export systematisch. Wir werden schon andere Mittel finden, um unser Ziel zu erreichen. Den Bauxit werden wir uns selber holen.«

Ende des Zitats.

Der Gerichtshof wird mir hierzu einen sehr kurzen Kommentar erlauben: Bei der Waffenstillstandskommission wurden alle Wirtschaftsfragen verhandelt, und die französischen Abgeordneten leisteten Widerstand, denn Deutschland wollte sich sofort die Bauxitgruben aneignen, die in den nichtbesetzten Gebieten lagen.

Der letzte Satz ist eine Drohung, wenn Sie nicht annehmen, was wir hier als Clearing vorgeschlagen haben, so werden wir uns die Bauxiterze holen, das heißt, das unbesetzte Gebiet militärisch besetzen.

Das sogenannte Ausgleichsabkommen funktionierte einzig und allein zum Nutzen Deutschlands. Die Ergebnisse sind folgende:

Bei der Befreiung belief sich die Gesamtsumme der Transfer-Operationen von Frankreich nach Deutschland auf zirka 221.114.000.000 Franken, während die Gesamtsumme der Operationen von Deutschland nach Frankreich auf 50.414.000.000 Franken, das heißt ein Unterschied von 170.640.000.000 Franken zugunsten des französischen Kontos. Dies stellt die Summe der Zahlungsmittel dar, die sich Deutschland durch das von ihm aufgezwungene Clearing-Konto verschafft hat.

Meine Herren, ich komme jetzt zum dritten Teil dieses Kapitels, das sehr kurz wird: das sind die Valuten-Beschlagnahmen und die kollektiven Geldstrafen.

[41] Abgesehen von scheinbar legalen Operationen haben die Deutschen Beschlagnahmen vorgenommen und kollektive Bußen auferlegt, die im Widerspruch zu dem internationalen Recht stehen:

1. Eine Zahlung von einer Milliarde Franken wurde den französischen Juden am 17. Dezember 1941 ohne jeden Grund aufgezwungen. Dies geht unbestreitbar aus Dokument RF-239 hervor.

2. Eine gewisse Anzahl von kollektiven Bußen wurde auferlegt; die bisher vom Finanzministerium in Erfahrung gebrachte Höhe dieser Bußen beträgt 412.636.550 Franken.

3. Die Deutschen haben große Goldbeschlagnahmen vorgenommen. Hemmen selbst gibt in seinem letzten Geheimbericht, Seite 33 und 34, Seite 72 der französischen Übersetzung, zu, daß am 24. September 1940 die Deutschen 257 Kilogramm Gold in dem Hafen von Bayonne beschlagnahmt haben, was bei dem Kurs von 1939 einen Wert von 12.336.000 Franken darstellt, und im Juli 1940 haben sie sich ebenfalls einer Menge Silbermünzen bemächtigt, deren Wert sich auf 35 Millionen beläuft. Ich beziehe mich hier immer auf den Geheimbericht von Hemmen für die Zeitspanne vom 1. Januar bis 30. Juni 1942. In dieser Zeit hatte sich Deutschland in Frankreich 221730 Kilogramm Gold angeeignet. Dieses Gold gehörte der belgischen Staatsbank und belief sich bei dem Kurs von 1939 auf eine Summe von 9.500.000.000 Franken.

Ich kann hier nicht die einzelnen Bedingungen anführen, unter denen das belgische Gold den Deutschen ausgeliefert worden ist. Diese Frage allein würde mich dazu zwingen, während mehrerer Sitzungen darüber zu sprechen. Jedoch ist dies eine Tatsache, die Hemmen selbst zugibt; ich möchte nur angeben, daß seit September 1940, im Gegensatz zum internationalen Recht, Hemmen die Lieferung dieses Goldes verlangt hat. Dieses Gold war im Monat Mai 1940 der französischen Staatsbank von der belgischen Staatsbank anvertraut worden.

Diese Tatsachen stellen einen Teil der Beschwerden dar, die gegen die Exminister der Vichy-Regierung vor dem Obersten Pariser Gerichtshof erhoben worden sind. Es geht aus diesem Prozeß hervor, daß häufige und lange Diskussionen bei der Waffenstillstandskommission stattfanden, und daß am 29. Oktober 1940 ein Abkommen abgeschlossen wurde, das aber wegen der Einwände, die französischer- und belgischerseits erhoben wurden, nicht zur Durchführung kam.

Der ehemalige Vizedirektor der Bank von Frankreich hat angegeben, daß der deutsche Druck immer stärker wurde. Laval, der damals fest entschlossen war, jeden Preis zu zahlen, um sich nach Berlin begeben zu können, wo er die Befreiung vieler Kriegsgefangener sowie die Verringerung der Besatzungskosten und die [42] Aufhebung der Demarkationslinie erlangen wollte, gab aus diesem Grunde den deutschen Forderungen nach.

Deshalb wurde dieses Gold der Reichsbank abgeliefert und auf Befehl des Bevollmächtigten für den Vierjahresplan requiriert. Diesbezügliche Dokumente sind als RF-240 unterbreitet. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß nach der Befreiung die Provisorische Regierung der Französischen Republik der belgischen Staatsbank einen Goldbetrag übergeben hat, der die gleiche Höhe hatte, wie der, der im Mai 1940 der französischen Staatsbank anvertraut worden war.

Um mit der Goldangelegenheit zu Ende zu kommen, möchte ich dem Gerichtshof angeben, daß Deutschland die Goldeinlage der französischen Staatsbank nicht in Beschlag nehmen konnte, da sie rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden war. Schließlich, immer noch nach dem Geheimbericht von Hemmen, Seite 29 und 49 in der französischen Übersetzung: Bei ihrem Auszug aus Frankreich haben sich die Deutschen in den Filialen der französischen Staatsbank in Nancy, Belfort und Epinal ohne jedes Recht einer Summe von 6.899.000.000 bemächtigt; es ist Dokument 1741-PS (24), RF-241. Ich erinnere daran, daß während der Besetzung die Deutschen sich große Massen Gold verschafften, die sie bei Privatpersonen durch Agenten kaufen ließen. Ich kann hierüber keine Zahlen angeben und möchte diese Frage hier nur in Erinnerung bringen. Wenn wir von den Zahlungsmitteln, die die Deutschen unrechtmäßigerweise in Frankreich eingetrieben haben, die höchsten Zahlen für den Unterhalt der Besatzungstruppen abziehen, so erhalten wir in der für die Angeklagten günstigsten Lösung eine Gesamtsumme von 745.833.392.550, das heißt rund 750 Milliarden.

Ich komme nun auf Seite 50, das heißt, wozu die Deutschen diese Riesensummen verwendet haben, und zwar in erster Linie für den von der Besatzungsmacht organisierten schwarzen Markt.

Und hier möchte ich auch nicht die Geduld des Gerichtshofs in Anspruch nehmen. Ich habe bereits ausgeführt, wie der schwarze Markt in allen besetzten Gebieten organisiert war, und ich habe die Ehre gehabt, Ihnen zu zeigen, wie er entstanden ist, wie die Deutschen sich seiner bedienten, wie auf Befehl des Angeklagten Göring dieser Markt organisiert und ausgenutzt wurde, und ich möchte darauf nicht mehr zurückkommen. Ich überschlage den gesamten Teil meines Manuskripts, der dem schwarzen Markt in Frankreich gewidmet ist. Ich komme somit auf Seite 69, drittes Kapitel: Die scheinbare »legalen« Ankäufe.

Unter dem Drucke der Deutschen war die Vichy-Regierung gezwungen, ihnen ein sehr hohes Kontingent von Produkten jeder Art zu reservieren, wogegen die Deutschen sich verpflichteten, Rohstoffe zu liefern, deren Quantitäten von ihnen allein bestimmt werden sollten. Aber, wenn nun diese Rohstoffe geliefert wurden, [43] und das war nicht immer der Fall, wurden sie zum größten Teil von der Industrie aufgesogen, die gezwungen war, ihnen die Fertigfabrikate zu liefern. Tatsächlich gab es überhaupt keinen Ausgleich, da die Besatzungsmacht in Fertigfabrikaten ihre Rohstofflieferungen wieder zurückerhielt, und somit gab sie überhaupt keine Gegenleistung. Dem Bericht der Wirtschaftskontrolle, den ich bereits zitiert habe, und der als RF-107 vorliegt, kann man folgendes Beispiel entnehmen, das ich dem Gerichtshof verlesen werde:

»Durch ein Abkommen gelang es im freien Frankreich 5000 Lastwagen zu erwerben, die dem GBK zugeführt werden sollten. Diesmal lieferte das Reich als Gegenleistung 5 Tonnen Stahl pro Lastwagen, das heißt 25000 Tonnen Stahl, die der französischen Industrie zukommen sollten. Da damals sämtliche Metallprodukte wieder den Deut schen zugeführt wurden, handelte es sich schon um einen äußerst unvorteilhaften Handel. Aber wenn unsere Auskünfte stimmen, wurden die Stahlgegenleistungen darüber hinaus nicht einmal respektiert, und sie wurden zum Teil dazu benutzt, die Mittelmeerbefestigungen anzulegen (Tanksperren usw.).«

Ende des Zitats.

Man muß noch ausführen, daß eine große Anzahl der in Naturalien vorgenommenen Erhebungen absolut nicht bezahlt wurde; entweder sind die Deutschen einfach diese Naturalien schuldig geblieben, oder aber sie betrachteten diese Erhebungen als Kriegsbeute.

Hierzu fehlen die Dokumente; der Text eines Geheimberichts von Kraney wurde von der amerikanischen Armee aufgefunden. Kraney war der Vertreter der ROGES, einem Unternehmen, bei dem die Erwerbungen auf dem schwarzen Markt und Erwerbungen sogenannter Kriegsbeute zusammenliefen. Aus diesem Bericht geht hervor, daß bis September 1944 die ROGES in Deutschland für 10.858.499 Mark Verkäufe getätigt hat, das heißt 217.169.980 Franken von Waren, die in der Südzone, seinerzeit unbesetztes Gebiet, als Kriegsbeute entnommen worden waren; Dokument RF-244. Mit Hilfe der von Deutschland beschlagnahmten Zahlungsmittel, der Requirierungen, die entweder bezahlt oder nicht bezahlt waren, wurde Frankreich vollständig ausgeraubt. Riesenmengen von Sachen jeder Art wurden von den Besatzungsmächten entnommen. Nach den Angaben der französischen statistischen Ämter wurden vorläufige Tabellen über die Mindestzahlen der Eintreibungen aufgestellt. Diese Schätzungen enthalten nicht die reinen Kriegsschäden, sondern einzig und allein die deutschen Plünderungen, und sie geben in Zweifelsfällen eine Minimalzahl an. Sie werden in den acht folgenden Paragraphen kurz zusammengefaßt:

[44] 1. Landwirtschaftliche Produkte.

Mit RF-245 unterbreite ich einen Bericht des Landwirtschaftsministers und eine statistische Tabelle des Instituts für Konjunkturforschung, welche die offiziellen deutschen Erhebungen zusammenfaßt Diese Erhebungen enthalten nicht die Einzelkäufe oder die Käufe auf dem schwarzen Markt, die doch beträchtlichen Ausmaßes waren. Ich kann hier diese Aufstellung nicht verlesen, da sie zu groß ist, und ich möchte nur eine kurze Zusammenfassung dieser Aufstellung für einige landwirtschaftliche Hauptprodukte und ihren Wert in Tausend Franken geben; ich gebe runde Zahlen an:

Getreide: 8900000 Tonnen,

Wert 22.000.000.000 Franken

Fleisch: 900000 Tonnen,

Wert 30.000.000.000 Franken

Fisch: 51000 Tonnen,

Wert 1.000.000.000 Franken

Getränke: 13413000 hl,

das heißt 18.500.000.000 Franken

Kolonialwaren: 47000 Tonnen,

805.900.000 Franken

Pferde und Maulesel: 690000 Stück

Holz: 36000000 Kubikmeter

Zucker: 11600000 Tonnen

Ich überspringe die Details.

Die Deutschen haben durch Clearing und über die Besatzungskosten 113.620.376.000 Franken bezahlt. Der Überschuß von 13.000.000.000 Franken ist niemals bezahlt worden.

In diesen Statistiken sind selbstverständlich die durch die übertriebene Wälderausnutzung und die Verminderung der bebauten Flächen angerichteten beträchtlichen Schäden nicht miteinbegriffen.

Ebenfalls werden die Verringerung des Viehbestandes und die durch die intensiven Ackerbaumethoden verursachten Schäden nicht erwähnt.

Sie haben hier, meine Herren, eine kurze Zusammenfassung des Prozentsatzes der offiziellen deutschen Erhebungen an landwirtschaftlichen Produkten im Verhältnis zur französischen Gesamtproduktion: Weizen 13 Prozent, Hafer 75 Prozent, Heu und Stroh 80 Prozent, Fleisch 21 Prozent, Geflügel 35 Prozent, Eier 60 Prozent, Butter 20 Prozent, Fleischkonserven 30 Prozent, Champagner 56 Prozent, Edelhölzer und Industriehölzer 50 Prozent, Brennstoffe 50 Prozent, Alkohol 25 Prozent.

Diese Prozentsätze, ich betone es nochmals, haben nichts mit den Lebensmitteln oder mit den Waren zu tun, die sich die Deutschen durch Einzelkäufe oder durch den schwarzen Markt angeeignet haben.

Ich habe Ihnen hier auseinandergesetzt, daß diese Handlungen in größtem Umfang ausgeführt wurden und für Frankreich allein ungefähr mehrere hundert Milliarden Franken ausmachten. Die Quantitäten der landwirtschaftlichen Produkte, die den französischen[45] Verbrauchern entzogen wurden, sind unberechenbar. Man kann sagen, daß Wein, Champagner, Liköre, Fleisch, Geflügel, Butter, Eier somit nur auf dem Schleichhandelswege zugunsten der Deutschen vertrieben wurden, wohingegen die französische Bevölkerung, abgesehen von einigen Bevorrechtigten, fast keines dieser Produkte bekam.

Im Abschnitt II dieses Kapitels möchte ich jetzt die Frage der Rohstoffentnahmen prüfen.

VORSITZENDER: Vielleicht ist dies ein günstiger Zeitpunkt, die Sitzung zu unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


M. GERTHOFFER: Die Zusammenfassung der Rohstofferhebungen ist in der Form von Statistiken in Tabellen enthalten, deren Verlesung ich dem Gerichtshof ersparen werde. Ich führe sie als unser Beweisstück RF-246 ein und weise darauf hin, daß die Gesamtsumme der darin erwähnten Materialien den Betrag von 83.804.145.000 erreicht; auf den Seiten 77 bis 80 gebe ich eine Zusammenfassung dieser Aufstellung. Es sind trotzdem zu viele Zahlen vorhanden, um deren Verlesung möglich zu machen. Nach Informationen der französischen Verwaltungsbehörden bezahlten die Deutschen über die Besatzungskosten und durch das Clearing einen Betrag von 59.254.639.000 Franken. Die restliche Summe wurde dem französischen Finanzministerium angelastet, und zwar 19.506.109.000 Franken. Der Prozentsatz der deutschen Warenerhebungen im Verhältnis zur gesamten französischen Produktion kann aus einer Aufstellung ersehen werden, die ich hier vorlege, und deren Verlesung ich mit Erlaubnis des Hohen Gerichtshofs vornehmen will; Seite 82:

»Der Prozentsatz der Beschlagnahme von Rohmaterialien im Verhältnis zur französischen Produktion:

Kohle 29 %

Elektrischer Strom 22 %

Rohöl und Benzin 80 %

Eisenerze 74 %

Stahl, Roh- und Halbfabrikate 51 %

Kupfer 75 %

Blei 43 %

Zink 38 %

Zinn 67 %

Nickel 64 %

Quecksilber 50 %

Platin 76 %

Bauxit 40 %

Aluminium 75 %

[46] Magnesium 100 %

Schwefel und Beiprodukte 80 %

Industrielle Seifen 67 %

Pflanzenöle 40 %

Karbosol 100 %

Gummi 38 %

Papier und Pappe 16 %

Wolle 59 %

Baumwolle 53 %

Flachs 65 %

Leder 67 %

Zement 55 %

Kalk 20 %

Azeton 21 %«

Diese Aufstellung erlaubt uns, die durch die Besatzungsbehörde verübten offiziellen Beschlagnahmen auf ungefähr drei Viertel der Rohmaterialien zu schätzen.

Diese statistischen Angaben müssen jedoch auf zweierlei Weise gelesen werden: Ein großer Teil jener Rohmaterialien, die der französischen Wirtschaft theoretisch überlassen wurden, wurden in Wirklichkeit von bevorzugten Industrien verbraucht, das heißt von Industrien, deren Produkte der Lieferung an die Besatzungsmacht vorbehalten waren.

Zweitens enthalten die auf dieser Karte verzeichneten Beschlagnahmen und Prozentsätze nur die Zahlen offizieller Lieferungen. Wir haben jedoch gesehen, daß die Deutschen beträchtliche Quantitäten von Rohmaterialien aus dem schwarzen Markt bezogen, besonders Edelmetalle, wie Gold, Platin, Silber, Radium, ferner seltene Metalle, wie Quecksilber, Nickel, Zinn und Kupfer. Man kann tatsächlich sagen, daß die für den Bedarf der einheimischen Bevölkerung vorhandenen Materialien unbedeutend waren.

Ich komme jetzt zu Abteilung III, die die Beschlagnahme der Fertigwaren und der Produkte der Bergbauindustrie behandelt. Worauf ich bereits in meinen allgemeinen Bemerkungen hinwies, gelang es den Deutschen durch verschiedene Druckmittel direkt oder indirekt den größten Teil der französischen industriellen Produktion für ihre Zwecke zu benützen. Ich will auf diese Tatsache nicht wieder zurückkommen, sondern nur die Gesamtsumme der gelieferten Produkte nennen. Ich lege als Dokument RF-248 eine Aufstellung vor, die eine statistische Information der betreffenden Industrien einschließt, bei denen Beschlagnahmen von Fertigwaren im Laufe der Besetzung durch die Besatzungsbehörden vorgenommen wurden.

[47] Ich will die Geduld des Gerichtshofes nicht durch vollständige Verlesung in Anspruch nehmen, sondern einfach auf die Endsumme dieser Aufstellung hinweisen:

»Aufträge für vom 25. Juni 1940 bis zur Befreiung fakturierte Fertigwaren:

Mechanische und elektrische Industrie: 59.455.000.000

Chemische Industrie: 11.744.000000

Textilien und Leder: 15.802.000.000

Bau- und Konstruktionsmaterial: 56.256.000.000

Bergwerksprodukte (Kohle, Aluminium, Phosphate): 4.160.000.000

Stahlerzeugnisse: 4.474.000.000

Motor-Brennstoff: 568.000.000

Schiffbau: 6.104.000.000

Flugzeugbau: 23.620.000.000

Diverse Industrien: 2.457.000.000.«

All dies ergibt eine Summe von 184.640.000.000. Diese Feststellungen enthalten folgende Bemerkungen:

1. Die darin enthaltenen Angaben schließen nicht die Produktion der sehr stark industriellen Departements Nord und Pas de Calais ein, welche der deutschen Militärverwaltung in Brüssel unterstanden, und auch nicht die Fertigprodukte der Departements Haut- Rhin, Bas-Rhin und Moselle, die bereits an das Reich angegliedert waren.

2. Zu der Gesamtsumme von 184.640.000.000 Franken dieser Lieferung sind wir heute nach den uns zur Verfügung stehenden Informationen noch nicht in der Lage zu sagen, welcher Betrag von den Deutschen als Entschädigung für die Besetzungskosten angesehen, und welcher Betrag durch Clearing geregelt wurde, oder ob überhaupt eine Regelung getroffen wurde.

3. Wenn man die industrielle Produktion schätzt, die von Deutschland in den Departements Nord und Pas de Calais beschlagnahmt wurde, gelangt man für diese zwei Departements zu einer Summe von 18.500.000.000, welche die Gesamtsumme auf mehr als 200.000.000.000 bringt.

Das Verhältnis der deutschen Beschlagnahme von Fertigwaren zeigt die nächste Aufstellung, die ich dem Gerichtshof in der Zusammenfassung auf Seite 87 meiner Ausarbeitung vorlege. Ich erlaube mir, diese dem Gerichtshof noch einmal zu verlesen und den Prozentsatz von Fertigwaren, die der französischen Bevölkerung entzogen wurden, anzugeben:

Automobilbau 70 Prozent

Elektro- und Radioerzeugnisse 45 Prozent

Feinmechanische Industrie 100 Prozent

Konstruktionsstähle 100 Prozent

[48] Gießereiprodukte 46 Prozent

Chemische Industrien 34 Prozent

Gummiindustrie 60 Prozent

Farben und Lacke 60 Prozent

Parfüms 33 Prozent

Wollindustrie 28 Prozent

Baumwollverarbeitung 15 Prozent

Flachs- und Baumwollverarbeitung 12 Prozent

Lederprodukte 20 Prozent

Gebäude und öffentliche Arbeiten 75 Prozent

Bau- und Möbelholz 50 Prozent

Kalk und Zement 68 Prozent

Schiffbau 79 Prozent

Flugzeugbau 90 Prozent

Eine Prüfung dieser Aufstellung führt zu folgenden Bemerkungen:

1. Der Prozentsatz von Fertigprodukten ist sehr hoch, zum Beispiel: Automobile 70 Prozent, Feinmechanische Instrumente 100 Prozent, Konstruktionsstähle 100 Prozent und so weiter, während der Prozentsatz der halbfertigen Produkte nicht diese Höhe erreichte. Zum Beispiel: Gießereiprodukte 46 Prozent, Chemische Produkte 34 Prozent.

Diese Tatsachen ergeben sich daraus, daß die Deutschen alle Waren, welche theoretisch der französischen Bevölkerung vorbehalten waren, an bevorrechtigte Fertigwarenindustrien lieferten, das heißt, deren Erzeugnisse ihnen reserviert waren.

2. Die Deutschen haben sich schließlich durch ihre Käufe auf dem schwarzen Markte riesige Mengen von Textilien, Werkzeugmaschinen, Leder, Parfüm und so weiter verschafft; ganz besonders fehlten Textilien der Bevölkerung während der Besatzung beinahe vollständig; dasselbe trifft für Leder zu.

Nun gelange ich zur Abteilung IV, der Beschlagnahme von Werkzeugmaschinen. Ich werde die Geduld des Gerichtshofes nicht in Anspruch nehmen, da ich weiß, daß diese Frage bereits im Zusammenhang mit den anderen besetzten Ländern behandelt wurde. Ich möchte nur erwähnen, daß das Ergebnis einer statistischen Schätzung, die ich dem Gerichtshof als Dokument RF-250/251 vorlege, zeigt, daß der Wert des aus französischen privaten Fabriken oder aus der französischen Republik gehörenden Unternehmungen entfernten Materials den Betrag von 9.000.000.000 Franken übersteigt.

Bei vielen der fortgeschleppten Maschinen begnügten sich die Deutschen, den Wert der abgenützten Maschinen anstatt des Ersatzwertes anzugeben.

Ich komme nun zur Abteilung V, Aktienbesitz und Geldanlagen im Ausland, Seite 96. Im Beweisstück EC-57, das ich als RF-105 [49] vorgelegt habe, habe ich angegeben, daß der Angeklagte Göring sich persönlich über die Ziele der deutschen Wirtschaftspolitik äußerte und die Ausdehnung des deutschen Einflusses über ausländische Industrieunternehmungen als eines der Ziele der deutschen Politik bezeichnet hat. Diese Bestimmungen wurden in einer Aktennotiz vom 12. August 1940 genauer dargelegt. Es ist dies unser Dokument EC-40, RF-252, aus dem ich einen kurzen Auszug verlesen werde:

»Da die hauptsächlichen wirtschaftlichen Unternehmungen in der Form von Aktiengesellschaften betrieben werden, ist es zunächst notwendig, den in Frankreich befindlichen Wertpapierbesitz sicherzustellen.«

Ferner heißt es: »Durchführung der Einflußnahme ebenfalls im Wege von Verordnungen...«

Dann gibt uns das Dokument alle zu diesem Zweck anzuwendenden Mittel an; bezeichnend ist folgende Stelle, die das Völkerrecht betrifft:

»Nach Artikel 46 der Haager Landkriegsordnung darf Privateigentum nicht eingezogen werden. Daher ist die Einziehung von Wertpapieren zu vermeiden, soweit sie nicht im staatlichen Eigentum stehen.

Nach Artikel 42 ff der Haager Landkriegsordnung hat sich grundsätzlich die in dem besetzten feindlichen Gebiet ausübende Gewalt auf diejenigen Vorkehrungen zu beschränken, die geeignet sind, die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wieder herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Es wird daher grundsätzlich völkerrechtlich nicht erlaubt sein, die an Ort und Stelle verbliebenen Organe der Gesellschaften auszuschalten und sie durch Kommissare zu ersetzen. Eine derartige Maßnahme würde wahrscheinlich international vom völkerrechtlichen Standpunkt aus betrachtet nicht als wirksam angesehen werden.

Aus diesem Grund ist es anzustreben, die Organe der Gesellschaften zur Arbeit im Sinne der deutschen Wirtschaftsbelange zu veranlassen, nicht aber diese Personen abzusetzen...«

Weiter:

»Falls die Organe sich nicht lenken lassen, sind sie abzuberufen und durch brauchbare Kräfte zu ersetzen...«

Nun will ich in Kürze die drei Arten von finanziellen Investierungen, die während der Besetzungszeit den deutschen Plünderungen ausgesetzt wurden, und in erster Linie die Beschlagnahme französischer finanzieller Investierungen in Gesellschaften, die im Ausland ihren Sitz hatten, betrachten.

[50] Am 14. August 1940 erschien im VOBIF, Seite 67, eine Verordnung, die jegliches Verhandeln von Krediten oder ausländischen Wertpapieren verbot. Ein bloßes Einfrieren der Wertpapiere genügte der besetzenden Macht nicht. Sie mußten formell Eigentümer dieser Geschäftsanteile werden, um sie gegebenenfalls in neutralen Ländern auf den Markt bringen zu können. Sie hatten einige Agenten, die ausländische Anteile von Privatleuten, die Geld brauchten, aufkauften. Ganz besonders übten sie auf die Vichy-Regierung einen Druck aus, um die Abtretung der wichtigsten französischen Anlagen im Ausland zu erreichen.

Nach langen Verhandlungen, im Verlauf derer der deutsche Druck überaus groß war, wurde die Übertragung wichtiger Anteile den Deutschen zugebilligt. Es ist nicht möglich, dem Gerichtshof die zahlreichen Dokumente über diese Anteilsübertragungen, Protokolle, Briefaustausch und so weiter vorzulegen. Dies würde ohne Übertreibung mehrere Kubikmeter Akten umfassen.

Ich werde mich damit begnügen, einige Auszüge als Beispiele zu zitieren, die sich mit den Bor-Kupfer-Bergwerken in Jugoslawien befassen, deren größter Teil sich in französischem Aktienbesitz befand. Die Deutschen »ernannten« am 26. Juli 1940 einen Kommissarischen Verwalter der Niederlassungen dieser Firma in Jugoslawien. Dies geht aus Schriftstück RF-254 hervor, welches ich dem Gerichtshof vorlege. Kommissarischer Verwalter war Herr Neuhausen, deutscher Generalkonsul für Jugoslawien und Bulgarien.

Hemmen erklärte gelegentlich einer Konferenz der Waffenstillstandskommission, Auszug des Protokolls vom 27. September 1940, 10.30 Uhr, das ich als RF-255 vorlege:

»Deutschland besteht darauf, die Aktien der Gesellschaft ohne Rücksicht auf die französischerseits vorgebrachten juristischen Einwände zu erwerben. Deutschland muß sich in der Tat höheren wirtschaftlichen Betrachtungen fügen. Es hat den Verdacht, daß die Mines de Bor weiter Kupfer an England liefern und ist fest entschlossen, sich diese Gruben anzueignen.«

Angesichts der Weigerung der französischen Delegierten erklärte Herr Hemmen in dieser Sitzung vom 4. Oktober 1940, ich lege einen Auszug aus dem Sitzungsprotokoll als RF-256 vor:

»Ich möchte meiner Regierung eine derartige Antwort nicht unterbreiten müssen. Sehen Sie doch zu, ob die Französische Regierung ihre Einstellung nicht ändern kann; unsere Beziehungen werden sonst sehr schwierig werden. Meine Regierung ist gezwungen, diese Angelegenheit zum Abschluß zu bringen. Wenn Sie sich weigern, werden die Folgen sehr schwerwiegend sein.«

[51] Herr de Boisanger, der französische Delegierte, antwortete: »Ich werde also die Frage noch einmal stellen.«

Die Antwort Hemmens lautete:

»Ich erwarte Ihren Bescheid bis morgen. Falls er nicht eintrifft, muß ich Ihre mir gerade erteilte verneinende Antwort weiterleiten.«

In einer am 9. Januar 1941 stattgefundenen Konferenz erklärte dann Hemmen; ich verlese abermals einen Auszug des Protokolls als RF-257:

»Herr Hemmen: Zu Beginn war ich in Wiesbaden mit dieser Angelegenheit beauftragt. Dann wurde sie aber von Generalkonsul Neuhausen im Namen einer sehr hohen Persönlichkeit (Marschall Göring) übernommen und in Paris unmittelbar zwischen Herrn Laval und Herrn Abetz verhandelt.«

Was die Interessen der Franzosen in der Petroleumindustrie in Rumänien anbelangt, so war der Druck nicht weniger stark. Im Verlauf der Sitzung der Waffenstillstandskommission vom 10. Oktober 1940 hatte derselbe Hemmen folgendes erklärt; ich lege den Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Waffenstillstandskommission dem Hohen Gerichtshof als Dokument RF-258 vor:

»Herr Hemmen: Wir werden uns übrigens mit der Mehrheit der Aktien begnügen. Wir werden alles in Ihren Händen lassen, was für uns hierzu nicht nötig ist. Können Sie uns in dieser Angelegenheit eine grundsätzliche Annahme zusichern? Die Angelegenheit ist dringend, wie diejenige der Borgruben, wo wir alles haben wollen.«

Am 22. November 1940 erklärte Hemmen weiter; und ich unterbreite den Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Waffenstillstandskommission als RF-259:

»Wir sind noch immer im Krieg, und wir brauchen einen unmittelbaren Einfluß auf die Petroleum- Produktion in Rumänien. Wir können nicht den Friedensvertrag abwarten.«

Als die französischen Delegierten verlangten, daß die Abtretung wenigstens im Austausch mit etwas Realem erfolge, antwortete Hemmen in der gleichen Sitzung:

»Unmöglich, antwortete Herr Hemmen, die Beträge, die Sie von uns bekommen, werden von den Besatzungskosten entnommen. Sie brauchen daher nicht die Banknotenpresse zu benutzen. Diese Art der Beteiligung wird deutscherseits auf breitere Basis gestellt werden, sobald die neue Kollaborationspolitik einmal bestimmt sein wird.«

Man könnte ins Endlose die Zitierung von Aussprüchen dieser Art wiederholen, und noch viel schwerwiegendere über die Verletzung [52] der Vorschriften des Haager Abkommens. Alle diese Abtretungen, zu denen die Franzosen scheinbar zustimmten, waren nur unter deutschem Druck erfolgt. Die Prüfung der Kontrakte zeigt schwere Verluste auf Seiten derer, die ihr Eigentum übertrugen und große Profite bei denen, die das Eigentum übernahmen, ohne daß diese irgendeinen realen Gegenwert gegeben hätten.

So konnten die Deutschen französische Beteiligung in den Petroleum-Gesellschaften Rumäniens, in den Unternehmungen von Zentraleuropa, Norwegen, dem Balkan und besonders in der französischen Gesellschaft der Borminen, von denen ich schon gesprochen habe, erwerben.

Die Übertragungen, die mit Franken bezahlt wurden, welche aus dem Besatzungstribut stammten, belaufen sich auf 2.000.000.000 Franken. Andere wurden durch im Ausland ausgegebene französische Anleihen beglichen, nämlich in Holland, und auf dem Wege des Clearings.

Nachdem ich Ihnen einen kurzen Überblick über die Übernahme der französischen Werte im Ausland gegeben habe, möchte ich noch ebenso schnell die deutsche Beschlagnahme des Kapitals französischer Unternehmen besprechen.

Kurz nach dem Waffenstillstand wurden einer großen Anzahl französischer Industrien entsprechend den Anweisungen des Angeklagten Göring von seiten deutscher Gruppen, die alle oder einen Teil der Aktiva zu erwerben wünschten, Vorschläge gemacht. Diese Aktion wurde dadurch leichter, daß die Deutschen, so wie ich es bereits dargestellt habe, praktisch die Kontrolle der Industrie besaßen, und daß sie auch die Leitung der Produktion, besonders durch das System von Patenfirmen, an sich gerissen hatten. Lange Unterhandlungen fanden zwischen der Besatzungsmacht und dem französischen Finanzministerium statt, welches, manchmal ohne Erfolg, danach trachtete, die deutschen Anlagen auf höchstens 30 Prozent zu beschränken.

Es ist mir nicht möglich, mich in Einzelheiten dieser Anteilübernahmen einzulassen. Ich erwähne nur, daß der Finanzminister uns eine Liste der hauptsächlichen Unternehmen vorgelegt hat, welche sich in einer entsprechenden Tabelle im französischen Dokumentenbuch als RF-260 befindet. Daraus geht hervor, daß die durch Clearing fiktiv geregelten Anteilübernahmen sich bis auf 307.436.000 Franken, die durch die Besatzungskosten bis auf 160 Millionen Franken, die durch fremde Werte auf eine unfeststellbare Summe und schließlich auf verschiedene oder unbekannte Weise auf über 28.718.000 Franken beliefen.

Ich kann den Absatz dieser fünften Abteilung schließen, indem ich einen Teil des Berichts von Hemmen über diese Fragen zitiere, Seite 63 des Originals und Seite 142 der französischen Übersetzung.[53] Hier schreibt Hemmen in Salzburg im Jahre 1944 in Bezug auf diese Fragen:

»Im 5. Tätigkeitsbericht der Delegation ist bereits auf die Schwierigkeiten für den künftigen Erwerb von Beteiligungen in Frankreich hingewiesen worden, da die Französische Regierung gegen die Abtretung wertvoller Inlands- und Auslandswerte eine stark ablehnende Haltung einnahm. Dieser Widerstand hat sich im Berichtszeitraum noch verstärkt, so daß die Französische Regierung selbst gegen die Zurverfügungstellung wirtschaftlicher Gegenwerte keine Genehmigung zur Übertragung von Beteiligungen zu geben gewillt war.«

Und weiter auf Seite 63, dritter Absatz:

»In den vier Jahren der Besetzung Frankreichs sind durch die Waffenstillstands-Delegation insgesamt für rund 121 Millionen Reichsmark Kapitalwerte aus französischem in deutschen Besitz übergeführt worden, darunter Beteiligungen an kriegswichtigen Unternehmungen in dritten Ländern, in Frankreich und in Deutschland. Einzelheiten ergeben sich aus den früheren Tätigkeitsberichten der Delegation. Für etwa die Hälfte dieser Übertragungen sind deutscherseits wirtschaftliche Gegenleistungen durch Lieferung französischer Auslandswerte, die in Holland oder Belgien erworben waren, gewährt worden, während die restlichen Beträge über Clearing und aus Besatzungskosten bezahlt wurden. Aus dem bei der Inzahlungsgabe französischer Auslandswerte bestehenden Unterschiedsbetrag zwischen deutschem Erwerbspreis und französischem Übernahmskurs sind Gewinne in Höhe von rund 7 Millionen RM entstanden, die dem Reich zugeführt werden konnten.«

Ende des Zitats.

Es muß hierbei betont werden, daß der Gewinn, den die Deutschen daraus zogen, wenn man sich auf den rein finanziellen Standpunkt stellt, nicht 7 Millionen Reichsmark, das sind 140 Millionen Franken, beträgt, wie Hemmen es behauptet, sondern daß er viel höher ist. Tatsächlich hat Deutschland diese Erwerbungen hauptsächlich mit den Besatzungskosten bezahlt sowie mit Hilfe von Clearing und französischen Anleihen, die in Holland oder Belgien ausgegeben wurden, und deren Aneignung durch Deutschland eine tatsächliche Beraubung dieser Länder darstellt, und niemals eine Gegenleistung für Frankreich bedeuten konnte. Diese scheinbar auf legale Weise durchgeführten Beteiligungsübernahmen haben die Vereinten Nationen so erregt, daß sie in einer in London am 5. Januar 1943 gehaltenen Konferenz erklärten, daß derartig vollzogene Übertragungen grundsätzlich als null und nichtig erklärt [54] werden sollen, auch wenn sie mit der scheinbaren Zustimmung derer ausgeführt wurden, die sie vornahmen.

Ich unterbreite als RF-261 eine diesbezügliche feierliche Erklärung, die in London am 5. Januar 1943 unterzeichnet und im Journal Officiel vom 15. August 1944 im Augenblick der Befreiung veröffentlicht wurde. Ich möchte noch hinzufügen, daß alle diese Abtretungen Gegenstand von Hochverratsanklagen gegen die Franzosen sind, die ihre Beteiligungen an Deutsche abgetreten haben, obwohl diese Leute einem unbestreitbaren Druck unterlagen.

Ich beende dieses Kapitel mit meiner letzten Betrachtung: deutsche Beschlagnahme von Grundbesitz in Frankreich. Es ist schwer, auf diesem Gebiet genaue Angaben zu machen, da diese Operationen sehr oft durch einen vorgeschobenen Strohmann vorgenommen wurden. Das beste Beispiel ist das eines gewissen Skolnikoff, der während der Besetzung mehr als 2 Milliarden Franken in wichtigen Grundstücken investieren konnte. Dieser Mann von unbestimmter Nationalität, der vor dem Krieg armselig gelebt hatte, hat sich dank seiner Beziehungen zu der Gestapo und seiner Schwarzhandelsgeschäfte mit den Besatzungstruppen skandalös bereichert. Aber wie auch der Profit sein mochte, den er aus seinen unanständigen Geschäften herausziehen konnte, er konnte persönlich nicht für 2 Milliarden Grundbesitz in Frankreich erwerben.

Ich unterbreite als RF-262 die Abschrift eines Polizeiberichts, der dieses Individuum betrifft. Es ist mir hier nicht möglich, ihn vollständig zu verlesen, aber dieser Bericht enthält die Liste der Grundbesitze und Grundstücksgesellschaften, die unter dem Namen dieses Mannes angekauft wurden. Das sind zweifellos ganz ausgesuchte und wertvolle Grundstücke. Es geht klar hervor, daß Skolnikoff, ein Agent der Gestapo, als Strohmann für deutsche Persönlichkeiten diente, deren Identität bis zum heutigen Tag nicht festgestellt werden konnte.

Ich komme nun zum sechsten Abschnitt: Beschlagnahme von Transport- und Verkehrsmaterial. Auch hier haben uns die französischen Behörden Zahlenangaben zur Verfügung gestellt, die in sehr vollständigen Tabellen wiedergegeben sind, deren Verlesung ich dem Hohen Gerichtshof ersparen werde. Ich werde mich mit der Angabe begnügen, daß die Mehrzahl der Lokomotiven und des rollenden Materials, Gegenstände, die in gutem Zustand waren, weggenommen worden sind, und daß der Gesamtwert der entfernten Transportmittel sich auf 198 Milliarden 450 Millionen beläuft.

Ich möchte mich nun mit den Plünderungen in den Kreisen Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle beschäftigen. Schon zu Beginn des Einmarsches haben die Deutschen diese Gebiete dem Reiche [55] einverleibt. Diese Frage wird Ihnen durch den französischen Staatsanwalt vorgelegt werden, der über die Germanisierung sprechen wird. Was die wirtschaftliche Plünderung betrifft, muß man bemerken, daß die Deutschen versucht haben, ein Maximum aus diesen drei Kreisen herauszuziehen. Wenn sie auch einen Teil der Produkte in Mark bezahlt haben, haben sie doch für die Haupterzeugnisse, vor allem für Kohle, Eisen, Petroleum, Pottasche, Industriematerial, Möbel und landwirtschaftliche Maschinen keine Zahlung geleistet.

Die diesbezüglichen Auskünfte sind uns durch die französische Verwaltung in einer Tabelle gegeben worden, die ich kurz zusammenfassen und dem Gerichtshof als RF-264 vorlegen werde:

Der Wert der enthobenen Güter in den drei östlichen Kreisen Frankreichs erreicht die Summe von 27.315.000.000 Franken, die von den Deutschen nicht beglichen wurde.

Um mit den Kreisen des Ostens abzuschließen, möchte ich den Gerichtshof bloß darauf aufmerksam machen, daß mein Kollege, der über die Germanisierung sprechen soll, zeigen wird, wie die Firma »Hermann-Göring-Werke«, in welcher der Angeklagte Göring beträchtliche Anteile hatte, sich die Bergwerkseinrichtungen der wichtigen französischen Gesellschaft: »Les Petits-Fils de F. de Wendel et Cie«, angeeignet hat; siehe hierzu Dokument RF-1300.

Ich komme nun zur achten Abteilung: Verschiedene Enthebungen.

1. Plünderung in Tunesien.

Am 10. November 1942 drangen die Deutschen in Tunesien ein und wurden am 10. Mai 1943 von den alliierten Armeen daraus vertrieben. Während dieses Zeitabschnittes haben sie rücksichtslos geplündert.

VORSITZENDER: Glauben Sie, Herr Gerthoffer, daß es notwendig ist, uns alle Einzelheiten über die Beschlagnahmen in diesem Teile des Landes vorzubringen, wenn sie von der gleichen Art sind, wie in den anderen Teilen des Landes?

M. GERTHOFFER: Herr Vorsitzender, es ist das gleiche, nur der Betrag der Beschlagnahmen ist verschieden; ich glaube, daß das Prinzip von niemandem bestritten werden kann. Ich schlage vor, es zu überspringen.

Ich lasse auch die Dienstleistungsfragen aus und will meine Ausführungen beenden, indem ich dem Gerichtshof erkläre, daß die französische Wirtschaft durch die Tatsache, daß Arbeiter deportiert wurden, einen ungeheuren Verlust erlitten hat; das wurde Ihnen von meinem Kollegen bereits ausgeführt. Man hat den Verlust der französischen Wirtschaft an Arbeitsstunden durch Massenzwangsdeportationen auf 12 Milliarden 550 Millionen Arbeitsstunden geschätzt, eine Zahl, die die Arbeiter, die mehr oder weniger [56] gezwungen für die Deutschen in Unternehmungen in Frankreich arbeiteten, nicht einschließt.

Wenn Sie wünschen, meine Herren, wollen wir diese Übersicht über Frankreich beschließen, indem ich Ihnen einen allgemeinen Überblick über die Lage gebe, und indem ich ein letztes Mal Herrn Hemmen zitiere, den Wirtschaftsdiktator, der auf Befehl seiner gegenwärtig angeklagten Leiter mein Land ruiniert hat. In den ersten fünf Berichten, die trotz ihrer fachtechnischen Form vorgelegt wurden, läßt der Verfasser die Sicherheit des Triumphierenden, der sich alles erlauben kann, erkennen. Im letzten, in Salzburg verfaßten Bericht vom 15. Dezember 1944, dem einzigen, auf den ich mich beziehe, versuchte Hemmen, obwohl er seiner Arbeit weiterhin einen technischen Charakter ließ, die Sache Deutschlands, die seiner Nazi-Herren und seine eigenen zu verteidigen. Aber es ist ihm gegen seine Absicht nur gelungen, eine bittere Anklage gegen das schädliche Treiben, mit dessen Durchführung er beauftragt war, zu bringen. Hier sind einige ganz kurze Auszüge aus diesem Endbericht Hemmens. Auf Seite 1 und 2 der französischen Übersetzung klagt er die Leiter des Reiches und Göring im besonderen an und schreibt wie folgt:

»Gemäß den am 5. Juli 1940 vom Reichsmarschall und Beauftragten für den Vierjahresplan aufgestellten Richtlinien über die geltende Rechtslage gibt uns der Waffenstillstandsvertrag keine Rechte auf wirtschaftlichem Gebiet im unbesetzten Teil Frankreichs, auch nicht im Wege extensiver Interpretation.«

Etwas später gibt er zu, daß die Demarkationslinie als Erpressungsmittel angewandt wurde; Seite 3 der Übersetzung:

»Die Regierung Pétain bekundete von Anfang an das dringende Verlangen nach beschleunigter Wiederaufrichtung der zerstörten Wirtschaft mit deutscher Hilfe und nach Arbeitsbeschaffung für die französische Bevölkerung, um der drohenden Arbeitslosigkeit vorzubeugen, vor allem aber nach einer Wiedervereinigung der beiden Zonen Frankreichs über die trennende Demarkationslinie hinweg zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Ver waltungsraum mit zugleich weitgehender Bereitschaft, diesen unter französischer Führung auf die deutsche Wirtschaftslenkung auszurichten und nach deutschem Vorbild durchzuorganisieren.«

Dann fügt Hemmen hinzu:

»Gegen wichtige Erleichterungen an der Demarkationslinie hat damals die Waffenstillstandskommission mit der Französischen Regierung die Übernahme des deutschen Devisenrechtes in die französische Gesetzgebung vereinbart.«

Auf Seite 4 und 7 der Übersetzung schreibt er sogar:

[57] »Dabei wurden die automatisch und durch eine ungehemmte Entfaltung des schwarzen Marktes gesteigerten Preise umso stärker empfunden, als die Löhne zwangsweise festgehalten wurden.«

Ich überspringe nun die nächste Stelle, die mit dem französischen Widerstand zu tun hat. Ich möchte jedoch den Gerichtshof auf Seite 13 bis 29 der Übersetzung aufmerksam machen, wonach Hemmen durch finanzielle Berechnungen und höchst anfechtbare Begründung zu zeigen versucht, daß die Kriegskosten per Kopf für die Deutschen viel größer seien als für die Franzosen. Jedoch zerstörte er mit einem Wort das ganze von ihm aufgebaute Verteidigungssystem, wenn er am Ende seiner Berechnungen schreibt, daß vom Herbst 1940 bis Februar 1944 die Lebenskosten in Frankreich um 166 Prozent stiegen, während die Steigerung in Deutschland nur 7 Prozent betrug. Meine Herren, ich glaube doch, daß die zunehmende Verarmung eines Landes an der Steigerung der Lebenskosten zu messen ist.

Wir wollen auf Seite 4 das letzte Zitat aus dem Hemmen-Bericht bringen. Er gibt das deutsche Verbrechen mit folgenden Worten zu:

»Durch den jahrelangen Bezug bedeutsamer Mengen von Sachgütern aller Art ohne wirtschaftliche Gegenleistung war eine fühlbare Substanzminderung eingetreten, der wiederum eine sehr bedeutsame Steigerung des Geldumlaufes und der Notenausgabe gegenüberstand, die zu immer sichtbareren Inflationserscheinungen, vornehmlich einer Geldentwertung und einem Absinken der Kaufkraft geführt hatte.«

Diese materiellen Verluste, wird man einwenden, können wieder gutgemacht werden. Durch Arbeit und Sparen können wir allmählich die Wirtschaftslage des Landes wiederherstellen. Dies ist wahr. Doch gibt es etwas, das niemals wieder gutgemacht werden kann: Die Folgen der Entbehrungen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung.

Wenn auf der einen Seite die anderen deutschen Verbrechen, wie Deportationen, Morde, Hinrichtungen, uns vor Schrecken erschauern lassen, so sind doch andererseits die Verbrechen, die in bewußter Aushungerung ganzer Bevölkerungsteile bestanden, nicht weniger abscheulich.

In allen besetzten Gebieten, und besonders in Frankreich, starben viele Menschen allein an Unterernährung und aus Mangel an Heizung. Wir schätzen, daß ein Mensch 3000 bis 3500 Kalorien pro Tag benötigt, sowie 4000 bis 5000 Kalorien für Schwerarbeiter. Vom Beginn der Rationierung im September 1940 an, wurden jedoch nur 1800 Kalorien pro Tag pro Person verteilt. Nach und nach verminderte sich die Ration auf 1700 Kalorien im Jahre 1942, [58] sodann auf 1500 Kalorien und schließlich verminderte sie sich auf 1200 Kalorien und 900 Kalorien pro Tag für Erwachsene und auf 1300 Kalorien für Schwerarbeiter. An ältere Personen wurden nur 850 Kalorien pro Tag ausgegeben.

In Wirklichkeit war die Ration noch kleiner, als sie theoretisch durch Lebensmittelkarten zugeteilt war. Tatsächlich konnte man häufig für eine gewisse Zahl von Marken nichts erhalten.

Die Deutschen mußten die unheilvolle Lage der Volksgesundheit erkennen, da nach ihren eigenen Ansichten aus der Zeit des Krieges 1914 bis 1918, 1700 Kalorien pro Tag eine Aushungerung bedeutet, die langsam zum Tode führte.

Die Qualität der ausgegebenen Rationen verschlechterte die Lage noch weiter. Das Brot war sehr schlecht. Die Milch, wenn überhaupt vorhanden, war so abgeschöpft, daß der Fettgehalt nicht mehr als 3 Prozent betrug. Die kleine Menge von Fleisch, die der Bevölkerung gegeben wurde, war von schlechter Qualität, Fische waren vom Markte verschwunden. Wenn wir noch hinzufügen, daß ein fast völliger Mangel an Heizungsmaterial, Kleidung und Schuhen bestand, Schulen und Hospitäler waren häufig nicht geheizt, so kann man leicht verstehen, wie niedrig der Gesundheitszustand der Bevölkerung war.

Unheilbare Krankheiten, wie Tuberkulose, entwickelten sich und werden noch für viele Jahre ihre Verwüstungen anrichten. Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist ernstlich bedroht. Die Aussichten für die Zukunft der Rasse sind äußerst beunruhigend. Die Ergebnisse der wirtschaftlichen Plünderung werden noch für eine unbestimmbare Zeit empfunden werden.

VORSITZENDER: Können Sie mir sagen, worauf Sie Ihre Zahlen über die Kalorien stützen?

M. GERTHOFFER: Ich will Ihnen dies am Ende meiner Darlegung zeigen. Es handelt sich um den Bericht eines Professors der medizinischen Fakultät in Paris, der vom Dekan der Universität besonders damit beauftragt wurde, die Ergebnisse der Unterernährung zu untersuchen. Ich will diesen Bericht am Ende meiner Darlegung, bei der ich fast angelangt bin, zitieren.

Die Ergebnisse der wirtschaftlichen Plünderung werden noch für eine unbestimmte Zeit gespürt werden. Die Erschöpfung ist von einem solchen Ausmaß, daß trotz der edelmütigen Hilfeleistung durch die Vereinten Nationen die Lage der besetzten Länder, im ganzen betrachtet, noch höchst beunruhigend ist. Tatsächlich können, da fast keinerlei Lagerbestände vorhanden sind, Produktions- und Transportmittel nicht ausreichen und wegen der Verminderung des Viehbestandes und der wirtschaftlichen Unordnung noch nicht genügend Lebensmittel zugeteilt werden. Diese Armut, die alle besetzten [59] Länder betroffen hat, kann nur allmählich und nach einer gewissen Zeitspanne verschwinden, deren Länge niemand bestimmen kann. Wenn auch in gewissen reichen landwirtschaftlichen Gebieten die Erzeuger während der Besetzung ernährungsmäßig besser gestellt waren, und es auch heute noch sind, so gilt dies jedoch nicht für die armen Gebiete sowie die Städte.

Wenn wir bedenken, daß die Stadtbevölkerung in Frankreich etwas größer ist als die Landbevölkerung, so können wir grundsätzlich behaupten, daß die Mehrheit der französischen Bevölkerung einer ungenügenden Nahrungsmittellage gegenüberstand und noch gegenübersteht. Professor Dr. Guy Laroche, der von dem Dekan der medizinischen Fakultät in Paris beauftragt war, die Folgen der sich aus den deutschen Erhebungen ergebenden Unterernährung in Frankreich zu studieren, hat soeben einen Bericht über diese Fragen übersandt.

Ich möchte meine Erklärung nicht noch dadurch verlängern, daß ich den ganzen Bericht vorlese. Ich bitte den Gerichtshof, mich die Schlußfolgerung zitieren zu lassen, die ich als Beweisstück RF-284-B dem Gerichtshof vorlege. Ich habe den Bericht erst vor kurzem erhalten und lege ihn im ganzen Umfang vor. Ich konnte ihn noch nicht in vollem Umfang in fünfzig Exemplaren vervielfältigen lassen: doch ist er in zwei Ausfertigungen vorhanden, die ich beide vorlegen will. Dies sind die Schlußfolgerungen des Professors Laroche:

»So ersehen wir wie schlecht sich die Rationierung, die von den Deutschen der französischen Bevölkerung während der Besatzung von 1940 bis 1944 auferlegt, wurde, auswirkte. Es ist schwierig, eine genaue Anzahl der Menschen zu geben, die durch die unerhörte Rationierung ihr Leben lassen mußten. Zu diesem Zweck müßten wir allgemeine Statistiken haben, die wir nicht herstellen konnten. Ohne die Zahlen jedoch zu überschätzen, können wir doch annehmen, daß, einschließlich der Patienten in Anstalten, mindestens 160000 Personen von 1940 bis 1944 ihr Leben lassen mußten. Hierzu kommt eine große Anzahl von Fällen die nicht tödlich verliefen, die jedoch den Gesundheits- und Geisteszustand bedeutend schwächten, häufig un heilbar machten, die Fälle von mangelhafter Entwicklung von Kindern usw.

Wir glauben, daß wir von dieser Darstellung, die unglücklicherweise nicht vollständig ist, drei Schlußfolgerungen ziehen können:

1. Die deutschen Besatzungsbehörden opferten planmäßig das Leben von Patienten in öffentlichen Anstalten und Spitälern.

[60] 2. Alle Dinge geschahen in einer Weise, als ob eine bewußte und wissenschaftliche Methode der Schwächung des Gesundheitszustandes von Jugendlichen und Erwachsenen beabsichtigt gewesen wäre.

3. Säuglinge und kleine Kinder erhielten eine normale Ration. Es ist wahrscheinlich, daß diese Bevorzugung durch die Tatsache erklärt werden kann, daß die Nazi-Führer hofften, ihre Lehre leichter unter Menschen verbreiten zu können, die keine anderen Lebensbedingungen kannten, und die auf Grund einer geleiteten Erziehung ihre Lehren annahmen, zumal sie wußten, daß sie durch Gewalt Jugendliche und Erwachsene nicht überzeugen konnten.«

Der Bericht ist unterzeichnet: Professor Guy Laroche.

Diesem Bericht, meine Herren, ist eine Photographie beigefügt, die Sie am Ende des Dokumentenbuches finden. Ich erlaube mir, sie Ihnen auszuhändigen. Die unglücklichen Menschen, die Sie auf diesem Bilde finden, sind nicht die Märtyrer von Konzentra tionslagern oder Vergeltungslagern. Sie sind Irrenhaus-Patienten in den Vororten von Paris, die in einen derartigen körperlichen Schwächezustand infolge der Unterernährung gerieten. Wenn diese Menschen ernährt worden wären, wie dies vor der Rationierung geschah, so wären sie so stark gewesen wie normale Menschen. Zu ihrem Unglück wurden sie jedoch der amtlichen Rationierung unterworfen, und sie konnten nicht die geringste Menge von zusätzlichen Nahrungsmitteln erlangen.

Meine Gegner sollen nicht sagen: »Aber das deutsche Volk ist genau so weit!« In erster Linie würde ich Ihnen antworten: »Das ist nicht richtig.« Vier Jahre lang kannte der Deutsche keine Kälte. Er war nicht unterernährt, im Gegenteil, er war wohlgenährt, warm gekleidet und hatte ausreichend Heizungsmaterial, durch Erzeugnisse, die von den besetzten Ländern auf Kosten des Existenzminimums ihrer Bevölkerung gestohlen wurden. Erinnern Sie sich, meine Herren, der Worte des Angeklagten Göring, als er ausrief:

»Wenn gehungert wird, dann nicht in Deutschland.«

In zweiter Linie möchte ich meinen Gegnern auf ihre Einwendungen antworten, daß die Deutschen und ihre Nazi-Führer den von ihnen begonnenen Krieg gewollt haben. Sie hatten jedoch nicht das Recht, andere Völker auszuhungern, um zu versuchen, ihren Plan der Weltbeherrschung zu verwirklichen. Wenn sie sich nunmehr heute in einer schwierigen Lage befinden, so ist das das Ergebnis ihres eigenen Verhaltens, und sie haben kein Recht, den berühmten Satz zu sprechen: »Das habe ich nicht gewollt.«

Mit Genehmigung des Gerichtshofes möchte ich diese Ausführungen in zwei Minuten beenden. Ich möchte den Gerichtshof in wenigen Worten auf den Vorbedacht aufmerksam machen, dessen [61] die deutschen Verwalter, vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, schuldig sind.

Die Durchführung ihrer Rassentheorie und ihrer Theorien des Lebensraumes mußte eine schwierige wirtschaftliche Lage erzeugen, die die Nazi-Führer zum Kriege treiben mußte. In der modernen Gesellschaft nimmt wegen der Arbeitsteilung, -konzentration und -organisation der Begriff des Volksvermögens eine immer wichtigere Stellung ein, wie auch immer der gesellschaftliche Grundsatz der Verteilung unter den Volksangehörigen oder seines Besitzes im ganzen oder zu einem Teil durch die Staaten sein mag.

Das Volksvermögen, sowohl das öffentliche als auch das private, setzt sich aus den Leistungen der Arbeit und aus den Ersparnissen aufeinanderfolgender Generationen zusammen. Ersparnisse oder die Rücklage von Arbeitserzeugnissen infolge freiwilliger Einschränkungen müssen in einem Verhältnis zu den Bedürfnissen der Industrieunternehmungen des Landes stehen.

In Deutschland, einem höchst industrialisierten Lande, bestand dieses Gleichgewicht nicht. Tatsächlich überstiegen die Ausgaben dieses Landes, sowohl die privaten als auch die öffentlichen, seine Mittel. Ersparnisse waren ungenügend. Die Methode zwangsmäßiger Ersparnisse wurde nur durch die Schaffung neuer Steuern eingeführt und niemals durch wahre Ersparnisse ersetzt.

Nachdem Deutschland nach dem Kriege 1914/1918 der Reparationslasten ledig geworden war, zwei Drittel der Summe verblieb zu Lasten Frankreichs, ergab es sich, nachdem seine Goldreserve im Jahre 1926 wiederhergestellt war, einer Politik der Auslandsanleihen und maßloser Ausgaben. Da es seine Verträge nicht einhalten konnte, fand es niemanden mehr, der bereit war, Anleihen zu geben.

Nach Hitlers Machtübernahme wurde seine Politik deutlich. Sie bestand in einem geschlossenen Wirtschaftssystem, die alle Hilfsmittel zur Vorbereitung eines Krieges verwendete, und die es Deutschland erlauben würde, so hoffte es wenigstens, mit Gewalt das Eigentum der westlichen Nachbarn wegzunehmen, und sich sodann gegen die Sowjetunion in der Hoffnung zu wenden, daß es zu seinem eigenen Vorteil den ungeheuren Reichtum dieses großen Landes ausplündern könnte.

Die Anwendung der Theorien, die in »Mein Kampf« entwickelt wurden, hatten zuerst die Unterjochung und dann die Ausrottung der Bevölkerung der besetzten und eroberten Gebiete zur Folge. Im Laufe der Besetzung wurden die überfallenen Nationen ganz systematisch ausgeplündert und brutal unterjocht, und Deutschland hätte so sein Kriegsziel erreicht, das heißt, die Güter der überfallenen und eroberten Länder zu nehmen und langsam die ganze [62] Bevölkerung auszurotten, wenn nicht die Vereinten Nationen dies verhindert und diese Völker befreit hätten.

Anstatt sich an den geplünderten Gütern zu bereichern, mußte Deutschland diese Güter in dem von ihm entfesselten Kriege bis zu seinem Zusammenbruch vergeuden.

Solche Handlungen wurden in genauer Kenntnis der Sachlage durch die deutschen Leiter und Führer begangen, entgegen dem Völkerrecht und besonders entgegen dem Haager Abkommen, ebenso gegen die Grundprinzipien des Strafrechts, wie sie in allen zivilisierten Nationen gelten. Sie stellen Kriegsverbrechen dar, die vor diesem Hohen Gerichtshof verantwortet werden müssen.

Herr Vorsitzender! Die französische Anklage wollte über die Plünderung von Kunstwerken in Westeuropa sprechen. Diese Frage wurde jedoch bereits von unseren amerikanischen Kollegen in zwei Darstellungen behandelt; Darstellungen, die ohne jeden Zweifel die Verantwortlichkeit der Angeklagten festlegen. Um den Verlauf der Verhandlungen nicht hinzuziehen, wird der französische Anklagevertreter diese Frage nicht nochmals vortragen. Wir stehen jedoch dem Gerichtshof zur Verfügung, falls er es im Laufe des Prozesses für nötig hält, weitere Tatsachen über diese Frage zu hören.

HAUPTMANN DREXEL A. SPRECHER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Meine Herren Richter, ich stelle gerade fest, daß Dr. Fritz, der Anwalt des Angeklagten Fritzsche, nicht hier ist; und da es bereits spät ist, würde es vielleicht angemessen sein, morgen damit zu beginnen.

VORSITZENDER: Es ist bereits 5.00 Uhr und der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

23. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 6, S. 34-64.
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