Vormittagssitzung.

[64] HAUPTMANN SPRECHER: Hoher Gerichtshof! Es ist meine ehrenvolle Aufgabe, heute den Fall der persönlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten Hans Fritzsche für Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorzutragen, soweit sie mit dem Gemeinsamen Plan oder der Verschwörung zusammenhängen.

Mit Genehmigung des Gerichtshofs habe ich die Absicht, diesen Vortrag in drei Hauptabschnitte zu gliedern:

1. Eine kurze Aufzählung der verschiedenen Stellungen, die der Angeklagte Fritzsche im Nazi-Staat innehatte;

2. eine Erörterung der Verschwörertätigkeit Fritzsches im Propagandaministerium vom Jahre 1933 bis zum Angriff auf die Sowjetunion;

3. eine Erörterung der Verbindung Fritzsches als Nazi-Propagandist mit den Greueltaten und der rücksichtslosen Besatzungspolitik, die einen Teil des Gemeinsamen Planes und der Verschwörung bildeten.

Bei Anführung der Stellungen Fritzsches habe ich zunächst nicht die Absicht, die mit diesen Stellen verbundenen Funktionen zu schildern. Später, bei Erörterung der Verschwörertätigkeit Fritzsches, werde ich auf einige dieser von ihm innegehabten Stellungen näher eingehen.

Fritzsches Parteimitgliedschaft und seine verschiedenen Stellungen im Propagandaapparat des Nazi-Staates gehen aus zwei eidesstattlichen Erklärungen Fritzsches selbst hervor; es sind dies Dokument 2976-PS, das schon als Beweisstück US-20 vorgelegt wurde, und Dokument 3469-PS, das ich als Beweisstück US-721 überreiche. Beide eidesstattlichen Erklärungen liegen in allen vier Sprachen, die bei diesem Gerichtshof verwendet werden, vor.

Fritzsche trat der NSDAP am 1. Mai 1933 bei und blieb Mitglied bis zum Zusammenbruch im Jahre 1945. Fritzsche trat am 1. Mai 1933 seinen Dienst im Stab des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda an, von nun ab kurz Propagandaministerium genannt, und er blieb im Propagandaministerium bis zum Sturz der Nazis.

Vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland, und zwar seit September 1932, war Fritzsche Chef des »Drahtlosen Dienstes«, einer Dienststelle der Reichsregierung, die damals unter Leitung [64] des Angeklagten von Papen stand. Nachdem im Mai 1933 der »Drahtlose Dienst« in das Propagandaministerium des Dr. Goebbels eingegliedert worden war, blieb Fritzsche dessen Chef bis zum Jahre 1938. Nach seinem Eintritt in das Propagandaministerium im Mai 1933 wurde Fritzsche auch Leiter des Referats Nachrichtenwesen in der Presseabteilung des Propagandaministeriums. Er verblieb in dieser Stellung bis zum Jahre 1937. Im Sommer 1938 wurde Fritzsche zum Stellvertreter eines gewissen Alfred Ingemar Berndt, des damaligen Chefs der »Abteilung Deutsche Presse«, ernannt.

Die »Abteilung Deutsche Presse« wird in der Anklageschrift als »Abteilung Inlandpresse« bezeichnet. Da »German Press Division« eine mehr wörtliche Übersetzung ins Englische zu sein scheint, nennen wir sie in diesem Vortrag stets »German Press Division«. Sie ist auch als »Abteilung Inlandpresse« bekannt.

Wir werden später beweisen, daß diese Abteilung die wichtigste Unterabteilung der Presseabteilung der Reichsregierung war.

Im Dezember 1938 wurde der Angeklagte Fritzsche Berndts Nachfolger als Leiter der »Abteilung Deutsche Presse«. In der Zeit von 1938 bis November 1942 wurde er dreimal befördert, und zwar vom Oberregierungsrat zum Ministerialrat, dann zum Ministerialdirigenten und schließlich zum Ministerialdirektor.

Im November 1942 wurde Fritzsche dieser Stellung als Leiter der »Abteilung Deutsche Presse« von Dr. Goebbels enthoben und übernahm ein von Dr. Goebbels neugeschaffenes Amt im Propagandaministerium, und zwar das eines Beauftragten für die politische Gestaltung des Großdeutschen Rundfunks. Zur selben Zeit wurde er auch Leiter der »Abteilung Rundfunk« im Propagandaministerium. Er hatte diese beiden Stellungen im Rundfunk bis zum Zusammenbruch inne.

Für zwei Behauptungen der Anklageschrift, die sich auf Fritzsches Ämter beziehen, können wir keinen Beweis erbringen. Diese Behauptungen erscheinen auf Seite 34 der englischen Übersetzung. Die erste unbelegte Behauptung besagt, daß Fritzsche »Hauptschriftleiter des amtlichen Deutschen Nachrichtenbüros« war. Die zweite unbelegte Behauptung besagt, daß Fritzsche »Chef der Rundfunkabteilung der Propagandaabteilung der Nazi-Partei« war.

In seiner eidesstattlichen Erklärung streitet Fritzsche ab, diese beiden Stellungen innegehabt zu haben; wir müssen deshalb diese beiden Behauptungen mangels Beweises fallen lassen.

Bevor wir die Dokumente dieses Falles besprechen, möchte ich Herrn Norbert Halpern, Herrn Alfred Booth und Leutnant Niebergall, der rechts neben mir sitzt, meine Anerkennung für ihre Hilfe bei den Untersuchungen, Analysen und Übersetzungen aussprechen.

Dem Gerichtshof wird der verhältnismäßig geringe Umfang des Dokumentenbuches auffallen. Es wurde als Dokumentenbuch MM [65] bezeichnet. Es enthält nur 32 Seiten, die mit Rotstift fortlaufend numeriert sind. In diesem speziellen Fall mit so geringem Dokumentenmaterial auszukommen, war nur möglich, weil der Angeklagte Fritzsche eine lange eidesstattliche Erklärung ausgestellt und am 7. Januar 1946 unterschrieben hat.

Es erscheint angebracht, über diese sehr wichtige Urkunde zu sprechen, bevor ich weitergehe. Sie liegt Ihnen als Dokument 3469-PS vor und beginnt im Dokumentenbuch auf Seite 19.

Wie ich schon sagte, wurde diese Erklärung in alle vier Prozeßsprachen übersetzt.

Diese eidesstattliche Erklärung enthält Material, das aus Vernehmungen des Angeklagten Fritzsche gewonnen wurde, und zahlreiche Erklärungen, die Fritzsche freiwillig auf mein Ersuchen durch seinen Verteidiger, Dr. Fritz, abgab. Teile der endgültigen eidesstattlichen Erklärung wurden ursprünglich von dem Angeklagten Fritzsche mit Schreibmaschine oder eigenhändig während dieses Verfahrens oder während der Gerichtsferien, die zu den Feiertagen stattfanden, geschrieben. Das gesamte Material wurde schließlich zu einer einzigen eidesstattlichen Erklärung zusammengefaßt.

Diese Erklärung enthält eine Darstellung Fritzsches über die Ereignisse, die zu seinem Eintritt in das Propagandaministerium führten, und eine Darstellung seiner späteren Beziehungen zu diesem Ministerium. Einige seiner Ausführungen über die Rolle der Propaganda bei wichtigen außenpolitischen Ereignissen machte Fritzsche, nachdem ihm erläuternde Schlagzeilen und Artikel aus der deutschen Presse jener Zeit gezeigt worden waren, damit er sein Gedächtnis auffrischen und genauere Erklärungen abgeben konnte.

Wir nehmen an, daß der Gerichtshof viele Stellen dieser eidesstattlichen Erklärung unabhängig von meinem Vortrag im Zusammenhang mit dem Beweis darüber, daß die Verschwörer die Propaganda als Hauptwaffe der Verschwörung benutzten, einer Würdigung unterziehen wird. Ein Teil dieses Beweismaterials wurde, wie Sie sich erinnern werden, schon von Major Wallis in den ersten Tagen dieses Prozesses zusammen mit dem Schriftsatz E über »Propaganda, Zensur und Kontrolle der kulturellen Tätigkeit« und dem entsprechenden Dokumentenbuch vorgelegt, worauf ich den Gerichtshof nochmals aufmerksam machen möchte.

In der eidesstattlichen Erklärung Fritzsches finden Sie eine Menge Angaben, die ich ihrem Wesen nach als selbstbegünstigende Darstellung bezeichnen möchte. Die Anklagebehörde bittet den Gerichtshof lediglich, diese im Lichte der Gesamtverschwörung und der unbestreitbaren Tatsachen, wie sie sich durch das ganze Sitzungsprotokoll ziehen, zu werten. Um das Verfahren nicht [66] aufzuhalten und auch aus Billigkeitsgründen hielt es die Anklagebehörde nicht für angezeigt, Fritzsche durch seinen Verteidiger Dr. Fritz zu ersuchen, einige dieser selbstbegünstigenden Erklärungen im jetzigen Verfahrensabschnitt zu streichen und sie später bei seiner Verteidigung vorzubringen.

Da ich auf diese eidesstattliche Erklärung im Verlauf meines Vortrags öfters Bezug nehmen werde, werden die Mitglieder des Gerichtshofs vielleicht gut daran tun, in ihrem Dokumentenbuch ein besonderes Zeichen anzubringen.

Wenn ich auf Absatz 4 und 5 der eidesstattlichen Erklärung verweise, so wird der Gerichtshof bemerken, daß Fritzsche zuerst ein erfolgreicher Journalist im Dienste der Hugenberg-Presse, dem wichtigsten Zeitungskonzern im Vor-Nazi-Deutschland, wurde. Der Hugenberg-Konzern besaß eigene Zeitungen, war aber besonders wichtig wegen seines Einflusses auf Zeitungen, die in erster Linie die sogenannten »nationalen« Parteien des Reiches einschließlich der NSDAP unterstützten.

Im Absatz 6 seiner eidesstattlichen Erklärung sagt Fritzsche, daß er im September 1932, als der Angeklagte von Papen Reichskanzler war, zum Leiter des »Drahtlosen Dienstes« an Stelle eines Mannes, der für das Papen-Regime politisch nicht tragbar geworden war, ernannt wurde. Der »Drahtlose Dienst« war, ich möchte sagen, eine Art Regierungsorgan zur Verbreitung von Nachrichten durch den Rundfunk.

Ungefähr zu dieser Zeit begann Fritzsche mit sehr großem Erfolg, Radiovorträge zu halten; diesen Erfolg erkannte Goebbels und nutzte ihn später sehr wirksam für die Nazi-Verschwörer aus.

Die Nazis kamen am 30. Januar 1933 zur Macht. Aus Absatz 10 der eidesstattlichen Erklärung Fritzsches ersehen wir, daß am selben Abend des 30. Januar 1933 zwei Abgesandte von Goebbels Fritzsche aufsuchten. Einer von ihnen war Dreßler-Andreß, der Leiter der Rundfunkabteilung der NSDAP, der andere ein Mitarbeiter von Dreßler-Andreß namens Sadila-Mantau. Diese beiden Abgesandten teilten Fritzsche mit, daß Goebbels, obwohl er Fritzsche wegen eines gegen Hitler gerichteten Artikels noch böse sei, doch seinen publizistischen Erfolg im Rundfunk seit dem vergangenen Herbst respektiere. Sie erklärten weiter, Goebbels wünsche Fritzsche als Chef des »Drahtlosen Dienstes« unter gewissen Bedingungen zu behalten:

1. daß Fritzsche alle Juden entlasse,

2. daß er alles andere Personal entlasse, das der NSDAP nicht beitreten wolle,

3. daß er in den »Drahtlosen Dienst« den zweiten Abgesandten Goebbels, Sadila-Mantau, einstelle.

[67] Fritzsche lehnte alle diese Bedingungen mit Ausnahme der Einstellung von Sadila-Mantau ab. Das war einer der ersten offenbaren Kompromisse, die Fritzsche nach der Machtergreifung auf seinem Weg ins Nazi-Lager abschloß.

Fritzsche setzte seine Radiosendungen während dieser Periode fort und unterstützte hierbei die damals bestehende Deutschnationale-Nationalsozialistische Koalitionsregierung.

Zu Anfang des Jahres 1933 erschienen mehrmals SA-Trupps in den Räumen des »Drahtlosen Dienstes«; Fritzsche brachte sie mit einiger Mühe davon ab, Nachrichten im Rundfunk durchzugeben.

Im April 1933 rief Goebbels den damals noch jungen Fritzsche zu persönlichen Besprechungen zu sich. In Absatz 9 seiner eidesstattlichen Erklärung, Dokument 3469-PS, hat Fritzsche freiwillig folgendes über seine früheren Beziehungen zu Goebbels ausgeführt:

»Ich war mit Dr. Goebbels seit 1928 bekannt. Er hatte anscheinend Gefallen an mir gefunden, abgesehen davon, daß ich in meiner Propagandatätigkeit die Nationalsozialisten bis 1931 freundlich behandelt hatte. Schon vor 1933 hatte Goebbels, der Herausgeber des ›Angriff‹, einer Nazi-Zeitung, war, mehrfach schmeichelnde Bemerkungen über Form und Inhalt meiner Arbeiten gemacht, die ich als Mitarbeiter vieler nationaler Zeitungen und Zeitschriften schrieb, unter denen sich auch reaktionäre befanden.«

In der ersten Besprechung zwischen Goebbels und Fritzsche Anfang April 1933 setzte Goebbels Fritzsche von seinem Entschluß in Kenntnis, den »Drahtlosen Dienst« mit Wirkung vom 1. Mai 1933 in das Propagandaministerium einzugliedern. Er schlug Fritzsche vor, gewisse Personalveränderungen vorzunehmen und Juden und andere Personen, die nicht für die NSDAP waren, zu entlassen; Fritzsche stritt mit Goebbels über einige dieser Maßnahmen. Es muß zugegeben werden, daß sich Fritzsche während dieser Zeit bemühte, den Juden andere Stellungen zu verschaffen.

In einer zweiten Besprechung mit Goebbels kurze Zeit später unterrichtete Fritzsche Goebbels über die Maßnahmen, die er zur Umorganisation des »Drahtlosen Dienstes« getroffen hatte. Daraufhin teilte Goebbels Fritzsche mit, daß er ihn gern behalten wolle, damit er den gesamten Nachrichtendienst Deutschlands unter Kontrolle des Propagandaministeriums neu organisiere und modernisiere.

Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß am 17. März 1933, also ungefähr zwei Monate früher, das Propagandaministerium durch Erlaß errichtet worden war, Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 104, unser Dokument 2029-PS.

Fritzsche sah in dem Angebot Goebbels eine große Verlockung. Er ging daran, die von Goebbels angeregte Umorganisation des [68] »Drahtlosen Dienstes« zu vollenden und trat am 1. Mai 1933 zusammen mit den ihm noch verbliebenen Mitgliedern seines Stabes in das Propagandaministerium ein. Am selben Tage trat er auch der NSDAP als Mitglied bei und legte den üblichen Eid der bedingungslosen Treue zum Führer ab. Welche Vorbehalte Fritzsche damals oder später gegen die Entwicklung der Dinge unter den Nazis auch gemacht haben mag, so stand er doch seit diesem Zeitpunkt vollkommen im Nazi-Lager.

In den darauffolgenden dreizehn Jahren half er bei der Aufstellung und Auswertung der hauptsächlichen Propagandaentwürfe mit, die die Verschwörer mit so sprechender Wirkung in allen Hauptphasen der Verschwörung anwandten.

Von 1933 bis 1942 hatte Fritzsche eine oder mehrere Stellungen innerhalb der »Abteilung Deutsche Presse« inne. Er war vier Jahre lang sogar Leiter dieser Abteilung, während jener entscheidenden Jahre von 1938 bis 1942. Sie umfassen den Zeitabschnitt, in dem die Nazis ihre militärischen Einfälle in die Nachbarländer durchführten. Ich halte es deshalb für angezeigt, vor diesem Gerichtshof den Aufgabenbereich der »Abteilung Deutsche Presse«, ihre wichtige und einmalige Position als Werkzeug der Nazi-Verschwörer nicht nur für die Beherrschung des Denkens und der Psychologie der Deutschen durch die »Abteilung Deutsche Presse« und das Radio, sondern auch als Werkzeug der Außenpolitik und der psychologischen Kriegführung gegen andere Völker zu zeigen.

Die bereits sehr weitreichende Zuständigkeit des Propagandaministeriums wurde durch eine Verordnung Hitlers vom 30. Juni 1933, Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 449, noch erweitert. Ich möchte aus dieser Verordnung nur einen Satz zitieren. Er steht im Dokument 2030-PS auf Seite 3 Ihres Dokumentenbuches:

»Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ist zuständig für alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sie und der Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen.«

Es ist wichtig, die damit festgesetzten Propagandaziele der »Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit« zu unterstreichen.

Um die allgemeinen Aufgaben der »Abteilung Deutsche Presse« des Propagandaministeriums ganz klar zu stellen, verweise ich den Gerichtshof auf Dokument 2434-PS. Seite 5 des Dokumentenbuches;

es wird als Beweisstück US-722 vorgelegt. Dieses Dokument ist ein hierher passender Auszug aus einem Buch von Georg Wilhelm Müller, einem Ministerialrat im Propagandaministerium; ich bitte den Gerichtshof, von ihm amtlich Kenntnis zu nehmen.

[69] Fritzsches eidesstattliche Erklärung enthält in den Absätzen 14, 15 und 16, die auf Seite 22 in Ihrem Dokumentenbuch beginnen, eine Darstellung der Aufgaben der »Abteilung Deutsche Presse«, die die Ausführungen in Müllers Buch bestätigt und ergänzt.

Fritzsches eidesstattliche Erklärung über die »Abteilung Deutsche Presse« lautet wie folgt:

»Während der ganzen Periode von 1933 bis 1945 war es die Aufgabe der ›Abteilung Deutsche Presse‹, die gesamte inländische Presse zu überwachen und sie mit Richtlinien zu versehen, wodurch diese Abteilung ein wirksames Instrument in der Hand der deutschen Staatsführung wurde. Mehr als 2300 deutsche Tageszeitungen waren dieser Kontrolle unterworfen. Das Ziel dieser Überwachung und Kontrolle in den ersten Jahren nach 1933 war, die Bedingungen, unter denen die Presse sich vor der Machtübernahme befand, grundlegend zu ändern, das heißt diese Zeitungen und Zeitschriften, die im Dienste von kapitalistischen Sonderinteressen oder der Parteipolitik standen, der Neuen Ordnung gleichzuschalten. Während die Verwaltungsfunktionen, wo immer es möglich war, durch die be rufsständischen Fachverbände und die Reichspressekammer ausgeübt wurden, war die ›Abteilung Deutsche Presse‹ mit der politischen Führung der deutschen Presse betraut. Der Leiter der ›Abteilung Deutsche Presse‹ hielt täglich Pressekonferenzen ab, und zwar im Ministerium, für die Vertreter sämtlicher deutscher Zeitungen. Hierbei wurden den Pressevertretern alle Instruktionen gegeben, die der Reichspressechef, Dr. Otto Dietrich, dem Leiter der ›Abteilung Deutsche Presse‹ fast ausnahmslos täglich in einem festgelegten Wortlaut, der sogenannten ›Tagesparole des Reichspressechefs‹, meist fernmündlich aus dem Hauptquartier übermittelte. Vor der Festlegung dieses Wortlautes leitete der Chef der ›Abteilung Deutsche Presse‹ ihm die aktuellen Pressewünsche von Dr. Goebbels und anderen Ministerien zu, insbesondere die des Auswärtigen Amtes, über die Dr. Dietrich immer selbst oder durch seine Vertreter im Hauptquartier, Helmut Sündermann, und Hauptschriftleiter Lorenz entscheiden wollte. Die praktische Auswertung der Ausrichtung in Einzelheiten war auf diese Weise ganz und gar der individuellen Arbeit des einzelnen Redakteurs überlassen; daher ist es keineswegs wahr, daß die Zeitungen und Zeitschriften das Monopol der ›Abteilung Deutsche Presse‹ gewesen wären oder daß Aufsätze und Leitartikel durch sie dem Ministerium unterbreitet werden mußten. Dies geschah selbst im Kriege nur in Ausnahmefällen. Die weniger bedeu tenden Zeitungen und Zeitschriften, welche nicht bei der [70] täglichen Pressekonferenz vertreten waren, erhielten ihre Informationen auf unterschiedliche Weise, indem sie entweder mit fertigen Artikeln und Berichten versehen oder mit einer vertraulichen, gedruckten Weisung beliefert wurden. Die Veröffentlichungen aller anderen offiziellen Dienststellen waren darüber hinaus gleichfalls von der ›Abteilung Deutsche Presse‹ geleitet und ausgerichtet.

Um die Zeitschriften in den Stand zu setzen, sich ihrerseits mit den täglichen politischen Problemen der Zeitungen vertraut zu machen, und diese eingehender zu behandeln, wurde die ›Informationskorrespondenz‹ speziell für Zeitschriften herausgegeben. Sie wurde später von der Abteilung Zeitschriftenpresse übernommen. Die ›Abteilung Deutsche Presse‹ befaßte sich gleicherweise und insoweit mit der Bildberichterstattung, als sie die Beschäftigung von Bildberichterstattern bei bedeutenden Ereignissen dirigierte. Auf diese Weise und wie es durch die jeweilige politische Lage bedingt war, wurde die ganze deutsche Presse durch die ›Abteilung Deutsche Presse‹ zu einem ständigen Instrument des Propagandaministeriums gemacht, und dadurch wurde die gesamte deutsche Presse der politischen Zielsetzung der Regierung untergeordnet. Dies wird exemplifiziert durch die zeitliche Bemessung und die emphatische Herausstellung solcher Pressepolemiken, wie sie zum Bei spiel für die nachfolgenden Themen am wirksamsten erschien: Der Klassenkampf in der Systemzeit; das Führerprinzip und der autoritäre Staat; die Parteien und Interessenpolitik in der Systemzeit; das Judenproblem; die Verschwörung des Weltjudentums; die bolschewistische Gefahr; die plutokratische Demokratie im Auslande; das allgemeine Rassenproblem; die Kirche; das Wirtschaftselend im Ausland; die Auslandspolitik; und Lebensraum.«

Diese Beschreibung Fritzsches enthüllt klar, daß die »Abteilung Deutsche Presse« nach seinen eigenen Worten tatsächlich das Werkzeug war, mit dem die gesamte deutsche Presse den politischen Zielen der Regierung dienstbar gemacht wurde.

Wir werden nun schildern, wie Fritzsche seine Tätigkeit in der »Abteilung Deutsche Presse« zugunsten der Verschwörer begann. Es ist zweckmäßig, wieder aus seiner eidesstattlichen Erklärung zu verlesen, und zwar Absatz 17, Seite 23 Ihres Dokumentenbuches. Fritzsche beschreibt zunächst eine Besprechung mit Dr. Goebbels Ende April oder Anfang Mai 1933:

»Zu dieser Zeit schlug Dr. Goebbels mir als dem nachrichtentechnischen Spezialisten die Gründung und Leitung eines Referates ›Nachrichtenwesen‹ in der Presseabteilung [71] seines Ministeriums vor zur Durchorganisation und Modernisierung der deutschen Nachrichtenagenturen. In Durchführung des an mich von Dr. Goebbels ergangenen Auftrages erfaßte ich in meinem Arbeitsgebiete das gesamte Nachrichtenwesen für die deutsche Presse und den deutschen Rundfunk gemäß den Richtlinien des Propagandaministeriums, zunächst mit Ausnahme des Deutschen Nachrichtenbüros (D.N.B.).«

Der Grund, warum das D.N.B. damals aus Fritzsches Tätigkeitsgebiet ausgenommen wurde, ist offenbar, da das D.N.B. nicht vor dem Jahre 1934 gegründet wurde, wie wir später sehen werden. Später wurden, wie der Gerichtshof aus Absatz 17 des Fritzscheschen Affidavits feststellen wird, Fritzsche riesige Geldmittel zum Aufbau des Nazi-Nachrichtendienstes zur Verfügung gestellt. Insgesamt wurde das Budget der deutschen Nachrichtenagenturen um das Zehnfache erhöht; sie erhielten vom Reichstatt 400.000 nunmehr 4.000.000 Reichsmark. Die Chefredakteure für die Transocean-Nachrichtenagentur und für die Europa-Presse wählte Fritzsche persönlich aus und stellte sie an. Fritzsche gibt an, daß »die Richtlinien des Propagandaministeriums, die ich dabei zu befolgen hatte« folgende waren:

»Vergrößerung des Abdruckes deutscher Nachrichten im Ausland um jeden Preis.«

Ich lasse nun einiges aus.

»... Verbreitung günstiger Nachrichten über inneren Aufbau und friedliche Absichten des nationalsozialistischen Systems.«

Ungefähr im Sommer 1934 führte der Angeklagte Funk, der damalige Reichspressechef, die Fusion der zwei wichtigsten inländischen Nachrichtenagenturen, des Wolffschen Telegraphenbüros und der Telegrafen-Union, durch. Damit schuf er das amtliche Deutsche Nachrichtenbüro, allgemein als D.N.B. bekannt. Der Gerichtshof wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Behauptung der Anklageschrift, Fritzsche selbst sei Hauptschriftleiter des D.N.B. gewesen, falsch ist. Fritzsche hatte niemals eine Stellung im D.N.B. inne. Seine Aufgaben als Chef der Nachrichtenabteilung der »Abteilung Deutsche Presse« gaben ihm jedoch die Möglichkeit einer amtlichen Einwirkung auf das D.N.B., die amtliche inländische Nachrichtenagentur des Deutschen Reiches nach 1934. Im letzten Teil des Absatzes 17 seiner eidesstattlichen Erklärung gibt Fritzsche an, daß er die Arbeit der verschiedenen auswärtigen Nachrichtenagenturen »im Inland, im europäischen und überseeischen Ausland gegeneinander und gegenüber dem D.N.B.« abgegrenzt habe.

Der »Drahtlose Dienst« wurde von Fritzsche von 1932 bis 1937 geleitet. Nach Januar 1933 wurde der »Drahtlose Dienst« das offizielle Instrument der Nazi-Regierung zur Verbreitung von [72] Nachrichten über den Rundfunk. Während der Zeit, in der Fritzsche Chef des »Drahtlosen Dienstes« war, gab er persönlich Radiosendungen an das deutsche Volk. Diese Sendungen standen natürlich unter der Kontrolle des Propagandaministeriums und gaben dessen Absichten wieder. Während dieses Zeitabschnittes der Festigung der Herrschaft durch die Nazi-Verschwörer ist der Einfluß der Radiosendungen Fritzsches auf das deutsche Volk umso bedeutender gewesen als Fritzsche gleichzeitig Chef des »Drahtlosen Dienstes« war, der wiederum für die Regierung die Verbreitung aller Radionachrichten kontrollierte.

Heute weiß man in der Welt sehr wohl, daß die Nazi-Verschwörer sehr geschickt in der psychologischen Kriegführung zu sein versuchten und es oft auch waren. Wenn sie es nicht in einigen wenigen Ausnahmefällen aus Zweckmäßigkeitsgründen unterließen, so begannen sie vor jedem größeren Angriff einen Pressefeldzug, der darauf berechnet war, ihre Opfer zu schwächen und das deutsche Volk psychologisch auf die bevorstehende Nazi-Tollheit vorzubereiten. Nachdem sie die Presse erst einmal erobert hatten, benutzten sie sie als ein weiteres Mittel zur Beeinflussung der auswärtigen Politik und zur Vorbereitung der nächstfolgenden Angriffshandlung.

Zur Zeit der Besetzung des Sudetenlandes am 1. Oktober 1938 war Fritzsche stellvertretender Leiter der gesamten »Abteilung Deutsche Presse« geworden. Fritzsche gibt an, daß die Rolle, die die deutsche Propaganda vor dem Münchener Abkommen in der Frage des Sudetenlandes spielte, von seinem unmittelbaren Vorgesetzten Berndt, dem damaligen Chef der »Abteilung Deutsche Presse«, bestimmt wurde. In Absatz 27 der eidesstattlichen Erklärung Fritzsches auf Seite 26 des Dokumentenbuches beschreibt Fritzsche diese von Berndt geleitete Propaganda. Über Berndt sagt er folgendes:

»Er bauschte geringe Vorkommnisse sehr stark auf, verwendete mitunter alte Ereignisse als neu, ja, es kamen Klagen aus dem Sudetenland selbst, daß manche in der deutschen Presse erschienene Meldungen unglaubhaft seien. Tatsächlich trat nach dem großen außenpolitischen Erfolg von München im September 1938 eine spürbare Krise ein im Vertrauen des deutschen Volkes zu der Glaubhaftigkeit seiner Presse. Dies war ein Grund für die Abberufung Berndts im Dezember 1938 nach Abschluß der Sudeten-Aktion und meine Beauftragung mit der Leitung der ›Abteilung Deutsche Presse‹. Im übrigen hatte Berndt mit seinen zwar erfolgreichen, aber doch sehr primitiven exerziermäßigen Befehlen an die deutsche Presse das Vertrauen der deutschen Schriftleiter verloren.«

[73] Was geschah nun damals? Fritzsche wurde an Stelle Berndts zum Leiter der »Abteilung Deutsche Presse« ernannt. In der Zeit von 1938 bis 1942 gab er als Chef der »Abteilung Deutsche Presse« persönlich die »Tagesparole des Reichspressechefs« an die Vertreter der führenden deutschen Zeitungen aus. In dieser Geschichte machenden Zeit war er der Hauptverschwö rer, der unmittelbar mit den Manipulationen der Presse befaßt war.

Die Eingliederung Böhmens und Mährens war der erste wichtige Angriff auf ein fremdes Volk, nachdem Fritzsche Leiter der »Abteilung Deutsche Presse« geworden war. In Absatz 28 seiner eidesstattlichen Erklärung auf Seite 26 des Dokumentenbuches gibt Fritzsche folgenden Bericht über die Propagandaaktion, die die Eingliederung Böhmens und Mährens begleitete:

»Die Aktion zur Eingliederung von Böhmen und Mähren, die am 15. März 1939 stattfand, während der ich Leiter der ›Abteilung Deutsche Presse‹ war, wurde nicht von so langer Hand vorbereitet wie die Sudeten-Aktion. Ich erhielt, nach meiner Erinnerung, im Februar von dem Reichspressechef Dr. Dietrich die Anweisung und wiederholt vom Gesandten Paul Schmidt vom A.A. die Bitte, die Aufmerksamkeit der Presse auf die Selbständigkeitsbestrebungen der Slowakei und die fortgesetzt antideutsche Koalitionspolitik der Prager Regierung zu lenken. Ich tat das. Die Tagesparolen des Reichspressechefs und die Pressekonferenz-Kontrolle der damaligen Zeit lassen den Wortlaut der entsprechenden Anweisungen erkennen. Dies waren die typischen Schlagzeilen führender Zeitungen und die groß aufgemachten Leitartikel der deutschen Tagespresse zu diesem Zeitpunkt:

1) Terrorisierung Volksdeutscher im tschechi schen Gebiet durch Verhaftung. Beschießung von Volksdeutschen durch die Gendarmerie, und Vernichtung und Beschädigung deutscher Häuser durch tschechischen Mob; 2) Konzentrierung tschechischer Truppen an der Sudetengrenze; 3) Verschleppung, Deportierung und Verfolgung slowakischer Minderheiten durch die Tschechen; 4) Die Tschechen müssen aus der Slowakei heraus; 5) Geheimsitzung roter Funktionäre in Prag.

Wenige Tage vor dem Besuch Háchas erhielt ich die Weisung, die über Unruhen in der Tschechoslowakei einlaufenden Meldungen ganz groß in der Presse herauszubringen. Solche Meldungen erhielt ich nur zum Teil vom Deutschen Nachrichtenbüro, meist von der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes und einige von großen Zeitungen mit eigenem Nachrichtendienst. Hierunter vor allem vom Völkischen Beobachter, der, wie ich später erfuhr, diese von dem [74] SS-Standartenführer Gunter D'Alquen bekommen hatte, der zu jener Zeit in Preßburg weilte. Ich hatte allen Nachrichtenbüros und Zeitungen verboten, Meldungen über Unruhen in der Tschechoslowakei herauszugeben, ehe ich sie gesehen hatte. Ich wollte eine Wiederholung der unerfreulichen Nebenerscheinungen der Sudeten-Aktion-Propaganda vermeiden und keinen Prestigeverlust mit unwahren Nachrichten erleiden. So waren alle von mir geprüften Nachrichten wohl voller Tendenz, aber nicht erfunden. Nach dem Besuch Háchas in Berlin und nach dem Beginn des Einmarsches der deutschen Truppen, der am 15. März 1939 stattfand, hatte die deutsche Presse Stoff genug an diesen Schilderungen. Historisch-politisch wurde das Ereignis mit dem Hinweis begründet, daß die Selbständigkeitserklärung der Slowakei ein Eingreifen notwendig gemacht habe, daß Hácha mit seiner Unterschrift einen Krieg vermieden und eine tausendjährige Gemeinschaft zwischen Böhmen und dem Reich wieder hergestellt hätte.«

Der Propagandafeldzug der Presse, der dem Einfall in Polen am 1. September 1939 voranging, und damit die Propagandaaktion kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, war wiederum das Werk Fritzsches und seiner »Abteilung Deutsche Presse«. Im Absatz 30 der eidesstattlichen Erklärung Fritzsches, Seite 27 des Dokumentenbuches, sagt Fritzsche darüber, wie die Verschwörer diesen Fall behandelten, folgendes:

»Sehr kompliziert und wechselnd war die pressemäßige und propagandistische Behandlung des Falles Polen. Unter der Wirkung des deutsch-polnischen Abkommens war es der deutschen Presse lange Jahre grundsätzlich verboten, irgend etwas über die Lage der deutschen Minderheit in Polen zu veröffentlichen. Dies blieb auch zunächst so, als im Frühjahr 1939 die deutsche Presse aufgefordert wurde, in der Frage Danzigs etwas mehr aus sich herauszugehen. Auch als die ersten polnisch-englischen Besprechungen stattfanden und der deut schen Presse ein schärferer Ton gegenüber Polen insgesamt nahegelegt wurde, blieb die Frage der deutschen Minderheit zunächst noch im Hintergrund. Erst im Laufe des Sommers wurde dieses Thema aufgegriffen und gab im Augenblick eine fühlbare Verschärfung der Stimmung. Es lag nämlich eigentlich bei jeder größeren deutschen Zeitung seit Jahr und Tag eine Fülle von Material über Klagen und Beschwerden dieser Deutschen in Polen vor, ohne daß die Redaktionen dieses Material hätten verwenden können. Die deutschen Zeitungen hatten noch aus der Zeit der Genfer Minderheiten-Debatten Korrespondenten oder freie Mitarbeiter [75] in Kattowitz, Bromberg, Posen, Thorn usw. Deren Material kam nun mit einem einzigen Schwung heraus. Hierzu brachten die führenden deutschen Zeitungen auf Grund der für die sogenannten Tagesparolen ausgegebenen Richtlinien in großer Aufmachung folgende Veröffentlichungen heraus:

1) Grausamkeit und Terror gegen Volksdeutsche und Ausrottung Volksdeutscher in Polen; 2) Schanzarbeiten Tausender Volksdeutscher Männer und Frauen in Polen; 3) Polen, Land der Knechtschaft und Unordnung, Fahnenflucht polnischer Soldaten, Verstärkung der Inflation; 4) Provokation von Grenzzwischenfällen auf Veranlassung der polnischen Regierung, polnische Eroberungsgelüste; 5) Verfolgung von Tschechen und Ukrainern durch die Polen. Die polnische Presse antwortete überaus scharf.«

Der Pressefeldzug, der dem Einfall in Jugoslawien voranging, erfolgte nach dem üblichen Muster. Sie werden die gewohnten Verleumdungen, Lügen, Aufreizungen und Drohungen sowie den üblichen Versuch finden, das Opfer zu entzweien und zu schwächen. Absatz 32 der eidesstattlichen Erklärung Fritzsches, Seite 28 des Dokumentenbuches, beschreibt diese Propagandaaktion wie folgt:

»Während des der Invasion nach Jugoslawien vom 6. April 1941 unmittelbar vorangehenden Zeitpunktes brachte die deutsche Presse in Schlagzeilen und Leitartikeln die folgenden Ankündigungen groß heraus: 1) Planmäßige Verfolgung Volksdeutscher in Jugoslawien einschließlich des Niederbrennens von deutschen Dörfern durch serbische Soldateska, sowie die Verschleppung Volksdeutscher in Konzentrationslager, sowie körperliche Mißhandlungen von deutschsprechenden Personen; 2) Bewaffnung serbischer Banditen durch die serbische Regierung; 3) Aufreizung Jugoslawiens durch die Plutokraten gegen Deutschland; 4) Anwachsen der antiserbischen Stimmung in Kroatien; 5) Chaotische Situation der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in Jugoslawien.«

Da Deutschland einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion hatte, und die Verschwörer aus dem Moment der Überraschung einen Vorteil ziehen wollten, unternahmen sie keinen besonderen Propagandafeld zug unmittelbar vor dem Angriff gegen die USSR. Fritzsche erörtert jedoch in Absatz 33 seiner eidesstattlichen Erklärung die Linie der Propaganda zur Rechtfertigung dieses Angriffskrieges vor dem deutschen Volk:

»Während der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1941 berief mich Ribbentrop zu einer Konferenz im Auswärtigen Amt Berlin auf ca. 5.00 Uhr morgens, bei der die Vertreter der in- und ausländischen Presse anwesend waren. Ribbentrop [76] unterrichtete uns dahin, daß der Krieg gegen die Sowjetunion am selben Tage beginnen werde und bat die deutsche Presse, den Krieg gegen die Sowjetunion als einen Vorbeugungskrieg zur Verteidigung des Vaterlandes darzustellen, der durch die unmittelbare Gefahr eines Angriffs der Sowjetunion gegen Deutschland uns aufgezwungen war. Die Behauptung, daß dies ein Vorbeugungskrieg sei, wurde späterhin von den Zeitungen, die ihre Instruktionen von mir während der übrigen Tagesparole des Reichspressechefs erhielten, wiederholt. Ich habe meinerseits diese Darstellung der Kriegsursache in meinen regelmäßigen Rundfunkreden gegeben.«

Fritzsche spricht in seiner eidesstattlichen Erklärung ständig von der technischen und fachmännischen Hilfe, die er dem Riesenapparat des Propagandaministeriums gegeben hat. Im Jahre 1939 war er mit der Leistungsfähigkeit der »Abteilung Deutsche Presse« bei der Lieferung von Material für die Propagandamühle und ihre Ränke offenbar nicht mehr zufrieden. Er schuf ein neues Werkzeug, um die Wirksamkeit der Nazi-Propaganda zu erhöhen. In Absatz 19 seines Affidavits, Seite 24 des Dokumentenbuches, beschreibt Fritzsche sein neues Propagandawerkzeug wie folgt:

»Im übrigen gründete ich, ungefähr im Sommer 1939, innerhalb der ›Abteilung Deutsche Presse‹ ein Referat ›Schnelldienst‹.«

Ich lasse nun ein paar Worte aus und zitiere weiter:

»Dieser... hatte zunächst die Aufgabe, die Richtigkeit von Auslandsmeldungen nachzuprüfen. Später, ungefähr Herbst 1939, bearbeitete dieses Referat auch Zusammenstellungen von Material, das der ganzen deutschen Presse zur Verfügung gestellt wurde, z. B. Daten aus der Britischen Kolonialpolitik, politische Äußerungen des Britischen Premiers aus früherer Zeit, Schilderungen sozialer Not in feindlichen Ländern usw. Fast alle deutschen Zeitungen benutzten solches Material als Unterlage für ihre Polemiken, wodurch eine große Geschlossenheit in der Kampffront der Deutschen Presse erreicht wurde. Die Bezeichnung ›Schnelldienst‹ wurde gewählt, weil mit besonderer Schnelligkeit Unterlagen für aktuelle Kommentare geliefert wurden.«

Während des gesamten Zeitabschnittes vor und nach der Entfesselung des Angriffskrieges, hielt Fritzsche regelmäßig Rundfunkansprachen an das deutsche Volk unter der Ankündigung »Politische Zeitungs-und Rundfunkschau« und danach: »Es spricht Hans Fritzsche«. Seine Sendungen waren natürlich das Spiegelbild der Polemiken und der Kontrolle seines Ministeriums und damit auch des Gemeinsamen Planes oder der Verschwörung.

[77] Die Anklagebehörde behauptet, daß Fritzsche, eine der hervorragendsten Gestalten in der Propagandagruppe Goebbels, wesentlich dazu beigetragen hat, die Welt in das Blutbad der Angriffskriege zu stürzen.

Mit Zustimmung des Gerichtshofs möchte ich nun den Beweis dafür erbringen, daß Fritzsche zu Greueltaten aufgereizt und zu einer rücksichtslosen Besatzungspolitik angetrieben hat. Die Wirkungen dieser Propaganda als einer Waffe der Nazi-Verschwörer reichen bis in jede Phase dieser Verschwörung und umfassen das abnorme und unmenschliche Verhalten, das in den Greueltaten und in der rücksichtslosen Ausbeutung der besetzten Länder seinen Ausdruck fand. Die meisten Durchschnittsdeutschen würden sich niemals an den überall in Europa begangenen Greueltaten beteiligt oder sie geduldet haben, wenn sie nicht durch das ständige Einwirken der Nazi-Propagandamaschine zu den barbarischen Anschauungen und falschen Auffassungen verleitet und angereizt worden wären. Die Propagandisten, die sich zu dieser teuflischen Aufgabe der Aufhetzung und Anstiftung hergaben, sind in Wirklichkeit schuldiger als die gutgläubigen und unempfindlichen Mitläufer, die die Exekutionskommandos anführten oder die Gaskammern betrieben, von denen wir in diesem Verfahren so viel gehört haben. Denn gerade die Gutgläubigkeit und Unempfindlichkeit dieser Mitläufer war zum großen Teil auf die ständige teuflische Propaganda Fritzsches und seiner Amtsgenossen zurückzuführen.

Für die Judenfrage hat die Propaganda-Abteilung im Propagandaministerium ein besonderes Referat »Aufklärung des deutschen Volkes und der Welt über die Judenfrage, propagandistische Bekämpfung der Staatsfeinde und der gegnerischen Weltanschauungen« eingerichtet. Dieses Zitat stammt aus einem im Jahr 1940 von Ministerialrat Müller verfaßten Buch mit dem Titel »Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda«; es ist Dokument 2434-PS, US-722, auf Seite 10 Ihres Dokumentenbuches. Ich hätte richtig sagen sollen 2434(a)-PS. Es ist ein weiterer Auszug aus dem Buch von Ministerialrat Müller; ich bitte den Gerichtshof, bezüglich dieses einen von mir verlesenen Satzes amtlich Kenntnis von ihm zu nehmen.

Mit seinen Rundfunksendungen spielte Fritzsche eine besonders aktive Rolle bei dieser »Aufklärung« über die Judenfrage. Diese Sendungen wimmelten buchstäblich von aufreizenden Verleumdungen gegen die Juden, deren einzige logische Folge die sein mußte, Deutschland zu weiteren Greueltaten gegen die hilflosen Juden, die sich in seinem Machtbereich befanden, aufzuhetzen.

Dokument 3064-PS enthält eine Reihe vollständiger Radiosendungen Fritzsches, die von der British Broadcasting Corporation [78] abgehört und von BBC-Beamten übersetzt wurden. Zur Erleichterung der Arbeit des Gerichtshofs habe ich die Auszüge, auf die sich die Anklagebehörde bezieht, um zu zeigen, was an den Radiosendungen Fritzsches typisch ist, vervielfältigen lassen und zu einem Dokument zusammengefaßt, das ich als Beweisstück US-723 überreiche. Selbst der Angeklagte Streicher, der Hauptjudenhetzer aller Zeiten, hätte Fritzsche in einigen seiner Verleumdungen gegen die Juden kaum überbieten können. Alle diese Auszüge in Dokument 3064-PS sind Ansprachen entnommen, die Fritzsche in den Jahren 1941 bis 1945 über den Rundfunk gehalten hat, in einem Zeitraum also, in dem, wie wir bereits bewiesen haben, die antijüdischen Maßnahmen immer mehr verstärkt wurden. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich einige dieser Auszüge verlesen: Seite 14 unseres Dokumentenbuches, Nummer 1. Aus einer Rundfunkrede vom 18. Dezember 1941. Sie befindet sich auf Seite 2122 der Übersetzungen der BBC:1

»Das Schicksal des Judentums in Europa ist so unangenehm ausgefallen, wie der Führer es für den Fall eines europäischen Krieges vorausgesagt hatte. Nach der Ausbreitung des durch die Juden angestifteten Krieges dürfte sich dieses Schicksal auch auf die Neue Welt ausdehnen, denn es ist kaum anzunehmen, daß die Nationen dieser Neuen Welt den Juden das Elend, von dem sie die Nationen der Alten Welt nicht freisprachen, verzeihen werden.«

Aus einer Rundfunkrede vom 18. März 1941, Seite 2032 der BBC-Übersetzung:

»Aber die Krone aller falsch angewandten Rooseveltschen Logik ist der Satz: ›Es gab niemals eine Rasse und wird nie eine Rasse geben, die die übrige Menschheit beherrschen kann.‹ Auch hier können wir Herrn Roosevelt nur Beifall zollen. Gerade deswegen, weil es keine Rasse gibt, die die übrige Menschheit beherrschen kann, haben wir Deutsche uns erlaubt, die Herrschaft des Judentums und seines Kapitals in Deutschland zu stürzen, eines Judentums, welches glaubte, die Krone der geheimen Weltherrschaft ererbt zu haben.«

Ich möchte nur nebenbei bemerken, daß diese Worte unseres Erachtens nicht nur eine Beifallskundgebung für die bereits begangenen Judenverfolgungen, sondern auch die Ankündigung des noch Bevorstehenden und eine Ermutigung für dieses Bevorstehende darstellen.

[79] Ich möchte nun einen weiteren Auszug aus einer Rundfunkrede vom 9. Oktober 1941 verlesen, die Sie auf Seite 2101 der BBC-Übersetzung finden.

»Wir wissen sehr gut, daß diese deutschen Siege, wie sie die Geschichte noch nie aufwies, die Quelle des Hasses, die seit langer Zeit die Kriegshetzer versorgte und aus der dieser Krieg entsprungen ist, noch nicht gestillt haben. Der internationale jüdisch-demokratisch-bolschewistische Feldzug der Hetze gegen Deutschland findet noch immer Deckung in dieser oder jener Fuchshöhle oder einem Rattenloch. Nur zu oft haben wir gesehen, wie erlittene Niederlagen die unsinnige und ohnmächtige Wut der Kriegshetzer nur verdoppelten.«

Eine weitere Rundfunkansprache vom 8. Januar 1944; Hoher Gerichtshof, ich habe versucht, hier Sendungen aus verschiedenen Zeitabschnitten als Beispiel auszuwählen. Ich zitiere:

»Es ist wieder einmal klar erwiesen, daß kein Regierungssystem, kein junger Nationalismus und auch kein neuer gut angewandter Sozialismus diesen Krieg hervorbrachte. Die Schuldigen sind ausschließlich die Juden und die Plutokraten. Wenn Besprechungen der Nachkriegsprobleme dies so deutlich zutage bringen, so begrüßen wir sie als einen Beitrag zu späteren Erörterungen und auch als einen Beitrag zu dem Kampfe, den wir jetzt führen, denn wir weigern uns, zu glauben, daß die Weltgeschichte ihre zukünftige Entwicklung den Mächten, welche diesen Krieg verursacht haben, anvertrauen wird. Diese Clique von Juden und Plutokraten hatte ihr Geld in Rüstungen angelegt und mußte dafür sorgen, daß sie ihre Zinsen und Amortisationen bekamen; deshalb entfesselten sie diesen Krieg.«

Zur Judenfrage habe ich ein letztes Zitat aus dem Jahr 1945. Es stammt aus einer Rundfunkrede vom 13. Januar 1945, Seite 2258 und 2259 der BBC-Übersetzung.

»Wenn das Judentum das Glied zwischen so verschiedenen Elementen wie Plutokratie und Bolschewismus bildete und die Vorbereitungen für diesen Krieg gegen Deutschland zuerst in den demokratischen Ländern erfolgreich durchführen konnte, so hat es sich jetzt rückhaltslos auf die Seite des Bolschewismus geschlagen, der mit seinen völlig verfehlten Schlagworten der Rassenfreiheit gegen Rassenhaß gerade die Bedingungen geschaffen hat, die die jüdische Rasse in ihrem Kampf um die Herrschaft über andere Rassen benötigt.«

Dann überspringe ich ein paar Zeilen dieses Zitats:

»Nicht zuletzt ist der vom Feinde so unerwartete deutsche Widerstand an allen Fronten die Frucht einer Entwicklung, [80] die bereits in den Vorkriegsjahren begann, und zwar des Prozesses der Gestaltung der britischen Politik nach weitgehend jüdischen Gesichtspunkten. Er begann schon früher, als jüdische Emigranten aus Deutschland ihre Kriegshetze gegen uns vom britischen und ameri kanischen Boden aus begannen.«

Dann lasse ich wieder ein paar Sätze aus und gehe zum letzten Satz auf dieser Seite über:

»Dieser ganze Versuch, der auf die Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft hinzielte, kam, wie jetzt immer deutlicher erkennbar wird, zu einer Zeit, als das nationale Rassenbewußtsein viel zu sehr erwacht war, um einem solchen Unternehmen Erfolg zu versprechen.«

Meine Herren Richter, wir sind der Ansicht, daß dies eine Aufforderung zu weiterer Verfolgung der Juden und sogar zu ihrer Vernichtung darstellt.

Fritzsche hat auch zu rücksichtslosen Maßnahmen gegen die Bevölkerung der Sowjetunion aufgehetzt und ermutigt. In seinen regelmäßigen Rundfunksendungen verband er häufig die Hetzreden gegen die Völker der Sowjetunion mit seinen Verleumdungen gegen die Juden; sie waren auch sicherlich nicht weniger aufreizend als jene. Wenn diese Verleumdungen nicht so tragisch gewesen wären, daß sie zur Ermordung von Millionen von Menschen führten, dann wären sie komisch, sogar lächerlich gewesen. Es ist tatsächlich eine Ironie, daß die Propagandalügen über Greueltaten der Völker der USSR in Wirklichkeit einige der vielen Grausamkeiten beschrieben, die, wie wir jetzt genau wissen, von den deutschen Eindringlingen begangen wurden.

Die folgenden Zitate sind wiederum Rundfunksendungen entnommen, die BBC aufgefangen und übersetzt hat. Sie beginnen kurz nach dem Einfall in die USSR im Juni 1941. Das erste steht auf Seite 16 unseres Dokumentenbuches; ich werde nur die zweite Hälfte von Nummer 7 verlesen und beginne mit dem dritten Absatz:

»Aus Briefen von der Front, von P.K.-Berichterstattern«,

darf ich mein Zitat unterbrechen, um zu erläutern, daß P.K. die Abkürzung von Propaganda-Kompanien ist, die der deutschen Armee beigegeben waren, wohin sie immer vordrang,

»und von Soldaten auf Urlaub haben wir genügend Beweise dafür erhalten, daß in diesem Kampf im Osten kein politisches System gegen ein anderes steht, keine Lebensanschauung gegen eine andere kämpft, sondern daß Kultur, Zivilisation und Menschenwürde sich gegen das teuflische Prinzip einer Unterwelt erhoben haben.«

[81] Und dann ein anderes Zitat im nächsten Absatz:

»Es war allein des Führers Entscheidung, den Schlag rechtzeitig zu führen, der unser Heimatland vor dem Schicksal rettete, von diesen Untermenschen überrannt zu werden und unsere Männer, Frauen und Kinder vor dem unaussprechlichen Schrecken bewahrte, ihre Beute zu werden.«

In der nächsten Rundfunksendung vom 10. Juli 1941, aus der ich zitieren möchte, spricht Fritzsche im ersten Absatz von den unmenschlichen Taten, die in dem unter sowjetrussischer Kontrolle stehenden Gebiet begangen wurden; er erklärt dann weiter, daß jemand, der sich von dem Ergebnis solcher Taten überzeugt hat, dazu kommen muß; und nun zitiere ich:

»... schließlich den heiligen Entschluß zu fassen, bei der endgültigen Vernichtung derjenigen, die solch abscheulicher Taten fähig sind, mitzuhelfen.«

Und nun zitiere ich den letzten Absatz:

»Die bolschewistischen Agitatoren machen keinerlei Anstrengungen, abzuleugnen, daß in Städten Tausende, in den Dörfern Hunderte von Leichen von Männern, Frauen und Kindern gefunden wurden, die entweder getötet oder zu Tode gequält worden waren. Doch behaupten die bolschewistischen Agitatoren, daß dies nicht von Sowjetkommissaren, sondern von deutschen Soldaten getan worden sei. Wir kennen aber unsere deutschen Soldaten. Keine deutsche Frau, kein Vater, keine Mutter braucht Beweise dafür, daß ihr Mann oder ihr Sohn solche grausamen Handlungen nicht begangen haben kann.«

Das Beweismaterial, welches bereits im Sitzungsprotokoll niedergelegt ist oder binnen kurzem von unseren sowjetischen Kollegen vorgelegt werden wird, zeigt, daß die Handlanger dieser Nazi-Verschwörer keine Bedenken trugen, sowjetische Soldaten und Zivilpersonen mittels wissenschaftlicher Massenmetho den auszurotten. Die hetzerischen Bemerkungen Fritzsches machen ihn zum Mittäter an diesen Verbrechen, weil er die sowjetischen Bürger als Untermenschen bezeichnete, die das deutsche Volk auszurotten suchten. Solches und ähnliches ungeheuerliche Geschwätz, unterstützt durch jene propagandistischen Ausfälle, die die psychologische Atmosphäre völliger Vernunftlosigkeit und des Hasses schaffen sollten, führten zu diesen Greueltaten im Osten und machten sie erst möglich.

Obwohl wir nicht behaupten können, daß Fritzsche die Vernichtung von zehntausend oder hunderttausend Menschen anordnete, genügt es, bei dieser Frage zu verweilen. Wie viel schwieriger wäre es für die Verschwörer gewesen, die Vorbedingungen zu schaffen,[82] die die Vernichtung von Millionen Menschen im Osten ermöglichten, wenn diese Aufwiegelung durch Fritzsche nicht gewesen wäre?

VORSITZENDER: Wäre das nicht ein geeigneter Zeitpunkt, die Verhandlung zu unterbrechen?


[Pause von 10 Minuten.]


HAUPTMANN SPRECHER: Fritzsche unterstützte die Politik der Nazi-Verschwörer, die besetzten Länder rücksichtslos auszubeuten, er bejahte und verherrlichte sie. Wiederum verlese ich einen Auszug aus seiner Rundfunkansprache vom 9. Oktober 1941, Seite 2102 und 2103 der BBC-Übersetzung. Ich würde ihn gerne abkürzen, aber es ist einer dieser langen deutschen Sätze, die man einfach nicht auseinanderreißen kann:

»Heutzutage können wir nur sagen: Blitzkrieg oder keiner – dieser deutsche Gewittersturm hat die europäische Atmosphäre bereinigt. Wohl ist es vollkommen wahr, daß die uns drohenden Gefahren eine nach der anderen mit Blitzesschnelle beseitigt worden sind; aber in diesen blitzschnellen Schlägen, die Englands Verbündete auf dem Kontinent zerschmetterten, sahen wir nicht den Beweis der Schwäche, sondern den Beweis der Stärke und der Überlegenheit der staatsmännischen und militärischen Fähigkeiten des Führers; einen Beweis der Kraft des deutschen Volkes; wir sahen den Beweis dafür, daß kein Gegner der Tapferkeit, Disziplin und Opferwilligkeit des deutschen Soldaten standhalten kann; und wir sind besonders dankbar für diese blitzesschnellen, unvergleichlichen Siege, weil sie – wie der Führer am vorigen Freitag betonte – uns die Möglichkeit geben, uns mit der Organisation Europas und der Hebung der Schätze« – ich möchte wiederholen – »Hebung der Schätze dieses alten Kontinents schon jetzt mitten im Kriege zu befassen, ohne daß Millionen und aber Millionen von deutschen Soldaten Wache stehen und Tag und Nacht an irgendeiner bedrohten Grenze kämpfen müssen; die Möglichkeiten dieses Kontinents aber sind so vielfältig, daß sie jeglichen Bedarf in Krieg und Frieden decken können.«

Über die Ausbeutung fremder Länder erklärt Fritzsche selbst in Absatz 39 seines Affidavits:

»Die Verwertung der Produktionskraft der besetzten Gebiete zur Verstärkung des deutschen Kriegspotentials habe ich offen und rühmend hervorgehoben, zumal die zuständigen Stellen mir viel Material, besonders über die Freiwilligkeit des Einsatzes von menschlicher Arbeitskraft zur Verfügung stellten.«

[83] Wenn Fritzsche die Ausbeutungspolitik des Deutschen Reiches so rühmend hervorhob, weil ihm hauptsächlich oder in erster Linie die zuständigen Amtsstellen eingeredet hätten, der Arbeitseinsatz sei freiwillig gewesen, so müßte er freilich ein sehr leichtgläubiger Propagandist gewesen sein.

Ich komme nun zu Fritzsche als dem Oberbefehlshaber des gesamten Rundfunksystems in Deutschland. Fritzsche blieb der Leiter der »Abteilung Deutsche Presse«, bis die Verschwörer ihren letzten Angriffskrieg entfesselt hatten. Im November 1942 schuf Goebbels eine neue Stellung, und zwar die eines Beauftragten für die politische Gestaltung des Großdeutschen Rundfunks, eine Stellung, die Fritzsche als erster und letzter inne hatte.

In Absatz 36 des Dokuments 3469-PS, seiner eidesstattlichen Erklärung, erzählt Fritzsche, wie das gesamte deutsche Rundfunk- und Fernseh-Wesen unter seiner Oberaufsicht organisiert wurde. Sie finden es auf Seite 29 Ihres Dokumentenbuches. Er erklärt:

»Mein Amt stellte praktisch die Befehlszentrale des deutschen Rundfunks dar.«

Als der besondere Beauftragte für die politische Gestaltung des Großdeutschen Rundfunks erteilte Fritzsche mittels Fernschreiben Befehle an sämtliche Reichspropagandaämter. Dies geschah in erster Linie zum Zweck der einheitlichen Ausrichtung des gesamten Radioapparats in Deutschland nach den Wünschen der Verschwörer.

Goebbels hielt gewöhnlich eine Elf-Uhr-Konferenz mit seinen engeren Mitarbeitern im Propagandaministerium ab. Wenn Goebbels und sein Staatssekretär, Dr. Naumann, abwesend waren, beauftragte Goebbels nach dem Jahre 1943 Fritzsche mit der Leitung dieser Elf-Uhr-Pressekonferenz.

Aus Dokument 3255-PS wird der Gerichtshof ersehen, wie Goebbels Fritzsches Rundfunksendungen lobte. Dieses Lob sprach Goebbels in einem Vorwort zu Fritzsches Buch »Krieg den Kriegshetzern« aus. Ich möchte diese Stelle als Beweisstück US-724 vorlegen; sie stammt aus dem Rundfunkarchiv, Seite 18 Ihres Dokumentenbuches. Goebbels sagt hier:

»Keiner weiß besser als ich, wieviel Arbeit in die sen Ansprachen steckt, wie sie manchmal in den letzten Minuten diktiert wurden, um dann einen Augenblick später im ganzen Volk ein williges Ohr zu finden.«

Wir hören also von Goebbels selbst, daß das gesamte deutsche Volk gern bereit war, Fritzsche willig Gehör zu schenken, nachdem er sich am Rundfunk Klang und Namen geschaffen hatte.

Es wurde allgemein darüber gesprochen, daß Fritzsche »Die Stimme seines Herrn« war. Dieses Gerücht entstand aus der Tätigkeit Fritzsches. Wenn Fritzsche im Radio sprach, so war es in der [84] Tat dem deutschen Volk klar, daß es dem Oberkommando der Verschwörer auf diesem Gebiete lauschte.

Fritzsche wird von der Anklagebehörde nicht als der Verschwörer hingestellt, der Befehle zeichnete, in den Geheimkonferenzen saß und die Pläne für die allumfassende Strategie dieser Verschwörer schmiedete. Die Propaganda hat ihrem Wesen nach zum größten Teil mit einem solchen Planen nichts zu tun. Die Aufgabe einer Propagandastelle entspricht irgendwie mehr der einer Reklamestelle oder einer öffentlichen Nachrichtenabteilung, deren Aufgabe es ist, Ware zu verkaufen oder den Markt für das in Frage stehende Unternehmen zu gewinnen. In diesem Fall war das Unternehmen, wie wir behaupten, die Nazi-Verschwörung. Bei einer Verschwörung zur Begehung eines Betrugs ist der geschickte Händler in der Verschwörergruppe ebenso wesentlich und ebenso schuldig wie diejenigen, von denen die Grundidee kam, auch wenn er nicht selbst an der Ausarbeitung aller Durchführungspläne, sondern vielmehr an der kunstvollen Ausführung dieser Pläne mitgewirkt hat. Die Anklagebehörde muß ganz besonders hervorheben, daß in diesem Falle die Propaganda eine ungeheuer wichtige Waffe für diese Verschwörer war. Wir behaupten weiter, daß die führenden Propagandisten die Hauptkomplicen dieser Verschwörung waren, und Fritzsche einer dieser Hauptpropagandisten war.

Als Fritzsche ins Propagandaministerium, der berüchtigtsten »Lügenfabrik« aller Zeiten, eintrat und sich damit dieser Verschwörung verband, tat er dies mit einer klareren Erkenntnis als die meisten dieser Verschwörer, die sich viel früher, schon vor der Machtübernahme, festgelegt hatten.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Fritzsche im Jahre 1933, bevor er seinen Parteieid des bedingungslosen Gehorsams und der Treue zum Führer ablegte, und damit seinem moralischen Verantwortungsgefühl zugunsten dieser Verschwörer entsagte, aus erster Hand die Tätigkeit der Sturmabteilungen und die Auswirkungen der nazistischen Rassenlehre beobachtet hatte. Als er nun dessenungeachtet daranging, die gesamten deutschen Nachrichtenagenturen unter faschistische Kontrolle zu bringen, lernte er viele von den schamlosen Intrigen und frechen Lügen gegen die Oppositionsgruppen innerhalb und außerhalb Deutschlands bis ins letzte, sogar aus Goebbels eigenem Munde kennen. Er beobachtete, wie zum Beispiel oppositionelle Journalisten, ein Stand, dem er selbst früher angehört hatte, der Existenz beraubt und zu Boden gedrückt, entweder gleichgeschaltet oder ausgeschieden wurden. Trotzdem unterstützte er weiterhin die Verschwörung. Er lernte von Tag zu Tag besser die Kunst, mit Intrigen und Marktschreierei das deutsche Volk zu verführen, und sein Prestige und Einfluß stieg, je mehr er diese Kunst übte.

[85] Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Fritzsche erklärt hatte, sein Vorgänger Berndt hätte seinen führenden Posten in der »Abteilung Deutsche Presse« zum Teil deswegen verloren, weil er mit seiner zwar erfolgreichen, aber plumpen und übertriebenen Handhabung der Sudetenlandpropaganda über das Ziel hinausgeschossen hatte. Fritzsche füllte die Lücke, die dadurch entstanden war, daß sowohl die Schriftleiter wie das deutsche Volk das Vertrauen verloren hatten, und er tat seine Arbeit gut.

Ohne Zweifel war Fritzsche nicht so plump wie sein Vorgänger, aber seine relative Spitzfindigkeit und Schlauheit und seine besondere Fähigkeit, den Leuten Vertrauen einzuflößen, und, wie Goebbels es nannte, »im ganzen Volk ein williges Ohr zu finden«, all dies machte ihn zu einem um so wertvolleren Komplicen dieser Verschwörer.

Als Nazi-Deutschland und seine Presse zu wirklich kriegerischen Operationen schritten, war Fritzsche Chef des eigentlichen Propagandaapparates, der die deutsche Presse und die deutschen Nachrichten kontrollierte, sei es mittels der Presse oder des Rundfunks. Als Fritzsche im Jahre 1942 von der Presse zum Rundfunk überging, geschah dies nicht, weil er Fehler begangen hatte, sondern nur, weil Goebbels ihn damals auf dem Gebiet des Rundfunks viel dringender brauchte, Fritzsche sitzt auf der Anklagebank nicht als freier Journalist, sondern als tüchtiger, bewährter Nazi-Propagandist, der wesentlich dazu beitrug, daß die Nazis dem deutschen Volk immer engere Fesseln anlegten; als Propagandist, der die Ausschreitungen dieser Verschwörer dem Gewissen des deutschen Volkes selbst immer schmackhafter machte; als Propagandist, der zynisch den barbarischen Rassenhaß predigte, der ja die Seele dieser Verschwörung ist; als Propagandist, der kalten Blutes einfache deutsche Menschen zu blindem Haß gegen Menschen aufreizte, von denen er sagte, daß sie Untermenschen und schuld an all den Leiden Deutschlands seien, an Leiden, die in Wirklichkeit diese Nazis selbst heraufbeschworen hatten.

Zum Schluß möchte ich noch eins hervorheben. Ohne den Propagandaapparat des Nazi-Staates hätte die Welt, einschließlich Deutschlands, sicherlich nicht die Katastrophe dieser Jahre erdulden müssen. Weil Fritzsche eine so geschickte Rolle für die Nazi-Verschwörer und bei ihren betrügerischen und barbarischen Praktiken im Rahmen der Verschwörung spielte, wird er jetzt vor diesem Internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE, HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Den nächsten Vortrag sollte Oberst Griffith-Jones im Falle des Angeklagten Heß halten; wie ich höre, hält es jedoch der Gerichtshof für besser, diesen Fall im Augenblick zurückzustellen. Wenn das zutrifft, ist [86] Major Harcourt Barrington bereit, nun den Fall des Angeklagten von Papen vorzutragen.

VORSITZENDER: Ja. Wir hörten, daß der Verteidiger des Angeklagten Heß heute nicht hier sein kann; aus diesem Grunde ist es besser, mit einer anderen Sache zu beginnen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit Erlaubnis Eurer Lordschaft wird Major Harcourt Barrington nunmehr seinen Vortrag gegen den Angeklagten von Papen halten.


MAJOR J. HARCOURT BARRINGTON, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Meine Herren Richter! Ich höre eben, daß die Dolmetscher die erforderlichen Papiere und Dokumentenbücher noch nicht hier haben; sie können sie jedoch in einigen Minuten bekommen. Wünschen Sie, daß ich beginne, oder soll ich warten, bis diese Bücher hier sind?


VORSITZENDER: Sie können beginnen.


MAJOR BARRINGTON: Hoher Gerichtshof! Es ist meine Aufgabe, den Fall gegen den Angeklagten von Papen vorzutragen. Bevor ich zur Sache selbst komme, möchte ich sagen, daß die Dokumente in den Dokumentenbüchern nach Nummern geordnet sind und nicht in der Reihenfolge, wie sie hier vorgetragen werden. In den englischen Dokumentenbüchern sind Seitenzahlen jeweils unten mit Rotstift angebracht.


VORSITZENDER: Heißt das, daß die französischen und sowjetischen Bücher nicht in dieser Weise vorbereitet sind?


MAJOR BARRINGTON: Herr Vorsitzender, wir haben keine französischen und russischen Dokumentenbücher vorbereitet.


VORSITZENDER: Major Barrington! Die französischen Richter haben überhaupt keine Dokumentenbü cher.


MAJOR BARRINGTON: Es sollte ein deutsches Dokumentenbuch für die französischen Richter vorhanden sein. Ich höre, daß es gerade heraufgebracht wird. Soll ich warten, bis es heraufkommt?


VORSITZENDER: Ich denke, Sie können fortfahren.


MAJOR BARRINGTON: Der Angeklagte von Papen ist in erster Linie beschuldigt, an der Verschwörung teilgenommen zu haben. Der Beweis für seine Teilnahme an der Verschwörung ergibt sich automatisch aus den Beweisen für die vier Beschuldigungen, die in Anhang »A« zur Anklage näher ausgeführt sind. Es sind folgende:

1. Er half den Nazi-Verschwörern, zur Macht zu gelangen.

2. Er nahm an der Festigung ihrer Herrschaft über Deutschland teil.

[87] 3. Er förderte die Vorbereitungen für den Krieg.

4. Er nahm an der von den Nazi-Verschwörern betriebenen politischen Planung und Vorbereitung der Angriffskriege teil und so weiter.

Im großen und ganzen umfaßt der Fall gegen von Papen die Zeitspanne vom 1. Juni 1932 bis zur Durchführung des Anschlusses im März 1938.

Fast das einzige, insbesondere von Papen belastende Beweismaterial in den bisherigen Verfahren betraf seine Tätigkeit in Österreich. Dieses Beweismaterial braucht jetzt nur noch kurz zusammengefaßt zu werden. Wenn sich der Fall von Papens nur auf Österreich beschränkte, wäre die Anklagebehörde in der Lage, nur eine Zeitspanne zu behandeln, während der seine Hauptaufgabe darin bestand, eine gut einstudierte Vertrauenswürdigkeit vorzutäuschen und in der seine alleinige Absicht war, seiner Tätigkeit ein Mäntelchen von Aufrichtigkeit und harmloser Achtbarkeit umzuhängen. Es ist deshalb wünschenswert, das bereits vorliegende Beweismaterial ins rechte Licht zu setzen, indem wir außerdem die aktive und bedeutende Rolle aufzeigen, die er für die Nazis spielte, ehe er nach Österreich ging.

Papen selbst behauptet, er habe mehrere Male Hitlers Aufforderung, der Partei beizutreten, abgelehnt. Bis 1938 mag das vielleicht auch wirklich wahr gewesen sein; denn er war schlau genug, die Vorteile zu erkennen, die sich aus einer wenigstens äußerlichen Beibehaltung seiner persönlichen Unabhängigkeit ergaben. Es ist deshalb meine Absicht, zu beweisen, daß von Papen trotz der Fassade seiner Unabhängigkeit ein eifriges Mitglied dieser Verschwörung war, und daß er trotz verschiedener Warnungen und Zurückweisungen nicht imstande war, ihrem Anreiz zu widerstehen.

Der Schlüssel zum Verständnis des Verhaltens von Papens liegt nach Ansicht der Anklagebehörde darin, daß, obwohl er vielleicht kein typischer Nazi, er doch ein skrupelloser politischer Opportunist und jederzeit bereit war, mit den Nazis gemeinsame Sache zu machen, falls es ihm vorteilhaft schien. Er war nicht unerfahren in der Doppelrolle, die er spielte, und betrachtete mit augenscheinlicher Gleichgültigkeit die Widersprüche und Vertrauensbrüche, in die ihn seine Doppelrolle unvermeidlich verwickelte. Eine seiner Hauptwaffen waren betrügerische Zusicherungen.

Ehe ich auf die einzelnen Anklagepunkte eingehe, möchte ich auf Dokument 2902-PS verweisen, Seite 38 des englischen Dokumentenbuches; ich lege es als Beweisstück GB-233 vor. Dies ist eine von Papen selbst unterzeichnete Erklärung, die seine Stellungen aufzeigt; sie ist nicht chronologisch geordnet, aber ich werde die [88] wesentlichen Teile der Reihe nach verlesen. Es ist nicht notwendig, die ganze Erklärung zu verlesen.

Ich beginne mit Absatz 1. Der Gerichtshof wird bemerken, daß diese Erklärung von Dr. Kubuschok, dem Verteidiger von Papens, geschrieben, jedoch von von Papen selbst gezeichnet ist:

»Von Papen hat die mehrfache Aufforderung Hitlers, der NSDAP beizutreten, abgelehnt. Er hat von Hitler lediglich ›das Goldene Ehrenzeichen der Partei‹ übersandt erhalten. Hierdurch ist er nach meiner Ansicht rechtlich nicht Parteimitglied ge worden.«

Herr Vorsitzender, ich möchte hier einschalten, daß man offiziell annahm, er sei im Jahre 1938 Parteimitglied geworden; das wird durch ein Dokument bewiesen werden, auf das ich später eingehen werde.

Ich gehe nun zu Absatz 2 über:

»Mitglied des Reichstages ist von Papen von 1933 bis 1945 gewesen.«

Absatz 3:

»Von Papen war Reichskanzler vom 1. Juni 1932 bis 17. November 1932. Die Geschäfte als Reichskanzler hat er bis zum Amtsantritt des Nachfolgers bis zum 2. Dezember 1932 weiter geführt.«

Absatz 4:

»Von Papen ist am 30. Januar 1933 zum Vizekanzler ernannt worden. Ab 30. Juni 1934« – das war das Datum der blutigen Säuberung – »hat er eine Amtstätigkeit nicht mehr ausgeübt. Er wurde an diesem Tage in Haft gesetzt. Sofort nach seiner Freilassung am 3. Juli 1934 hat er sich in die Reichskanzlei begeben, um Hitler seinen Rücktritt zu erklären.«

Es ist nicht notwendig, den Rest dieses Absatzes zu verlesen. Es wird die Streitfrage über die Echtheit seiner Unterschrift erörtert, die im Reichsgesetzblatt vom August 1934 unter verschiedenen Gesetzen erschienen ist. Ich bin bereit, die Behauptung, daß seine Unterschrift unter diesen Gesetzen unecht und ein Versehen gewesen sein mag, anzuerkennen. Er gibt zu, daß er sein Amt nur bis zum 3. Juli 1934 innegehabt hat.

Der Gerichtshof wird sich auch noch erinnern, daß er als Vizekanzler Mitglied des Reichskabinetts war.

Ich gehe nun zu Absatz 5 über:

»Von Papen ist am 13. November 1933 Saarbevollmächtigter geworden. Für die Beendigung seines Amtes gilt das gleiche wie zu Ziffer 4.«

[89] Den Rest des Dokuments brauche ich nicht zu verlesen. Es handelt sich um seine Berufungen nach Wien und Ankara, die geschichtsbekannt sind. Er wurde am 26. Juli 1934 zum Gesandten in Wien ernannt und am 4. Februar 1938 von dort abberufen. Dann war er vom April 1939 bis August 1944 Botschafter in Ankara.

Die erste Beschuldigung gegen den Angeklagten von Papen ist die, daß er seinen persönlichen Einfluß dazu verwandte, die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer zu fördern. Von Anfang an kannte von Papen das Nazi-Programm und die Nazi-Methoden sehr gut. Es ist nicht so, daß er die Nazis in Unkenntnis dieser Tatsachen unterstützte. Das offizielle NSDAP-Programm war klar und allgemein bekannt. Es war im Buch »Mein Kampf« seit vielen Jahren öffentlich bekannt gemacht worden; es war im Jahrbuch der NSDAP und in anderen Büchern immer wieder veröffentlicht worden. Die Nazis machten kein Geheimnis aus ihrer Absicht, ihr Programm zum Staatsgrundgesetz zu machen. All dies ist in einem früheren Verfahrensabschnitt eingehend behandelt worden.

Während des Jahres 1932 war von Papen als Reichskanzler besonders gut in der Lage, die Nazi-Zwecke und -Methoden zu erkennen; er hat sogar öffentlich auf die drohende Nazi-Gefahr hingewiesen. Nehmen wir zum Beispiel seine Rede in Münster am 28. August 1932. Es ist dies Dokument 3314-PS, Seite 49 des englischen Dokumentenbuches; ich lege es jetzt als Beweisstück GB-234 vor und, zitiere zwei Auszüge am Anfang der Seite:

»Die Zügellosigkeit, die aus dem Aufruf des Führers der nationalsozialistischen Bewegung spricht, paßt schlecht zu den Ansprüchen auf die Staatsregierung.... Ich gestehe ihm nicht das Recht zu, die Minderheit in Deutschland, die seinen Fahnen folgt, allein als die deutsche Nation anzusehen und alle übrigen Volksgenossen als Freiwild zu behandeln.«

Nehmen wir weiter seine Rede in München vom 13. Oktober 1932, Seite 50 des englischen Dokumentenbuches, Dokument 3317-PS, das ich als Beweisstück GB-235 vorlege. Ich will nur den letzten Auszug auf der Seite verlesen:

»Im Interesse des Volksganzen lehnen wir den Machtanspruch von Parteien ab, die ihre Anhänger sich mit Leib und Seele verschreiben wollen und die sich als Partei oder Bewegung an die Stelle der deutschen Nation setzen wollen.«

Ich möchte mit diesen wahllosen Auszügen nur beweisen, daß er im Jahre 1932 die der Nazi-Philosophie innewohnende Gesetzlosigkeit klar erkannt hatte. Trotzdem schrieb er in seinem Brief an Hitler vom 13. November 1932, den ich später ausführlicher verlesen werde, über die Nazi-Bewegung folgendes:

[90] »... einer so großen nationalen Bewegung, deren Verdienste um Volk und Land ich trotz notwendiger Kritik stets anerkannt habe....«

So wechselnd und so offenbar widerspruchsvoll sind von Papens Handlungen und Äußerungen über die Nazis, daß es unmöglich ist, ein Bild von Papens Teilnahme an diesem schändlichen Unternehmen zu zeichnen, wenn man nicht zuerst die Schritte nachprüft, die ihn zum Eintritt in die Partei führten. Dann wird es vollkommen klar, daß er sich, wenn auch nicht aus vollem Herzen, so doch mit kalter und überlegter Berechnung in die Nazi-Verschwörung stürzte.

Ich will nun einige der Hauptschritte aufzählen, durch die sich von Papen der Nazi-Verschwörung anschloß.

Als Folge seiner ersten persönlichen Fühlungnahme mit Hitler hob von Papen als Kanzler am 14. Juni 1932 die am 13. April 1932 erlassene Verordnung über die Auflösung der militärähnlichen Nazi-Organisationen, der SA und SS, wieder auf. Damit leistete er der Nazi-Partei den größtmöglichen Dienst, da sie auf ihre militärähnlichen Organisationen angewiesen war, um sich das deutsche Volk zu unterwerfen. Die Verordnung, die die Auflösung der SA und SS wieder aufhob, befindet sich in Dokument D-631, Seite 64 des Dokumentenbuches; ich lege es jetzt als Beweisstück GB-236 vor. Es ist ein Auszug aus der Gesetzessammlung des Reichsgesetzblattes. Die betreffende Stelle befindet sich in Absatz 20.

»Diese Verordnung tritt mit dem Tage nach ihrer Verkündung in Kraft. Sie tritt an die Stelle... der Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität vom...«

Das Datum dort ist falsch. Es muß »13. April 1932« heißen.

VORSITZENDER: Welche Seite im Dokumentenbuch ist es?

MAJOR BARRINGTON: Ich bitte um Entschuldigung, Eure Lordschaft, es ist Seite 64. Das Datum dort sollte nicht 3. Mai 1932, sondern 13. April 1932 heißen. Es war die Verordnung, die früher unter der Regierung des Kanzlers Brüning die Auflösung der militärähnlichen Nazi-Organisationen verfügt hatte. Am Ende der Seite 64 wird der Gerichtshof die einschlägigen Stellen der Verordnung vom 13. April 1932 abgedruckt finden. Paragraph 1 dieser Verordnung lautet:

»Sämtliche militärähnlichen Organisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, insbesondere die Sturmabteilungen (SA), die Schutzstaffeln (SS)... werden mit sofortiger Wirkung aufgelöst.«

Diese Aufhebung durch von Papen erfolgte auf Grund einer Vereinbarung mit Hitler, die in einem mit Genehmigung der NSDAP herausgegebenen Buch »Daten der Geschichte der NSDAP« von [91] Dr. Hans Volz erwähnt ist. Das Buch ist bereits als Beweisstück US-592 vorgelegt. Der Auszug, den ich verlesen möchte, steht auf Seite 59 des Dokumentenbuches und ist Dokument 3463-PS. In dem kleinen Buch befindet sich der Auszug, den ich verlesen werde, auf Seite 41;

»28. Mai:« – es handelt sich selbstverständlich um das Jahr 1932 – »In Anbetracht des bevorstehenden Sturzes Brünings Zusammenkunft zwischen dem früheren preußischen Zentrumsabgeordneten Franz von Papen und dem Führer in Berlin (erste persönliche Fühlungnahme im Frühjahr 1932); der Führer sagt Tolerierung eines Kabinetts Papen durch die NSDAP zu, falls SA-, Uniform- und Demonstrationsverbot aufgehoben und Reichstag aufgelöst wird.«

Man kann sich kaum ein schlaueres Eröffnungsgambit von einem Manne, der im Begriffe stand, Kanzler zu werden, vorstellen, als die Wiederzulassung dieser unheilvollen Organisationen, die sein Vorgänger unterdrückt hatte. Diese Handlung kennzeichnet ganz klar die für ihn charakteristische Doppelzüngigkeit und die Unaufrichtigkeit der von ihm öffentlich erklärten Verurteilung der Nazis, die ich vor einigen Minuten zitiert habe.

Achtzehn Monate später prahlte er offen damit, daß er zur Zeit der Übernahme der Kanzlerschaft schon empfohlen habe, dieser »jungen kämpfenden Freiheitsbewegung«, wie er sie nannte, den Weg zur Macht zu ebnen. Das geht aus Dokument 3375-PS hervor, das ich in einigen Minuten vorlegen werde.

Ein weiterer wichtiger Schritt war sein berüchtigter Staatsstreich vom 20. Juli 1932, als er die Preußische Braun-Severing-Regierung des Amtes enthob und die gesamte Regierungsgewalt über das Reich und Preußen in seiner Hand als Reichskommissar für Preußen vereinigte. Dies ist geschichtsbekannt und in Dokument D-632, das ich nunmehr als Beweisstück GB-237 vorlege, behandelt. Sie finden es auf Seite 65 des Dokumentenbuches. Dieses Dokument ist, glaube ich, eine Art halbamtlicher Biographie einer Reihe von im öffentlichen Leben stehenden Männern.

Von Papen betrachtete diesen Schritt, seinen Staatsstreich in Preußen, als einen ersten Schritt in der von Hitler später verfolgten Politik, die Länder mit dem Reich gleichzuschalten. Das geht aus Dokument 3357-PS hervor, zu dem ich später noch kommen werde.

Den nächsten Schritt wird der Gerichtshof erkennen, wenn er Dokument D-632, Seite 65 des Dokumentenbuches, die letzten vier oder fünf Zeilen der Seite, einsieht. Es waren die Reichstagswahlen vom 31. Juli, zu denen es als Folge der Auflösung des Reichstags durch von Papen am 4. Juni kam. Die Auflösung wiederum beruhte auf der vor wenigen Minuten erwähnten Abmachung mit Hitler. [92] Die Wahl führte zu einer enormen Stärkung der NSDAP, so daß von Papen dem Führer der nunmehr stärksten Partei seine Beteiligung an der Regierung als Vizekanzler anbot. Adolf Hitler wies dieses Angebot am 13. August zurück.

Der neue Reichstag, der am 30. August zusammentrat, wurde bereits am 12. September wieder aufgelöst. Die Neuwahlen brachten zwar der NSDAP eine beträchtlichen Verlust, stärkten jedoch auch die Regierungsparteien nicht, so daß die Regierung von Papens nach vergeblichen Verhandlungen mit den Parteiführern am 17. November 1932 zurücktrat.

Herr Vorsitzender, ich möchte noch einige weitere Auszüge aus dieser Biographie zitieren; es handelt sich aber nur um ein Verzeichnis von Ereignissen. Vielleicht werden mir Eure Lordschaft gestatten, bei einer passenden Gelegenheit darauf zurückzukommen.

Die soeben in der Biographie erwähnten Verhandlungen mit Hitler erfolgten schriftlich. Von Papen schrieb an Hitler am 13. November 1932 den Brief, Dokument D-633, Seite 68 des englischen Dokumentenbuches, den ich jetzt dem Gerichtshof als Beweisstück GB-238 vorlege. Ich möchte einen Teil dieses Briefes verlesen, weil er zeigt, welche kräftigen Anstrengungen von Papen selbst auf die Gefahr weiterer Zurückweisungen durch Hitler machte, sich den Nazis zu verbünden. Ich verlese den dritten Absatz und möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß in der englischen Übersetzung dieses Absatzes einige Unterstreichungen vorkommen, die im deutschen Text nicht erscheinen.

»Durch die Wahl vom 6. November ist eine neue Lage eingetreten und damit eine neue Möglichkeit für die Zusammenfassung aller nationalen Kräfte erneut geschaffen. Der Herr Reichspräsident hat mich beauftragt, nunmehr durch Besprechungen mit den Führern der einzelnen in Frage kommenden Parteien festzustellen, ob und inwieweit diese bereit seien, die Durchführung des in Angriff genommenen politischen und wirtschaftlichen Programms der Reichsregierung zu unterstützen. Obschon die nationalsozialistische Presse geschrieben hat, es sei ein naives Unterfangen, wenn der Reichskanzler von Papen nunmehr mit den für die nationale Konzentration in Betracht kommenden Persönlichkeiten verhandeln wolle, und es sei darauf die Antwort zu geben: ›Mit Papen gäbe es keine Verhandlungen‹, würde ich es für eine Pflichtverletzung halten und auch vor meinem Gewissen nicht verantworten können, wenn ich mich nicht trotzdem im Sinne meines Auftrages an Sie wenden würde. Ich weiß zwar aus der Presse, daß Sie die Forderung der Übertragung des Kanzlerpostens aufrechterhalten und bin mir ebenso bewußt, in welchem Maße die dagegenstehenden [93] Gründe, welche die Entscheidung des 13. August herbeiführten, fortbestehen, wobei ich nicht erneut zu versichern brauche, daß meine Person dabei keine Rolle spielt. Aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß der Führer einer so großen nationalen Bewegung, deren Verdienste um Volk und Land ich trotz notwendiger Kritik stets anerkannt habe, sich dem augenblicklich verantwortlich führenden deutschen Staatsmann nicht zu einer Aussprache über die Lage und die zu fassenden Entschlüsse versagen sollte. Wir müssen versuchen, die Bitternis des Wahlkampfes zu vergessen und die Sache des Landes, der wir gemeinsam dienen, über alle anderen Bedenken zu stellen.«

Hitler antwortete darauf am 16. November 1932 mit einem langen Brief, in dem er Bedingungen stellte, die offenbar unannehmbar für von Papen waren, da er am nächsten Tage zurücktrat. Sein Nachfolger wurde von Schleicher. Das Dokument trägt die Bezeichnung D-634 und wurde als Teil des Beweisstücks GB-238 vorgelegt, da es ein Teil desselben Briefwechsels ist. Ich brauche den Brief selbst nicht zu verlesen.

Dann kam es zu Besprechungen zwischen von Papen und Hitler im Januar 1933 im Hause von Schröders und Ribbentrops, die dazu führten, daß Hitler am 30. Januar 1933 als Nachfolger von Schleichers Reichskanzler wurde. Ich komme wieder auf die Biographie zurück, Seite 66 des Dokumentenbuches. In ihr befindet sich ein Bericht über die Besprechung im Hause von Schröders; es ist der zweite Absatz auf der Seite:

»Die in den ersten Tagen des Januar 1933 erfolgte Zusammenenkunft mit Hitler in dem Hause des Bankiers Baron von Schröder in Köln kann auf seine« – gemeint ist natürlich von Papens – »Initiative zurückgeführt werden, wenn auch von Schröder der Vermittler gewesen ist. Über diese Zusammenkunft gaben von Papen sowohl als auch Hitler nachträglich öffentliche Erklärungen ab (Presse vom 6. Januar 1933). Als Kabinett der nationalen Konzentration bildete sich dann nach dem schnellen Sturz von Schleichers vom 28. Januar 1933 am 30. Januar 1933 die Regierung Hitler – von Papen – Hugenberg – Seldte, in der von Papen stellvertretender Reichskanzler und Reichskommissar von Preußen wurde.«

Die Besprechungen im Hause Ribbentrops, bei denen auch von Papen anwesend war, wurden bereits von Sir David Maxwell-Fyfe unter Hinweis auf Dokument D-472, Beweisstück GB-130, erörtert. Ich möchte nun eine eidesstattliche Erklärung von Schröders als Beweismittel vorlegen. Ich hörte jedoch, daß Dr. Kubuschok hiergegen Einspruch zu erheben wünscht.

[94] Bevor Dr. Kubuschok seinen Einspruch vorbringt, dürfte es vielleicht zweckmäßig sein, daß ich ganz offen erkläre, daß sich von Schröder jetzt in Haft befindet, und zwar nach meinen Informationen in Frankfurt. Er könnte daher zweifellos persönlich als Zeuge vorgeladen werden. Vielleicht darf ich auch schon jetzt erklären, daß die Anklagebehörde keinen Einspruch erheben würde, wenn die Befragung von Schröders über den Gegenstand seiner eidesstattlichen Erklärung angeordnet würde.

DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG: Ich widerspreche der Verlesung des Affidavits des Barons von Schröder. Ich bin mir bewußt, daß in einzelnen Fällen der Gerichtshof Affidavits zugelassen hat. Es geschah dies unter Berufung auf Artikel 19 der Charter, die davon ausgeht, daß ein möglichst schnelles Verfahren gesichert werden soll; daß aus diesem Grunde die Bestimmung der einzelnen Prozeßregeln insoweit dem Gerichtshof vorbehalten wird. Entscheidend ist also die Beschleunigung des Verfahrens. Aus diesem Grunde kann jedoch im vorliegenden Fall die Verlesung des Affidavits nicht genehmigt werden.

Der Fall liegt völlig analog dem Fall, der am 14. Dezember hier bezüglich des Affidavits Kurt von Schuschniggs entschieden worden ist. Von Schröder ist in der Nähe, von Schröder ist offensichtlich zum Zwecke des Prozesses in die Nähe von Nürnberg gebracht worden. Die Aufnahme des Affidavits erfolgte am 5. Dezember. Er kann jederzeit herbeigeholt werden. Die Verlesung des Affidavits würde die Folge haben, daß ich mich unbedingt nicht nur auf ihn, sondern noch auf verschiedene andere Zeugen berufen müßte, und zwar dies deswegen, weil von Schröder in dem Affidavit einen Tatsachenkomplex angeschnitten hat, der in seiner Ausdehnung für die Urteilsfindung sicherlich nicht maßgeblich ist, der aber, wenn er einmal in die Verhandlung eingeführt wird, in Erfüllung der Verteidigerpflichten, auch erörtert werden muß.

Der Inhalt des Affidavits behandelt innerpolitische Vorgänge mit zweifellos unrichtigen Ausdrücken. Dadurch würden sofort Mißverständnisse in die Verhandlung getragen werden, die bei einer Zeugenvernehmung von vornherein eliminiert werden können. Ich glaube also, daß bei einer Zeugenvernehmung dieser ganze Komplex lediglich durch die Vernehmung von Schröders erledigt werden könnte, während, andernfalls sicherlich ein größeres Zeugenaufgebot neben der Vernehmung von Schröders und neben der Verlesung des Affidavits erforderlich wäre.


VORSITZENDER: Ist das alles?


DR. KUBUSCHOK: Jawohl.


[95] VORSITZENDER: Wollen Sie dazu Stellung nehmen?


MAJOR BARRINGTON: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Unter Berufung auf die Entscheidung über das Affidavit von Schuschnigg als Präzedenzfall wurde der Gerichtshof gebeten, dieses Affidavit nicht zuzulassen. Ich glaube, mit Recht sagen zu können, daß die Zurückweisung des Affidavits Schuschniggs eine Ausnahme von der allgemeinen Regel über Affidavits darstellte, die der Gerichtshof kurz zuvor am gleichen Tage festgelegt hat, als das Affidavit von Messersmith angenommen wurde. Vielleicht gestatten mir Eure Lordschaft, aus dem Sitzungsprotokoll die Entscheidung des Gerichtshofs über das Affidavit von Messersmith vorzulesen.


VORSITZENDER: Herr Messersmith befand sich in Mexiko, nicht wahr?


MAJOR BARRINGTON: Jawohl.


VORSITZENDER: Der Unterschied zwischen ihm und Schuschnigg in dieser Hinsicht war also sehr beträchtlich.

MAJOR BARRINGTON: In dieser Hinsicht gewiß, doch wollte ich folgendes sagen. In Ihrer Entscheidung zu dem Affidavit von Herrn Messersmith, Herr Vorsitzender, führten Sie aus:

»Angesichts dieser Vorschriften« – das heißt Artikel 19 des Statuts – »entscheidet der Gerichtshof, daß die eidesstattlichen Erklärungen vorgelegt werden können, und daß dies im gegenwärtigen Falle zulässig ist. Die Frage des Beweiswertes einer eidesstattlichen Erklärung, im Vergleich zu einer Aussage eines im Kreuzverhör vernommenen Zeugen, würde vom Gerichtshof natürlich erwogen werden, und sollte der Gerichtshof später der Ansicht sein, daß die Anwesenheit eines Zeugen von größter Wichtigkeit ist, so kann diese Angelegenheit nochmals erörtert werden.«

Eure Lordschaft fügten weiter hinzu:

»Sollte die Verteidigung Fragen an den Zeugen zu stellen wünschen, so ist ihr dies freigestellt.«

Am Nachmittag des gleichen Tages, als das Affidavit Schuschniggs auftauchte...

VORSITZENDER: Welcher Tag war dies?

MAJOR BARRINGTON: Es war der 28. November. In Band II. Seite 389/390 des Sitzungsprotokolls wurde das Affidavit Messersmiths und in Band II, Seite 425, wurde das Affidavit Schuschniggs behandelt.

Als nun der Einspruch gegen das Affidavit Schuschniggs erhoben wurde, wurde er mit folgenden Worten begründet:

[96] »Das Gericht hat heute bei der Verkündung des Beschlusses hinsichtlich der Verwertung der schriftlichen Aussage des Zeugen Messersmith verkündet, daß, wenn das Gericht die Empfindung habe, es handle sich um Zeugen von größter Wichtigkeit, es bei der Beurteilung solcher Fragen einen anderen Standpunkt einnehmen würde.«

Der Verteidiger fuhr dann fort:

»Da es sich um einen derart wichtigen Zeugen handelt, muß der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme eingehalten werden...«

VORSITZENDER: Können Sie uns auch die spätere Stelle nennen, wo wir Herrn Justice Jackson zu diesem Gegenstand hörten, und wo er ausführte, daß wir bei strenger Auslegung des Artikels 19 verpflichtet seien, jedes Beweismittel zuzulassen, dem wir einen Beweiswert beimessen?

MAJOR BARRINGTON: Herr Vorsitzender, ich kann Ihnen diesen Hinweis augenblicklich nicht geben.


VORSITZENDER: Warum wollen Sie diesen Zeugen nicht laden?


MAJOR BARRINGTON: Offen gestanden, ich wollte gerade darüber sprechen.

Der Zeuge steht in Verdacht, ein Mitverschwörer zu sein; ich mache daher kein Hehl aus der Tatsache, daß die Anklagebehörde aus leicht erklärlichen Gründen nicht wünscht, ihn als Zeugen zu laden; ich lege dieses Affidavit als Geständnis eines Mitverschwörers vor. Ich räume ein, daß mit diesem Geständnis nicht die Verschwörung selbst zugegeben wurde, doch kann meines Erachtens der Gerichtshof, der nicht an formelle Beweisregeln gebunden ist, dieses Affidavit als Beweismittel zulassen, und zwar als Geständnis eines Mitverschwörers. Wie ich bereits vorher sagte, hätten wir nichts dagegen, daß eine Befragung über den Gegenstand dieses Affidavits verfügt würde; der Zeuge würde sogar, wenn nötig, als Verteidigungszeuge geladen werden können.

Das ist alles, was ich dazu zu bemerken habe.


VORSITZENDER: Sie würden also keinen Einspruch dagegen erheben, daß der Zeuge hergebracht wird, um über das Affidavit im Kreuzverhör vernommen zu werden?


MAJOR BARRINGTON: Ich glaube nicht, daß ein Einspruch erhoben werden kann, wenn das Kreuzverhör auf das Affidavit beschränkt würde. Ich möchte nicht...


VORSITZENDER: Wie könnten Sie sich beispielsweise dagegen wenden, daß der Angeklagte selbst den Zeugen vorzuladen wünscht?


[97] MAJOR BARRINGTON: Wie ich bereits sagte, glaube ich nicht, daß dagegen ein Einspruch erhoben werden könnte.


VORSITZENDER: Das Ergebnis wäre doch dann das gleiche, nicht wahr? Wenn der Zeuge zum Zwecke des Kreuzverhörs geladen würde, so könnte er auch über andere Dinge, die sich nicht unmittelbar aus dem Affidavit ergeben, befragt werden. Wenn der Angeklagte ihn als seinen eigenen Zeugen laden kann, so kann nichts dagegen eingewandt werden, daß das Kreuzverhör über den Gegenstand des Affidavits hinausgeht.


MAJOR BARRINGTON: In diesem Falle könnte er dann allerdings nicht von der Anklagebehörde ins Kreuzverhör genommen werden.


VORSITZENDER: Sie meinen, Sie würden ihm im Verhör Fragen stellen; diese würden aber nicht die Form eines Kreuzverhörs annehmen?


MAJOR BARRINGTON: Das meine ich, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sie würden es also lieber sehen, wenn er als Zeuge für die Angeklagten gerufen würde, als daß er im Kreuzverhör über Dinge außerhalb des Gegenstands des Affidavits vernommen würde?


MAJOR BARRINGTON: Jawohl.


VORSITZENDER: Wollen Sie noch etwas hinzufügen?


MAJOR BARRINGTON: Ich habe nichts hinzuzufügen.


VORSITZENDER: Es ist Zeit, daß wir uns vertagen. Wir werden über die Sache beraten.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


1 Dieses und die späteren Zitate aus Rundfunkansprachen des Angeklagten Fritzsche sind Rückübersetzungen aus dem Englischen, da die Originale in deutscher Sprache nicht mehr auffindbar waren.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 6.
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