Vormittagssitzung.

[508] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht, verschiedene Fragen verfahrensrechtlicher Art zu erörtern, bevor er eine Vertagung in Erwägung zieht. Dementsprechend wird morgen keine öffentliche Sitzung stattfinden, damit die Möglichkeit einer Vertagung behandelt werden kann. Dagegen wird morgen früh 10.00 Uhr eine nichtöffentliche Sitzung stattfinden, in welcher die Angelegenheiten, die sich auf das Verfahren beziehen, besprochen werden sollen. Am Montag Morgen um 10.00 Uhr wird eine halbstündige öffentliche Sitzung stattfinden, die sich mit der Frage einer Vertagung beschäftigen wird. Je ein Vertreter der Anklagebehörde und der Verteidigung wird für fünfzehn Minuten das Wort erhalten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe die Verlesung des Dokuments auf Seite 3, Absatz 2, Spalte 1 des Dokumentenbuches unterbrochen. Ich halte es für möglich, die übrigen Tatsachen, die in dem Dokument enthalten sind, zu überspringen, da diese Tatsachen einfach weiterhin die allgemeinen Schlußfolgerungen bestätigen, die am Anfang 0des Dokuments bereits erwähnt sind und die wir, erneut durch viele Tatsachen bestätigt, gestern bereits in das Protokoll verlesen haben.

Ich erlaube mir, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den Inhalt einer Notiz zu lenken, die auf Seite 3 des Dokumentenbuches im Absatz 2 der ersten Spalte zu finden ist. Darin wird gesagt, daß friedliche Bürger zwangsweise in Konzentrationslager verschickt werden, wodurch die Zahl der Kriegsgefangenen künstlich und rechtswidrig erhöht und das unmenschliche Regime, das von den deutsch-faschistischen Behörden für die Kriegsgefangenen eingerichtet war, auf die Zivilbevölkerung übertragen wurde.

Weiterhin lege ich dem Gerichtshof einen Auszug aus dem Protokoll der Gerichtssitzung des Militärfeldgerichts der 374. Lubansk-Infanterie-Division vom 29. Oktober 1944 vor. Dieses Dokument trägt die Nummer USSR-162. Der Hohe Gerichtshof wird dieses Dokument auf Seite 67 des Dokumentenbuches finden.


DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER FÜR DEN ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Ich gestatte mir, zwei Anträge zu stellen, die auf das gegenwärtige Beweisverfahren und seine Durchführung Bezug nehmen. Der erste Antrag lautet:

Ich bitte die Bezugnahme und die Verlesung von Urkunden der Untersuchungskomitees im Sinne des Artikels 21 des Statuts zu [508] untersagen, soweit diese Urkunden keine Angaben über die Quellen für die mitgeteilten Tatsachen enthalten.

Zweitens die Verlesung von schriftlichen Einzelerklärungen zu untersagen, die nur summarische Angaben ohne eigene Wahrnehmung enthalten und diese Verlesungen nur zuzulassen, wenn die Vernehmung des Ausstellers als Zeuge möglich ist.

Zur Begründung darf ich folgendes anführen:

Artikel 19 des Statuts läßt jedes Beweismittel zu, das Beweiswert hat. Artikel 21 befreit den Gerichtshof, Beweise anzufordern für Urkunden der sogenannten Untersuchungskomitees. Sinn und Zweck beider Bestimmungen ist es aber, die Erhebung von Beweisen zu erleichtern. Führt jedoch die Zulassung von schriftlichen Erklärungen aller Art zu der Gefahr, daß solche, ein ganzes Volk diskriminierende Vorgänge objektiv falsch dargestellt werden, so ist das Verlangen der Verteidigung nicht unbillig, nur solche Beweismittel zuzulassen, bei denen diese Gefahr soweit wie möglich eingeschränkt ist. Viele der von der Russischen Anklage verlesenen schriftlichen Erklärungen und Auszüge aus Komiteeberichten haben nicht nur keinen Beweiswert, sie sind vielmehr wegen ihrer unkontrollierbaren Inhalte geeignet, ein falsches Bild über den Ablauf historischer Begebenheiten zu erzeugen, der durch die Verübung von Greueln entstanden ist.


VORSITZENDER: Fällt dies nicht unter Artikel 21, und zwar die letzten zwei Zeilen: »Protokolle und Entscheidungen von Militär- und anderen Gerichten irgendeiner der Vereinten Nationen?«


DR. KAUFFMANN: Ja, die Verteidigung steht auf dem Standpunkt, daß Artikel 21 einer Auslegung zugänglich ist. Der Artikel 21 läßt zwar die Verlesung solcher Berichte zu, sagt aber nichts darüber, in welchem Umfang es allen Beteiligten, insbesondere der Verteidigung, möglich sein muß, auf die Quellen zurückzugehen, auf denen diese Berichte der Untersuchungskommission beruhen. Wir sind der Auffassung, daß die von den Gerichtspersonen vernommenen Zeugen aus Affekten heraus, aus Rache und so weiter, nicht in der Lage sind, die Dinge objektiv darzustellen. Wir wissen als Juristen, daß es außerordentlich schwierig ist, auch selbst einfache Tatbestände wahrheitsgemäß darzustellen. Es erfüllt uns deshalb die Pflicht und die Verpflichtung, gerade auch vor dem deutschen Volk zu versuchen, in diese Quellen hinabzugehen und dadurch beizutragen, den wirklichen Ablauf der Ereignisse festzustellen, den wir ganz anders sehen.


VORSITZENDER: Die Verteidigung wird zur geeigneten Zeit die Möglichkeit haben, gegen die von der Anklagebehörde vorgelegten Beweise Einwände zu erheben. Sie wird die Gelegenheit haben, darauf hinzuweisen, ob gewisse Zeugenaussagen etwa durch[509] Sympathie beeinflußt wurden, und sie wird weiter die Möglichkeit haben, im geeigneten Augenblick zum Beweismaterial Stellung zu nehmen. Aber jetzt ist nicht der geeignete Moment dafür.

Artikel 21 ist völlig klar. Er bestimmt, daß der Gerichtshof verschiedene Dokumente, die darin aufgeführt sind, amtlich zur Kenntnis zu nehmen hat, und nennt ausdrücklich Protokolle und Entscheidungen der Militär- und anderer Gerichte jeder der Vereinten Nationen. Dies hier ist das Protokoll und die Entscheidung eines Sowjetischen Militärgerichts, und daher muß der Gerichtshof zufolge der ausdrücklichen Bestimmungen des Artikels 21 amtlich hiervon Kenntnis nehmen. Das wird jedoch die Verteidigung nicht daran hindern, in ihren Verteidigungsreden zu diesem Beweismaterial, auf dem das Protokoll und die Entscheidung beruhen, Stellung zu nehmen. Aber der Einwand, daß es nicht zugelassen werden sollte, erscheint mir sowie den anderen Mitgliedern des Gerichtshofs völlig unbegründet.


DR. KAUFFMANN: Ich danke Ihnen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, gestatten Sie, daß ich fortsetze. Der Hohe Gerichtshof wird das Dokument, das ihm bereits vorgelegt wurde, auf Seite 67 des Dokumentenbuches finden.

Ich erlaube mir, mit eigenen Worten die biographischen Daten über den Angeklagten Le Court, der vor das Militärfeldgericht gestellt war, auseinanderzusetzen. Er war kein SS-Mann, sondern ein gewöhnlicher, parteiloser Obergefreiter der deutschen Armee, 27 Jahre alt. Er wurde in der Stadt Stargard geboren und zur Armee einberufen. Vorher war er Kinobesitzer. Seinen Militärdienst leistete er in der 1. Kompanie des 4. Luftwaffen-Regiments. Ich zitiere die Zeugenaussage von Le Court, die in dem Abschnitt enthalten ist, der »Gerichtliche Untersuchung« betitelt ist, und beginne mit Absatz 2. Der Gerichtshof wird diese Stelle im Dokumentenbuch, Seite 68, Absatz 5, finden.

Le Court hat folgendes ausgesagt:

»Vor meiner Gefangennahme durch die Truppen der Roten Armee, d.h. bis zum 4. Februar 1944, diente ich als Laborant in der Radfahrer-Kompanie der 2. Luftwaffen-Infanterie-Division 4 in der Kommandantur des Flugplatzes E 33/X1. Außer den Aufnahmen machte ich in der dienstfreien Zeit andere Arbeiten, d.h. ich erschoß im eigenen Interesse kriegsgefangene Rotarmisten zusammen mit friedlichen Bürgern. Ich habe Aufzeichnungen gemacht und in einem besonderen Buche aufgezeichnet, wieviel Kriegsgefangene und wieviel Einwohner ich erschossen habe.«

[510] Ich überspringe drei Absätze, die sich auf Erschießungen von Kriegsgefangenen durch Le Court beziehen und setze das Zitat fort:...

VORSITZENDER: Oberst Smirnow, die Stelle, die Sie soeben verlesen haben, die nämlich, daß er in seinem Buche Notizen über Zahlen machte, erscheint nicht in der Übersetzung, die mir vorliegt. Ob sie sich im Original befindet, weiß ich nicht. Ich nehme an, daß es der Fall ist. Sind Sie sicher, daß es im Originaldokument steht?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, Herr Vorsitzender. Ich habe soeben nochmals den Text des Dokumentenbuches mit dem Abschnitt, den ich eben zitierte, verglichen. Er entspricht vollkommen dem Original.


VORSITZENDER: Gut, ich wollte nur sicher sein, daß er im Original enthalten ist, da er in der Übersetzung, die mir vorliegt, fehlt. Sie können fortfahren!


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe auf Seite 68 unterbrochen und drei Absätze ausgelassen. Ich bin also auf Seite 69, und vielleicht ist das der Grund, daß der Herr Vorsitzende den Absatz nicht gefunden hat. Ich setze fort:

»Außer Kriegsgefangenen erschoß ich auch Partisanen, friedliche Bürger und brannte Häuser zusammen mit ihren Bewohnern nieder. Im Novem ber 1942 nahm ich an der Erschießung von 92 Sowjetbürgern teil. Vom April bis Dezember 1942, als ich im Luftwaffen-Infanterie-Regiment war, beteiligte ich mich an der Erschießung von 55 Sowjetbürgern; ich führte deren Erschießung aus.«

Ich lasse einen Absatz aus und setze das Zitat fort:

»Außerdem nahm ich an Strafexpeditionen teil und steckte Häuser in Brand. Insgesamt wurden von mir mehr als 30 Häuser in verschiedenen Dörfern niedergebrannt. Ich kam mit der Strafexpedition ins Dorf, trat in die Häuser ein und teilte der Bevölkerung mit, daß niemand die Häuser verlassen soll, und daß wir die Häuser in Brand stecken werden.

Ich steckte ein Haus an und niemand wurde aus dem Haus herausgelassen. Wenn jemand sich retten oder aus dem Hause zu fliehen versuchte, so wurde er ins Haus zurückgetrieben oder erschossen. Auf solche Weise wurden von mir mehr als 30 Häuser und 70 friedlich Einwohner hauptsächlich Greise, Frauen und Kinder, verbrannt.

Im ganzen habe ich persönlich 1200 Mann erschossen.«

Um Zeit zu sparen, überspringe ich jetzt sechs Absätze und zitiere weiter. Der Gerichtshof wird dieses Zitat auf Seite 70 des Dokumentenbuches finden:

[511] »Das deutsche Kommando förderte in jeder Weise die Erschießungen und Tötungen der Sowjetbürger. In Anerkennung meiner guten Arbeit und des Dienstes in der Deutschen Wehrmacht, die ihren Ausdruck in der Erschießung der Kriegsgefangenen und der Sowjetbürger fand, wurde ich am 1. November 1941 zum Obergefreiten befördert, obwohl diese Beförderung erst am 1. November 1942 fällig war. Gleichzeitig wurde ich mit der ›Ostmedaille‹ ausgezeichnet.«

Le Court war keineswegs eine Ausnahme, und zur Bestätigung dessen erlaube ich mir, mich ganz kurz auf das Urteil im Prozeß des Militärbezirkes Smolensk im Prozeß gegen eine Gruppe ehemaliger Angehöriger der deutschen Armee zu beziehen, die wegen Begehung von Bestialitäten gegenüber der friedlichen Bevölkerung und gegenüber Kriegsgefangenen in der Stadt Smolensk vor Gericht gestellt wurden. Dieses Dokument wurde dem Gerichtshof durch meinen Kollegen, Oberst Pokrowsky, als Dokument USSR-87 vorgelegt und als Beweisstück angenommen. Der Gerichtshof wird dieses Dokument auf Seite 71 des Dokumentenbuches finden. Ich überspringe den ganzen allgemeinen Teil des Urteils und bitte um die Erlaubnis, Ihre Aufmerksamkeit auf die Stelle des Urteils lenken zu dürfen, die sich im Absatz 9, Seite 71 des Dokumentenbuches befindet, wo es heißt, daß allein in den bis jetzt ausgehobenen 80 Gräbern, die von den gerichtsmedizinischen Sachverständigen ausgehoben und untersucht wurden, in der Stadt und im Gebiete Smolensk über 135000 Leichen von Sowjetbürgern, Frauen, Kindern und Männern verschiedenen Alters aufgefunden wurden.

Ich überspringe weiter zwei Absätze des Urteils und gehe auf den Teil des Dokuments über, der die verbrecherischen Handlungen einzelner Angeklagter in dieser Sache charakterisiert. Ich werde hier nicht von allen zehn, sondern nur von zwei bis drei Angeklagten sprechen. Der Gerichtshof wird diese Stelle auf Seite 73 des Dokumentenbuches, Absatz 6 finden. Ich verlese:

»Hirschfeld war Dolmetscher bei der deutschen Militärkommandantur in Smolensk. Er verprügelte die unschuldigen Sowjetbürger, die in den Straßen von Smolensk ohne jeglichen Grund und ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter aufgegriffen wurden, und zwang sie, lügenhafte Aussagen zu machen. Auf Grund dieser lügenhaften Aussagen, die durch Verprügeln erpreßt wurden, rottete die Kommandantur viele unschuldige Sowjetbürger aus. Im Mai 1943 beteiligte sich Hirschfeld persönlich an der Ausrottung der Sowjetbürger in Smolensk, die durch Erstickung mit Kohlenoxyd im Gaswagen durchgeführt wurde. Im Januar und Februar 1943 nahm er an den Strafexpeditionen gegen die Partisanen und gegen die friedlichen Sowjetbürger im Bezirk Newel-Uswjati teil. [512] Während er Kommandeur der deutschen Strafabteilung war, verübte er mit den ihm unterstellten Soldaten Gewaltakte an der friedlichen Bevölkerung.«

VORSITZENDER: Oberst Smirnow, in der englischen Übersetzung, die dem Gerichtshof vorliegt, fehlen die Seiten 34 bis 45. Glauben Sie, daß diese Seiten gefunden werden könnten? Ich glaube, unsere Seitenzählungen sind verschieden, aber das Dokument, auf das Sie sich hier soeben beziehen, Dokument USSR-87, fängt auf Seite 34 unserer Übersetzung an, und dann fährt die Übersetzung auf Seite 45 fort.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, ich nenne nicht die Seiten der Übersetzung, sondern die Seiten des Dokumentenbuches des Hohen Gerichtshofs.


VORSITZENDER: Ja, das ist mir klar. Ich möchte wissen, ob vielleicht durch ein Versehen diese Seiten – obgleich von Ihnen eine Übersetzung gemacht, wurde – nicht in unsere Abschrift gekommen sind, und ob man sie finden kann. Sehen Sie, es fehlen alle diese Seiten in der Übersetzung!


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, ich habe die Übersetzung noch nicht gesehen. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich diese Frage während der Pause sorgfältig klarstellen und in die erforderliche Ordnung bringen.


VORSITZENDER: Gut, bitte fahren Sie inzwischen fort!


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gemeinsam mit sei nen Soldaten hat er neun Sowjetdörfer und Ortschaften in Brand gesteckt. Er plünderte bei den Kollektivbauern und erschoß die vollkommen unschuldigen, friedlichen Sowjetbürger, die aus dem Walde zu den Brandstätten ihrer niedergebrannten Häuser kamen, um nach übriggebliebenen Lebensmitteln zu suchen. Er beteiligte sich an der Verschleppung von Sowjetbürgern in die deutsche Sklaverei.

Ich erlaube mir, jetzt noch einen Abschnitt zu verlesen, der sich auf den Angeklagten Modisch bezieht, der Hilfsarzt im 551. Feldlazarett war. Der Gerichtshof wird diese Stelle auf Seite 73 des Dokumentenbuches, im letzten Absatz, finden:

»Modisch war Assistent im deutschen Militärlazarett 551 in der Stadt Smolensk. Vom September 1941 bis April 1943 war er Augenzeuge und unmittelbarer Teilnehmer an der Tötung von kriegsgefangenen verwundeten Soldaten und Offizieren der Roten Armee, an denen die deutschen Professoren und Ärzte Schemm, Gette, Müller, Ott, Stefan, Wagner und andere unter dem Vorwand einer Kur verschiedene Experimente durchgeführt und früher unbekannte biologische und chemische Präparate erprobt haben. Daraufhin wurden die [513] verwundeten Kriegsgefangenen septisch angesteckt und sodann getötet.«

»Was tat Modisch persönlich?«

Ich zitiere weiter dieses Dokument:

»Modisch hat selbst durch Injektionen großer Stro phantin- und Arsenikdosen nicht weniger als 24 kriegsgefangene Rotarmisten und Offiziere der Roten Armee ums Leben gebracht. Außerdem verwandte er für die Kur der deutschen Militärpersonen das Blut von Sowjetkindern im Alter von sechs bis acht Jahren, denen er große Mengen Blut entnahm. Infolgedessen starben die Kinder. Er entzog den russischen Kriegsgefangenen die Rückenmarksflüssigkeit, was infolge von Schwächung zur Lähmung der unteren Extremitäten führte. Er beteiligte sich auch an den Ausplünderungen der sowjetischen medizinischen Anstalten in der Stadt Smolensk.«

Ich überspringe noch eine Seite dieses Dokuments. Der Gerichtshof kann davon überzeugt sein, daß jeder dieser zehn Angeklagten, von denen ich jetzt dem Gerichtshof gegenüber spreche, so zahlreiche Verbrechen begangen hat, daß sie nach den Gesetzen jeder zivilisierten Nation der Todesstrafe unterliegen. Als Beispiel bringe ich eine der Beschuldigungen gegen den Angeklagten Kurt Gaudian vor, die seinerzeit vor Gericht bewiesen wurde. Der Gerichtshof wird die wichtigsten auf ihn bezüglichen Stellen auf Seite 74 des Dokumentenbuches im letzten Absatz und weiter auf Seite 75 finden. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tatsache, daß Gaudian sieben junge Mädchen vergewaltigt und sodann getötet hat. Ich beende diesen Fall mit der Verlesung von nur drei Zeilen:

»In der Scheune eines Dorfes, in der Nähe der Stadt Ossipowitsch, wurden unter seiner Mitwirkung im August 1943 ungefähr 60 Einwohner erschossen oder lebendig verbrannt. Das Dorf selbst wurde mitverbrannt.«

Ich lasse den sich auf Henschke beziehenden Teil aus und zitiere nur fünf Zeilen auf Seite 75 des Dokumentenbuches, aus dem Teil des Urteils, der sich auf einen gewissen Gefreiten Müller des 335. Wachbataillons bezieht:

»Zu verschiedenen Zeitpunkten wurden von dem Angeklagten Müller 96 Sowjetbürger, darunter Greise, Frauen und Säuglinge, ermordet. Müller vergewaltigte 32 sowjetrussische Frauen, von denen er 6 nach der Vergewaltigung ermordete. Unter den vergewaltigten Frauen waren einige Mädchen im Alter von 14 bis 15 Jahren.«

Ich weiß nicht, ob es nötig ist, dieses Zitat fortzusetzen?

Ich glaube, das wahre Gesicht dieser Verbrecher, von denen sieben ihr Leben endlich am Galgen beendet haben, wird dem Gerichtshof jetzt vollkommen klar sein. Um jedoch diejenigen näher [514] zu beleuchten, die zwar nicht diese Verbrechen selbst begangen haben, sondern die tatsächlich für das Leben der Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten verantwortlich waren, bitte ich den Gerichtshof, jetzt auf das Tagebuch von Hans Frank überzugehen, das dem Gerichtshof bereits als Dokument 2233-PS von seiten unserer verehrten amerikanischen Kollegen vorgelegt worden ist. Wir legen Auszüge aus dem Tagebuch von Frank als Beweisstück USSR-223 vor, wobei der Gerichtshof diese Auszüge auf Seite 78 des Dokumentenbuches finden wird.

Ich verlese die Stelle, die der Gerichtshof auf Seite 86 des Dokumentenbuches finden wird, Absatz 3, Seite 1 des Textes.

Am 6. Februar 1940 gab Frank dem Korrespondenten des »Völkischen Beobachter«, Kleiß, ein Interview. Ich verlese den Inhalt dieses Interviews an der dem Hohen Gerichtshof bereits angegebenen Stelle. Ich beginne das Zitat:

»Interview des Herrn Generalgouverneurs durch den Korrespondenten des V. B., Kleiß, 6. Februar 1940.

Kleiß: Vielleicht wäre es auch interessant, den Unterschied zwischen Protektorat und Generalgouvernement herauszuarbeiten.

Der Generalgouverneur: ›Einen plastischen Unterschied kann ich Ihnen sagen. In Prag waren z.B. große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, daß heute 7 Tschechen erschossen worden sind. Da sagte ich mir: wenn ich für je 7 erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate. Ja, wir mußten hart zugreifen‹.«

Der Angriff auf die Westfront, der am 10. Mai 1940 begann, hat die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von den Verbrechen abgelenkt, die unter der unmittelbaren Leitung von Frank geschahen. Frank hatte dadurch die Möglichkeit, einige tausend Menschen aus der polnischen Intelligenz durch Militärgerichte zum Tode und zur physischen Ausrottung verurteilen zu lassen.

Ich zitiere die Rede Franks vom 30. Mai 1940, in der die Frage wegen dieser Missetaten endgültig entschieden wurde. Ich beginne das Zitat auf Seite 86 des Dokumentenbuches, Abschnitt 6, Spalte 1:

»Am 10. Mai begann die Offensive im Westen, d.h. an diesem Tage erlosch das vorherrschende Interesse der Welt an den Vorgängen hier bei uns. Was man mit der Greuelpropaganda und den Lügenberichten über das Vorgehen der nationalsozialistischen Machthaber in diesem Gebiet in der Welt angerichtet hat, nun, mir wäre es vollkommen gleichgültig gewesen, ob sich die Amerikaner oder Franzosen oder Juden oder vielleicht auch der Papst darüber aufgeregt hätten, aber für mich und für einen jeden von Ihnen war [515] es in diesen Monaten furchtbar, immer wieder die Stimmen aus dem Propagandaministerium, aus dem Auswärtigen Amt, aus dem Innenministerium, ja sogar von der Wehrmacht vernehmen zu müssen, daß dies ein Mordregime wäre, daß wir mit diesen Greueln aufhören müßten usw. Dabei war natürlich klar, daß wir auch die Erklärung abgeben mußten, wir würden es nicht mehr tun. Und ebenso klar war es, daß bis zu dem Augenblick, wo das Weltscheinwerferlicht auf diesem Gebiet lag, von uns ja nichts Derartiges in großem Ausmaße geschehen konnte. Aber mit dem 10. Mai ist uns nun diese Greuelpropaganda in der Welt vollkommen gleichgültig. Jetzt müssen wir den Augenblick benutzen, der uns zur Verfügung steht.«

Ich lasse zwei Absätze aus und setze das Zitat fort:

»Ich gestehe ganz offen, daß das einigen Tausenden von Polen das Leben kosten wird, vor allem aus der geistigen Führerschicht Polens. Für uns alle als Nationalsozialisten bringt aber diese Zeit die Verpflichtung mit sich, dafür zu sorgen, daß aus dem polnischen Volk kein Widerstand mehr emporsteigt.«

Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den folgenden Satz:

»Ich weiß, welche Verantwortlichkeit wir damit übernehmen.«

Ich lasse einen Absatz aus und setze das Zitat fort. Der Gerichtshof wird dies auf Seite 86, Absatz 1 des Dokumentenbuches finden:

»Aber mehr noch: SS-Obergruppenführer Krüger und ich haben beschlossen, daß die Befriedungsaktion in beschleunigter Form durchgeführt wird. Ich darf Sie bitten, meine Herren, uns mit Ihrer ganzen Energie bei der Durchführung dieser Aufgabe zu helfen. Was von mir aus geschehen kann, um die Durchführung dieser Aufgabe zu erleichtern, wird geschehen. Ich appelliere an Sie als nationalsozialistische Kämpfer, und mehr brauche ich wohl dazu nicht zu sagen. Wir werden diese Maßnahme durchführen, und zwar, wie ich Ihnen vertraulich sagen kann, in Ausführung eines Befehls, den mir der Führer erteilt hat. Der Führer hat mir gesagt: Die Frage der Behandlung und Sicherstellung der deutschen Politik im Generalgouvernement ist eine ureigene Sache der verantwortlichen Männer des Generalgouvernements. Er drückte sich so aus: ›Was wir jetzt an Führerschicht in Polen festgestellt haben, das ist zu liquidieren, was wieder nachwächst, ist... wieder wegzuschaffen. Daher brauchen wir das Deutsche Reich, um die Reichsorganisation der Deutschen Polizei damit nicht zu belasten. Wir [516] brauchen diese Elemente nicht erst in die Konzentrationslager des Reiches abzuschleppen, denn dann hätten wir nur Scherereien und einen unnötigen Briefwechsel mit den Familienangehörigen, sondern wir liquidieren die Dinge im Lande. Wir werden es auch in der Form tun, die die einfachste ist.‹«

Ich beende das Zitat an dieser Stelle und gehe auf Seite 87 über, Absatz 2, Spalte 1. Diese Stelle scheint mir charakteristisch dafür zu sein, daß es gerade Frank war, der, wie aus den Auszügen seines Tagebuches hervorgeht, erstmalig den Gedanken für die Errichtung der Konzentrationslager entwickelt hat, die später die amtliche Bezeichnung »Vernichtungslager« erhalten haben.

Ich verlese diese Rede von Frank auf Seite 9, erster Absatz:

»Was die Konzentrationslager anbelangt, so waren wir uns klar, daß wir hier im Generalgouvernement Konzentrationslager im eigentlichen Sinne nicht einrichten wollen. Wer bei uns verdächtig ist, der soll gleich liquidiert werden. Was sich draußen in den Konzentrationslagern des Reiches an Häftlingen aus dem Generalgouvernement befindet, das soll uns zur AB-Aktion zur Verfügung gestellt oder dort erledigt werden.«

Ich verlese weiter die Fortsetzung der gleichen Rede, nämlich Auszüge aus dem Tagebuch von Frank im Jahre 1940. Der Gerichtshof findet diese Stelle auf Seite 94 des Dokumentenbuches, Absatz 5, Spalte 1.

Ich beginne das Zitat:

»Wir können nicht die Reichs-Konzentrationslager mit unseren Dingen belasten. Was wir mit den Krakauer Professoren an Scherereien hatten, war furchtbar. Hätten wir die Sache von hier aus gemacht, wäre sie anders verlaufen. Ich möchte Sie daher dringend bitten, niemanden mehr in die Konzentrationslager des Reiches abzuschieben, sondern hier die Liquidierung vorzunehmen oder eine ordnungsgemäße Strafe zu verhängen. Alles andere ist eine Belastung des Reiches und eine dauernde Erschwerung. Wir haben hier eine ganz andere Form der Behandlung und diese Form muß beibehalten werden. Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß sich an dieser Behandlung nichts ändern wird durch einen allenfallsigen Friedensschluß. Dieser würde nur bedeuten, daß wir dann als Weltmacht noch viel intensiver als bisher unsere allgemeinen politischen Aktionen durchführen werden...«

Ich möchte nunmehr die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs darauf lenken, daß sich in der Tat alle großen Vernichtungslager im Gebiet des Generalgouvernements befunden haben.

[517] Diese Untaten der faschistischen Verbrecher haben sich systematisch entwickelt. Frank hat 1940 eine lange Rede vor der Polizei gehalten, in der er seine sogenannte »Aktion« gegenüber Tausenden polnischer Intellektuellen begründet hat. Am 18. März 1944 erklärte er jedoch in seiner Rede im Reichshof, wobei ich von Seite 93 des Dokumentenbuches, Absatz 3, Spalte 2 verlese.

Ich beginne das Zitat über die Rede am 18. März 1944 im Reichshof. Dr. Frank:

»Wenn ich zum Führer gekommen wäre und ihm gesagt hätte: Mein Führer, ich melde, daß ich wieder 150000 Polen vernichtet habe – dann hätte er gesagt: ›Schön, wenn es notwendig war!‹«

Dieser faschistische Rechtsgelehrte hat in dem von ihm regierten Gebiet, das sich zeitweilig unter der Macht der faschistischen Angreifer befand, drei Millionen Juden vernichtet.

Dabei sagte Frank, wobei ich aus seiner Rede auf der Arbeitstagung der NSDAP am 4. März 1944 in Krakau zitiere, der Gerichtshof wird dieses Zitat auf Seite 93 des Dokumentenbuches, Absatz 2, Spalte 2 finden:

Ich beginne mit dem Zitat; Dr. Frank:

»Wenn heute da und dort ein Wehleidiger mit Tränen in den Augen den Juden nachtrauert und sagt, ›ist das nicht grauenhaft, was den Juden gemacht worden ist,‹ dann muß man den Betreffenden fragen, ob er heute noch derselben Meinung ist. Wenn wir heute diese zwei Millionen Juden in voller Aktivität und auf der anderen Seite die wenigen deutschen Männer im Lande hätten, würden wir nicht mehr Herr der Lage sein... Die Juden sind eine Rasse, die ausgetilgt werden muß; wo immer wir nur einen erwischen, geht es mit ihm zu Ende.«

Ich zitiere jetzt die Stelle aus Franks Tagebuch, wo...

VORSITZENDER: Ich halte es für richtig, wenn wir jetzt die Sitzung unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, ich habe erfahren, daß die elf Seiten, die in dem englischen Text nicht enthalten waren, Ihnen übergeben worden sind. Trifft das zu?

VORSITZENDER: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich fortfahren?


VORSITZENDER: Bitte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich zitiere nun aus Franks Tagebuch diejenige Stelle, die der Gerichtshof auf Seite 93 des [518] Dokumentenbuches, zweite Spalte des Textes, zweiter Absatz von oben unter der Überschrift: »Tagung der politischen Leiter der NSDAP am 15. Januar 1944 in Krakau«, finden wird.

Ich beginne das Zitat; Dr. Frank:

»Ich habe mich nicht gescheut, zu erklären, daß, wenn ein Deutscher erschossen würde, bis zu 100 Polen erschossen würden.«

In dieser schwarzen Zeit sah das polnische Volk in den Opfern Franks und denen seiner Untergebenen Märtyrer. Daher scheint es mir wichtig, folgendes Zitat zu verlesen. Am 16. Dezember 1943 hat Frank in Krakau bei einer Regierungssitzung gesagt, das Zitat befindet sich auf Seite 92 des Dokumentenbuches, dritter Absatz von oben, Spalte 1. Ich zitiere:

»Zu überlegen wäre, ob man nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen die Exekutionen möglichst dort vornehmen lasse, wo das Attentat auf einen Deut schen erfolgt sei. Vielleicht müsse man auch überlegen, ob man nicht dafür besondere Exekutionsstätten schaffen wolle, denn es sei festgestellt worden, daß die polnische Bevölkerung zu den jedermann zugänglichen Exekutionsorten ströme, um die blutgetränkte Erde in Gefäße zu füllen und diese in die Kirche zu bringen.«

Hoher Gerichtshof, ich habe Ihre Aufmerksamkeit auf das Tagebuch von Frank gelenkt, da er einer der engsten Mitarbeiter Hitlers war. Außerdem ist er der bekannteste »gelehrte Jurist« des deutschen Faschismus. Er war tatsächlich ein »alter ego« von denen, die im Janovskylager Kinder entzweigehauen haben. Gerade Frank ist einer der Urheber gewesen, der gleichzeitig die Grundlagen für die Gesetze des deutschen Faschismus gelegt hat, die jeder Gerechtigkeit Hohn sprachen. Im wesentlichen besteht das Endergebnis der ganzen armseligen juristischen Weisheit in dem Buch »Mein Kampf«, das ich studiert, und in dem ich keinen anderen Sinn gefunden habe als nur den der niederträchtigen Formel: »Macht ist Recht«. Ich zitiere von der 64. Ausgabe, auf Seite 740.

Frank stellte für Hitler den notwendigen bösen Gnom der Jurisprudenz dar, der die unmenschlichen Theorien des Faschismus in die Form des »Gesetzes« kleidete. Um zu zeigen, wie weit unter Franks Führung die Herabwürdigung der grundlegenden, im Straf- und Zivilrecht aller zivilisierten Völker verankerten Rechtsbegriffe gegangen war, lege ich dem Gerichtshof das Originalstück einer Verordnung Franks vor, die in dem »Verordnungsblatt des Generalgouvernements« für das Jahr 1943 veröffentlicht wurde. Sie trägt das Datum des 2. Oktober 1943 und wird von der Sowjetischen Delegation als USSR-335 vorgelegt. Der Gerichtshof wird das Dokument auf Seite 95 des Dokumentenbuches finden. Ich zitiere das Dokument vollständig:

[519] »Verordnung zur Bekämpfung von Angriffen gegen das deutsche Aufbauwerk im Generalgouvernement. Vom 2. Oktober 1943.

Auf Grund des § 5, Abs. 1 des Erlasses des Führers vom 12. Oktober 1939 (Reichsgesetzbl. I S. 2077) verordne ich bis auf weiteres:

§ 1.

(1) Nichtdeutsche, die in der Absicht, das deutsche Aufbauwerk im Generalgouvernement zu hindern oder zu stören, gegen Gesetze, Verordnungen oder behördliche Anordnungen und Verfügungen verstoßen, sind mit dem Tode zu bestrafen.(2) Abs. 1 gilt nicht für Angehörige der mit dem Großdeutschen Reich verbündeten oder nicht mit ihm im Kriege befindlichen Staaten.

§ 2.

Der Anstifter und der Gehilfe werden wie der Täter, die versuchte Tat wird wie die vollendete Tat bestraft.

§ 3.

(1) Zuständig für die Aburteilung sind die Standgerichte der Sicherheitspolizei.

(2) Aus besonderen Gründen können die Standgerichte der Sicherheitspolizei die Sache an die deutsche Staatsanwaltschaft abgeben.

§ 4.

Die Standgerichte der Sicherheitspolizei setzen sich zusammen aus einem SS-Führer der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes sowie aus zwei Angehörigen dieser Dienststelle.

§ 5.

(1) Schriftlich festzuhalten sind

1. die Namen der Richter,

2. die Namen der Verurteilten,

3. die Beweismittel, auf welche die Verurteilung gestützt wird,

4. die Straftat,

5. der Tag der Verurteilung,

6. der Tag der Vollstreckung.

(2) Im übrigen bestimmt das Standgericht der Sicherheitspolizei sein Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen.

§ 6.

Die Urteile der Standgerichte der Sicherheitspolizei sind sofort vollstreckbar.

[520] § 7.

Soweit sich ein Verbrechen nach den §§ 1 und 2 dieser Verordnung zugleich als ein anderes im Standgerichtsverfahren abzuurteilendes Verbre chen darstellt, sind nur die Verfahrensvorschriften dieser Verordnung anzuwenden.

§ 8.

Diese Verordnung tritt am 10. Oktober 1943 in Kraft.

Krakau, den 2. Oktober 1943. Der Generalgouverneur. Frank.«

Demnach war die Todesstrafe die einzige Strafe, die nach Paragraph 1(1) dieser Verordnung praktisch für jede Handlung eines »Nichtdeutschen« auszusprechen war. Es war einerlei, ob eine solche Handlung von den deutschen Herren als eine Verletzung der Gesetze oder als eine Übertretung von Verwaltungsvorschriften angesehen wurde.

Die gleiche Strafe war für jeden Versuch analoger strafbarer Handlungen aufzuerlegen. Die Polizei konnte demnach jede Handlung oder Aussage des Verdächtigen unter diese Rubrik bringen; Paragraph 2 der Verordnung.

Der Angeklagte war aller verfahrensrechtlichen Rechte und Sicherheiten beraubt. Das Dokument, das gemäß Paragraph 5 das Gerichtsurteil ersetzen sollte, verfolgte, wie es aus den schriftlich festgelegten Fragen ersichtlich ist, lediglich den Zweck, die einzelnen Strafsachen des Standgerichts zu registrieren, nicht aber den, eine rechtliche Begründung für Schuld und Strafe zu entwickeln.

Jede Berufung an höhere Behörden und jede Aufhebung eines Urteils war ausgeschlossen. Das Urteil war sofort zu vollstrecken.

Und schließlich war das »gerichtliche Verfahren« selbst, das auf Grund der »Verordnung« von Frank eingesetzt wurde, nichts anderes als eine Verhöhnung der Justiz. Das Gericht – und es scheint mir, daß das Wort »Gericht« unter Anführungszeichen stehen sollte – bestand aus drei Beamten der Sicherheitspolizei, die ständig auf den Straßen der polnischen Städte unschuldige Menschen verhafteten und die Massenerschießungen von Geiseln anordneten.

Wie gerechtfertigt die Schlußfolgerungen sind, die von mir auf der Grundlage der früher erwähnten Dokumente gemacht wurden, werden Sie aus dem Text eines anderen Dokuments ersehen, das dem Gerichtshof als Beweisstück USSR-332 vorgelegt wurde. Das Original des Protokolls über das Verhör des Anwalts Stefan Korbonski liegt dem Gerichtshof vor. Es ist eine von der Polnischen Delegation beglaubigte Übersetzung des Dokuments in die russische Sprache. Stefan Korbonski lebt in Warschau und, soweit ich von der Polnischen Delegation erfahre, kann der Gerichtshof Korbonski zum Kreuzverhör nach Nürnberg bringen, falls dies gewünscht wird.

[521] Ich werde mir erlauben, mit meinen eigenen Worten den einleitenden Teil dieses Dokuments darzulegen. Nachdem der Rechtsanwalt Stefan Korbonski am 31. Oktober 1945 in Warschau vereidigt worden war, sagte er im ersten Absatz des Protokolls aus, daß er zu den Leitern der Widerstandsbewegung der polnischen Bevölkerung gegen die deutschen Besatzungstruppen gehört habe. Im zweiten Teil des Protokolls, der Gerichtshof wird dieses Zitat auf den Seiten 98 bis 102 im Dokumentenbuch finden, erwähnt Korbonski genau die gleichen Verordnungen Franks, die ich soeben verlesen habe.

In Punkt 1 des Protokolls sagt er aus, daß die Deutschen Anfang Oktober 1943 an die Wände der Häuser in Warschau und in anderen Städten des Generalgouvernements Plakate mit der Verordnung aufgeklebt haben, die ich eben zitiert habe. Ich lasse den ganzen ersten Teil im Dokumentenbuch aus und verlese von Seite 99 des Dokumentenbuches. Ich werde dieses Protokoll bis zum Schluß verlesen, denn ich bin der Ansicht, daß diese Aussage sehr charakteristisch ist. Ich beginne zu verlesen:

»Bald nach der Veröffentlichung dieses Erlasses und unabhängig von der sich immer vergrößernden Zahl der Hinrichtungen, die von den Deutschen heimlich im Warschauer Ghetto und im Warschauer sogenannten ›Paviac‹-Gefängnis durchgeführt wurden, begannen sie nunmehr mit den öffentlichen Hinrichtungen, das heißt, sie erschossen ganze Gruppen von Polen, die jedesmal zwischen 20 und 200 Personen umfaßten.

Diese öffentlichen Hinrichtungen fanden in verschiedenen Bezirken der Stadt statt, auf Straßen, die für den öffentlichen Verkehr zur Verfügung standen und die dann von der Gestapo umzingelt wurden, bevor die Hinrichtung stattfand. Auf diese Weise sollte die polnische Bevölkerung den Hinrichtungen von der Straße oder von den Fenstern der Nachbarhäuser zusehen oder sich hinter der Umzingelung der Gestapo aufstellen.

Bei diesen Hinrichtungen erschossen die Deutschen sowohl Personen aus dem ›Paviac‹-Gefängnis, in das die auf den Straßen infolge von Razzien Festgenommenen eingeliefert waren, oder solche Personen, die bei gleicher Gelegenheit verhaftet worden waren, als schließlich auch Menschen, die unmittelbar vor der Hinrichtung aufgegriffen worden waren. Die Zahl dieser öffentlichen Hinrichtungen und auch die Zahl der Menschen, die bei jeder Hinrichtung erschossen wurden, vergrößerte sich, bis sie 200 Menschen erreichte, die bei jeder Hinrichtung zu erschießen waren. Die Hinrichtungen dauerten bis zum Beginn des Warschauer Aufstandes.

[522] Zuerst brachten die Deutschen die Polen in geschlossenen Lastkraftwagen zum Hinrichtungsplatz. Die Polen waren in Zivilkleidung; manchmal waren ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Aber wenn die hinzurichtenden Opfer zu dem Hinrichtungsplatz gebracht wurden, dann riefen sie: ›Nieder mit Hitler! – Es lebe Polen! – Nie der mit den Deutschen!‹ und ähnliche Dinge. Die Deutschen haben dann versucht, diese Störungen dadurch einzuschränken, daß sie den Mund der Opfer mit Zement anfüllten oder ihre Lippen mit Pflaster zuklebten. Aus dem Gefängnis von Warschau wurden die Häftlinge in Kleidern oder Hemden zum Hinrichtungsplatz geführt, die aus Papier hergestellt waren.

Von unserer Untergrundorganisation und unseren Agenten, die in dem ›Paviac‹-Gefängnis arbeiteten, erhielt ich des öfteren Nachricht, daß die Deutschen vor den Hinrichtungen zuweilen Operationen an den Verurteilten ausführten. Sie zapften ihnen Blut ab und spritzten ihnen verschiedene chemische Substanzen ein, damit sie physisch geschwächt wurden und dadurch alle Fluchtversuche und jeder Widerstand unmöglich gemacht wurden.

Aus diesem Grunde waren die Verurteilten auf dem Wege zur Hinrichtungsstelle blaß, schwach und apathisch und konnten kaum auf den Füßen stehen. Trotzdem benahmen sie sich heldenhaft und baten nie um Gnade.

Die Leichen der Erschossenen wurden von anderen Häftlingen auf Lastautos geladen und in das frühere Ghetto gebracht, wo sie gewöhnlich auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Die Häftlinge, deren Aufgabe es war, die Leichen zu befördern und zu verbrennen, stammten hauptsächlich aus dem ›Paviac‹-Gefängnis und waren ständig für diese Arbeit bestimmt.

Die polnische Bevölkerung streute sofort Blumen auf die Blutflecken, die nach der Hinrichtung zurückblieben. Sie stellten brennende Kerzen auf die Stelle, wo die Leichen der Erschossenen gelegen hatten und stellten Kreuze und Ikonen an den Häuserwänden auf. Während der Nacht fertigten die Mitglieder der polnischen Untergrundbewegung Aufschriften mit folgendem Inhalt an: ›Ruhm sei den Helden, Ruhm für die, die für das Vaterland gestorben sind‹ usw.

Wenn die Deutschen diese Anschriften bemerkten, so nahmen sie jeden fest, der an dieser Stelle stand und warfen ihn in das ›Paviac‹-Gefängnis. Manchmal erschossen die Deutschen kleine Gruppen von Menschen, die an den Plätzen, an denen die Exekutionen stattgefunden hatten, auf den Knien lagen, wie zum Beispiel auf der Senatorenstraße, wo [523] verschiedene Menschen getötet und außerdem einige verwundet wurden.

Nach jeder öffentlichen Hinrichtung hingen die Deutschen in der Stadt an den Wänden der Häuser Plakate auf, die die Liste der Namen der Erschossenen enthielten. Darunter befanden sich Listen von Geiseln, die erschossen werden sollten, falls die deutschen Befehle nicht ausgeführt würden.

In Warschau allein haben die Deutschen bei öffentlichen Hinrichtungen mehrere tausend Polen erschossen; ohne die Opfer zu zählen, die in anderen Städten erschossen wurden. Im Krakauer Gebiet haben die Deutschen ebenfalls mehrere tau send Menschen erschossen.«

Das war die Art und Weise, wie die dem Gerichtshof früher vorgelegte Verordnung von Hans Frank durchgeführt wurde. Die Aussage von Korbonski macht es verständlich, warum wir im Tagebuch von Hans Frank am 16. Dezember 1943 eine Notiz finden...

VORSITZENDER: Sollte es nicht 1942 heißen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vom 16. Dezember 1943, Herr Vorsitzender; ich werde es jedoch sofort prüfen.


VORSITZENDER: In unserem Dokument heißt es 1942.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, es scheint mir, als ob in dem Ihnen vorliegenden Text die Übersetzer ein falsches Datum eingesetzt haben; hier steht das Datum des 16. Dezember 1943; damals fand in Krakau die Sitzung statt, von der die Rede ist. Ich werde jedenfalls nochmals vergleichen.


VORSITZENDER: In unserer Übersetzung des Dokuments steht das Datum des 16. Dezember 1942. Offensichtlich ist es an der einen oder an der anderen Stelle falsch.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Im Absatz 1 seiner Aussage erklärt Korbonski weiterhin, daß Anfang Dezember 1943 die Deutschen diese Plakate an die Wände der Häuser geklebt haben. Der Gerichtshof kann sich davon vergewissern, wenn er das Original der Aussage von Korbonski betrachtet.


VORSITZENDER: Ich sehe schon, es ist 1943. Der Anfang ist falsch übersetzt worden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, 1943. Darf ich fortfahren?


VORSITZENDER: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich danke Ihnen.

... über die Änderung der Hinrichtungsprozedur. Im polnischen Gebiet wurde zum ersten Male das Strafgesetzbuch in Kraft gesetzt, das Sonderrechte für die Herrenrasse und drakonische Maßnahmen [524] gegen die von den faschistischen »Herren« bereits als besiegt bezeichneten Völker einführte.

Der Bericht der Polnischen Regierung, der dem Internationalen Militärgerichtshof schon von meinen Kollegen als unwiderleglicher Beweis gemäß Artikel 21 des Statuts vorgelegt wurde, gibt einen kurzen Überblick über das Regime der Willkür und Gesetzlosigkeit, das im besetzten Polen unter dem Deckmantel einer Sondergesetzgebung herrschte.

Um diese Gesetze zu charakterisieren, werde ich mir erlauben, auf zwei kurze Auszüge aus dem Bericht der Polnischen Republik Bezug zu nehmen. Dieses Dokument ist dem Gerichtshof bereits von meinem Kollegen als Dokument USSR-93 vorgelegt worden.

Als erstes Zitat verlese ich aus dem Protokoll der Polnischen Republik die Stelle, die der Gerichtshof auf Seite 110, vierter Absatz von oben, betreffend »Germanisierung des Polnischen Rechts«, finden wird. Ich werde lediglich zwei Absätze aus diesem Abschnitt verlesen:

»Im Generalgouvernement wurde das Rechtswesen besonders durch den Erlaß vom 26. Oktober 1939 verändert. Er trägt die Unterschrift Franks (Anlage 2).

Polnische Gerichte wurden deutschen Gerichten, die im Generalgouvernement errichtet wurden, unterstellt. Ihre stark beschnittene Rechtsprechungsbefugnis wurde auf diejenigen Fälle beschränkt, für die deutsche Gerichte keine Kompetenz hatten.

Neue Rechtsprinzipien kamen zur Geltung. Strafen konnten nach ›dem Gefühl‹ verhängt werden, der Angeklagte war des Rechts beraubt, einen Verteidiger zu wählen und Rechtsmittel einzulegen.

Deutsche Gesetze wurden eingeführt, das polnische Recht wurde germanisiert.«

Ich lasse den ganzen folgenden Teil des Berichts aus und fahre mit meinem Zitat auf Seite 51 des russischen Textes fort, und zwar auf Seite 129 des Dokumentenbuches, im dritten Absatz des Textes. Die Überschrift lautet: »Justizmorde«. Ich zitiere nur einen kurzen Absatz daraus:

»Am 4. Dezember 1941 unterzeichneten Göring, Frick und Lammers einen schon oben angeführten Erlaß, der alle Polen und Juden in den eingegliederten polnischen Gebieten als außerhalb des Gesetzes stehend erklärte. Der Erlaß machte aus den Polen und Juden eine andersartige und zweitklassige Gruppe von Staatsbürgern. Das bedeutete, daß Polen und Juden verpflichtet waren, dem Reich bedingungslos zu gehorchen, auf der anderen Seite jedoch als Bürger zweiter [525] Klasse kein Anrecht auf Schutz hatten, den das Gesetz den anderen gewährte.«

Ich lasse wieder einen Absatz aus und zitiere weiter aus dem Teil, der über die Anwendung von Todesstrafen spricht. Er beginnt wie folgt:

»Die Todesstrafe konnte auch in den folgenden Fällen ausgesprochen werden:

1) Für Entfernung oder öffentliche Beschädigung von Plakaten, die von deutschen Behörden ausgehängt wurden,

2) für Gewalthandlungen gegenüber Angehörigen der Deutschen Wehrmacht,

3) für Angriffe auf die Würde des Reiches oder Schädigung seiner Interessen,

4) für Beschädigung von Eigentum, das von den deutschen Behörden benutzt wird,

5) für Beschädigung von Gegenständen, die für öffentliche Arbeiten oder die öffentliche Ordnung bestimmt sind,

6) für Veranlassung von Ungehorsam gegenüber den Anordnungen deutscher Behörden, und für verschiedene andere Fälle, die gewöhnlich nur höchstens eine Verurteilung zu kurzfristiger Gefängnisstrafe rechtfertigen würden.«

Ich lasse wieder einen Teil aus und werde mein Zitat auf folgendes beschränken:

»Keinem Polen – so lautete die offizielle Nazi-Anordnung – ist es erlaubt, sich einer deutschen Frau zu nähern, damit das edle Blut des Herrenvolkes nicht geschändet werde. Diejenigen, die es zu tun wagten, oder es auch nur zu tun versuchten, sahen sich unweigerlich dem Tode gegenüber.

Aber es war nicht nur das Gericht, das deutsche Gericht, das dazu berufen war, in diesen Fällen das Urteil zu fällen. Es wurde für unbedingt überflüssig befunden, Prozesse zu veranstalten, ein gewöhnlicher Befehl der Polizei genügte, um Menschen ihres Lebens zu berauben.«

Ich beende jetzt das Zitat und gehe zu dem über, was im Bericht der Tschechischen Regierung meines Erachtens richtig als »richterlicher Terror der deutschen Faschisten in der Tschechoslowakei« bezeichnet wird. In diesem Lande können wir systematisch die immer mehr zunehmende Zerstörung der allgemeinen Moral und der Rechtsgrundsätze von seiten der Nazis beobachten.

Im Bericht der Tschechoslowakischen Regierung, der dem Gerichtshof von meinem Kollegen bereits als Dokument USSR-60 überreicht wurde, ist dieser Prozeß ausführlich beschrieben worden, angefangen von den sogenannten »Volksgerichten« bis zur Einrichtung der sogenannten »Standgerichte«. Ich weiß nicht, wie man [526] dieses Wort übersetzen soll, deshalb werde ich überall das deutsche Wort »Standgerichte« gebrauchen. Sie sind uns bereits auf Grund des polnischen Bildes über die nazistische Willkürherrschaft bekannt.

Dieser Prozeß des Verfalls oder besser gesagt, des Zusammenbruchs des ganzen Rechtssystems unter der faschistischen Herrschaft, ist in dem Bericht sehr ausführlich erörtert worden. Daher will ich mich auf ganz kurze Zitate beschränken. Ich beginne mit dem Zitat auf Seite 162 des Dokumentenbuches, wo im letzten Absatz steht:

»Die Ermächtigung zur Verhängung des zivilen Ausnahmezustandes wurde bereits am 28. September 1941 angewandt. Durch die von Heydrich unterzeichnete Bestimmung vom gleichen Tage wurde der zivile Ausnahmezustand für die Gebiete des Oberlandrats Prag, und wenige Tage später in den meisten der übrigen Teile des ›Protektorats‹ verhängt. Die ›Standgerichte‹, die gleichzeitig ein gesetzt wurden und während der ganzen Zeit tätig waren, verhängten 778 Todesurteile (die alle vollstreckt wurden) und überantworteten über 1000 Personen der Gestapo, das heißt den Konzentrationslagern.«

Ich lasse den Schluß des letzten Absatzes aus und zitiere den nächsten Absatz:

»Die einzigen Bestimmungen über die Einrichtung, Zusammensetzung und das Prozeßverfahren des ›Standgerichts‹ sind in dem Erlaß vom 27. September 1941 zu finden.«

Ich lasse den Rest des Absatzes aus und fahre auf Seite 163 des Dokumentenbuches, Absatz 5, fort:

»Auch wird in dem Erlaß nicht festgelegt, wem das Amt des Richters in diesen ›Standgerichten‹ übertragen werden kann, ob Berufs- oder Laienrichter einzusetzen sind, ob die Urteile von einem Kollegialgericht oder einem Einzelrichter zu erlassen sind. In dem Erlaß heißt es lediglich: ›Standgerichte‹ werden vom Reichsprotektor eingesetzt werden. Er wählt die Personen aus, die die Tätigkeit eines Richters ausüben sollten.«

Ich lasse den nächsten Absatz aus und fahre mit dem letzten Absatz auf Seite 163 des Dokumentenbuches fort:

»Nach den bis jetzt zu unserer Verfügung stehenden Informationen waren die Richter in diesen Standgerichten nur in Ausnahmefällen Berufsrichter.

Die größte Bedeutung hatte die Parteizugehörigkeit. Dies ist die Grund, warum Richter fast ausnahmslos Parteimitglieder und die meisten von ihnen Amtswalter der NSDAP oder einer der verschiedenen anderen Nazi-Organisationen waren, d.h. also Männer, die mit einigen Ausnahmen nicht die geringste Kenntnis des Gesetzes hatten oder wußten, wie Strafprozesse zu führen waren.«

[527] Ich lasse die nächsten Auszüge aus und fahre auf Seite 166 im Dokumentenbuch fort, am Anfang des letzten Absatzes; dann gehe ich auf Seite 167 über:

»Standgerichte wurden niemals öffentlich geführt... Da die Öffentlichkeit nicht zu den Verhandlungen der Standgerichte zugelassen wurde, wurde das Gefühl der Unsicherheit unter den herrschenden Gesetzen verstärkt.

Eine Berufung gegen die Urteile, die von den Standgerichten verhängt wurden, gab es nicht.

Die Protokolle einer Verhandlung vor den Standgerichten enthielten nichts als die Namen der Richter, der Angeklagten und der Zeugen, sowie die Anführung des Verbrechens und das Datum, an dem das Urteil verhängt wurde. (Abschnitt 4, Paragraph 2 der Verfügung.) Maßregeln, die nur solche unvollständigen Protokolle vorsehen, ja sie direkt vorschreiben, können nur den einen Zweck haben: alle Kontrolle durch Verheimlichung alles dessen, was während der Verhandlung geschah, zu verhindern, um so alle Spuren dieser Vorgänge auszulöschen.

Nach Abschnitt 4, Paragraph 1 der Anweisung, können Standgerichte nur Todesurteile verhängen oder den Angeklagten der Geheimen Staatspolizei überantworten.«

Ich lasse die nächsten Absätze aus, die allgemeine Kommentare enthalten und fahre mit dem Zitat auf Seite 168, erster Absatz, fort:

»Urteile, die vom Standgericht verhängt werden, müssen sofort vollstreckt werden. (Teil 4, Paragraph 3 der Verordnung.)

Viele Beispiele haben gezeigt, daß diese brutale nationalsozialistische Gesetzgebung niemals in milderer Form zur Ausführung gelangte. Zum Schluß der sogenannten Verhandlung bleibt es den Richtern überlassen, zu entscheiden, ob der Verurteilte erschossen oder aufgehängt werden sollte. (Abschnitt 4, Paragraph 3 der Verordnung.)

Nicht einmal ein kurzer Aufschub ist dem Verurteilten gegönnt, um sich auf den Tod vorzubereiten. Eine Begnadigung wird in der Verfügung nicht in Betracht gezogen. Auf jeden Fall wurde sie durch die brutale Eile, mit der das Urteil vollstreckt wurde, unmöglich gemacht.«

Ich beende diesen Auszug und gleichzeitig den ganzen Abschnitt, der der terroristischen Gesetzgebung seitens der Hitleristen in der Tschechoslowakei, gewidmet ist, und fahre auf Seite 169 des Dokumentenbuches, Zeile 4 von oben, fort. Dort heißt es:

»Es ist ganz offensichtlich, daß die Standgerichte kein einziges jener Merkmale aufwiesen, die nach allgemeiner Meinung ein Gericht haben muß, und daß die Verhandlungen vor diesen Standgerichten in Wirklichkeit gegen alle Grundsätze [528] verstießen, die in der Gesetzgebung aller zivilisierten Länder verankert sind. Die Standgerichte können nicht als Gerichte bezeichnet werden, und ihre Verhandlungen können nicht als ordentliche Prozesse oder Entscheidungen bezeichnet werden. Ich glaube, die zutreffende Bezeichnung würde sein ›Verdikt‹.

Hinrichtungen, die in Vollstreckung des Verdikts der Standgerichte ausgeführt wurden, unterscheiden sich in nichts von Hinrichtungen ohne jede Verhandlung. Sie müssen als Morde betrachtet werden.

Es ist unmöglich, in den Bestimmungen, die die Verfahrensweise der Standgerichte festsetzen, auch nur die geringste Spur von Menschlichkeit zu finden. Zum Beispiel gibt die Vorschrift, die die unmittelbare Hinrichtung vorschreibt, dem Verurteilten tatsächlich keine Zeit, sich auf den Tod vorzubereiten. Sie ist, ebenso wie die ganze Institution der ›Standgerichte‹ eine Form der Grausamkeit, die nur das Ziel hat, die Bevölkerung zu terrorisieren.«

Ich beende damit das Zitat und möchte bemerken, daß die Einrichtung der Standgerichte als solche die Polizeigerichte weder widerrief noch ausschloß. Diese fällten ihre Entscheidungen im Wege eines Verfahrens, das dem ähnlich war, das Frank in Polen ins Leben gerufen hatte. Ich glaube, daß alle Gesetze und Erlasse, die ich eben zitiert habe, beweisen, daß die Hitleristen versuchten, die Gesetzgebung, die berufen ist, Verbrechen zu bestrafen, so zu gestalten, daß durch sie selbst Verbrechen begangen wurden. Allein aus diesem Grunde haben sie ihre Gesetze gemacht.

Hoher Gerichtshof! Ich gehe nun zu den terroristischen Gesetzen und Anweisungen der Nazi-Verbrecher über, die gegen die friedlichen Bürger der Sowjetunion gerichtet waren.

Als die deutsche faschistische Räuberbande den verbrecherischen Krieg gegen die USSR begann, empfand sie sogar diese zur besonderen Rechtfertigung ihrer Verbrechen geschaffenen Gesetze und Rechtsgrundsätze als nicht mehr ausreichend.

Zum größten Teil sind diese Dokumente dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden. Ich werde mich auf einige sehr kurze Zitate beschränken.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich drei Zeilen aus einem Dokument vorlesen, das bereits früher vorgelegt wurde. Ich spreche von Dokument L-221, das die Amerikanische Anklagebehörde dem Gerichtshof überreicht hat.

Es handelt sich um die brüske Antwort, die Hitler an Göring gelegentlich der Sitzung vom 16. Juli 1941 gegeben hat. Der Gerichtshof wird die Stelle auf Seite 189, erster Absatz, erste Zeile finden.

VORSITZENDER: Dieses Dokument ist schon verlesen worden.

[529] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, ich möchte mir erlauben, daraus lediglich drei Zeilen zu zitieren.


VORSITZENDER: Lesen Sie ruhig weiter! – aber ich glaube, daß der Rest der Seite, die Sie lesen, nur Kommentar ist, und Sie könnten zum nächsten Dokument übergehen. Lesen Sie diese drei Zeilen, dann glaube ich, werden Sie finden...


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Es ist nicht ganz so. Ich werde die drei Zeilen zitieren:

Hitler sagte:

»Der Riesenraum müsse natürlich so rasch wie möglich befriedet werden...«

Ich zitiere den nächsten Satz. Hitler sagte:

... »dies geschehe am besten dadurch, daß man jeden, der nur schief schaue, totschieße.«

Ich habe dies angeführt, weil es das Leitmotiv ist, das sich in allen Weisungen und Befehlen der Hitleristen wiederfindet.

VORSITZENDER: Was ich Ihnen vorschlage, ist, den Rest der Seite gemäß unserer Übersetzung nicht zu verlesen, da es unnötig ist, und sofort lieber auf die Anordnung Keitels vom 16. September 1941 überzugehen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gewiß, Herr Vorsitzender. Darf Ich fortfahren?


VORSITZENDER: Fahren Sie fort!


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich zitiere eine Anweisung von Keitel, die dem Gerichtshof von der Amerikanischen Anklagebehörde als Dokument C-148, US-555 vorgelegt wurde. Ich zitiere dieselbe von der Seite 190, Paragraph 3, Punkt b, vierte Zeile:

»... Dabei ist zu bedenken, daß ein Menschenleben in den betroffenen Ländern vielfach nichts gilt und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann.«

Ich will dem Gerichtshof eine Photokopie des Dokuments vorlegen, das bereits unter 459-PS vorgelegt wurde. Ich will keine einzige Zeile hieraus zitieren, doch möchte ich den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß Abschnitt 6 dieses Dokuments erwähnt, daß alle Widerstände nicht durch die gerichtliche Bestrafung der Schuldigen gebrochen werden, sondern, wenn die Besatzungsbehörden Erfolg haben wollen, ein solcher Schrecken unter der Bevölkerung verbreitet werden muß, der geeignet ist, wie es in der Verfügung heißt, »der Bevölkerung jede Lust zur Widersetzlichkeit zu nehmen«.

Ich möchte dies durch ein kurzes Zitat von zwei Zeilen aus der Verfügung des Kommandeurs der 6. Armee, Generalfeldmarschall [530] von Reichenau, bestätigen, die bereits von meinem Kollegen dem Gerichtshof als Beweisstück unter USSR-12 vorgelegt wurde. Der Gerichtshof findet sie auf Seite 194 im Dokumentenbuch, und zwar auf Zeile 19 von oben.

»Die Furcht vor den deutschen Gegenmaßnahmen muß stärker sein als die Drohung seitens der umherirrenden bolschewistischen Überreste.«

Ich wollte ein Dokument in das Protokoll verlesen, das den Stempel der pseudo-legalen Lehre des Hans Frank trägt und das so charakteristisch für seine Verfügungen und Verordnungen ist. Dieses Dokument ist dem Gerichtshof jedoch bereits vorgelegt worden, und ich möchte Ihre Aufmerksamkeit für Dokumente, die bereits vorgelegt wurden, nicht in Anspruch nehmen. Ich beziehe mich auf das Rundschreiben des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Nummer 567/42-176 vom 5. November 1942. Dieses Dokument ist bereits von meinem amerikanischen Kollegen als Beweisstück L-316 vorgelegt worden. Ich möchte den Gerichtshof nur daran erinnern, daß dieses Dokument darlegt, daß sogar die Prinzipien, nach denen die Handlungen von Nichtdeutschen beurteilt werden, andere zu sein haben. Alle Tätigkeiten von Nichtdeutschen sollen nicht vom Standpunkt des Rechts, sondern ausschließlich vom Standpunkt einer Prävention aus beurteilt werden. Ich glaube, daß dieses Dokument dem Gerichtshof wohlbekannt ist, weshalb ich es nicht verlesen möchte.

Auf diese Weise wurde die Zivilbevölkerung in jenen Gebieten der besetzten Länder, in denen die SS den eindringenden Truppen folgte, der Willkür der besonders ausgebildeten, bestialischen Vertreter der deutsch-faschistischen Polizei ausgeliefert.

Ich möchte, indem ich eine Photokopie des Dokuments überreiche, das dem Gerichtshof bereits unter 447-PS vorgelegt wurde, nur eine Zeile aus diesem Dokument zitieren. Der Gerichtshof findet sie auf Seite 197, Absatz 5, unter der Überschrift: »Der Operationsbereich«. Es ist dort ausgeführt, daß der Reichsführer-SS besondere Vollmachten erhielt, nämlich:

»Im Rahmen dieser Aufgaben handelt der Reichsführer-SS selbständig und in eigener Verantwortung.«

Es ist wohlbekannt, was der Reichsführer-SS wirklich war. Von vielen Erklärungen Himmlers möchte ich mich nur auf ein einziges Zitat beschränken, das ganz charakteristisch für eine leitende Verlegung ist, die an die verantwortlichen Stellen der SS die Himmler untergeben waren, gerichtet war.

Bei einer SS-Gruppenführertagung in Posen, am 4. Oktober 1943, sagte Himmler, dieses Dokument wurde dem Gerichtshof von der Amerikanischen Anklagebehörde als Dokument 1919-PS vorgelegt und am 19. Dezember 1945 in das Gerichtsprotokoll verlesen. Ich [531] möchte nur sechs Zeilen auf Seite 23 der Photokopie des Dokuments verlesen. Der Gerichtshof wird dieses Dokument auf Seite 201 des Dokumentenbuches finden. Dort steht ein kurzes Zitat.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß, falls ein Dokument bereits verlesen wurde, es nicht nochmals verlesen werden sollte.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich glaube, daß diese besondere Stelle nicht im Verhandlungsprotokoll enthalten ist. Das Dokument wurde am 19. Dezember 1945 als Dokument 1919-PS vorgelegt, doch wurde dieser besondere Auszug, den ich zitieren wollte, in dieser Sitzung nicht in das Protokoll verlesen. Es sind nur sechs Zeilen.


VORSITZENDER: Natürlich, wenn Sie das geprüft haben und das mit Sicherheit sagen können, dann können Sie es sicherlich verlesen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich sah das Gerichtsprotokoll durch, doch konnte ich es nicht finden. Ich glaube daher, daß es nicht in das Protokoll verlesen wurde. Ich werde mich buchstäblich auf sechs Zeilen beschränken. Im vorliegenden Fall handelt es sich wirklich nur um sechs Zeilen.


VORSITZENDER: Gut, zitieren Sie dann! Diese Unterbrechungen nehmen sehr viel Zeit in Anspruch.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich beginne mit dem Zitat:

»Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht. Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.«

Dem Gerichtshof wurde bereits ein Dokument vorgelegt, das beweist, daß die Gesetzgebung über Massenmorde und Ausrottung der friedlichen Bevölkerung der Sowjetunion, die vom Heer zum Zweck der Terrorisierung der Bevölkerung ausgeübt wurden, von Hitler und seiner Clique bereits am 13. Mai 1941 eingeführt wurde, also bereits mehr als einen Monat vor Kriegsbeginn. Ich spreche im vorliegenden Fall über die wohlbekannte Verfügung Keitels »über die Ausbeutung der militärischen Gerichtsbarkeit im Gebiete ›Barbarossa‹ und über besonders militärische Maßnahmen«.

Dieses Dokument wurde von der Amerikanischen Anklagebehörde am 7. Januar 1946 unter C-50 verlesen. Ich möchte dieses Dokument nicht zitieren, da ich glaube, daß es dem Gerichtshof wohlbekannt ist. Ich möchte jedoch den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß die Urkunde kategorisch jede Notwendigkeit [532] einer Feststellung der Schuld ablehnt; bloßer Verdacht genüge, um eine Todesstrafe zu verhängen. Amtlich wurde das verbrecherische System der Gruppenhaftung und der Repressalien gegenüber den Massen eingeführt. Weiterhin wurde ausgeführt, daß diejenigen, die »verdächtig waren«, in jedem Fall vernichtet werden müßten. Das ist ganz deutlich in Paragraph 5, Abschnitt 1 dieser Verfügung gesagt.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns jetzt am besten.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 7, S. 508-534.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon