Nachmittagssitzung.

[356] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wurde davon unterrichtet, daß sich der Zeuge Wielen, auf den man sich gestern berufen hatte, in einem Kriegsgefangenenlager oder im Gefängnis in der Nähe von London, in England, befindet und daß er deshalb in kürzester Zeit hierhergebracht werden kann, um verhört zu werden. Der Gerichtshof wünscht deshalb, daß die Verteidiger sich darüber schlüssig werden, ob sie Oberst Westhoff und diesen Mann Wielen hierher gebracht haben wollen, um sie während der Beweisführung der Anklagebehörde ins Kreuzverhör zu nehmen, oder ob sie es vorziehen, diese beiden Zeugen vorzuladen, wenn die Verteidiger ihren Fall vorbringen. Wie ich mit Bezug auf alle Zeugen schon erklärt habe, können diese nur einmal geladen werden.

Wenn sie im Verlauf des Anklagevortrages vernommen werden, dann müssen alle Angeklagten von ihrem Recht, die Zeugen zu befragen, zu diesem Zeitpunkt Gebrauch machen. Wenn andererseits die Verteidiger beschließen, die Zeugen während ihres eigenen Vortrages vorladen zu lassen, dann werden in gleicher Weise die Zeugen nur einmal vorgeladen, und das Recht, sie zu verhören, muß alsdann ausgeübt werden.

Ferner: Die Erklärung oder Aussage, die gestern vorgelegt und vom Gerichtshof als zulässig angesehen wurde, wird im Zuge des Vortrages der Anklagevertretung zu einem von dieser zu wählenden Zeitpunkt verlesen werden.


DR. NELTE: Herr Präsident! Ich bitte, darauf eine Erklärung erst nach Rücksprache mit meinen Verteidigerkollegen abgeben zu dürfen. Ich hoffe, daß das im Laufe des Nachmittags geschieht.


VORSITZENDER: Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie die anderen Verteidiger fragen, bevor Sie uns eine Antwort geben. Gut. Geben Sie uns Bescheid, wenn es Ihnen paßt. Bitte fahren Sie fort, Oberst Smirnow!


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, ich möchte jetzt den Zeugen vernehmen.


[Der Zeuge Rajzman betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE SAMUEL RAJZMAN: Rajzman Samuel.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: Ich schwöre hiermit vor Gott, dem Allmächtigen, daß ich vor diesem Gericht nichts als die Wahrheit sagen werde und nichts von dem, was ich weiß, verbergen werde, so wahr mir Gott helfe. Amen.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


[356] VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, was war Ihre Beschäftigung vor dem Kriege?


RAJZMAN: Vor dem Kriege war ich Bücherrevisor bei einer Exportfirma.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wann und unter welchen Umständen wurden Sie Haftung in Treblinka II?


RAJZMAN: Im August 1942 wurde ich im Warschauer Ghetto verhaftet.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie lange sind Sie in Treblinka geblieben?


RAJZMAN: Ich war in Treblinka ein Jahr, bis August 1943.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Also, dann wissen Sie über das Regime, das dort herrschte, sehr gut Bescheid?

RAJZMAN: Ja, ich weiß darüber gut Bescheid.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, dem Gerichtshof dieses Lager zu beschreiben.


RAJZMAN: Jeden Tag kamen dort Transporte an, 3, 4, 5 Züge, die ausschließlich mit Juden aus der Tschechoslowakei, Deutschland, Griechenland und Polen angefüllt waren. Sofort nach ihrer Ankunft mußten alle Leute innerhalb von 5 Minuten den Zug verlassen und auf dem Bahnsteig Aufstellung nehmen. Sie wurden aus den Zügen gejagt und in Gruppen eingeteilt, Frauen und Kinder zusammen und die Männer abgesondert. Alle mußten sich sofort nackt ausziehen. Dieses Auskleiden geschah unter den Peitschenhieben der deutschen Wache. Die Arbeiter, die dort beschäftigt waren, nahmen sofort die Kleider weg, um sie in die Baracken zu tragen. Die Menschen mußten durch die Straßen bis zur Gaskammer nackt gehen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte Sie fragen, wie dieser Weg zur Gaskammer von den Deutschen genannt wurde?


RAJZMAN: Diese Straße hieß »Himmelfahrtstraße«.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt »Der Weg zum Himmel«?


RAJZMAN: Ja. Wenn es den Gerichtshof interessiert, ich habe den Plan des Treblinka-Lagers gezeichnet, als ich dort war, und kann diese Straße auf dem Plane zeigen.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, einen Plan des Lagers vorzulegen, es sei denn, daß Sie es besonders wünschen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, ich bin derselben Ansicht, Herr Vorsitzender.

[357] Sagen Sie bitte, wie lange lebte ein Mensch, nachdem er in das Treblinka-Lager kam?


RAJZMAN: Die gesamte Prozedur des Ausziehens und der Weg zur Gaskammer dauerte für Männer 8 bis 10 und für Frauen etwa 15 Minuten. Für die Frauen hat es 15 Minuten gedauert, weil ihnen, bevor sie in die Gaskammer gingen, das Haar abgeschnitten wurde.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Warum hat man das Haar abgeschnitten?


RAJZMAN: Diese Haare wurden nach den Plänen der Herren bei der Herstellung von Matratzen für deutsche Frauen verwendet.


VORSITZENDER: Wollen Sie damit sagen, daß es nur einer Zeitspanne von 10 Minuten bedurfte, vom Augenblick an, als diese Menschen aus dem Zug kamen, bis sie zur Gaskammer gebracht wurden?


RAJZMAN: Bei Männern bin ich fest davon überzeugt, daß es nicht länger als 10 Minuten gedauert hat.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt, die Entkleidung eingeschlossen?


RAJZMAN: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, bitte, Herr Zeuge, sind die Menschen auf Lastwagen oder in Zügen nach Treblinka gebracht worden?


RAJZMAN: Hauptsächlich wurden sie in Zügen dorthin geschafft; aber die Juden aus den benachbarten Städten und Dörfern wurden auf Lastwagen dorthin gebracht. Die Lastwagen trugen die Aufschrift: »Expedition Speer«, und kamen aus den Städten Sakolova, Waingrowa und anderen Orten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, wie hat später die Bahnstation Treblinka ausgesehen?


RAJZMAN: Zu Anfang gab es noch gar keine Schilder auf dem Bahnhof, aber nach einigen Monaten hat der Lagerkommandant, ein gewisser Kurt Franz, eine erstklassige Station mit Schildern bauen lassen, und auch auf den Baracken, wo die Kleider aufbewahrt waren, wurden Aufschriften wie Kasse, Buffet, Lager, Telephon, Telegraph und so weiter angebracht. Es waren auch gedruckte Fahrpläne für die Züge von und nach Grodno, Suwalki, Wien, Berlin, vorhanden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Also verstehe ich Sie richtig, Herr Zeuge, daß die Station Treblinka nur einen Scheinbahnhof darstellte, in dem Fahrpläne und Hinweise auf sogenannte Bahnsteige zur Abfahrt verschiedener, Züge nach verschiedenen Städten wie Suwalki und so weiter vorhanden waren. Ist das richtig?


[358] RAJZMAN: Beim Verlassen des Zuges hatten die Leute wirklich den Eindruck, sich auf einer normalen Station zu befinden, von wo aus Züge nach anderen Städten wie Suwalki, Wien, Grodno und so fort weiterführen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Was geschah weiter mit den Leuten?


RAJZMAN: Diese Menschen wurden sofort durch die »Himmelfahrtstraße« in die Gaskammern geführt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, bitte, wie haben sich die Deutschen bei der Tötung der Leute in Treblinka betragen?


RAJZMAN: Wenn es sich um das Morden handelte, so hatte jede deutsche Wache ihre besondere Aufgabe. Ich führe nur ein Beispiel an: Da war ein Aufsichtsbeamter, Scharführer Menz, dessen Aufgabe bestand in der Aufsicht über das sogenannte Lazarett. In diesem Lazarett wurden alle schwachen Frauen und Kinder getötet, die keine Kraft mehr hatten, selbst in die Gaskammer zu gehen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vielleicht kann der Zeuge dem Gerichtshof beschreiben, wie das Lazarett aussah?


RAJZMAN: Es war der Teil eines Platzes, der von einem Holzzaun umgeben war. Dort wurden alle Frauen, alten Leute und kranken Kinder hineingeführt. Am Eingang zum Lazarett war eine große Fahne des Roten Kreuzes zu sehen. Menz, dessen besondere Aufgabe in der Tötung aller derjenigen bestand, die in dieses Lager geführt wurden, wollte diese Arbeit niemand anderem überlassen.

Es waren Hunderte von Leuten, die zu sehen und zu wissen wünschten, was mit ihnen geschehen sollte, aber er bestand darauf, die Arbeit selbst auszuführen. Ein Beispiel dafür, was mit den Kindern geschah: Aus dem Zug wurde ein zehnjähriges Mädchen mit seiner zweijährigen Schwester gebracht. Als das ältere Mädchen sah, daß ein Mann einen Revolver zog, um die kleine Schwester zu töten, fing es an zu weinen und fragte ihn mit weinender Stimme, warum er die Schwester töten wolle. Er hat die kleine Schwester nicht getötet, sondern sie lebend in den Ofen des Krematoriums geworfen, und dann hat er die ältere Schwester erschossen.

Noch ein Beispiel: Man führte eine ältere Frau mit ihrer Tochter herein.

Diese Frau war hochschwanger. Man führte sie ins Lazarett, legte sie aufs Gras und brachte einige Deutsche herein, damit diese bei der Geburt des Kindes anwesend seien. Dieses Schauspiel dauerte zwei Stunden. Als das Kind zur Welt kam, fragte Menz die Großmutter, das heißt die Mutter der Frau, wen sie zuerst tot sehen möchte. Die Großmutter bat, man solle sie zuerst töten. Aber man [359] hat natürlich den umgekehrten Weg eingeschlagen, nämlich das neugeborene Kind zuerst getötet, dann die Mutter des Kindes und dann die Großmutter.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, kennen Sie den Namen Kurt Franz?


RAJZMAN: Das war der stellvertretende Lagerkommandant, Stengels Stellvertreter und der größte Mörder des Lagers. Kurt Franz wurde zum Obersturmbannführer befördert, weil er im Januar 1943 bekanntgab, daß in Treblinka eine Million Juden getötet worden seien.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, Herr Zeuge, zu erzählen, wie Kurt Franz die Frau getötet hat, die sich als Schwester von Sigmund Freud ausgab? Entsinnen Sie sich dessen?


RAJZMAN: Das war so: Der Zug kam von Wien an. Ich stand damals auf dem Bahnsteig, als die Leute aus den Waggons geführt wurden. Eine ältere Frau trat auf Kurt Franz zu, zog einen Ausweis hervor und sagte, daß sie die Schwester von Sigmund Freud sei. Sie bat, man solle sie zu einer leichten Büroarbeit verwenden. Franz sah sich den Ausweis gründlich an und sagte, es sei wahrscheinlich ein Irrtum, führte sie zum Fahrplan und sagte, daß in zwei Stunden ein Zug nach Wien zurückgehe. Sie könne alle ihre Wertgegenstände und Dokumente hierlassen, ins Badehaus gehen, und nach dem Bad würden ihre Dokumente und ihr Fahrschein für sie nach Wien zur Verfügung stehen. Natürlich ist die Frau ins Badehaus gegangen, von wo sie niemals mehr zurückkehrte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, wie kam es, daß Sie selbst in Treblinka am Leben geblieben sind?


RAJZMAN: Ich stand schon nackt, um auf der »Himmelfahrtstraße« zur Gaskammer zu gehen. Mit einem Transport waren etwa 8000 Juden aus Warschau angekommen. Im letzten Augenblick, bevor wir auf die Straße traten, hat mich der Ingenieur Galeski bemerkt, ein Freund aus Warschau, den ich schon viele Jahre kannte. Er war Aufseher über die jüdischen Arbeiter. Er sagte mir, ich solle zurückkehren, da man einen Dolmetscher aus dem Hebräischen ins Französische, Russische, Polnische und Deutsche brauche. Und auf diese Weise gelang es ihm, mich anzustellen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt, Sie gehörten zum Arbeitskommando des Lagers?


RAJZMAN: Zu Anfang bestand meine Arbeit darin, die Kleider der Getöteten in die Waggons zurückzutragen. Nach zwei Tagen Lagertätigkeit brachte man aus der Stadt Waingrowa meine Mutter, meine Schwester und meine beiden Brüder.

Ich mußte zusehen, wie diese zur Gaskammer geführt wurden. Einige Tage später, als ich Kleider in die Waggons trug, fanden meine [360] Kollegen die Dokumente meiner Frau, die Photographie meiner Frau und meines Kindes. Das ist alles, was von meiner Familie übrig blieb. Nur eine Photographie.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, wieviele Menschen wurden täglich ins Lager Treblinka gebracht?


RAJZMAN: Von Juli bis Dezember 1942 hat man im Durchschnitt täglich drei Transporte von je 60 Wagen nach Treblinka gebracht. Im Jahre 1943 kamen die Transporte seltener an.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, wieviele Menschen wurden durchschnittlich in Treblinka täglich vernichtet?


RAJZMAN: Ich glaube, daß durchschnittlich in Treblinka 10 bis 12000 Menschen täglich umgebracht wurden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: In wievielen Gaskammern wurden die Tötungen vorgenommen?


RAJZMAN: Zu Anfang gab es nur drei Gaskammern, aber später wurden noch zehn gebaut. Es bestand der Plan, die Zahl der Gaskammern bis auf 25 zu erhöhen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Woher wissen Sie, daß der Plan bestand, die Zahl der Gaskammern auf 25 zu erhöhen?


RAJZMAN: Weil alles Baumaterial bereits auf dem Platze lag. Ich fragte wozu, da es keine Juden mehr gäbe. Darauf sagte man mir: »Nach euch kommen andere, und es wird noch viel Arbeit geben.«


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, wie wurde Treblinka noch genannt?


RAJZMAN: Als Treblinka sehr bekannt wurde, wurde ein riesiges Schild mit der Aufschrift Obermaidanek ausgehängt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Erklären Sie mir, bitte, was meinen Sie mit sehr bekannt?


RAJZMAN: Ich meine, daß die Leute, die in diesen Transporten ankamen, sehr bald erfuhren, daß diese Station kein eleganter Bahnhof, sondern ein Ort des Todes war.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, wozu wurde dieser Scheinbahnhof aufgebaut?


RAJZMAN: Nur, damit die Leute, die den Zug verließen, nicht nervös würden, und damit sie sich ruhig und ohne Zwischenfälle ausziehen sollten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wenn ich Sie richtig verstehe, war diese verbrecherische Maßnahme nur eine psychologische Fiktion, um im ersten Moment die Opfer zu beruhigen?


[361] RAJZMAN: Jawohl, das war ein ausgesprochen psychologischer Zweck.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Hat ein anderer Anklagevertreter eine Frage zu stellen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein.


VORSITZENDER: Wünscht einer der Verteidiger eine Frage zu stellen?


[Keine Antwort.]


VORSITZENDER: Dann kann sich der Zeuge zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte jetzt dem Gerichtshof noch einen kurzen Auszug aus einem Dokument vortragen, das aus amtlichen Beilagen zum Bericht der Polnischen Regierung stammt. Ich spreche von einer eidesstattlichen Aussage des...

VORSITZENDER: Oberst Smirnow, haben Sie noch weitere Zeugen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe noch einen Zeugen, und zwar für den letzten Punkt meines Vortrages. Zum letzten Abschnitt meines Vortrages möchte ich noch einen Zeugen vernehmen, und zwar den Erzdekan der Leningrader Kirchen, den Rektor des Leningrader Seminars und ständigen Dekan der Nikolai-Bogojawlienski-Kathedrale, Nikolai Loma kin.


VORSITZENDER: Jawohl, und es wird Ihnen möglich sein, die Aussagen dieses Zeugen heute entgegenzunehmen und auch Ihren Vortrag heute zu beenden. Stimmt das?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich möchte einen sehr kurzen Auszug aus dem Bericht des polnischen Untersuchungsrichters verlesen, der von mir dem Gerichtshof als USSR-340 bereits vorgelegt wurde. Ich verlese nur den Teil, der von dem Ausmaß der Greueltaten spricht. Im Bericht wird die Anzahl der Getöteten von Treblinka auf 781000 Menschen geschätzt. Es wird noch hinzugefügt, daß die vernommenen Zeugen bekunden, unter den Kleidern der Getöteten hätten sich auch englische Pässe und Diplome der Universität Cambridge befunden. Das bedeutet, daß die Opfer von Treblinka aus allen Ländern Europas hierher gebracht wurden.

Ich möchte weiter als Beweis die Aussagen von Wladislaw Bengasch, Ortsuntersuchungsrichter der Stadt Lodz, über die Existenz eines anderen Ortes der geheimen Menschenausrottung [362] anführen. Diese Aussagen wurden von Bengasch vor der Hauptuntersuchungskommission über die deutschen Greueltaten in Polen gemacht. Sie bilden ebenfalls einen offiziellen Anhang zum Bericht der polnischen Regierung. Ich möchte jetzt zwei kleine Auszüge aus diesem Dokument verlesen, die zeigen, welcher Art der geheime Hinrichtungsort Helmno unweit der Stadt Lodz war.

Ich bringe zwei Absätze, die die Herren Richter auf Seite 223, Rückseite ihres Dokumentenbuches, finden.

»Im Dorf Helmno stand ein unbewohntes Herrschaftshaus, das von einem alten Park umgeben war. Es war Staatseigentum. In der Nähe... war ein Fichtenwald. Dort gab es eine Schonung und dichte Büsche. In diesem Terrain bauten die Deutschen ein Vernichtungslager. Der Park war mit einem hohen Bretterzaun umgeben, so daß alle Vorkommnisse, die sich in der Villa und im Park abspielten, nicht beobachtet werden konnten. Die Dorfeinwohner von Helmno wurden entfernt.«

Ich beende damit das Zitat und gehe jetzt zur Seite 226 des Dokumentenbuches über, erster Absatz. Ich zitiere:

»Die Organisation der Menschenvernichtung war so schlau ausgeklügelt und durchgeführt, daß spätere Transporte bis zur letzten Minute nicht erraten konnten, welches das Schicksal der Leute war, die vorher angekommen waren. Die Abreise des ganzen Transportes, 1000 bis 2000 Menschen, aus dem Dorfe Sawadki in das Vernichtungslager und deren Vernichtung dauerte bis 14.00 Uhr. Die auf Lastwagen beförderten Juden, die dort ankamen, hielten vor der Villa. Zu den Angekommenen sprach ein Vertreter des Sonderkommandos, der versicherte, daß sie nach dem Osten zur Arbeit führen, wo sie gerecht behandelt und gut ernährt würden. Er erklärte auch, daß sie zuerst gebadet und die Kleidungsstücke desinfiziert werden müßten. Von dort aus wurden die angekommenen Juden in einen großen geheizten Saal der Villa gebracht. Der Saal befand sich im zweiten Stock. Dort zogen sich die Leute aus, und nur mit Unterwäsche bekleidet, nahmen sie auf dem Korridor Aufstellung. An den Wänden des Korridors befanden sich folgende Aufschriften: ›Zum Arzt‹, ›Zur Badeanstalt‹. Die Pfeile der Aufschrift ›Zur Badeanstalt‹ zeigten zum Ausgang. Hier beim Ausgang erklärte man den Juden, daß sie in einem geschlossenen Auto zur Badeanstalt fahren würden.

Vor der Türe der Villa stand ein großes Auto mit einer nach hinten zu öffnenden Tür. Dieses Auto stand so, daß die Leute, die aus der Villa herauskamen, mit Hilfe einer Leiter direkt in den Wagen stiegen. Das Tempo des Verladens war [363] sehr schnell. Im Korridor und bei dem Automobil standen Gendarme, die mit Schlägen und Geschrei die Juden zur eiligen Abfahrt antrieben. Auf diese Weise wurde jede Abwehr unmöglich gemacht. Nachdem alle Juden sich im Auto befanden, wurde die Tür sorgfältig geschlossen und der Motor angelassen, so daß die Menschen im Innern des Wagens durch die Auspuffgase vernichtet wurden.«

Ich glaube, es ist nicht nötig, den Teil des Berichts anzuführen, der bestätigt, daß dieses Auto der bekannte »Seelentöter« war, von dem der Gerichtshof bereits unterrichtet ist.

Ich zitiere jetzt einen Satz von Seite 10, Absatz 3 des Dokuments:

»Insgesamt muß die Mindestzahl der in Helmno umgebrachten Opfer, Männer, Frauen und Kinder, von Neugeborenen angefangen bis zu den Greisen, auf 340000 geschätzt werden.«

Ich glaube, daß ich damit diesen Teil meines Vortrages, der sich mit den geheimen Vernichtungsplätzen befaßte, beenden kann. Ich gehe jetzt zu dem Teil meines Berichts über, der die Verfolgung der Religion betrifft. In der Sowjetunion, wie auch in allen anderen besetzten Ländern von Osteuropa, haben die deutschen faschistischen Verbrecher sich selbst durch die Verhöhnung der religiösen Gefühle der Völker entehrt, indem sie Priester jeden Glaubens verfolgten und töteten.

Ich führe kurze Zitate an, die dies beweisen, und die aus den Berichten der entsprechenden Regierungen stammen. Sie finden dies auf Seite 70 des russischen Textes, die der Seite 80 Ihres Dokumentenbuches entspricht. Wir finden dort die Beschreibung der Unterdrückung durch die deutsch-faschistischen Verbrecher der tschechisch-orthodoxen Kirche. Ich zitiere nur einen Absatz:

»Der schlimmste Schlag wurde der tschechisch-or thodoxen Kirche versetzt. Den orthodoxen Kirchen der Tschechoslowakei wurde von dem Berliner Kirchenministerium befohlen, aus der Diözese von Belgrad und Konstantinopel auszutreten und der Berliner Kirche beizutreten. Der tschechische Bischof Gorasd und zwei andere Priester wurden hingerichtet. Auf besondere Anordnung des Protektors Daluege vom September 1942 wurde die orthodoxe Kirche, die der Gerichtsbarkeit der Kirchen von Serbien und Konstantinopel angehörte, auf tschechischem Boden aufgelöst. Auf religiösen Gottesdienste wurden verboten und das Eigentum wurde beschlagnahmt.«

Auf Seite 69 dieses Berichts, die der Seite 79 des Urkundenbuches, letzter Absatz, entspricht, finden wir eine Beschreibung der Verfolgung der tschechischen Nationalkirche. Sie wurde von deutschen Faschisten wegen ihres Namens, wegen ihrer Sympathie zur [364] Hussitenbewegung und zur Demokratie und wegen der Rolle verfolgt, die sie bei der Gründung der Tschechoslowakischen Republik spielte.

Die tschechoslowakische Kirche in der Slowakei wurde durch ein Gesetz im Jahre 1940 vollständig verboten und ihr Eigentum von den Deutschen beschlagnahmt. Die protestantische Kirche in der Tschechoslowakei wurde ebenfalls verfolgt.

Dieser Auszug ist auf Seite 80 des Urkundenbuches, Absatz 2, zu finden.

Ich beginne:

»Die protestantischen Kirchen verloren die Freiheit der Evangelienverkündung. Die Gestapo bewachte die Geistlichkeit aufs schärfste, um festzustellen, ob die auferlegten Beschränkungen befolgt wurden. Die Nazizensur unterdrückte sogar Hymnen, welche Gott für die Befreiung des Volkes aus Feindeshand lobten. Manche Stellen aus der Bibel durften in der Öffentlichkeit überhaupt nicht gelesen werden. Die Nazis widersetzten sich der Verlesung mancher Lehren der christlichen Kirche von der Kanzel, wie zum Beispiel jenem von der Gleichheit der Menschen vor Gott, von dem universellen Charakter der christlichen Kirche, von der jüdischen Herkunft des Evangeliums usw. Hinweise auf Hus, ?iška, die Hussiten und ihre Errungenschaften, sowie auf Masaryk und seine Lehren wurden strengstens verboten. Sogar Religionsbücher wurden abgeschafft. Kirchenführer wurden besonders verfolgt; viele Priester wurden in Konzentrationslager gesperrt, darunter der Präsident der Christlichen Studentenbewegung in der Tschechoslowakei. Einer der Kameraden des Präsidenten wurde hingerichtet.«

Auf Seite 68 desselben Berichts befinden sich die Angaben über die Verfolgung der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei. Die Stelle finden Sie auf Seite 79 des Dokumentenbuches, Absatz 2. Ich zitiere kurz:

»In den nach dem Münchener Abkommen von Deutschland annektierten Gebieten wurde eine Reihe von Priestern tschechischer Herkunft ihres Besitzes beraubt und verbannt... Wallfahrten zu nationalen Heiligtümern wurden im Jahre 1939 verboten.«

»Bei Kriegsausbruch wurden unter Tausenden von tschechischen Patrioten 437 katholische Priester verhaftet und als Geiseln in die Konzentrationslager geschickt. Ehrwürdige hohe Würdenträger der Kirchen wurden in Konzentrationslager nach Deutschland verschleppt. Erschöpfte, abgerissene Priester, an einen Handwagen eingespannt, hinter ihnen ein junger Mann in SA- oder SS-Uniform mit der Peitsche in [365] der Hand, waren ein gewohnter Anblick auf der Straße vor dem Konzentrationslager.«

Auch die polnische Geistlichkeit wurde schwer verfolgt. Ich zitiere kurz aus dem Bericht der Polnischen Republik. Die Herren Richter werden diese Stelle auf Seite 10 des Dokumentenbuches finden. Ich beginne:

»Bis zum Januar 1941 sind ungefähr 700 Geistliche getötet worden. 3000 waren im Gefängnis oder im Konzentrationslager.

Die Verfolgung der Geistlichen fing unmittelbar nach der Eroberung des polnischen Gebietes durch die Deutschen an.«

Auf Seite 42 des Berichts der Polnischen Regierung heißt es:

»Am nächsten Tage nach der Besetzung Warschaus wurden etwa 330 Priester verhaftet.... In Krakau wurden die nächsten Mitarbeiter des Erzbischofs Monsignore Sapicha verhaftet und nach Deutschland gebracht. Der Kaplan Czeplizki, 75 Jahre alt, und sein Hilfsgeistlicher wurden im November 1939 hingerichtet.«

Der Bericht der Polnischen Regierung zitiert folgende Worte des Kardinals Hlond:

»Die Geistlichkeit wurde am schärfsten verfolgt. Diejenigen, denen es erlaubt war zu bleiben, wurden Gegenstand zahlloser Demütigungen und an der Ausführung ihrer priesterlichen Aufgaben gehindert, sie wurden ihrer Einkünfte aus den Kirchspielen und aller Rechte beraubt. Sie waren der Willkür der Gestapo vollkommen ausgeliefert.... Das Ganze erinnert an die apokalyptische Vision Fides Depopulata.«

Auf dem Gebiet der USSR wurden die Verfolgungen der Religion und Geistlichkeit durch Zerstörung von Klöstern, großen Kirchen und Tötungen von Geistlichen durchgeführt.

Ich bitte jetzt den Gerichtshof um die Erlaubnis, den Zeugen der sowjetrussischen Anklage, den Erzdekan der Kirchen von Leningrad, Seine Hochwürden Nicolai Iwanowitsch Lomakin, vernehmen zu dürfen.


[Der Zeuge Lomakin betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Sagen Sie Ihren Namen, bitte!

ZEUGE, SEINE HOCHWÜRDEN NICOLAI IWANOWITSCH LOMAKIN: Nicolai Iwanowitsch Lomakin.

VORSITZENDER: Ist es bei Ihnen Brauch, einen Eid abzulegen, bevor Sie Aussagen machen oder nicht?


LOMAKIN: Ich bin ein orthodoxer Geistlicher.


VORSITZENDER: Wollen Sie den Eid leisten?


[366] LOMAKIN: Ich gehöre zur Rechtgläubigen Kirche. Als ich 1917 mein Gelübde als orthodoxer Geistlicher ablegte, habe ich geschworen, mein ganzes Leben lang die Wahrheit zu sprechen. An diesen Eid halte ich mich auch heute.


VORSITZENDER: Gut. Bitte setzen Sie sich, wenn Sie es wünschen!


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, sind Sie Erzdekan der Kirchen Leningrads, das heißt: unterstehen Ihnen alle Kirchen dieser Stadt?


LOMAKIN: Jawohl, sie sind mir alle unterstellt, und ich muß sie von Zeit zu Zeit besuchen und über ihren Zustand und das Leben der Pfarrgemeinde Seiner Gnaden dem Metropoliten Bericht erstatten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Unterstanden Ihnen auch die Kirchen des Distrikts Leningrad?


LOMAKIN: Sie unterstehen mir zur Zeit nicht; jedoch während der Belagerung Leningrads und der Besetzung des Distrikts Leningrad waren sie mir unterstellt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Mußten Sie nach der Befreiung des Distrikts Leningrad auf Anweisung des Patriarchen in diesen Distrikt hinausfahren, um die Kirchen zu besichtigen?


LOMAKIN: Nicht auf Anweisung des Patriarchen, sondern des Metropoliten Alexei, dem damals die Eparchie Leningrad unterstand.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sprechen Sie etwas langsamer, bitte!


LOMAKIN: Nicht im Auftrag des Patriarchen Alexei, damals war Sergei Patriarch, sondern im Auftrag des die Eparchie verwaltenden Metropoliten Alexei, des jetzigen Patriarchen von Moskau und von ganz Rußland.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, wo waren Sie während der Belagerung von Leningrad?


LOMAKIN: Ich war ununterbrochen in Leningrad.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wenn ich mich nicht irre, wurden sie mit der Medaille »Für die Verteidigung Leningrads« ausgezeichnet.


LOMAKIN: Ja, bei der heroischen Verteidigung von Leningrad wurde mir an meinem Geburtstag dieser hohe Regierungsorden verliehen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, in welcher Kirche haben Sie zu Beginn der Belagerung amtiert?


[367] LOMAKIN: Zu Beginn der Belagerung hatte ich die Leitung des Georges-Friedhofs und war Rektor der Nicolaikirche auf diesem Friedhof.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Also das war eine Friedhofskirche?


LOMAKIN: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Können Sie vielleicht dem Gerichtshof über die Beobachtungen berichten, die Sie während Ihres Dienstes in dieser Kirche machten?


LOMAKIN: Selbstverständlich.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie darum.


LOMAKIN: Im Jahre 1941 und Anfang 1942 war ich Rektor der Friedhofskirche. Dort hatte ich folgende tragische Szenen beobachtet, die ich dem Gerichtshof eingehend beschreiben möchte. Einige Tage nach dem heimtückischen Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion bemerkte ich, wie die Totenmessen schnell zunahmen. Es waren meistens alte Männer, Frauen und Kinder, die während der deutschen Bombenangriffe auf die Stadt getötet wurden, friedliche Leute unserer Stadt.

Wenn vor dem Kriege die Zahl der Toten zwischen 30 und 50 täglich betrug, so erhöhte sich während des Krieges diese Zahl schnell bis zu einigen Hunderten pro Tag. Es war physisch unmöglich, alle Toten in die Kirche zu bringen. Um die Kirche herum wurden ungeheuere Stapel von Särgen aufgebaut, die mit Leichen gefüllt waren, mit verstümmelten Leichen friedlicher Bürger von Leningrad, Opfer der Angriffe der deutschen Luftwaffe.

Neben der zunehmenden Zahl der Totenmessen entwickelte sich die Praxis der sogenannten Totenmessen in Abwesenheit: Die Gläubigen konnten nicht alle Leichen ihrer getöteten Verwandten und Bekannten in die Kirche bringen, da sie unter den Ruinen der von den Deutschen zerstörten Häuser begraben lagen. Um die Kirche herum konnte man während des Tages massenhaft Särge, hundert, zweihundert, sehen, über denen ein Priester eine Totenmesse las.

Entschuldigen Sie, aber es wird mir sehr schwer, hierüber zu sprechen. Dem Gerichtshof ist ja bekannt, daß ich die ganze Belagerungszeit mitgemacht habe, vor Hunger fast gestorben bin. Alle Schrecken der ununterbrochenen Luftangriffe der Deutschen habe ich erlebt. Mehrere Male wurde ich verletzt.

Im Winter 1941/1942 war die Lage von Leningrad besonders schwer: Die unaufhörlichen Angriffe der deutschen Luftwaffe, der Artilleriebeschuß, der Mangel an Licht, Wasser, Transport, Kanalisation in der Stadt und endlich die fürchterliche Hungersnot, überdies erlitten die friedlichen Bürger der Stadt unerhörte Entbehrungen, die in der Geschichte der Menschheit einmalig sind. Sie [368] waren wirklich Helden, die für ihr Vaterland litten, diese unschuldigen friedlichen Bürger.

Außer dem, was ich Ihnen jetzt erzählt habe, erlebte ich während meiner Tätigkeit in der Friedhofskirche auch andere schreckliche Szenen. Der Friedhof wurde sehr oft von deutschen Flugzeugen angegriffen, und stellen Sie sich das Bild vor, Menschen, die die ewige Ruhe gefunden haben, ihre Särge, ihre Leichen, ihre Knochen und Schädel – all das wird herausgeschleudert. Gedenksteine und Kreuze liegen wild zerstreut herum, und die Menschen, die eben den Verlust ihrer Nächsten erlitten haben, mußten erneut leiden beim Anblick der riesigen Bombentrichter, vielleicht an der gleichen Stelle, an der sie gerade ihre nächsten Verwandten und Bekannten begraben hatten; sie mußten erneut leiden, weil diese ihre Ruhe nicht finden konnten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, in welchem Ausmaß erhöhte sich die Zahl der Totenmessen in dieser Friedhofskirche während der Hungerzeit?


LOMAKIN: Wie ich bereits sagte, infolge der unglaublichen, durch die Blockade geschaffenen Bedingungen, infolge der ununterbrochenen Angriffe der deutschen Luftwaffe und infolge des Artilleriebeschusses auf die Stadt wuchs die Zahl der Totenmessen in unglaublicher Weise, bis zu einigen tausend pro Tag an.

Jetzt möchte ich dem Gerichtshof insbesondere davon erzählen, was ich am 7. Februar 1942 beobachtet habe. Einen Monat vor diesem Vorfall war ich durch Hunger und durch den langen Weg, den ich täglich von der Wohnung zur Kirche zurücklegen mußte, so erschöpft, daß ich krank wurde. Meine Pflichten wurden durch zwei meiner Hilfsgeistlichen erfüllt. Am 7. Februar, einem »Verwandtensonnabend« vor Beginn der großen Fastenzeit, konnte ich zum ersten Male nach meiner Krankheit wieder zur Kirche. Vor meinen Augen eröffnete sich ein Bild, das mich erschauern ließ. Rings um die Kirche waren Haufen von Leichen aufgestapelt, die teilweise sogar den Eingang versperrten. Jeder Haufen bestand aus 30 bis 100 Leichen; sie lagen nicht nur am Kirchentor, sondern auch um die Kirche herum.

Ich war auch Zeuge, wie Menschen, die die Bestattung selbst auszuführen versuchten, vor Hunger erschöpft neben dem Leichnam in den Staub sanken und starben. Ich habe solches selbst oft beobachtet.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, Herr Zeuge, mir Antwort auf folgende Frage zu geben:

Welche Zerstörungen wurden den Kirchen zugefügt?


LOMAKIN: Wie ich bereits gesagt habe, meine Herren Richter, mußte ich als Erzdekan regelmäßig die Kirchen der Stadt besichtigen [369] und meinem Vorgesetzten, dem Metropoliten, berichten, und zwar hatte ich in allen Einzelheiten zu berichten, und hier sind meine persönlichen Beobachtungen und Eindrücke:

Die Auferstehungskirche am Gribojedowkanal, eine hochkünstlerische Kirche, wurde durch Artilleriefeuer des deutschen Feindes schwer beschädigt. Die Kuppeln wurden zerschmettert, die Dächer von Geschossen durchschlagen, zahlreiche Fresken wurden teilweise beschädigt oder gänzlich zerstört. Die Dreifaltigkeitskathedrale in der Ismailowskaja-Festung, ein Denkmal des türkischen Krieges, das mit schönen künstlerischen Friesen über die Einnahme der Ismailowskaja-Festung verziert war, wurde systematisch von der deutschen Artillerie beschossen und stark beschädigt. Das Dach wurde zerstört und alle künstlerischen Skulpturen wurden zerschlagen. Nur wenige Bruchstücke blieben übrig.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, wieviele Leningrader Kirchen wurden beschädigt und wieviele wurden zerstört?


LOMAKIN: Fast vollständig wurde die Kirche des Seraphimfriedhofs zerstört. Sie wurde nicht nur durch Artilleriefeuer, sondern auch durch Luftangriffe schwer beschädigt. Die deutsche Luftwaffe hat sehr große Beschädigungen an Kirchen verursacht. Zu allererst muß ich über zwei Kirchen sprechen, die am meisten durch die Belagerung von Leningrad gelitten haben. Es ist in erster Linie die Kathedrale des Fürsten Wladimir, in der ich gegenwärtig die Ehre habe zu predigen. Ich war Rektor dieser Kathedrale vom Februar bis 1. Juli 1942, und nun muß ich Ihnen einen äußerst interessanten und erschütternden Vorfall erzählen, der sich am Abend vor Ostern des Jahres 1942 ereignete. Um 5 Uhr abends, Moskauer Zeit, unternahm die deutsche Luftwaffe einen Großangriff. Um 5.30 Uhr fielen zwei Bomben. Die Gläubigen warteten gerade darauf, an das Bild der Grablegung unseres Herrn heranzutreten. Es stand dort eine ungeheure Menge Gläubiger, die ihre christliche Pflicht erfüllen wollten. Ich sah ungefähr 30 Leute, die verwundet an verschiedenen Stellen vor dem Eingang zur Kathedrale und um die Kathedrale herum lagen. Einige Zeit waren sie gänzlich hilflos, bis wir ihnen ärztliche Hilfe bringen konnten. Es war eine Szene völliger Verwirrung. Menschen, die nicht Zeit hatten, in die Kathedrale zu gelangen, versuchten, sich in den Splittergräben zu verbergen, der andere Teil, der in die Kathedrale gelangte, verteilte sich und wartete einfach auf den Tod. Die Erschütterung durch die Bomben war in der Kathedrale so stark, daß im Verlaufe des Bombardements das Glas zerbrach und die Stukkatur herunterfiel. Als ich aus einem Zimmer der zweiten Etage in die Kathedrale hinunterkam, bot sich mir ein erschütterndes Bild. Die Menschen umdrängten mich und fragten: »Väterchen, bist du am Leben? [370] Sie sagten, wie soll man daran glauben, wenn erzählt wird, daß die Deutschen christliche Menschen seien, die Christus lieben, und daß sie den Menschen, die gottgläubig sind, nichts antun? Wo ist ihr Glaube, wenn sie am Ostersonnabend so herumschießen?« Ich muß bemerken, daß dieser Angriff der deutschen Luftwaffe bis zum Ostermorgen dauerte. Die Nacht der Liebe, die Nacht der christlichen Freude, die Nacht der Auferstehung wurde durch die Deutschen eine Nacht des Blutes und des Leidens Unschuldiger. Es vergingen zwei bis drei Tage. In der Kathedrale des Fürsten Wladimir – ich als Rektor konnte das übersehen – und in anderen Kirchen und Friedhöfen erschienen die Opfer des Osterangriffs der deutschen Luftwaffe: Greise, Frauen und Kinder...


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, Sie mußten auch den Bezirk Leningrad besuchen und den Zustand der Kirchen untersuchen?

Waren Sie nicht Augenzeuge...


VORSITZENDER: Oberst Smirnow, wenn Ihr Verhör noch weitergeht, so werden wir lieber jetzt 10 Minuten vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Dr. Nelte, können Sie dem Gerichtshof jetzt mitteilen, welche Wünsche Sie bezüglich des Generals Westhoff und des Zeugen Wielen haben?

DR. NELTE: Zu der Anregung des Gerichtshofs zur Vernehmung der Zeugen Westhoff und Wielen erkläre ich nach Rücksprache mit meinen Verteidigerkollegen:

  • 1. Wir verzichten auf die Vernehmung der Zeugen im jetzigen Stadium des Verfahrens, wenn die Anklagebehörde auch auf die Verlesung der Dokumente RF-1450 und USSR-413 im jetzigen Zeitpunkt verzichtet.

  • 2. Ich benenne den General Westhoff als Zeugen und darf aus dem Vorschlag des Gerichtshofs entnehmen, daß dieser Zeuge genehmigt ist.

VORSITZENDER: Ja, sicherlich.

Mr. Roberts, könnte Sir David wohl für kurze Zeit anwesend sein?


MR. ROBERTS: Er wohnt augenblicklich einer Sitzung der Hauptanklagevertreter bei, aber ich kann ihn in ein paar Minuten herrufen lassen, wenn es sich um eine Frage handelt, die Ich an seiner Stelle nicht beantworten kann.


VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre besser, wenn er herkäme. Es handelt sich eigentlich nur darum, ob das Dokument verlesen wird oder nicht.


[371] MR. ROBERTS: Ich höre, daß die Sitzung soeben beendet ist. Ich habe nicht alles verstanden, was Sie sagten, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Ich sagte, es handle sich darum, ob das Dokument von der Anklage verlesen werden soll. Dr. Nelte hat, soweit ich ihn verstanden habe, vorgeschlagen, daß die Anklage vielleicht darauf verzichten werde.


MR. ROBERTS: Euer Lordschaft, was meine eigene Meinung betrifft, so bin ich ganz sicher, soweit die britische Anklage in Frage kommt, daß sie nicht darauf verzichten wird, diese Urkunde zu verlesen. Wir legen sie vor, oder vielmehr unser russischer Kollege hat sie vorgelegt, als Beweis für eine äußerst kaltblütige Ermordung von tapferen Männern, und uns liegt außerordentlich viel daran, daß dieses Dokument verlesen wird.


VORSITZENDER: Jawohl.


DR. NELTE: Herr Präsident! Ich habe nicht zur Bedingung gemacht, daß die Dokumente überhaupt nicht vorgelegt werden, sondern nur im jetzigen Zeitpunkt nicht vorgelegt werden. Ich nehme an...


VORSITZENDER: Ja; aber die Anklagevertretung will sie als Bestandteil der Anklage verlesen, und wenn das jetzt verschoben wird, bis die Verteidigung zu Worte kommt, so kann es nicht als Teil der Anklage vorgelegt werden.


DR. NELTE: Ich glaube, daß es möglich sei, wenn die Anklagebehörde dann im Kreuzverhör dem Zeugen die Dokumente vorhält, die sie jetzt vorlegen will.


VORSITZENDER: Wir können aber Wielen morgen nicht herbringen, und die Anklage wird morgen hoffentlich abgeschlossen werden.


DR. NELTE: Jawohl, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Deshalb muß das Dokument morgen verlesen werden. Wir werden dann General Westhoff und den Zeugen Wielen zu dem Zeitpunkt herbringen, der Ihnen genehm ist.


DR. NELTE: Ich denke, daß die Anklagebehörde sich vorbehalten hat, zu jeder Zeit des Verfahrens neue Anklagepunkte, also auch Dokumente vorzulesen. Dies ergibt sich aus der Anklage. Es scheint mir also, daß die Anklagebehörde mit dem Vortrag dieser Anklage warten kann, ohne Schaden für ihre Anklage zu nehmen, bis ich den Zeugen vernehme.


GENERAL RUDENKO: Ich möchte ein paar Worte dem hinzufügen, was mein Kollege, Herr Roberts, gesagt hat. Das Dokument, das dem Gerichtshof vorgelegt ist, ist uns von der Britischen Delegation zur Verfügung gestellt worden und von uns gemäß Artikel 21 [372] des Statuts vorgelegt worden. Es ist ein unwiderlegliches Beweisstück; es kann verlesen werden oder auch nicht, und zwar in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Gerichts vom 17. Dezember 1945. Wenn die Verteidigung, wie Sir David Maxwell-Fyfe heute früh sagte, die Absicht hat, gegen dieses Beweisstück durch Zeugenvorladung Einspruch zu erheben, so ist das das Recht der Verteidigung. Das ist, was ich den Äußerungen des Herrn Roberts hinzufügen wollte.


MR. ROBERTS: Vielleicht gestatten Euer Lordschaft mir noch eine Bemerkung?

Der Gerichtshof hat entschieden, daß dieses Dokument zulässig ist, und wenn ich recht verstehe, ist es bereits zugelassen. Deshalb möchte ich anheimstellen, daß es als Teil der Anklage verlesen werden sollte. Vielleicht wäre es aber nach dem Vortrag über die Organisationen ebensogut angebracht.


VORSITZENDER: Jawohl. Ich sehe eben, daß Sir David hereingekommen ist. Sir David, die Ansicht des Gerichtshofs ist etwa folgende: Es ist Sache der Anklagevertretung, zu entscheiden, wann sie dieses Dokument vorlegen will, also ob sie es jetzt vorlegen will, oder, wie Herr Roberts vorschlägt, nach der Erörterung über die Organisationen. Das steht ihr frei. Dann können die zwei Zeugen später vorgeladen werden, nämlich, wann die Verteidiger dies wünschen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich stimme vollkommen mit dem überein, was, wie mir berichtet wurde, Herr Roberts gesagt hat. Wir sind der Ansicht, daß dieses Dokument als Teil des Anklagevortrages vorgelegt werden sollte. Falls der Verteidigung damit geholfen ist, so will ich gerne die Frage des nach Erörterung der Organisationen festzusetzenden Zeitpunktes besprechen; aber die Verlesung des Dokuments sollte jedenfalls einen Teil des Anklagevortrags bilden.


VORSITZENDER: Dieses Dokument kann also am Schluß des Anklagevortrags verlesen, werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darf ich mich beim Gerichtshof wegen meiner Abwesenheit entschuldigen. Ich hatte im Zusammenhang mit dem Prozeß etwas anderes zu erledigen.


VORSITZENDER: Selbstverständlich.

Dr. Nelte, der Gerichtshof möchte gerne von Ihnen erfahren, wann Sie diese Zeugen vorgeladen haben wollen, damit wir uns mit London in Verbindung setzen können, um den Zeugen Wielen herbringen zu lassen.


DR. NELTE: Wann die Zeugen im Laufe meiner Beweisaufnahme vorgebracht werden, kann ich nicht sagen, denn ich kann [373] nicht sagen, wann es so weit sein wird, daß ich meine Zeugen vorbringen kann. Ich denke, daß der Gerichtshof eine bessere Übersicht über den Zeitpunkt haben wird, zu dem ich zu meiner Beweisführung hier antrete. Im Rahmen der Zeugenvernehmungen, die mir bewilligt werden, werde ich auch diesen Zeugen vernehmen.


VORSITZENDER: Dr. Nelte, diese Zeugen berühren nicht nur Ihren Mandanten, sondern auch die Angeklagten Göring und Kaltenbrunner. Daher wünscht der Gerichtshof, daß Sie sich mit Dr. Stahmer und dem Verteidiger Kaltenbrunners ins Einvernehmen setzen und dem Gerichtshof mitteilen, wann es am geeignetsten wäre, daß diese zwei Zeugen vorgeladen werden, damit wir eine Zeit festlegen können, um Wielen herzubringen und die Gefängnisleitung über Westhoff verständigen können.


DR. NELTE: Wir haben darüber gesprochen und uns verständigt, daß die Zeugen zur Zeit meiner Beweisführung vorgeführt werden sollen. Ich höre eben von Sir David, daß wir uns alle einig sind, daß die Dokumente nach der Anklage gegen die Organisationen vorgelegt werden.


VORSITZENDER: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich mein Verhör fortsetzen?


VORSITZENDER: Ja, fahren Sie fort!


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe noch eine letzte Frage an Sie, Herr Zeuge:

Sagen Sie mir, bitte, als Sie aus der Stadt zur Kir chenbesichtigung hinausfuhren, waren Sie zuweilen Augenzeuge von den Verspottungen der Religion und Entweihung der Kirche?


LOMAKIN: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wollen Sie, bitte, dem Gerichtshof darüber berichten?


LOMAKIN: Im Juli 1943 fuhr ich auf Befehl des Metropoliten Alexei in das Gebiet von Alt-Peterhof und Oranienbaum. Ich sah persönlich und hörte aus Gesprächen mit Mitgliedern der Kirche folgendes; das meiste, was ich hörte, wurde später bestätigt, als Neu-Peterhof bereits von den Deutschen gesäubert war, und was ich jetzt erzählen werde, kann durch Augenschein bestätigt werden. In Alt-Peterhof, bald nachdem die Deutschen Neu-Peterhof besetzt hatten, wurden innerhalb von 10 Tagen alle Kirchen durch deutsches Artilleriefeuer und Bombenabwürfe vernichtet.

Die deutsche Luftwaffe, zusammen mit der Artillerie, hatte es so eingerichtet, daß zusammen mit der Kirche auch die Menschen, friedliche Bürger dieses Landes, die in den Kirchen vor den Kämpfen und dem Artilleriefeuer Zuflucht gesucht hatten, ums Leben kamen.

[374] Alle Kirchen von Alt-Peterhof, nämlich die Kirche von Znamenska, die Kirche des Dreifaltigkeitsfriedhofs und die ihr angeschlossene kleine Lazaruskirche, das Kirchenmuseum in der Villa der Kaiserin Maria Feodorowna, die Seraphimkirche und die Kirche des Militärfriedhofs wurden alle von den Deutschen zerstört. Ich kann mit Sicherheit sagen, daß unter den Ruinen der Lazaruskirche und der Friedhofskirche der Heiligen Dreifaltigkeit, und zwar sowohl in ihren Krypten als auch in den Friedhofsgräbern und Gewölben der Znamenskajakirche bis zu 5000 Menschen begraben sind. Die Deutschen erlaubten den Überlebenden nicht, die Kirche zu verlassen.

Es ist leicht, sich die sanitären Zustände und die geistige Verfassung der Menschen, die in den Kirchenkellern eingesperrt waren, vorzustellen. Die Luft war durch die Atmung und die Exkremente der zu Tode erschrockenen Menschen verpestet. Sie fielen in Ohnmacht, wurden schwindelig, aber der geringste Versuch, die Kirche zu verlassen, um an die frische Luft zu gelangen, wurde von den unmenschlichen Faschisten mit Schüssen beantwortet.

Viel Zeit ist seitdem vergangen, aber ich erinnere mich sehr klar an einen Vorfall, der mir von einer nahen Verwandten der Leute berichtet wurde, von denen ich jetzt sprechen werde.

Ein kleines Mädchen verließ den Keller der Dreifaltigkeitskirche um frische Luft zu schöpfen; sie wurde von einem deutschen Heckenschützen sofort getötet. Die Mutter kam auch heraus, um das kleine Mädchen hereinzuholen, fiel aber blutüberströmt neben ihrem Kinde hin. Die Bürgerin Romaschowa, die mir dies erzählte, ist noch am Leben. Ich habe sie oft gesehen, sie erinnert sich mit Schrecken an diesen Vorfall. Und solche Vorfälle waren sehr zahlreich.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie mir, Herr Zeuge, sind Sie in anderen Gegenden des Bezirkes Leningrad Zeuge von Schändungen von Reliquienschreinen und anderen heiligen Gegenständen gewesen?


LOMAKIN: Jawohl; zum Beispiel in der Stadt Pleskau. Das Bild der Zerstörung in dieser Stadt war furchtbar. Was die an mich gestellte Frage betrifft, so muß ich folgendes sagen: Pleskau ist eine wahre Museumsstadt, ein Heiligtum der Rechtgläubigen Kirche, mit vielen Kirchen geschmückt und am Flusse Velikaya und dessen Nebennüssen gelegen. Bis zu 60 Kirchen verschiedener Größe und Namen befanden sich in der Stadt, von denen 39 nicht nur unschätzbare Monumente hochkünstlerischer Architektur waren, sondern mit ihren Ikonen, Wandbildern, Fresken besonders wertvolle historische Denkmäler darstellten, die die Größe und Vielfältigkeit der jahrhundertelangen Geschichte des russischen [375] Volkes widerspiegelten, zum Beispiel der Kreml, die Dreifaltigkeitskirche...

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Was ist mit diesen Kirchen geschehen, was haben, die Deutschen damit gemacht?


LOMAKIN: Ich will gleich erzählen. Der Kreml, die Heilige-Dreifaltigkeits-Kathedrale mit ihrem wunderbaren Altarbild wurde von deutschen Soldaten geplündert. Sie haben alles aus der Kirche herausgetragen, aber nicht nur aus dieser Kirche, sondern aus allen anderen Kirchen der Stadt. Sie werden nicht ein einziges kleines Heiligenbild, kein Kirchengewand, kein heiliges Gefäß in diesen Kirchen mehr finden, alles wurde herausgetragen.

Mein Besuch in der Dreifaltigkeitskirche hätte mir fast das Leben gekostet. Eine halbe Stunde, bevor ich in die Kirche kam, explodierte eine Mine und zerstörte die Torflügel. Der Eingang zum Altar wurde vernichtet, der Altar selbst mit Blut bespritzt. Vor meinen Augen sah ich drei unserer Sowjetsoldaten, die durch die Mine, die vorsätzlich neben den Altar gelegt wurde, umgekommen waren. Auch an anderen Stellen wurden Minen gelegt.

Ich möchte hier eine andere interessante Feststellung machen. Im August 1944 wurde die Stadt Pleskau befreit. Noch im Januar 1946 explodierte eine Mine am Epiphaniastage in der Kirche, wobei zwei Personen getötet wurden.

Auf dieselbe Weise wurde die Kirche von St. Basil-auf-dem-Hügel unterminiert. Dort wurde eine Mine direkt am Kircheneingang gelegt. In allen Kirchen wird man durch die große Menge von Schmutz, alten Konservenbüchsen und so weiter in Erstaunen gesetzt. Aus der Kathedrale des Johannesklosters hatten die Deutschen einen Stall gemacht. Eine andere Kirche, die Epiphaniaskirche benutzten sie als Weinkeller. In der dritten Kirche sah ich Torf, Kohle und so weiter. Aber warum über einzelne Kirchen sprechen? Wohin immer wir uns wenden, blutet unser Herz beim Anblick aller der Leiden und aller Plünderungen der Leute, die von ihrer Kultur sprechen und von denen einige behaupten, daß sie an Gott glauben. Wo ist hier der Glaube?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen, Herr Präsident.


LOMAKIN: Ich möchte aber die Anklagebehörde um die Erlaubnis bitten, noch einige Worte darüber zu sagen, was in Leningrad vorgegangen ist.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Da müssen Sie das Gericht fragen.


LOMAKIN: Ich weiche von der üblichen Ordnung etwas ab. Ich bitte die Herren Richter um Ihre Genehmigung.


[376] VORSITZENDER: Bitte.

LOMAKIN: Es handelt sich um die Kirche von Nikolai Bogojawlenski, die Kathedrale von Leningrad. Dort lebte während der Belagerung der heutige Patriarch Alexei. Da ich dort vom Juli 1942 bis zum Ende des Krieges predigte, war ich des öfteren Zeuge, wie die Kirche durch Artillerie beschossen wurde. Man mußte sich wundern, was für ein militärisches Objekt diese heldischen Krieger in unserer heiligen Kirche sahen. Sobald an hohen Feiertagen oder an gewöhnlichen Sonntagen der Gottesdienst anfing, wurde Artilleriefeuer auf die Kirche gerichtet. Und was für ein Artilleriefeuer!

In der ersten Fastenwoche im Jahre 1943 konnten wir, die Priester und die Gläubigen, die Kirche vom frühen Morgen bis zu den späten Abendstunden nicht verlassen. Um die Kirche herum war Tod und Verwüstung. Ich selbst habe gesehen, wie 50 Menschen – ich weiß nicht genau wieviele –, meine Gemeindekinder, neben der Kirche getötet wurden. Sie versuchten, vor der Entwarnung eilig die Kirche zu verlassen und starben gleich neben dem Gottestempel. In dieser Kirche mußte ich Tausende von friedlichen Bürgern beerdigen, die durch die mörderischen Beschießungen der Luftwaffe und Artillerie in Stücke gerissen waren. Ein Ozean von Tränen wurde während der Totenmessen vergossen. Bei einer solchen Beschießung wären Seine Gnaden, unser Metropolit Alexei, beinahe ums Leben gekommen, da einige Splitter in seine Zelle drangen.

Ich muß noch hinzufügen, ohne das Gericht mit längeren Beweisführungen aufhalten zu wollen, daß es erstaunlich ist, daß die intensivsten Beschießungen Leningrads gerade an Feiertagen stattfanden, wenn große Menschenmengen in den Kirchen beteten. Gotteshäuser, Straßenbahnhaltestellen und Krankenhäuser wurden mit allen Mitteln beschossen und zerstört. Es waren ausgesuchte Ziele der deutschen Luftwaffe und Artillerie. Die Häuser friedlicher Bürger wurden bombardiert.

Um Ihnen alles zu erzählen, was ich während dieser bitteren Kriegstage an Blut und Leiden der Leningrader Bevölkerung gesehen habe, müßte ich Ihre Zeit zu sehr in Anspruch nehmen.

Aber eines möchte ich zum Abschluß doch sagen:

Das russische Volk und die Leningrader haben ihre Pflicht für ihr Vaterland bis zum Ende erfüllt. Trotz des schrecklichen Artilleriebeschusses und der Luftangriffe herrschte Ordnung und organisierte Tätigkeit, und die Orthodoxe Kirche hat alle diese Leiden mit der Bevölkerung geteilt. Durch Gebete und durch das Wort Gottes brachte sie Trost und Vertrauen den Herzen der Gläubigen. Auf dem Altar des Vaterlands hat die Kirche willig ihre Opfer gebracht.


[377] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Wünscht einer der anderen Anklagevertreter noch Fragen an den Zeugen zu stellen?


[Keine Antwort.]


Wünscht einer der Verteidiger eine Frage zu stellen?


[Keine Antwort.]


Dann kann sich der Zeuge zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich meinen Bericht beenden?

VORSITZENDER: Gewiß, bitte sehr.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Meine Herren Richter! In seiner Note vom 6. Januar 1942 hat der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der USSR erklärt, daß die Sowjetregierung es für ihre Pflicht halte, die ganze zivilisierte Welt und alle ehrlichen Menschen der ganzen Welt von den ungeheueren Verbrechen der Hitler-Banditen in Kenntnis zu setzen. Der Sieg über das faschistische Deutschland wurde in einem Kampf von Millionen anständiger Menschen, dem größten Krieg in der Geschichte der Menschheit, errungen. Das Internationale Militärgericht wurde von Millionen anständiger Menschen geschaffen, um die Hauptkriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Jeder Vertreter der Anklagebehörde fühlt die unsichtbare Unterstützung dieser Millionen anständiger Menschen, in deren Namen er die Führer der faschistischen Verschwörung angeklagt hat.

Mir ist die Ehre zuteil geworden, die Beweisführung der Sowjetischen Anklagebehörde zum Abschluß zu bringen. Ich weiß, daß in diesem Augenblick Millionen von Bürgern in meinem Vaterlande und Millionen anständiger Menschen in der ganzen Welt ein baldiges und gerechtes Urteil erwarten.

Meine Herren Richter, gestatten Sie, daß ich damit meinen Vortrag beende.


MR. THOMAS J. DODD, ANKLÄGER DER VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich habe in Bezug auf das Verhandlungsprotokoll noch einige wenige Punkte zu erörtern, was nur ganz kurze Zeit in Anspruch nehmen wird.

Bei der Vorlage des Beweismaterials vom 23. November 1945, bezüglich der wirtschaftlichen Gesichtspunkte der Verschwörung, wurden Auszüge aus bestimmten Dokumenten verlesen, aber nicht [378] formal als Beweisstücke eingereicht. Damals deutete der Gerichtshof an, daß der Verteidigung nicht genügend Zeit gegeben worden war, diese Dokumente zu prüfen; aus diesem Grunde haben wir sie nicht eingereicht, sondern statt dessen erklärt, daß wir sie der Informationszentrale der Verteidigung zur Verfügung stellen würden. Das haben wir getan, und sie befinden sich seitdem dort. Sie sollten nun formell vorgelegt werden und, da die Auszüge bereits verlesen wurden, erübrigt es sich daher, dies zu wiederholen. Es handelt sich um folgende Dokumente:

Das erste im Protokoll erwähnte Dokument trug die Nummer EC-14, das wir als US-758 vorlegen. Auszüge aus diesem Dokument wurden im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 265 zitiert.

Das nächste Dokument ist EC-27, das wir als Beweisstück US-759 vorlegen. Auszüge aus diesem Dokument wurden im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 251 zitiert.

Das dritte Dokument ist EC-28, das wir als US-760 unterbreiten. Auszüge aus diesem Dokument wurden im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 249 zitiert. Auf dieser Seite war das Dokument irrtümlich als US-23 bezeichnet, aber die richtige Nummer ist US-760.

Aus EC-174 wurde im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 270 zitiert; es wird als US-761 vorgelegt.

EC-252; Auszüge davon wurden im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 269 zitiert. Es wird vorgelegt als US-762.

EC-257; Auszüge aus diesem Dokument wurden im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 269 zitiert, und wir unterbreiten es als US-763.

EC-404; Zusammenfassungen und Zitate aus diesem Dokument befinden sich im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 260. Wir legen es jetzt als US-764 vor.

Aus D-157 wurden Stellen verlesen, und zwar im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 258; wir legen es als US-765 vor.

D-167 wurde zusammengefaßt, auch wurden Auszüge daraus im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 266 zitiert. Wir legen es als US-766 vor.

D-203; Auszüge aus diesem Dokument wurden im Sitzungsprotokoll Band II, Seiten 255 bis 257 zitiert; wir legen es als US-767 vor.

D-204 wurde im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 257 bis 258 angeführt, und wir legen es als US-768 vor.

D-206; Auszüge aus diesem Dokument befinden sich im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 265, und wir legen es als US-769 vor.

Dokument D-317; Auszüge aus diesem Dokument wurden im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 259, zitiert, und wir legen es als US-770 vor.

[379] Außer diesen Dokumenten hat Leutnant Bryson, der für die Anklagevertretung den Fall gegen, den Angeklagten Schacht vorgetragen hat, als Beweismaterial die Dokumente EC-437 und 258 in ihrer Gesamtheit unter der Bedingung vorgelegt, daß die französische und die russische Übersetzung später dem Gerichtshof eingereicht werden. EC-437 wurde als US-624 vorgelegt und EC-258 als US-625, und der Gerichtshof hat im Sitzungsprotokoll Band V, Seite 149, verfügt, daß die Dokumente in ihrer Gesamtheit erst dann angenommen würden, wenn die Übersetzungen angefertigt worden wären. Kopien dieser Dokumente sind dem Gerichtshof in allen vier Sprachen zugeleitet worden, und außerdem liegen sie in der Informationszentrale der Verteidiger seit einigen Wochen auf, in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Gerichtshofs. Wir bieten nun also diese Dokumente in ihrer Gesamtheit als Beweis an und setzen voraus, daß sie die Beweisstücknummern US-624 und US-625 beibehalten werden.

Auch im Schriftsatz über die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Schacht, der kürzlich dem Gerichtshof und den Verteidigern übermittelt wurde, war ein Hinweis auf einige Dokumente gemacht worden, die bisher noch nicht vorgelegt worden sind. Ich glaube, daß keine Notwendigkeit besteht, die Zeit des Gerichtshofs mit dem Verlesen von Auszügen aus diesen Dokumenten in Anspruch zu nehmen; statt dessen haben wir die einschlägigen Auszüge in deutscher, französischer, russischer und englischer Sprache zur Verfügung gestellt, und Exemplare in diesen vier Sprachen sind dem Gerichtshof bereits eingereicht und auch im Informationszimmer der Verteidiger ausgelegt worden. Hier sind diese Dokumente, und wir bitten, daß sie als Beweismittel zugelassen werden. Es sind EC-384, das wir als US-771, und EC-406, das wir als US-772, sowie EC-456, das wir als US-773 vorlegen. EC-495 wird als US-774 eingereicht, EC-497 als US-775; außerdem legen wir das Vernehmungsprotokoll des Angeklagten Schacht vom 11. Juli 1945 vor, eines der Dokumente, das wir im Schriftsatz als US-776 anführen und schließlich, angesichts der Bedeutung dieser Persönlichkeit vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, bitten wir darum, daß das geheime Protokoll über die Ministerzusammenkunft vom 30. Mai 1936, welches im Dokumentenbuch unter 1301-PS als US-123 enthalten ist, unverkürzt als Beweismittel zugelassen werde. Dieses Protokoll ist sowohl dem Gerichtshof als auch den Verteidigern in allen vier Sprachen zugänglich gemacht worden.

Ich möchte auch Dokument 1639-PS erwähnen, welches ich als...

PROFESSOR KRAUS: Die Anklagevertretung hat soeben den Antrag gestellt, eine Reihe Urkunden, die den Angeklagten Schacht betreffen, noch nachträglich in den Prozeß einführen zu können. Diese Urkunden sind enthalten in einem Supplementband, der uns [380] zugegangen ist, nachdem die Spezialanklage gegen den Angeklagten Schacht beendet war, sogar weit nachher.

Ich beabsichtige nicht, gegen dieses Verfahren Widerspruch zu erheben, aber meines Erachtens hat dieses Verfahren, wenn der Gerichtshof es zuläßt, für die Verteidiger Konsequenzen. Wir müssen, wenn dieses Verfahren genehm ist, nunmehr auch in der Lage sein, nach Abschluß des Beweiskomplexes zugunsten unserer Angeklagten noch später Material anbieten zu dürfen, und zwar bis zum Schluß der ganzen Beweisaufnahme, wenn wir später das Bedürfnis empfinden, daß dieses Material, und zwar in erster Linie Urkunden, noch zugunsten unserer Mandanten eingeführt wird.

Wir müßten aber in weiterer Konsequenz auch in der Lage sein, nachträglich Zeugen anzubieten, und hierüber bitte ich den Hohen Gerichtshof um eine Belehrung.


VORSITZENDER: Ja, Dr. Kraus, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Anklagevertretung das Recht hat, auf Zulassung dieser Dokumente einen Antrag zu stellen, wie sie es getan hat. Und in ähnlicher Weise wird die Verteidigung das Recht haben, auch nachdem der Fall des einzelnen Angeklagten beendet ist, einen Antrag auf Zulassung etwaigen von ihr gewünschten Beweismaterials zu stellen.


PROF. DR. KRAUS: Danke sehr, Herr Vorsitzender.


MR. DODD: Ich möchte Dokument 1639-PS erwähnen, das wir als US-777 vorlegen wollen. Dem Gerichtshof teilen wir mit, daß dieses Dokument betitelt ist: »Mobilmachungsbuch für die Zivilverwaltungen – Neudruck 1939«. Es wurde im Februar des Jahres 1939 veröffentlicht oder ausgegeben, und zwar mit der Unterschrift des Angeklagten Keitel als Chef des OKW. Es ist als »Geheime Kommandosache« bezeichnet und wurde in 125 Ausfertigungen verteilt, und zwar an die höchsten Reichsstellen sowie an das Heer, die Luftwaffe und die Kriegsmarine. In seiner deutschen Originalform hat das Dokument etwa 150 Seiten. Wir haben die Seiten 2 bis 18, die den wesentlichen Text des Dokuments enthalten, ins Englische, Russische und Französische übersetzen lassen. Es geht aus einigen Ausführungen im Dokument selbst hervor, daß das »Mobilmachungsbuch« schon früher herausgegeben und jährlich revidiert worden war. Das bestimmte Buch, das wir vorlegen, oder beabsichtigen vorzulegen, ist am 1. April 1939 in Kraft getreten, und deshalb war es nach unserer Meinung die Operationsbasis für den Mobilmachungskalender zur Zeit des Angriffs der Nazis gegen Polen.

Wir möchten es jedoch in erster Linie mit dem Teil des Protokolls in Verbindung bringen, der sich mit den Nazi-Plänen und Vorbereitungen für den Angriff beschäftigt, denn das »Mobilmachungsbuch« oder ein derartiges Mobilmachungsbuch war schon jahrelang vor 1939 in Kraft gewesen.

[381] Zweitens behaupten wir, daß es mit den geheimen Nazi-Verteidigungsgesetzen der Jahre 1935 und 1938 in Zusammenhang steht, die in den Dokumenten 2261-PS und 2194-PS enthalten sind und dem Gerichtshof als US-24 und US-36 vorgelegt wurden.

Drittens stellt es unserer Ansicht nach einen weiteren klaren Hinweis für die Pläne und Vorbereitungen der Nazis zum Angriffskrieg dar. Jener Teil des Anklagevorbringens, der sich mit den Nazi-Vorbereitungen für den Angriffskrieg befaßt, wurde von Herrn Alderman von der Amerikanischen Anklagevertretung in den Vor- und Nachmittagssitzungen am 27. November 1945 gebracht, er ist im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 338 bis 384, zu finden.

Da dieses Dokument in alle vier Sprachen übersetzt wurde, nehmen wir an, daß es nicht notwendig ist, es zwecks Aufnahme in das Protokoll zu verlesen; wir wünschen jedoch, zwei Auszüge daraus zu zitieren, nein, es ist nicht notwendig. Sie sind in der Übersetzung enthalten, und es erübrigt sich also, sie über das Dolmetschersystem zu verlesen.

Dieses Dokument wurde auch, wie ich noch erwähnen möchte, von dem Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten in seiner Eröffnungserklärung erwähnt, und es ist das einzige darin erwähnte Dokument, das nicht formell dem Gerichtshof als Beweisstück vorgelegt wurde.

Drittens will ich noch eine andere Angelegenheit behandeln. Ich möchte beantragen, daß ein Beweisstück, das von einem Mitglied der Amerikanischen Anklagevertretung vorgelegt wurde, aus dem Protokoll gestrichen werde.


[Herr Dodd zitiert die fragliche Stelle aus dem Protokoll.]


VORSITZENDER: Hat der Verteidiger des Angeklagten Rosenberg irgend etwas dagegen, daß diese Stelle vom Protokoll gestrichen wird?

DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Ich habe keinen Einspruch zu erheben.


VORSITZENDER: Gut, dann wird es vom Protokoll gestrichen.

MR. DODD: Ich habe nur noch eine letzte Angelegenheit zu besprechen, von der ich bestimmt annehme, daß sie noch vor der üblichen Verhandlungspause erledigt werden kann.

Im Verlauf der Erörterung des Einzelfalles gegen den Angeklagten Ribbentrop hat unser verehrter Kollege Sir David Maxwell-Fyfe, der stellvertretende britische Hauptankläger, Dokument 3358-P6 als Beweisstück GB-158 vorgelegt. Das geschah am 9. Januar 1946 und kann in Band V, Seite 25 des Protokolls gefunden werden.

Dieses Dokument ist ein Zirkularschreiben des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 25. Januar 1939. Es betrifft »Die Judenfrage [382] als Faktor der Außenpolitik im Jahre 1938«. Sir David hat Auszüge aus diesem Dokument in das Protokoll verlesen, einschließlich des ersten Satzes des ganzen Absatzes auf Seite 3 der englischen Übersetzung.

Ich habe die Angelegenheit mit Sir David besprochen, und er hat in äußerst freundlicher Weise gestattet, daß wir um die Erlaubnis des Gerichtshofs nachsuchen, noch zwei weitere Sätze dem von ihm verlesenen Zitat hinzuzufügen, weil wir, und auch Sir David, der Meinung sind, daß die zwei Sätze, die unmittelbar auf die von ihm verlesenen Sätze folgen, zusätzliches Beweismaterial über die Verfolgung der Juden enthalten, und zwar im Zusammenhang mit den Verbrechen gegen den Frieden. Es wird daher von der Anklagevertretung gewünscht, daß der ganze Absatz auf Seite 3 der englischen Übersetzung dieses Dokuments vom Gerichtshof als eingereicht betrachtet werde. In Übereinstimmung mit den Regeln des Gerichtshofs für derartige Fälle und, damit die Verlesung sich erübrige, legen wir hiermit jenen ganzen Absatz in englischer, deutscher, französischer und russischer Sprache vor. Das Original ist natürlich in deutscher Sprache abgefaßt.

Es ist nur ein sehr kurzer Absatz; ich glaube aber nicht, daß der Gerichtshof es wünscht, daß ich ihn zur Aufnahme in das Protokoll verlese, obgleich es nur wenige Minuten in Anspruch nehmen würde. Er ist bereits in das Protokoll aufgenommen. Es sind nur zwei Sätze hinzugefügt; das Zitat ist nicht aus dem Zusammenhang herausgerissen. Unserer Meinung nach verstärkt es nur etwas den Beweis. Wenn Sie es wünschen, werde ich den Absatz verlesen.


VORSITZENDER: Ja, bitte.


MR. DODD: Der von Sir David verlesene Satz lautet wie folgt:

»Es ist wohl kein Zufall, daß das Schicksalsjahr 1938 zugleich mit der Verwirklichung des großdeutschen Gedankens die Judenfrage ihrer Lösung nahegebracht hat. Denn die Judenpolitik war sowohl Voraussetzung wie Konsequenz der Ereignis se des Jahres 1938.«

Das ist das Ende des Satzes, und das ist es, was durch Sir David am 9. Januar in Band V, Seite 25, zitiert wurde. Wir möchten das Folgende hinzufügen, das unmittelbar an diesen Satz anschließt:

»Mehr vielleicht als die machtpolitische Gegnerschaft der ehemaligen Feindbundmächte des Weltkrieges hat das Vordringen jüdischen Einflusses und der zersetzenden jüdischen Geisteshaltung in Politik, Wirtschaft und Kultur die Kraft und den Willen des deutschen Volkes zum Wiederaufstieg gelähmt.«

Und außerdem dann der zweite Satz, der sofort darauf folgt:

[383] »Die Heilung dieser Krankheit des Volkskörpers war daher wohl eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Kraftanstrengung, die im Jahre 1938 gegen, den Willen einer Welt den Zusammenschluß des Großdeutschen Reiches erzwang.«

Wir waren der Ansicht, daß das die Beweise über die Verfolgung der Juden etwas stärken würde.

Das sind die einzigen Fragen, die ich wegen des Protokolls vorbringen wollte.

VORSITZENDER: Vor einiger Zeit habe ich im Namen des Gerichtshofs an Herrn Justice Jackson geschrieben und ihn gefragt, ob dem Gerichtshof eine Liste der Personen, die den deutschen Generalstab bildeten, vorgelegt werden könne. Ist das geschehen?

MR. DODD: Ich kenne dieses Schreiben. Ich erinnere mich, daß Herr Justice Jackson es mir gezeigt hat. Wenn das Erforderliche noch nicht geschehen sein sollte, so wird es sofort nachgeholt werden. Es kann vielleicht übersehen worden sein.

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson hat mir geantwortet, daß es geschehen werde.


MR. DODD: Ja, ich erinnere mich daran.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wäre dankbar, wenn Sie feststellen könnten, ob es geschehen ist.


MR. DODD: Wenn es nicht geschehen ist, so muß ich leider gestehen, daß ich wahrscheinlich daran schuld bin. Ich weiß, daß Herr Jackson mir das Schreiben überreichte, und ich glaube, ich habe es an das Büro von Oberst Taylor weitergereicht; ich werde die Sache aber sofort nachprüfen und dafür sorgen, daß die Liste abgeliefert wird.


VORSITZENDER: Wenn es noch nicht geschehen ist, so wäre es meines Erachtens angebracht, wenn es im Verlaufe der Erörterung über die Organisationen geschehen würde.


MR. DODD: Jawohl.


VORSITZENDER: Ja, und zusammen mit einer eidesstattlichen Erklärung, aus der ersichtlich ist, wie sie zusammengestellt wurde.


MR. DODD: Jawohl, Herr Präsident. Leutnant Margolies sagt mir eben, er glaube, sie sei vor zwei Tagen eingereicht worden, aber er ist nicht ganz sicher.


VORSITZENDER: Er glaubt, daß es geschehen ist?


MR. DODD: Er glaubt es; aber wir werden es nachprüfen.


VORSITZENDER: Gut. Wird dann morgen früh um 10.00 Uhr die Anklagevertretung bereit sein, ihren Vortrag über die Organisationen zu halten, die nach dem Anklageantrag gemäß Artikel 9 [384] des Statuts vom Gerichtshof als verbrecherisch erklärt werden sollten?


MR. DODD: Die Anklagevertretung ist bereit, morgen um 10.00 Uhr damit zu beginnen.


VORSITZENDER: Und sind die Verteidiger der verschiedenen Organisationen bereit, ihre Gegenargumente vorzubringen?

Es ist also klar, daß der Gerichtshof morgen um 10.00 Uhr über diese Frage verhandeln wird, und zwar bis die Erörterung abgeschlossen ist.


DR. KUBUSCHOK: Die Vertreter der Organisationen sind bereit, entsprechend der Anregung des Gerichtshofs morgen in die Erörterung des neuen Vortrags der Anklage einzugehen. Die Anklage hat uns insoweit auch unterstützt, als sie die tatsächliche Fundierung, die für die Anklage nachgeholt wird, uns in Abschrift zugänglich gemacht hat.

Nach der Anregung des Gerichtshofs sollen morgen jedoch nicht nur diese tatsächlichen Fakten erörtert werden, sondern es sollen wohl auch die neu aufgetauchten rechtlichen Fragen insoweit erörtert werden, als sie für die Prüfung des Umfanges und der Erheblichkeit der Beweise erforderlich sind. Die Vertreter der Organisationen würden es begrüßen, wenn die Anklage den Vortrag, den sie morgen in rechtlicher Beziehung halten wird, uns vorher zugänglich machen würde, damit wir darauf auch sofort erwidern können.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht. Wir haben kein Exemplar irgendwelcher schriftlicher Ausführungen erhalten. Ich weiß nicht, ob die Anklagevertretung mitteilen kann, ob sie schriftliche Ausführungen bereit hat.


MR. DODD: Sir David kann dies besser selbst erklären. Ich wollte nur sagen, wie ich schon vorhin erklärte, daß er, soweit mir bekannt ist, die Grundzüge seiner Darlegungen sowohl dem Gerichtshof als auch den Verteidigern vorgelegt hat.

Herr Justice Jackson arbeitet noch an seiner Rede, und, während er noch hoffte, einen Entwurf zu unterbreiten, erhielt er heute früh von interessierter Seite des Kriegsministeriums neue Mitteilungen, die ihn gezwungen haben, noch bis jetzt daran zu arbeiten. Daher glauben wir, die Schwierigkeit darin zu erblicken, daß er keine vorbereitete Erklärung hat, die er einreichen könnte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Ich habe zwei Nachträge vorbereitet, die sich auf die ersten zwei Punkte der Erklärung des Gerichtshofs vom Januar beziehen, nämlich die Elemente der Kriminalität und die damit im Zusammenhang stehenden Angeklagten, wie im Artikel 9 des Statuts gesagt ist. Ich habe veranlaßt, daß Abschriften in deutscher Sprache allen [385] Verteidigern überreicht werden. Ich hoffe, daß alle ein Exemplar erhalten haben. Ich habe auch dafür gesorgt, daß Abschriften dem Gerichtshof vorgelegt werden.

Hierzu habe ich einen Zusatz gemacht, der die Hinweise auf das Protokoll und in einigen Fällen auch auf die Dokumente zeigt, und zwar im Hinblick auf die einzelnen Punkte; leider ist dies nur in englischer Sprache; da es sich aber um Hinweise auf Absätze handelt, so dürfte es für die Verteidiger nicht schwer sein, sich da zurechtzufinden.

Ich fürchte, es würde unmöglich sein, Abschriften der Reden von Herrn Justice Jackson und mir vorzulegen. Was ich hinzufügen wollte, bezieht sich hauptsächlich auf die Tatsachen, die ich bereits versucht habe, der Verteidigung mitzuteilen. Wenn aber die Verteidiger für die Organisationen inoffiziell von mir die allgemeinen Richtlinien erfahren möchten, so stehe ich ihnen gern zur Verfügung, wenn das von Nutzen wäre. Ich möchte ihnen nach Möglichkeit entgegenkommen.


VORSITZENDER: Jawohl, gut. Wir vertagen jetzt die Sitzung.


[Das Gericht vertagt sich bis

28. Februar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 8, S. 356-387.
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