Nachmittagssitzung.

[474] DR. STAHMER: Der Zeuge Dahlerus ist seit einigen Tagen in Nürnberg und wartet auf seine Vernehmung. Er hat mir nun mitgeteilt, daß er am Donnerstag unbedingt wieder in Stockholm sein müsse. Aus diesem Grund hat er gebeten, und ich erbitte vom Gerichtshof die Erlaubnis, ihn bereits morgen früh als Zeugen zu rufen, selbst wenn das Kreuzverhör noch nicht durchgeführt ist. Die Vertreter der Anklagebehörde sind damit sämtlich einverstanden.

VORSITZENDER: Sagten Sie, daß die Anklagevertretung mit Ihrem Vorschlag einverstanden ist?


DR. STAHMER: Jawohl. Ich habe sämtliche vier Herren gefragt, und sie haben sich einverstanden erklärt.


VORSITZENDER: Wie lange wird Ihrer Ansicht nach die direkte Vernehmung des Zeugen dauern? Für das Kreuzverhör können Sie natürlich nicht sprechen.


DR. STAHMER: Ich glaube, daß ich einen halben Tag benötige, also bis morgen mittag. Ich kann es nicht bestimmt sagen, aber es ist leicht anzunehmen.


VORSITZENDER: Seine Aussagen sind nur von Bedeutung für die Tage vor dem 1. September 1939?

DR. STAHMER: Es kommen noch zwei Fragen hinterher, die aber sehr schnell beantwortet sind. Er soll sich noch zweimal nach dem September bemüht haben, aber das sind nur ganz kurze Fragen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß es ganz unnötig ist, einen halben Tag für die direkte Vernehmung eines Zeugen, der nur über einige Tage unmittelbar vor Kriegsausbruch sprechen soll, in Anspruch zu nehmen.


DR. STAHMER: Ich kann das nicht sagen, Herr Vorsitzender. Es sind nicht ein paar Tage, sondern die Verhandlungen haben schon Ende Juni, Anfang Juli begonnen. Ich darf noch eines bemerken; ich werde mich mit meinen Fragen selbstverständlich auf das für den Prozeß Notwendige beschränken, aber das muß ja auch gesagt und gefragt werden.


VORSITZENDER: Falls die Anklagevertretung nichts dagegen hat, ist der Gerichtshof damit einverstanden, daß diese Zeugenvernehmung eingeschoben wird. Wir hoffen aber, daß Sie versuchen werden, Ihre direkte Vernehmung so kurz wie möglich zu halten, und daß Sie viel weniger Zeit benötigen werden als Sie angedeutet haben.


JUSTICE JACKSON: Zeuge, Sie haben uns dargetan, wie Sie und andere zusammengearbeitet haben, um die gesamte Autorität [474] im Deutschen Reich in der Hand des Führers zu konzentrieren? Stimmt das?


GÖRING: Ich habe von mir gesprochen wie weit ich da mitgearbeitet habe.


JUSTICE JACKSON: Ist irgendein Angeklagter hier anwesend, von dem Sie wissen, daß er nicht nach besten Kräften an diesem Ziel mitgearbeitet hat?


GÖRING: Daß von den hier Angeklagten von Anfang an keiner in einer Obstruktion oder Opposition zu dem Führer gestanden hat, ist klar; ich möchte hier aber darauf aufmerksam machen, daß wir immer verschiedene Zeitabschnitte unterscheiden müssen; die Fragen, die an mich gestellt werden, sind zum Teil sehr allgemein, und es handelt sich doch um 24 bis 25 Jahre, wenn man den gesamten Zeitabschnitt umfaßt.


JUSTICE JACKSON: Ich will Sie jetzt auf das Ergebnis dieses Systems aufmerksam machen. Soweit ich weiß, wurde Ihnen 1940 mitgeteilt, daß ein Angriff der Deutschen Wehrmacht auf Sowjetrußland bevorstände?


GÖRING: Ich habe ausgeführt, wie weit ich davon unterrichtet war.


JUSTICE JACKSON: Sie waren der Ansicht, daß dieser Angriff vom Standpunkt Deutschlands aus nicht nur unnötig, sondern auch unklug war?


GÖRING: Zeitlich in dem Augenblick war ich der Auffassung, das zu verschieben, um andere wichtigere Aufgaben, nach meiner Überzeugung, durchzuführen.


JUSTICE JACKSON: Selbst vom deutschen Standpunkt aus sahen Sie damals keine militärische Notwendigkeit für einen Angriff?


GÖRING: Ich habe die Anstrengungen Rußlands zum Aufmarsch natürlich auch erkannt, aber gehofft, vorher noch die von mir beschriebenen anderen strategischen Maßnahmen zur Verbesserung Deutschlands durchzuführen und glaubte, daß die Zeitspanne dazu dieses Gefahrenmoment noch abwenden könnte. Für später war ich mir im klaren, daß selbstverständlich jederzeit dieses Gefahrenmoment für Deutschland auftreten könnte.


JUSTICE JACKSON: Ich kann nur meine Frage wiederholen, die Sie meiner Ansicht nach noch nicht beantwortet haben; sahen Sie zu diesem Zeitpunkt irgendeine militärische Notwendigkeit für einen deutschen Angriff auf Sowjetrußland?


GÖRING: Ich persönlich glaubte zu diesem Zeitpunkt, daß die Gefahr noch nicht auf ihrem Höhepunkt wäre, also in diesem Augenblick der Angriff vielleicht noch nicht nötig. Aber das war meine persönliche Auffassung.


[475] JUSTICE JACKSON: Und Sie waren zu der Zeit der zweitwichtigste Mann in ganz Deutschland?


GÖRING: Das hat ja mit meiner zweiten Wichtigkeit nichts zu tun. Es standen sich hier zwei strategische Auffassungen gegenüber. Der Führer sah die eine Gefahr als der erste Mann, und ich wollte, wenn Sie es so wollen, eine andere strategische Durchführung machen als der zweite Mann. Wenn ich mich durchgesetzt haben würde in allen Fällen, wäre ich wohl allmählich dann der erste Mann geworden. Da aber der erste Mann anderer Ansicht war und ich nur der zweite, galt seine Ansicht.


JUSTICE JACKSON: Die folgende Frage können Sie jetzt mit Ja oder Nein beantworten, und ich wäre dankbar, wenn Sie das täten: aus Ihrer Aussage habe ich entnommen, daß Sie anderer Ansicht waren und dem Führer erklärten, daß Sie zu diesem Zeitpunkt gegen einen Angriff auf Rußland wären. Stimmt das oder stimmt das nicht?


GÖRING: Das ist richtig.


JUSTICE JACKSON: Sie waren dagegen, weil Sie glaubten, daß es ein gefährliches Unternehmen für Deutschland sei, stimmt das?


GÖRING: Ja, ich war der Meinung, daß dieses Vorgehen, und ich betone immer wieder in diesem Augenblick, noch nicht gegeben war und für Deutschland zweckmäßigere Maßnahmen zu treffen waren.


JUSTICE JACKSON: Und doch konnten Sie wegen des Führersystems, wenn ich Sie richtig verstehe, das deutsche Volk nicht warnen. Sie konnten keinerlei Druck ausüben, um diesen Schritt zu verhindern; Sie konnten nicht einmal zurücktreten, um Ihren eigenen Platz in der Geschichte zu wahren?


GÖRING: Es sind dies viele Fragen auf einmal. Ich darf auf die erste zurückkommen.


JUSTICE JACKSON: Trennen Sie die Fragen, wenn Sie es wünschen.


GÖRING: Die erste Frage lautete, glaube ich, ob ich keine Veranlassung genommen hätte, dem deutschen Volk etwas darüber zu sagen. Dazu hatte ich keinerlei Veranlassung. Wir befanden uns im Krieg und derartige Meinungsverschiedenheiten oder Ansichtsverschiedenheiten über strategische Probleme konnten nicht während des Krieges vor das Forum des Volkes gebracht werden. Ich glaube, daß das in der Weltgeschichte noch nie geschehen ist.

Zweitens, was meinen Rücktritt anbelangt, so will ich darüber überhaupt nicht diskutieren, denn während des Krieges war ich Offizier, Soldat, und es hatte nichts damit zu tun, ob ich eine Auffassung teilte oder nicht; ich hatte nur meinem Vaterland als Soldat zu dienen.

[476] Zum dritten ist es nicht meine Aufgabe, einen Mann, dem ich meinen Eid geschworen habe, jedesmal zu verlassen, wenn er sich nicht meiner Ansicht fügt; dann hätte ich mich ihm von Anfang an gar nicht zu verpflichten brauchen. Auf die Idee, den Führer zu verlassen, bin ich nie gekommen.


JUSTICE JACKSON: Soweit Sie wissen, wurde das deutsche Volk in der Annahme in den Angriffskrieg gegen Rußland geführt, daß Sie dafür wären?


GÖRING: Das deutsche Volk hat von der Kriegserklärung an Rußland erst erfahren, als der Krieg mit Rußland begonnen hatte. Das deutsche Volk hatte also damit gar nichts zu tun. Es ist nicht gefragt worden, sondern es hat von der Tatsache Kenntnis bekommen und der Notwendigkeit warum.


JUSTICE JACKSON: Zu welchem Zeitpunkt wußten Sie, daß der Krieg, soweit es um die Erreichung der von Ihnen angestrebten Ziele ging, ein verlorener Krieg war?


GÖRING: Das ist außerordentlich schwer zu sagen, nach meiner Überzeugung jedenfalls verhältnismäßig spät; ich meine also, zu einem späten Zeitpunkt hat sich bei mir die Annahme gefestigt, daß der Krieg verloren sei. Vorher habe ich immer noch an eine Remis-Chance gedacht und gehofft.


JUSTICE JACKSON: Im November 1941 brach die Offensive in Rußland zusammen?


GÖRING: Das stimmt durchaus nicht. Es ergab sich durch die Wetterverhältnisse ein Rückschlag oder noch besser gesagt, ein gesetztes Ziel wurde nicht gewonnen. Der Vorstoß 1942 beweist zur Genüge, daß von einem militärischen Niederbruch gar keine Rede sein kann. Es wurden lediglich vorgestoßene Korps zurückgedrängt und zum Teil zurückgenommen. Dies Ereignis trat durch das wider alles Erwarten frühe Hereinkommen des Frostwetters ein.


JUSTICE JACKSON: Sie sagten: »verhältnismäßig spät«. Der Ausdruck, den Sie gebrauchten, sagt mir gar nichts, da ich nicht weiß, was Sie als »verhältnismäßig spät« ansehen. Wollen Sie es bitte der Zeit oder den Ereignissen nach genau festlegen, wann Sie zu der Einsicht kamen, daß der Krieg verloren sei?


GÖRING: Als das Vorbrechen der russischen Offensive nach dem 12. Januar 1945 bis zur Oder führte und gleichzeitig die Ardennen-Offensive nicht durchgeschlagen hatte, zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht mehr anders denken, als daß sich wahrscheinlich langsam eine Niederlage entwickeln würde. Vor diesem Zeitpunkt habe ich immer noch gehofft, daß einerseits an der Weichsel die Position gegen Osten und andererseits am Westwall die Position gegen Westen solange gehalten werden konnte, bis die neuen Waffen zum [477] stärkeren Serienanlauf kamen und damit auch der anglo-amerikanische Luftkrieg abgeschwächt werden konnte.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie das nun zeitlich festlegen. In Bezug auf die Ereignisse haben Sie das bereits getan.


GÖRING: Ich sagte eben Januar 1945; Mitte bis Ende Januar 1945 war keine Hoffnung mehr.


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie damit zu verstehen geben, daß Sie als Soldat erst im Januar 1945 zu der Einsicht kamen, daß Deutschland den Krieg nicht gewinnen könne?


GÖRING: Ich habe schon betont, wir müssen zwei Phasen scharf auseinanderhalten: einen Krieg erfolgreich beenden und einen Krieg remis zu beenden. Erfolgreich zu beenden, dieser Zeitpunkt, daß das nicht erreicht werden konnte, liegt weit früher, aber die Tatsache, daß eine Niederlage eintreten würde, um die und um die allein hat es sich bei dem Datum, das ich soeben angab, gehandelt.


JUSTICE JACKSON: Sie haben also schon längere Zeit vorher gewußt, daß eine erfolgreiche Beendigung des Krieges nur möglich war, wenn Sie zu irgendeiner Verständigung mit dem Gegner gelangen konnten. Stimmt das?


GÖRING: Selbstverständlich ist ein Kriegsabschluß nur dann als erfolgreich zu betrachten, wenn ich entweder den Feind niederringe oder durch Abmachungen mit dem Feinde zu einem Resultat komme, das mir einen Erfolg verbürgt. Das nenne ich einen erfolgreichen Abschluß. Einen Remis-Abschluß nenne ich, wenn ich zu Abmachungen mit dem Feinde komme, der zwar mir den Erfolg nicht bringt, den mir ein Sieg gebracht haben würde, aber immerhin eine Niederlage andererseits vermeidet. Also ein Ende ohne Sieger und Besiegte.


JUSTICE JACKSON: Aber Sie wußten, daß Hitler grundsätzlich nicht verhandelte, und Sie wußten, daß der Gegner nicht mit Deutschland verhandeln würde, solange er an der Spitze der Regierung stand, nicht wahr?


GÖRING: Daß die feindliche Propaganda betonte, mit Hitler unter keinen Umständen zu verhandeln, wußte ich. Daß Hitler nicht verhandeln wollte, unter keinen Umständen, das war mir auch bekannt, aber nicht in diesem Zusammenhang. Hitler wollte verhandeln, falls Verhandlungen ihm irgendeine Aussicht ergeben hätten. Völlig aussichtslose und zwecklose Verhandlungen wünschte er allerdings auf keinen Fall. Durch die Erklärung der westlichen Gegner, nach, soweit ich mich erinnere, der Landung in Afrika, unter keinen Umständen mit Deutschland zu verhandeln, sondern bedingungslose Kapitulation zu erzwingen, wurde der Widerstand Deutschlands bis zum äußersten organisiert und mußte als solcher [478] organisiert werden. Wenn ich gar keine Chance bei einem Friedensschluß durch Verhandlungen habe, dann haben auch Verhandlungen keinen Sinn, sondern dann muß ich versuchen, bis zum äußersten durch den Appell an die Waffen vielleicht doch noch eine Wendung herbeizuführen.


JUSTICE JACKSON: Im Januar 1945 wußten Sie ebenfalls, daß Sie nicht imstande waren, die deutschen Städte gegen die Luftangriffe der Alliierten zu verteidigen, stimmt das?


GÖRING: Was die Verteidigung der deutschen Städte gegen die alliierten Luftangriffe angeht, möchte ich die Möglichkeit hierzu folgendermaßen charakterisieren: An sich...


JUSTICE JACKSON: Können Sie meine Frage nicht beantworten? Zeit spielt vielleicht bei Ihnen eine geringere Rolle als bei uns. Können Sie nicht einfach mit Nein oder Ja antworten? Wußten Sie damals, als Sie erkannten, daß der Krieg verloren war, daß die deutschen Städte nicht erfolgreich gegen Luftangriffe verteidigt werden konnten? Können Sie das bitte mit Ja oder Nein beantworten?


GÖRING: Ich kann sagen, daß ich gewußt habe, daß zu diesem Zeitpunkt das nicht möglich war.


JUSTICE JACKSON: Und Sie wußten, daß die damals gegen England fortgeführten Luftangriffe den Verlauf des Krieges nicht mehr ändern konnten und nur den einen Zweck hatten, den, wie Sie damals schon wußten, hoffnungslosen Kampf zu verlängern?


GÖRING: Ich glaube, Sie irren sich. Nach dem Januar 1945 haben keinerlei Angriffe, es sei denn durch einzelne wenige Flugzeuge, auf England mehr stattgefunden, weil ich zu diesem Zeitpunkt mein gesamtes Benzin für die Jäger zur Abwehr brauchte. Hätte ich Bombenflugzeuge zur Verfügung gehabt und Benzin, so hätte ich selbstverständlich bis zur letzten Minute solche Angriffe fortgesetzt, als Vergeltung gegen die Angriffe, die auf deutsche Städte erfolgten, ganz gleichgültig wie die Chance war.


JUSTICE JACKSON: Und wie steht es mit den Ro boterangriffen? Fanden diese nach dem Januar 1945 statt?


GÖRING: Gott sei Dank, daß wir noch ein Kampfmittel hatten, das wir einsetzen konnten. Ich sagte ja soeben, solange gekämpft wurde, mußte zurückgeschlagen werden, und ich kann vom soldatischen Standpunkt aus nur bedauern, daß wir nicht genügend unbemannte, also V-1- und V-2-Bomben hatten, denn nur so konnte unter Umständen eine Rücksichtnahme auf den Einsatz gegen deutsche Städte erfolgen, wenn man dem Gegner genau so schwere Verluste beizubringen vermochte.


[479] JUSTICE JACKSON: Und es gab keine Möglichkeit, die Verlängerung des Krieges zu verhindern, solange Hitler an der Spitze der Deutschen Regierung stand, stimmt das?


GÖRING: Solange Hitler Führer des deutschen Volkes war, bestimmte er ausschließlich die Kriegsführung. Solange mich ein Gegner damit bedroht, daß er nur eine bedingungslose und völlig bedingungslose Kapitulation fordert, kämpfe ich bis zum letzten Atemzug, weil mir doch nichts anderes übrig bleibt, als nur noch die Chance, unter Umständen das Schicksal zu wenden, selbst wenn es hoffnungslos erscheint.


JUSTICE JACKSON: Wenn das deutsche Volk geglaubt hätte, es sei an der Zeit mit diesem Schlachten aufzuhören, dann hätte es kein anderes Mittel als die Revolution oder die Ermordung Hitlers gegeben?


GÖRING: Eine Revolution ändert immer eine Sachlage, wenn sie gelingt; das ist die Voraussetzung. Die Ermordung Hitlers hätte zu diesem Zeitpunkt, sagen wir Januar 1945, meine Nachfolge hervorgerufen. Wenn der Gegner mir dieselbe Antwort gegeben hätte, bedingungslos zu kapitulieren, und zwar zu jenen furchtbaren Bedingungen, die angedeutet waren, hätte ich unter allen Umständen weitergefochten.


JUSTICE JACKSON: Am 20. Juli 1944 wurde ein Angriff auf Hitlers Leben unternommen?


GÖRING: Bedauerlicherweise ja.


JUSTICE JACKSON: Dann kam eine Zeit im Jahr 1945, als Hitler in Berlin sein Testament machte, durch das er die Kanzlerschaft des Reiches Ihrem Mitangeklagten Admiral Dönitz übertrug. Wissen Sie darüber Bescheid?


GÖRING: Das ist richtig, ich habe von diesem Testament hier gelesen.


JUSTICE JACKSON: Und im Hinblick auf sein Testament und die Übertragung der Deutschen Regierung auf Admiral Dönitz verweise ich Sie auf folgende Erklärung:

»Göring und Himmler haben durch geheime Verhandlungen mit dem Feinde, die sie ohne mein Wissen und gegen meinen Willen abhielten, sowie durch den Versuch, entgegen dem Gesetz, die Macht im Staat an sich zu reißen, dem Lande und dem gesamten Volk unabsehbaren Schaden zugefügt, gänzlich abgesehen von der Treulosigkeit gegenüber meiner Person.«

Mit diesem Testament wurden Sie und Himmler aus der Partei ausgestoßen und aller Staatsämter enthoben.

GÖRING: Dazu kann ich nur erwidern, was Himmler getan hat, weiß ich nicht. Ich habe den Führer weder verraten noch habe ich [480] zu diesem Zeitpunkte auch nur mit einem einzigen fremden Soldaten verhandelt. Dieses Testament oder diese Schlußbetrachtung des Führers basieren auf einem sehr bedauerlichen und mich tiefschmerzenden Irrtum, daß der Führer in seiner letzten Stunde noch glauben konnte, daß ich ihm jemals hätte die Treue brechen können. Das Ganze beruht auf dem Irrtum einer Übermittlung durch den Funkbericht und vielleicht auf einer falschen Darstellung, die Bormann dem Führer gegeben hat. Ich selbst habe keinen Augenblick daran gedacht, illegal die Macht an mich zu nehmen, noch irgendwie gegen den Führer zu handeln.

JUSTICE JACKSON: Auf jeden Fall wurden Sie verhaftet und erwarteten, erschossen zu werden?

GÖRING: Das ist richtig.


JUSTICE JACKSON: Als Sie über den Aufstieg der Partei zur Macht sprachen, haben Sie einiges ausgelassen, wie zum Beispiel den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933. Nach dem Brand fand eine große Säuberungsaktion statt, nicht wahr, bei der viele verhaftet und viele getötet wurden?


GÖRING: Es ist mir nicht ein einziger Fall bekannt, daß ein Mann wegen des Reichstagsbrandes getötet wurde, außer dem durch das Reichsgericht verurteilten Brandstifter van der Lubbe. Die beiden anderen Angeklagten aus diesem Prozeß wurden freigesprochen. Es war auch nicht, wie Sie neulich glaubten, irrtümlicherweise Herr Thälmann angeklagt, sondern der kommunistische Abgeordnete Torgier. Er wurde freigesprochen, ebenso wie der Bulgare Dimitroff. Verhaftungen fanden im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand verhältnismäßig wenige statt. Die Verhaftungen, die Sie auf den Reichstagsbrand zurückführen, sind die Verhaftungen der kommunistischen Funktionäre. Diese wären, das habe ich häufig gesagt und betone es noch einmal, völlig unabhängig von diesem Brande ebenfalls verhaftet worden. Der Brand hat ihre Verhaftung nur beschleunigt, die sorgfältig vorbereitete Aktion überstürzt und dadurch sind eine Reihe von Funktionären entkommen.


JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, Sie hatten Listen der Kommunisten schon fix und fertig als das Feuer im Reichstag ausbrach, und zwar von Personen, die verhaftet werden sollten. Stimmt das?


GÖRING: Wir hatten die Listen der kommunistischen Funktionäre, die verhaftet werden sollten, vorher bereits zum großen Teil schon festgelegt. Es war völlig unabhängig vom Brande im Deutschen Reichstag.


JUSTICE JACKSON: Diese Verhaftungen wurden unmittelbar nach dem Reichstagsbrand durchgeführt?


[481] GÖRING: Im Gegensatz zu meiner Absicht, es noch wenige Tage hinauszuschieben und programmäßig verlaufen zu lassen, um dadurch alle richtig zu erfassen, wünschte der Führer in der Nacht, daß nun die Verhaftungen sofort und augenblicklich erfolgen sollten. Das hatte den Nachteil, daß dies, wie ich eben sagte, etwas überstürzt geschah.


JUSTICE JACKSON: Sie und der Führer trafen sich an der Brandstätte, stimmt das?


GÖRING: Das ist richtig.


JUSTICE JACKSON: Und an Ort und Stelle ent schlossen Sie sich, alle Kommunisten verhaften zu lassen, die Sie listenmäßig erfaßt hatten?


GÖRING: Ich betone noch einmal, der Entschluß ihrer Verhaftung stand schon tagelang vorher fest, nur der Zeitpunkt der sofortigen Verhaftung erfolgte in dieser Nacht. Mir wäre es lieber gewesen, einige Tage programmäßig zu warten, dann wären mir nicht noch einige wichtige entwischt.


JUSTICE JACKSON: Und am nächsten Morgen wurde dem Präsidenten von Hindenburg die Verordnung vorgelegt, welche die Verfassungsbestimmungen aufhob, die wir hier besprochen haben?


GÖRING: Ich glaube, ja.


JUSTICE JACKSON: Wer war Karl Ernst?


GÖRING: Karl Ernst, – ob der den Vornamen Karl hat, weiß ich nicht, Ernst war der SA-Führer von Berlin.


JUSTICE JACKSON: Und wer war Helldorf?


GÖRING: Graf Helldorf war der spätere SA-Führer von Berlin.


JUSTICE JACKSON: Und Heines?


GÖRING: Heines war der SA-Führer von Schlesien zu diesem Zeitpunkt.

JUSTICE JACKSON: Es ist Ihnen wohl bekannt, daß Ernst eine Erklärung dahin abgegeben hat, daß diese drei den Reichstag angesteckt hätten, und daß Sie und Goebbels den Plan dazu entworfen und das aus Petroleum und Phosphor bestehende Brandmaterial geliefert hätten, das Sie in einem unterirdischen Gang bereitstellen ließen, der von Ihrem Hause zum Reichstagsgebäude führte. Sie wußten von dieser Erklärung?


GÖRING: Eine Erklärung des SA-Führers Ernst kenne ich nicht. Aber ich kenne einen in der Auslandspresse kurze Zeit darauf veröffentlichten Roman des Kraftfahrers von Herrn Röhm; er kam nach 1934 heraus.


JUSTICE JACKSON: Aber es gab einen solchen Gang von dem Reichstagsgebäude zu Ihrem Haus?


[482] GÖRING: Auf der einen Seite der Straße steht das Reichstagsgebäude, gegenüber das Palais des Reichstagspräsidenten. Zwischen beiden ist ein Gang, auf dem die Kokswagen für die Zentralheizung durchfahren.


JUSTICE JACKSON: Jedenfalls wurde Ernst kurz danach umgebracht, ohne Gerichtsverfahren und ohne die Möglichkeit, die Geschichte von seiner Seite zu erzählen.


GÖRING: Das ist nicht richtig. Der Reichstagsbrand war im Februar 1933. Ernst wurde am 30. Juni 1934 erschossen, weil er mit Röhm zusammen einen Staatsstreich und einen Anschlag auf den Führer vorbereitet hatte. Er hatte also Zeit, fünfviertel Jahre, wenn er gewünscht hätte, irgendwelche Erklärungen zum Reichstagsbrand abzugeben.


JUSTICE JACKSON: Er hatte schon begonnen, Erklärungen abzugeben, und Sie wurden ganz allgemein beschuldigt, das Reichstagsgebäude in Brand gesteckt zu haben. Wußten Sie das?


GÖRING: Diese Anklage, daß ich den Reichstag angezündet hätte, kam von einer gewissen Auslandspresse. Das konnte mich weiter nicht berühren, weil es nicht den Tatsachen entsprach. Es hatte keinen Zweck und Sinn für mich, den Reichstag anzustecken. Ich bedauere an sich von der künstlerischen Seite durchaus nicht, daß das Plenum verbrannt ist; ich hoffte, ein besseres aufzubauen. Ich bedauerte aber außerordentlich, daß ich gezwungen war, einen neuen Reichstagssitzungssaal zu suchen und, da ich keinen gefunden habe, meine Kroll-Oper, sprich zweite Staatsoper, dafür herzugeben. Die Oper erschien mir erheblich wichtiger als der Reichstag.


JUSTICE JACKSON: Haben Sie sich jemals damit gebrüstet, wenn auch nur aus Witz, den Reichstag angezündet zu haben?

GÖRING: Nein. Ich habe einen Witz gebraucht, wenn Sie den meinen, daß ich sagte, ich trete demnächst in Konkurrenz mit dem Kaiser Nero. Es wird voraussichtlich sehr bald heißen, ich habe mit einer roten Toga, mit einer Leier in der Hand gegenübergestanden und zu dem Reichstagsbrand aufgespielt. Das war der Witz. Tatsächlich aber wäre ich beinahe durch den Reichstagsbrand umgekommen, für das deutsche Volk sehr unangenehm, für seine Gegner sehr angenehm.


JUSTICE JACKSON: Sie haben also nie erklärt, den Reichstag angesteckt zu haben?


GÖRING: Nein, ich weiß, daß Herr Rauschning in seinem Buch, das hier mehrfach herangezogen wurde, sagt, ich hätte mit ihm darüber gesprochen. Herrn Rauschning habe ich in meinem Leben nur zweimal ganz flüchtig gesehen. Wenn ich schon den Reichstag angezündet hätte, so würde ich das voraussichtlich nur im allerengsten Vertrauenskreis, wenn überhaupt, bekanntgegeben haben. [483] Einem Mann, den ich überhaupt nicht kenne und von dem ich heute nicht sagen kann, wie er überhaupt ausgesehen hat, würde ich mich niemals gegenüber geäußert haben. Es ist dies eine absolute Fälschung.


JUSTICE JACKSON: Können Sie sich an ein Mittagessen an Hitlers Geburtstag 1942 im Offizierskasino im Führerhauptquartier in Ostpreußen erinnern?


GÖRING: Nein.


JUSTICE JACKSON: Sie können sich dessen nicht mehr erinnern? Ich werde Ihnen ein Affidavit von General Franz Halder vorlegen lassen und ich verweise Sie auf die Erklärung, die vielleicht Ihr Gedächtnis auffrischen wird. Ich lese es vor:

»Anläßlich eines gemeinsamen Mittagsmahls am Geburtstag des Führers 1942 kam in der Umgebung des Führers das Gespräch auf das Reichstagsgebäude und seinen künstlerischen Wert. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie Göring in das Gespräch hineinrief: ›Der einzige, der den Reichstag wirklich kennt, bin ich; ich habe ihn ja angezündet.‹ Dabei schlug er sich mit der flachen Hand auf die Schenkel.«

GÖRING: Diese Unterhaltung hat nicht stattgefunden, und ich bitte, mir Herrn Halder gegenüberzustellen. Zunächst möchte ich betonen, daß das auch völliger Unsinn ist, was hier steht. Hier heißt es »Der einzige, der den Reichstag wirklich kennt, bin ich«. Den Reichstag kannte jeder Abgeordnete, und der Brand war ausschließlich im Plenum, und dieses Plenum kannten viele Hunderte oder Tausende von Menschen, genau so wie ich. Eine derartige Äußerung ist ein absoluter Unsinn; wie Herr Halder dazu kommt, weiß ich nicht; nur sein schwaches Gedächtnis, das er auch militärisch hatte, kann da anscheinend der Grund sein.

JUSTICE JACKSON: Sie wissen, wer Halder ist?


GÖRING: Ich weiß es zur Genüge.


JUSTICE JACKSON: Wissen Sie, welche Position er in der Deutschen Wehrmacht bekleidete?


GÖRING: Er war Chef des Generalstabs des Heeres, und ich habe laufend den Führer darauf aufmerksam gemacht, nachdem der Krieg ausgebrochen war, daß er sich endlich einen Chef zulegen müßte, der von den Dingen etwas versteht.


JUSTICE JACKSON: Über die Röhm-Säuberungsaktion haben Sie sich nicht genau geäußert. Was hat Röhm tatsächlich getan, weshalb er erschossen wurde?


GÖRING: Röhm hat einen Staatsstreich vorbereitet, bei dem auch der Führer getötet werden sollte; er wollte eine Revolution daran [484] anschließen, die sich vor allen Dingen gegen die Armee richtete, das Offizierskorps, das, was er unter Reaktion verstand.


JUSTICE JACKSON: Und Sie hatten dafür Beweise?


GÖRING: Wir hatten dafür genügend Beweise.


JUSTICE JACKSON: Aber es ist ihm nie Gelegenheit gegeben worden, sich vor Gericht zu verteidigen, wie Sie dies hier tun können, nicht wahr?


GÖRING: Das ist richtig, er wollte einen revolutionären Akt machen, und deshalb hatte es der Führer für richtig gehalten, diese Sache sofort im Keime zu ersticken, und zwar nicht durch ein Gerichtsverfahren, sondern durch sofortiges Niederschlagen dieser Revolte.


JUSTICE JACKSON: Wurden die Namen der Leute, die bei der der Verhaftung Röhms folgenden Säuberungsaktion erschossen wurden, jemals veröffentlicht?


GÖRING: Ein Teil der Namen, jawohl. Nicht alle, glaube ich.


JUSTICE JACKSON: Wer hat tatsächlich Röhm erschossen? Wissen Sie das?


GÖRING: Ich weiß nicht, wer die Erschießung durchführte.


JUSTICE JACKSON: Welcher Organisation wurde der Auftrag gegeben?


GÖRING: Das weiß ich auch nicht, weil die Erschießung Röhms durch den Führer angeordnet wurde und nicht durch mich, weil ich in Norddeutschland zuständig war.


JUSTICE JACKSON: Wer hat diejenigen verhaftet, die für die Konzentrationslager bestimmt waren, und wieviele waren es?


GÖRING: Die Polizei führte die Verhaftungen derjenigen durch, die zunächst in Untersuchung genommen werden sollten, die nicht so stark belastet waren und von denen man nicht wußte, wieweit sie eingeweiht oder nicht eingeweiht waren. Eine Reihe dieser Leute ist sehr bald, eine Reihe etwas später wieder entlassen worden. Wieviele im einzelnen hierbei verhaftet wurden, kann ich Ihnen nicht sagen. Die Verhaftungen wurden durch die Polizei durchgeführt.


JUSTICE JACKSON: Die Gestapo meinen Sie?


GÖRING: Ich nehme es an.


JUSTICE JACKSON: Und wenn Milch aussagt, er habe 1935 in Dachau 700 oder 800 Personen gesehen, muß doch eine weitaus größere Zahl verhaftet worden sein, zumal Sie sagen, daß viele entlassen wurden. Wissen Sie, wieviele verhaftet wurden?


GÖRING: Ich sage noch einmal, ich weiß nicht genau, wieviel verhaftet wurden. Weil die Verhaftungen der im Zusammenhang [485] damit stehenden Personen, die notwendig waren oder als notwendig betrachtet wurden, nicht mehr durch mich liefen. Meine Aktion endete sozusagen an dem Tag, an dem die Revolte niedergeschlagen wurde. Ich habe Milch etwas anders verstanden und habe auch meinem Verteidiger einen Zettel geschickt, durch eine Anfrage zu klären, ob Milch mit diesen 700 Personen Angehörige aus dem Röhm-Putsch meinte oder sagen wollte, daß er insgesamt dort 700 Verhaftete gesehen habe. So habe ich es aufgefaßt. Zur Klärung müßte eine Rückfrage beim Feldmarschall Milch erfolgen, denn ich halte diese Zahl von fünf-, sechs- oder siebenhundert für weitaus zu hoch, für die insgesamt im Zusammenhang mit dem Röhm-Putsch Verhafteten.


JUSTICE JACKSON: Unter denen, die getötet wurden, befand sich Herr von Schleicher, der einer Ihrer politischen Gegner war, und seine Frau. Stimmt das?


GÖRING: Das ist richtig.


JUSTICE JACKSON: Ebenso Erich Klausner, der Chef der katholischen Aktion Deutschlands?


GÖRING: Klausner befand sich ebenfalls unter den Erschossenen, und gerade der Fall Klausner gab mir jenen Grund, den ich neulich ausführte, beim Führer ein sofortiges Abstoppen jeder weiteren Aktion herbeizurufen, da nach meiner Auffassung Klausner vollkommen zu Unrecht erschossen wurde.


JUSTICE JACKSON: Und Strasser, der früher der zweite Mann nach Hitler war und sich mit ihm im Dezember 1932 entzweit hatte, wurde Strasser nicht auch erschossen?


GÖRING: Strasser war nicht, was man den zweiten Mann nach Hitler nennen könnte; er spielte innerhalb der Partei eine außerordentlich wichtige Position vor der Machtergreifung, wurde aber vor der Machtergreifung bereits aus der Partei ausgestoßen. Strasser war im Zusammenhang mit der Revolte beteiligt, er wurde auch erschossen.


JUSTICE JACKSON: Als es dann soweit gekommen war, daß nur noch zwei von der Liste derer, die zu töten waren, übrig waren, da griffen Sie ein und verlangten, daß damit aufgehört werde. Stimmt das?


GÖRING: Nein, so ist das nicht richtig. Ich habe das ziemlich klar ausgedrückt und darf es kurz wiederholen: nicht als nur noch zwei auf der Liste standen, habe ich eingegriffen. Sondern, als ich erkannte, daß eine Reihe von Leuten auch erschossen wurden, die mit dieser Sache nichts zu tun hatten, griff ich ein; bei meinem Eingreifen waren noch zwei Persönlichkeiten, die sehr stark daran beteiligt waren, und deren Erschießung der Führer an sich angeordnet hatte, übrig. Auf den einen als Haupttreiber dieser Aktion war er besonders wütend gewesen. Ich wollte damit zum Ausdruck [486] bringen, daß ich dem Führer sagte: Lieber verzichten Sie darauf, daß diese beiden Hauptschuldigen noch exekutiert werden und stoppen das Ganze augenblicklich ab, so ist das zu verstehen.


JUSTICE JACKSON: Welcher Tag war das? Können Sie die Zeit genau angeben?


GÖRING: Ja, das kann ich genau festlegen; soviel ich mich erinnere, war der entscheidende Tag der Sonnabend. Am Sonnabendabend zwischen 6.00 und 7.00 Uhr kam der Führer mit Flugzeug von München zurück. Meine Aktion bezüglich der Einstellung liegt am Sonntagnachmittag, ungefähr zwischen 2.00 und 3.00 Uhr.


JUSTICE JACKSON: Und was ist mit den zwei Leuten geschehen, die auf der Liste verblieben? Wurden sie je vor ein Gericht gestellt?


GÖRING: Nein, der eine kam, soviel ich weiß, in das Konzentrationslager, und der andere ist vorübergehend in eine Art Hausarrest gesetzt worden, wenn ich mich richtig erinnere.


JUSTICE JACKSON: Gehen wir auf den Zeitpunkt zurück, als Sie Hitler kennen lernten. Sie sagten, er war ein Mann, der ein ernstes, bestimmtes Ziel verfolgte, und daß er mit der Niederlage Deutschlands und dem Versailler Vertrag nicht einverstanden war. Sie können sich daran erinnern?


GÖRING: Ich bedauere, die Übersetzung war etwas lückenhaft, ich kann keinen Sinn daraus entnehmen. Ich bitte, zu wiederholen.


JUSTICE JACKSON: Wie ich Ihre Aussage verstanden habe, fanden Sie in Hitler einen Mann mit einem ernsten und bestimmten Ziel, das, wie Sie sagten, darin bestand, daß er sich weder mit Deutschlands Niederlage im vorigen Krieg noch mit dem Versailler Vertrag zufriedengeben wollte.


GÖRING: Ich glaube, Sie haben mich da nicht richtig verstanden, denn genau so habe ich es keineswegs gesagt. Ich habe ausgeführt, daß mir aufgefallen war, daß Hitler eine klare Auffassung über den Zweck nutzloser Proteste hatte, daß er zum zweiten die Auffassung vertrat, daß Deutschland von dem Diktat von Versailles freikommen müßte. Nun war das nicht Adolf Hitler allein, sondern jeder patriotische Deutsche fühlte das ebenso; und weil ich als glühender Patriot die Schmach und das Diktat und die Schande von Versailles unablässig für mein Volk fühlte, vereinigte ich mich mit dem Manne, von dem ich das Gefühl hatte, daß er am klarsten die Folgen des Diktats erkannte und daß er einer derjenigen sein würde, die vielleicht die richtigen Wege zur Beseitigung gehen würden. Das andere, was sonst in der Partei von Versailles geredet wurde, war, verzeihen Sie mir den Ausdruck, »Geschwafel«.

[487] JUSTICE JACKSON: Wie ich Sie verstehe, war es von Anfang an die in der Öffentlichkeit bekannte Einstellung der Nazi-Partei, daß der Versailler Vertrag beseitigt werden müßte, und daß das mit Protesten allein nicht getan werden könnte?


GÖRING: Es war von Anfang an das Ziel Adolf Hitlers und seiner Bewegung, Deutschland aus den drückenden Fesseln von Versailles zu befreien, das heißt, nicht den gesamten Vertrag von Versailles, sondern jene Deutschland für seine Zukunft erdrosselnden Bestimmungen.


JUSTICE JACKSON: Und das, falls notwendig, durch einen Krieg?


GÖRING: Darüber wurde damals gar nicht debattiert, sondern debattiert wurde nur darüber, daß die erste Voraussetzung, um überhaupt am Gebäude dieses Diktates – es wird immer von einem Frieden gesprochen, wir Deutsche sprechen von einem Diktat – dieses einseitige Diktat es war, daß Deutschland eine andere politische Struktur bekam, die es allein dazu befähigen würde, gegen dieses Diktat Einwendungen zu erheben, und zwar nicht nur Einwendungen, sondern solche, die auch berücksichtigt werden würden.


JUSTICE JACKSON: Das waren die Mittel; die Mittel bestanden in der Reorganisation des deutschen Staates. Ihr Ziel aber war, von dem »Versailler Diktat«, wie Sie es nennen, loszukommen?


GÖRING: Die Befreiung von jenen Bestimmungen des Versailler Diktats, die auf die Dauer das deutsche Leben unmöglich machten, das war durchaus der Zweck und die Absicht; aber es wurde dabei nicht gesprochen: Wir wollen einen Krieg machen und siegreich unsere Gegner schlagen, sondern es wurde das Ziel gestellt, die Methoden den politischen Ereignissen anzupassen; das waren die Voraussetzungen dafür.


JUSTICE JACKSON: Und zu diesem Zweck gaben Sie und alle die anderen Personen, die der Partei beitraten, Hitler alle Macht, Entscheidungen für Sie zu treffen, und gelobten ihm mit ihrem Diensteid Gehorsam?


GÖRING: Das sind wieder mehrere Fragen. Aber Frage 1:

Der Kampf gegen das Diktat von Versailles, so möchte ich sagen, war für mich der entscheidendste Punkt, der Partei beizutreten. Für andere mögen andere wichtiger, oder andere Punkte des Programms oder der Auffassung vielleicht entscheidender gewesen sein. Dem Führer alle Macht zu geben, war nicht deshalb eine Voraussetzung, um Versailles loszuwerden, sondern beruhte auf unserer grundsätzlichen Auffassung des Führerprinzips. Ihm den Eid zu leisten, war, bevor er Staatsoberhaupt wurde, für diejenigen, die sich als sein engeres Führerkorps betrachteten, für damalige Verhältnisse eine Selbstverständlichkeit. Ich weiß nicht und kann Ihnen [488] nicht sagen, wie es mit der Eidesleistung vor der Machtergreifung exakt zugegangen ist. Ich kann Ihnen nur das sagen, was ich getan habe. Ich habe nach einer gewissen Zeit, als ich mehr Einblick in die Persönlichkeit des Führers bekam, ihm meine Hand gegeben und gesagt: Ich verbinde mein Schicksal auf Gedeih und Verderb mit dem Ihren, ich verpflichte mich Ihnen ganz, in guten und schlechten Zeiten, und mit diesem meinem Eid nehme ich auch meinen Kopf nicht aus. Und das gilt auch heute hier.


JUSTICE JACKSON: Wenn Sie mir nur drei oder vier Fragen mit Ja oder Nein beantworten würden, hätte ich nichts dagegen, daß Sie uns Ihre Auffassung der ganzen Angelegenheit hier darlegen. Erstens wollten Sie einen starken deutschen Staat, um die Bedingungen von Versailles abzuschaffen?


GÖRING: Überhaupt wollten wir einen starken Staat, ganz unabhängig von Versailles; aber um Versailles zu beseitigen, mußte zunächst der Staat stark sein, denn einen schwachen hört man nicht; das hatten wir erfahren.

JUSTICE JACKSON: Das Führerprinzip hatten Sie angenommen, weil Sie glaubten, daß dies zu einem starken Staat führen würde?


GÖRING: Richtig.


JUSTICE JACKSON: Und dieses Ziel, eines der Ziele der Nazi-Partei, die Bedingungen von Versailles abzuändern, war in der Öffentlichkeit bekannt, und das Volk war im allgemeinen damit einverstanden; es war eines ihrer besten Mittel, das Volk dazu zu bekommen, sich mit ihnen zu verbünden?


GÖRING: Das Diktat von Versailles war derartig, daß jeder Deutsche nach meiner Auffassung für die Modifizierung sein mußte; es ist kein Zweifel, daß dieses wohl ein sehr starkes Anziehungsmittel der Bewegung gewesen ist.


JUSTICE JACKSON: Eine Anzahl von Männern, welche an dieser Bewegung teilgenommen haben, sind nicht hier. Um es im Sitzungsprotokoll niedergelegt zu haben, Ihrer Ansicht nach besteht kein Zweifel, daß Adolf Hitler tot ist?


GÖRING: Daran kann, glaube ich, kein Zweifel bestehen.


JUSTICE JACKSON: Und das gleiche gilt für Goebbels?

GÖRING: Bei Goebbels habe ich nicht den geringsten Zweifel, denn ich habe von jemandem, dem ich absolut glaube, gehört, daß er Goebbels tot gesehen hat.


JUSTICE JACKSON: Und Sie bezweifeln nicht, daß Himmler tot ist?


GÖRING: Darüber bin ich nicht sicher; aber ich glaube, Sie müssen um so sicherer sein, weil Sie es viel besser wissen als ich, [489] denn er ist ja in Ihrer Gefangenschaft totgegangen. Ich bin nicht dabei gewesen.


JUSTICE JACKSON: Sie zweifeln nicht daran, daß Heydrich tot ist?


GÖRING: Ja, darüber bin ich allerdings absolut sicher.


JUSTICE JACKSON: Wahrscheinlich auch Bormann?


GÖRING: Hier bin ich nicht absolut sicher. Ich habe keine Unterlagen, ich weiß es nicht, ich nehme es an.


JUSTICE JACKSON: Und dies waren die Hauptpersonen, die Sie in Ihrer Aussage als verantwortlich erwähnt haben, Hitler für alles, Goebbels für die Aufhetzung zu Ausschreitungen gegen die Juden, Himmler, der Hitler betrogen hat, und Bormann, der ihn in Bezug auf sein Testament irregeführt hat.


GÖRING: Der Einfluß auf den Führer war zu verschiedenen Zeiten ein verschiedener. Den Haupteinfluß auf den Führer habe, soweit man überhaupt von Einfluß sprechen kann, bis mindestens Ende 1941, Anfang 1942, ich gehabt. Mein Einfluß sank dann etwas ab bis in das Jahr 1943 und begann dann stark abzusinken. Alles in allem hat aber, glaube ich, niemals jemand sonst noch annähernd meinen Einfluß auf den Führer gehabt. Neben mir oder außer mir haben, wenn überhaupt, einen Einfluß gehabt von Anfang an in gewisser Richtung Goebbels, mit dem der Führer sehr viel zusammen war. Dieser Einfluß hat vorübergehend geschwankt und war sehr gering, steigerte sieh aber in den letzten Kriegsjahren außerordentlich, denn es war leicht, dadurch Einfluß zu gewinnen...

Einen gewissen Einfluß hatte vor der Machtergreifung und um die Machtergreifung herum, in den Jahren danach Heß, aber nur auf seinem Spezialgebiet. Dann hatte Himmler seinen Einfluß im Laufe der Jahre verstärkt. Dieser Einfluß sank Ende 1944 rapide ab. Den entscheidendsten Einfluß während des Krieges auf die Person des Führers, und zwar gerade vom Jahre ungefähr 1942 ab, nachdem Heß 1941 ausgeschieden war und ein Jahr vergangen war, hatte Herr Bormann. Dieser hatte zum Schluß einen verhängnisvoll starken Einfluß. Das war aber nur möglich, weil der Führer nach dem 20. Juli mit einem unerhört starken Mißtrauen erfüllt und Bormann stündlich um ihn war und alle Dinge vortrug, darstellte und so weiter. Das sind in großen Zügen die Persönlichkeiten, die zeitweise und vorübergehend Einfluß hatten.


JUSTICE JACKSON: Sie übernahmen im Jahre 1933 eine Sonderüberwachungsstelle, die sich damit befaßte, die Telephongespräche öffentlicher Beamter und anderer innerhalb und außerhalb Deutschlands abzuhören. Stimmt das?


GÖRING: Ich habe ausgeführt, daß ich einen technischen Apparat eingerichtet habe, der, wie Sie richtig sagen, die Gespräche wichtiger [490] Ausländer nach dem Ausland und vom Ausland, Telegramme, Funkberichte, Drahtberichte, die auch nicht nur von Deutschland ins Ausland gingen, sondern von einem Ausland durch den Äther ins andere und abgefangen wurden, überwachte. Auch führte er Telephonüberwachungen im eigenen Lande gegenüber 1. wichtigen Ausländern, 2. zeitweise gegenüber wichtigen Firmen und 3. gegenüber solchen Personen, die aus irgendwelchen Gründen politischer oder polizeilicher Art überwacht werden sollten, durch. Um keinen Mißbrauch seitens der Polizei einzuführen, mußte, sobald dieses Amt Telephongespräche abhören sollte, meine persönliche Genehmigung eingeholt werden. Daneben konnte trotzdem natürlich ein unkontrolliertes Abhören stattfinden, wie das technisch heute überall möglich ist.


JUSTICE JACKSON: Sie haben die Ergebnisse dieser Berichte für sich behalten, stimmt das?


GÖRING: Nein, es war so: Die Berichte, die das Auswärtige Amt interessierten, bekam das Auswärtige Amt; die Berichte, die für den Führer wichtig waren, bekam der Führer; die Berichte, die für die militärische Seite wichtig waren, der Kriegsminister, das Luftfahrtministerium oder das Wirtschaftsministerium. Ich, beziehungsweise mein Vertreter entschied, ob das für dieses oder jenes Amt wichtig sei. Dort saß ein Mann, der beauftragt und verantwortlich war, daß diese Geheimberichte nur dem Chef vorgelegt wurden. Ich konnte selbstverständlich jederzeit anordnen, daß dieser oder jener Bericht ausschließlich meiner Kenntnis vorbehalten bleiben und nicht weitergegeben werden sollte. Das war mir jederzeit möglich.


JUSTICE JACKSON: Sie hatten ziemliche Schwierigkeiten mit anderen Polizeistellen, die diese Organisation gerne in die Hände bekommen hätten. Stimmt das?


GÖRING: Es ist richtig, daß die Polizei danach strebte, dieses Instrument in die Hand zu bekommen. Sie hat es aber nicht von mir bekommen und hat vielleicht da und dort eine Nebenüberwachung aufgemacht. Aber die entscheidende Überwachung, die ja technisch durch das Postministerium geschaltet werden mußte, die konnte nur ich anordnen.


JUSTICE JACKSON: Sie haben doch die Beweisvorlage der Anklagebehörde gegen alle in diesem Prozeß Angeklagten gehört. Stimmt es?


GÖRING: Ja.


JUSTICE JACKSON: Ist Ihnen irgendeine Handlung irgendeines Ihrer Mitangeklagten bekannt, von der Sie behaupten könnten, daß sie vernünftigerweise nicht notwendig war, um die Pläne der Nazi-Partei durchzuführen?


[491] GÖRING: Das sind ja zunächst nur Behauptungen der Anklagebehörde und noch nicht erwiesene Tatsachen; in diesen Behauptungen sind eine ganze Reihe von Akten, die nicht notwendig gewesen wären.


JUSTICE JACKSON: Können Sie im einzelnen darlegen, welche Handlungen Ihrer Ansicht nach über den Rahmen der Pläne der Partei hinausgingen, und von welchen Angeklagten sie begangen worden sind?


GÖRING: Das ist eine sehr schwierige Frage, die ich so ohne weiteres und ohne Unterlagen nicht beantworten kann.

DR. STAHMER: Ich widerspreche dieser Frage; ich glaube nicht, daß es sich bei dieser Frage um Tatsachen handelt, sondern um Urteile, die in dieser allgemeinen Fassung überhaupt nicht beantwortet werden können.


VORSITZENDER: Herr Jackson, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Frage etwas zu weit geht.


JUSTICE JACKSON: Sie haben erklärt, daß das Programm der NSDAP dahin zielte, gewisse Ungerechtigkeiten zu berichtigen, die Sie in dem Versailler Vertrag zu erkennen glaubten. Ich frage Sie, ob es nicht richtig ist, daß Ihr Programm beträchtlich über den Rahmen der im Vertrag behandelten Punkte hinausging?


GÖRING: Selbstverständlich enthielt das Programm noch eine ganze Reihe anderer Punkte, die mit dem Versailler Vertrag nichts zu tun hatten.


JUSTICE JACKSON: Ich verweise Sie auf eine Erklärung in dem Buche »Mein Kampf«, und zwar folgenden Inhalts:

»Die Grenzen des Jahres 1914 bedeuten für die Zukunft der deutschen Nation gar nichts. In ihnen lag weder ein Schutz der Vergangenheit, noch läge in ihnen eine Stärke für die Zukunft. Das deutsche Volk wird durch sie weder seine innere Geschlossenheit erhalten, noch wird seine Ernährung durch sie sichergestellt, noch erscheinen diese Grenzen, vom militärischen Gesichtspunkt aus betrachtet, als zweckmäßig oder auch nur befriedigend.«

Stimmt das alles?

GÖRING: Ich möchte die Originalstellen in »Mein Kampf« nachlesen, um Ihnen zu sagen, ob das genau so stimmt, wie Sie mir vorgelesen haben. Ich nehme fast an, es stimmt. Dann kann ich nur Sagen, daß es sich hier um die Niederschrift eines öffentlichen Buches handelt und nicht um das Parteiprogramm.

JUSTICE JACKSON: Das erste Land, das Deutschland einverleibt wurde, war Österreich; es war nicht ein Teil Deutschlands vor dem ersten Weltkrieg und Deutschland durch den Versailler Vertrag gar nicht weggenommen worden; stimmt das?


[492] GÖRING: Darum stand ja in dem Programm dieser Punkt ganz deutlich getrennt von Versailles drinnen. Österreich hat nur insofern mit Versailles eine absolute Verbindung, weil hier das Selbstbestimmungsrecht, das dort proklamiert war, aufs schwerste gebrochen wurde dadurch, daß man Österreich und der rein deutschen Bevölkerung den Anschluß, den es gleich 1918 nach der Revolution vollzogen sehen wollte, nicht erlaubte.


JUSTICE JACKSON: Das zweite Gebiet, das Deutschland an sich gerissen hatte, war Böhmen, Mähren und die Slowakei; diese Gebiete waren Deutschland durch den Versailler Vertrag nicht fortgenommen worden; und sie waren auch nicht ein Teil Deutschlands vor dem ersten Weltkrieg.


GÖRING: Soweit es sich um das Sudetenland handelt, gilt das gleiche wie für Österreich. Die deutschen Abgeordneten des deutschen Sudetenlandes saßen damals ebenfalls im österreichischen Parlament und gaben unter ihrem Führer Lottmann dieselbe Erklärung ab. Anders steht es mit dem letzten Akt, das heißt der Erklärung des Protektorats. Diese Teile der Tschechei, besonders soweit es sich um Böhmen und Mähren handelt, waren vor dem Versailler Vertrag keine Bestandteile des engeren Deutschen Reiches; sie waren aber früher jahrhundertelang mit dem Deutschen Reich verbunden. Dies rein historisch.


JUSTICE JACKSON: Sie haben meine Frage immer noch nicht beantwortet, obwohl Sie alles andere sonst beantwortet haben. Sie sind Ihnen nicht durch den Versailler Vertrag weggenommen worden, stimmt das?


GÖRING: Selbstverständlich war Österreich durch den Versailler Vertrag weggenommen worden und ebenso Sudetendeutschland; denn beide Teile wären ohne den Versailler Vertrag und dem damit zusammenhängenden von St. Germain damals deutsche Gebiete geworden, durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Insofern haben sie einen absoluten Zusammenhang.


JUSTICE JACKSON: Sie haben bei Ihrer Vernehmung gesagt, daß Hitler dahin unterrichtet war, die Vereinigten Staaten würden niemals in den Krieg eintreten, selbst wenn sie angegriffen würden; Hitler hätte damit gerechnet, daß die Isolationisten das Land aus dem Krieg heraushalten würden.


GÖRING: Dieses Verhör muß völlig falsch wiedergegeben worden sein. Das war auch der Grund, weshalb ich von Anfang an mich geweigert habe, eines dieser Verhöre zu beschworen, bevor ich nicht genau das deutsche Protokoll sehe und feststellen kann, ob es richtig verstanden und richtig übersetzt wurde. Nur in einem einzigen Falle, und das war seitens der Russischen Delegation, ist mir ein vollkommen korrektes Protokoll vorgelegt worden. Ich habe es [493] Seite für Seite unterschrieben und damit anerkannt. Diese Auffassung möchte ich nun aber hier richtigstellen. Ich habe gesagt: Der Führer hat am Anfang nicht geglaubt, daß Amerika in den Krieg eingreifen würde, und er ist durch die Haltung der Presse der Isolationisten darin bestärkt worden, während ich im Gegensatz zu ihm von Anfang an leider befürchtet habe, daß Amerika unter allen Umständen in den Krieg eingreifen würde. Einen solchen – verzeihen Sie – Unsinn, den ich gesagt haben könnte, Amerika würde dann auch nicht in den Krieg eingreifen, wenn es angegriffen wird, das werden Sie verstehen, daß ich das niemals gesagt haben kann, denn wenn ein Land angegriffen wird, verteidigt es sich.


JUSTICE JACKSON: Kennen Sie Axel Wennergren?


GÖRING: Das ist ein Schwede, den ich zwei oder drei Male gesehen habe.


JUSTICE JACKSON: Sie haben das Thema mit ihm besprochen, nicht wahr?


GÖRING: Über das Thema, daß Amerika in den Krieg eintritt, kann ich absolut mit ihm gesprochen haben, sogar wahrscheinlich.


JUSTICE JACKSON: Und Sie haben ihm gesagt, daß eine Demokratie nicht mobilisieren könne und nicht kämpfen würde?


GÖRING: Einen solchen Unsinn habe ich ihm nicht gesagt, denn wir hatten ja gerade eine Demokratie als Hauptgegner, nämlich die englische; wie diese kämpfen würde, wußten wir aus dem letzten Weltkrieg und erfuhren wir ja während dieser Zeit wieder. Als ich mit Wennergren sprach, war ja der Krieg mit England in vollem Gange.

JUSTICE JACKSON: Falls ich Sie richtig verstehe, haben Sie bei Ihrer Vernehmung ausgesagt, daß Hitler sich zu allen Zeiten von zwei Grundideen leiten ließ: entweder sich mit Rußland zu verbinden und eine Vergrößerung des Lebensraumes durch Kolonien anzustreben, oder sich mit England zu verbinden und den Erwerb neuer Gebiete im Osten anzustreben. Aber angesichts seiner Orientierung würde er es vorgezogen haben, sich mit Großbritannien zu verbinden. Stimmt das?


GÖRING: Das ist richtig. Ich brauche nur auf das Buch »Mein Kampf« zu verweisen, wo diese Dinge ausführlich und eingehend von Hitler niedergelegt sind.


JUSTICE JACKSON: Schon im Jahre 1933 begannen Sie mit dem Programm, Deutschland wieder aufzurüsten, ohne Rücksicht auf irgendwelche vertragliche Begrenzungen?


GÖRING: Das ist nicht richtig.


JUSTICE JACKSON: Gut, sagen Sie uns, wann Sie damit angefangen haben.


[494] GÖRING: Nach Ablehnung sämtlicher Abrüstungsvorschläge, die der Führer gemacht hatte, das heißt kurz nach unserem Austritt aus der Abrüstungskonferenz machte er verschiedene Vorschläge der Beschränkung, aber als sie nicht ernsthaft angenommen und diskutiert wurden, befahl er die Vollaufrüstung. Gewisse schwache Voraussetzungen wurden schon Ende 1933 von mir persönlich unternommen, insofern, als ich bezüglich der Luft schwache Voraussetzungen geschaffen habe und bezüglich der uniformierten Polizei ebenfalls eine gewisse Militarisierung vornahm; das war aber von mir persönlich, die Verantwortung trage ich.


JUSTICE JACKSON: Dann war also die Militarisierung der Hilfspolizei keine Staatsangelegenheit. Es war Ihre persönliche Angelegenheit. Was wollen Sie damit sagen?


GÖRING: Nicht der Hilfspolizei, sondern der Landes- und Schutzpolizei; das heißt, es gab eine uniformierte Polizei, die einerseits rein polizeilichen Straßendienst tat, und eine zweite, die, in Formationen zusammengefaßt, für größere Einsätze zur Verfügung stand, nicht von uns geschaffen, wohl verstanden, sondern bei der Machtübernahme vorhanden. Diese in Einheiten zusammengefaßte und kasernierte, uniformierte und bewaffnete Schutzpolizei gestaltete ich sehr bald zu einem verstärkten militärischen Instrument dadurch um, daß ich sie im allgemeinen aus dem Polizeidienst herausnahm und sie mehr und stärker militärisch ausbilden ließ und über die vorhandenen schwachen Handwaffen ihnen Maschinengewehre und solche Sachen zugewiesen habe. Das meine ich, daß ich das auf eigene Verantwortung tat; diese Formationen sind dann bei Erklärung des Wehrgesetzes in die Wehrmacht als Heeresteile übergeführt worden.


JUSTICE JACKSON: Ich möchte noch einige Fragen in Verbindung mit Ihrer Vernehmung am 17. Oktober 1945 an Sie richten. Ich werde Ihnen zuerst die Fragen und Antworten vorlesen, wie sie bei Ihrer Vernehmung niedergeschrieben wurden, und Sie dann fragen, ob Sie diese Antworten gegeben haben. Danach können Sie Ihre Erklärungen abgeben, falls Sie dies wünschen; ich vermute, Sie werden das tun. Die Vernehmung lautet wie folgt:

»Frage: Ich wollte Sie heute etwas aus der Wirtschaftsgeschichte fragen. Wann wurde das Rüstungsprogramm zuerst erörtert, das heißt das Wiederaufrüstungsprogramm? In welchem Jahre?

Antwort: Sofort im Jahre 1933.

Frage: Mit anderen Worten, Schacht hatte zu jener Zeit schon die Verpflichtung übernommen, Mittel für das Wiederaufrüstungsprogramm aufzubringen.

Antwort: Jawohl, aber natürlich in Zusammenarbeit mit dem Finanzminister.

[495] Frage: Während der Jahre 1933 bis 1935, vor der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, war die Wiederaufrüstung natürlich geheim, nicht wahr?

Antwort: Ja.

Frage: So daß alle Gelder, die außerhalb des Etats gebraucht wurden, heimlich aufgebracht werden mußten, damit dies anderen Nationen nicht bekannt wurde?

Antwort: Jawohl, falls sie nicht aus dem normalen Heeresetat entnommen werden konnten.

Frage: Das heißt, Sie hatten ein kleines offizielles Budget für das stehende Heer von 100000 Mann. Der Rest der Wiederaufrüstung kam aus heimlichen Quellen?

Antwort: Jawohl.«

Sind Ihnen diese Fragen vorgelegt worden und haben Sie inhaltlich diese Antworten gegeben?

GÖRING: Ungefähr; im allgemeinen ist das richtig. Ich habe dazu zu bemerken: 1. Ich wurde gefragt, wann die Aufrüstung diskutiert wurde, nicht wann sie begonnen wurde. Diskutiert worden ist sie selbstverständlich gleich im Jahre 1933, weil sofort feststand, daß ja irgend etwas unter unserer Regierung anders geschehen mußte wie bisher; das heißt, Forderungen zu erheben, daß die anderen abrüsten, und falls sie nicht abrüsten, daß wir aufrüsten müssen. Diese Dinge erforderten eine Diskussion. Der Abschluß der Diskussion und die Umformung zu einem klaren Auftrag erfolgte nach Mißglücken der Versuche, eine Abrüstung der anderen herbeizuführen. Als man, oder besser gesagt, als der Führer erkannte, daß seine Vorschläge keineswegs angenommen wurden, setzte selbstverständlich eine allmähliche Aufrüstung ein. Wir hatten gar keine Veranlassung, über das, was wir rüstungsmäßig taten, irgendwie der Weltöffentlichkeit Ausweise zu geben. Dazu waren wir weder verpflichtet, noch war das zweckmäßig.

Herr Schacht konnte 1933 gleich zu Beginn ja überhaupt gar keine Gelder aufbringen, weil er zu Beginn in gar keiner Funktion war. Auch das bezieht sich erst auf den etwas späteren Zeitpunkt; und hier war es selbstverständlich, daß die Gelder durch den Finanzminister und den Reichsbankpräsidenten den Wünschen und Aufträgen des Führers gemäß bereitgestellt wurden, zumal wir keinen Zweifel darüber gelassen hatten: Rüstet die andere Seite nicht ab, so werden wir aufrüsten. Das stand schon im Parteiprogramm seit 1921 und somit für die Öffentlichkeit fest.


JUSTICE JACKSON: Stimmt es nicht, daß Schacht am 21. Mai 1935 durch einen Geheimerlaß zum Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft ernannt wurde?


[496] GÖRING: Das Datum... ich bitte mir nur den Erlaß vorzulegen, dann kann ich Ihnen das genau sagen. Die Daten der Erlasse und Gesetze trage ich nicht im Kopf, besonders dann nicht, wenn sie mich nicht selbst berühren; das muß aber aus dem Gesetz hervorgehen.

JUSTICE JACKSON: Kurz nachdem er ernannt worden war, schlug er Sie jedenfalls als Rohstoff- und Devisenkommissar vor.


GÖRING: Wenn Herr Schacht dies kurz nach seiner Ernennung vorgeschlagen hat, dann könnte diese Ernennung erst 1936 erfolgt sein; denn erst im Sommer 1936 hat Herr Schacht zusammen mit dem Kriegsminister von Blomberg den Vorschlag gemacht, daß ich Rohstoff- und Devisenkommissar werden sollte.


JUSTICE JACKSON: Ich möchte Sie fragen, ob Sie dem amerikanischen Vernehmungsrichter am 10. Oktober 1945 bezüglich Schachts nicht folgende Antwort gegeben haben:

»Er hat mir vorgeschlagen, daß ich Kommissar für Rohstoffe und Devisen werden sollte. Er hatte den Gedanken, daß ich in dieser Position dem Wirtschaftsminister und dem Reichsbankpräsidenten wertvolle Dienste leisten könnte.«

Haben Sie diese Antwort gegeben? War diese Information richtig?

GÖRING: Noch einmal bitte.

JUSTICE JACKSON: Mit Bezug auf Schacht erklärten Sie nach dem Protokoll folgendes:

»Er hat mir vorgeschlagen, daß ich Kommissar für Rohstoffe und Devisen werden sollte. Er hatte den Gedanken, daß ich in dieser Stellung dem Wirt schaftsminister und Reichsbankpräsidenten wertvolle Dienste leisten könnte.«

GÖRING: Das ist absolut korrekt mit Ausnahme des Wortes Reichstagspräsident; das muß Reichsbankpräsident heißen.

JUSTICE JACKSON: Ja, so steht dies hier.


GÖRING: Es klang über den Hörer wie Reichstagspräsident.


JUSTICE JACKSON:

»Außerdem sprach er sehr deutlich über den Vorschlag, den er Blomberg gemacht hatte, daß ich die Leitung des Vierjahresplanes übernehmen sollte. Jedoch der Gedanke, den Schacht da hatte, war, daß ich nicht viel von der Wirtschaft verstünde und er sich leicht hinter meinem Rücken verstecken könnte.«

GÖRING: Das habe ich ja neulich ganz deutlich ausgeführt.

[497] JUSTICE JACKSON: Von dem Zeitpunkt anarbeiteten Sie und Schacht längere Zeit bei der Vorbereitung des Wiederaufrüstungsprogramms zusammen. Stimmt das?


GÖRING: Ich arbeitete von dem Zeitpunkt ab wirtschaftlich mit Herrn Schacht zusammen an der Gestaltung der gesamten deutschen Wirtschaft und auch an der Rüstungswirtschaft, selbstverständlich als Voraussetzung für die begonnene deutsche Wehrhoheit.


JUSTICE JACKSON: Sie und er hatten gewisse Zuständigkeitsstreitigkeiten und haben schließlich ein Abkommen geschlossen, das Ihre verschiedenen Aufgabengebiete abgrenzte?


GÖRING: Ja.


JUSTICE JACKSON: Das war am 7. Juli 1937. Stimmt das?


GÖRING: An dem Tage ist ein gewisser Vergleichsvorschlag zustande gekommen, der auf die Dauer aber nichts Endgültiges schaffte. Es lag dies einfach in der Struktur der Stellungen und in den Persönlichkeiten. Wir beide hatten, ich über den Vierjahresplan, Herr Schacht als Wirtschaftsminister und Bankpräsident, beide sehr starke Einwirkungsmöglichkeit auf die deutsche Wirtschaft. Da es sich bei Herrn Schacht um eine ebenfalls sehr starke und bewußte Persönlichkeit handelte, und ich auch die meine nicht unter den Scheffel stellen möchte, so mußten wir zwangsläufig, ob wir befreundet waren oder nicht, auf Grund dieser Lage in Bezug auf Autorität aneinander geraten, und der eine mußte dem anderen schließlich weichen.


JUSTICE JACKSON: Und dann kam der Zeitpunkt, als er aus dem Ministerium und aus der Reichsbank zurücktrat?


GÖRING: Er trat zunächst aus dem Reichswirtschaftsministerium im November 1937 zurück und, soviel ich weiß, aus dem Präsidium der Reichsbank Ende 1938; ich will mich auf den Zeitpunkt nicht genau festlegen.


JUSTICE JACKSON: Es bestand keine Uneinigkeit zwischen Ihnen über die Durchführung des Wiederaufrüstungsprogramms? Sie haben sich nur in den Methoden nicht geeinigt?


GÖRING: Ich nehme für Herrn Schacht an, daß er als guter Deutscher selbstverständlich auch bereit war, seine ganze Kraft für die Wiederaufrüstung Deutschlands, damit es stark werde, einzusetzen; so können sich eigentlich nur in den Methoden Differenzen ergeben haben, denn weder Herr Schacht noch ich haben für einen Angriffskrieg aufgerüstet.


JUSTICE JACKSON: Nachdem er aus der Aufrüstungsarbeit ausgeschieden war, blieb er Minister ohne Geschäftsbereich und auch noch eine Zeitlang Reichstagsmitglied, nicht wahr?


[498] GÖRING: Das ist richtig, und zwar wünschte das der Führer so, da er, glaube ich, Herrn Schacht damit seine Anerkennung aussprechen wollte.


JUSTICE JACKSON: Können Sie sich an die Zeit erinnern, als Sie sich mit dem Gedanken getragen haben, die Fünfzehnjährigen ausheben zu lassen?


GÖRING: Während des Krieges, meinen Sie?


JUSTICE JACKSON: Ja.


GÖRING: Es handelt sich hier um die Luftwaffenhelfer, das ist richtig. Es waren Fünfzehn- oder Sechzehnjährige, ich weiß es nicht mehr genau, die als Luftwaffenhelfer ausgehoben wurden.


JUSTICE JACKSON: Ich werde Ihnen Dokument 3700-PS vorlegen lassen und Sie fragen, ob Sie von Schacht das Schreiben empfangen haben, von dem dieses Dokument ein Durchschlag ist?


[Das Dokument wird dem Zeugen Göring gegeben.]


GÖRING: Das Schreiben habe ich sicher bekommen. Es ist das Jahresdatum hier nicht verzeichnet, das fehlt hier bei der Abschrift.

JUSTICE JACKSON: Können Sie ungefähr sagen, von wann es stammt?


GÖRING: Es heißt hier 3. November, aber aus den Ereignissen, die auf der Rückseite geschildert sind, nehme ich an, daß es das Jahr 1943 ist. Es ist auf diesem Exemplar das Jahresdatum merkwürdigerweise nicht angegeben, aber ich glaube, daß es das Jahr 1943 ist. Diesen Brief habe ich erhalten.


JUSTICE JACKSON: Haben Sie auf Dokument 3700-PS geantwortet? Haben Sie auf diesen Brief geantwortet?


GÖRING: Das kann ich heute nicht genau sagen, möglich.


JUSTICE JACKSON: Der Vierjahresplan hatte den Zweck, die gesamte deutsche Wirtschaft in einen Zustand der Bereitschaft für den Krieg zu versetzen?


GÖRING: Ich habe ausgeführt, daß er zwei Aufgaben zu erfüllen hatte: 1. die deutsche Wirtschaft an sich krisenfest zu machen, das heißt von Ausfuhrschwankungen und auf dem Ernährungsgebiet von Ernteschwankungen möglichst unabhängig zu gestalten, und 2. sie blockadefest zu machen, das heißt auf Grund der Erfahrungen des ersten Weltkrieges sie für einen zweiten Krieg so hinzustellen, daß die Blockade nicht mehr die verhängnisvollsten Einwirkungen haben könnte. Daß der Vierjahresplan dabei eine grundlegende Voraussetzung auch für den gesamten Auf- und Ausbau der Rüstungsindustrie war, ist selbstverständlich. Ohne ihn konnte die Rüstungsindustrie nicht so gestaltet werden.

[499] JUSTICE JACKSON: Bitte antworten Sie möglichst genau; haben Sie nicht in einem Brief vom 18. Dezember 1936 an Schacht erklärt, daß Sie es als Ihre Aufgabe ansähen, ich gebrauche Ihre eigenen Worte, daß innerhalb von vier Jahren die gesamte Wirtschaft in einen Stand der Bereitschaft für den Krieg versetzt werden müßte. Haben Sie das gesagt oder nicht?


GÖRING: Selbstverständlich habe ich das gesagt.


JUSTICE JACKSON: Können Sie sich an den Bericht von Blomberg im Jahre 1937 erinnern – Sie können das Dokument C-175 einsehen, wenn Sie es wünschen –, der mit den Worten beginnt:

»Die allgemeine politische Lage berechtigt zu der Vermutung, daß Deutschland mit keinem Angriff von irgendeiner Seite zu rechnen hat.«

GÖRING: Das mag durchaus für diesen Moment wahrscheinlich gewesen sein. Ich habe die deutsche Lage 1937 auch am ruhigsten betrachtet. Es war nach der Olympiade und zu diesem Zeitpunkt war die allgemeine Lage außerordentlich beruhigt. Das hat aber nichts damit zu tun, daß ich mich verpflichtet fühlte, ganz unabhängig von vorübergehenden Schwankungen einer ruhigeren oder beunruhigten Atmosphäre, die deutsche Wirtschaft kriegsbereit und krisen- und blockadefest zu stellen, denn schon ein Jahr später traten andere Ereignisse ein.

JUSTICE JACKSON: Blomberg schreibt weiter:

»Hierfür sprechen in erster Linie neben dem fehlenden Kriegswillen bei fast allen Völkern, insbesondere bei den Westmächten, auch die mangelnde Kriegsbereitschaft einer Reihe von Staaten, vornehmlich Rußlands.«

So war die Lage 1937. Stimmt das?

GÖRING: So sah Herr von Blomberg die Lage an. Bezüglich der Vorkriegsbereitschaft in Rußland hat sich Herr von Blomberg, wie die gesamten Vertreter unserer Reichswehrmentalität, stets außerordentlich geirrt im Gegensatz zu der Auffassung, die von anderer Seite bezüglich Rußlands Rüstungen geäußert wurde. Es handelt sich hier ausschließlich um die Ansicht des Herrn von Blomberg, nicht um die des Führers, nicht um die meine und nicht um die anderer führender Leute.

JUSTICE JACKSON: So aber lautete der Bericht des Oberbefehlshabers der Wehrmacht vom 24. Juni 1937.


GÖRING: Richtig.


JUSTICE JACKSON: Sie organisierten einen Monat später die Hermann-Göring-Werke?


[500] GÖRING: Richtig.

JUSTICE JACKSON: Und die Hermann-Göring-Werke beschäftigten sich damit, Deutschland in Bereitschaft für den Krieg zu versetzen. Stimmt das?


GÖRING: Nein, das stimmt nicht. Die Hermann-Göring-Werke befaßten sich zunächst ausschließlich und allein mit der Hebung deutscher Eisenerze im Gebiet von Salzgitter, in einem Gebiet in der Oberpfalz und nach dem Anschluß des Eisenerzwerkes in Österreich. Die Hermann-Göring-Werke errichteten zunächst ausschließlich Förderungsanlagen, Aufbereitungsanlagen für dieses Erz und Hüttenwerke. Erst sehr viel später traten Stahlwerke und Walzwerke hinzu. Also eine Industrie.


JUSTICE JACKSON: Die Hermann-Göring-Werke waren ein Teil des Vierjahresplanes, nicht wahr?


GÖRING: Das ist richtig.


JUSTICE JACKSON: Und Sie haben schon erklärt, daß der Vierjahresplan den Zweck hatte, die deutsche Wirtschaft in einen Zustand der Kriegsbereitschaft zu versetzen; die Hermann-Göring-Werke waren organisiert, um die Erz- und Eisenwerke voll auszubeuten und den Prozeß bis zur Herstellung von fertigen Kanonen und Tanks durchzuführen. Trifft das zu?


GÖRING: Nein, das ist nicht richtig; die Hermann-Göring-Werke haben zunächst gar keine eigenen Rü stungswerke gehabt, sondern nur, wie ich noch einmal betone, das Vorausprodukt Stahl, Rohstahl, geschaffen.


JUSTICE JACKSON: Auf alle Fälle setzten Sie Ihre Anstrengungen fort. Am 8. November 1943 hielten Sie eine Rede vor den Gauleitern im Führergebäude in München, in der Sie diese Anstrengungen beschrieben; stimmt das?


GÖRING: Das Datum weiß ich nicht genau. Um diese Zeit habe ich einen kurzen Vortrag anschließend an andere Vorträge vor den Gauleitern – soviel ich mich erinnere – über die Luftlage und vielleicht auch über die Rüstungslage gehalten. Ich erinnere mich des Wortlautes dieser Ausführungen nicht, da ich in dem ganzen Zeitraum bisher nach diesen nicht gefragt worden bin, aber die Tatsache stimmt.


JUSTICE JACKSON: Um Ihr Gedächtnis aufzufrischen, darf ich Sie vielleicht an folgende Ausführungen erinnern. Sie sagten ungefähr folgendes:

»Zu Beginn des Krieges war Deutschland das einzige Land der Welt, das eine Kampf-Luftwaffe besaß. Die anderen Länder hatten ihre Luftwaffen in Marine- und Armee-Luftwaffen verteilt und hatten die Luftwaffe lediglich als ein [501] notwendiges und wichtiges Hilfsmittel der anderen Streitkräfte betrachtet. Infolgedessen fehlte ihnen das Instrument, das einzig und allein imstande ist, in kon zentrierter und entscheidender Art Schläge auszuführen, nämlich eine operative Luftwaffe. In Deutschland haben wir in dieser Richtung von Beginn an gearbeitet und der Hauptteil der Luftwaffe war so eingerichtet, daß er tief in das feindliche Gebiet eindringen konnte und zwar mit strategischer Auswirkung, während ein kleinerer Teil der Luftwaffe, der aus Stukas und natürlich Kampfflugzeugen besteht, an der Front, auf dem Schlachtfeld in Aktion getreten war. Sie wissen alle, welche wunderbaren Resultate wir mit dieser Taktik erzielt und welche Überlegenheit wir vom Beginn des Krieges an durch diese moderne Luftwaffe erobert haben.«

GÖRING: Es ist durchaus richtig, das habe ich unter allen Umständen gesagt, und das Entscheidende ist, so hatte ich auch genau gehandelt. Ich muß aber hier, damit das nicht falsch verstanden und ausgelegt wird, ganz kurz erklären: In diesen Ausführungen befaßte ich mich mit zwei verschiedenen luftstrategischen Auffassungen, die selbst heute noch immer umstritten und noch nicht völlig geklärt sind, nämlich: soll die Luftwaffe eine Hilfswaffe von Heer und Marine bilden und aufgeteilt sein, ein Bestandteil des Heeres und der Marine, oder soll sie einen eigenen Wehrmachtsteil darstellen. Ich habe angeführt, daß bei Ländern mit einer sehr großen Marine oder Navy es verständlich ist, wenn vielleicht eine solche Aufteilung stattfindet. Wir waren konsequent und Gott sei Dank in richtiger Weise von Anfang an den Weg gegangen, neben Heer und Marine eine starke, ich betone das Wort »starke«, Luftwaffe unabhängig aufzubauen, und ich habe ausgeführt, wie der Weg war über die anfängliche Risiko-Luftwaffe zur operativen Luftwaffe.

Es ist als Fachmann auch heute meine Auffassung, daß nur die operative Luftwaffe Entscheidungen herbeiführen kann. Ich habe auch zu dem Verhältnis von zwei- und viermotorigen Bombern ausgeführt, daß ich mich deshalb zunächst mit den zweimotorigen absolut begnügt habe, weil ich erstens den viermotorigen Bomber nicht hatte und zweitens der Aktionsradius der zweimotorigen Bomber für die damals in Betracht kommenden Gegner weit genug war. Ich halbe weiter betont, daß die schnelle Beendigung der Feldzüge in Polen und Westen in hervorragender Weise der Wirkung der Luftwaffe zu verdanken war.

Das stimmt also ganz korrekt.


JUSTICE JACKSON: Ich erinnere Sie an die Aussage von Milch, der als Zeuge für Sie zu einem Thema, über das Sie sich noch nicht geäußert haben, unter Eid erklärt hat:

[502] »Ich hatte den Eindruck, daß schon zur Zeit der Besetzung des Rheinlandes er, das heißt Göring, sich Sorgen darum machte, daß Hitlers Politik zum Kriege führen würde.« Können Sie sich daran erinnern?

GÖRING: Ja.

JUSTICE JACKSON: Und war das wahr oder falsch, wahr oder ein Irrtum, sollte ich vielleicht besser sagen?


GÖRING: Nein, ich wollte keinen Krieg und sah die beste Vermeidung des Krieges in einer sehr starken Rüstung nach dem bekannten Grundsatz: Wer ein scharfes Schwert besitzt, besitzt den Frieden.


JUSTICE JACKSON: Nun, Sie sind immer noch dieser Ansicht?


GÖRING: Dieser Ansicht bin ich heute, wenn ich die Verwicklungen sehe, mehr denn je.


JUSTICE JACKSON: Es stimmt also, wie Milch erklärte, daß Sie sich Sorgen machten, Hitlers Politik würde zum Krieg führen, und zwar zur Zeit der Rheinlandbesetzung?


GÖRING: Verzeihung, ich habe Ihre Frage so verstanden, ob es auch heute meine Auffassung ist, daß nur ein starkgerüsteter Staat den Frieden erhalten könnte. Dazu war meine letzte Äußerung zu verstehen.

Wenn Sie diese Frage auf die Milchsche Äußerung, daß ich Sorge hatte, die Politik des Führers könne zum Kriege führen, beziehen, so möchte ich dazu sagen; ich hatte Sorge, daß es an sich zum Krieg kommen könnte, und wollte diesen möglichst vermeiden, nicht in dem Sinne, daß die Politik des Führers dazu führen würde; denn auch der Führer wünschte ja weitgehend durch Abmachungen und diplomatische Aktionen sein Programm durchzuführen.

Bei der Rheinlandbesetzung hatte ich vorübergehend etwas Sorge über die Reaktionen; trotzdem war sie notwendig.


JUSTICE JACKSON: Und als nichts passierte, war der nächste Schritt dann Österreich.


GÖRING: Das hat nichts damit zu tun, daß das eine und das andere in Zusammenhang zu bringen ist. Österreich hätte mich niemals – sagen wir mal – in die Sorge eines Krieges gebracht, wie eher die Rheinlandbesetzung; denn ich konnte mir unter Umständen denken, daß auf die Rheinlandbesetzung eine Reaktion erfolgen würde.

Wie aber eine Reaktion auf die Vereinigung zweier Brudervölker rein deutschen Blutes vom Ausland erfolgen könnte, das war mir nicht klar, besonders nachdem Italien, das ein vitales Interesse an der Trennung stets vorgab, ziemlich in dieser Richtung [503] abgeschaltet war. England und Frankreich konnte die Vereinigung weder etwas angehen noch das geringste interessieren. So sah ich dort keine Möglichkeit eines Krieges.


JUSTICE JACKSON: Ich will Ihnen jetzt einige Fragen über Österreich vorlegen. Sie sagten, Sie und Hitler hätten den Tod von Dollfuß aufs tiefste bedauert, und ich frage Sie, ob es nicht eine Tatsache ist, daß Hitler eine Gedenktafel in Wien zu Ehren der Männer, die Dollfuß ermordet hatten, errichten ließ, und selbst hinging und einen Kranz auf ihren Gräbern niederlegte. Stimmt das? Können Sie mir das nicht mit Ja oder Nein beantworten?


GÖRING: Nein, ich kann weder mit Ja noch mit Nein darauf antworten, wenn ich meinem Eid gemäß die Wahrheit sagen will. Denn ich kann nicht sagen: »Ja, er hat es getan«, weil ich das nicht weiß. Ich kann nicht sagen: »Nein, er hat es nicht getan«, weil ich es auch nicht weiß. Ich wollte sagen, diesen Vorgang habe ich hier erst gehört.


JUSTICE JACKSON: Nun, im Juni 1937 kam Seyß-Inquart zu Ihnen und Staatssekretär Keppler und Sie haben Verhandlungen geführt?


GÖRING: Ja.


JUSTICE JACKSON: Und Seyß-Inquart wünschte ein unabhängiges Österreich, nicht wahr?

GÖRING: Soweit ich mich erinnere, ja.


JUSTICE JACKSON: Und Keppler war der Mann, der zur Zeit des Anschlusses von Hitler nach Wien geschickt worden war und der ihm telegraphierte, nicht einzumarschieren. Können Sie sich daran erinnern?


GÖRING: Ja.


JUSTICE JACKSON: Das war das von Ihnen als frech und sinnlos bezeichnete Telegramm eines Mannes, der an Ort und Stelle war und der schon vorher mit Seyß-Inquart verhandelt hatte; besinnen Sie sich dessen?


GÖRING: Ich habe das Telegramm nicht mit diesem Wort bezeichnet, das mir in deutscher Sprache eben übersetzt wurde, nämlich »frech«. Ich habe gesagt, daß dieses Telegramm keine Einwirkung mehr hatte und überflüssig war, weil ja die Truppen schon im Marsch waren und ihren Befehl dazu hatten. Es rollte schon.


JUSTICE JACKSON: Sie hatten verlangt, daß Seyß-Inquart zum Kanzler gemacht werde? Ist das richtig?


GÖRING: Nicht ich persönlich habe das gewünscht, sondern das ergab sich aus den Umständen, daß er in diesem Augenblick der einzige war, der dort die Kanzlerschaft übernehmen konnte, denn er war in der Regierung drinnen.


[504] JUSTICE JACKSON: Wurde Seyß-Inquart österreichischer Kanzler in dem Sinne, daß er sein Land Deutschland auszuliefern hatte, oder haben Sie ihn in den Glauben versetzt, daß er unabhängig sein und ein unabhängiges Land haben sollte?


GÖRING: Ich habe neulich ausgeführt, daß selbst in dem Augenblick, als der Führer am nächsten Morgen abflog, bei ihm selbst noch gewisse Reservationen waren, unter Umständen die Vereinigung mit Österreich lediglich über das gemeinsame Staatsoberhaupt herbeizuführen. Ich habe aber ebenso ausgeführt, daß ich persönlich diese Lösung für nicht weit genug hielt und für den absoluten und direkten und totalen Anschluß war.

Seyß-Inquarts Einstellung zu diesem Zeitpunkt kannte ich nicht genau; immerhin mußte ich das Bedenken haben, daß seine Einstellung mehr in die Richtung der aufrechtzuerhaltenden Trennung und der gemeinsamen Arbeit ging und nicht soweit wie die meine eines totalen Anschlusses. Ich war deshalb außerordentlich befriedigt, als dieser totale Anschluß im Laufe des Tages sich herauskristallisierte.


JUSTICE JACKSON: Ich bin der Ansicht, daß diese Antwort unzureichend ist; ich wiederhole daher meine Frage: Wurde Seyß-Inquart österreichischer Kanzler unter der Voraussetzung, daß er deutsche Truppen rufen und Österreich an Deutschland ausliefern solle, oder haben Sie ihn zu der Annahme veranlaßt, daß er weiterhin ein unabhängiges Österreich behalten würde?


GÖRING: Verzeihung, das sind noch eine Reihe von Fragen, zu denen ich nicht ja oder nein sagen kann.

Wenn Sie mich fragen: Wurde Seyß-Inquarts Kanzlerschaft von seiten Hitlers oder von Ihnen gewünscht? Ja.

Wenn Sie mich weiter fragen: Wurde er Kanzler unter der Voraussetzung, daß er ein Telegramm um Truppeneinmarsch schicken sollte?, so sage ich Ihnen ›nein‹, weil zur Zeit der Kanzlerschaft davon, daß er uns ein Telegramm schicken sollte, nicht die Rede war.

Wenn Sie zum dritten mich fragen: Wurde er Kanzler unter der Voraussetzung, daß er ein unabhängiges Österreich erhalten könne?, muß ich wiederum sagen, daß die endgültige Gestaltung an dem Abend beim Führer noch nicht klar war.

Deshalb meine Ausführungen.


JUSTICE JACKSON: Stimmt es nicht, daß Sie den Verdacht hatten, er wollte so unabhängig wie irgend möglich bleiben, und daß dies einer der Gründe war, warum Truppen einmarschiert waren?


[505] GÖRING: Nein, ich habe auch diese, Verzeihung, es sind zwei Fragen. Ich habe absolut das Mißtrauen gehabt, daß Seyß-Inquart so selbständig wie möglich sein sollte. Das Hineinschicken der Truppen hatte mit diesem Mißtrauen nicht das geringste zu tun; dazu hätte es keines einzigen Soldaten bedurft. Das Hineinschicken der Truppen habe ich begründet.


JUSTICE JACKSON: Und es wurde Seyß-Inquart niemals angedeutet, daß Österreich nicht unabhängig bleiben würde, bis, wie Sie sagten, der Führer und Sie die Kontrolle über Österreichs Schicksal in Händen hatten?


GÖRING: Das wurde ihm bestimmt vom Führer vorher nicht gesagt. Von mir war es allgemein bekannt, daß ich es anstrebte, und ich nehme an, daß er meine Einstellung gekannt hat.


JUSTICE JACKSON: Sie haben ausgesagt, daß Sie damals in einer Unterhaltung mit Ribbentrop in London betonten, daß Seyß-Inquart kein Ultimatum gestellt worden sei, und Sie haben gesagt, daß das eine legale Tatsache war.


GÖRING: Ich habe nicht gesagt »legal«, sondern »diplomatisch«.


VORSITZENDER: Ist das ein günstiger Zeitpunkt, die Sitzung zu unterbrechen?


JUSTICE JACKSON: Ja, Herr Vorsitzender.


[Das Gericht vertagt sich bis

19. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 474-507.
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