Vormittagssitzung.

[767] VORSITZENDER: Sir David! Haben Sie die Verteidiger über die Reihenfolge befragt, in welcher sie diese ergänzenden Anträge zu behandeln wünschen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe die Reihenfolge, die der Gerichtshof hat; sie beginnt mit Streicher.


VORSITZENDER: Ja, das würde vielleicht das beste sein. Ist der Verteidiger von Streicher bereit? Dr. Marx?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Dr. Marx ist hier.


DR. HANNS MARX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN STREICHER: Hoher Gerichtshof, Herr Präsident! Ich habe für den Angeklagten Julius Streicher beantragt, Fritz Herrwerth als Zeugen vor das Gericht zu laden. Es handelt sich bei diesem Zeugen um einen Mann, der in der unmittelbaren Umgebung des Angeklagten Streicher sich seit Jahren befand und infolge dieser Eigenschaft in der Lage ist, über die sämtlichen Vorgänge politischer Art Auskunft zu geben, die für die Entscheidung und für die Beurteilung des Falles Streicher nach vielen Richtungen maßgeblich sein können. Insbesondere habe ich diesen Zeugen deswegen beantragt, weil er in jener Nacht vom 9. auf 10. November zugegen war, als der Angeklagte Streicher eine Besprechung mit dem SA-Führer von Obernitz hatte, wobei von Obernitz Streicher mitteilte, daß er, Obernitz, den Befehl erhalten habe, in dieser Nacht Demonstrationen gegen die jüdische Bevölkerung durchzuführen. Streicher stellt unter Beweis, daß er damals dem Herrn von Obernitz erklärte, er, Streicher, distanziere sich von dieser Sache, er halte diese Demonstrationen für verfehlt und lehne sie ab. Obernitz hätte darauf erklärt, er habe den Befehl von Berlin erhalten und müsse ihn durchführen. Es kann...


VORSITZENDER: Sir David, erheben Sie Einspruch gegen diese Änderung unserer früheren Anordnung?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir sehen keine Änderung in der Lage seit der Entscheidung des Gerichtshofs; aber wir wollen nicht dagegen wirken, daß der Zeuge mündlich vernommen wird. Wir müssen jedoch darauf hinweisen, daß keine Änderung eingetreten ist. Der Gerichtshof hat die Sache schon geprüft. Wenn der Gerichtshof der Ansicht ist, daß es besser wäre, den Zeugen mündlich zu vernehmen, so wird die Anklagebehörde keinen Einspruch erheben.


[767] VORSITZENDER: Sind die Fragebogen schon fertiggestellt worden?


DR. MARX: Nein, die sind noch nicht fertiggestellt. Verzeihung, Herr Präsident, bezieht sich diese Frage auf den Zeugen Herrwerth?


VORSITZENDER: Ja.


DR. MARX: Ja, die Fragen an den Zeugen sind fertiggestellt; die Fragen, die die Verteidigung wünscht...


VORSITZENDER: Dr. Marx, wir werden die Sache wieder prüfen. Sie haben noch etwas anderes, nicht wahr, Dr. Marx? Sie wollen doch ein Dokument; Sie haben ein Dokument, um das Sie baten, Dr. Marx, stimmt das nicht? Oder verlangen Sie es nicht mehr?


DR. MARX: Darf ich sprechen, Herr Präsident? In der Tat möchte ich bitten, die beiden angezogenen Dokumente mir zur Verfügung stellen zu wollen. Das ist die Prozeßsache gegen Karl Holz aus dem Jahre 1931 und die Akten über das Disziplinarverfahren gegen Julius Streicher, wobei ich leider nicht in der Lage bin, das Jahr anzugeben. Es dürfte sich um das Jahr 1931 handeln.

VORSITZENDER: Dr. Marx, haben wir nicht in Übereinstimmung mit der Anklagevertretung eine Stelle von einem Dokument ausgestrichen, in dem Kritik gegenüber dem Angeklagten Streicher geübt wurde? Macht dies nicht das Beweismaterial ganz unerheblich?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war über den Zeugen Lothar Streicher, den Sohn, über ein Interview im Gefängnis, in dem gewisse Behauptungen erhoben wurden. Diese Behauptungen wurden mit Zustimmung der Anklagebehörde gestrichen. Ich gestehe, daß ich nicht wissen kann, ob das Disziplinarverfahren in der Angelegenheit Streicher...


DR. MARX: Verzeihung, Herr Präsident, darf ich sprechen?

Die Angelegenheit, in der Lothar Streicher eine Rolle spielt, das ist. eine Sache aus dem Göring-Bericht über den Besuch oder die Unterhaltung Streichers mit drei jugendlichen Verbrechern, wobei Streicher eine unschöne oder ungeziemende Haltung eingenommen haben soll. Lothar Streicher wurde von mir als Zeuge benannt, daß damals etwas Derartiges nicht vorgekommen ist. Das bezieht sich also auf den Bericht der Göring-Kommission, während es sich bei der anderen Sache um einen Disziplinarakt handelt. Dieses Verfahren ist im Jahre 1931 zum Abschluß ge kommen vor dem Disziplinarhof in München.


VORSITZENDER: War das nicht alles im Zusammenhang mit demselben angeblichen Vergehen Streichers?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe jetzt die Einzelheiten, Herr Präsident, wenn ich sie verlesen darf. Ich glaube, das wird es klar machen. Der erste Antrag bezüglich des Verfahrens gegen [768] Karl Holz lautet: Das Dokument, das hier verlangt wird, wird verwendet werden, um die folgenden Tatsachen zu beweisen: Während dieses Verfahrens hat Dr. Erich Bischof aus Leipzig, eine Autorität über den Talmud, eine Aussage unter Eid gemacht, daß in dem jüdischen Religionsbuch »Sohar« ein Gesetz enthalten war, das Ritualmorde gestattet.


VORSITZENDER: Aber, Sir David, das sind zwei verschiedene Anträge, nicht wahr? Da ist der Antrag bezüglich des jüdischen Religionsbuches und der zweite Antrag, der sich mit dem Verfahren gegen Karl Holz beschäftigt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soweit ich es verstehe, Euer Lordschaft, trägt dieser Antrag die Überschrift: Prozeßakt in der Sache Karl Holz, und eines der Beweismittel im Verfahren gegen Karl Holz war nach Dr. Marx' Antrag die Aussage von Dr. Erich Bischof über den Talmud. In dem Antrag heißt es dann weiter: Diese Tatsachen sind für meine Verteidigung aus folgenden Gründen erheblich: Der Angeklagte will mit diesem Gerichtsakt beweisen, daß der »Stürmer« nicht wider besseres Wissen die Ritualmordfrage behandelt hat. Das heißt, soweit ich es verstehe, daß der »Stürmer« sich mit Ritualmorden nach der Kenntnis Dr. Bischofs beschäftigte, so, wie es bei jenem Prozeß vorgebracht wurde. Ich darf dazu sagen, daß das nach meiner Ansicht ganz unerheblich wäre.


VORSITZENDER: Was ist das Datum dieses Religionsbuches? Es wurde im Mittelalter geschrieben, nicht wahr?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, ja, Euer Lordschaft. Und es wurde am 30. Oktober und 4. November 1931 von Dr. Bischof vorgelegt.

Dann, Euer Lordschaft, um es ganz klar zu machen, damit Euer Lordschaft sich daran erinnern, bei dem zweiten Antrag handelt es sich um die Akten des Disziplinarverfahrens in der Sache Julius Streicher vor dem Disziplinarhof in München: Das vorbezeichnete Schriftstück soll zum Beweis folgender Tatsachen verwendet werden: Mit der Vorlage dieses Aktes will der Angeklagte beweisen, daß er nicht etwa wegen eines Sittlichkeitsverbrechens aus seinem Beruf entlassen worden ist, sondern aus politischen Gründen unter Zubilligung eines Teiles seines Gehalts.

Ich selbst sehe nicht die Erheblichkeit, aber vielleicht kann Dr. Marx den Gerichtshof darüber informieren.


VORSITZENDER: Ist er in der Anklageschritt deswegen angeklagt?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein. Es sind nichts anderes als antijüdische Gründe in seinem Strafregister.


[769] VORSITZENDER: In diesem Zusammenhang stimmte die Anklagebehörde zu, jeden Hinweis auf diesen Fall zu streichen, nicht wahr?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin nicht so sicher, daß es derselbe Fall ist, aber die Anklagebehörde stimmte zu, den einzigen diesbezüglichen Hinweis, der meines Wissens in dem Bericht erschien, zu streichen. Das betraf die Behandlung gewisser Jungen, die verhaftet worden waren.


DR. MARX: Herr Präsident! Darf ich zur Klärung der Sachlage nun einige Ausführungen machen? Die Verteidigung des Angeklagten Streicher beantragte die Beiziehung dieses Disziplinaraktes aus folgendem Grunde: Streicher wurde von einem russischen Verhöroffizier gefragt, ob er wegen Sittlichkeitsverbre chens aus seinem Beruf entlassen worden sei, und deswegen ist es erforderlich, diesen Disziplinarakt beizuziehen. Aus diesem Akt ergibt sich, daß Streicher nicht wegen einer sittlichen Verfehlung in seinem Schulamt entlassen worden ist sondern wegen seiner politischen Haltung. Das ist der Punkt eins. Und vollkommen getrennt davon ist die Sache, bei der Lothar Streicher als Zeuge fungieren soll. Das war die Sache, die in dem Göring-Kommissionsbericht erwähnt ist mit den drei jugendlichen Übeltätern, welche Streicher besucht hat, und bei welcher Gelegenheit er sich einer unsittlichen Manipulation oder Geste schuldig gemacht haben soll.

Ich komme nun zu der Frage des Dr. Bischof, Herr Präsident. Es handelt sich um folgendes: Streicher ist zum Vorwurf gemacht, daß er bei Zitaten aus dem Talmud oder bei Zitaten, welche die Ritualmordfrage betreffen, entweder unrichtige Übersetzungen zu Rate gezogen oder leichtfertig oder grobfahrlässig sich nicht genügend vergewissert hat.


VORSITZENDER: Wenn Sie, Herr Dr. Marx, sagen, daß dem Angeklagten derartige Vorwürfe gemacht werden, so gibt es eine derartige Anklage in der Anklageschrift nicht. Keine derartigen Anklagen sind im Laufe des Verfahrens erhoben worden. Die Anklage gegen ihn ist, daß er das deutsche Volk dazu getrieben hat, Exzesse gegen die Juden zu begehen, nicht aber durch unrichtige Zitate von jüdischen Büchern, sondern dadurch, daß er sich auf jüdische Bücher aus dem Mittelalter bezog.


DR. MARX: Ich erlaube mir, demgegenüber darauf hinzuweisen, daß der Anklagevertreter, Oberstleutnant Griffith Jones, bei Vertretung der Anklage gegen Streicher sich auf diesen Punkt ausdrücklich bezog und Streicher den Vorwurf gemacht hat, er hätte hier wider besseres Wissen Stellen aus dem Talmud zitiert. Und deswegen ist es wichtig, diesen Akt gegen Holz beizuziehen, weil darin durch den Zeugen Bischof festgestellt ist, wie die Zitate zustandegekommen sind. Dieser Dr. Bischof ist ein anerkannter Gelehrter. Aber, Herr [770] Präsident, die ganze Sache könnte sich doch abkürzen, wenn die Anklagebehörde heute erklärt, daß sie diese ganze Sache mit dem Ritualmord überhaupt nicht zum Gegenstand der Anklage macht. Dann wäre doch ein Element aus dem Prozeß herausgenommen, welches ihn auf jeden Fall nur verlängern könnte, und das doch keine besondere Rolle spielen kann in Richtung gegen den Angeklagten und mit der eigentlichen Anklage nichts zu tun hat.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte diese Sachlage vollkommen klar machen. Der wichtige Punkt in dieser Sache der Anklagevertretung ist die Verwendung des Vorwurfes gegen die Juden, daß sie Ritualmord begangen haben. Wenn jemand etwas aus einem Buch des Mittelalters herausnimmt und es so darstellt, daß der einfache Leser es als die Praxis der Juden oder als einen Grund dafür, die Juden abzulehnen, verstehen muß, dann sagt die Anklagevertretung, daß das eine üble Methode ist, Haß gegen die Juden anzufachen. Ob man im jüdischen Buch des Mittelalters einige Bemerkungen über Ritualmorde finden kann, ist wirklich unwesentlich. Der Klagepunkt des Falles für die Anklagebehörde besteht darin, daß die Ritualmorde benutzt worden sind, um heute Haß gegen die Juden zu entfachen. Das ist die Frage, die der Angeklagte zu beantworten hat.


VORSITZENDER: Wir werden den Antrag prüfen.


DR. MARX: Verzeihung! Ich halte es doch für erforderlich, nur ganz kurz auf die Ausführungen meines Vorredners Sir David Maxwell-Fyfe zu antworten. Es ist so: Die fragliche Sondernummer des »Stürmers« nimmt Bezug insbesondere auf einen Prozeß, der im Jahre 1899 in Piseck in Mähren oder Böhmen stattfand, und bei dem diese Frage eine Rolle gespielt hat. Es ist also nicht so, daß der Angeklagte Streicher lediglich sich auf mittelalterlichen Aberglauben gestützt hat, sondern er hat einen aus der modernen Rechtsgeschichte entnommenen Stoff gebracht mit Unterlagen, die ich selbst nicht auf ihre Richtigkeit prüfen kann, die ich aber nicht ohne weiteres als unrichtig abtun kann, und die auch wohl der Gerichtshof zu prüfen hat. Deshalb sagte ich, sollte man doch diese ganze Materie überhaupt nicht berühren. Denn es handelt sich doch nur darum, ob Streicher im guten Glauben gehandelt hat oder nicht, und wenn er sagen kann, es sind Prozesse darüber geführt worden und die Richter waren sich selbst nicht einig, dann kann man doch nicht sagen, daß er wider besseres Wissen gehandelt hat. Das ist doch das Wesentliche an der Sache. Also, mir persönlich wäre es am liebsten, wenn diese Sache eliminiert würde, wenn die Anklagebehörde diesen ganzen Komplex nicht mehr als Gegenstand der Anklage betrachtet wissen wollte.


VORSITZENDER: Wir werden den Antrag in Betracht ziehen.


[771] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste auf der Liste, die ich hier habe, Herr Präsident, ist der Antrag des Angeklagten Göring für Major Büx. Ich ersuchte Dr. Stahmer, und er war so freundlich, mir mitzuteilen, daß das derselbe Herr ist, der als Zeuge von dem Angeklagten Jodl unter dem Namen »Büchs« verlangt wurde. Ich glaube, daß der Gerichtshof ihn schon als Zeugen für Jodl angenommen hat, und Dr. Stahmer wird die Möglichkeit haben, ihm dann Fragen zu stellen.

DR. STAHMER: Ich bin einverstanden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das nächste ist ein Antrag des Angeklagten von Ribbentrop. Er verlangt Herrn Hilger als Zeugen. Die Gründe des Gesuches sind, daß Dr. Horn und der Angeklagte Ribbentrop der Meinung sind, daß der Zeuge Gaus, den er verlangte, nicht imstande war, so viel Hilfe zu geben, als man erwartet hat, und deshalb soll Hilger noch zusätzlich zugelassen werden. Die Ansicht der Anklagevertretung ist, daß der Angeklagte entweder Hilger oder Gaus als Zeugen vorgeladen und vom anderen einen Fragebogen vorgelegt haben soll. Die Anklagebehörde hat keinen Einspruch dagegen zu erheben, daß der Zeuge Hilger zur Befragung nach Nürnberg gebracht wird.


DR. WALTER SIEMERS, IN VERTRETUNG VON DR. MARTIN HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Ich hatte an sich Sir David bitten wollen, diese Frage noch einen Moment zurückzustellen, da ich Herrn Dr. Horn habe Nachricht geben lassen, er möchte selbst kommen. Wir Verteidiger waren nicht unterrichtet, welche Anträge heute behandelt werden. Daher ist Dr. Horn im Moment nicht hier. Ich glaube aber, wenn der Gerichtshof einverstanden ist, daß die Sache vielleicht schon so erledigt werden kann, soweit ich weiß; ich muß allerdings mit Dr. Horn erst sprechen. Ich spreche ohne Präjudiz.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was Sie meinen, daß Sie über diese Anträge nicht unterrichtet waren. Ich habe gestern erklärt, daß Ergänzungsanträge für Zeugen und Dokumente heute Morgen behandelt werden würden. Ich verstehe nicht Ihre Behauptung, daß Sie nicht wußten, was heute geschehen sollte. Der Gerichtshof hat keinen Einwand dagegen, daß es später behandelt wird, wenn Dr. Horn hier ist, falls er rechtzeitig erscheint.


DR. SIEMERS: Jawohl, ich darf vorschlagen, falls Herr Dr. Horn nicht rechtzeitig zurückkommt, bin ich bereit, die Sache für ihn zu erledigen, bis dahin werde ich dazu in der Lage sein.


VORSITZENDER: Sehr gut.


DR. MARX: Verzeihung, Herr Vorsitzender, darf ich noch eine ganz kurze Erklärung abgeben? Streicher teilt mir eben mit, ich solle erklären, daß er auf den Zeugen Lothar Streicher verzichtet. [772] Wenn also die Ladung dieses Zeugen in Betracht gezogen wäre, erkläre ich, daß von Seiten der Verteidigung auf ihn verzichtet wird.


VORSITZENDER: Wurde er schon zugelassen, Lothar Streicher?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er war der Zeuge, der nicht gestattet werden soll, unter der Bedingung, daß die Anklagevertretung sich damit einverstanden erklärt, diese Bemerkung auszustreichen, was wir auch bewilligt haben.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der folgende Antrag ist für den Angeklagten von Papen.


VORSITZENDER: Einen Augenblick, Sir David. Ist das Schreiben über die Zurückziehung der Erklärung über den Zeugen Lothar Streicher schon in das Protokoll verlesen worden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich weiß nicht, ob es in das Protokoll verlesen worden ist. Es ist dem Gerichtshof übergeben worden.


VORSITZENDER: Es wäre besser, es als Dokument vorzulegen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie es Euer Lordschaft beliebt.

Euer Lordschaft! Als nächstes ein Antrag für den Angeklagten von Papen. Er verlangt, daß der Zeuge Josten, der vom Gerichtshof als Zeuge angenommen wurde, ersetzt wird durch ein Affidavit, das der Verteidiger schon hat; und Dr. Kubuschok beantragt, Kroll möge als Zeuge zugelassen werden. Herr Präsident! Was Kroll anbetrifft, so glaubt die Anklagebehörde, er wäre nicht erheblich, aber der Gerichtshof hat einen Fragebogen für Kroll zugelassen, und deshalb hat die Anklagevertretung die Entscheidung des Gerichtshofs angenommen, daß er doch erheblich ist, und da Dr. Kubuschok auf einen Zeugen verzichtet, glauben wir, daß wir nichts dagegen haben können, daß Kroll als mündlicher Zeuge angehört wird, da der Gerichtshof entschieden hat, daß sein Zeugnis erheblich ist.


VORSITZENDER: Ja, und bezüglich Josten ist Ihnen das Affidavit bereits zugeleitet worden?


DR. KUBUSCHOK: Jawohl, ich habe es eben unterschrieben erhalten. Der Zeuge Josten ist heute erschienen und hat die eidesstattliche Erklärung unterzeichnet.


VORSITZENDER: Das, woran ich denke, ist, daß die Anklagebehörde den Wunsch haben könnte, ihn später zum Kreuzverhör zu rufen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben das Affidavit noch nicht gesehen, Euer Lordschaft. Es tut mir leid, ich werde das prüfen.


[773] VORSITZENDER: Und das Ergebnis würde sein, daß beide Zeugen hier sein müßten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde das beachten, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Ich verstand es so, daß Dr. Kubuschok ein Affidavit meinte und nicht einen Fragebogen.


DR. KUBUSCHOK: Jawohl, eine eidesstattliche Erklärung.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Vielleicht kann der Gerichtshof eine Entscheidung bezüglich dieses Punktes verschieben, bis ich die Möglichkeit habe, dieses Affidavit zu prüfen, und dann werde ich Dr. Kubuschok und den Gerichtshof benachrichtigen.


VORSITZENDER: Ja, sehr gut.


DR. KUBUSCHOK: Darf ich, Herr Präsident, noch einen weiteren Fall erwähnen? Mir war zur mündlichen Anhörung der Zeuge Tschirschky bewilligt worden, der sich augenblicklich in England aufhält. Der Zeuge hat an den Gerichtshof geschrieben, daß er aus England augenblicklich schwer abkömmlich ist, und bittet, die Vernehmung schriftlich zu erledigen. Ich bin damit einverstanden und habe einen Fragebogen entworfen, der jetzt dem Gerichtshof eingereicht wird. Damit würde also noch ein Zeuge fortfallen, Tschirschky sowohl wie Josten, so daß ich sehr darum bitte, doch den Zeugen Kroll zu einer persönlichen Zeugenanhörung zu bewilligen, nachdem doch schon eine erhebliche Zeitersparnis eingetreten ist.


VORSITZENDER: Sir David, Sie haben doch keinen Einspruch zu erheben?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, ich habe keinen Einspruch zu erheben. Ich mag vielleicht gewisse Gegenfragebogen für den Zeugen in Erwägung zu ziehen haben, aber das wird die Stellung von Dr. Tschirschky nicht ändern.

Der nächste Punkt ist der Antrag des Angeklagten Rosenberg für ein Dokument, Hitlers Brief an Rosenberg vom Jahre 1924. Dieses Dokument betrifft Rosenbergs Antisemitismus. Soweit ich weiß, hat die Anklage keines dieser Dokumente. Aber Dr. Thoma kann erklären, was er wünscht. Ich habe keinen Einspruch gegen die Vorlage dieser Dokumente, wenn sie gefunden werden können.


DR. THOMA: Herr Vorsitzender! Ich darf zunächst darauf aufmerksam machen, daß mein Beweisangebot, Rosenbergs Brief an Hitler, in welchem Rosenberg bittet, daß er nicht als Reichstagskandidat aufgenommen wird, daß mir dieser Brief unterdessen ausgehändigt worden ist. Dieser Antrag hat sich damit erledigt.

Zweitens habe ich...

[774] VORSITZENDER: Einen Augenblick, Dr. Thoma. Sie ziehen den Antrag zurück, weil Sie den Brief schon haben, nicht wahr? Sie sagten: Damit sei die Sache erledigt. Meinen Sie damit, daß Sie den Antrag zurückziehen?


DR. THOMA: Nein, Herr Vorsitzender. Der Gerichtshof hat mir bereits erlaubt, daß ich dieses Dokument vorlegen darf, sobald es gefunden wird. Es ist unterdessen gefunden worden.

Ferner möchte ich darauf aufmerksam machen, daß das Dokument, in welchem Rosenberg an Hitler schreibt und ihn bittet, als Hauptschriftleiter des »Völkischen Beobachter« entlassen zu werden, mir ebenfalls an sich bewilligt worden ist. Ich habe es aber noch nicht erhalten.

Drittens möchte ich noch bitten, daß noch zwei Dokumente mir bewilligt werden. Zwei Dokumente, die Rosenberg bereits bei Vernehmungen durch die Anklagebehörde vorgezeigt worden sind. Das erste Dokument ist ein Erlaß Hitlers an Rosenberg vom Juni 1943, in welchem Hitler Rosenberg anweist, sich in Ostfragen auf das Grundsätzliche zu beschränken...


VORSITZENDER: Dr. Thoma, Sie beschäftigen sich jetzt mit Anträgen, die nicht schriftlich vorliegen. Stimmt das?


DR. THOMA: Doch, ich habe sie schon schriftlich vorgelegt.


VORSITZENDER: Ich habe nur zwei Anträge hier, soweit ich sehen kann, einen bezüglich Hitlers Brief an Rosenberg vom Jahre 1924 und den zweiten Antrag mit Bezug auf drei Bücher über die Juden. Das sind die einzigen Anträge, die ich erhalten habe.


DR. THOMA: Herr Vorsitzender! Ich habe diese Anträge bereits in der mündlichen Verhandlung gestellt, und soviel ich weiß, hatte ich sie schon, bevor ich sie in der mündlichen Verhandlung gestellt habe, schriftlich eingereicht gehabt. Ich habe ja auch Bescheid bekommen auf zwei Dokumente, auf meinen Antrag hin. Nur über zwei Anträge habe ich noch keinen Bescheid bekommen. Ich bitte dann den Gerichtshof, diese zwei Anträge doch schriftlich nochmals einreichen zu dürfen.


VORSITZENDER: Jawohl, es wird Ihnen erlaubt werden, wenn Sie die Anträge klar machen. Sie verlangen zwei weitere Dokumente, und das erste, soweit ich es verstanden habe, war eine Verordnung vom Juni 1943. Ist das richtig?


DR. THOMA: Richtig. Und das nächste Dokument ist ein Brief Hitlers an Rosenberg, in welchem Hitler dem Rosenberg die Gründe mitteilt, warum er im Reichstag nicht mitarbeiten will, und warum er sich nicht an den Wahlen beteiligen will. Ich erinnere mich aber, daß ich diesen Antrag bereits schriftlich eingereicht habe, und bitte ihn noch einmal einreichen zu dürfen.


[775] VORSITZENDER: Jawohl, der Antrag wird geprüft werden. Beziehen Sie sich auf daß Dokument vom Jahre 1924, den Brief, den Hitler an Rosenberg im Jahre 1924 schrieb?


DR. THOMA: Ja, im Jahre 1923 oder 1924. Nun, meine Herren, habe ich noch diesen grundsätzlichen Antrag in der Frage des Antisemitismus. Ich habe hier gebeten, mir nur einige geschichtliche Literatur zu bewilligen, und zwar über das Thema, warum es in Deutschland, ich glaube schon seit dem 8. Jahrhundert, ein Judenproblem gibt, und warum immer wieder in Deutschland Judenverfolgungen auftauchen. Und ich möchte damit behaupten, daß es sich bei diesem Tatbestand um irgendeine Tragik handelt, die wir rationell nicht begreifen. Ich möchte durch Nachweise, sowohl aus der jüdischen Literatur wie aus der christlich-theologischen Literatur den Nachweis bringen, daß es sich nicht darum handelt, daß das deutsche Volk verführt worden ist, die Juden auszurotten, und daß der Einfluß der Nationalsozialistischen Partei dahin gereicht hat, das deutsche Volk dahin zu bringen, daß es in einen solchen Judenhaß kommt, sondern daß wir hier vor Irrationalen Verhältnissen stehen, und daß das in der jüdischen und in der christlichen Literatur anerkannt ist. Ich möchte auch den Nachweis erbringen, daß auf rein geistigem Gebiet eine geistige Auseinandersetzung zwischen Judentum und dem Deutschtum bestanden hat, und zwar rein in der geistigen Sphäre, weil tatsächlich Moritz Goldstein im Jahre 1911 – ich erwähne nur ein Beispiel – behauptet hat, daß die Juden in Deutschland den geistigen Besitz Deutschlands verwalten. Es handelt sich also hier darum, das Problem in Deutschland, die kulturgeschichtliche Rolle des Judentums in Deutschland zu schildern, und warum ein solch drastischer Gegensatz zwischen Judentum und Deutschtum in Deutschland besteht. Ich beabsichtige hier nur Literatur anzuführen, aber ich glaube, daß meine Ausführungen im Plädoyer nicht genügend glaubwürdig sein würden, wenn ich nicht vorher auch wissenschaftliche, und zwar anerkannte wissenschaftliche Literatur angeführt habe. Nur darum ist es mir zu tun.


VORSITZENDER: Dr. Thoma, Ihre Anträge werden geprüft.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste Antrag betrifft den Angeklagten Speer. Er verlangt eine Anzahl von Dokumenten, die sich mit der zentralen Planung beschäftigen. Ich habe eigentlich noch keine Gelegenheit gehabt, sie mit den Beweisstücken zu vergleichen, aber wenn sie, so wie ich es glaube, dieselben sind, welche durch Justice Jackson dem Angeklagten Göring im Kreuzverhör vorgelegt wurden, so glaube ich, daß es sich entweder um Beweisstücke oder um Dokumente handelt, welche die Anklagebehörde hat, und die sich auf den Angeklagten Speer beziehen. Falls er sie nicht hat, werden wir unser Bestes tun, um ihm Abschriften zukommen zu lassen.


[776] VORSITZENDER: Sir David! Sie sagten, daß sie alle dem Angeklagten Göring im Kreuzverhör vorgelegt wurden, und daß sie entweder Beweisstücke oder Dokumente waren; wenn sie dem Angeklagten Göring vorgelegt worden sind, dann dürften sie Beweisstücke sein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, es müssen Beweisstücke sein. Ich war noch nicht imstande, sie zu prüfen; aber da sie dem Gerichtshof vorgelegt wurden, müssen es Beweisstücke sein.

Der nächste Punkt ist ein Antrag im Namen des Angeklagten Seyß-Inquart für Fragebogen, die dem Dr. Uiberreither zugeleitet werden sollen. Der Gerichtshof wird sich erinnern, er war Gauleiter einer der wichtigsten österreichischen Gaue und ein Mitarbeiter in der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich. Ich habe keinen Einspruch gegen einen Fragebogen.


VORSITZENDER: Hat er nicht ein anderes Affidavit vor ein oder zwei Tagen abgegeben?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Das war für einen anderen Angeklagten, für Göring. Dr. Uiberreither hat natürlich gewisse Kenntnis von der österreichischen Lage. Die einzige Frage betrifft die Form, und welchen besonderen Gegenstand diese Fragebogen haben sollen. Das weiß ich nicht. Ich muß deshalb meine Stellungnahme über den genauen Wortlaut der Fragen vorbehalten.


VORSITZENDER: Haben Sie den Fragebogen schon gesehen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft!


VORSITZENDER: Sie wurden uns vorgelegt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihung, Euer Lordschaft, ich habe diese Fragebogen schon gesehen, es ist mein Fehler. Dr. Uiberreither ist ein- oder zweimal vorgekommen. Ich habe diese Anfragen tatsächlich schon gesehen, und der einzige Einspruch, den die Anklagebehörde erhebt, ist, daß die Form der Fragen, die gestellt wurden, etwas zu suggestiv ist. Viel leicht könnten meine Freunde, Herr Dodd und Oberst Baldwin sich mit Dr. Kubuschok oder mit dem, der den Angeklagten Seyß-Inquart vertritt, besprechen, was diesen Punkt anbetrifft, bevor diese Fragebogen tatsächlich vorgelegt werden.


VORSITZENDER: Sehr wohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste Antrag betrifft den Angeklagten Sauckel. Verzeihung, DT. Kubuschok hat einen, anderen Antrag im Namen von Seyß-Inquart vorgebracht, der nicht auf der mir vorliegenden Liste enthalten war.


[Zu Dr. Kubuschok gewandt:]


Vielleicht sprechen Sie darüber.

[777] DR. EGON KUBUSCHOK, IN VERTRETUNG VON DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Der Angeklagte Seyß-Inquart bittet um die Bewilligung eines Fragebogens für den Zeugen Bohle. Die Vernehmung dieses Zeugen ist vom Gerichtshof mit der Begründung abgelehnt worden, daß das Beweisthema kumulativ sei. Der Angeklagte Seyß-Inquart bittet erneut, die Beweisfragen zu klären, und zwar lediglich auf dem Wege eines Fragebogens. Der Zeuge ist nicht entbehrlich, insbesondere da das Beweisthe ma nicht von anderen direkten Zeugen bestätigt werden kann. Die anderen Zeugen, die hierüber genannt worden sind, können nur bekunden, was ihnen von Bohle mitgeteilt worden ist. Über die wirklichen Vorgänge kann aus eigener Kenntnis nur Bohle Bekundungen machen.

VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Wenn andere bewilligte Zeugen nur vom Hörensagen über das Beweise bringen, was sie von Bohle gehört haben, warum haben Sie nicht Bohle verlangt an Stelle dieser anderen Zeugen?


DR. KUBUSCHOK: Ja, ich kenne nicht die Absichten meines Kollegen, der Seyß-Inquart verteidigt. Ich weiß nur, daß er hilfsweise indirekte Zeugen benannt hat, aber mir wird eben gesagt, daß Bohle als direkter Zeuge in Betracht käme. Auch muß man ja mit der Möglichkeit rechnen, daß die anderen Zeugen, für die die Sache nicht so wichtig ist, Erinnerungslücken haben.


VORSITZENDER: Wollten Sie etwas darüber sagen, Sir David?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß ich den Gerichtshof unterrichtet habe, daß alle Fragen an Bohle die gleichen waren wie jene an den Zeugen von der Wense, außer zwei Fragen, die sich mit Requisitionen von Lastwagen beschäftigen, und über die wenig zu diskutieren sein könnte. Deshalb schien es der Anklagebehörde, daß hier ein klarer Beweis vorliegt, daß dieser Zeuge vollkommen kumulativ wäre. Die Befragung ist Wort für Wort dieselbe wie die des Zeugen von der Wense.


DR. KUBUSCHOK: Es war in den ursprünglichen Anträgen sicherlich nicht klar zum Ausdruck gekommen, daß den übrigen Zeugen nur dasjenige zur Kenntnis gekommen ist, was sie von Bohle selbst wissen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Beweisthema um Anordnungen von Bohle selbst, über die er selbstverständlich selbst der beste Zeuge sein kann. Notfalls würden wir damit einverstanden sein, daß das Beweisthema bei den anderen Zeugen gestrichen wird.


VORSITZENDER: Wenn hier über die Sache keine Einigung erzielt wird, kann der Gerichtshof, ohne die Fragebogen von Bohle und den anderen Zeugen gesehen zu haben, kaum entscheiden. Würde es der Sache gerecht werden, wenn wir diesen Fragebogen unter der Bedingung zulassen, daß, sollte es sich später herausstellen, daß andere [778] Fragebogen mit diesem kumulativ sind, diese dann unbeachtet bleiben?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich, soweit es mich anbetrifft.

VORSITZENDER: Sehr gut.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste ist der Angeklagte Sauckel, und Dr. Servatius und Herr Roberts, einer meiner Mitarbeiter, haben diese Sache ausführlich besprochen. Dr. Servatius ist nicht hier, vielleicht kann Herr Roberts dem Gerichtshof mitteilen, wie weit sie gekommen sind.


MR. ROBERTS: Dr. Servatius hat eine Liste von ungefähr 90 Dokumenten vorgelegt, eine sehr beträchtliche Anzahl. Aber die meisten sind kurze Auszüge aus verschiedenen Verordnungen und Befehlen, die sich auf den Arbeitseinsatz beziehen, und es ist schwierig, einen Grund zu finden, gegen sie Einspruch zu erheben. Dr. Servatius hat auf meinen Vorschlag zugestimmt, von seiner Liste ungefähr zehn bis fünfzehn Dokumente als kumulativ herauszunehmen. Ungefähr vier Dokumente beziehen sich auf angebliche schlechte Behandlung von Arbeitern seitens der Feinde Deutschlands, gegen die ich Einspruch erhoben habe mit der Begründung, daß sie nicht erheblich sind. Und hinsichtlich dieser Dokumente wird eine Entscheidung des Gerichtshofs erforderlich sein, da es sich um eine grundsätzliche Frage handelt. Euer Lordschaft! Da Dr. Servatius, soweit ich weiß, heute nicht mehr hier sein konnte, könnten wir vielleicht die Frage mit dem Generalsekretär bei seiner Rückkehr Anfang nächster Woche besprechen, so daß dann die Sache in einer passenden und mehr oder weniger vereinbarten Form dem Gerichtshof vorgelegt werden kann.


VORSITZENDER: Ja. Dann haben Sie noch keine Vereinbarung über die Zeugen erreichen können, nicht wahr?


MR. ROBERTS: Euer Lordschaft! Ich dachte, die Lage mit den Zeugen sei die folgende: Sir David hat sie vor einigen Wochen vor dem Gerichtshof besprochen, und so hat es Dr. Servatius gemacht, und Sir David hat zugestanden, daß sechs Zeugen zugelassen werden und Affidavits von einer Anzahl anderer. Das wurde von Dr. Servatius in Betracht gezogen, und er hat dann seine endgültige und sehr reduzierte Liste vorgelegt, die elf Zeugen enthielt, und die ich einem Beamten des Gerichtshofs übergeben habe. Ich verstehe es so, daß sie dem Gerichtshof vorgelegt wurde.


VORSITZENDER: Haben Sie das Datum? Ist es der 4. März 1946?


MR. ROBERTS: Ich habe ein Dokument vor mir in deutsch...


VORSITZENDER: Ich verstehe.


[779] MR. ROBERTS: Und die Stellungnahme der Anklagevertretung wurde von Sir David ausführlich dargelegt, als diese Dinge früher besprochen wurden, und es ist jetzt Sache des Gerichtshofs, glaube ich, eine Entscheidung über die zwei Anträge zu treffen, den einen hinsichtlich der sechs Zeugen und den anderen für elf. Was die Entscheidung sein sollte...


VORSITZENDER: Sir David, das bringt uns zum Ende der eingetragenen Anträge. Dann wurden einige Anträge später vorgebracht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Da ist ein Antrag von dem Angeklagten Frank, der einen Fragebogen an den Gesandten Messersmith verlangt. Er wurde in einer geschlossenen Sitzung vom Gerichtshof bewilligt. Er wurde nicht in den eingereichten Anträgen der Verteidiger verlangt, sondern in offener Sitzung gestellt. Ein grundsätzlicher Einspruch der Anklagevertretung dagegen liegt nicht vor.

Dann verlangte der Angeklagte von Ribbentrop das Buch »Amerika Im Kampf der Kontinente« von Sven Hedin...


VORSITZENDER: Andere Angeklagte haben Fragebogen an Herrn Messersmith gerichtet, nicht wahr?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.


VORSITZENDER: Sind die Antworten schon eingetroffen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sind noch nicht eingegangen, wurde mir gesagt.


VORSITZENDER: Wie lange ist es her, seitdem sie abgesandt wurden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde mich erkundigen, Euer Lordschaft – am 21. Februar.


VORSITZENDER: Sie haben diese Fragebogen gesehen, die jetzt vom Angeklagten Frank vorgeschlagen wurden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin nicht sicher.


VORSITZENDER: Fünf sind es im ganzen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die Lage ist nämlich so, daß wir sie gestern erhielten, und daß sie noch zwischen meiner Delegation und der Amerikanischen Delegation besprochen werden. Ich habe sie bisher noch nicht bekommen.


VORSITZENDER: Ich glaube, wir müssen dies noch prüfen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das nächste ist ein Antrag des Angeklagten von Ribbentrop, der das Buch: »Amerika im Kampf der Kontinente« von Sven Hedin verlangt. Das muß dem allgemeinen Verfahren für Bücher unterworfen werden, und wenn da Stellen[780] sind, die der Angeklagte verwenden möchte, dann können wir über ihre Erheblichkeit verhandeln, wenn er sie vorlegt, jedesmal wenn die Stelle auftaucht.


VORSITZENDER: Das wird auch geprüft werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Euer Lordschaft wünschen. Dann ist hier ein Antrag im Namen des Angeklagten Schacht für das Buch: »Warnungen und Prophezeiungen« von dem verstorbenen Lord Rothermere. Das gleiche Verfahren sollte wohl hier angewandt werden. Die gewünschten Stellen können herausgezogen und uns gezeigt werden, und dann können wir, wenn sie verwendet werden sollen, ihre Erheblichkeit prüfen.


[Dr. Dix nickt zustimmend.]


Nun liegt, soweit ich unterrichtet bin, noch ein Antrag im Namen des Angeklagten von Neurath vor. Ich glaube, daß er Abschriften der Verhöre mit Dr. Gaus wünscht. Es ist der Herr, der als Zeuge für den Angeklagten von Ribbentrop erwähnt wurde. Der Gerichtshof hat, soweit ich es verstehe, im allgemeinen angeordnet, daß die Angeklagten nur von solchen Verhören Abschriften erhalten dürfen, welche gegen sie verwendet werden sollen; das heißt von ihren eigenen Verhören. Es wäre eine Ausdehnung dieser Anordnung, die nun zu allgemeinen Schwierigkeiten führen könnte, wenn man sie auf Abschriften der Verhöre mit anderen Zeugen erstrecken sollte. Deshalb erhebt die Anklagevertretung grundsätzlich dagegen Einspruch.

Aber da ich annehme, daß Dr. v. Lüdinghausen es wünscht, um seinen Fall vorzubereiten, dann könnte es, wenn er zu mir oder meinen Mitarbeitern kommen will, ihm vielleicht mitgeteilt werden. Wenn er irgendwelche Punkte angeben will, bei denen wir ihm helfen könnten, dann sind wir gerne bereit, sie mit ihm zu besprechen.

VORSITZENDER: Wo ist Dr. Gaus?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In Nürnberg.


VORSITZENDER: Kann Dr. Lüdinghausen ihn nicht hier sprechen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich würde das begrüßen. Ich habe nicht den geringsten Einspruch dagegen. Das würde natürlich die Lage vereinfachen.


VORSITZENDER: Beide Verfahren erscheinen angemessen. Daß Dr. Lüdinghausen Sie vielleicht aufsuchen könnte...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.

VORSITZENDER:... in Bezug auf die Fragebogen, und auch um Dr. Gaus hier im Gefängnis zu sehen.


[781] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich begrüße diese beiden Verfahren.


VORSITZENDER: Sehr wohl. Das beendigt diese Angelegenheiten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soweit es Ribbentrop betrifft...


VORSITZENDER: Dr. Siemers, da Dr. Horn nicht erschienen ist, könnten Sie vielleicht den Antrag bezüglich Hilger erledigen?


DR. SIEMERS: Ja, ich bin dazu bereit, muß aber, da ich Herrn Dr. Horn nicht gesprochen habe, bitten, daß durch meine Ausführungen Herr Dr. Horn nicht präjudiziert wird. Hilger ist als Zeuge außerordentlich bedeutungsvoll, da er als Botschaftsrat in Moskau gewesen ist, und zwar in der Zeit der Vertragsverhandlungen zwischen Deutschland und Rußland und bis zum Ausbruch des Krieges mit Rußland. Er ist daher derjenige, der an allen Verhandlungen teilnahm, über die Einstellung und über die Handlungen von Herrn von Ribbentrop genau orientiert ist, und daher der klarste und beste Zeuge. Hilger stand nur bisher hier im Prozeß als Zeuge im Hintergrund, weil Herr Dr. Horn den Botschafter Dr. Gaus gebeten hatte. Herr Dr. Horn verzichtete aber, beziehungsweise hat verzichtet auf Dr. Gaus, soviel ich weiß, und will lediglich bezüglich einiger geringer Punkte – eventuell für ein Affidavit oder einen Fragebogen – Fragen stellen. Ich vermute, daß Sir David mit dieser Form, wie ich sie so vorschlage, einverstanden ist.


VORSITZENDER: Ja, Dr. Siemers.


DR. SIEMERS: Sir David hat eben freundlicherweise seine Zustimmung bereits gegeben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich stimme zu, Euer Lordschaft, wie ich vorschlug, daß, wenn dieser Zeuge Hilger als mündlicher Zeuge aufgerufen wird, ein Fragebogen an den Zeugen Gaus gerichtet wird.


VORSITZENDER: Sehr gut. Das ist alles, nicht wahr?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist alles.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich und wird diese Angelegenheit in Betracht ziehen.


[Das Gericht vertagt sich bis

25. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 10.
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