Nachmittagssitzung.

[381] [Der Angeklagte Streicher im Zeugenstand.]


SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Vorsitzender! Ich möchte fragen, ob der Gerichtshof die Güte hätte, eine halbe Stunde zur Besprechung der Dokumente des Angeklagten Baldur von Schirach zur Verfügung zu stellen. Wir sind bereit, die strittigen Punkte zu klären, wann immer es dem Gerichtshof paßt.

VORSITZENDER: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: [zum Zeugen gewandt] Ich will Ihnen nun einige Fragen über die Rolle vorlegen, die Sie bei den verschiedenen Aktionen gegen die Juden in den Jahren 1933 bis 1939 gespielt haben.

Sehen Sie sich zunächst Dokument M-6 an. Es ist in dem Dokumentenbuch, das Sie vor sich haben, Seite 20, und Seite 22 in dem Dokumentenbuch, das der Gerichtshof hat. Es ist das Beweisstück GB-170.

Ich möchte auf Ihre Bemerkungen über die Nürnberger Gesetze verweisen. Sie sagten heute vormittag, daß Sie glaubten, mit dem Erlaß dieser Gesetze sei die Judenfrage endgültig gelöst. Betrachten Sie nunmehr den Absatz auf der Mitte der Seite, der mit den Worten anfängt: »Denen aber, die da glauben...«:

»Denen aber, die da glauben, die Judenfrage wäre durch die Nürnberger Gesetze für Deutschland nun endgültig geregelt und damit erledigt, sei gesagt: Der Kampf geht weiter – dafür sorgt schon das Weltjudentum selbst – und wir werden diesen Kampf nur siegreich bestehen, wenn jeder deutsche Volksgenosse weiß, daß es hier um Sein oder Nichtsein geht. Aufklärungsarbeit der Partei erscheint mir notwendiger denn je, wenn auch heute mancher Parteigenosse diese Dinge als nicht mehr aktuell und dringend zu betrachten scheint.«


STREICHER: Jawohl, das habe ich geschrieben.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Was meinen Sie mit den Worten: »Der Kampf geht weiter«, wenn Sie die Judenfrage durch die Nürnberger Gesetze schon gelöst hatten?


STREICHER: Ich habe heute bereits erklärt, daß ich die Lösung der Judenfrage darin sehe, daß zunächst im Lande die Frage gelöst wird und dann international. Also: »Der Kampf geht weiter« – das heißt in dem internationalen Antisemitenbund, den ich geschaffen hatte, und der beschickt war aus allen Ländern; in dem wurde nun die Frage diskutiert, was international gemacht werden könne, um die Judenfrage zur Endlösung zu bringen.


[381] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Haben wir es daher so zu verstehen, daß alles, was Sie nach 1936 gesagt und geschrieben haben, sich nur auf das internationale Problem bezog und mit den Juden in Deutschland selbst nichts zu tun hatte?


STREICHER: Ja, in der Hauptsache international, selbstverständlich.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte Sie nun auf ungefähr die Mitte des nächsten Absatzes hinweisen, wo es heißt:

»Die fünfzehnjährige Aufklärungsarbeit des ›Stürmers‹ hat bereits ein Millionenheer von Wissenden dem Nationalsozialismus zugeführt.«

Stimmt das?

STREICHER: Das stimmt.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, Sie haben heute früh dem Gerichtshof gesagt, daß bis 1933 und auch noch später die Auflage Ihrer Zeitung nur sehr klein gewesen sei. Stimmt es nun, daß Ihre fünfzehnjährige Arbeit dem Nationalsozialismus ein Millionenheer zugeführt hat?


STREICHER: Ich habe heute gesagt, daß mit der Gleichschaltung der Presse dreitausend Tageszeitungen in den Dienst der Aufklärung über Judensachen gestellt wurden, also neben dem »Stürmer« dreitausend Tageszeitungen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sehr gut. Ich glaube, daß Sie weiter nichts hinzufügen brauchen. Lassen Sie mich nur diesen Absatz zu Ende lesen:

»Die Weiterarbeit des ›Stürmers‹ wird dazu beitragen, daß auch noch der letzte Deutsche mit Herz und Hand sich in die Front derer begibt, die sich zum Ziele gesetzt haben, der Schlange Alljuda den Kopf zu zertreten.«

Einen Augenblick, lassen Sie mich meine Frage stellen. Es steht doch hier gar nichts von einem internationalen Problem. Sie sprechen doch hier nur zu den Deutschen, nicht wahr?

STREICHER: In dem Artikel? Ja. Und wenn im Ausland der Artikel gelesen wird, dann auch zum Ausland. Aber die Bemerkung: »der Schlange den Kopf zertreten« ist ein biblischer Ausdruck.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Lassen Sie uns kurz den Abbruch der Synagoge am 10. August 1938 erörtern, über den Sie schon gesprochen haben. Sehen Sie sich Seite 41 des Ihnen vorliegenden Dokumentenbuches an; es ist Seite 42 des englischen Dokumentenbuches, das dem Gerichtshof vorliegt.

Wir haben Ihre Erklärung über den Abbruch der Synagoge gehört. Die »Fränkische Tageszeitung« vom 11. August veröffentlicht darüber folgendes:

[382] »In Nürnberg wird die Synagoge abgebrochen. Julius Streicher leitete selbst durch eine mehr als eineinhalbstündige Rede den Beginn der Arbeiten ein.«

Haben Sie am 10. August 1938 zur Bevölkerung Nürnbergs eineinhalb Stunden über die architektonischen Werte der Stadt Nürnberg gesprochen?

STREICHER: Im einzelnen weiß ich nicht mehr, was ich gesprochen habe. Aber ich nehme Bezug auf das, was Sie hier bemerkt haben und für wichtig finden.

In Nürnberg bestand eine Filiale des Propagandaministeriums. Der junge Regierungsrat hat jeden Tag Pressekonferenzen gehabt mit den Redakteuren und hat damals in der Pressekonferenz den Redakteuren gesagt, es wird Streicher sprechen, und daß die Synagoge abgebrochen werde und daß das geheimgehalten werden müßte.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe Sie gefragt, ob Sie diese eineinhalb Stunden lang über die baulichen Schönheiten Nürnbergs gesprochen haben und nicht gegen die Juden; wollen Sie uns das einreden?


STREICHER: Auch das, selbstverständlich.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Erinnern Sie sich, daß bei der Pressekonferenz, von der Sie gerade gesprochen haben – zweifellos haben Sie das Dokument gesehen, es ist Seite 40 im Dokumentenbuch des Gerichtshofs –, vereinbart wurde, daß die Sache ganz groß aufgezogen werden sollte, zu zeigen, wie die Synagoge abgebrochen wurde. Was war der Zweck, die Zertrümmerung der Synagoge so groß aufzuziehen?


STREICHER: Ich war lediglich Sprecher. Das, was Sie hier andeuten, hat die Vertretung des Propagandaministeriums gemacht. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn Sie annehmen – ich möchte so sagen –, daß ich auch für eine große Aufmachung selbstverständlich gewesen wäre, wenn man mich gefragt haben würde.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jetzt habe ich noch eine Frage bezüglich der Demonstrationen, die im November des gleichen Jahres folgten.

Herr Vorsitzender! Ich verweise auf Seite 43 des Dokumentenbuches, Seite 42 des deutschen Textes.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wenn ich Sie recht verstanden habe, sagen Sie, daß Sie diese Demonstrationen nicht gebilligt hätten und daß sie veranstaltet wurden, ohne daß Sie davon wußten, oder zuvor gewußt hätten. Stimmt das?

STREICHER: Jawohl, das stimmt.

[383] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte Sie jetzt daran erinnern, was Sie am nächsten Tage, am 10. November, sagten. Es ist ein Bericht über die Ereignisse:

»In Nürnberg und Fürth kam es zu Demonstrationen der Volksmenge gegen das jüdische Mördergesindel. Sie dauerten bis in die frühen Morgenstunden an.«

Und nun gehe ich zum Schluß des Absatzes über:

»Nach Mitternacht hatte die Erregung der Bevölkerung ihren Höhepunkt erreicht, und eine größere Menschenmenge zog vor die Synagogen in Nürnberg und Fürth und steckte diese beiden Judenhäuser, in denen der Mord am Deutschtum gepredigt wurde, in Brand.«

Jetzt folgt, was Sie dazu sagten: Es ist Seite 44 des Dokumentenbuches, Euer Lordschaft.

»Der Jude wird von Kindesbeinen an erzogen nicht mit solchen Sätzen, wie wir erzogen werden, ›Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‹ oder ›Wenn du auf die linke Wange geschlagen wirst, so halte die rechte auch hin‹. Nein, ihm wird gesagt: ›Mit dem Nichtjuden kannst du tun, was du willst.‹ Er wird sogar dazu erzogen, die Hinschächtung eines Nichtjuden als gottwohlgefälli ges Werk anzusehen. Seit 20 Jahren schreiben wir das im ›Stürmer‹, seit 20 Jahren predigen wir es der ganzen Welt, und Millionen haben wir zur Erkenntnis der Wahrheit gebracht.«

Klingt das, als ob Sie diese Demonstrationen, die in der Nacht vorher stattfanden, mißbilligt hätten?

STREICHER: Zunächst muß ich feststellen, daß der Bericht, den Sie zum Teil vorgelesen haben, in der »Tageszeitung« stand. Es ist dieses also nicht von mir zu verantworten. Wenn hier geschrieben wurde, daß sich Volksteile erhoben hätten gegen das Mördergesindel, so entspricht das dem Befehl des Propagandaministers von Berlin. Nach außen hin wurde diese Aktion als spontane Volkskundgebung.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das ist nicht die Antwort auf meine Frage.

Klingt die Stelle, die ich eben verlesen habe, so, als ob Sie die Demonstrationen mißbilligt hätten, die in der Nacht vorher stattfanden, ja oder nein?


STREICHER: Ich war gegen diese Demonstration.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich will nun weiterlesen:

»Aber wir wissen, daß es auch bei uns noch Leute gibt, die Mitleid mit den Juden haben, Leute, die nicht wert sind, in dieser Stadt wohnen zu dürfen, die nicht wert sind, zu diesem Volke zu gehören, von denen Ihr ein stolzer Teil seid.«

[384] Warum wäre es dann notwendig gewesen, daß Leute Mitleid mit den Juden hatten, wenn Sie – Sie und die Nazi-Partei – sie nicht verfolgt hätten?

STREICHER: Ich habe heute bereits darauf hingewiesen, daß ich gezwungen war, nach dieser Demonstration öffentlich Stellung zu nehmen und zu sagen, man soll nicht soviel Mitleid haben. Ich wollte damit beweisen, daß es sich hier um keine spontane Volkssache gehandelt hat; also die Sache spricht nicht gegen mich, sondern für mich. Das Volk war, wie ich selbst, gegen die Demonstration, und ich sah mich veranlaßt, die Öffentlichkeit, ich möchte sagen, etwa wieder so weit zu bringen, daß man vielleicht in dieser Aktion nicht etwas so Schweres sah.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wenn Sie und das Volk dagegen waren, warum sollte es dann Ihre Pflicht gewesen sein, zu versuchen, das Volk umzustimmen, daß es für so etwas sein sollte? Warum waren Sie dagegen und warum versuchten Sie dann, die Leute gegen die Juden aufzubringen?


STREICHER: Das verstehe ich nicht, was Sie damit sagen wollen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe Sie dahin verstanden, daß Sie gegen diese Demonstrationen gewesen sind, daß auch das Volk dagegen war, und daß es aus diesem Grunde Ihre Pflicht gewesen sei, zu suchen, die Leute aufzuhetzen, so daß sie für die Demonstrationen waren, die bereits stattgefunden hatten. Warum sollte das Ihre Pflicht gewesen sein?


STREICHER: Heute läßt sich vielleicht sagen, dies oder jenes wäre Pflicht gewesen. Aber man muß sich in jene Zeit hineindenken, jenes Durcheinander; hier schnell einen Entschluß zu fassen, wie hier vielleicht in diesem Saal, das ist einfach nicht möglich. Das, was geschah, ist geschehen; ich war dagegen, die Öffentlichkeit auch. Was darüber sonst geschrieben wurde, das geschah aus taktischen Gründen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Waren Sie für die Arisierung jüdischer Häuser und Geschäfte? Waren Sie dafür oder mißbilligten Sie auch diese Sache?


STREICHER: Ich habe heute ausführlich im Zusammenhang mit einer Erklärung meines Parteigenossen Holz die Frage bereits beantwortet. Ich habe erklärt, ich wiederhole mich hier, daß mein Stellvertreter zu mir kam...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Halten Sie einen Moment inne. Ich will keine Rede von Ihnen; ich habe Ihnen eine Frage gestellt, die Sie mit Ja oder Nein beantworten können.

Waren Sie für die Arisierung von jüdischen Geschäften und Häusern oder waren Sie dagegen?


[385] STREICHER: Das kann man nicht so schnell mit Ja oder Nein beantworten. Ich habe es heute bereits klargelegt und Sie müssen mir gestatten, es zu sagen, damit kein Mißverständnis entsteht. Mein Parteigenosse...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich werde Sie das nicht wiederholen lassen.

Wenn Sie nicht bereit sind, diese Frage zu beantworten, dann werde ich weitergehen. Der Gerichtshof hat es gehört, und ich gehe also weiter.


STREICHER: Ich will Sie ja beantworten. Ich habe, nachdem meine Parteigenossen...


VORSITZENDER: Angeklagter...


STREICHER:... nachdem die Parteigenossen kamen...


VORSITZENDER: Sie haben sich doch gerade geweigert, die Frage richtig zu beantworten, eine Frage, die entweder mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Waren Sie dafür oder dagegen?

Sie können darauf eine Antwort und später eine Erklärung dazu geben.

STREICHER: Ich war innerlich nicht für die Arisierung.

Als Holz wiederholte, war es als Begründung, daß jetzt diese Häuser zusammengeschlagen seien und so weiter, da könne man für ein Gauhaus Mittel bekommen, sagte ich: »Gut, wenn Sie es machen können, dann machen Sie es.« Ich habe bereits heute erklärt, daß das eine Fahrlässigkeit meinerseits war.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es gab doch eine große Anzahl jüdischer Geschäfte und Häuser in Nürnberg und in Franken, die arisiert wurden, nicht wahr?


STREICHER: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich nun ein neues Beweisstück ansehen, D-835, das GB-330 wird. Es ist ein Originaldokument, eine Liste von jüdischem Besitz in Nürnberg und Fürth, der arisiert worden ist. Haben Sie diese Liste oder eine ähnliche schon früher einmal gesehen?


STREICHER: Nein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut, Sie dürfen mir glauben, daß diese Liste die Adressen von über 800 Grundstücken in Nürnberg und Fürth enthält, die den Juden weggenommen und Ariern übergeben wurden. Geben Sie mir zu, daß es mindestens 800 Häuser in Ihrer eigenen Stadt waren, die arisiert wurden?


STREICHER: Ich weiß das im einzelnen nicht; aber ich muß eine Feststellung machen: Ich weiß nicht, ist das das staatliche Dokument? Ich habe heute bereits erklärt, mein Parteigenosse Holz [386] begann mit der Arisierung. Diese Arisierung wurde dann von Berlin her rückgängig gemacht. Dann kam die staatliche Arisierung. Da hatte ich auch keinen Einfluß gehabt, das ist also nicht meine Sache. Diese Arisierung, die Enteignung des jüdischen Besitzes, wurde befohlen von Berlin.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie haben heute früh erwähnt, daß Sie Abonnent einer Wochenschrift gewesen seien, die sich »Israelitisches Wochenblatt« nannte. Stimmt das?


STREICHER: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Seit wann waren Sie Abonnent dieser Zeitung?


STREICHER: Wie bitte?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Seit wann waren Sie Abonnent dieser Zeitung?


STREICHER: Das weiß ich nicht.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich zweifle nicht daran, daß Sie dem Gerichtshof das ungefähre Datum angeben können. Waren Sie seit dem Jahre 1933 ununterbrochen Abonnent dieser Zeitung?


STREICHER: Ja. Jede Nummer werde ich nicht gelesen haben, denn ich bin ja viel auf Reisen gewesen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber Sie lasen es doch regelmäßig? Das steht doch wohl in dem Antrag Ihrer Frau, in dem sie bittet, als Zeugin vorgeladen zu werden?


STREICHER: Wir teilten uns, meine Freunde, die Redakteure und ich, in das Lesen dieses Blattes.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Kann ich annehmen, daß Sie und Ihre Redakteure, wenn auch nicht jede Nummer, so doch seit 1933 das Wochenblatt regelmäßig gelesen haben? Stimmt das ungefähr?


STREICHER: Von einem »regelmäßigen Lesen« ist nichts zu sagen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Stimmt es, daß eine große Anzahl der Ausgaben dieser von Ihnen abonnierten Zeitung, die Sie jede Woche erhielten, von Ihnen und Ihren Redakteuren gelesen wurde?


STREICHER: Sicherlich.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun will ich für einen Augenblick auf etwas anderes übergehen. Ich möchte mich Ihnen hier vollkommen verständlich machen.


DR. MARX: Herr Präsident! Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken, daß das eben übergebene Dokument [387] »Erfaßte Anwesen und Grundstücke« die Bezeichnung trägt: »Arisierungsstelle für Grundbesitz Nürnberg«. Das kann nichts anderes bedeuten, als daß es sich hier um ein Dokument handelt, das von der amtlichen Stelle, die dann für die Erfassung solcher Anwesen eingesetzt wurde, stammt. Keinesfalls aber kann das ein Dokument sein zum Nachweis dafür, daß es sich um die von Holz damals im Anschluß an den 9. November arisierten Grundstücke handelt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich gebe zu, daß das der Fall sein mag.


DR. MARX: Ich möchte also darum bitten, hier eine Berichtigung eintreten lassen zu wollen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Falls es falsch sein sollte, wenn ich sage, daß diese Grundstücke arisiert wurden, dann stimmt es doch auf jeden Fall, wenn ich sage, daß die Arisierungsstelle Nürnberg diese Liste zusammengestellt hat, um diese Grundstücke später zu arisieren, nicht wahr? Ist diese Behauptung richtig?


STREICHER: Nein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich will diese Sache nicht weiter verfolgen. Ich möchte das ganz klar zum Ausdruck bringen, was ich Ihnen jetzt sagen will. Ich behaupte, daß Sie von 1939 an daran gingen, das deutsche Volk zum Mord an der jüdischen Rasse aufzuhetzen und die Tatsache von deren Ermordung hinzunehmen. Verstehen Sie das?


STREICHER: Das ist nicht wahr.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe nicht daran gezweifelt, daß Sie sagen würden, es sei nicht wahr. Ich wollte, daß Sie genau verstehen, wo meine Behauptung hinzielt.

Ich will, daß Sie sich jetzt einen Band von Auszügen aus dem »Stürmer« ansehen, der Ihnen überreicht wird. Sie können die Originale einsehen, die dem Gerichtshof vorliegen, wenn Sie es wünschen. Aber wir werden Zeit sparen, wenn wir uns der Dokumentenbücher bedienen.

Wollen Sie auf Seite 3-A blicken. Die Seiten in diesem Heft sind alle mit »A« bezeichnet worden, um sie leicht von den Zahlen des Original-Dokumentenbuches zu unterscheiden.

VORSITZENDER: Sind sie alle zum Beweis vorgelegt?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Keins von ihnen ist bisher vorgelegt worden. Ich dachte, es wäre am besten, die betreffenden Dokumente erst zum Schluß zusammen als Beweismittel vorzulegen, außer, wenn der Gerichtshof oder der Angeklagte Kopien [388] davon zu sehen wünschen. Ich werde sie bei der Besprechung numerieren.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sehen Sie bitte auf Seite 3-A dieses Heftes, D-809, das GB-331 wird:

»Die Judenfrage ist noch nicht gelöst. Sie ist auch dann noch nicht gelöst, wenn einmal der letzte Jude Deutschland verlassen hat. Sie ist erst dann gelöst, wenn das Weltjudentum vernichtet ist.«

War das Ihr Ziel, auf das Sie hinarbeiteten, als Sie sagten, daß Sie auf die internationale Lösung des Problems hinarbeiteten: Die Vernichtung des Weltjudentums?

STREICHER: Je nachdem man das Wort »Vernichtung« aufgefaßt haben will. Der Artikel wurde von meinem damaligen Chefredakteur geschrieben. Er schreibt, die Judenfrage sei noch nicht gelöst, wenn der letzte Jude Deutschland verlassen hat; und wenn er nun plötzlich sagt »erst dann ist sie gelöst, wenn die Juden vernichtet sind«, dann mag er jedenfalls gemeint haben, wenn die Macht des Weltjudentums vernichtet ist. An eine Massentötung oder an die Möglichkeit einer Massentötung hat auch mein Parteigenosse Holz nicht gedacht.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das hier gebrauchte deutsche Wort heißt »vernichtet«, nicht wahr? Sehen Sie sich Ihr Exemplar an. »Vernichtet«, das heißt doch »to annihilate«?


STREICHER: Ja, wenn man zurückschaut, kann man's so deuten; damals nicht.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, wir wollen damit nicht die Zeit verschwenden, wir haben ja noch eine ganze Reihe von Dokumenten durchzusehen. Sehen Sie die nächste Seite an. Es war im Januar, als Sie das geschrieben haben. Das Dokument D-810, GB-332, ist vom April 1939. Ich verweise nur auf die zwei letzten Zeilen. Auch dieser Artikel stammt von Ihrem Hauptschriftleiter:

»Dann werden vielleicht ihre Gräber künden, daß dieses Mörder- und Verbrechervolk doch noch sein verdientes Ende fand.«

Was meinen Sie mit »Gräbern« hier? Meinen Sie damit den Ausschluß von Geschäften dieser Welt?

STREICHER: Ich habe diesen Artikel heute zum erstenmal zu Gesicht bekommen. Das ist die Meinungsäußerung eines Mannes, der vielleicht über die Zeit in einem Wortspiel hinausgeschaut hat; aber soweit ich ihn kannte, und soweit wir uns besprachen über die Judenfrage, von Massentötung zu jener Zeit, da war nicht die [389] Rede, und auch nicht daran zu denken. Das war vielleicht sein Wunsch, ich weiß es nicht; es ist halt so geschrieben worden.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Wir gehen nun zum Mai 1939 über, D-811, GB-333. Ich verlese die letzten sechs Zeilen:

»Es muß eine Strafexpedition über die Juden in Rußland kommen.«

Das war natürlich vor der Invasion Rußlands.

»Es muß eine Strafexpedition über die Juden in Rußland kommen. Eine Strafexpedition, die ihnen dasselbe Ende bereitet, wie es jeder Mörder und Verbrecher zu erwarten hat: Das Todesurteil, die Hinrichtung! Die Juden in Rußland müssen getötet werden. Sie müssen ausgerottet werden mit Stumpf und Stiel. Dann wird die Welt sehen, daß das Ende der Juden auch das Ende des Bolschewismus ist.«


STREICHER: Wer hat diesen Artikel geschrieben?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Dieser Artikel erschien in Ihrem »Stürmer«. Wir können es leicht ausfindig machen, wenn es notwendig sein sollte. Sie haben ihn nicht geschrieben, aber er ist in Ihrer Zeitung »Der Stürmer« erschienen, und Sie haben vor Gericht gesagt, daß Sie die Verantwortung für alles übernehmen, was im »Stürmer« geschrieben ist.


STREICHER: Gut, ich übernehme die Verantwortung, erkläre aber, daß es auch hier sich um eine private Meinungsäußerung eines Mannes handelt, der im Mai 1939 nicht daran denken konnte, daß aus einem Nichts heraus – denn wir hatten keine Soldaten – ein Marsch nach Rußland stattfinden konnte. Das ist also eine theoretisch stark aufgetragene Meinungsäußerung jenes Antisemiten.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe Sie nur gefragt: Tritt dieser Artikel nicht für die Ermordung von Juden ein? Wenn nicht, wofür tritt er dann ein?


STREICHER: Dann müßte der ganze Artikel vorgelesen werden, um zu wissen, welche Beweggründe da gegeben waren, um so etwas zu schreiben. Ich bitte, den ganzen Artikel der Öffentlichkeit preiszugeben, dann kann man ein richtiges Urteil bilden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, wir werden weitergehen und nicht Zeit verschwenden, außer wenn Sie wirklich den ganzen Artikel sehen wollen.

Herr Vorsitzender! Darf ich nun vielleicht diese Dokumente als Beweismittel vorlegen. Wie Euer Lordschaft sehen, handelt es sich hier um Auszüge aus dem »Stürmer«...


DR. MARX: Herr Präsident! Mit Erlaubnis des Gerichts möchte ich mir hier folgende Ausführungen gestatten. Es sind nun eine [390] Reihe von Auszügen aus dem »Stürmer« hier zur Sprache gebracht worden, die mir zum erstenmal vorgelegt worden sind. Es handelt sich zum Teil um Artikel, die von dem Angeklagten nicht selbst verfaßt sind. Sie sind teilweise von Hiemer unterzeichnet, dann teilweise von Holz, der in seiner Schreibweise außerordentlich radikal war; es werden auch Stellen daraus zitiert, die vielleicht aus dem Zusammenhang genommen sind. Ich müßte daher bitten, daß mir doch die Möglichkeit gegeben wird, diese Auszüge zusammen mit dem Angeklagten Streicher zu prüfen; denn sonst könnte bei ihm die Meinung entstehen, daß ihm seine Verteidigung doch erschwert wird und ihm es unmöglich gemacht wird, sich entsprechend vorzubereiten.


VORSITZENDER: Dr. Marx, Sie werden die Möglichkeit haben, die verschiedenen Auszüge zu überprüfen und werden dann in der Lage sein, nötigenfalls Stellen einzuführen, die diese Auszüge verständlich machen. Das ist doch den Verteidigern schon zu wiederholten Malen erklärt worden.

Oberst Griffith-Jones, haben Sie nicht Auszüge, die vom Angeklagten selbst geschrieben oder unterzeichnet sind?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jawohl, Euer Lordschaft, ich werde mit Ihrer Erlaubnis auf einige davon zu sprechen kommen. Aber um nicht auf alle eingehen zu müssen, wollte ich vorschlagen, daß ich vielleicht alle vorlege, und, falls nötig, dem Gerichtshof dann später die Nummern angebe, um Zeit zu sparen.


VORSITZENDER: Ja, natürlich.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich werde also die ganze Mappe zum Beweis vorlegen und nicht alle einzeln erwähnen.


VORSITZENDER: Dann können Sie uns die Beweisstücknummern später angeben.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wenn dies dem Gerichtshof recht ist.


VORSITZENDER: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Der Gerichtshof wird bei Durchsicht dieser Mappe feststellen, daß sie von der ersten Seite an, die, glaube ich, die Zahl 3 A trägt, bis 25 A verschiedene Auszüge enthält, die entweder von Ihnen oder von Mitgliedern Ihres Stabes in der Zeit vom Januar 1939 bis Januar 1941 geschrieben wurden.

Wollen Sie nunmehr behaupten, wie Sie in Ihrer Zeugenaussage angegeben haben, daß Sie niemals gewußt hätten, daß Juden zu Tausenden und Millionen in den Ostgebieten ausgerottet wurden? Haben Sie das niemals gewußt?


STREICHER: Nein.


[391] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie haben in Ihrer Aussage heute morgen, als Sie über das »Israelitische Wochenblatt« sprachen, angegeben – ich habe es mir aufgeschrieben:

»Manchmal waren in diesen Zeitungen Andeutungen, daß nicht alles in Ordnung sei. Später, im Jahre 1943, erschien ein Artikel, der darüber berichtete, daß Massen von Juden verschwänden, jedoch waren darüber keine Ziffern angegeben, und es wurde auch nichts von Morden erwähnt.«

Wollen Sie wirklich behaupten, daß in diesen Ausgaben des »Israelitischen Wochenblattes«, die Sie und Ihre Redakteure lasen, nichts weiter stand als Andeutungen über das Verschwinden ohne Angabe von Ziffern oder Morden? Wollen Sie dem Gerichtshof das einreden?

STREICHER: Jawohl, dabei bleibe ich, gewiß.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, dann bitte ich Sie, sich diese Mappe vor Augen zu halten. Es ist eine Mappe mit Auszügen aus dem »Israelitischen Wochenblatt« von Juli 1941 bis zum Kriegsende. Der Gerichtshof wird nunmehr feststellen können, was ein Wahrheitsfanatiker wirklich erzählt.

[Dem Zeugen wird das Dokument ausgehändigt.]


Herr Vorsitzender, diese Mappe ist zur leichteren Kenntlichmachung mit »B« bezeichnet.


[Zum Zeugen gewandt:]


Bitte sehen Sie sich die erste Seite an; da steht ein Artikel vom 11. Juli 1941.

»In Polen starben im letzten Jahr etwa 40000 Juden; die Spitäler sind überfüllt«

Sie brauchen nicht weiterzublättern, Angeklagter; wir werden schon schnell genug weitergehen.

Haben Sie zufällig diesen Satz im »Israelitischen Wochenblatt« vom 11. Juli 1941 gelesen?

STREICHER: Nein.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Dann sehen Sie sich bitte Seite 3, 3-B vom November 1941 an:

»Aus der Ukraine vernimmt man die allerschlimm sten Nachrichten. Tausende jüdischer Toter werden beklagt, darunter viele von den... galizischen Juden, die aus Ungarn ausgewiesen wurden.«

Haben Sie das gelesen?

STREICHER: Das könnte möglich sein; hier heißt es, Tausende werden beklagt. Das ist noch kein Beweis, daß Millionen umgebracht wurden. Da ist ja nichts Näheres gesagt, wie sie geendet haben.

[392] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Falls das Ihre Erklärung ist, die Sie uns geben wollen, dann lassen wir es dabei.

Wollen Sie nun zur nächsten Seite übergehen, den 12. Dezember 1941, also einen Monat später:

»In Odessa sollen laut Nachrichten, die von mehreren Seiten eingegangen sind, Tausende von Juden (es ist sogar von vielen Tausenden die Rede)... hingerichtet worden sein... Ähnliche Berichte kommen aus Kiew und anderen russischen Städten.«

Haben Sie das gelesen?


STREICHER: Das weiß ich nicht, und wenn ich es gelesen hätte, würde dies nichts ändern an der Sache. Das ist kein Beweis.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber Sie haben doch dem Gerichtshof gesagt, daß die Zeitung nur Andeutungen über das Verschwinden enthielt. Zeigt das nicht, daß Sie nicht die Wahrheit gesprochen haben, wenn Sie diese Auszüge jetzt lesen?


STREICHER: Dann bitte ich, folgendes sagen zu dürfen: Als der Krieg begann, bekamen wir überhaupt kein »Israelitisches Wochenblatt« herein. In den letzten Jahren, da konnte man nur über die Polizei das »Israelitische Wochenblatt« erhalten. Wir haben auf Schleichwegen in letzter Zeit das »Israelitische Wochenblatt« nach Deutschland hereingebracht. Wir haben einmal die Polizeistellen aufgefordert, uns zu bedienen mit ausländischen Zeitungen und mit dem Wochenblatt, da wurde uns erklärt, das ginge nicht. Wir haben es aber doch fertiggebracht. Ich möchte also damit sagen, ich habe nicht jede Nummer unter die Augen bekommen. Die Nummern, die ich gelesen habe, die wurden beschlagnahmt auf meinem Hof. Was unterstrichen ist, das ist von mir oder von meinem Chefredakteur gelesen. Ich kann aber nicht für jede Notiz garantieren, daß ich sie gelesen habe.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich sehe das vollkommen ein, und darum haben wir eine große Anzahl davon. Sehen Sie, wir haben hier Auszüge von fast jeder Woche oder jedem Monat im Laufe von drei Jahren.

Sehen Sie sich bitte nun Seite 30-A von der Mappe »A« an. Ich möchte nur, daß Sie einmal sehen, was Sie damals geschrieben haben, nachdem Sie gehört oder gelesen haben oder jedenfalls, nachdem dieses »Israelitische Wochenblatt« erschienen war. Es ist ein Leitartikel von Ihnen selbst:

»Soll die Gefahr der Weiterzeugung jenes Gottesfluches im jüdischen Blut ein Ende finden, dann gibt es nur einen Weg, die Ausrottung dieses Volkes, dessen Vater der Teufel ist.«

[393] Und der Ausdruck, den Sie hier für Vernichtung benützen, ist »Ausrottung«, nicht wahr?

STREICHER: Ich möchte zunächst fragen, ob diese Nummer meinem Verteidiger bekannt ist und ob die Übersetzung stimmt?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Darauf kommt es nicht an, er hat Abschriften von allen Ausgaben, und er wird Ihre Interessen wahren können. Wir prüfen jetzt nur die Wahrheit Ihrer Zeugenaussage.

Können Sie mir sagen, was »Ausrottung« bedeutet? Bedeutet das die Ermordung von Juden oder was kann es sonst bedeuten?


STREICHER: Es kommt auf den Zusammenhang an. Dann bitte ich, den ganzen Leitartikel verlesen zu wollen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wenn in dem Artikel sonst irgend etwas steht, was Ihnen nützen kann, so wird Ihr Verteidiger Gelegenheit haben, diesen Artikel zu lesen und ihn dem Gerichtshof vorlegen. Ich kann Ihnen aber versichern, daß auch Ihre übrigen Artikel im allgemeinen Ihrem Fall nicht nützen.


STREICHER: Als jener Artikel erschien, da haben die Massentötungen schon längst stattgefunden gehabt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Wir wollen uns nicht dabei zu lange aufhalten.

Wollen Sie sich Ihre Mappe »B« ansehen, eine Mappe mit Auszügen aus dem »Israelitischen Wochenblatt«?


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sollten ihn auf das Datum auf Seite 30-A aufmerksam machen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Vielen Dank, Euer Lordschaft!


[Zum Zeugen gewandt:]


Es ist der 25. Dezember 1941. Sehen Sie sich jetzt Heft »B« an, darin werden Sie eine Anzahl von Auszügen finden, die von Seite A bis Seite 21 gehen. Wollen Sie sich einmal bitte Seite 24 in diesem Buch »B« ansehen?

STREICHER: Seite 24?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja, Seite 24. Es ist ein Artikel im »Israelitischen Wochenblatt« vom 27. November 1942. Ich möchte wissen, ob Sie diesen Artikel gelesen haben:

»Auf dem Zionistischen Delegiertentag der Schweiz gab der Vertreter der Jewish-Agency in Genf... einen Bericht über die Lage des europäischen Judentums... Die Zahl der Opfer geht in die Millionen. Wenn der jetzige Zustand anhält und das deutsche Programm durchgeführt wird, ist[394] damit zu rechnen, daß an Stelle der sechs bis sieben Millionen Juden in Europa nur noch zwei Millionen vorhanden sein werden.«

Und dann, die letzten drei Zeilen von diesem Auszug:

»Die dort vorhandenen Juden wurden zumeist nach dem berüchtigten ›unbekannten Ziele‹ weiter östlich deportiert. Am Ende dieses Winters werden die Opfer vier Millionen betragen.«

Nennen Sie das nur einen Hinweis über das Verschwinden von Juden im Osten?

STREICHER: Ich kann mich nicht entsinnen, das je gelesen zu haben. Ich sage aber dazu, wenn ich es gelesen haben würde, hätte ich es nicht geglaubt.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jetzt wollen wir auf Mappe »A« zurückgehen und den Artikel ansehen, den Sie am 17. Dezember 1942 geschrieben haben. Er steht auf Seite 34-A. Dieser Artikel ist mit den Buchstaben »Str« gezeichnet, und ich nehme daher an, daß er von Ihnen geschrieben ist.

»Die Londoner Zeitung ›The Times‹ vom 16. September 1942 veröffentlichte...«


STREICHER: Das habe ich noch nicht.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Seite 34-A.


STREICHER: Einen Moment.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Helfen Sie ihm! Er trägt die Überschrift »Aug' um Auge, Zahn um Zahn«.

»Die Londoner Zeitung ›The Times‹ vom 16. September 1942 veröffentlichte eine Entschließung, die von dem Abgeordnetenausschuß britischer Juden einstimmig angenommen wurde. Diese Entschließung bringt im Auftrage der Englisch-Jüdischen Gemeinschaft den Schmerz und Schrecken über die unaussprechbaren Ausschreitungen zum Ausdruck, die von den Deutschen und ihren Verbündeten und Vasallen gegenüber den Juden Europas begangen worden seien und die nur den einen Zweck hätten, die gesamte jüdische Einwohnerschaft Europas mit kaltem Blute zu vernichten.«

Sie müssen doch diesen Artikel in der »Times« gelesen haben, da Sie das sagen?

STREICHER: Jawohl.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES:

»Wie doch die Juden der Englisch-Jüdischen Gemeinschaft auf einmal hellhörig werden! Als der zweite Weltkrieg seinen Anfang nahm, warnte der Führer des deutschen Volkes die [395] jüdischen Kriegsmacher davor, die Welt aufs neue in ein Blutbad zu stürzen. Und seitdem hat der deutsche Führer immer wieder gewarnt und prophezeit, daß der von dem Weltjudentum heraufbeschworene zweite Weltkrieg die Vernichtung des Judentums zur Folge haben müßte. Und auch in seiner letzten Rede erinnerte der Führer wiederum an seine Prophezeiungen.«

Haben Sie das geschrieben?

STREICHER: Jawohl, hier handelt es sich lediglich um ein Zitat, um den Hinweis auf eine Vorhersagung des Führers, von der niemand wissen konnte, was sie in Wirklichkeit bedeutete.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sehr gut.

Wenn Sie nun weder das noch das »Israelitische Wochenblatt« gelesen haben, haben Sie jemals von der Erklärung der Vereinten Nationen gehört, die am 17. Dezember 1942 abgegeben wurde?


[Dem Zeugen wird ein Dokument eingehändigt.]


Erinnern Sie sich, davon gehört zu haben? Es scheint, daß Sie die »Times« gelesen haben und es scheint, daß Sie einige Ausgaben des »Israelitischen Wochenblattes« gelesen haben. Vielleicht haben Sie auch von dieser Erklärung gehört, die in London, Washington und Moskau gleichzeitig veröffentlicht wurde, mit Zustimmung und Unterstützung aller Vereinten Nationen und Dominien. Ich will es Ihnen vorlesen und sehen, ob Sie sich daran erinnern:

»Die Regierungen von Belgien, der Tschechoslowakei, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Sowjetrußland, England, Amerika und Jugoslawien und auch der Französische Nationalausschuß sind auf zahlreiche Berichte aus Europa aufmerksam gemacht worden, daß die deutschen Behörden sich nicht damit zufriedengeben, den Angehörigen der jüdischen Rasse in allen den Gebieten, über die sich ihre barbarische Herrschaft ausdehnt, die elementarsten Menschenrechte abzusprechen, sondern nun dabei sind, Hitlers oft wiederholte Absicht, die Juden in Europa auszurotten, in die Wirklichkeit umzusetzen. Aus allen besetzten Ländern werden Juden unter furchtbaren Schrecken und Brutalität nach Osteuropa transportiert. In Polen, das zum Nazi-Hauptschlachthaus gemacht worden ist, werden die von den deutschen Eindringlingen eingerichteten Ghettos systematisch aller Juden entleert, mit Ausnahme einiger weniger besonders gelernter Arbeiter, die für die Kriegsindustrie benötigt werden. Von keinem der Fortgeschleppten wird jemals wieder etwas gehört. Die körperlich Gesunden läßt man langsam in Arbeitslagern sich zu Tode arbeiten. Die Kranken werden einem Tode der Entbehrung und des Hungers ausgesetzt oder mit [396] wohl erwogener Absicht in Massenhinrichtungen niedergemetzelt.

Die Zahl der Opfer dieser blutigen Grausamkeiten wird auf viele Hunderttausende von absolut unschuldigen Männern, Frauen und Kindern geschätzt.

Die obengenannten Regierungen und der Französische Nationalausschuß verurteilen diese bestialische Politik der kaltblütigen Ausrottung aufs schärfste. Sie erklären, daß solche Geschehnisse nur den Entschluß aller freiheitliebenden Völker bestärken können, die barbarische Hitler-Tyrannei zu stürzen. Sie bestätigen nochmals ihren feierlichen Entschluß, zu versichern, daß die für die Verbrechen Verantwortlichen der Vergeltung nicht entgehen sollen und werden zur Verwirklichung dieses Zieles die notwendigen praktischen Maßnahmen durchdrücken.«

Haben Sie niemals etwas von dieser Erklärung gehört?

STREICHER: Ich weiß nicht. Sollte ich aber davon gehört haben, dann muß ich dazu folgendes sagen:

Nach der Machtübernahme sind in der Auslandspresse soviele Greuelnachrichten erschienen, die sich als Greuelnachrichten herausgestellt haben, daß ich keine Veranlassung gehabt hätte, so etwas zu glauben. Hier ist auch nicht davon die Rede, daß Millionen Juden getötet worden seien.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie sehen, daß es nicht ganz und gar ohne Bestätigung ist. Sie sagen, Sie hätten keine Veranlassung gehabt, es zu glauben, aber Ihr »Israelitisches Wochenblatt«, das Sie abonniert hatten, sagte genau dasselbe.

Wollen Sie nun Seite 26-B der Mappe »B« ansehen. Das ist die Erklärung der Vereinten Nationen vom 17. Dezember. Sehen Sie doch nur, was das »Israelitische Wochenblatt« vom 18. sagt.

Ich zitiere dort den zweiten Absatz:

»Damals wurde von der Polnischen Regierung in London die Zahl der hingerichteten Juden auf 700000 angegeben. Der Berliner Radio erklärte hierauf diese Berichte als unwahr, gab jedoch zu, daß in Polen ›Juden hingerichtet werden mußten‹, weil sie Sabotageakte verübten.«

Der letzte Absatz lautet dann:

»Bis Ende September 1942, so wird im ›Daily Telegraph‹ erklärt, sind in Deutschland und den von der Achse besetzten Gebieten zwei Millionen Juden umgekommen und es muß befürchtet werden, daß sich die Zahl der Todesopfer bis zum Jahresende verdoppeln werde.«

Haben Sie zufällig diesen Artikel gelesen?

[397] STREICHER: Ich kann mich nicht entsinnen, das gelesen zu haben. Aber ich würde es nicht geglaubt haben.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sehen Sie, dieselbe Zeitung bringt noch einen anderen Artikel am 23. Dezember des gleichen Inhalts; und noch einen am 30. Dezember und wieder einen am 8. Januar. Sehen Sie, was sie am 8. Januar schreibt:

»Die Polnische Regierung in London hat eine neue Erklärung erlassen, in der es heißt, daß alle Informationen darin übereinstimmen, daß von drei Millionen Juden ein Drittel umgekommen ist.«

Haben Sie das gelesen?

STREICHER: Das weiß ich nicht, aber ich muß das gleiche wieder sagen, ich hätte das nicht geglaubt.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Dann wollen wir einmal sehen, was Sie am 28. Januar geschrieben haben. Sehen Sie sich Seite 35-A Ihrer eigenen Mappe an. Sehen Sie sich an, was Ihr Chefredakteur Hiemer, der Zeuge, den Sie – soweit ich weiß – vorladen wollen, zunächst zu sagen hat:

»Aber auch das Ghetto, das heute in fast allen europäischen Staaten wiedererstand, ist nur eine Zwischenlösung. Die erwachte Menschheit wird nämlich nicht etwa nur die Ghettofrage lösen, sondern die Judenfrage in ihrer Gesamtheit. Es wird eine Zeit kommen, in der sich das erfüllen wird, was die Juden heute fordern: Das Ghetto wird verschwunden sein. Und mit ihm das Judentum.«

Was will er denn damit sagen, wenn er nicht den Massenmord der jüdischen Rasse meint?

STREICHER: Das war seine Meinungsäußerung, seine Überzeugung. Diese Überzeugung ist ebenso zu nehmen, wie das, was ein jüdischer Schriftsteller zur gleichen Zeit in Amerika in seinem Buch geschrieben hat.

Erich Kauffmann schrieb: Die zeugungsfähigen deutschen Männer müßten sterilisiert werden und auf diesem Wege müßte das deutsche Volk ausgerottet werden.

Zur selben Zeit hat Hiemer den Artikel geschrieben, und ich möchte hier erklären, die Verschärfung im »Stürmer« entstand mit dem Buch aus Amerika.

Den Verhöroffizieren ist bekannt, daß ich wiederholt darauf hingewiesen habe, auch mein Verteidiger weiß es, ich bat ihn, dieses Buch beizubringen. Es befand sich im »Völkischen Beobachter«.

Wenn in Amerika ein Schriftsteller Erich Kauffmann öffentlich fordern kann, daß alle zeugungsfähigen deutschen Männer sterilisiert werden sollten, um das deutsche Volk auszurotten, dann sage ich: [398] Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Das ist eine theoretische schriftstellerische Angelegenheit.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut, wir haben Ihre Erklärung hierzu nunmehr gehört. Jetzt wollen wir sehen, was Sie in Ihrem eigenen Artikel vom gleichen Tage zu sagen haben. Ich verlese aus der Mitte des nächsten Absatzes.

»Jetzt aber, im vierten Jahr dieses Krieges, beginnt das Weltjudentum in seinen zurückschauenden Betrachtungen zu erkennen, daß das jüdische Schicksal durch den deutschen Nationalsozialismus seine Erfüllung findet.«

Was haben Sie damit gemeint? Ich hätte vielleicht etwas früher beginnen und von Anfang an lesen sollen.

»Als mit Beginn des zweiten Weltkrieges das Weltjudentum sich erneut als Brandstifter zu offenbaren begann, hatte Adolf Hitler von der Tribüne des Deutschen Reichstages herab der Welt verkündet, daß der vom Weltjudentum heraufbeschworene Weltkrieg die Selbstvernichtung des Judentums zur Folge haben würde. Jene Prophezeiung war die erste große Warnung gewesen. Sie verfiel dem jüdischen Hohn, so wie es auch mit all den nachgefolgten Warnungen geschah.«

Und dann fahren Sie fort:

»Jetzt aber, im vierten Jahr dieses Krieges, beginnt das Weltjudentum in seinen zurückschauenden Betrachtungen zu erkennen, daß das jüdische Schicksal durch den deutschen Nationalsozialismus seine Erfüllung findet.«

Was haben Sie damit gemeint?

STREICHER: Bitte?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Was meinen Sie mit Ihren Worten, »das Weltjudentum findet die Erfüllung seines Schicksals durch den deutschen Nationalsozialismus?« Wie meinten Sie, sollte der Nationalsozialismus das Schicksal des Weltjudentums erfüllen?


STREICHER: Der Nationalsozialismus konnte das Schicksal, das heißt die Lösung nicht erfüllen, weil der Führer in die Hand des Schicksals eingegriffen hat. Das war keine Lösung.

Ich habe bei einem Verhör darauf hingewiesen, ich persönlich, der ich die gesamte Lösung wollte, war von Anfang an schon gegen den Gedanken, zu versuchen, mit Pogromen die Judenfrage lösen zu wollen. Wenn ich vom Schicksal spreche, das das Judentum durch den Nationalsozialismus erhalten sollte, so wollte ich damit sagen, über den Nationalsozialismus hinwegkommt die Welt zum Wissen und zur Einsicht, daß die Judenfrage international gelöst werden müsse.


[399] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gehen wir nun weiter:

»Was der Führer des deutschen Volkes am Beginn dieses zweiten Weltkrieges als Prophezeiung in die Welt hinausgegeben hatte, vollendet sich nun in unerbittlicher Zwangsläufigkeit: Das Weltjudentum, das mit dem Blute sich bekämpfender Völker ein großes Weltgeschäft machen wollte, eilt mit Riesenschritten seiner Ausrottung entgegen!«

Wieder gebrauchen Sie das Wort: »Ausrottung«.

Soll das nun so heißen, daß die Erfüllung, der Sie zustrebten, eine Warnung an die Welt über das Judentum ist? Was meinen Sie mit den Worten: »... eilt mit Riesenschritten seiner Ausrottung entgegen?« Was wollten Sie damit sagen?

STREICHER: Es handelte sich hier um eine Warnung, die der Führer prophezeite. Niemand konnte die Prophezeiung richtig deuten. Wir zitierten diese Prophezeiung nicht nur in diesem Artikel, sondern noch in zehn anderen Artikeln. Immer wieder haben wir diese Vorhersage – die erste kam im Jahre 1929 – gebracht. Heute wissen wir, was der Führer damit sagen wollte. Damals haben wir es nicht gewußt, und ich bekenne offen, mit diesem Zitat wollten wir das Weltjudentum warnen: »Gegen ihre Drohung diese Drohung«.

Ich darf zur Verteidigung in diesem Zusammenhang erwähnen, daß der Schriftsteller Dr. Emil Ludwig Kohn, der aus Deutschland nach Frankreich emigrierte, in der Zeitschrift »Le Fanal« im Jahre 1934 geschrieben hat: »Hitler will den Krieg nicht, er wird aber dazu gezwungen werden. Das letzte Wort hat England.« Also...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wir sprechen augenblicklich nicht über den Krieg. Wir sprechen über die Vernichtung, den Massenmord an den Juden durch die Nationalsozialisten. Darüber sprechen wir.

Lesen wir nun weiter:

»Als Adolf Hitler vor zwanzig Jahren vor das deutsche Volk trat, um ihm in die Zukunft weisende nationalsozialistische Forderungen zu unterbreiten, da hatte er auch das in seiner Auswirkung folgenschwerste Versprechen gegeben, die Welt von seinem jüdischen Peiniger zu befreien. Wie herrlich ist es, zu wissen, daß dieser große Mensch und Führer auch diesem Versprechen die Tat folgen läßt! Sie wird die größte sein, die je unter Menschen geschah.«

Behaupten Sie nun, daß Sie hier nicht Propaganda machen für die Politik des Massenmordes, den zu begehen die Nazi-Regierung sich vorgenommen hatte?

STREICHER: Wir hatten ebenfalls Pressefreiheit wie die Demokratie. Jeder Schriftsteller kannte die Vorhersage, die sich [400] später vielleicht als Tatsache herausstellte, und konnte darüber schreiben. So habe auch ich es getan.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut.


STREICHER: Aber zu meiner Verteidigung möchte ich noch sagen, Herr Anklagevertreter, auch Kriege können Massenmorde sein mit ihren Bombennächten und so weiter. Wenn nachgewiesen ist, daß jemand sagt, wir zwingen Hitler zum Krieg, dann kann ich schon sagen, daß ein Mann, der das weiß, daß Hitler zum Kriege gezwungen wird, ein Massenmörder ist.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs muß ich Sie nochmals unterbrechen. Wir sprechen nicht darüber, ob Hitler zum Krieg gezwungen wurde oder nicht. Wir wollen das jetzt beiseite lassen.

Wir wollen hier weitergehen und feststellen, ob Sie die Wahrheit gesprochen haben, als Sie aussagten, daß Sie bei Abfassung dieser Artikel nicht genau gewußt haben, was in den Ostgebieten vor sich ging.

Wir sind bis Januar 1943 gekommen. Ich möchte, daß Sie sich nun noch ein oder zwei »Israelitische Wochenblätter« betrachten und sehen, ob Sie sich erinnern, diese gelesen zu haben.

Sehen Sie sich Seite 30-B in Ihrer Mappe »B« an, die Ausgabe vom 26. Februar:

»Exchange meldet aus polnischen Regierungskreisen in London, daß Warschau, Lemberg, Lodz und andere Städte ›liquidiert‹ worden seien und aus den Ghettos niemand mehr am Leben sei. Die letzten Feststellungen ergäben, daß von 2,8 Millionen Juden nur noch etwa 650000 übriggeblieben seien.«

Hören Sie! Haben Sie das gelesen? Erinnern Sie sich daran?

STREICHER: Das weiß ich nicht. Wir haben monatelang, vielleicht ein halbes Jahr, keine Nummer hereinbekommen, aber wenn ich es gelesen haben würde, würde ich auch das nicht geglaubt haben.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Haben Sie Hitler geglaubt? Schlagen Sie Seite 31-B auf. Haben Sie Hitler geglaubt? Die letzten beiden Zeilen in dem »Israelitischen Wochenblatt« vom 5. März 1943 lauten:

»Erneut hat Hitler in seiner Proklamation vom 24. Februar die Ausrottung der Juden in Europa als sein Ziel proklamiert.«

Haben Sie Ihrem eigenen geliebten Führer geglaubt, als er genau dasselbe wie das »Israelitische Wochenblatt«, die Vereinten Nationen und die »Times« in London erklärte?

STREICHER: Nein. Ich erkläre hier, wer den Führer in seinem tiefsten Fühlen und in seiner Seele kennengelernt hat, wie ich [401] menschlich und dann später erfahren mußte aus dem Testament, daß er mit klarem Verstand bewußt den Befehl zum Massentöten gegeben hat, der steht zunächst vor einem Rätsel. Ich erkläre hier...

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wir wollen wirklich keine lange Rede über den Führer hören. Blättern Sie nur um und sehen Sie, wie es am 26. März heißt.

»Der Bericht der Polnischen Regierung über die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung wird in der englischen Presse wörtlich veröffentlicht. Eine Stelle lautet: ›In der Stadt Wilna wurden 50000 Juden, in Rowno 14000, in Lemberg die Hälfte der gesamten jüdischen Bevölkerung ermordet.‹ Viele Einzelheiten sind darin angegeben über den Gebrauch von Giftgas, wie in Cheln, von Elektrizität in Belzec, von den Deportationen aus Warschau, der Umstellung von Häuserblocks und den Angriffen mit Maschinengewehren.«

Haben Sie diesen Artikel gelesen?

STREICHER: Das weiß ich nicht. Aber daß selbstverständlich Erschießungen vorgekommen sein mußten, wenn Juden Sabotage begehen und so weiter, das ist ganz klar, daß man so etwas in einem Krieg für selbstverständlich hielt. Aber die Zahlen, die hier gegeben waren, waren einfach nicht zu glauben.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja. Ich verstehe, daß Sie jetzt so sprechen. Aber ich verstehe nicht, was Sie meinten, als Sie heute früh behaupteten, das »Israelitische Wochenblatt« hätte weder von Mord gesprochen noch Ziffern angegeben. Da haben Sie nicht gesagt, Sie fänden die Ziffern unglaublich; Sie haben vor Gericht unter Eid erklärt, daß in dieser Zeitung nichts gestanden hatte, außer Andeutungen über das Verschwinden von Juden ohne Angabe von Ziffern. Was haben Sie damit gemeint?


STREICHER: Ich habe unter Eid die Wahrheit gesagt, aber es ist möglich, daß man sich nicht an alles erinnert. Ich habe bei meinem Verhör seinerzeit aus der Erinnerung heraus erklärt, es muß eine Nummer da sein, die vom Verschwinden von Juden spricht, und so weiter. Ich glaube, ich sagte im Jahre 1943, und es stimmte. Wenn ich hier vorgehalten bekomme einen Artikel nach dem anderen, ja wie soll ich, auch wenn ich's gesehen haben sollte, das alles in Erinnerung haben; also bewußt die Unwahrheit gesagt zu haben unter Eid, das ist jedenfalls nicht Tatsache.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Zu dem von Ihnen erwähnten Artikel von 1943 werden wir gleich kommen. Aber vorher wollen wir einmal sehen, ob Sie Ihrem eigenen Redaktionsstab Glauben schenken. Schlagen Sie Seite 38-A auf, M-139. Am 6 Mai, das ist zufällig kurz nach dem Erscheinen der drei letzten von uns verlesenen Artikel, die im »Israelitischen Wochenblatt« im Laufe von [402] zwei bis drei Monaten veröffentlicht wurden. Einen oder zwei Monate später bringt Ihre Zeitung folgenden Artikel mit der Überschrift »Kinder des Teufels«.

»Der ›Stürmer‹ besuchte Ghettos des Ostens.«

»Der ›Stürmer‹ entsandte seinen Bildberichter in verschiedene Ghettos des Ostens. Ein ›Stürmer‹- Mann kennt die Juden durch und durch; ihn kann so schnell nichts überraschen. Was unser Mitarbeiter aber in diesen Ghettos sah, war selbst für ihn ein einmaliges Erlebnis. Er schrieb: ›Was sich hier meinen Augen und meiner Leica bot, gab mir die Überzeugung, daß die Juden keine Menschen sind, sondern Kinder des Teufels und der Auswurf des Verbrechens...‹«

»Man muß sich an den Kopf greifen, wie es möglich war, daß dieser Abschaum der Menschheit von den Nichtjuden jahrhundertelang als das von Gott auserwählte Volk gehalten wurde... ›Diese Satansrasse hat wirklich keine Daseinsberechtigung...‹«

Nun, Sie haben gehört, was in den Jahren 1942 und 1943 in den Ghettos im Osten geschah. Wollen Sie dem Gerichtshof wirklich einreden, daß Ihr Photograph mit seiner Kamera in diese Ghettos gegangen ist und dort nichts über die Massenmorde entdeckte?

STREICHER: Jawohl, sonst hätte er uns davon Bericht erstattet.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das Warschauer Ghetto wurde, wie Sie sich erinnern, ausgerottet, im April 1943 vernichtet. Ihr Photograph mußte um diese Zeit doch gerade dort gewesen sein, da der Artikel vom 6. Mai ist und er gerade damals zurückgekehrt ist. Glauben Sie, daß er, der für den »Stürmer« und den Judenhetzer Julius Streicher die Ghettos besichtigte, nicht entdecken konnte, was in dem Ghetto von Warschau oder anderswo geschah?


STREICHER: Ich kann mich nur erinnern, daß gleich nach Beendigung des polnischen Krieges ein Berichterstatter, ein Wiener Mitarbeiter, hinüberfuhr, Filme machte und Berichte lieferte vom Jahre 1942.

Ich möchte darum bitten, steht ein Name, eine Unterschrift dabei, wer das geschrieben hat? Das eine weiß ich, daß das Ghetto vernichtet wurde, das las ich in einer Zusammenstellung, die illustriert, ich glaube vom Propagandaministerium, herausgegeben wurde. Aber die Zerstörung eines Ghettos bei einem Aufstand, das halte ich für legal, so wie ich die Sache angesehen habe, für richtig. Aber von Massenmorden in Warschau im Ghetto, davon habe ich nichts gehört.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Sehen wir uns nun den Artikel an, von dem Sie gerade gesprochen haben. Schlagen Sie 44-A im Dokumentenbuch auf.

[403] Herr Vorsitzender, der gleiche Artikel steht auf Seite 53 des Original-Dokumentenbuches. Es war Dokument 1965-PS, GB-176. Aber auf Seite 44-A ist etwas mehr davon zitiert.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich möchte nun zum letzten Male, daß Sie feststellen, ob Sie die Wahrheit sprechen oder nicht, wenn Sie vor Gericht aussagen, daß Sie nicht gewußt hätten, was geschah. In diesem Artikel zitieren Sie aus der Schweizer Zeitung, dem »Israelitischen Wochenblatt« vom 27. August 1943.

Herr Vorsitzender! Sie finden das Datum in der Mitte des ersten Absatzes. Ich beginne in der Mitte zu lesen, wo die Schweizer Jüdische Zeitung schreibt:

»Sozusagen verschwunden sind die Juden Europas, mit Ausnahme von England und den unbedeutenden jüdischen Gemeinden in den wenigen neutralen Ländern. Das jüdische Reservoir des Ostens, das imstande war, die Assimilationserscheinungen des Westens auszugleichen, besteht nicht mehr.«

Damit endet Ihr Zitat aus der Schweizer Zeitung, und dann schreiben Sie weiter:

»Das ist kein Judenschwindel. Es ist wirklich Wahrheit, daß die Juden ›sozusagen‹ aus Europa verschwunden sind und daß das jüdische ›Reservoir des Ostens‹, aus dem die Judenseuche seit Jahrhunderten über die europäischen Völker gekommen ist, aufgehört hat zu bestehen. Wenn das Schweizer Judenblatt behaupten will, daß die Juden eine solche Entwicklung nicht in Rechnung gestellt hatten als sie die Völker in den zweiten Weltkrieg stürzten, so ist dies ihnen zu glauben. Aber der Führer des deutschen Volkes hat schon zu Beginn des Krieges das nun Gekommene prophezeit. Er sagte, daß der zweite Weltkrieg die verschlingen würde, die ihn haben wollten.«

Wollen Sie wirklich behaupten, daß Sie, als dieser Artikel geschrieben wurde, keine Ahnung davon hatten, wie dieses Wort »Verschwinden« auszulegen war, das Verschwinden der Juden im Osten? Wollen Sie dem Gerichtshof das wirklich einreden?

STREICHER: Jawohl, das Wort »Verschwinden« bedeutet doch nicht in Massen getötet zu werden. Hier handelt es sich um ein Zitat aus dem »Israelitischen Wochenblatt« und um eine wieder erneute Anführung dessen, was der Führer prophezeit hatte.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun werfen Sie bitte einen Blick auf den Artikel auf Seite 36-B, aus dem Sie zitiert haben. Ich möchte Sie bitten, mit mir mitzulesen, wir werden ihn beide zusammen lesen.

[404] Der Absatz in dem »Israelitischen Wochenblatt«, den ich lesen will, enthält das Zitat, das ich Ihnen eben vorgelesen habe. Sie werden das gleiche Zitat finden, Herr Vorsitzender, es fängt am Schluß der achten Zeile von unten an. »Sozusagen verschwunden...« Haben Sie das vor sich, Angeklagter?


STREICHER: Ich möchte Ihnen zuhören.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es wird besser sein, denke ich, wenn Sie mitlesen. Ich möchte Ihnen soweit wie möglich behilflich sein. Sie finden es auf Seite 44-A und 36-B. Ich will zuerst langsam noch einmal aus Ihrem »Stürmer« vorlesen:

»Sozusagen verschwunden sind die Juden Europas, mit Ausnahme von England und den unbedeutenden jüdischen Gemeinden in den wenigen neutralen Ländern.«

Und Sie werden sehen, wie Sie weiter zitieren:

»Das jüdische Reservoir des Ostens, das imstande war, die Assimilationserscheinungen des Westens auszugleichen, besteht nicht mehr.«

Nun werfen Sie bitte einen Blick auf den Originalartikel auf Seite 36-B.

»Sozusagen verschwunden sind die Juden Europas mit Ausnahme von England und den unbedeutenden jüdischen Gemeinden in den wenigen neutralen Ländern.«

Und dann setzen Sie fort:

»Das jüdische Reservoir des Ostens...« und im Original heißt es weiter:

»Drei Millionen Tote, ebensoviele entrechtet; viele Tausende in aller Welt verstreut, gebrochen an Körper und Geist.«

Wollen Sie jetzt dem Gerichtshof einreden, daß Sie am 27. August, oder als Sie diesen Artikel vom 27. August gelesen haben, nicht wußten, daß die Juden im Osten ermordet wurden, und daß Sie darüber nichts im »Israelitischen Wochenblatt« gelesen hätten?

STREICHER: Ob ich das gelesen habe oder nicht, daß 3 Millionen Juden getötet worden wären, das hätte ich nicht geglaubt und darum habe ich es jedenfalls auch weggelassen zu zitieren. Jedenfalls würde auch die deutsche Zensur es nicht zugelassen haben, etwas zu verbreiten, was nicht glaubhaft war.

VORSITZENDER: Sie haben nicht das Ende der Zeile gelesen, nicht wahr?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe gelesen bis »... gebrochen an Körper und Geist; das ist das Ergebnis der ›Neuen Ordnung‹ Europas.« Vielen Dank.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie sagen: »Das ist das Ergebnis der ›Neuen Ordnung‹ Europas?«

[405] Sie behaupten, Sie hätten es nicht geglaubt? Sie geben jetzt zu, daß Sie es gelesen haben müssen, nicht wahr?

STREICHER: Ja.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber Sie haben es einfach nicht geglaubt, nicht wahr?


STREICHER: Nein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber selbst wenn Sie es nicht geglaubt haben, als Sie diese Zeitung mehr oder weniger regelmäßig gelesen haben und als Ihr Photograph in den Ghettos des Ostens gewesen war, haben Sie es für richtig gehalten, weiterhin Woche für Woche die Ausrottung und Ermordung der Juden zu fordern?


STREICHER: Das ist nicht richtig; daß wochein und wochaus ein Mord gefordert wurde, das ist nicht wahr. Und ich wiederhole nochmals, die Verschärfung war die Antwort auf die Stimme aus Amerika, Mord, Massenmord in Deutschland – Aug' um Auge, Zahn um Zahn. Wenn ein Jude, Erich Kauffmann, Massenmorde in Deutschland fordert, dann kann ich als Schriftsteller vielleicht sagen, gut, dann sollen sie auch vernichtet werden. Das ist eine schriftstellerische Angelegenheit; denn die Massentötung hatte sich längst vollzogen gehabt, ohne daß wir etwas gewußt haben. Und ich erkläre hier: Würde ich gewußt haben, was im Osten tatsächlich geschah, dann hätte ich diese Zitate gar nicht gebracht, die ich gebracht habe.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber Angeklagter, Sie müssen es doch damals gewußt haben, nachdem Sie diesen Artikel gelesen hatten, nachdem Sie Ihren Photographen hingeschickt hatten, nach Veröffentlichung der Erklärung der Vereinigten Nationen, nachdem Hitler seine Prophezeiungen immer und immer wiederholt hat, nachdem Sie selbst erklärt hatten, seine Prophezeiungen hätten sich erfüllt; und Sie sagen immer noch, Sie hätten nichts gewußt?


STREICHER: Der Photograph steht zur Verfügung. Der ist in Wien. Ich bitte ihn herzubringen. Ich erkläre hier, daß dieser Photograph nichts von Massenmorden berichtet hat und berichten konnte.


VORSITZENDER: Ich denke, wir sollten uns jetzt vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. MARX: Herr Präsident! Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich im Interesse der Klarstellung des Tatbestandes auf folgendes hinweisen: Der Vertreter der Anklagebehörde, Oberstleutnant Griffith-Jones, hat auf das Dokument Seite 38-A, der »Stürmer« vom 6. Mai 1943 verwiesen. Dies dürfte ein Irrtum sein [406] denn es handelt sich hier um den 6. März 1943. Dieses Datum ist von größter Wichtigkeit, denn wenn der Bildberichterstatter des »Stürmer« einen Bericht vom 6. März im »Stürmer« veranlaßt hat, dann mußte er vor dem 6. März 1943 das Warschauer Ghetto besucht haben. Vermutlich...

VORSITZENDER: Warum sagten Sie 6. März? Das mir vorliegende Dokument trägt das Datum 6. Mai.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich fürchte, in der deutschen Fassung, die Dr. Marx hat, liegt ein Irrtum vor. Das Original, das ich vor mir habe, ist vom 6. Mai 1943.


DR. MARX: Verzeihung, mir ist zur Zeit nicht gegenwärtig, wann die Vernichtung des Warschauer Ghettos stattgefunden hat. Es handelt sich um das Dokument 1061-PS.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Im Augenblick kann ich mich an die Nummer des Dokuments nicht erinnern, aber die Vernichtung fand, soweit ich mich erinnere, zwischen dem 1. und dem 23. April statt.


DR. MARX: Dann ist meine Äußerung gegenstandslos. Ich bitte um Entschuldigung.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: [zum Zeugen gewandt] Wir haben gerade über die Ausgabe des »Israelitischen Wochenblattes« vom 27. August gesprochen, aus der Sie zitiert haben. Ich verweise jetzt noch auf eine weitere Ausgabe dieses Blattes Schlagen Sie Seite 37-B auf; es ist die Ausgabe vom 10. September 1943.

»Die vom Einberufungskomitee vorgelegte Statistik zeigt, daß von den 8,5 Millionen Juden Europas 5 Millionen tot oder deportiert sind... Durch Zwangsarbeiten und Deportationen... seien etwa 3 Millionen umgekommen.«

Haben Sie das gelesen?

STREICHER: Ich weiß es nicht. Ich hätte es wiederum nicht geglaubt. Ich glaube heute noch nicht, daß 5 Millionen getötet wurden. Das halte ich technisch nicht für möglich, daß das gemacht worden ist; das glaube ich nicht. Beweise habe ich bis jetzt noch keine bekommen.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es ist ganz klar, daß es für Sie eine Menge von Zahlen waren, die das »Israelitische Wochenblatt« in dem von uns gerade besprochenen Zeitraum zitiert hatte. Viele Zahlen, wie sich nun zeigt; nicht wahr?


STREICHER: Bitte?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gehen wir nun weiter. Ich möchte Ihnen jetzt noch einen oder zwei andere von Ihnen selbst gebrachte Artikel vorlegen. Sie erinnern sich, daß ich behaupte, Sie hätten das deutsche Volk zum Mord aufgehetzt. Wir [407] wissen nun, daß Sie zumindest einen Artikel im »Israelitischen Wochenblatt« gelesen haben, wo von Mord gesprochen wird. Ich möchte nun einmal ansehen, was Sie in Ihrem eigenen Blatt nach diesem Zeitpunkt veröffentlicht haben.

Betrachten Sie Seite 47-A. Es ist ein von Ihnen verfaßter Artikel vom 6. Januar 1944. Damals lebten Sie bereits einige Zeit auf Ihrem Besitz:

»Nach der nationalsozialistischen Erhebung in Deutschland hat sich auch in Europa eine Entwicklung eingeleitet, von der erwartet werden kann, daß sie diesen Kontinent vom jüdischen Völkerzersetzer und Ausbeuter für immer freimachen wird, und daß darüber hinaus das deutsche Vorbild nach einem siegreichen Abschluß des zweiten Weltkrieges auch auf den anderen Kontinenten die Vernichtung des jüdischen Weltpeinigers bringen wird.«

Welches Vorbild gab denn die deutsche Nation den anderen Nationen der Welt? Welches Vorbild meinen Sie da?

STREICHER: Dieser Artikel spricht für das, was ich jetzt schon immer gesagt habe. Ich habe von einer internationalen Lösung der Judenfrage gesprochen. Ich war überzeugt davon, daß, wenn Deutschland in diesem Krieg gesiegt hätte oder gesiegt haben würde über den Bolschewismus, dann würde die Welt sich eins gewesen sein, mit den anderen Völkern sich zu verständigen zu einer internationalen Lösung der Judenfrage. Wenn ich hier von Vernichtung schrieb, so ist das nicht so zu lesen, Vernichtung durch Massentötung; das ist wie gesagt ein Ausdruck. Ich will darauf hinweisen, ich glaube nicht, daß Erich Kauffmann die Deutschen wirklich töten wollte durch Sterilisation, aber er hat es geschrieben und so haben wir auch manchmal ebenso geschrieben, wie es aus dem anderen Haus herausklang zu uns.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber Sie haben uns noch immer nicht gesagt, wie Sie sich diese internationale Lösung vorstellten, für die Sie eintraten und die Sie »Ausrottung« nannten. Wenn es nicht Mord ist, was ist es dann? Was ist die Lösung?


STREICHER: Ja, ich habe bereits gesagt, daß ich den Antisemitenbund gegründet hatte. Eben mit diesem Antisemitenbund wollten wir in den Völkern, in den Nationen Bewegungen erzeugen, die, zur Wirklichkeit gekommen, über Regierende hinweg so wirken sollten, daß eine internationale Möglichkeit geschaffen wird. So wie sie heute in diesem Prozeß sich vorgestellt hat, so stellte ich mir vor, daß sich eine internationale Kongreßstadt bilden könnte, die die Judenfrage durch Schaffung eines Judenstaates löst und dadurch die Macht des Juden in den Völkern vernichtet.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ihre Antwort ist also, daß Sie einen jüdischen Staat befürworteten? Darauf ist alles [408] hinausgelaufen? Sie traten nur für ein Heim der jüdischen Nation ein? Darüber haben Sie in all diesen Auszügen gesprochen, die wir soeben verlesen haben? Ist das die Lösung, die Sie im Sinne hatten?


STREICHER: Ja, ich weiß nicht, was Sie mit dieser Frage wollen. Jawohl, das ist die Lösung.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut, gehen wir weiter. Wenn Sie Seite 48-A vom 24. Februar 1944 betrachten, so heißt es da:

»Wer aber tut, was ein Jude tut, ist ein Lump, ein Verbrecher. Und der, der als Nachsager es ihm gleichtun will, verdient das gleiche Ende, die Vernichtung, den Tod.«

Wollen Sie immer noch behaupten, einen jüdischen Nationalstaat im Sinne gehabt zu haben?

STREICHER: Jawohl, das hat mit dem großen politischen Wollen gar nichts zu tun; wenn Sie jede schriftstellerische Äußerung, jede Äußerung aus einer Tagespresse zum Beispiel herausnehmen und damit ein politisches Ziel beweisen wollen, so geht das daneben. Sie müssen unterscheiden zwischen einem Zeitungsartikel und zwischen einem großen politischen Ziel.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Gehen wir nun zur nächsten Seite über vom 2. März 1944:

»Es muß ewige Nacht über das geborene Verbrechervolk der Juden kommen, auf daß ein ewiger Tag die erwachende nichtjüdische Menschheit beglücke.«

Sollte in diesem jüdischen Nationalstaat ewige Nacht herrschen? Haben Sie das beabsichtigt?

STREICHER: Das ist ein antisemitisches Wortspiel. Das hat wiederum mit dem großen politischen Ziel nichts zu tun.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es mag ein antisemitisches Wortspiel sein, aber die einzige Bedeutung desselben ist Mord. Stimmt das nicht?


STREICHER: Nein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie nun die nächste Seite aufschlagen, vom 25. Mai 1944. Ich erinnere Sie, daß all dies geschrieben wurde, nachdem Sie im »Israelitischen Wochenblatt« von den Morden gelesen haben müssen. Ich verlese den zweiten Absatz:

»Wie aber können wir diese Gefahr meistern und die Menschheit wieder einer Gesundung entgegenführen? Genau so, wie der einzelne Mensch sich nur dann ansteckender Krankheiten zu erwehren vermag, wenn er den Krankheitserregern, den Ba zillen, den Kampf ansagt, so kann die Welt erst dann wieder genesen, wenn der furchtbarste Bazillus aller Zeiten, [409] der Jude, beseitigt ist. Es hilft nichts, die Erscheinungen der Weltkrankheit zu bekämpfen, ohne die Krankheitserreger selbst unschädlich zu machen. Die Krankheit wird früher oder später doch wieder zum Ausbruch kommen. Dafür sorgt allein der Erreger und Verbreiter der Krankheit: der Bazillus. Sollen aber die Völker wieder gesund werden und auch in Zukunft gesund bleiben, dann muß der Bazillus der jüdischen Weltpest mit Stumpf und Stiel vernichtet werden.«

Was wollten Sie damit sagen? Wenn Sie sagen »mit Stumpf und Stiel vernichtet werden«, wollten Sie damit sagen, es sollte ein jüdischer Nationalstaat errichtet werden?

STREICHER: Jawohl, von solch einer Äußerung in einem Artikel bis zur Tat oder bis zum Wollen einer Tat des Massenmordes, das ist eine weite Strecke.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gehen wir nun zum 10. August über:

»Verliert es aber diesen Kampf, dann geht Alljuda zugrunde. Dann wird der Jude ausgelöscht! Dann wird das Judentum vernichtet bis auf den letzten Mann.«

Haben wir unter diesen Worten zu verstehen: Gebt den Juden einen jüdischen Nationalstaat?

STREICHER: Das ist eine Zukunftsschau, ich möchte sagen, die Äußerung eines prophetischen Schauens, das ist aber nicht die Aufforderung, 5 Millionen Juden zu töten, es ist eine Meinungsäußerung, eine Glaubensangelegenheit, eine Überzeugungsangelegenheit.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es ist ein prophetisches Schauen dessen, was Sie wirklich wollten, nicht wahr, und was Sie in den letzten vier Jahren, seit Anfang des Krieges, vertreten haben? Ist es nicht so?


STREICHER: Herr Anklagevertreter, was man vor Jahren in einem gewissen Augenblick, wo man einen Artikel schrieb, gerade gesinnt und gedacht hat, das kann ich heute nicht mehr sagen. Aber ich gebe schon zu, wenn neben mir auf dem Tisch Bekenntnisse lagen aus der Front des Judentums, viele Bekenntnisse, in denen es heißt, das deutsche Volk muß vernichtet werden, bombardiert die Städte, schont Kinder, Frauen und Greise nicht, wenn man neben sich solche Bekenntnisse hat, dann kann es möglich sein, daß aus der Feder das fließt, was ich manches Mal geschrieben habe.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie wissen jetzt doch, auch wenn Sie nicht an alle Zahlen glauben, daß Millionen von Juden seit Beginn des Krieges ermordet wurden? Wissen Sie das? Sie haben doch Beweise gehört, nicht wahr?


STREICHER: Ich glaube es...


[410] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte nur wissen, ob Sie diese Beweise gehört haben. Sie können mit Ja oder Nein antworten, aber ich vermute, es wird Ja sein.


STREICHER: Ja, ich muß sagen, Beweismaterial ist für mich nur das Testament des Führers. Hier erklärt er, daß die Massentötung auf seinen Befehl stattgefunden hat. Das glaube ich. Jetzt glaube ich daran.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Können Sie sich vorstellen, daß es möglich gewesen wäre, diese Vernichtung von 6 Millionen Juden im Jahre 1921 durchzuführen? Glauben Sie, daß das deutsche Volk so etwas zugelassen hätte? Glauben Sie, daß es unter einem anderen Regime im Jahre 1921 möglich gewesen wäre, diese Ermordung von 6 Millionen Männern, Frauen und Kindern der jüdischen Rasse durchzuführen?


STREICHER: Ob das möglich gewesen wäre? Mit Wissen des Volkes wäre es nicht möglich gewesen. Es erklärte hier der Herr Anklagevertreter selbst, seit 1937 hatte die Partei volle Kontrolle über das Volk. Wenn das Volk nun das gewußt hätte, selbst dann hätte es nach der Meinung der Anklagevertretung auf Grund der Kontrolle nichts gegen diese Diktatur ausrichten können. Aber das Volk hat nichts gewußt. Das ist mein Glaube, meine Überzeugung und mein Wissen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: War es nun möglich, nach 20 Jahren der Verhetzung und Propaganda durch Sie und andere Nazis auf diese Weise Menschen zu vernichten? War es das, was die Ausrottung möglich gemacht hat?


STREICHER: Ich bestreite, daß es aufgehetzt wurde. Es wurde aufgeklärt, und es mag manchmal ein hartes Wort gegen die andere Seite gefallen sein als Antwort; es war Aufklärung, nicht Aufhetzung; und wenn wir vor der Weltgeschichte bestehen wollen, dann müssen wir immer wieder feststellen, kein deutsches Volk wollte eine Tötung, weder im einzelnen noch im ganzen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich werde Sie nicht wieder über die Geschichte des deutschen Volkes reden lassen. Ich will Sie nur an das erinnern, was Sie gesagt haben.


STREICHER: Adolf Hitler...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich will Sie an das erinnern, was Sie gestern gesagt haben. Ich lese Ihnen aus dem Protokoll vor.

Sie sprechen von einer jüdischen Frage zu jener Zeit – das war im Jahre 1923:

»Da möchte ich sagen, daß die Öffentlichkeit die Juden nur durch die Religion unterschieden hat. Über ein jüdisches Problem damals zu sprechen, wäre Unsinn gewesen.«

[411] Kam das daher, weil es kein jüdisches Problem gab und weil das jüdische Problem erst durch Sie und das Nazi-Regime geschaffen wurde?

STREICHER: Mein Ziel war, und das habe ich erreicht, und zwar zu einem Teil: Wenn die Gesetze, die einmal den Geschlechtsverkehr unmöglich machen sollten zwischen dem verschiedenen Blut, wenn das Gesetz werden soll, dann muß die Öffentlichkeit wissen, daß der Jude nicht Religion ist, sondern Volk, Rasse. Diese Grundlage habe ich mitschaffen helfen. Aber Massentötungen waren nicht die Folge der Aufklärung, oder, wie die Anklagevertretung sagt, Aufreizung; sondern diese Massentötungen waren der letzte Willensakt eines, vielleicht am Wissen, daß er nicht siegen werde, verzweifelnden großen Mannes der Weltgeschichte.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe keine weiteren Fragen mehr. Vielleicht wird mir nur noch gestattet, die Beweisstücke auszusortieren und dem Gerichtshof ihre Nummern anzugeben. Wenn der Gerichtshof damit einverstanden ist, so möchte ich diejenigen Beweisstücke, die ich vorgelegt habe, ohne daraus zu zitieren, und die in derselben Mappe sind, aus der ich bereits einige Dokumente zitiert habe, alle mit einer einzigen Nummer bezeichnen und sie dem Protokollführer übergeben. Das wäre wohl das Angebrachteste.


VORSITZENDER: Ich glaube, es kann so gemacht werden. Wenn sie alle in einer Mappe sind, können Sie einer Gruppe von Dokumenten eine einzige Nummer geben, aber sie sollten in ein und derselben Mappe sein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja.


VORSITZENDER: Dr. Marx, wollen Sie ein Rückverhör anstellen?


DR. MARX: Ich halte es nicht mehr für nötig.


VORSITZENDER: Dann kann der Angeklagte auf die Anklagebank zurückkehren.

Dr. Marx, wollen Sie bitte in dem Fall des Angeklagten fortfahren.


DR. MARX: Ich rufe nun mit Erlaubnis des Gerichts den Zeugen Fritz Herrwerth.


[Der Zeuge Herrwerth betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE FRITZ HERRWERTH: Fritz Herrwerth.


VORSITZENDER: Sprechen Sie mir die folgende Eidesformel nach:

[412] Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


Sie können sich setzen.

DR. MARX: Seit wann kennen Sie den Angeklagten Streicher?

HERRWERTH: Seit dem Parteitag 1934.


DR. MARX: Wann sind Sie bei ihm in Dienst getreten und in welcher Eigenschaft?


HERRWERTH: Ich bin am 15. Oktober 1934 in Nürnberg angestellt worden, nicht bei Herrn Streicher persönlich, sondern ich war damals im Städtischen Kraftwagenpark, habe aber Dienst gemacht für den damaligen Gauleiter Streicher.


DR. MARX: Wann sind Sie wieder aus dem Dienst ausgeschieden?

HERRWERTH: Im August 1943.


DR. MARX: Aus welchem Grunde?


HERRWERTH: Es war eine persönliche Auseinandersetzung, an der größtenteils die Schuld bei mir war.


DR. MARX: Haben Sie auch sonstige Arbeitsobliegenheiten bei Herrn Streicher ausgeführt?


HERRWERTH: Jawohl.


DR. MARX: Und welche?


HERRWERTH: Ja, alles, was sich eben so von selbst ergeben hat. Ich habe auch landwirtschaftliche Arbeiten ausgeführt am Schluß.


DR. MARX: Sie waren also sehr viel um Streicher?


HERRWERTH: Jawohl.


DR. MARX: Und haben daher von den wichtigsten Vorgängen in jedem Zeitraum Kenntnis?


HERRWERTH: Ja, ich weiß nicht, was Sie wichtige Vorgänge nennen. Es gibt Dinge, in die ich nicht eingeweiht war, das heißt, ich nehme es wenigstens an.


DR. MARX: Ich werde Sie dann schon im einzelnen fragen.


HERRWERTH: Ja, bitte schön.


DR. MARX: Der Angeklagte Streicher wird beschuldigt, Gewaltakte gegen die Juden veranlaßt und an ihnen teilgenommen zu haben. Ist Ihnen ein Fall bekannt?


HERRWERTH: Nicht ein einziger.


DR. MARX: Warten Sie das Ende meiner Frage ab. Ich werde dann sagen »Ende der Frage«.

[413] Haben Sie am 9. November 1938 Streicher von München nach Nürnberg zurückgefahren und wann? Ende der Frage.


HERRWERTH: Es war am 9. November, jawohl. Die Zeit weiß ich nicht genau. Streicher ist damals früher weggefahren in München, es dürfte ungefähr – ich weiß es nicht – also unverbindlich, 9.00 Uhr gewesen sein.


DR. MARX: Wußte Streicher auf dieser Rückfahrt bereits davon, daß in dieser Nacht etwas gegen die jüdische Bevölkerung unternommen werden sollte?


HERRWERTH: Nein, davon wußte er nichts.


DR. MARX: Waren Sie dann in der Nacht des 9. November Zeuge einer Unterredung Streichers mit dem SA-Führer von Obernitz?


HERRWERTH: Jawohl.


DR. MARX: Wo fand dieses Gespräch statt?


HERRWERTH: Ich muß zur Beantwortung dieser Frage ein klein wenig ausholen. Wenn Herr Streicher zu Bett gegangen ist, dann war es meistens in meiner Begleitung oder in Begleitung des Hausmeisters. An dem Abend ist Herr Streicher früher zu Bett als üblich, den Grund weiß ich nicht. Ich war damit mit meinem Dienst fertig. Ich ging von Herrn Streicher weg in das Kasino der Gauleitung. Dieses Kasino ist im Kellergeschoß der Gauleitung in der Schlageterstraße. Ich habe da Karten gespielt; dann kam der damalige SA-Obergruppenführer von Obernitz und hat mich, wie es so üblich war, mit dem Namen Fritz angeredet und sagte zu mir, er muß dringend Herrn Streicher sprechen. Ich habe ihm zur Antwort gegeben, daß Herr Streicher bereits im Bett liegt. Er sagte mir dann, dann müsse ich ihn wecken, er würde die Verantwortung übernehmen, es wäre eine wichtige Sache. Herr von Obernitz ist mit meinem Wagen damals in die Wohnung gefahren zu Herrn Streicher. Das Schlafzimmer von Herrn Streicher ist über meiner Wohnung. Ich hatte also auch die Schlüssel und konnte jederzeit reinkommen. Auf dem Wege zur Wohnung in der Nacht ist mir aufgefallen, daß viele SA-Männer durch die Straßen gingen. Ich habe Herrn von Obernitz nach dem Grund gefragt. Herr von Obernitz sagte mir, daß sich heute nacht etwas abspielen wird. Es sollen die Judenwohnungen demoliert werden. Weiter hat er zu mir nichts gesagt. Ich habe Herrn von Obernitz bis an das Bett von Herrn Streicher begleitet. Herr Obernitz hat dann Streicher Bericht gemacht über das, was sich in der Nacht abspielt. Die Einzelheiten sind mir nicht mehr so gut bekannt, doch ich glaube, daß er gesagt hat, daß heute nacht die Judenwohnungen demoliert werden sollen. Herr Streicher war, wenn ich mich so ausdrücken darf, überrascht. Er hat nichts gewußt davon. Er sagte wörtlich zu Herrn von Obernitz, das weiß ich noch ganz genau: »Das ist falsch, so löst man nicht [414] die Judenfrage. Tun Sie, was Sie geheißen worden sind, ich mache nicht mit. Sollte etwas vorkommen, daß Sie mich brauchen, dann können Sie mich holen.« Erwähnen kann ich noch, daß Herr von Obernitz gesagt hat, Hitler hätte gesagt, die SA soll sich mal austoben, und zwar als Sühne für den Fall, der sich in Paris damals abgespielt hatte in Bezug auf Ernst vom Rath. Herr Streicher ist in seinem Bett liegengeblieben und war in dieser Nacht nicht weg.


DR. MARX: Hat Herr von Obernitz auch etwas davon gesagt, daß die Synagogen angezündet werden sollen?


HERRWERTH: Ich glaube, ja. Aber Herr Streicher hat auch damals, soviel ich weiß, abgelehnt; denn die Synagoge wurde ja von der Berufsfeuerwehr und, soviel ich weiß, im Auftrag von Herrn von Obernitz, abgebrannt.


DR. MARX: Woher wissen Sie das?


HERRWERTH: Ich war ja dabei.


DR. MARX: Haben Sie zugesehen?


HERRWERTH: Ja, ich war an der Synagoge damals in der Nacht.


DR. MARX: Woraus war dann zu schließen, daß die Berufsfeuerwehr das Feuer angezündet hatte?


HERRWERTH: Woraus es zu schließen war, weiß ich nicht, das habe ich ja gesehen. Die Berufsfeuerwehr hat ja den Brand gelegt.


DR. MARX: Haben Sie bereits gesehen wie das Feuer gelegt wurde, oder sind Sie erst hingekommen als das Gebäude bereits brannte?


HERRWERTH: Das Gebäude hat noch nicht gebrannt, aber die Feuerwehr war schon da.


DR. MARX: Stimmt's?


HERRWERTH: Ich kann nichts anderes sagen.

DR. MARX: Hat Herr Streicher damals etwas gesagt, daß er wieder eine neue Welle der Erregung von seiten der Weltpresse befürchte, wenn man die Synagoge anzündet? Hat er gesagt, deswegen lehnt er das ab?


HERRWERTH: Ich glaube, ja, aber ich kann es nicht mehr genau sagen. Aber soviel ich mich erinnern kann, war davon die Sprache.


DR. MARX: Hat Obernitz etwas davon gesagt, von wem er den Befehl habe?


HERRWERTH: Er hat nur den Ausdruck gebraucht, daß Hitler gesagt hat, die SA soll sich mal austoben.


DR. MARX: Ist es richtig, daß Sie, Zeuge, Ihrer Ehefrau noch in der gleichen Nacht von dieser Unterredung zwischen Obernitz und Streicher Mitteilung machten?


[415] HERRWERTH: Von der Unterredung, glaube ich, habe ich nichts gesagt. Aber beim Heruntergehen vom ersten Stock in das Parterre durch meine Wohnung habe ich meiner Frau gesagt, daß ich wahrscheinlich etwas später heimkomme, weil heute noch diese Aktion steigt. Habe ihr kurz gesagt, was sich abspielt, aber nichts von der Unterredung.


DR. MARX: Sie waren dann später auf dem Pleikershof, als Streicher sich dorthin hatte zurückziehen müssen oder zurückgezogen hatte?


HERRWERTH: Jawohl.


DR. MARX: Können Sie sich an einen Vorfall erinnern, bei dem die spätere Frau Streicher von den Vorgängen in Magdeburg sprach, wie sie sich in der gleichen Nacht dort abspielten?


HERRWERTH: Nein, mir ist nichts bekannt davon.


DR. MARX: Machten Sie nicht die damalige Frau Merkel darauf aufmerksam, sie möchte das Gespräch nicht auf diese Vorgänge bringen, da sich Streicher stets darüber sehr errege?


HERRWERTH: Ich kann mich entsinnen, daß Herr Streicher mal gesagt hat, daß er in seiner damaligen Vermutung recht hatte, und zwar, daß schon kurze Zeit nach dieser damaligen Nacht, ich weiß nicht durch wen, Kunde zu ihm gekommen ist, daß zum Beispiel das Glas für die Fensterscheiben wieder von Holländern gekauft werden müßte. Herr Streicher hat damals gesagt, das ist schon die erste Bestätigung für die Richtigkeit seiner damaligen Auffassung.


VORSITZENDER: Dr. Marx, einen Augenblick.

Sir David, würde es Ihnen und auch dem Verteidiger für den Angeklagten von Schirach passen, wenn wir die Dokumente erst morgen früh um 9.30 Uhr besprächen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich werde fragen. Jawohl, der Verteidiger des Angeklagten von Schirach sagt, daß es ihm recht ist.

VORSITZENDER: Sehr gut, um 9.30 Uhr morgen früh.


DR. MARX: Welche Beobachtungen machten Sie während Ihres Aufenthaltes auf dem Pleikershof über die Einstellung Streichers zur Judenfrage? Wie war das mit dem »Israelitischen Wochenblatt«?


HERRWERTH: Ja, was wollen Sie davon wissen, von dem »Israelitischen Wochenblatt«? Das hat der Herr Streicher bekommen.


DR. MARX: Hat er das regelmäßig bekommen?


HERRWERTH: Ja, das glaube ich bestimmt sagen zu können. Ich habe ja immer ganz große Stöße von Zeitungen gesehen vom »Israelitischen Wochenblatt«; laufend sind die gekommen.


[416] DR. MARX: Herr Streicher behauptet, er hätte in den ersten Kriegsjahren erhebliche Schwierigkeiten gehabt, dieses Blatt zu bekommen, und die Polizei hätte es nicht ohne weiteres herausgegeben.


HERRWERTH: Ja, das kann schon sein. Ich weiß ja nicht, von welchem Jahrgang und von welcher Zeit sie waren. Ich habe sie eben gesehen und es ist für mich heute schwer festzustellen, von wann diese Zeitungen waren.


DR. MARX: Ja, Sie sagten, es waren immer ganze Stöße von diesen.


HERRWERTH: Mitunter ja. Da waren aber auch noch andere Zeitungen, also Schweizer Zeitungen waren noch dabei, das »Israelitische Wochenblatt« und so weiter; da sind immer so viele Zeitungen herumgelegen. Dazwischen sieht man auch wieder mal das »Israelitische Wochenblatt«. Also ich meine, daß ich sagen kann, wieviele es waren, das ist mir unmöglich.


DR. MARX: Nun ja. Hat der Herr Streicher sich mal geäußert über seine Kenntnis von den Vorgängen im Osten oder von Vorgängen in den Konzentrationslagern im Osten?


HERRWERTH: Ja, Herr Streicher hat ja davon überhaupt nichts gewußt. Da kann er sich doch auch nicht äußern, also wenigstens was meine Überzeugung ist.


DR. MARX: Haben Sie sich denn darüber mit ihm einmal unterhalten?


HERRWERTH: Ist mir nicht bekannt. Ich wußte ja selbst nichts.


DR. MARX: Haben Sie von einem Brief Kenntnis erhalten, in welchem Streicher von dem Reichsführer der SS Himmler Vorwürfe gemacht erhielt, weil er die gefangenen Franzosen zu gut behandle? Haben Sie mich verstanden?


HERRWERTH: Ja, ich habe verstanden. Aber ich muß mich jetzt besinnen. Ich weiß wohl, daß Herr Streicher mal was gesagt hat, von wegen Gefangenenbehandlung. Ich weiß, daß die Franzosen sehr gut behandelt worden sind. Aber ob da die Ursache davon ein Brief von Himmler war, das weiß ich nicht.


DR. MARX: Nein, nein. Die Ursache der guten Behandlung meinen Sie?


HERRWERTH: Nein, die Ursache, weil Herr Streicher davon gesprochen hat. Herr Streicher hat von Vorwürfen wegen guter Behandlung der Franzosen gesprochen; aber ob er davon gesprochen hat, daß die Ursache davon ein Brief von Himmler war, das weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, daß auch nur ein Franzose da war, der sich irgendwie über Behandlung beklagen hat können.


[417] DR. MARX: Da waren Sie nicht mehr zugegen als sich die Franzosen verabschiedeten?


HERRWERTH: Nein.


DR. MARX: Ist Ihnen ein Vorfall bekannt, bei welchem der Verlagsleiter Fink in den Garten der Wohnung Streichers kam und sich selbst bezichtigte, die Unwahrheit bei der Polizei in einer Aktienangelegenheit gesagt zu haben?


HERRWERTH: Die Frage muß detailliert werden, Herr Anwalt, denn mir ist nicht alles bekannt, aber teilweise. Mir ist bekannt, daß der damalige Direktor Fink in Tränen vor Herrn Streicher gestanden ist, daß er geheult hat, daß er sich selbst bezichtigt hat, daß er ein Lump wäre und ein Verräter. Aber warum das entzieht sich meiner Kenntnis, denn Herr Streicher ist mit ihm dann weiter in den Garten gelaufen. Ich sah lediglich, daß Herr Fink geweint hat und habe noch gehört, wie er sich selbst bezichtigt hat.


DR. MARX: Ist Ihnen bekannt, daß Streicher in gewissen Zeiträumen Leute der SPD oder KPD aus dem Konzentrationslager Dachau holte?


HERRWERTH: Jawohl.


DR. MARX: Wieviele waren das wohl?


HERRWERTH: Ich weiß es nicht; es war so ziemlich jedes Jahr an Weihnachten. Ich schätze, daß es vielleicht so 100 bis 150 Mann waren jedes Jahr. Die sind aus Dachau gekommen. Herr Streicher hat ihnen dann im Hotel Deutscher Hof in einem Nebenzimmer ein Essen gespendet und das war damals, so viel ich weiß, die Familienzusammenführung, das heißt die Zusammenführung der damaligen Häftlinge mit ihren Familienangehörigen. Herr Streicher hat auch dafür gesorgt, daß die damaligen Häftlinge alle in Arbeit gekommen sind und hat sich persönlich um sie angenommen.


DR. MARX: Brachte er auch den einen oder anderen dieser Freigelassenen wieder in eine Arbeitsstelle unter?


HERRWERTH: Jawohl.


DR. MARX: Was wissen Sie davon?


HERRWERTH: Ich weiß, daß drei Mann, ich glaube in die Motorradfabrik Marswerke gekommen sind. Herr Streicher hat damals den Bevollmächtigten von der Deutschen Arbeitsfront beauftragt, die Leute unterzubringen, so viel mir noch in Erinnerung ist.


DR. MARX: Welche Haltung nahm Streicher ein, als er erfuhr, daß Angehörige der Partei Autos und Villen aus jüdischem Besitz zu geringen Preisen erworben hatten?


HERRWERTH: Ich kann mich noch erinnern, als Herr Streicher von Berlin gekommen ist. Ich weiß nicht, inwieweit Herr Streicher [418] damals über die Käufe orientiert war. Jedenfalls, wie damals Herr Streicher von Berlin gekommen ist, wo Herr Göring sich geäußert hatte über diese verbilligten Häuserkäufe, hat Herr Streicher schon in Nürnberg am Bahnhof – da habe ich selbst zugehört – gesagt, daß sofort die Käufe rückgängig gemacht werden müßten. Im übrigen ist mir nur ein Fall bekannt, wo es sich um einen Parteigenossen handelte, der einen Hauskauf getätigt hat. Ich weiß nicht, ob es mehrere waren.


DR. MARX: Ist Ihnen bekannt, ob Streicher auf seinem Hofe von der Gestapo überwacht wurde, und daß ein Verbot bestand, ihn dort zu besuchen?


HERRWERTH: Ich habe zunächst auf die erste Frage keinen offiziellen Beweis, daß hier Kriminalbeamte waren. Daß Herr Streicher einmal bewacht war, kann ich nicht direkt behaupten, aber es war mit Sicherheit anzunehmen. Ich weiß eine Frau, die sogar behauptet hat, sie wäre im Wald photographiert worden, wie sie von der Bahn zum Hofe gegangen ist.

Und die zweite Frage, was war die, Herr Rechtsanwalt?


DR. MARX: Ob ein Verbot bestanden hat, ihn zu besuchen?


HERRWERTH: Ja. Ich bin innerhalb der Stadt mit verschiedenen Parteigenossen zusammengekommen. Wen ich gefragt habe, der hat gesagt: »Man darf ja nicht raus, man darf ja nicht raus.« Und wenn ich gefragt habe, wer das Verbot erlassen hat, dann ist niemand mit der Sprache – wenn ich so sagen darf – herausgerückt. Aber so wie man vereinzelt gehört hat, soll dieses Verbot damals von dem damaligen Stellvertreter des Führes, Herrn Heß, gewesen sein.


DR. MARX: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß Streicher, wenn er erfuhr, daß Gewalttätigkeiten gegen Juden oder sonstige politische Gegner beabsichtigt waren, diese sofort abstellte?


HERRWERTH: Jawohl, wenigstens auf Grund seiner Äußerungen. Er hat jedesmal gesagt, daß das falsch ist.


DR. MARX: Ist Ihnen ein Fall bekannt, wo er jemanden, der sich solche Gewalttätigkeiten hatte zuschulden kommen lassen, maßregelte? Wenn Sie es nicht wissen, sagen Sie, ich weiß es nicht.


HERRWERTH: Gut, momentan fällt mir kein Fall ein.


DR. MARX: Ist Ihnen etwas von der Angelegenheit mit den Marswerke-Aktien bekannt? Was wissen Sie davon?

HERRWERTH: Ja, ich weiß diesen Fall von Streicher, von Erzählungen von damals schon. Ich war damals nicht persönlicher Zeuge, aber ich weiß, Herr Streicher hat mir einmal erzählt, wie sich dieser Fall abgespielt hat. Soll ich diesen Fall kurz schildern?


DR. MARX: Ja, aber nur gedrängt, bitte.


[419] HERRWERTH: Streicher war damals in einem Schwitzbad. Da kam der damalige Direktor Fink und sein damaliger Adjutant König und haben Herrn Streicher die Aktien zum Kauf angeboten. Herr Streicher sagte: »Was sind das für Aktien?« Dann bekam er zur Antwort: »Das sind Aktien von den Marswerken.« Da sagte er: »Wieviele.« Da bekam er zur Antwort: »Für 100.000.- Reichsmark.« Dann sagte Herr Streicher: »Was kosten die Aktien?« Dann ist ihm gesagt worden: »5.000.- Mark.« Herr Streicher hat gefragt, warum diese Aktien so billig sind, dann endlich hat Herr Fink, glaube ich, damals gesagt: »Weil es Judenaktien sind.«

Wer Herrn Streicher kennt so wie ich, der weiß genau, daß Herr Streicher niemals etwas von einem Juden genommen hat. Er hat sich das damals ganz energisch verbeten, ihm überhaupt ein solches Angebot zu machen.

Zuerst war diese Debatte erledigt, dann plötzlich ist dem damaligen Gauleiter, Herrn Streicher, der Gedanke gekommen, daß er mit diesem Geld eventuell das dritte Gauhaus aufbauen kann. Beim Hinausgehen hat er die Herren darauf aufmerksam gemacht; dann haben sie sich entschlossen, die Aktien zu kaufen. Herr Streicher hat ihnen verboten, es darf kein Parteigeld verwendet werden. Dann sind beide wieder ratlos dagestanden. Herr Streicher hat gesagt, er will dann diese 5.000.- Mark vorschießen. Damit war der Fall erledigt.

Aber ein späteres Erlebnis habe ich persönlich gehabt. Es war vielleicht eineinhalb Jahre nach der damaligen Verhandlung, die Herr Streicher damals in München gehabt hat, wo er beurlaubt worden ist. Damals kam die Frau des NSKK-Obergruppenführers Zühlen zu mir und sagte, ob ich schon wisse, daß die Kriminalpolizei im Falle Streicher wieder in Nürnberg sei. Ich habe Frau Zühlen verneint und ihr noch gesagt: »Wenn sie was wissen wollen, dann sollen sie rauskommen zum Hof zu Herrn Streicher selbst, der wird ihnen die nötige Aufklärung geben.« Nach ungefähr vierzehn Tagen bis drei Wochen traf ich den Stürmer-Direktor Fischer, den Nachfolger von Herrn Fink. Ich möchte noch kurz vorauserwähnen, daß die Aktien samt den 5.000.- Mark von Herrn Streicher beschlagnahmt waren. Der damalige Direktor Fischer sagte mir, er hätte heute einen Telephonanruf bekommen, und zwar von der Treuhand-Gesellschaft. Die Treuhand-Gesellschaft meldete dem Direktor Fischer, daß sie heute auf das Konto des »Stürmers« die 5.000.- Reichsmark überwiesen habe, die Herr Streicher damals zum Kauf der Aktien vorgelegt hat.


VORSITZENDER: Dr. Marx, glauben Sie nicht, daß er zuviel in Einzelheiten geht?


DR. MARX: Ja.


HERRWERTH: Ja, ich mache es kürzer.

[420] Der Mann von der Treuhand-Gesellschaft hat gesagt, daß die 5.000.- Mark freigegeben waren, weil sich die Unschuld von Herrn Streicher erwiesen hat.


DR. MARX: Sie waren damals beim Obersten Parteigericht dabei?


HERRWERTH: Jawohl.


DR. MARX: Was hatte denn da Herr Fink gesagt? Hat er sich nicht wieder bezichtigt, daß er die Unwahrheit angegeben hätte?


HERRWERTH: Ich war bei der Vernehmung von Herrn Fink nicht dabei.


DR. MARX: So, gut. Ich frage Sie nun noch: Sie waren damals zugegen, wie sich der Vorfall in München abspielte – in der Künstlerhaus-Gaststätte, nicht wahr – mit dem Mann, der Streicher belästigte?

HERRWERTH: Ja.


DR. MARX: Geben Sie eine Schilderung, wie sich der Vorfall zutrug.


HERRWERTH: Ja. Herr Streicher hat nach dem Essen das Lokal verlassen. Ich kann mich nicht mehr so genau an die einzelnen Worte erinnern. Aber ich bemühe mich, so gut wie möglich zu schildern. Herr Streicher hat damals das Lokal verlassen und beim Hinausgehen hat dieser Mann Herrn Streicher in einer, ich möchte sagen, ungebührlichen Art und Weise angesprochen. Streicher ging weiter und war im ersten Moment ganz sprachlos und frug seine Begleitung und auch mich, ob wir den Mann kennen. Niemand hatte ihn gekannt.

Daraufhin hat Herr Streicher seinen Sohn Lothar nochmals reingeschickt, um den Mann zu sprechen und ihn zu fragen, wie er dazu kommt, sich so zu benehmen. Lothar Streicher ist herausgekommen und hat gesagt, daß der Mann sich wieder so benommen hat.


DR. MARX: Fassen Sie sich doch bitte kürzer. Sie sollen bloß sagen, wie sich der Vorfall kurz entwickelt hat, und was Sie und auch den Herrn Streicher veranlaßt hat, mit dem Mann tätlich zu werden.


HERRWERTH: Sein Benehmen.

DR. MARX: Ja, und was ist dann erfolgt?


HERRWERTH: Herr Streicher hat den Wirt gebeten um ein Zimmer, und in diesem Zimmer hat Streicher den Mann persönlich zur Rede gestellt. Auch da wieder hat der Mann anzügliche Antworten gegeben, und daraufhin ist es zuerst durch Lothar Streicher zum Schlagen gekommen. Nun, wie das so war, er war ein kräftiger Mann und da hat natürlich alles zusammengeholfen, bis er überwältigt war.


[421] DR. MARX: Ja, ist schon gut. Ich bin mit der Vernehmung dieses Zeugen zu Ende, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Hat einer der Verteidiger Fragen an den Zeugen?

Wünscht ein Vertreter der Anklagebehörde, den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?

Der Zeuge kann alsdann den Saal verlassen.


DR. MARX: Ich bitte dann den Zeugen Wurzbacher, wenn er da ist... Ist er nicht da? Ich weiß nicht, welcher Zeuge sich noch im Zeugenzimmer befindet. Ist noch jemand da? Also Wurzbacher? Hiemer?


OBERST CHARLES W. MAYS, GERICHTSMARSCHALL: Frau Streicher ist da.


VORSITZENDER: Ist der Zeuge Wurzbacher nicht hier?

GERICHTSMARSCHALL: Ich will nachsehen. Er war eben noch nicht hier. Er wurde nicht vorgeladen.


VORSITZENDER: Herr Dr. Marx, welche weiteren Zeugen haben Sie?


DR. MARX: Die Ehefrau des Angeklagten könnte nun gerufen werden.


VORSITZENDER: Gut. Lassen Sie diese rufen.


GERICHTSMARSCHALL: Der Zeuge Strobel ist jetzt da.


VORSITZENDER: Dr. Marx wünscht Frau Streicher zu rufen.


DR. MARX: Verzeihung, Herr Präsident. Wenn die Gestellung der Zeugin Streicher Schwierigkeiten macht, so könnte ja der Zeuge...


[Die Zeugin Streicher betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGIN ADELE STREICHER: Adele Streicher, geborene Tappe.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir folgenden Eid nachsprechen:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.


[Die Zeugin spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. MARX: Sie sind eine geborene Tappe und sind in Magdeburg geboren?


ADELE STREICHER: Ja.


DR. MARX: Waren Sie Mitglied der NSDAP oder der Frauenschaft?


[422] ADELE STREICHER: Nein.


DR. MARX: Wann sind Sie Sekretärin bei Herrn Streicher geworden? Und wie lange haben Sie diese Tätigkeit ausgeübt?


ADELE STREICHER: Ich wurde am 7. Juni 1940 die Sekretärin Julius Streichers und blieb in dieser Tätigkeit bis zum Kriegsende.


DR. MARX: Sie waren also während dieses Zeitraumes dauernd auf seinem Hof?


ADELE STREICHER: Ja, ich war ständig um ihn.


DR. MARX: Hatten Sie auch die gesamte Korrespondenz für Herrn Streicher zu erledigen?


ADELE STREICHER: Ja.


DR. MARX: Worin bestand diese Korrespondenz in der Hauptsache?


ADELE STREICHER: In der Hauptsache aus Briefen an seine Söhne, Verwandte.


DR. MARX: Womit hat sich Herr Streicher während dieses Zeitraumes von fünf Jahren beschäftigt?


ADELE STREICHER: Julius Streicher hat sich in der Hauptsache mit körperlichen Arbeiten, das heißt mit landwirtschaftlichen und gärtnerischen Arbeiten beschäftigt. Ab und zu hat er Artikel für den »Stürmer« geschrieben.


DR. MARX: Hat er in diesen fünf Jahren überhaupt den Hof verlassen, und war er einmal eine längere Zeit vom Hof abwesend?


ADELE STREICHER: Julius Streicher hat in den ersten Jahren seines Aufenthaltes dort den Hof überhaupt nicht, später ab und zu nur zu nachbarlichen Besuchen verlassen. Die höchste Dauer seiner Abwesenheit betrug keinen ganzen Tag und nicht eine einzige Nacht.


DR. MARX: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß es Persönlichkeiten der Partei verboten war, Herrn Streicher zu besuchen?


ADELE STREICHER: Ja, es bestand ein solches Verbot.


DR. MARX: Woraus wissen Sie das?


ADELE STREICHER: Aus Gesprächen. Dann habe ich aber erlebt, als Dr. Goebbels den Hof besuchte, daß Julius Streicher zu ihm sagte: »Doktor, Sie trauen sich zu mir her? Wissen Sie nicht, daß ein Verbot der Parteileitung besteht, mich zu besuchen?«


DR. MARX: Wann erfolgte der Besuch des Dr. Ley und des Dr. Goebbels?


ADELE STREICHER: Dr. Leykam am 7. Mai 1944 auf den Hof. Der Besuch Dr. Goebbels erfolgte am 4. Juni 1944.


DR. MARX: Schildern Sie, welchen Charakter diese Besuche trugen und was der Gegenstand der Gespräche war.


[423] ADELE STREICHER: Beide Besuche trugen mehr inoffiziellen Charakter. Dr. Ley erkundigte sich in der Hauptsache nach dem persönlichen Ergehen Julius Streichers. Politische Fragen wurden nicht behandelt. Ley sagte lediglich: »Streicher, der Führer wartet auf Sie.«


DR. MARX: Und was erklärte Streicher darauf?


ADELE STREICHER: Julius Streicher antwortete ihm, daß er sich an seine Einsamkeit gewöhnt habe, daß er sich als Bauer glücklich fühle. Ley möge dem Führer sagen, er, Streicher, habe keine Wünsche. Beim Besuch Dr. Goebbels war der Gesprächsgegenstand in der Hauptsache der Grund, warum Julius Streicher von seinem Amt als Gauleiter beurlaubt worden sei. Dr. Goebbels vertrat die Ansicht, Julius Streicher müsse in den Kreis der alten Parteigenossen wieder zurückkehren. Aber auch ihm gab er die gleiche Antwort: »Sagen Sie dem Führer, ich habe keine Wünsche.«


DR. MARX: Waren Sie bei diesen Gesprächen stets zugegen?


ADELE STREICHER: Ja.


DR. MARX: Bildete bei diesen Gesprächen nicht auch die Judenfrage einen Gesprächsgegenstand?


ADELE STREICHER: Nein, über die Judenfrage wurde nicht gesprochen.


DR. MARX: Wurde auch nicht über Vorgänge in den Ostgebieten oder in den Konzentrationslagern gesprochen?

ADELE STREICHER: Nein, dazu sind wir gar nicht mehr gekommen.


DR. MARX: Sprach Streicher nicht mit Ihnen über seine Gedanken, die er in Artikeln im »Stürmer« zum Ausdruck bringen wollte, und wurde da auch darüber gesprochen, wie er sich die Lösung dieses Problems der Judenfrage dachte?


ADELE STREICHER: Aus allen Gesprächen mit Julius Streicher konnte ich mit Bestimmtheit entnehmen, daß er sich die Lösung der Judenfrage niemals durch Gewaltmaßnahmen dachte, sondern eine Emigration der Juden aus Europa und deren Ansiedlung außerhalb Europas anstrebte.


DR. MARX: Stand Herr Streicher mit führenden Persönlichkeiten der Partei oder des Staates in schriftlicher Verbindung?


ADELE STREICHER: Nein, weder persönlich noch schriftlich bestand eine solche Verbindung.


DR. MARX: Ich nenne Ihnen nun verschiedene Namen, von denen Sie mir angeben wollen, ob Verbindung bestand: Himmler, Heydrich, Bormann oder auch andere leitende Männer der Polizei, oder der SS, oder der Gestapo.


[424] ADELE STREICHER: Nein, von allen diesen Persönlichkeiten ist mir nichts bekannt. Mit Ausnahme eines Briefes von Herrn Himmler kam niemals Post.


DR. MARX: Was bildete die Veranlassung zu diesem Brief?


ADELE STREICHER: In dem Brief des Herrn Himmler beschwerte er sich darüber, daß die auf dem Pleikershof beschäftigten französischen Kriegsgefangenen zu gut behandelt würden.


DR. MARX: Wie war denn die Behandlung der Kriegsgefangenen und der ausländischen Zivilarbeiter auf dem Hof?


ADELE STREICHER: Auf dem Pleikershof wurden acht französische Kriegsgefangene, eine Polin und ein slowenisches Mädchen beschäftigt. Sie wurden alle gut und sehr menschlich behandelt. Jede Handreichung, die Julius Streicher persönlich erbat, jede Arbeit, die er selbst anschaffte, wurde von ihm besonders belohnt mit Rauchzeug, Gebäck, Obst oder auch Geldprämien. Mit einigen der Franzosen war im Laufe der Jahre ein so herzliches Verhältnis entstanden, daß sie bei ihrem sogar tränenreichen Abschied versicherten, Julius Streicher mit ihren Familien nach dem Kriege zu besuchen.


DR. MARX: Nun, hatte Herr Streicher nicht von diesen Massenhinrichtungen im Osten schließlich eine ihm glaubhaft erscheinende Kenntnis erlangt?


ADELE STREICHER: Ich glaube, im Jahre 1944 war es, als er durch Schweizer Zeitungen davon erfuhr. Amtlich haben wir niemals Kenntnis davon bekommen.


DR. MARX: Es wird aber behauptet, daß er schon früher Kenntnis erlangt haben soll.


ADELE STREICHER: Nein.


DR. MARX: Da wissen Sie nichts davon?


ADELE STREICHER: Ich weiß nur über die Schweizer Zeitungen.


DR. MARX: Gut. Sie haben einmal das Gespräch darauf gebracht, daß Sie in Magdeburg, in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938, diese Demonstrationen gegen Juden miterlebt hätten und daß Sie darüber den größten Abscheu empfunden hätten. Ist das richtig?


ADELE STREICHER: Ja, ich habe davon erzählt, und zwar, daß ich erschüttert gewesen sei, als man diese Aktion in Magdeburg durchführte. Damals regte sich Julius Streicher sehr bei diesem Gespräch auf und sagte mir: »Solchen Unsinn hat man auch in Nürnberg gemacht.« Das sei kein Antisemitismus, das sei eine Riesendummheit gewesen.

DR. MARX: Ist es richtig, daß sich Herr Streicher für Geldgeschäfte des Verlages nur sehr wenig interessierte und diese Angelegenheit dem jeweiligen Verlagsleiter unterstellte?


[425] ADELE STREICHER: Julius Streicher hat sich um Geldangelegenheiten überhaupt nie gekümmert, weder im Hause noch im Verlag. Es kam immer wieder vor, daß die Herren des Verlags enttäuscht waren, wenn sie über Jahresbilanzen berichten wollten und Julius Streicher ihnen sagte: »Laßt mich mit Euren Geschäften in Ruhe. Es geht um ganz andere Dinge als um Geld.«


DR. MARX: Wovon wurde dann der Haushalt bestritten?


ADELE STREICHER: Ich bekam im Monat tausend Reichsmark vom Verlag. Davon wurde der Haushalt bestritten, Geschenke gemacht und so weiter.


DR. MARX: Ist Ihnen etwas bekannt, daß er Aktien erworben haben soll, die auf unsauberen Druck gegen einen jüdischen Bankier hin erworben wurden?


ADELE STREICHER: Das ist vollkommen unmöglich. Das halte ich für völlig unmöglich, daß Julius Streicher Aktien auf diese Art erworben hätte. Ich glaube nicht mal, daß er weiß, wie eine Aktie aussieht.

DR. MARX: Hat er Ihnen davon nichts erzählt?


ADELE STREICHER: Ich habe nur gehört, daß er niemals Aktien bekommen hat.


DR. MARX: Wie kam es, daß Sie noch im April 1945 zu einer Eheschließung mit dem Angeklagten kamen oder gelangten? Haben Sie die Frage verstanden?


ADELE STREICHER: Ja. Julius Streicher wollte am Kampfe in Nürnberg teilnehmen. Ich wollte ihn begleiten, da gab er mir vorher seinen Namen. Wir wollten zusammen sterben.


DR. MARX: Sie sind dann mit ihm zusammen von Pleikershof weg und begaben sich wohin?


ADELE STREICHER: Wir wollten ursprünglich nach Nürnberg, das wurde abgelehnt aus Angst vor Kompetenzschwierigkeiten. So fuhren wir Richtung München. In München wurden wir weiter verwiesen, Richtung Passau. Von Passau schickte man uns nach Berchtesgaden. Von Berchtesgaden schickte man uns nach Kitzbühel.


DR. MARX: Wie kam es, daß die ursprünglich bestandene Absicht, gemeinsam in den Tod zu gehen, dann nicht in die Tat umgesetzt wurde? Was hat ihn dazu veranlaßt?

ADELE STREICHER: Ein Gespräch mit drei jungen Soldaten war der Anlaß dazu.


DR. MARX: Und wie lautete das? Ich bin jetzt gleich fertig, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß Sie darauf eingehen sollen, Dr. Marx.


[426] DR. MARX: Also, dann kann ich auf die Frage verzichten. Nun noch die eine Frage: Ist es richtig, daß Herr Streicher seinem jeweiligen Verlagsleiter eine schriftliche Generalvollmacht ausstellte, wonach diese über die Gelder verfügen konnten, wie es ihnen beliebte?


ADELE STREICHER: Ja, Julius Streicher stellte Generalvollmachten aus und gab dem jeweiligen Verlagsleiter sein volles Vertrauen, ohne jede Einschränkung.


DR. MARX: Herr Präsident, ich habe keine weitere Frage.


VORSITZENDER: Wünscht ein Verteidiger Fragen zu stellen?

Wünscht die Anklagevertretung Fragen zu stellen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein.


VORSITZENDER: Dann kann sich die Zeugin zurückziehen und der Gerichtshof vertagt sich bis morgen früh 9.30 Uhr.


[Das Gericht vertagt sich bis

30. April 1946, 9.30 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12, S. 381-428.
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