Vormittagssitzung.

[576] VORSITZENDER: Dr. Siemers! Der Gerichtshof möchte gern wissen, und zwar genau, was der Brief bedeutet, den er von Ihnen erhalten hat und der sich auf die folgenden Dokumente bezieht, die, wie Ihr Brief sagt, zurückgezogen wurden. Ich möchte wissen, ob das bedeutet, daß die Dokumente nicht übersetzt werden sollen; ich lese Ihnen die Nummern vor: 18, 19, 48, 53, 76, 80, 81, 82, 86 und 101. Bedeutet Ihr Brief, daß diese Dokumente nicht zu übersetzen sind?

DR. SIEMERS: Nein, Euer Lordschaft! Das bedeutet, daß mir die Britische Delegation mitgeteilt hatte, und zwar gestern morgen, daß der Einspruch gegen diese Dokumente seitens der Britischen Delegation zurückgezogen wird.


VORSITZENDER: Ich verstehe.


DR. SIEMERS: Ich habe den Brief geschrieben am 30. April nachmittags, nachdem ich mit Sir David gesprochen hatte, und am nächsten Morgen wurde mir mitgeteilt, daß...

VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt nicht damit beschäftigen. Sie sagen, daß der Einspruch nicht mehr aufrechterhalten wird. Wenn die Britische Delegation damit einverstanden ist, sehr gut.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Es scheint sich hier um ein Mißverständnis hinsichtlich der Dokumente Nummer 80, 101 und 76 zu handeln. Gegen die anderen wurde kein Einspruch erhoben.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Wegen Nummer 76 gab es scheinbar ein Mißverständnis zwischen Dr. Siemers und mir. Soweit ich verstand, wollte Dr. Siemers nicht weiter auf dem amtlichen Bericht über den »Altmark«-Fall bestehen, und ich glaube, Dr. Siemers dachte seinerseits, daß ich nicht darauf bestände; jedoch glaubte ich, Dr. Siemers wolle es zurückziehen.


VORSITZENDER: Ja. Und erheben Sie immer noch Einspruch dagegen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich erhebe noch immer Einspruch dagegen, wenn es nicht zurückgezogen wird, Mylord; jedoch habe ich gegen die anderen Nummern auf der Liste, die Euer Lordschaft erwähnt haben, nämlich Nummer 18, 19, 48, 53, 81 um 86, nichts einzuwenden.

[576] VORSITZENDER: Gut.


DR. SIEMERS: Bezüglich Dokument 76 gehe ich mit Sir David einig; 76 kann meinethalben gestrichen werden.


VORSITZENDER: Sehr gut, das ist alles, was ich wissen wollte.


DR. SIEMERS: Dokument 80, welches ich ausführlich mit der Britischen Delegation besprochen hatte,...


VORSITZENDER: Sie brauchen mir darüber nichts zu sagen.


DR. SIEMERS: Ich habe angenommen, daß es keinen Einwand gibt. Ich möchte beantragen, daß es auf jeden Fall zugelassen wird.


VORSITZENDER: Ja, richtig. Damit die Übersetzungsabteilung so schnell wie möglich vorwärtskommen kann, hat der Gerichtshof bezüglich dieser Dokumente entschieden, daß sie übersetzt werden sollen. Und dieses ist die einzige Frage, die der Gerichtshof schon entschieden hat. Die Frage ihrer Zulässigkeit wird nach der Übersetzung entschieden werden, und ich werde sie dann den Einwänden entsprechend in die Kategorien übernehmen, die Sir David in seinem Memorandum angeführt hat.

Aus Gruppe A, der ersten Gruppe, wird Nummer 66 zugelassen; Nummer 76 fällt weg, wie Dr. Siemers jetzt gesagt hat. Nummer 101 bis 106 werden zugelassen. Die übrigen Dokumente für Gruppe A werden abgelehnt.

Aus Gruppe B werden folgende Dokumente zugelassen: Nummer 39, 63, 64, 99 und 100, und natürlich 102 bis 107, die schon für Gruppe A zugelassen sind. Die übrigen werden abgelehnt.

Aus Gruppe C werden folgende Dokumente zugelassen: Nummer 38, 50, 55 und 58. Die übrigen werden nicht zugelassen.

Aus Gruppe D werden folgende Dokumente zugelassen: Nummer 29, 56, 57, 60 und 62.

Aus Gruppe E werden folgende Dokumente zugelassen: Nummer 31, 32, 36, 37, 39, 41 und natürlich 99 und 101, die schon vorher zugelassen wurden.

Was die letzte Gruppe F betrifft, so bezweifelt der Gerichtshof die Erheblichkeit aller Dokumente dieser Gruppe sehr. Jedoch werden alle übersetzt werden, mit Ausnahme des Dokuments 73.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Mylord! Darf ich fragen, ob der Gerichtshof mir gestattet, die Dokumenten-Nummern der zusätzlichen Auszüge aus dem »Stürmer«, die ich im Kreuzverhör Streichers vorgelegt habe, anzugeben. Ich bin bereit, diese Nummern zu einer geeigneten Zeit vorzulegen.


VORSITZENDER: Sie meinen die Beweisstück-Nummern?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja.


VORSITZENDER: Sie wollen sie verlesen?


[577] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich die Liste einreichen; sie stellt eigentlich einen Katalog oder ein Inhaltsverzeichnis der beiden Aktenbündel dar, die der Gerichtshof schon hat – Mappe A und Mappe B –; ich schlage vor, diese Liste selbst als Beweisstück einzureichen, und zwar als GB-450, Dokument D-839. Sollte der Gerichtshof damit einverstanden sein, so brauchen wir auf diese Art überhaupt keine Nummern zu verlesen.


VORSITZENDER: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Außerdem möchte ich noch einen anderen Antrag stellen: Von der Zeitung »Israelitisches Wochenblatt« wurden Originalausgaben vorgelegt. Diese Bände habe ich von einer Bibliothek ausgeborgt und möchte darum bitten, diese Auszüge mit Genehmigung des Gerichtshofs photographieren lassen zu dürfen, an ihrer Stelle die Photokopien beim Sekretariat des Gerichtshofs einzureichen, damit wir die Originale der Bibliothek wieder zurückgeben können.

VORSITZENDER: Dagegen ist nichts einzuwenden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Danke sehr.


VORSITZENDER: Sie haben doch nichts dagegen einzuwenden, Herr Dr. Marx?


DR. MARX: Verzeihung, Herr Präsident! Ich habe gegen diese Sache nichts einzuwenden; ich habe mir ja vorbehalten, daß ich noch irgendwelche Gegendokumente, wenn das erforderlich sein sollte, vorlegen darf. Aber diese Vorlage entspricht ja dem, was Herr Griffith-Jones in der Verhandlung vorgetragen hat... sind ja vorgelegen.


VORSITZENDER: Sie haben doch ein Exemplar von diesem Dokument, von diesem Beweisstück, Herr Dr. Marx?


DR. MARX: Jawohl.


VORSITZENDER: Ich frage Sie nur, ob Sie etwas dagegen haben, daß das Original der jüdischen Zeitung zurückgegeben wird...


DR. MARX: Nein.


VORSITZENDER:...nachdem es photographiert wurde.


DR. MARX: Nein, ich habe dagegen keinen Ein spruch.


VORSITZENDER: Danke.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bin Ihnen sehr verbunden.


VORSITZENDER: Darf ich bitten, Herr Dr. Dix.


[Der Angeklagte Schacht im Zeugenstand.]


[578] DR. DIX: Dr. Schacht! Ich glaube, Sie müßten eine Frage von mir von gestern in Ihrer Antwort noch ergänzen. Ich hatte Ihnen vorgehalten, daß verschiedene Ihrer Eingaben an Hitler, Briefe an Hitler und so weiter, von nationalsozialistischer Phraseologie triefen. Sie haben behandelt Briefe und Eingaben von der Machtergreifung an bis später, als Sie zur Opposition gegangen waren. Nun hat aber die Anklage und namentlich in der mündlichen Anklagerede nach meiner Erinnerung Bezug genommen zumindest auf ein Schreiben von Ihnen, welches vor der Machtergreifung an Hitler gerichtet ist vom November 1932. Und es existiert bei den Akten noch ein zweites Schreiben ähnlichen Inhalts vom August 1932. Ich glaube, es wäre richtig, wenn Sie noch zu diesen beiden Schreiben in Ergänzung Ihrer Antwort auf diese meine Frage Stellung nehmen würden.

SCHACHT: Ich habe Ihnen bereits gestern ausgeführt, daß ich bis zu den entscheidenden Wahlen vom Juli 1932 in keiner Weise in die Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung eingegriffen habe, sondern mich völlig abseits gehalten habe. Nachdem diese Bewegung im Juli 1932 ihren überwältigenden Erfolg erzielt hatte, von dem ich gestern gesprochen habe, sah ich die Entwicklung, die jetzt kommen würde, völlig klar voraus. Es gab nach den Grundsätzen der demokratischen politischen Auffassung nur eine Möglichkeit, nämlich die, daß der Führer dieser überwältigend großen Partei nun die Regierungsbildung in die Hand nehmen müsse. Die andere theoretische Möglichkeit einer Militärregierung und eines eventuell damit verbundenen Bürgerkrieges habe ich von vornherein als unmöglich und mit meinen Grundsätzen unvereinbar abgelehnt. Nachdem ich also zu dieser Erkenntnis gekommen war, habe ich mich durchaus bemüht, meinen Einfluß auf Hitler und seine Bewegung zu erlangen, und in diesem Sinne sind die beiden Schreiben, von denen Sie eben gesprochen haben, verfaßt worden.


DR. DIX: Wir kommen nun zu den territorialen Eingliederungen Hitlers. Was wußten Sie von den Plänen Hitlers gegen Österreich?


SCHACHT: Von Plänen gegen Österreich ist mir nie etwas bekannt gewesen. Die Pläne Hitlers für Österreich habe ich im einzelnen auch nicht gekannt. Ich wußte lediglich, daß er, wie wohl das Gros aller Deutschen, für einen Zusammenschluß von Österreich und Deutschland war.


DR. DIX: Was wußten Sie von seinen Plänen gegen die Tschechoslowakei?


SCHACHT: Von Plänen gegen die Tschechoslowakei habe ich bis etwa zur Münchener Konferenz nichts gewußt.


[579] DR. DIX: Nach der Münchener Konferenz, also der friedlichen, noch friedlichen Regelung der Sudetenfrage, haben Sie nun eine Äußerung Hitlers über München gehört, die für Ihre weitere innere Einstellung gegenüber Hitler von Bedeutung war? Bekunden Sie dem Tribunal diese Äußerung, die zu Ihren Ohren gekommen ist.


SCHACHT: Ich darf zunächst einmal sagen, daß nach meiner Kenntnis der damaligen Lage Hitler in München mehr geschenkt bekommen hat, als er je erwartete. Nach meiner Kenntnis damals war Hitler, und ich habe das ja in der Unterredung mit dem Botschafter Bullitt zum Ausdruck gebracht, darauf aus, eine Autonomie für die Deutschen in der Tschechoslowakei zu erreichen. In München wurde ihm von den Alliierten die Abtretung des sudetendeutschen Landes auf dem Präsentierteller überreicht. Ich habe selbstverständlich angenommen, daß nunmehr Hitlers Ehrgeiz mehr als befriedigt sein würde und war etwas erstaunt und bestürzt, kann ich nur sagen, als ich wenige Tage nach München Hitler sah. Ich habe keine weitere Unterhaltung damals mit ihm gehabt, aber ich traf ihn in einer Gruppe von seiner Umgebung, die in der Hauptsache aus SS-Leuten bestand und konnte nur aus der Unterhaltung zwischen ihm und den SS-Leuten die Bemerkung auffangen: »Der Kerl hat mir meinen Einzug nach Prag versiebt«, das heißt, unmöglich gemacht. Er war offenbar nicht mit dem großen Erfolg, den er außenpolitisch erzielt hatte, zufrieden, sondern es fehlte ihm das, worauf ich gestern auch angespielt habe, worüber ich mich gestern ausgelassen habe, die Glorie, die ruhmvolle Aufmachung, wie ich aus dieser Bemerkung entnahm.


DR. DIX: Und was waren Ihre Empfindungen nach München hinsichtlich Ihrer gesamtpolitischen Einstellung gegenüber Hitler?


SCHACHT: Ich habe trotz des außenpolitischen Erfolges es auf das lebhafteste bedauert und meine engeren Freunde mit mir, daß durch dieses Eingreifen der alliierten Politik unser Versuch, das Regime Hitler zu beseitigen, auf eine lange Zeit hinaus – wir wußten ja damals nicht, was in der Zukunft eintreten würde – gescheitert war; aber wir mußten selbstverständlich in diesem Augenblick resignieren.


DR. DIX: Was wußten Sie von den Plänen Hitlers gegen das Memelland?


SCHACHT: Davon habe ich überhaupt nichts gewußt und nichts gehört. Ich habe den Anschluß des Memellandes an Deutschland, soviel ich weiß, auf meiner schon damals angetretenen Reise nach Indien erfahren.


DR. DIX: Also wenn Sie in jener Zeit in Indien waren, haben Sie natürlich auch nichts erfahren von den Verhandlungen und so weiter, die dem Angriff auf Polen vorangingen.


[580] SCHACHT: Ich habe davon keinerlei Kenntnis gehabt, deshalb auch nicht von der mehrfach erörterten Maisitzung von 1939. Ich bin anfangs März aus Berlin abgereist. Ich habe mich dann noch einige Zeit in der Schweiz aufgehalten und bin Ende März nach Indien gereist, über Genua, und habe also weder von der Hacha-Affäre, also der Errichtung des Protektorats in der Tschechoslowakei, noch vom Memelland, noch von Polen irgend etwas erfahren; denn ich bin erst Anfang August von der Indienreise zurückgekehrt.


DR. DIX: Die Einbrüche in Belgien, Holland, Norwegen und Dänemark sind hier behandelt worden. Billigten Sie diese Maßnahmen und Handlungen?


SCHACHT: Unter keinen Umständen.


DR. DIX: Haben Sie dieser Mißbilligung irgendwo und -wie einmal Ausdruck geben können?


SCHACHT: Vor dem Einbruch nach Belgien besuchte mich im Auftrag des Chefs des Generalstabs Halder der Generalquartiermeister, der damalige Oberst und spätere General Wagner, der nach dem Zusammenbruch ebenfalls durch Selbstmord geendet hat, und machte mich mit der Absicht des Einmarsches nach Belgien bekannt.

Ich war entsetzt und habe ihm damals erwidert: »Wenn Ihr diesen Wahnsinn auch noch machen wollt, dann ist Euch nicht mehr zu helfen.«


VORSITZENDER: Zu welcher Zeit war das?


SCHACHT: Vor dem Einmarsch nach Belgien; wann es gewesen ist, kann ich nicht sagen, es kann schon im November 1939 gewesen sein. Es kann auch im April 1940 gewesen sein. Ich weiß nicht mehr genau, wann.


DR. DIX: Nun, wenn Sie auch dieses Vorgehen nicht billigten, so war ja immerhin Deutschland in einem Kampf auf Leben und Tod; veranlaßte Sie dies nicht, da Sie ja immerhin noch Minister ohne Portefeuille waren, wenn Sie auch kein Ressort mehr hatten, sich immerhin doch zur aktiven Mitarbeit zur Verfügung zu stellen?


SCHACHT: Das habe ich nicht getan.


DR. DIX: Hat man Sie aufgefordert, es zu tun?


SCHACHT: Dieser Besuch, von dem ich eben gesprochen habe, von diesem Generalquartiermeister Wagner im Auftrag des Generalstabschefs Halder hatte zur Absicht, mich zu bestimmen, bei der zu erwartenden Besetzung Belgiens mich im deutschen Interesse zu betätigen, indem ich die Währungs-, Finanz- und Bankverhältnisse Belgiens überwachen und leiten sollte. Ich habe das rundweg abgelehnt. Ich bin auch später noch einmal vom damaligen [581] Militärgouverneur von Belgien, dem General von Falkenhausen, befragt worden um Ratschläge hinsichtlich der belgischen Finanzverwaltung. Ich habe es ebenfalls abgelehnt, Ratschläge zu erteilen, und habe mich in keiner Weise geäußert oder beteiligt.


DR. DIX: Wann haben Sie das erstemal...


SCHACHT: Ich kann vielleicht noch einen Fall erzählen, wo man mich aufgefordert hat. Ich habe eines Tages, kurz nachdem Amerika in den Krieg hineingezogen wurde, von der Zeitschrift, die von Goebbels herausgegeben wurde, eine Aufforderung bekommen, ich möge doch bei meiner Kenntnis der amerikanischen Verhältnisse im »Reich« einen Aufsatz schreiben, um das deutsche Volk darüber zu beruhigen, daß das Kriegspotential der Vereinigten Staaten nicht überschätzt werden dürfe. Ich habe diesen Artikel abgelehnt mit der Begründung, daß gerade, weil ich die amerikanischen Verhältnisse sehr gut kannte, meine Darstellung nur dahin gehen könnte, daß ich genau das Gegenteil sagen müßte. Also auch hier habe ich abgelehnt.


DR. DIX: Wann haben Sie das erstemal von der Sitzung erfahren, welche wir hier kurzweg die Hoßbach-Sitzung, oder die Sitzung, von der das Hoßbach-Protokoll handelt, nennen?


SCHACHT: Ich habe zu meiner großen Überraschung von dieser Sitzung erfahren am 20. Oktober 1945, hier in meiner Zelle. Ich war auf das äußerste erstaunt, daß ich in der ganzen Voruntersuchung nicht nach diesem Protokoll gefragt worden bin, weil aus diesem Protokoll ja ganz klar hervorgeht, daß die Reichsregierung über die Kriegsabsichten Hitlers nicht informiert werden dürfte infolgedessen auch nichts davon wissen konnte.


DR. DIX: Haben Sie an ähnlichen Besprechungen, welche Angriffe vorbereiteten, teilgenommen, zum Beispiel auch an der Sitzung vom November 1940, in welcher der Angriff auf Rußland besprochen wurde? Wohlverstanden, ich bitte mich jetzt nicht mißzuverstehen, in dem Speer-Dokument, über das Sie gestern Mitteilung gemacht haben, ist von einem drohenden Angriff seitens Rußlands im Sinne Hitlers gesprochen worden. Ich meine jetzt Besprechungen, die einen Angriff auf Rußland zum Gegenstand hatten.


SCHACHT: Die Befürchtung eines russischen Angriffs fällt ja in den Herbst 1936, hat also mit dem Krieg noch gar nichts zu tun. An irgendeiner Besprechung, welche Kriegsabsichten erkennen ließ, also auch an der Besprechung über den beabsichtigten Angriff auf Rußland, habe ich niemals teilgenommen, auch nie etwas darüber erfahren.


DR. DIX: Gilt das auch für die Sitzung vom Mai 1941?


[582] SCHACHT: Ich weiß im Moment nicht, welche Sitzung das ist; ich habe aber auch im Mai 1941 an keiner Sitzung irgendwie teilgenommen, wie ich überhaupt während meiner ganzen Zeit, in der ich als Minister ohne Portefeuille gelebt habe, niemals an irgendeiner dienstlichen Besprechung teilgenommen habe.


DR. DIX: Dann ist Ihnen auch nichts bekanntgeworden über die Besprechungen, die der japanische Außenminister Matsuoka in Berlin geführt hat?


SCHACHT: Über die Besprechung von Matsuoka ist mir nicht das leiseste bekannt geworden, außer, was im Radio oder in der Presse vielleicht gestanden haben mag.


DR. DIX: Es ist irgendwie die Rede gewesen, daß Sie einmal 200.000 Mark für Nazi-Propagandazwecke in Österreich zur Verfügung gestellt hätten. Ist hieran etwas Wahres?


SCHACHT: Mir ist nicht das leiseste davon bekannt.


DR. DIX: Nun kommen wir zu Ihrer Entlassung als Reichsbankpräsident. Wie Sie gehört haben, behauptet die Anklage, Sie hätten schließlich Ihre Entlassung selber herbeigeführt, um sich aus der finanziellen Verantwortung herauszuziehen. Ich bitte Sie, sich zu diesem Vorwurf zu äußern und dem Tribunal kurz, jedoch erschöpfend, die Gründe und taktischen Erwägungen darzulegen, welche der hier mehrfach beachteten Denkschrift des Reichsbankdirektoriums zugrunde liegen, die zu Ihrer und auch Ihrer Mitarbeiter Entlassung geführt hat.


SCHACHT: Ich möchte die Frage in zwei Teile zerlegen: Die eine Frage ist, ob ich mich bemüht hätte, mein Amt als Reichsbankpräsident loszuwerden. Ich muß diese Frage nachdrücklichst bejahen. Wir haben uns seit Mitte 1938 in der Reichsbank dauernd überlegt, daß, wenn eine Änderung des Kurses nicht eintrete, wir keinesfalls wünschten, weiter im Amt mitzumachen; denn, und nun komme ich zu dem zweiten Teil der Frage, die Verantwortung, die dann von uns erwartet wurde, wollten wir nicht übernehmen. Die Verantwortung für alles Vorausgegangene, was wir für eine defensive Aufrüstung zwecks Herbeiführung der Gleichberechtigung Deutschlands in der internationalen Politik getan hatten, haben wir alle gern auf uns genommen und tragen sie auch vor der Geschichte und vor diesem Gericht. Eine Verantwortung für irgendeine weitergehende Rüstung, die eventuell in sich schon das Schwergewicht einer Kriegsgefahr trug, oder die gar absichtlich in einen Krieg hineinführen sollte, diese Verantwortung wünschte keiner von uns zu übernehmen. Wir haben infolgedessen, als klar wurde, daß Hitler auf eine weitere verstärkte Rüstung hinauswollte – ich habe dies gestern im Zusammenhang mit der Unterhaltung vom 2. Januar 1939 berichtet –, als wir das merkten, haben wir die [583] Denkschrift verfaßt, die oft zitiert worden ist und als Beweisstück dem Gericht vorliegt. Aus ihr geht klar hervor, daß wir uns allen weiteren Ausbreitungen der Staatsausgaben widersetzten und eine Verantwortung dafür nicht übernehmen würden.

Daraus ersah Hitler, daß er die Reichsbank für irgendwelche Finanzierungszwecke in der Zukunft mit diesem Direktorium und mit diesem Präsidenten keinesfalls würde gebrauchen können, und infolgedessen blieb ihm nur eine Möglichkeit, das Direktorium zu ändern, weil er ohne die Reichsbank nicht auskommen konnte. Und er mußte ein Zweites tun; er mußte das Reichsbankgesetz ändern, das heißt, er mußte die Unabhängigkeit der Reichsbank von den Regierungsbeschlüssen beseitigen. Er hat dies zunächst in einem Geheimgesetz – solches gab es nämlich bei uns – vom 19. oder 20. Januar 1939 getan. Das Gesetz ist erst ungefähr nach einem halben Jahr veröffentlicht worden. In diesem Gesetz wurde die Selbständigkeit der Reichsbank aufgehoben, und der Reichsbankpräsident wurde nur noch ein Kassenhalter für die Kreditwünsche des Reiches, also Hitlers.

Diese Entwicklung wollte das Reichsbankdirektorium nicht mitmachen. Es wurden infolgedessen am 20. Januar entlassen: der Reichsbankpräsident, der Vizepräsident und der hauptsächliche Finanzpräsident, Reichsbankdirektor Hülse; weitere drei Mitglieder des Reichsbankdirektoriums, Geheimrat Vocke, Direktor Erhardt und Direktor Blessing haben so lange gedrängt, bis ihnen ihr Ausscheiden aus der Reichsbank auch bewilligt wurde; und zwei Mitglieder des Reichsbankdirektoriums, der bereits hier er wähnte Direktor Puhl und ein achter Direktor, Direktor Pötschmann, sind im Direktorium auch unter den neuen Verhältnissen geblieben. Sie waren Parteimitglieder, beide als die einzigen im Direktorium, und konnten sich deshalb wohl nicht entziehen.


DR. DIX: Das ist der eine Vorwurf, der Ihnen von der Anklage hinsichtlich Ihrer Beweggründe bei dieser Denkschrift gemacht wird, nämlich, sich aus der finanziellen Verantwortung zu ziehen. Der zweite Vorwurf geht dahin, daß ja in dieser Denkschrift mit keinem Wort von Rüstungsbeschränkung ausdrücklich die Rede ist, sondern daß diese Denkschrift im wesentlichen nur währungspolitische, finanztechnische, rein wirtschaftliche Ausführungen enthält und daß deshalb nicht der der Rüstung opponierende Dr. Schacht, sondern nur der besorgte, um die Währung besorgte Notenbankpräsident aus dieser Denkschrift gesprochen habe.

Es ist notwendig, daß Sie als Mitverfasser der Denkschrift, der führende Verfasser der Denkschrift, auch zu dieser Sie belastenden Auslegung der Denkschrift Stellung nehmen.


SCHACHT: Ich habe bereits in einem früheren Augenblick hier ausgesagt, daß jeder Einwand, den ich Hitler gegenüber machte und [584] machen mußte – und das gilt nicht nur für mich, sondern für alle Minister –, immer nur gemacht werden konnte mit Argumenten, die aus den Ressorts entstanden, welche man verwaltete.

Wenn ich Hitler gesagt hätte, ich gebe Ihnen kein Geld mehr, weil Sie einen Krieg beabsichtigen, so würde ich nicht das Vergnügen haben, Herr Justizrat, diese angeregte Unterhaltung hier mit Ihnen führen zu können. Ich hätte dann mit dem Pfarrer Rücksprache nehmen können, und die wäre sehr einseitig gewesen; denn ich hätte stumm im Grabe gelegen, und der Pfarrer hätte einen Monolog gehalten.


DR. DIX: So daß ich also – diese Denkschrift ist ja sehr wichtig, und wir müssen deshalb bei ihr einen Moment verharren – zusammenfassend – ich bitte, mich zu kontrollieren –, so daß ich Sie dahin verstehen kann: diese Denkschrift enthält am Schluß Forderungen, wie weitere Geldschöpfungsmöglichkeiten durch Erhöhung der Steuern oder auch Inanspruchnahme des Kapitalmarktes. Beides unmöglich; die Steuern waren nicht mehr zu erhöhen; der Kapitalmarkt hatte eben eine verunglückte Anleihe erlebt. Gelang diese an sich unmögliche Forderung, so hatte die Reichsbank, beziehungsweise so war eine Garantie dafür geschaffen, daß nicht weiteres Geld für die eine oder andere Rüstungsausgabe verwendet würde.

Dieser Erfolg war aber nicht zu erwarten; vielmehr mußten Sie Ihre Entlassung erwarten. Habe ich Sie in dieser Sache richtig, erschöpfend und kurz zusammengefaßt, richtig verstanden?


SCHACHT: Das ganze Schreiben war so angelegt, daß darauf nur zwei Möglichkeiten der Antwort waren: entweder eine Änderung der Finanzpolitik und damit ein Abstoppen der Rüstung, das heißt eine völlige Änderung der Hitlerschen Politik, oder aber der Reichsbankpräsident wird hinausgeworfen. Und das letztere geschah: Und das war auch wie erwartet, weil ich damals nicht mehr glaubte, daß Hitler seine Politik definitiv um 180 Grad herumwerfen will.


DR. DIX: So hat also die Anklage recht, wenn sie sagt, daß Ihre Mission mit Ihrem Ausscheiden zu Ende gewesen ist?


SCHACHT: Das hat ja Hitler selber bestätigt und er hat es ja in dem Entlassungsschreiben an mich ausdrücklich gesagt. Aus dem Zeugnis des Herrn Lammers hier haben wir gehört, daß dieser Zusatz von Hitler eigenhändig in den Brief hineingebracht worden sei, daß mein Name mit der ersten Epoche der Aufrüstung verbunden bleiben würde. Die zweite Epoche der Aufrüstung habe ich abgelehnt und Hitler hat das sehr wohl verstanden; denn er hat, als er dieses Schreiben der Reichsbank bekam, zu seiner Umgebung gesagt: »Das ist Meuterei.«


DR. DIX: Woher wissen Sie das?


[585] SCHACHT: Das wird der Zeuge Vocke, der hier hoffentlich noch auftreten wird, bezeugen.


DR. DIX: Die Anklage hat ferner behauptet, daß Ihr Abgang von der politischen Bühne nicht aus Ihrer kriegsfeindlichen Politik erfolgt sei, sondern aus Rangstreitigkeiten mit Hermann Göring. An sich erscheint mir dieser Vorwurf schon durch die bisherigen Bekundungen von Göring und Lammers widerlegt. Wir wollen auch nicht wiederholen. Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie den Bekundungen von Göring und Lammers diesbezüglich etwas hinzuzufügen haben oder von ihnen abweichen.


SCHACHT: In seiner mündlichen Anklagerede hat der Anklagevertreter geäußert, er hätte in dem ganzen Material, das er durchgearbeitet hat, nicht einen einzigen Anhaltspunkt für meine kriegspolitische Gegnerschaft finden können. Ich kann dazu nur sagen, wenn einer, weil er kurzsichtig ist, einen Baum in der Ebene nicht sieht, so ist das doch kein Beweis, daß der Baum nicht da ist.


DR. DIX: Sie haben von der Anklage gehört, daß man Ihnen den Vorwurf macht, als Reichsminister ohne Portefeuille Kabinettsmitglied geblieben zu sein. Das war ja auch der Anlaß zu meinem gestrigen Mißverständnis. Ich wollte gestern nur zum Ausdruck bringen, daß Sie als aktiver Ressortminister ausgeschieden seien, also als Wirtschaftsminister ausschieden, und Seine Lordschaft hat auch mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß Sie natürlich Minister ohne Ressort, also ohne eigenen Tätigkeitsbereich, ja bis Januar 1943 geblieben sind. Und diese Tatsache macht Ihnen die Anklage zum Vorwurf. Was war maßgebend für Sie, Reichsminister ohne Portefeuille zu bleiben? Warum taten Sie das? Waren insbesondere Geldrücksichten maßgebend? Ich bitte zu entschuldigen, daß ich das erwähne, aber der Trialbrief unterstellt Ihnen auf Seite 5 dieses Motiv.


SCHACHT: Ich habe hier schon wiederholt ausgeführt, daß meine Entlassung aus dem Amte des Wirtschaftsministers sehr großen Schwierigkeiten begegnete, und Sie haben dafür auch einige Belege aus den Affidavits beigebracht.

Hitler wollte unter keinen Umständen nach außen hin erkennen lassen, daß hier ein Bruch oder auch nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen einem seiner Mitarbeiter und ihm eingetreten sei, und als er mir schließlich die Entlassung genehmigte, knüpfte er sie an die Bedingung, daß ich als Minister ohne Portefeuille nominell bleiben müsse.

Was den zweiten Vorwurf anlangt, so ist er ebenso unwürdig wie falsch. Es gab in Deutschland eine gesetzliche Bestimmung, daß, wenn jemand zwei Ämter bekleidete, er nur aus einem Amt bezahlt wurde. Da ich noch Reichsbankpräsident war und meine [586] vertraglichen Bezüge, zunächst das Gehalt und späterhin die Pension, von der Reichsbank dauernd erhalten habe, so habe ich aus dem Ministerposten keinerlei Gehalt bezogen.


DR. DIX: Hatten Sie denn nun in der ganzen Zeit Ihrer Stellung als Reichsminister ohne Portefeuille, als solcher wohlverstanden, irgend noch etwas zu tun? Sind Sie an Beschlüssen des Kabinetts wesentlicher Art beteiligt worden, haben Aussprachen stattgefunden, also kurz und gut, war dieser Minister ohne Portefeuille ein reiner Charakter-Major oder hatte er einen substantiellen Inhalt?


SCHACHT: Ich habe bereits immer wieder hier betont und kann das nur immer wiederholen, daß ich nach meinem Ausscheiden aus der Reichsbank nicht eine einzige dienstliche Besprechung mehr gehabt oder geführt habe, an keiner einzigen amtlichen oder dienstlichen Zusammenkunft teilgenommen habe und auch meinerseits leider keine Möglichkeit gehabt habe, Dinge zur Sprache zu bringen, weil mir dafür jeder sachliche Untergrund, jede sachliche Handhabe fehlte, weil ich eben kein Ressort hatte. Ich bin, glaube ich, der einzige Minister ohne Portefeuille gewesen – es gab dann noch einige andere –, der überhaupt keinerlei Tätigkeit mehr ausübte. Soviel ich weiß, war Seyß-Inquart ohne Zweifel Minister ohne Portefeuille, er hatte seine Verwaltung gehabt in Holland. Frank war Minister ohne Portefeuille und hatte seine polnische Verwaltung. Schirach – ich weiß nicht, ob er Minister ohne Portefeuille war; ich glaube, es ist mal erwähnt worden – ob es richtig ist, weiß ich nicht – hatte in Wien seine österreichische Verwaltung. Ich habe überhaupt nichts mehr mit der Staatsverwaltung oder sonst irgendwie mit Staat oder Partei zu tun gehabt.


DR. DIX: Wie ist es mit den laufenden Geschäften? Sind da vielleicht irgendwelche Zirkularschreiben von Lammers hinausgegangen, an denen Sie sich beteiligt haben?


SCHACHT: Ich habe im ganzen – und nach dem, was ich hier gesagt habe, glaube ich, ist es verständlich – sehr genau auf jede Möglichkeit geachtet, wo ich noch irgendwie eingreifen konnte; und ich erinnere mich hier auf das bestimmteste, und sage das auf das bestimmteste aus, daß ich in der ganzen Zeit bis zum Zusammenbruch alles in allem drei amtliche Schreiben erhalten habe; denn die zahlreichen Einladungen zu Staatsbegräbnissen und ähnlichen gesellschaftlichen Staatsfeiern brauche ich hier wohl nicht als amtliche Dinge zu erwähnen. Ich habe auch an diesen nicht teilgenommen. Aber diese drei Male sind immerhin interessant. Das erstemal war es ein Schreiben von Hitler, von Himmler, pardon, ein Rundschreiben oder ein Antrag, ein Gesetzvorschlag von Himmler, der beabsichtigte, die Gerichtsbarkeit über die sogenannten asozialen Elemente der Bevölkerung auf die Polizei, also auf die Gestapo, zu [587] übertragen, das heißt einen Grundsatz der Verwaltung, daß man Anklage und Gericht trennt...


DR. DIX: Gut, das setzen wir als bekannt voraus, Dr. Schacht. Sie können annehmen, daß das bekannt ist.


SCHACHT: Ich habe mich sofort in dieser Frage einem Schreiben angeschlossen, welches der Reichsminister Frank mir in Abschrift geschickt hatte, worin er gegen diesen Grundverstoß gegen die Rechtsgrundlage Stellung nahm; und das Gesetz ist nicht zustande gekommen. Es wäre ja auch außerordentlich bedauerlich gewesen; denn ich bin fest davon überzeugt, daß ich selber auch ein durchaus asoziales Element war im Sinne von Himmler.

Das zweite war ein Schreiben über irgendwelche Auseinandersetzungen über das Staatseigentum in Jugoslawien, nachdem wir Jugoslawien besetzt hatten. Ich habe darauf geantwortet, da ich an den Vorbesprechungen über diesen Gesetzentwurf nicht beteiligt gewesen sei, so bäte ich, von meiner Mitwirkung dabei abzusehen.

Das drittemal endlich – und das ist der wichtigste Fall – war im November 1942. Da kam offenbar durch ein Versehen ein Gesetzentwurf des Reichsluftfahrtministers in Umlauf, der den Vorschlag enthielt, die 15- und 16jährigen Schüler der oberen Schulen für den Dienst bei der Flugabwehr, den sogenannten Flakdienst, militärisch heranzuziehen. Auf diesen Brief habe ich, weil es mir eine willkommene Gelegenheit war, mich nun einmal zu der militärischen Lage zu äußern, in einem ausführlichen Schreiben geantwortet, welches ich an Göring geschickt habe.


DR. DIX: Vom 3. November?


SCHACHT: Es ist ein Schreiben vom 30. November, welches am 2. Dezember, glaube ich, durch meine Sekretärin persönlich an den Adjutanten von Göring im verschlossenen Kuvert überreicht wurde, mit der Bitte, es auch selber zu öffnen.


DR. DIX: Einen Moment, Dr. Schacht!


[Zum Gerichtshof gewandt:]


Dieses Schreiben ist unter 3700-PS von der Prosecution bereits eingereicht; es befindet sich aber auch in unserem Dokumentenbuch unter der Exhibit-Nummer 23; Seite 66 des englischen Textes und Seite 59 des deutschen Textes. Wenn uns die Zeit nicht so drängte, wäre es mir ein besonderer Genuß, dieses Schreiben in extenso hier vorzutragen. Es ist ein sehr schönes Schreiben, aber ich möchte auf die Zeit Rücksicht nehmen und bitte Sie nur, Dr. Schacht, ganz kurz zu seinem Inhalt Stellung zu nehmen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird den Brief lesen. Also ist es wohl nicht notwendig, ihn hier zu verlesen?

DR. DIX: Gut, ja also, dann darf er sich vor der Pause zu diesem Brief noch kurz äußern, oder wollten Sie nichts mehr sagen?


[588] SCHACHT: Ja. Ich möchte dabei noch sagen, wenn es erlaubt ist, daß dieser Brief nach meiner Kenntnis von dem amerikanischen Hauptanklagevertreter hier bereits verlesen worden ist.


DR. DIX: Verlesen?


SCHACHT: Oder erwähnt; wenigstens wurde er in den wichtigsten Punkten verlesen. Ich glaube, es genügt, wenn Sie den Brief dem Gericht als Beweisstück einreichen.


DR. DIX: Ja, das ist geschehen.

Und das war nun Ihre ganze Tätigkeit als Reichsminister ohne Portefeuille?


SCHACHT: Ja, damit endet es...


DR. DIX: Also kann man, wenn man Sie unter einer »headline« bezeichnen will, wirklich sagen: ein reiner Charakter-Major.


SCHACHT: Ich weiß nicht, was ein Charakter-Major ist. Jedenfalls war ich nie Major, aber habe immer Charakter besessen.


DR. DIX: Aber, Dr. Schacht, das ist eine historische Bemerkung über die Autorität, die Wilhelm der Erste als deutscher Kaiser machte, Bismarck gegenüber.


VORSITZENDER: Ich denke, jetzt ist es Zeit, eine Pause einzuschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. DIX: Nun, Dr. Schacht, wir sprachen von dem Brief vom 30. November 1942, an Göring. Hatte dieser Brief irgendwelche Folgen?

SCHACHT: Ja, dieser Brief hatte sehr erhebliche Folgen, und zwar die Folge, daß mir am 22. Januar endlich die ersehnte Entlassung aus meinem Amte eines nominellen Ministers ohne Portefeuille bewilligt wurde, allerdings mit einer Begründung, die nun weniger angenehm war. Ich glaube, das Schreiben ist bei den Akten des Gerichts bereits eingereicht. Es ist ein Begleitschreiben zu der offiziellen Entlassungsurkunde von Lammers.


DR. DIX: Ja, gut. Wir haben es ja zum Gegenstand der Vernehmung von Lammers gemacht.


SCHACHT: Ja. Ich möchte nur auf die Äußerung kommen, die sagt: »... mit Rücksicht auf Ihre Gesamthaltung im gegenwärtigen Schicksalskampf der deutschen Nation...« – das war also meine gesamte Einstellung.


DR. DIX: Meine Herren, das ist Nummer 26 des Dokumentenbuches. Es ist Seite 76 des englischen Textes und Seite 69 des deutschen Textes.


[Zum Zeugen gewandt:]


Fahren Sie fort, bitte.

[589] SCHACHT: Es war also meine Gesamthaltung in diesem Kriege, die zu meiner Entlassung führte; und die Entlassung enthielt ferner die Mitteilung, daß ich zunächst verabschiedet werden würde. Dieses »zunächst« hat nach Aussage des Zeugen Lammers, wie wir gehört haben, der Führer jedenfalls aus seiner Initiative heraus in das Schreiben eingefügt, und ich bin mir auch dieses Wortes sehr klar bewußt gewesen, als ich den Brief bekam. Ich bin zwei Tage darauf aus dem Preußischen Staatsrat, dem ich angehörte, ausgewiesen worden – übrigens eine Körperschaft, die seit mindestens acht Jahren nicht mehr zusammengetreten war –, jedenfalls, ich war nicht dabei. Oder seit sechs Jahren, das weiß ich nicht. Und zwar ist mir der Wortlaut dieses Bescheides von dem Vorsitzenden des Staatsrats, Hermann Göring, mitgeteilt worden und ist mir wegen seines beinahe amüsanten Inhalts sehr deutlich in Erinnerung geblieben. Er lautete: »Meine Antwort auf Ihren defaitistischen, die Widerstandskraft des deutschen Volkes untergrabenden Brief ist, daß ich Sie aus dem Preußischen Staatsrat ausweise.«

Ich sage amüsant deshalb, weil ein verschlossener Brief von mir an Göring ja unmöglich die Widerstandskraft des deutschen Volkes erschüttern konnte. Eine weitere Folge war, daß von dem Parteileiter Bormann die Rückgabe des Goldenen Partei-Ehrenzeichens verlangt wurde, was ich sofort getan habe. Im übrigen wurde ich in den nächsten Tagen von der Gestapo ganz besonders streng überwacht. Ich habe sofort meinen Berliner Wohnsitz aufgegeben, und zwar innerhalb von 24 Stunden, wobei mich die Gestapo-Spitzel den ganzen Tag zu Fuß und per Auto durch ganz Berlin verfolgt haben, und habe mich dann ganz still auf mein Landgut zurückgezogen.


DR. DIX: Da nun einmal in dem Trialbrief materielle und pekuniäre Beweggründe für Ihre Entschlüsse unterstellt werden, erscheint mir auch die Frage berechtigt und notwendig, wie es denn überhaupt mit Ihren Vermögens- und Einkommensverhältnissen seit 1933 gestanden hat. Ich bitte Sie, dabei in Ihrer Antwort mit zu berücksichtigen, daß es auffällt, daß Sie im Jahre 1942 ein erhöhtes Einkommen hatten.


SCHACHT: Es ist in der Presse vor einigen Monaten unter Billigung offenbar der Militärregierung eine Aufstellung erschienen über die Dotationen, die die deutschen Minister und Parteiführer erhalten haben, und im Zusammenhang damit über die Einkommens-und Vermögensverhältnisse. Darunter bin auch ich aufgeführt, zwar nicht unter den Dotationen, aber es ist ausgeführt, daß ich im Jahre 1942 ein ungewöhnlich hohes Einkommen gehabt habe. Diese Aufstellung ist unrichtig, weil nämlich die Ziffer eine Bruttoziffer ist und nicht berücksichtigt, daß von dieser Ziffer nachher die Kriegsgewinnsteuer abgegangen ist, die damals bei der Aufstellung noch [590] nicht feststand, so daß von der Summe, die dort angegeben ist, 80 Prozent ungefähr abgezogen werden müssen. Dann ist das Einkommen in keiner Weise irgendwie mehr auffällig.

Bezüglich meines Vermögensstandes ergibt sich auch aus dieser Aufstellung, daß der Vermögensstand in dem Vergleichsraum von zehn Jahren sich kaum verändert hat, und ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß in den letzten zwanzig Jahren mein Vermögen ungefähr immer gleich geblieben ist und sich nicht vermehrt hat.


DR. DIX: Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie aus eigener Initiative Ihr Gehalt als Reichsbankpräsident zu einer gewissen Zeit herabgesetzt?


SCHACHT: Als ich auf Vorschlag Hitlers vom Präsidenten Hindenburg März 1933 wieder zum Reichsbankpräsidenten ernannt wurde, stellte mir Hitler frei, mein Einkommen selber zu bemessen, Ich habe mein Einkommen damals auf weniger als 35 Prozent meines früheren Reichsbankeinkommens freiwillig herabgesetzt.


DR. DIX: Haben Sie jemals Geschenke oder Dotationen von Hitler erhalten, sei es in Geld, sei es in Sachwerten?


SCHACHT: Wie ich eben bereits erwähnt habe, habe ich nie irgendwelche Dotationen von Hitler erhalten. Er hätte wohl auch nie riskiert, mir eine solche anzubieten. Ein Geschenk habe ich in der Tat von Hitler erhalten, und zwar zu meinem 60. Geburtstage hat er mir ein Bild geschenkt, welches immerhin einen Wert von etwa 20.000 Mark haben dürfte; es war ein Ölgemälde von einem deutschen Maler, Spitzweg, hätte aber ungefähr einen Wert gehabt von 200.000 Mark, wenn es echt gewesen wäre. Ich habe das Bild, schon als es mir in das Zimmer gebracht wurde, als eine Fälschung erkannt, und es ist mir gelungen, nach drei Monaten etwa das Original des Bildes ausfindig zu machen. Ich habe einen Prozeß veranlaßt über die Echtheit des Bildes. Die Fälschung würde vor Gericht festgestellt.


VORSITZENDER: So etwas gehört nicht vor diesen Gerichtshof.


DR. DIX: Hat Ihnen Hitler jemals eine Uniform verliehen oder irgendeinen Orden oder militärischen Dienstgrad?


SCHACHT: Wenn der Gerichtshof es mir nicht übel nimmt, möchte ich noch feststellen, ich habe die Fälschung zurückgegeben und keinen Ersatz dafür bekommen, so daß ich keine Geschenke von Hitler erhalten habe.

Eine Uniform hat mir Hitler angeboten. Ich könnte jede Uniform bekommen, die ich mir wünschte, aber ich habe nur abwehrend die Hände erhoben und keine Uniform akzeptiert, auch keine Beamtenuniform, weil ich keine Uniform wünschte.

[591] DR. DIX: Nun zu etwas anderem. Wußten Sie etwas von den Konzentrationslagern?


SCHACHT: Gleich im Jahre 1933, als die Konzentrationslager von Göring eingerichtet wurden, habe ich gehört, und zwar mehrfach, daß politische Gegner und sonstige unbeliebte und unbequeme Leute in das Konzentrationslager abgeführt wurden. Ich habe mich über diese Freiheitsberaubung selbstverständlich damals sehr erregt und habe ständig verlangt, soweit ich dazu in Gesprächen in der Lage war, daß der Verhaftung und Abführung in das Konzentrationslager eine gerichtliche Klarstellung mit Verteidigung und dergleichen und entsprechendem Gerichtsverfahren folgen müsse. In diesem Sinne hat sich ja auch der Reichsinnenminister Dr. Frick damals in der ersten Zeit sehr energisch verwahrt. In der Folgezeit ist dann diese Art von Einsperrung und so weiter weniger öffentlich bekanntgeworden, und ich entnahm daraus, daß die Dinge langsam abebbten. Erst sehr viel später, also sagen wir in der zweiten Hälfte 1934 und 1935...


DR. DIX: Als Sie Gisevius kennenlernten, meinen Sie?


SCHACHT: Ja, als ich Gisevius kennenlernte, ist mir immer wieder gelegentlich gesagt worden, daß nicht nur die Freiheitsberaubung fortgesetzt wurde, sondern daß auch bei gewissen Gelegenheiten Mißhandlungen, also Prügeleien und dergleichen, stattfanden. Ich habe bereits hier vor Gericht ausgesagt, daß ich infolgedessen schon im Mai 1935 Gelegenheit genommen habe, persönlich Hitler auf diese Dinge aufmerksam zu machen, und daß ich ihm damals gesagt habe, ein solches System mache uns in der ganzen Welt verächtlich und müsse aufhören. Ich habe erwähnt, daß ich öffentlich auch gegen alle diese Dinge immer wieder aufgetreten bin, so oft sich eine Möglichkeit dazu ergab.

Aber von den schweren Mißhandlungen und den Untaten – Mord und dergleichen –, die später eingesetzt haben, habe ich nie etwas gehört. Wahrscheinlich weil erstens diese Dinge ja wohl erst eingesetzt haben nach dem Kriege, nach Kriegsbeginn, und weil ich ja schon von 1939 an sehr zurückgezogen gelebt habe. Ich habe von diesen Dingen, in dieser entsetzlichen Form noch dazu, hier erst im Gefängnis gehört. Ich habe allerdings schon in den Jahren 1938 und so weiter von Judendeportationen gehört; aber ich habe dabei, weil einzelne Fälle an mich herangebracht wurden, immer nur feststellen können, daß es sich um Deportationen nach Theresienstadt handelte, wo angeblich ein Sammellager für Juden sein sollte, wo die Juden untergebracht wurden, bis zu einem späteren Termin, wo dann das Judenproblem weiter behandelt werden sollte. Von irgendwelchen körperlichen Mißhandlungen oder gar Tötungen oder dergleichen habe ich nie etwas gehört.


[592] DR. DIX: Haben Sie sich einmal ein Konzentrationslager angesehen?


SCHACHT: Ich habe Gelegenheit gehabt, mehrere Konzentrationslager kennenzulernen, als ich am 23. Juli 1944 selber in ein Konzentrationslager geschleppt wurde. Vorher habe ich mir nie ein Konzentrationslager angesehen; aber danach habe ich nicht nur die normalen Konzentrationslager, sondern auch das Vernichtungslager Flossenbürg kennengelernt.


DR. DIX: Haben Sie nicht einmal in Flossenbürg den Besuch eines, wenn ich so sagen darf, Gesinnungsgenossen gehabt?


SCHACHT: Ich weiß von dieser Angelegenheit lediglich aus dem Brief, den dieser Herr an Sie oder hier an das Gericht, glaube ich, gerichtet hat, worin er diesen Besuch schildert, und ich kann nur aus eigener Wahrnehmung...


JUSTICE JACKSON: Ich halte es für unangebracht, den Inhalt eines Briefes einer nicht identifizierten Person bekanntzugeben. Ich habe dem Gerichtshof bereits gesagt, daß wir alle derartigen Briefe von nicht identifizierten Personen bekommen – und auch wenn er identifiziert wird, so ist es nicht im Beweisverfahren geschehen. Sicherlich bekommen die Mitglieder des Gerichtshofs viele solcher Briefe. Falls das als Beweismaterial angesehen wird, müßte die Anklagebehörde den Prozeß von neuem beginnen; denn ich habe Körbe voll solcher Briefe. Ich halte es im höchsten Maße für unpassend, sich solcher Mitteilungen zu bedienen und sie direkt als Beweismaterial vorzubringen, und halte es für noch unpassender, sie hier mündlich zu zitieren, ohne das Dokument selbst vorzulegen. Ich finde nicht, daß diese Art von Dokumenten einen Beweiswert hat und erhebe Einspruch dagegen.


DR. DIX: Ich bitte, sagen zu dürfen, daß ich nie etwas Improperes tun würde und auch nicht getan habe. Ich beabsichtige in keiner Weise, diesen Brief – es ist ein ganz harmloser scherzhafter Brief – dem Gerichtshof als Beweisdokument vorzulegen. Aber dieser Brief, der durchaus regulär an mich gekommen ist, hat Dr. Schacht und mir die Kenntnis davon gegeben, daß ein Mordplan gegen ihn in Flossenbürg bestand. Deshalb habe ich ja, auch den Zeugen Kaltenbrunner in dieser Angelegenheit befragt, und der einzige Grund, daß ich Dr. Schacht frage, ist, daß ich von ihm erwarte, daß er dem Gerichtshof nun mitteilt, daß tatsächlich nach dieser Mitteilung ein Mordbefehl gegen ihn damals bestanden hat. Diese Tatsache, nicht der Brief, ist nicht ganz ohne Bedeutung; denn wenn ein Regime einen Menschen umbringen will, so ist das mindestens ein Beweis dafür, daß es ihm gegenüber nicht ausgesprochen wohlgesinnt ist. Das ist der einzige Grund, warum ich bat, diesen Brief vorzulegen, und er steht natürlich Herrn Justice Jackson zur Verfügung. Es ist [593] wirklich ein ganz amüsanter, von einem einfachen Mann geschriebener Brief. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, diesen Brief als Beweisdokument vorzulegen. Wenn das Gericht Bedenken hat, die Sache zu hören, eine Sache, die ebenfalls behandelt wurde, als Kaltenbrunner verhört wurde, will ich gern davon absehen. Ich bin ganz erstaunt, daß dieser Angelegenheit eine solche Bedeutung beigemessen wird.


VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß der Brief nicht als Beweisdokument vorgelegt werden kann, und deshalb sollten Sie sich auch nicht darauf beziehen. Also, sprechen Sie nicht weiter darüber.


DR. DIX: Also, lassen wir das.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun waren Sie endlich entlassen. Was taten Sie nun?

SCHACHT: Ich habe nach dieser Zeit nichts anderes mehr getan, als daß ich meine Bemühungen um die Beseitigung Hitlers fortgesetzt habe. Das ist meine einzige politische Tätigkeit gewesen. Sonst habe ich auf meinem Hof gelebt.

DR. DIX: Traten Sie nicht dann im Frühjahr 1939 eine Reise an?


SCHACHT: Verzeihen Sie, Sie kommen zu der Entlassung als Reichsbankpräsident, ich dachte als Minister. Ich war jetzt eben im Jahr 1943.


DR. DIX: Nein, nein.


SCHACHT: Sie gehen zurück auf das Jahr 1939. Nach der Entlassung im Jahr 1939 erwähnte ich schon, daß Hitler mir nahegelegt hatte, eine längere Auslandsreise zu machen, und ich bin damals über die Schweiz, wo ich wieder meine Freunde gesehen habe, nach Indien gefahren.


DR. DIX: Haben Sie sich in Indien irgendwie politisch betätigt?


SCHACHT: Ich bin in Indien lediglich als Tourist gereist, habt mich politisch nicht betätigt, bin aber selbstverständlich bei mehrerer Gouverneuren und auch beim Vizekönig drei Tage gewesen, zu Gast in seinem Hause in Simla.

DR. DIX: Haben Sie nicht in Rangun politische Verbindung mit chinesischen Staatsmännern gehabt?


SCHACHT: Ich habe, als ich in Burma war, anschließend an Indien, in Rangun den Besuch eines chinesischen Freundes erhalten der mich früher schon in Berlin gelegentlich aufgesucht hatte, und der von seiner Regierung beauftragt war, sich mit mir über die Lage Chinas zu unterhalten.


DR. DIX: Das ist das China Tschiang-Kai-Scheks?


[594] SCHACHT: Das China Tschiang-Kai-Scheks, welches ja bereits mit Japan zu jener Zeit im Kriege war. Das andere China existierte damals noch nicht, und dieser Herr bat mich im Auftrage von Tschiang-Kai-Schek und des chinesischen Kabinetts...


JUSTICE JACKSON: Ich sehe nicht ein, warum diese Sache irgendwie erheblich sein soll. Erstens haben wir sie schon einmal gehört, und zweitens ist sie außerdem noch ohne jegliche Bedeutung für diesen Fall. Schacht ist nicht angeklagt, irgend etwas in China getan zu haben, und wir sind uns darüber einig, daß er während der ganzen Zeit, die er in China gewesen ist, so rein war wie der Schnee. Wir haben nicht das geringste damit zu tun; es ist nur zeitraubend, ohne uns weiter zu helfen, und hält uns von den wirklichen Beschuldigungen in diesem Fall ab.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof versteht sehr gut, wenn Sie sagen, es sei unerheblich. Warum finden Sie, daß es doch erheblich ist?


DR. DIX: Ich bedaure, daß Mr. Jackson und ich uns zu wenig verstehen. Die Sache ist erheblich, und zwar in folgendem Zusammenhang: In dieser Bekundung und auch in einer verlesenen eidesstattlichen Erklärung...


VORSITZENDER: Ich glaube, Dr. Dix, wir haben es nun schon dreimal gehört, daß der Angeklagte Schacht in Indien war, dreimal schon hat er in seiner Aussage darüber gesprochen, daß er nach Indien und China gereist ist. Inwiefern ist das von Wichtigkeit?


DR. DIX: Ich spreche nicht von der Indienreise. Sie mußte nur kurz erwähnt werden wegen des zeitlichen Zusammenhanges. Ich habe die Frage gestellt, nach den Verhandlungen Schachts in Rangun mit dem Abgesandten Tschiang-Kai-Scheks und mit Chinesen, und das war auch der Punkt, wo Mr. Justice Jackson seine Einwände erhob. Diese Tatsache der freundschaftlichen Beziehungen zu der Regierung Tschiang-Kai-Scheks und ihre Unterstützung, das ist erheblich, und zwar aus dem gleichen Grunde, aus dem ich Wert darauf gelegt habe, daß hier zutage trat, daß auch gegenüber der Union der Sowjet-Republiken Schacht in den Jahren, wo Hitler einen politischen Feldzug gegen die Union führte, eine prosowjetische Politik in seiner Wirtschaftspolitik verfolgte. Und hier haben wir den zweiten Fall, daß er Beziehungen fordert, die der Hitlerschen Politik entgegengesetzt sind, nämlich für Tschiang-Kai-Schek und damit gegen den Verbündeten Hitlers, nämlich Japan. In diesem Zusammenhang sind diese Verhandlungen mit den Chinesen von Bedeutung. Sie nehmen auch höchstens eine Minute Zeit weg, sie sollten auch nur nebenbei erwähnt werden.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß, wenn Sie seine Beziehungen zu China für wichtig halten, Sie es in einem Satz ausdrücken können.


[595] DR. DIX: Dieser Meinung bin ich auch.


SCHACHT: Ich werde es in einen Satz fassen:

Ich habe in einem schriftlichen Memorandum der Regierung Tschiang-Kai-Scheks geraten, gegen Japan durchzuhalten mit der Begründung, daß die wirtschaftlichen Kräfte Chinas länger durchhalten würden als die wirtschaftlichen Kräfte Japans und habe Tschiang-Kai-Schek geraten, sich in seiner Außenpolitik in allererster Linie auf die Vereinigten Staaten von Amerika zu stützen.


DR. DIX: Als Sie nun von Indien zurückkamen, also wohl im August 1939, fanden Sie doch für einen Rückkehrer eine recht gespannte Lage vor. Haben Sie nun nicht Fühlung mit dem Reichskabinett oder mit Hitler gesucht, um diese Lage zu besprechen?


SCHACHT: Ich fand selbstverständlich eine sehr gespannte Lage vor, gegenüber Polen, und habe meine Rückkehr zum Anlaß genommen, um in einem Brief an Hitler, einem Brief an Göring und einem Brief an Ribbentrop, also an die drei leitenden Männer, mitzuteilen, daß ich von Indien zurück sei, mit dem Anheimstellen und dem Erwarten, daß nun wenigstens einer von ihnen mich zu einem Bericht auffordern würde über das, was ich erlebt hatte, und dann hätte ich ja Gelegenheit gehabt, wieder einmal mit den leitenden Herren zu sprechen. Zu meiner größten Überraschung habe ich von Hitler überhaupt keine Antwort bekommen, von Göring überhaupt keine Antwort bekommen, und Herr von Ribbentrop antwortete mir, daß er von meiner Mitteilung Kenntnis genommen hätte. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich umzuhören, wie die Dinge eigentlich mit Polen standen, und ich habe ja dann, als die Dinge sich zuspitzten, den bekannten Schritt unternommen, der hier von Herrn Gisevius schon erzählt worden ist, den Versuch, in das Hauptquartier zu kommen.


DR. DIX: Das brauchen wir nicht zu wiederholen. Die einzige Frage, die für mich offen bleibt ist die, daß ich Sie fragen möchte, was wollten Sie denn den Generalen, insbesondere dem General von Brauchitsch, in diesem letzten Moment sagen?


SCHACHT: Daß er eine Chance hätte, noch den Krieg zu verhindern. Ich wußte ganz genau, daß mit bloßen wirtschaftspolitischen und allgemein-politischen Äußerungen bei Herrn von Brauchitsch natürlich nichts ausgerichtet werden könne, weil er sich da sicherlich auf die Führung Hitlers berufen hätte. Ich wollte ihm infolgedessen ganz etwas anderes sagen, und das ist meines Erachtens von entscheidendster Bedeutung. Ich wollte ihn daran erinnern, daß er einen Eid auf die Weimarer Verfassung geleistet hätte, ich wollte ihn daran erinnern, daß das Ermächtigungsgesetz nicht Hitler sondern dem Reichskabinett übergeben war. Ich wollte ihn daran erinnern, daß in der Weimarer Verfassung ein Artikel sich befand[596] und befindet, der niemals aufgehoben worden ist, wonach ein Krieg nicht ohne vorherige Billigung des Reichstags erklärt werden darf. Ich war überzeugt, daß Brauchitsch mir seinen Eid an Hitler gegenübergestellt hätte, und ich würde ihm gesagt haben: »Diesen Eid habe auch ich geleistet; Sie haben keinen anderen Eid geleistet außer Ihrem militärischen vielleicht, aber dieser Eid hat den Eid gegenüber der Reichsverfassung von Weimar in keiner Weise ungültig gemacht, sondern prevalierend ist der Eid auf die Weimarer Verfassung. Sie haben also die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß diese ganze Frage, ob Krieg oder nicht Krieg, vor das Reichskabinett kommt, dort beraten wird und, wenn das Reichskabinett beschlossen bat, wird die Angelegenheit vor den Reichstag kommen.« Wenn diese beiden Dinge erfüllt worden wären, so bin ich der testen Überzeugung, daß es nicht zum Kriege gekommen wäre.


DR. DIX: Sie kamen an Brauchitsch überhaupt nicht heran. Wir wollen keine Wiederholungen machen in der Schilderung dieser ganzen Aktion oder Versuche in der Bendlerstraße und so fort. Haben Sie dann der Darstellung von Gisevius irgend etwas hinzuzufügen oder irgend etwas abzuändern?


SCHACHT: Ich kann die Darstellung von Gisevius nur in jedem einzelnen Punkt als korrekt bestätigen und möchte meinerseits nur hinzufügen, daß Canaris unter vielen Gründen, die uns von dem Besuch dann zurückhielten, auch den angab, daß uns Brauchitsch wahrscheinlich sofort verhaften lassen würde, wenn wir etwas gegen den Krieg bei ihm vorbringen würden oder ihn davon abhalten wollten, seinen Eid gegenüber Hitler zu erfüllen; aber den Hauptgrund, warum der Besuch nicht zustande kam, den hat Gisevius ja ganz richtig abgegeben. Übrigens gibt ihn auch der General Thomas in seinem Affidavit an, das wir ja noch einreichen werden. Der Hauptgrund war: der Krieg ist abgeblasen, und daraufhin bin ich in einer geschäftlichen Angelegenheit nach München gefahren und in München bin ich von der Kriegserklärung an Polen beziehungsweise von dem Einfall nach Polen überrascht worden.


DR. DIX: Sie haben vorhin den Reichstag erwähnt. Es hat tatsächlich, wenn auch nicht vor dem Krieg und vor der Kriegserklärung, aber unmittelbar danach, eine Reichstagssitzung stattgefunden. Sie waren ja damals noch Minister ohne Portefeuille.

Sie hätten also normalerweise auf der Ministerbank in dieser Sitzung Platz nehmen müssen.

Waren Sie in dieser Sitzung?


SCHACHT: Ich habe an dieser Sitzung gar nicht teilgenommen und möchte hier gleich hinzufügen, daß ich während des ganzen Krieges nur an einer einzigen Reichstagssitzung teilgenommen habe, [597] was ich nicht vermeiden konnte im Zusammenhang mit den Dingen, die ich schon gestern hier erwähnt habe; das war nach der Rückkehr Hitlers aus Paris. An dieser, an den Empfang auf dem Bahnhof sich anschließenden Reichstagssitzung mußte ich teilnehmen, weil, wie gesagt, es sonst ein allzu sichtbarer Affront gewesen wäre. Es war die Sitzung, in der politische Dinge überhaupt nicht behandelt wurden, sondern die Feldmarschalltitel dutzendweise verliehen wurden.

DR. DIX: Nun, dieser eben erwähnte letzte Kriegsverhinderungsversuch über Canaris führt uns nun zu dem besonderen Kapitel Ihrer Putschversuche, Hitler und seine Regierung zu stürzen. Wir wollen uns zum Grundsatz machen, möglichst nicht zu wiederholen, was der Zeuge Gisevius bereits bekundet hat, sondern nur zu ergänzen, beziehungsweise richtigzustellen, beziehungsweise Ihre eigene Erinnerung kundzutun. Bevor ich aber in dies Kapitel eintrete, darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, durch Mitteilungen oder sonstige Anhaltspunkte, daß Ihre und Ihrer Gesinnungsgenossen oppositionelle Haltung, Ihre oppositionellen Ziele, in maßgebenden Kreisen des Auslandes bekannt waren?


SCHACHT: Ich will mich nicht wiederholen, sondern nur darauf hinweisen, daß ich schon wiederholt hier ausgesagt habe, daß ich mich mit ausländischen Freunden ständig über die Lage in Deutschland und damit auch über meine persönliche Lage unterhalten habe, und zwar nicht nur mit Amerikanern, Engländern, Franzosen, sondern auch mit Neutralen. Ich möchte noch eines hinzufügen: Die ausländischen Radiosender sind gar nicht müde geworden, ständig von der Opposition Schachts gegen Hitler zu sprechen, so daß meine Freunde und meine Familie jedesmal einen Schreck bekamen, wenn etwas Derartiges wieder in Deutschland laut wurde.

DR. DIX: Wann beginnen nun Ihre Versuche, gegen die Hitler-Regierung zu putschen?


SCHACHT: Ich habe schon im Jahre 1937 versucht festzustellen, auf welche Gruppen man sich in Deutschland bei einem Versuch, das Hitler-Regime zu beseitigen, stützen könnte. Ich habe leider in den Jahren 1935, 1936 und 1937 die Erfahrung gemacht, daß alle jene Kreise, auf die ich gehofft hatte, versagten. Das war die Wissenschaft, das gebildete Bürgertum, die Führer der Wirtschaft.

Ich brauche nur zu erwähnen, daß die Wissenschaft sich widerstandslos die unsinnigsten nationalsozialistischen Vorträge halten ließ, ohne dagegen zu opponieren. Ich erinnere daran, daß die Führer der Wirtschaft, als sie sahen, daß ich in der Wirtschaft nichts mehr bedeutete, sich in die Vorzimmer von Göring drängten und aus meinen Vorzimmern verschwanden. Kurz, auf diese Kreise war kein Verlaß. Es war infolgedessen nur Verlaß auf die Generale, auf [598] das Militär; nach meiner damaligen Auffassung dieses auch aus dem Grunde, weil man sicherlich damit rechnen mußte, auch in der Prätorianergarde der SS einen bewaffneten Widerstand zu finden.

Infolgedessen habe ich, wie hier berichtet worden ist – und ich will gar nicht weiter darauf eingehen –, zunächst mit Generalen wie Kluge beispielsweise, Fühlung gesucht, nur um einmal festzustellen, ob innerhalb des Militärs sich Leute befanden, mit denen man offen sprechen konnte. Und dieser erste Anlaß hat mich zu den verschiedensten Generalen geführt, mit denen ich im Laufe der Zeit Fühlung aufgenommen habe.


DR. DIX: Das war also im Jahre 1937. Nun kommen wir zu 1938, immer mit der Einschränkung, was Gisevius schon gesagt hat; nur Hinweis und Bestätigung; und im übrigen waren Sie irgendwie an den Verhandlungen in Godesberg oder München direkt oder indirekt beteiligt?


SCHACHT: In keiner Weise.


DR. DIX: Also, jetzt gehen wir mit Ihrer politischen Arbeit, putschistischen Arbeit, weiter. Ist dafür die Stellungnahme Gisevius' zum Jahre 1938 richtig, oder ist hier etwas hinzuzufügen?


SCHACHT: Die Darstellung Gisevius' ist vollständig und zuverlässig.


DR. DIX: Das gilt auch hinsichtlich des Staatsstreichversuchs vom Spätsommer 1938?


SCHACHT: Jawohl.


DR. DIX: Nun kam der Krieg. Legten Sie nun nach dem Krieg die Hände in den Schoß?


SCHACHT: Nein, ich habe den ganzen Krieg hindurch jeden General bekniet, dessen ich habhaft werden konnte, und zwar mit den gleichen Argumenten, die ich eben für eine eventuelle Unterhaltung mit Brauchitsch hier angegeben habe. Es ist also nicht bei der Theorie geblieben, sondern ich habe mit all diesen Generalen gesprochen.


DR. DIX: Spielt da nicht auch ein Besuch bei General Hoeppner eine Rolle?


SCHACHT: Ich habe im Jahre 1941 versucht, mit General Hoeppner nicht nur Fühlung aufzunehmen, sondern in einer ganzen Reihe von Unterhaltungen versucht, ihn zur Aktion zu bringen. Hoeppner war auch absolut willig und bereit und ist ja dann leider auch im Verfolg des 20. Juli 1944 ums Leben gekommen.

Im Jahre 1942 – das ist bisher hier nicht mitgeteilt worden, weil Gisevius daran nicht beteiligt war – habe ich dann nochmals versucht, den General von Witzleben aufs neue mobil zu machen, [599] und zwar ist das geschehen, indem ich extra nach Frankfurt am Main gefahren bin, wo er damals amtlich domizilierte. Und Herr von Witzleben erwies sich nach wie vor als durchaus entschlossen, zu handeln sagte mir aber, er könne das natürlich erst tun, wenn er wieder ein Frontkommando bekäme. Dann habe ich...

DR. DIX: In Frankfurt war damals Frau Strünck, die in diese Sachen eingeweiht war?


SCHACHT: Sie war hierin eingeweiht und kann das bestätigen.


DR. DIX: Ich darf hier vielleicht dem Gericht sagen: Frau Strünck war mir als Zeugin bewilligt und auch da. Ich habe mich jedoch entschlossen, zur Zeitersparnis, auf diese Zeugin zu verzichten, denn sie könnte nur kumulativ das aussagen, was Gisevius ausgesagt hat und ich glaube, das ist nicht nötig. Das einzige, was sie neu zusätzlich sagen könnte, ist das, was jetzt Schacht bekundet, nämlich diese Reise, Sonderreise nach Frankfurt zu Witzleben. Aber nach der Lebenserfahrung des Gerichts wird das Gericht sich selbst sagen daß eine solche über Jahre sich hinstreckende Putschbewegung wie jede Putschbewegung viele Reisen in sich birgt und daß es bezüglich dieser Reise wirklich nicht wichtig ist, einen besonderen Beweis anzutreten. Ich habe mich also aus Zeitersparnisgründen entschlossen auf das Zeugnis von Frau Strünck zu verzichten. Entschuldigen Sie ich wollte das hier nur sagen. Dann kommt die nächste...


SCHACHT: Darf ich nun noch etwas sagen, daß ich bei der Unterhaltungen, von denen Gisevius hier gesprochen hat, mit der anderen Generalen, also der Gruppe Beck, Fromm, Olbricht und so weiter, daß ich selbstverständlich überall beteiligt war. Diese Dinge sind längere Zeit nicht zum Zuge gekommen wegen der ausländischer Verhandlungen, auf die die Generale immer warteten. Ich glaube auch hierüber ist hier genügend gesprochen worden, so daß ich daß nicht weiter zu berichten brauche. Ich komme dann allerdings zu einem letzten Punkt, der aus den Ausführungen von Gisevius nicht hervorgeht, wofür aber hier ein Affidavit von Oberst Gronau vorgelegt werden wird; ich kann es aber ganz kurz erwähnen, zum Zeitersparen. Ich war selbstverständlich mit der Gruppe Beck, Goerdeler, meinem Freund Strünck, Gisevius und so weiter in der Angelegenheit des 20. Juli vollständig informiert und eingeweiht; ich habe aber immer – und ich glaube, das beruhte auf Gegenseitigkeit –, wir haben uns immer gegenseitig möglichst nur das erzählt, was der andere unbedingt wissen mußte, um den anderen nicht in Verlegenheit zu bringen für den Fall, daß er einmal der Tortur der Gestapo unterworfen werden könnte. Und so habe ich neben der Berührung mit Beck, Goerdeler, Gisevius und Strünck und so weiter – habe ich eine zweite Verbindung zu den Generalen gehabt, die an der Spitze dieses Putsches standen. Das war General [600] der Artillerie Lindemann, einer der Hauptbeteiligten am Putsch, der dann auch leider später geendet hat.


DR. DIX: Es ist vielleicht richtig, und es ist auch verständlicher, wenn ich hierzu kurz über Ihre Beteiligung am 20. Juli... wenn ich den Teil der eidesstattlichen Erklärung des Oberst Gronau verlese, der sich auf Lindemann bezieht.


[Zum Gerichtshof gewandt:]


Es ist Beweisstück Nummer 39 unseres Dokumentenbuches, Seite 168 des deutschen Textes, Seite 176 des englischen Textes. Ich lasse den ersten Teil der eidesstattlichen Versicherung bei der Verlesung aus, bitte nur von ihm amtlich Kenntnis zu nehmen, weil er im wesentlichen nur bereits Bekundetes enthält, und verlese nur den Teil, der sich mit dem 20. Juli beschäftigt. Er beginnt auf der englischen Seite 178, deutscher Text Seite 170, bei Frage 5:

»Frage 5: Sie haben Schacht mit dem General Lindemann zusammengebracht; wann war das?

Antwort 5: Im Herbst 1943 sah ich nach Jahren den General Lindemann, meinen früheren Schul- und Regimentskameraden wieder. Im Zusammenhang politischer Gespräche erzählte ich, daß ich Schacht gut kenne, und General Lindemann bat, ihm vorgestellt zu werden, worauf ich die Verbindung herstellte.

Frage 6: Was erwartete Lindemann von Schacht, und wie verhielt sich Schacht gegen ihn?

Antwort 6: Die Aufnahme der politischen Beziehungen zum Auslande nach geglücktem Attentat. Er sagte seine spätere Mitarbeit zu. Anfangs 1944 machte Lindemann schwere Vorwürfe, daß die Generale« – das soll heißen: »machte er Lindemann schwere Vorwürfe« – das ist hier falsch abgeschrieben –, »daß die Generale so lange zögerten, das Attentat müsse vor der Landung der Alliierten geschehen.

Frage 7: War Lindemann in den Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 verwickelt?

Antwort 7: Ja, als einer der Hauptmitspieler.

Frage 8: Teilte er Schacht Einzelheiten über den Plan mit?

Antwort 8: Nichts über die Technik des Attentats, wohl aber über das, was nachher geschehen sollte.

Frage 9: Billigte Schacht den Plan?

Antwort 9: Ja.

Frage 10: Stellte sich Schacht den Militärs für den Fall des Gelingens des Attentats zur Verfügung?

Antwort 10: Ja.

Frage 11: Sind Sie nach dem 20. Juli verhaftet gewesen?

Antwort 11: Ja.

[601] Frage 12: Wie sind Sie durch die Haft hindurchgekommen?

Antwort 12: Durch standhaftes Ableugnen der Mittäterschaft.«

Wir sind nun vom Jahre 1941/42 in logischer Folge, wegen der Darstellung der Putsche, in das Jahr 1944 geraten. Es ließ sich nicht vermeiden. Wir müssen aber jetzt noch einmal zurückkehren in das Jahr 1941. Sie erwähnten schon am Rande die Bemühungen im Ausland. Im Jahre 1941 waren Sie in der Schweiz. Haben Sie da irgendwelche Bemühungen in dieser Richtung angestellt?

SCHACHT: Ich habe mich jedesmal, wenn ich im Ausland war, mit ausländischen Freunden ausgesprochen, immer wieder gesucht nach irgendeinem Weg, daß man den Krieg abkürze und irgendeine Vermittlung mobilmache.

DR. DIX: Da spielt nun der Fraser-Brief eine Rolle. Ich glaube, der Vorgang mit dem Fraser-Brief, seine Schmugglung nach der Schweiz, wurde vom Zeugen Gisevius genügsam bekundet. Ich habe zweimal Gelegenheit gehabt, einmal bei der Diskussion über die Übersetzung und einmal bei der Diskussion über die Zulassung als Beweismittel vor dem Gericht, kurz den Inhalt wiederzugeben. Ich glaube, daß ich es nicht hier zu tun brauche und ihn auch nicht zu verlesen brauche. Ich möchte ihn nur überreichen, es ist Exhibit Nummer 31, Seite 84 des deutschen Textes, Seite 91 des englischer Textes. Genau so – um das vorweg zu nehmen, wir werden das auch gleich besprechen – verhält es sich mit dem Artikel, der in diesem Jahre in den »Basler Nachrichten« erschienen ist, über eine Unterhaltung, die ein Amerikaner kürzlich mit Schacht gehabt hat Auch dies will ich nicht verlesen. Ich habe den wesentlichen Inhalt ja auch schon angegeben. Ich überreiche ihn als Exhibit Nummer 32 Seite 90 des deutschen Textes und Seite 99 des englischen Textes. Ich darf darauf hinweisen, daß dieser Artikel bereits zum Gegenstand von Vorhaltungen gemacht worden ist, und zwar in der Cross-Examination Gisevius, und zwar von dem Herrn Vertreter der Sowjetischen Anklagebehörde.


GENERAL RUDENKO: Ich möchte gegen das Dokument Nummer 32 Einspruch erheben. Dieser Artikel der »Basler Nachrichten« über Dr. Schacht und sein Denken stellt das Gespräch eines unbekannten Verfassers mit einem unbekannten Wirtschaftler dar. Dieses Gespräch wurde am 14. Januar 1946 veröffentlicht, das heißt, als der gegenwärtige Prozeß bereits im Gange war. Ich glaube, daß dieser Artikel nicht als Beweisstück im Falle Schacht vorgelegt werden darf.


DR. DIX: Ich kann darauf... Darf ich vor Beschlußfassung des Gerichts etwas kurz sagen?


VORSITZENDER: Ja, gewiß.


[602] DR. DIX: Der Artikel ist mir bereits als Beweisdokument bewilligt. Wir haben darüber diskutiert, und das Gericht hat den Artikel als Beweisstück genehmigt. Das Gericht kann natürlich den Beschluß wieder auf heben. Ich meine, es würde für mich...


VORSITZENDER: Ich glaube, daß der Gerichtshof es immer klargemacht hat, daß die Zulassung dieses Dokuments nur bedingt ist, und daß der Gerichtshof, erst wenn das Dokument tatsächlich als Beweisstück vorgelegt wird, über seine Erheblichkeit oder Zulässigkeit entscheidet.


DR. DIX: Ganz zweifelsfrei. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß wir uns über die Frage schon einmal unterhalten haben. Selbstverständlich kann das Gericht es heute zurückweisen. Ich werde über...


VORSITZENDER: Die Genehmigung ist nur bedingt. Hier handelt es sich nicht um ein Rückgängigmachen früherer Entscheidungen des Gerichtshofs, sondern, da die vorangegangene Entscheidung nur provisorisch war, handelt es sich jetzt darum, zu entscheiden, ob das Dokument zugelassen wird oder nicht.


DR. DIX: Ich bin mir ganz klar darüber, Euer Lordschaft. Ich bin nur über die Einwendung der Sowjetischen Anklagevertretung insofern erstaunt, als ja der Herr Vertreter der Sowjet-Delegation selbst in der Cross-Examination durch Vorhalt an den Zeugen Gisevius auf diesen Artikel Bezug genommen hat. Er hat ihn zwar nicht dem Gericht überreicht, aber er hat in seinem Vorhalten an den Zeugen Gisevius darauf Bezug genommen. Wenn das Gericht die geringsten Bedenken hat, diesen Artikel als Dokument zuzulassen, als Beweismittel, so bitte ich davon abzusehen. Ich werde dann – ich glaube, das darf ich – den Zeugen Schacht nur fragen, ob es richtig ist, daß er im Jahre 1941 mit einem Amerikaner, welcher nationalökonomischer Professor war, eine Unterhaltung über Friedensmöglichkeiten gehabt hat. Also ich stelle anheim. Es ist für mich keine... Ich dachte, es wäre einfacher, ich überreiche den Artikel.


VORSITZENDER: General Rudenko! Da Sie den Einwand gegen dieses Dokument erhoben haben: was haben Sie zu dem, was Herr Dr. Dix soeben angeführt hat, nämlich, daß Sie das Dokument in Ihrem Kreuzverhör verwendet haben, zu sagen?


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Wir haben dieses Dokument im Kreuzverhör des Zeugen Gisevius nicht verwendet. Wir haben nur eine Aufklärungstrage über diesen Artikel gestellt, um Klarheit über diese Frage zu erlangen. Ich betone ausdrücklich...


VORSITZENDER: Wiederholen Sie das bitte, ich habe Sie nicht verstanden.


[603] GENERAL RUDENKO: Ich sage, daß wir dieses Dokument während des Kreuzverhörs des Zeugen Gisevius nicht verwendet haben. Wir haben nur eine Aufklärungsfrage darüber gestellt, um, falls Dr. Dix das Dokument vorlegen sollte, gegen dieses wegen Mangel an Beweiskraft Einspruch erheben zu können. Ich besonders...


VORSITZENDER: Haben Sie aber nicht den Inhalt des Dokuments Gisevius vorgelegt? Ich erinnere mich nicht daran. Was ich wissen möchte, ist, ob Sie nicht den Inhalt des Dokuments vorgelegt haben.


GENERAL RUDENKO: Nein, wir haben den Inhalt nicht vorgelegt und haben auch nicht über den wesentlichen Teil des Dokuments gesprochen. Wir haben lediglich eine Frage gestellt: ob der Zeuge Gisevius von dem Artikel in den »Basler Nachrichten« vom 14. Januar 1946 wußte. Das war die Frage, und der Zeuge antwortete mit Ja, daß er ihm bekannt wäre.


DR. DIX: Darf ich noch eins sagen. Ich habe die Empfindung, daß die Sowjetische Anklagevertretung nicht gern sieht, daß dieser Artikel als Beweisdokument überreicht wird. Ich ziehe deshalb diesen Artikel als Beweisdokument zurück, und ich sehe allen Anlaß, der Sowjet-Delegation, wenn ich keine pflichtgemäßen Gegengründe, sachlichen Gegengründe habe, den Wunsch zu erfüllen und bitte, die Frage als erledigt zu betrachten. Darf ich meine Frage stellen?


[Zum Zeugen gewandt:]


Also, Sie haben in der Schweiz Gespräche geführt?

SCHACHT: Ja.

DR. DIX: Welchen Inhalts, in großen Zügen, und zwar mit wem?


SCHACHT: Dieser Artikel, von dem eben die Rede ist...


JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof, darf ich zunächst einen Einwand erheben? Der Grund, weshalb ich mich nicht dem sowjetischen Einwand gegen dieses Dokument angeschlossen habe, war, daß ich wissen wollte, wer dieser Nationalökonom ist. Ich möchte die Angelegenheit überprüfen.

Mit diesem Dokument sind einige recht eigenartige Umstände verknüpft, und ich erhebe Einspruch gegen die ausführliche Wiedergabe eines Gespräches mit einem unbekannten Volkswirtschaftler. Was ich verlange, ist, daß er Zeit, Ort und Namen der Person angibt, mit der er dieses Gespräch hatte, damit wir nachprüfen können, warum er diese Anstrengungen gemacht hat, dem Gerichtshof etwas vorlegen zu können, das erst 1946 bekannt wurde.


DR. DIX: Die Frage erhält eine Bedeutung, die ihrer relativen Unbedeutendheit wahrlich nicht zukommt. Ich verzichte auch auf diese Frage.

[604] Wollen Sie jetzt nichts über Ihre Unterhaltung mit diesem Professor bekunden. Und ich darf es der Prosecution überlassen, in der Cross-Examination die Frage, die Jackson eben anschnitt, ihrerseits zu stellen. Tant de bruit pour une omelette. Also Ihre Gespräche in der Schweiz, mit Ausnahme des unbekannten Professors.


SCHACHT: Ja, ich habe mich immer wieder bemüht, nicht wahr, den Krieg abzukürzen und irgendeine Vermittlung, die ich immer besonders beim amerikanischen Präsidenten gesucht habe, herbeizuführen. Das ist alles, was ich hier sagen kann. Ich glaube nicht, in Details gehen zu müssen.


DR. DIX: Gut, haben Sie nun schriftlich in den Briefen an Ribbentrop und Göring – Hitler haben Sie schon erwähnt – oder sonst während des Krieges schriftlich zur Kriegspolitik irgendeinmal Stellung genommen? Erstens, Hitler gegenüber.


SCHACHT: Ich habe meine Unterhaltung aus dem Februar 1940 mit Hitler erwähnt. Ich habe im Sommer 1941 einen ausführlichen Brief geschrieben an Hitler, den hier der Zeuge Lammers als bekannt zugegeben hat. Er wurde über den Inhalt dieses Briefes hier, glaube ich, nicht gefragt oder durfte sich nicht darüber äußern. Wenn ich das nachholen darf, ich habe in diesem Brief darauf hingewiesen, so ungefähr, ich wähle die direkte Sprache: »Sie befinden sich augenblicklich auf dem Höhepunkt Ihrer Erfolge« – es war dies nach den ersten Russensiegen –, »der Gegner hält Sie für stärker, als Sie wirklich sind. Die Bundesgenossenschaft Italiens ist eine sehr bedenkliche, weil Mussolini eines Tages fallen wird und damit Italien ausfallen wird. Ob Japan Ihnen überhaupt noch zu Hilfe kommen kann, ist bei der Schwäche Japans gegenüber Amerika zweifelhaft. Ich nehme an, daß die Japaner nicht so unsinnig sein werden, Amerika mit Krieg zu überziehen. Die Produktionskraft an Stahl, beispielsweise, beträgt bei ungefähr gleicher Bevölkerungszahl ein Zehntel der amerikanischen Produktion. Ich glaube also nicht, daß Japan in den Krieg eintreten wird. Ich empfehle Ihnen jetzt, unter allen Umständen die Außenpolitik um 180 Grad zu drehen und einen Friedensschluß mit allen Mitteln zu suchen.«


DR. DIX: Haben Sie Ribbentrop gegenüber während des Krieges Stellung genommen?


SCHACHT: Ich weiß nicht, wann es gewesen ist. Herr von Ribbentrop hat mir einmal durch seinen Staatssekretär, Herrn von Weizsäcker, Vorhaltungen machen lassen, ich möge mich nicht in defaitistischen Äußerungen ergehen. Das kann im Jahre 1940, kann auch 1941 gewesen sein, in einem dieser beiden Jahre. Ich habe gefragt, wo ich denn defaitistische Äußerungen gemacht hätte, und es stellte sich heraus, daß ich meinem Ministerkollegen Funk gegenüber ausführlich begründet hätte, daß Deutschland diesen Krieg niemals gewinnen könne, eine Überzeugung, die ich vorher und während des [605] Krieges unverändert in jedem Augenblick, auch nach der Niederlage von Frankreich, unverändert gehabt habe. Ich habe dann Ribbentrop durch seinen Staatssekretär erwidern lassen, daß ich mich als Minister ohne Portefeuille für verpflichtet fühlte, meine Ansicht meinem Ministerkollegen so zu sagen, wie ich sie auffaßte, und hielt in dem geschriebenen Brief die Meinung aufrecht, daß Deutschlands Wirtschaftskraft nicht für diesen Krieg ausreiche. Die Kopie dieses Briefes, also ein Exemplar dieses Briefes, hat sowohl der Minister Funk bekommen als auch der Minister Ribbentrop über seinen Staatssekretär.


DR. DIX: Ich glaube, Euer Lordschaft, das wäre der richtige Zeitpunkt...


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12, S. 576-607.
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