Vormittagssitzung.

[454] FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Präsident! Ich fahre fort, meine Dokumente zum Seekrieg vorzulegen. Mein nächstes Dokument ist abgedruckt auf Seite 149 des Urkundenbuches 3. Es ist eine Erklärung des Britischen Ersten Lords der Admiralität vom 26. September 1939 über die Bewaffnung der britischen Handelsflotte. Er kündigt in dieser Erklärung an, daß binnen kurzer Zeit die gesamte britische Handelsflotte bewaffnet sein wird. Er spricht dann noch über die Ausbildung der Besatzungen und dankt am Schluß seinen Vorgängern für die Sorgfalt, mit der sie diese Arbeiten vor Beginn des Krieges vorbereitet haben.

Ich überreiche das Dokument Dönitz 60. Dönitz 60 ist eine große Sammlung von Urkunden zum Seekriegsrecht. Sie enthält insgesamt 550 Urkunden. Ich habe entsprechend dem Wunsche des Herrn Präsidenten die späteren Urkunden mit besonderen Exhibit-Nummern versehen.

Ich komme jetzt zu einigen Dokumenten, die sich befassen mit der Behandlung von Schiffen, die sich verdächtig verhalten und aus diesem Grunde angegriffen wurden von U-Booten.

Das erste Dokument dieser Reihe ist Dönitz 61, abgedruckt auf Seite 150. Es ist eine Warnung an die neutrale Schiffahrt vor verdächtigem Verhalten. Diese Warnung erging in einer Note an alle neutralen Missionen. Zum Schluß wird darauf hingewiesen, daß die Schiffe Verwechslungen mit feindlichen Kriegs- und Hilfskriegsschiffen besonders bei Nacht vermeiden sollen. Es wird vor jedem verdächtigen Verhalten gewarnt, zum Beispiel vor Kursänderungen, Funkgebrauch beim Sichten deutscher Seestreitkräfte, Zickzackfahren, Abblenden, Nichtbefolgen von Stoppaufforderung und Annahme feindlichen Geleites.

Diese Warnung wird wiederholt in der Urkunde Dönitz 62, die abgedruckt ist auf Seite 153, eine erneute Note vom 19. Oktober 1939 an die neutralen Regierungen. Das Dokument Dönitz 63 zeigt ein Beispiel dafür, wie eine neutrale Regierung, nämlich die Dänische, entsprechend den deutschen Noten ihre Handelsschiffahrt vor verdächtigem Verhalten warnte. Es ist auf Seite 154 abgedruckt.

Ich möchte nochmal erinnern, daß die erste Warnung vom 28. September war.

Mein nächstes Dokument Dönitz 64 zeigt, daß am 2. Oktober der Befehl an die U-Boote erging, abgeblendete Fahrzeuge in bestimmten Seegebieten unter der englischen Küste anzugreifen. Dieser [454] Befehl ist besonders bedeutsam im Hinblick auf das Kreuzverhör von gestern, in dem die Frage angeschnitten wurde, ob überhaupt ein solcher Befehl ergangen sei oder ob dieser Punkt nicht mündlich den Kommandanten übermittelt worden sei mit der Weisung, ihre Logbücher zu fälschen. Ich lese den Befehl vom 2 Oktober 1939 vor, Seite 155:

»Befehl der Skl an die Front: Da an englischer und französischer Küste bei Zusammentreffen mit abgeblendeten Fahrzeugen angenommen werden muß, daß es sich um Kriegs- und Hilfskriegsschiffe handelt, wird voller Waffeneinsatz gegen abgeblendete Fahrzeuge in folgendem Gebiet freigegeben:«

Es folgt ein Seegebiet um die englischen Küsten herum. Der darunter befindliche Auszug aus dem Kriegstagebuch des FdU vom gleichen Tage zeigt die Weitergabe dieses Befehls an die U-Boote.

Die Bereitschaft der britischen Handelsschiffahrt, ihrerseits aggressiv vorzugehen gegen deutsche U-Boote, wird begründet oder gefördert durch das nächste Dokument, das ich zeige. Es bekommt die Nummer Dönitz 101 und ist abgedruckt auf Seite 156. Es lief bisher unter Dönitz 60, Herr Präsident. Es ist eine Bekanntgabe der Britischen Admiralität, die ich vorlesen will:

»Die Britische Admiralität hat am 1. 10. folgende Warnung an die britische Handelsschiffahrt verbreitet:

›Einige deutsche U-Boote sind in den letzten Tagen von britischen Handelsschiffen angegriffen worden. Hierzu verkündet der deutsche Rundfunk, daß die deutschen U-Boote das Völkerrecht bisher eingehalten haben, indem sie die Handelsschiffe warnten, bevor sie angriffen.

Jetzt jedoch will Deutschland Vergeltung üben, indem es jedes britische Handelsschiff als ein Kriegsschiff betrachtet. Während das Obige vollkommen unwahr ist, dürfte es eine sofortige Änderung der deutschen Politik der U-Bootkriegführung anzeigen.

Seien Sie darauf vorbereitet, dem zu begegnen. Admiralität.‹«

Auf Seite 157 ist eine zweite Meldung vom gleichen Tage:

»Die Britische Admiralität gibt bekannt, daß die deutschen U-Boote eine neue Taktik verfolgen. Die englischen Schiffe werden aufgefordert, jedes deutsche U-Boot zu rammen.«

Das nächste Dokument, Dönitz 65, bringt die Befehle, die als Folge der Bewaffnung und des bewaffneten Widerstandes der Handelsschiffe ergangen sind. Ich lese den Befehl vom 4. Oktober 1939 von der Seekriegsleitung an die Front vor:

[455] »Gegen feindliche Handelsschiffe, bei denen eine Bewaffnung einwandfrei erkannt worden ist, be ziehungsweise deren Bewaffnung auf Grund einwandfreier Unterlagen der Skl bekanntgegeben ist, ist für U-Boote sofortiger voller Waffeneinsatz freigegeben. Soweit es die Umstände zulassen, sind nach Ausschaltung der Möglichkeiten für eine Gefährdung des U-Bootes Maßnahmen zur Rettung der Besatzung zu treffen. Passagierdampfer, die keine Truppentransporter sind, sind nach wie vor nicht anzugreifen, auch wenn sie bewaffnet sind.«

Der darunter befindliche Auszug zeigt die Weitergabe des Befehls an die U-Boote. Die bisherigen Kriegserfahrungen sind zusammengefaßt in dem auf Seite 159 abgedruckten Dokument. Es ist ein Auszug aus einer Urkunde der Anklage GB-196 – »Ständiger Kriegsbefehl Nummer 171«, des Befehlshabers der U-Boote.

Ich möchte nur aus der Ziffer 4 den ersten Satz vorlesen:

»Verhalten der feindlichen Handelsschiffe:

Die englische Schiffahrt hat folgende Anweisungen erhalten: –«


VORSITZENDER: Welches Datum trägt dieses Dokument?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Dieses Dokument ist vor dem Monat Mai 1940 ergangen. Ich werde durch einen Zeugen zeigen müssen, wann das genaue Datum gewesen ist. Herr Präsident, ich nehme an im Oktober 1939.

»Die englische Schiffahrt hat folgende Anweisungen erhalten:

a) jedes deutsche U-Boot mit allen Mitteln zu bekämpfen, es zu rammen, bzw. soweit sie damit ausgerüstet sind, mit Wasserbomben anzugreifen.«

Es folgen dann weitere Einzelheiten. Die Erfahrungen aus dem gesamten Einsatz der britischen Handelsschiffahrt werden in dem nächsten Dokument in einen Befehl gezogen. Es erhält die Nummer Dönitz 66 und steht auf Seite 161. Ich lese den Befehl vor, er ist vom 17. Oktober 1939.

»Um 15 Uhr ist dem BdU nachfolgender Befehl erteilt worden: Gegen sämtliche einwandfrei als feindlich erkannten Handelsschiffe wird U-Booten sofortiger voller Waffeneinsatz freigegeben, da mit Rammversuchen oder sonstigem aktiven Widerstand in jedem Fall zu rechnen ist. Ausnahme wie bisher feindliche Passagierdampfer.«

Auf Seite 162 habe ich noch einen Teil des schon eingereichten Dokuments Dönitz 62 abgedruckt. Es ist eine Note an die neutralen Länder vom 22. Oktober 1939. In ihr ist zusammengestellt das Verhalten von Schiffen, das nach deutscher Ansicht den friedlichen [456] Charakter eines Handelsschiffes beseitigt. Ich lese aus dem großen Absatz den zweiten Satz vor:

»Bei englischen und französischen Schiffen ist nach den bisherigen Erfahrungen mit Sicherheit mit einem derartigen Verhalten, insbesondere mit Fahren im Geleit, unzulässigem Funkgebrauch, abgeblendetem Fahren und darüber hinaus mit bewaffnetem Widerstand und Angriffshandlungen zu rechnen.«

In dem Folgenden warnt die Deutsche Regierung aus diesem Grunde vor Benutzung feindlicher Schiffe.

Die deutschen Befehle waren ergangen auf Grund der Erfahrungen unserer U-Boote.

Das nächste Dokument hatte ich bereits eingereicht, es ist Dönitz 67, es ist abgedruckt auf Seite 163 und folgenden. Ich möchte nur auf Grund der Mitteilung der Britischen Admiralität, die auf Seite 163 steht, klarstellen, daß die Befehle für die Handelsschiffahrt abgedruckt sind in dem Handbuch für die Verteidigung von Handelsschiffen vom Januar 1938, also vor dem Kriege ergangen sind.

Ich komme jetzt zu einigen Urkunden über die Behandlung der Passagierdampfer, die wesentlich sind im Anschluß an den »Athenia«-Fall, da ja die »Athenia« ein Passagierdampfer war.

Das Dokument Dönitz 68 zeigt einige Unterlagen über die Behandlung von Passagierdampfern. Zunächst ein Befehl vom 4. September 1939, den ich vorlesen möchte:

»Auf Anordnung des Führers zunächst keinerlei Feindhandlungen gegen Passagierdampfer, auch wenn im Geleit.«

Der nächste Auszug auf dieser Seite bringt Meldungen über die Benützung von Passagierdampfern als Truppentransporter.

Ich lese dann einen Auszug aus den Weisungen über die Führung des Handelskrieges vom Oktober bis Mitte November 1939, Seite 3. Da die feindlichen Passagierdampfer weitgehendst für den Truppentransport jetzt eingesetzt wurden, und dadurch eine weitere Schonung solcher Schiffe, soweit sie geleitet wurden, nicht mehr zu rechtfertigen war, wurde am 29. Oktober folgendes befohlen: Ich lese dann den Befehl, der ganz unten steht;

»Passagierdampfer im feindlichen Geleit werden für sofortigen vollen Waffeneinsatz durch U-Boote freigegeben«

Das nächste Dokument, Dönitz 69 auf Seite 170, soll zeigen, daß in der deutschen Presse im November und Dezember gewarnt worden ist vor der Benutzung bewaffneter Passagierdampfer durch die Veröffentlichung von Listen dieser Dampfer.

[457] Das nächste Dokument ist Dönitz 70 auf Seite 171. Es ist ein Befehl vom 7. November 1939 von der Seekriegsleitung an den Befehlshaber der U-Boote. Ich lese den Befehl:

»Sofortiger voller Waffeneinsatz gegen alle einwandfrei feindlichen Passagierdampfer, deren Bewaffnung erkannt wird oder deren Bewaffnung bereits bekannt ist, wird für U-Boote freigegeben.«

Das ist also sechs Wochen später als die Freigabe des Angriffs auf die sonstigen bewaffneten Schiffe.

Dönitz 71 zeigt, daß erst am 23. Februar 1940 den U-Booten der Angriff freigegeben worden ist auf abgeblendete Passagierdampfer, also fünf Monate... nein, vier Monate später als gegenüber anderen Schiffen.

Ich komme jetzt zu dem Dokument der Anklage GB-224, das ich abgedruckt habe auf Seiten 199 bis 203 im Band 4 meines Urkundenbuches. Ich möchte noch einmal betonen, daß dieses Dokument den Großadmiral Raeder besonders belasten soll und von der Anklage bezeichnet wird als eine zynische Absage an das Völkerrecht. Ich weise zunächst darauf hin, daß es nach der Überschrift sich handelt um Überlegungen der Seekriegsleitung über die Möglichkeiten zu einer Verschärfung des Handelskrieges gegen England. Ich lese einige Absätze vor – oder berichte über sie –, die zeigen sollen, daß dort sehr gründliche völkerrechtliche Prüfungen angestellt worden sind. Der erste Absatz: »Zielsetzung des Krieges«. Ich lese:

»Der Vorschlag des Führers zur Wiederherstellung eines gerechten, ehrenvollen Friedens und zur Neuregelung der politischen Ordnung in Mitteleuropa ist abgelehnt. Die Feindmächte wollen den Krieg mit dem Ziel der Vernichtung Deutschlands. In dem Kampf, in dem nunmehr Deutschland seine Existenz und sein Recht zu verteidigen gezwungen ist, muß es, unter voller Achtung der Gebote soldatischer Kampfsittlichkeit, seine Waffen mit rücksichtsloser Schärfe zum Einsatz bringen.«

Es folgt dann ein Absatz, in dem dargelegt wird, daß auch der Gegner seine Angelegenheiten rücksichtslos durchführt. Auf der nächsten Seite, Seite 200, stehen einige grundlegende Sätze, die ich vorlesen möchte; und zwar in dem Abschnitt »Militärische Forderungen« lese ich vom 4. Satz ab:

»Eine Stützung der getroffenen militärischen Maßnahmen auf das bestehende Völkerrecht bleibt erwünscht; militärisch als notwendig erkannte Maßnahmen müssen aber, sofern sie kriegsentscheidende Erfolge erwarten lassen, auch dann durchgeführt werden, wenn das geltende Völkerrecht nicht auf sie Anwendung finden kann. Grundsätzlich muß daher das [458] militärische, zur Brechung der feindlichen Widerstandskraft wirksame Kriegsmittel rechtspolitisch gestützt werden, auch wenn damit neues Seekriegsrecht geschaffen wird.

Die oberste Kriegsleitung muß nach Abwägen der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Folgerungen im Rahmen der Gesamtkriegführung darüber entscheiden, welches militärische und kriegsrechtspolitische Verfahren zur Anwendung kommen soll.«

Es folgen dann noch eine Reihe von Auszügen, die zeigen selten, wie die Seekriegsleitung die Rechtslage prüft, und zwar die gegenwärtige Rechtslage, die Rechtslage im Falle einer Belagerung Englands und die Rechtslage im Falle einer Blockade Englands.

Der Schluß, auf Seite 203 abgedruckt, betont den politischen Charakter der letzten Entscheidung. Ich lese ihn vor:

»Die Entscheidung für die Form der Verschärfung der Handelskriegsführung und den Zeitpunkt des Überganges zur schärfsten und damit in diesem Kriege endgültigen Form des Seekrieges ist von weittragendster politischer Bedeutung. Sie kann nur von der obersten Kriegsleitung getroffen werden, die die militärischen, politischen und wirtschaftlichen Erfordernisse gegeneinander abwägt.«

Ich möchte nachtragen, daß dieses Dokument vom 15. Oktober 1939 ist.

Ende November 1939 zog die Seekriegsleitung die Folgerung daraus...

VORSITZENDER: In unserem Dokument heißt es 3. November. Sie sagten aber jetzt, es wäre vom Oktober.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: 15. Oktober, Herr Präsident. Es ist eine Denkschrift vom 15. Oktober, die vorgelegt worden ist.


VORSITZENDER: Ich dachte, daß Sie Dokument GB-224 behandeln. Aus dem lasen Sie doch eben vor.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ja.

VORSITZENDER: Das trägt aber oben auf unserer Seite 199 das Datum 3. November 1939.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Jawohl, Herr Präsident. Der 3. November ist das Datum, mit dem die untenfolgende Denkschrift verteilt worden ist an das Oberkommando der Wehrmacht und an das Auswärtige Amt.

Mir wird gerade gesagt, daß in dem englischen Text über dem Wort »Denkschrift« das Datum anscheinend nicht mit abgedruckt ist. Im Original steht über dem Wort »Denkschrift«: »Berlin, 15. Oktober 1939.«


[459] VORSITZENDER: Sehr gut.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich hatte bereits eingereicht das Dokument Dönitz 73 auf Seite 206, in dem die Neutralen gewarnt werden vor dem Befahren des Gebietes, das der amerikanischen Kampfzone entspricht, die vom Präsidenten Roosevelt am 4. November erklärt worden war.

Die deutsche Auffassung, daß das Befahren dieses Gebietes eine Selbstgefährdung aller Neutralen bedeutete, kam auch in der Presse zum Ausdruck. Dafür lege ich vor das Dokument Dönitz 103, abgedruckt auf Seite 210. Es ist ein Interview, das der Großadmiral Raeder am 4. März 1940 einem Vertreter der National Broadcasting Company in Neuyork gegeben hat. Ich möchte daraus einige Sätze vorlesen. Im zweiten Absatz weist Großadmiral Raeder darauf hin, welche Gefahren neutralen Handelsschiffen drohen, wenn sie sich kriegsmäßig verhalten und damit Anlaß zur Verwechslung mit feindlichen Schiffen geben. Der letzte Satz dieses Absatzes lautet:

»Der deutsche Standpunkt lasse sich ganz knapp auf die Formel bringen: Wer Waffenhilfe in Anspruch nimmt, muß Waffeneinsatz gewärtigen.«

Ich lese noch die beiden letzten Absätze:

»Bei der Erörterung der Möglichkeit häufiger Meinungsverschiedenheiten ging der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine auf das Verbot des amerikanischen Präsidenten Roosevelt für die amerikanische Schiffahrt ein, die gefährlichen Zonen um England zu befahren. Er führte hierbei folgendes aus: ›Das Verbot ist der beste Beweis gegen das von England geübte Verfahren, das die Neutralen zum Befahren dieser Gebiete zwingt, ohne in der Lage zu sein, ihre Sicherheit zu gewährleisten Deutschland kann allen Neutralen nur raten, die Politik Ihres Präsidenten nachzuahmen.‹

Frage: Also gibt es nach Lage der Dinge überhaupt keinen Schutz für die neutrale Schiffahrt in den kriegsgefährdeten Zonen?

Antwort: Solange England seine Methoden beibehält, wohl nicht...«

Durch den Zusammenbruch Frankreichs wurde das gesamte USA-Kampfgebiet als deutsches Blockade gebiet erklärt. Das zeigt das nächste Dokument, Dönitz 104 auf Seite 212. Ich lese von der Mitte des dort abgedruckten Absatzes:

»Das gesamte Seegebiet um England ist somit zum Operationsgebiet geworden. Jedes Schiff, das dieses Gebiet befährt, setzt sich der Vernichtung nicht nur durch Minen, sondern auch durch andere Kampfmittel aus...«


[460] VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Haben Sie das Dokument Dönitz 60 genannt oder...

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das war ursprünglich auch eines von den Dokumenten Dönitz 60, Herr Präsident, die ich jetzt mit einer neuen Nummer versehen habe. Die neue Nummer ist jetzt Dönitz 104.


VORSITZENDER: Gut. Danke schön.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER:

»Jedes Schiff, das dieses Gebiet befährt, setzt sich der Vernichtung nicht nur durch Minen, sondern auch durch andere Kampfmittel aus. Die Deutsche Regierung warnt daher erneut und dringlichst vor dem Befahren des gefährdeten Gebietes.«

Am Schluß der Note lehnt die Deutsche Regierung die Verantwortung für Schäden und Verluste in diesem Gebiet ab.

Ich habe noch abgedruckt als nächstes Dokument auf Seite 214 mit der neuen Exhibit-Nummer Dönitz 105 eine amtliche deutsche Erklärung bei der Bekanntgabe der totalen Blockade vom 17. August 1940. Ich möchte nur auf sie hinweisen.

Ich komme jetzt zu einigen Urkunden, die die Behandlung der Neutralen außerhalb der erklärten Operationsgebiete betreffen. Als erste Urkunde lege ich vor auf Seite 226 einen Auszug aus dem Dokument der Anklage GB-196. Es ist ein Ständiger Kriegsbefehl des BdU, der ebenfalls vor dem Mal 1940 ergangen ist. Ich lese die ersten Sätze:

»Es dürfen nicht versenkt werden: a) alle einwandfrei als Neutrale erkannten Schiffe, sofern sie nicht erstens in feindlichem Geleit fahren, zweitens in einer erklärten Gefahrenzone stehen.«

Das nächste Dokument, Dönitz 76 auf Seite 227, zeigt die Sorge der Seekriegsleitung, daß die Neutralen auch wirklich erkennbar sind. Ich lese den ersten Satz der Eintragung vom 10. Januar 1942.

»Die Seekriegsleitung bat das Auswärtige Amt, aus Anlaß der erneuten Kriegsausweitung die neutralen, seefahrenden Nationen mit Ausnahme Schwedens nochmals auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Kennzeichnung ihrer Schiffe hinzuweisen, um Verwechslungen mit Feindschiffen zu vermeiden.«

Das nächste Dokument Dönitz 77 auf Seite 228 lautet, eine Eintragung vom 24. Juni 1942 aus dem Kriegstagebuch des Befehlshabers der U-Boote:

[461] »Alle Kommandanten werden nochmals eingehend über Verhalten gegenüber Neutralen belehrt.«

Dönitz 78 habe ich bereits eingereicht, Verzeihung, es ist nicht eingereicht. Dönitz 78 auf Seite 229 gibt Beispiele für die Rücksichtnahme, die der Befehlshaber der U-Boote auf die Neutralen nahm. Die Eintragung vom 23. November 1942 zeigt, daß ein U-Boot Befehl erhielt, ganz aus einem Seegebiet abzulaufen, weil dort starker neutraler Verkehr herrschte. Die zweite Eintragung vom Dezember 1942 lautet, daß ein portugiesischer Marinetanker bestimmungsgemäß zu behandeln ist, also laufen gelassen werden muß.

Auf das auf Seite 230 abgedruckte Dokument hatte ich bereits hingewiesen. Es enthält ein kriegsgerichtliches Verfahren gegen einen Kommandanten, der zu Unrecht einen Neutralen torpediert hatte.

Das nächste Dokument, Dönitz 79 auf Seite 231, ist der Befehl, der bis Kriegsende für die Behandlung der Neutralen galt. Ich brauche ihn wohl nicht zu verlesen. Er betont nur noch einmal die notwendige Erkennbarkeit neutraler Schiffe und weist auf die Schiffahrtsabkommen hin, die mit einer Reihe von Ländern geschlossen worden sind, wie mit Spanien, Portugal, Schweden und Schweiz.

VORSITZENDER: Was ist das genaue Datum? Sie sagten...

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: 1. August 1944, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Das ist das Datum auf dem Original.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das ursprüngliche Datum ist vom 1. April 1943. Der Befehl ist dann neu gefaßt worden am 1. August 1944 auf Grund der Berichtigungen, die durch die Schiffahrtsabkommen notwendig geworden waren.

Ich habe bisher die allgemeinen Grundsätze behandelt, die in den Dokumenten der Anklage GB-191 und GB-224 angegriffen worden waren. Ich möchte nun einige Dokumente vorlegen zu Einzelheiten des Dokuments der Anklage GB-191. Dort ist erwähnt eine Rede Adolf Hitlers, die mit den Worten schließt:

»Jedes Schiff, ob mit, ob ohne Begleitung, das vor unsere Torpedorohre kommt, wird torpediert.«

Ich bringe als Dönitz 80, auf Seite 232 abgedruckt, einen Auszug aus dieser Rede. Der Zusammenhang zeigt, daß sich die Äußerung des Führers nur bezieht auf Schiffe, die Kriegsmaterial nach England bringen.

Ich komme dann zu zwei Beispielen, die in dem Dokument GB-191 angegeben worden sind als Musterbeispiele für die [462] rechtswidrige deutsche Seekriegsführung. Das erste ist der Fall des dänischen Dampfers »Vendia«. Das Dokument der Anklage sagt darüber:

»Am 30. September 1939 fand die erste Versenkung eines neutralen Schiffes durch ein U-Boot statt, ohne daß ein Warnungssignal gegeben wurde. Hierbei kamen Menschen ums Leben. Es handelt sich um das dänische Schiff ›Vendia‹.«

Ich lege dazu vor Dönitz 83, abgedruckt auf Seite 235, das Kriegstagebuch des U-Bootes U-3, das die »Vendia« versenkt hat, Wegen der Wichtigkeit möchte ich einiges vorlesen. Ich beginne mit dem zweiten Satz:

»Der Dampfer dreht allmählich immer weiter ab und steigert die Fahrt. Das Boot kommt nur sehr langsam auf. Offensichtlicher Fluchtversuch!

Dampfer ist deutlich als dänischer Dampfer ›Vendia‹ auszumachen.

Boot geht auf langsame Fahrt und macht das M.G. klar.

Einige Warnungsschüsse über den Bug des Dampfers hinweg abgegeben. Darauf stoppt der Dampfer sehr langsam; es geschieht in der Folgezeit nichts weiter. Es werden daraufhin noch einige Schüsse gefeuert. Die ›Vendia‹ liegt im Wind.

Nachdem zehn Minuten lang nichts an Deck zu erkennen ist, was den Verdacht eines vorliegenden, beabsichtigten Widerstandes aufheben könnte, sehe ich 11.24 Uhr plötzlich Bugsee vor dem Dampfer und Schraubenbewegungen. Der Dampfer dreht hart auf das Boot zu. Meine Auffassung eines damit vorliegenden Rammversuches wird vom Wachoffizier und Obersteuermann geteilt. Ich drehe darauf ebenfalls mit dem Dampfer mit. 30 Sekunden später fällt der Torpedoschuß, Abkommpunkt Bug, Treffpunkt ganz hinten am Heck. Das Heck reißt ab und versinkt. Das Vorderteil schwimmt noch.

Unter eigener Lebensgefahr für Besatzung und Boot (starker Seegang und zahlreiche treibende Wrackstücke) werden sechs Mann der dänischen Besatzung gerettet, darunter Kapitän und Steuermann. Andere Überlebende sind nicht zu erkennen. Währenddessen kommt der dänische Dampfer ›Swawa‹ in die Nähe und wird angehalten; er wird aufgefordert, die Papiere im Boot zu schicken. Er befördert Stückgut von Amsterdam nach Kopenhagen. Dem Dampfer werden die sechs Geretteten mitgegeben zur Heimbeförderung.«

Ich lese noch von der nächsten Seite den vorletzten Satz:

»Nachdem die Dampferbesatzung abgegeben war, stellte sich heraus, daß der Maschinist des Dampfers dem Masch.-Gfr. [463] Blank gegenüber geäußert hatte, der Kapitän habe die Absicht gehabt, das U- Boot zu rammen.«

Das Dokument auf Seite 237, ein Auszug aus dem Dokument der Anklage GB-82, zeigt, daß der Fall »Vendia« Gegenstand eines Protestes der Deutschen bei der Dänischen Regierung war.

Ich beschäftige mich nun mit der Versenkung der »City of Benares« am 18. September 1940. Ich möchte dazu zunächst noch einige Sätze aus dem Dokument der Anklage lesen, weil sie meiner Ansicht nach den Beweiswert des ganzen Dokuments GB-191 kennzeichnen. Ich lese aus dem britischen Dokumentenbuch Seite 23 von der Stelle ab, wo die Anklagebehörde aufgehört hat zu lesen. Das Tribunal wird sich erinnern, daß die »City of Benares« Kinder an Bord hatte. Im Bericht des Auswärtigen Amtes heißt es hier:

»Der Kapitän des U-Bootes wußte vermutlich nicht, daß an Bord der ›City of Benares‹ Kinder waren, als er das Torpedo abfeuerte. Er mag vielleicht nicht einmal den Namen des Schiffes gekannt haben, obwohl vieles dafür spricht, daß er das Schiff stundenlang verfolgt hat, bevor er es torpedierte. Was er aber gewußt haben mußte, ist, daß es ein großes Handelsschiff war, welches wahrscheinlich Zivilpersonen als Passagiere an Bord und bestimmt eine Besatzung der Handelsmarine hatte. Er kannte die Wetterverhältnisse und wußte, daß sie 600 Meilen vom Land entfernt waren. Dennoch verfolgte er das Schiff außerhalb der Blockadezone und feuerte das Torpedo absichtlich nicht ab, bevor es dunkel war, das heißt zu einer Zeit, als die Aussicht auf Rettung außerordentlich verringert war.«

Ich lege als nächstes Dokument Dönitz 84 vor, abgedruckt auf Seite 238, ein Kriegstagebuch des U-Bootes U-48, das die »City of Benares« versenkt hat. Ich lese die Eintragung vom 17. September 1940:

»Uhrzeit 10.02 Uhr. Geleitzug in Sicht. Kurs etwa 240 Grad. Fahrt sieben Seemeilen. Fühlung gehalten, zumal Unterwasserangriff bei der steilen Dünung nicht mehr möglich ist. Bei dem Geleitzug ist keine Sicherung zu erkennen.«

Ich berichte dann über die Eintragung vom 18. September 1940: Sie schildert einen Torpedoschuß auf ein Schiff dieses Geleitzuges, die »City of Benares«. Wenige Minuten später, um 0.07 Uhr, greift das U-Boot ein zweites Schiff dieses Geleitzuges an, den englischen Dampfer »Marina«. Beide Schiffe tunken. Zwanzig Minuten später wieder hat das U-Boot ein Artilleriegefecht mit einem Tanker dieses Geleitzuges. Das also ist die wirkliche Geschichte der »City of Benares«.

[464] Auf Seite 240 habe ich das Dokument der Anklage GB-192 noch einmal abgedruckt; es behandelt die Versenkung der »Sheaf Mead«. Ich möchte dabei nur darauf hinweisen, daß dieses Schiff erheblich bewaffnet war und daß es wahrscheinlich kein Handelsschiff sondern eine U-Bootfalle war.

In dem Dokument der Anklage GB-195, das bereits im Verhör gestern behandelt wurde, ist ein Befehl des Führers vom 18. Juli 1941 vorgelegt worden, der den Angriff freigibt auf USA-Handelsschiffe in der um England erklärten Blockadezone. Die Anklage erhebt bekanntlich auf Grund dieses Dokuments den Vorwurf, Admiral Dönitz habe einen opportunistischen und zynischen Krieg gegen die Neutralen geführt.

Mein nächstes Dokument ist Dönitz 86 auf Seite 243. Es zeigt das Bemühen...

VORSITZENDER: War es nicht 243?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Seite 243, Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung. Es zeigt das Bemühen, nicht zu einem Konflikt mit den Vereinigten Staaten zu kommen. Ich lese die Eintragung vom 5. März 1940 aus dem Kriegstagebuch der Seekriegsleitung:

»Den Seestreitkräften wird für die Führung des Handelskrieges der Befehl gegeben, daß Schiffe der Vereinigten Staaten weder anzuhalten noch aufzubringen noch zu versenken sind. Anlaß war die Zusicherung des Oberbefehlshabers an den Amerikanischen Militärattaché, den er am 20. Februar empfangen hatte, daß den deutschen U-Booten der Befehl erteilt sei, überhaupt keine amerikanischen Schiffe anzuhalten. Damit sollen alle Schwierigkeiten, die sich aus dem Handelskrieg zwischen USA und Deutschland ergeben könnten, von vornherein ausgeschaltet werden.«

Dieser Befehl bedeutete also auch den Verzicht auf prisenrechtliche Maßnahmen.

Das nächste Dokument, Dönitz 87 auf Seite 244, zeigt die praktische Anerkennung der amerikanischen Neutralitätszone. Es lautet:

»4. April 1941...

An alle außerheimischen Schiffe ist gefunkt Amerikanische Neutralitätszone ab sofort südlich 20 Nord nur noch im Abstand von 300 Seemeilen von Küste achten. Nördlich genannter Linie verbleibt es aus außenpolitischen Gründen zunächst bei bisheriger Umgrenzung.«

Das bedeutet also: bei der vollen Anerkennung der Neutralitätszone.

Mein nächstes Dokument, Dönitz 88, zeigt die Stellungnahme des Präsidenten Roosevelt zur Frage der Neutralität gegenüber [465] Deutschland in diesem Kriege. Es ist ein Auszug aus der Rede vom 11. September 1941, der sehr bekannt ist:

»Hitler weiß, daß er die Herrschaft über die Meere gewinnen muß, wenn er die Herrschaft über die Welt gewinnen will. Er weiß, daß er erst die Schiffsbrücke niederreißen muß, die wir über den Atlantik bauen und über die wir ohne Unterlaß das Kriegsmaterial befördern, das dazu beitragen wird, ihn und alle seine Werke schließlich zu zerstören. Er muß unsere Patrouillen zur See und in der Luft vernichten.«

Ich möchte nun noch kurz auf die ebenfalls in dem Dokument GB-191 vertretene Auffassung eingehen, daß die Besatzungen der feindlichen Handelsschiffe Zivilisten und Nichtkombattanten gewesen seien. Ich habe auf Seite 254 des Dokumentenbuches abgedruckt einen Teil des bereits eingereichten Dokuments Dönitz 67. Es ist ein Auszug aus den vertraulichen Admiralitätsflottenbefehlen, und er behandelt die Ausbildung der zivilen Handelsschiffbesatzung an den Geschützen. Ich möchte auf die erste Seite dieser Befehle nur hinweisen. Sie sagen, daß im allgemeinen bei einem Geschütz nur ein Soldat der Marine sein soll und alle anderen Mannschaften aus der Besatzung des Schiffes gestellt werden. Ich lese aus dem Abschnitt »Ausbildung«, das ist die Ziffer d):

»Außer dem Richtkanonier und den für Geschützbedienung besonders vorgebildeten Mannschaften werden weitere Leute zur Vervollständigung der Bedienungsmannschaft (je nach der Größe des Geschützes zwischen fünf und sieben) und für die Herausschaffung der Munition aus dem Magazin benötigt«

Es folgen dann noch Vorschriften über die Ausbildung in den Häfen und über das Geschützexerzieren der Mannschaften.

Das nächste Dokument mit der neuen Nummer Dönitz 106 ist ein Runderlaß des französischen Ministers für die Handelsmarine vom 11. November 1939 über die Schaffung eines besonderen Abzeichens für die kriegsdienstpflichtigen Besatzungsmitglieder auf Handelsschiffen. Es steht auf Seite 256. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieser Erlaß unterschrieben ist vom Direktor des militärischen Rats, einem Konteradmiral. Der Charakter dieses Abzeichens ergibt sich aus dem vorletzten Absatz:

»Die Armbinde ist nur in Frankreich und den französischen Kolonien zu tragen. In keinem Fall dürfen die mit der Armbinde ausgestatteten Mannschaften sie tragen, während sie sich in fremden Gewässern befinden.«

Ich komme jetzt zu einigen Dokumenten über die Frage der Rettung Schiffbrüchiger. Diese Dokumente befinden sich in den Dokumentenbüchern 1 und 2.

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Glauben Sie nicht, daß es genügen würde, auf diese Dokumente zu verweisen, indem Sie [466] deren Nummern angeben, ohne sie zu verlesen? Wie Sie sagen, behandeln sie nur die Rettungsmaßnahmen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich glaube, ich kann dies in den meisten Fällen tun. Auf Seite 9 ist abgedruckt das Haager Abkommen über die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg.

Seite 10 ist das Dokument Dönitz 8, der Befehl vom 4. Oktober 1939 über die Versenkung bewaffneter Handelsschiffe. Er enthält den bereits verlesenen Befehl, nach Möglichkeit zu retten, soweit es ohne Gefährdung möglich ist.

Dönitz 9 auf Seite 12 gibt Beispiele für übertriebene Rettungsmaßnahmen deutscher U-Boote, die dabei feindliche Schiffe laufen lassen.

Dönitz 10 behandelt das gleiche Thema mit einem weiteren Beispiel.

Die Sammlung von Erklärungen von Kommandanten in Dönitz 13 ist abgedruckt auf den Seiten 19 bis 26. Ich möchte sie in Zusammenhang stellen mit dem Kriegsbefehl 154. Das ist das Dokument der Anklage GB-196. Die Erklärungen enthalten zahlreiche Beispiele aus allen Jahren des Krieges über Rettungsmaßnahmen von deutschen U-Booten. Einer dieser Erklärungen sind auch Photographien beigefügt auf Seite 21. Sie sind im Original enthalten. Der Inhalt dieser Erklärungen wird bestätigt durch das Dokument Dönitz 14 auf Seite 27, in dem ein U-Boot über Rettungsmaßnahmen in seinem Kriegstagebuch berichtet; am Schluß befindet sich der Satz:

»Die Anbordnahme der englischen Flieger wird gebilligt.«

Unterschrieben von dem Befehlshaber der U-Boote.

Das nächste Dokument Dönitz 15 bringt auch einen Kriegstagebuchauszug als Beispiel für eine Rettungsmaßnahme nach einer Geleitzugschlacht am 21. Oktober 1941. Es ist auf Seite 28 abgedruckt.

Es folgen jetzt zwei Dokumente zu dem »Laconia«-Befehl. Das Tribunal hatte mir gestattet, in dem Kreuzverhör des Zeugen Möhle die Ständigen Kriegsbefehle 511 und 513 zu verwerten. Sie betreffen die Gefangennahme von Kapitänen und Chefingenieuren und von Fliegerbesatzungen. Ich übergebe sie als Dönitz 24 und 25. Sie sind abgedruckt auf Seite 46 und 47. Ich möchte darauf hinweisen, daß in beiden Befehlen ausdrücklich gesagt ist, daß diese Gefangennahme nur durchzuführen ist, soweit es ohne Gefährdung des Bootes möglich ist.

In dem Dokument Dönitz 24 wird klargelegt, daß die Britische Admiralität ihrerseits Befehle herausgegeben hat, um die Gefangennahme der englischen Kapitäne durch die deutschen U-Boote zu verhindern. Der nächste Auszug auf Seite 48 gibt ein Beispiel dafür, [467] daß dieser englische Befehl auch befolgt worden ist und ein U-Boot vergeblich zwischen den Rettungsbooten nach einem Kapitän sucht.

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Können Sie dem Gerichtshof mitteilen, worauf sich der Paragraph 2 auf Seite 46 bezieht und was damit gemeint ist?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Der Paragraph verweist auf den Ständigen Kriegsbefehl Nummer 101, das ist der Befehl, in dem bekanntgegeben wird, welche neutralen Schiffe versenkt werden dürfen, das heißt natürlich im Sperrgebiet.


VORSITZENDER: Bedeutet das, daß diese Offiziere mit dem Schiff zu versenken sind oder was?


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Nein, Herr Präsident, das bedeutet, daß Kapitäne und Schiffsoffiziere neutraler Schiffe in den Rettungsbooten belassen werden dürfen und nicht aus den Rettungsbooten herausgenommen werden auf das U-Boot. Daß es tatsächlich auf dem Rettungsboot wesentlich sicherer war als auf dem U-Boot, zeigt ja der englische Befehl, der den Kapitänen sagt, sie sollen auf den Rettungsbooten bleiben und sich vor dem U-Boot verstecken.


VORSITZENDER: Und wenn sie keine Rettungsboote hatten?


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich glaube, Herr Präsident, dieser Fall ist hier nicht geregelt. Ich kenne keinen Fall, in dem ein Schiff keine Rettungsboote hatte, insbesondere im Jahre 1943, in dem dieser Befehl zustande kam. Es waren auf jedem Schiff nicht nur Rettungsboote, sondern automatisch aufschwimmende Flöße.

Die Ziffer 2 betrifft nur die Frage der Gefangennahme neutraler Kapitäne.

Darf ich fortfahren, bitte?


VORSITZENDER: Ja, fahren Sie fort.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Eine Reihe von Beispielen dafür, daß Kapitäne nach diesen Befehlen gerettet worden sind, befindet sich in den Kommandantenerklärungen, die auf den Seiten 22, 25 und 26 abgedruckt sind unter der Exhibit-Nummer Dönitz 13.

Ich komme jetzt zu dem Fall des Unterseebootes U-386, der eine große Rolle gespielt hat in der Aussage des Korvettenkapitäns Möhle.

Das Tribunal wird sich daran erinnern, daß dieser Fall der entscheidende Grund war für die Auslegung, die Möhle dem »Laconia«-Befehl gegeben hat, Über diesen Vorgang lege ich Dokument Dönitz 26 vor, die eidesstattliche Versicherung des Korvettenkapitäns Witt. Ich möchte daraus einige Absätze verlesen.


[468] VORSITZENDER: Auf welcher Seite ist das?


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Auf Seite 50, Herr Präsident.

»Im November 1943 hatte ich als Referent im Stabe des BdU den Oberleutnant zur See Albrecht, Kommandant des U-Bootes U-386, über seine Erfahrungen auf seiner eben beendeten Unternehmung zu vernehmen. Dabei meldete mir Albrecht, daß er in der Höhe von Cap Finisterre in der Biskaya bei Tage ein Schlauchboot mit schiffbrüchigen britischen Fliegern gesichtet habe. Er habe Rettungsmaßnahmen unterlassen, weil er sich auf dem Wege zu einer Geleitzugaufstellung befunden hätte. Seine Position hätte er nur erreichen können, wenn er ohne Aufenthalt weitergelaufen wäre. Außerdem habe er befürchtet...«


VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Ist es nötig, bei jedem einzelnen Fall in Einzelheiten zu gehen? Ich glaube, sie alle hängen von den jeweiligen Umständen ab. Es ist nicht notwendig, daß Sie die Dokumente so ausführlich lesen; in diesem Stadium des Falles ist es nicht nötig.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sehr wohl, Herr Präsident! Ich werde nur darüber berichten.

Das Affidavit sagt kurz, daß der Kommandant darüber belehrt worden ist, er hätte die Flieger mit nach Hause bringen müssen, also das Gegenteil dessen, was Möhle hier ausgesagt hat. Die Richtigkeit der Darstellung von Kapitän Witt wird bestätigt durch das nächste Dokument Dönitz 27, Kriegstagebuch des U-Bootes, mit der Stellungnahme des Befehlshabers der U-Boote, in dem der Entschluß mißbilligt wird, die im Schlauchboot treibenden Engländer nicht aufzunehmen.

Daß die Stellungnahme des Admirals Dönitz gegenüber Rettungsmaßnahmen nicht auf Grausamkeit beruht, sondern auf Überlegung über militärische Notwendigkeit, zeigt das nächste Dokument 28 auf Seite 53. Er stellt hier Erwägungen an über die Rettung eigener Flugzeugbesatzungen und kommt zu dem Ergebnis, daß diese Rettung unter Umständen aus militärischen Gründen unterbleiben muß.

Das nächste Dokument Dönitz 29 betrifft die Aussage des Zeugen Heisig. Es ist abgedruckt auf Seite 54 ff. Es enthält zunächst eine eidesstattliche Versicherung des Adjutanten, Kapitänleutnant Fuhrmann, der die allgemeinen Gedankengänge schildert, die damals den Vorträgen des Großadmirals Dönitz zugrunde lagen. Er betont am Schluß, daß niemals junge Offiziere an ihn herangetreten sind im Anschluß an die Ansprache des Großadmirals Dönitz und Zweifel über die Behandlung Schiffbrüchiger geäußert haben.

[469] Auf Seite 56 ist abgedruckt eine Erklärung des Oberleutnants zur See Kreß, der an dem gleichen Vortrag wie Heisig teilgenommen hat und sagt, weder wörtlich noch andeutungsweise befahl Admiral Dönitz die Vernichtung von Überlebenden.

Das wird bestätigt durch die Erklärung des Oberleutnants zur See Steinhoff auf Seite 59. Die Gedankengänge, in denen sich damals die Seekriegsleitung bewegte in der Frage der Bekämpfung der Besatzungen, ergeben sich aus dem nächsten Dokument Dönitz 30, abgedruckt auf Seite 60/61. Auch dort ist mit keinem Wort die Rede von der Vernichtung von Schiffbrüchigen. Es ist eine Niederschrift über eine Besprechung beim Führer vom 28. September 1942 in Anwesenheit von Großadmiral Raeder und Admiral Dönitz.

Das Tribunal wird sich an das Dokument GB-200 erinnern, in dem die »rescue ships« als wünschenswerte Ziele bezeichnet sind. Dort ist zugleich gesagt, daß sie die Bedeutung von U-Bootfallen haben. Ich habe deshalb abgedruckt auf Seite 63 den Ständigen Kriegsbefehl Nummer 173 vom 2. Mai 1940. In ihm ist niedergelegt, daß nach den Weisungen der Britischen Admiralität U-Bootfallen in den Geleitzügen verwendet werden. Daß die Behandlung der »rescue ships« nichts zu tun hat mit der Achtung vor Lazarettschiffen, zeigt das Dokument Dönitz 34 im Dokumentenbuch Nummer 2, auf Seite 67 abgedruckt. Es ist der letzte der Ständigen Kriegsbefehle über die Frage der Lazarettschiffe vom 1. August 1944. Er beginnt mit den Worten: »Lazarettschiffe dürfen nicht versenkt werden.«

Mein nächstes Dokument Dönitz 35 soll zeigen, daß die Seekriegsleitung bei der Achtung der Lazarettschiffe sogar über die völkerrechtlichen Verpflichtungen hinausgegangen ist, denn, wie die Eintragung vom 17. Juli 1941 beweist, hat die Sowjetregierung ihrerseits die Einhaltung des Lazarettschiffsabkommens abgelehnt unter Hinweis auf deutsche völkerrechtliche Verstöße an Land; nach dem Artikel 18 des Lazarettschiffsabkommens wäre damit die Geltung dieses Abkommens für alle Beteiligten aufgehoben.

Mit Dönitz 36 auf den Seiten 69 und folgende lege ich das einzige Beispiel vor, das uns bekannt ist dafür, daß ein U-Bootkommandant wirkliche Rettungsmittel beschossen hat. Es ist die Vernehmung des Kapitänleutnants Eck, die auf Anordnung des Gerichts am 21. November 1945 stattgefunden hat. Das ist zehn Tage bevor er erschossen worden ist.

Entsprechend dem Wunsche des Tribunals möchte ich nur zusammenfassen: Eck hat nach Versenkung des griechischen Dampfers »Peleus« versucht, die Rettungsboote und Wracks durch Beschießung unter Wasser zu bringen. Als Grund gibt er an, daß er damit die Trümmer beseitigen und vermeiden wollte, daß er von den Ortungsgeräten der feindlichen Luftwaffe erfaßt würde. Er gibt an, er [470] habe den »Laconia«-Befehl an Bord gehabt. Dieser Befehl hat aber auf seinen Entschluß nicht den mindesten Einfluß ausgeübt. Er habe tatsächlich überhaupt nicht an ihn gedacht. Er ist von Möhle belehrt worden, hat dabei aber nichts über die angeblich erwünschte Vernichtung Schiffbrüchiger gehört und weiß nichts von dem Beispiel von U-386.

Am Schluß der Vernehmung Ecks gibt er an, daß er mit einer Billigung seines Verhaltens durch Admiral Dönitz gerechnet habe. Ferner ist gestern im Kreuzverhör erneut die Frage angeschnitten worden, ob Admiral Dönitz...


VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Wir werden jetzt für ein paar Minuten unterbrechen, nur für kurze Zeit.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Der Gerichtshof hatte, wie Sie wissen, die Absicht, die Anträge auf Vorlage der Dokumente und Vorladung von Zeugen zu behandeln; sollten Sie aber mit Ihren Dokumenten in kurzer Zeit fertig sein können, so wünscht der Gerichtshof, daß Sie fortsetzen und, wenn möglich, damit zu Ende kommen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Vorsitzender! Ich glaube, daß ich auch bei Beibehaltung des bisherigen Tempos etwa eine Stunde brauche. Ich werde deshalb darum bitten, es am Montag morgen fortsetzen zu dürfen.


VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Wenn Sie glauben, daß es tatsächlich noch so lange dauern wird, müssen wir es natürlich bis Montag morgen verschieben, aber der Gerichtshof hofft wirklich, daß Sie nicht annähernd so lange dazu brauchen werden; es würde dem Gerichtshof nichts nützen, in Einzelheiten bei diesen Dokumenten zu gehen. Sie werden doch alle noch einmal ganz genau behandelt werden müssen, sowohl in Ihrem Plädoyer wie in den Beratungen des Gerichtshofs.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich werde mich ganz darauf beschränken, nur den Zusammenhang zu zeigen, Herr Präsident. Aber trotzdem glaube ich, daß es besser wäre, es am Montag morgen zu machen.


VORSITZENDER: Gut. Der Gerichtshof wird sich also jetzt die Anträge vornehmen.

Ja, Sir David?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn es Euer Lordschaft gefällig ist. Der erste Antrag ist vom Angeklagten von Schirach, der Ladung eines gewissen Hans Marsalek als Zeugen im Kreuzverhör beantragt. Die Anklagevertretung hat schon ein Affidavit von diesem [471] Mann vorgelegt und hat nichts dagegen einzuwenden, daß er zum Kreuzverhör vorgeladen wird.

Mylord! Der zweite Antrag des Angeklagten von Schirach betrifft einen gewissen Kauffmann. Die Verteidigung will Kauffmann Fragebogen vorlegen, anstatt ihn vorzuladen; er ist als Zeuge schon zugelassen. Dagegen besteht kein Einwand.

Dann, Mylord, kommt ein Antrag von Dr. Seidl im Namen des Angeklagten Heß. Er beantragt fünf Dokumente, die sich auf die deutsch-sowjetischen Abkommen von August und September 1939 beziehen. Weiter beantragt er Ladung des Botschafters Gaus als Zeugen in diesem Zusammenhang. Es würde zu weit gehen, auf alle früheren Anträge zu verweisen; ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich dem Gerichtshof jedoch sagen, daß diese Sache bereits sechsmal bei anderen Gelegenheiten vorgelegen hat. Ich kann die Einzelheiten vorbringen, wenn der Gerichtshof sie wünscht.


VORSITZENDER: Nein, denn der Gerichtshof hat die Übersetzung dieser Dokumente angeordnet, nicht wahr?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Mylord!


VORSITZENDER: Und wir haben beschlossen, nach der Übersetzung darüber zu beraten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Der Gerichtshof hat am 25. März die Übersetzung dieser Dokumente angeordnet. Ich möchte nur an die Tatsache erinnern, daß am 28. März Fräulein Blank, die Privatsekretärin des Angeklagten von Ribbentrop, über dieses Abkommen vernommen worden ist, und Euer Lordschaft werden sich vielleicht daran erinnern, daß mein Freund, General Rudenko, Einspruch dagegen erhob. Aber der Gerichtshof hat entschieden, daß die Fragen zuzulassen waren, und die Zeugin sagte aus, daß sie von dem Bestehen des Geheimabkommens wisse, machte aber keine näheren Angaben.

Am 1. April, im Laufe des Kreuzverhörs, das Dr. Seidl mit dem Angeklagten von Ribbentrop vornahm, wurde dann das Gaus-Affidavit verlesen, und am 3. April stellte Dr. Seidl den Antrag auf Vorladung der Zeugen Hilger und Weizsäcker darüber, und am 15. April beantragte Dr. Seidl die Vorladung des Botschafters Gaus.

Am 17. April, Euer Lordschaft, wurde darüber vor dem Gerichtshof verhandelt, Ich erklärte, daß ich in Anbetracht der bereits gefällten Entscheidung des Gerichtshofs die Frage des Abkommens nicht anfechten könne, erhob jedoch Einspruch gegen die Zeugen. General Rudenko, glaube ich, erklärte, daß er seine Einwendungen schriftlich vorgebracht hätte, und der Gerichtshof sagte, daß er über diese Angelegenheit beraten würde.

[472] Was die fünf Dokumente betrifft, Euer Lordschaft, so scheint die Sache so zu stehen, daß das Affidavit von Dr. Gaus bereits als Beweisstück vorliegt. Das ist das erste Affidavit, Mylord. Das zweite Affidavit von Dr. Gaus liegt als Beweisstück nicht vor.

Der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion liegt als Beweisstück vor. Was das geheime Zusatzprotokoll zum Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion betrifft, so liegt es inhaltlich vor, und zwar im Gaus-Affidavit.

Dann, Mylord, haben wir den deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 und das geheime Zusatzprotokoll zu diesem Pakt Die Anklagebehörde trägt von, daß diese Dokumente für die Verteidigung des Angeklagten Heß unerheblich sind und sieht keinen Grund, warum sie verlangt werden. Wenn nötig, kann mein Sowjetkollege weiter zu dieser Sache Stellung nehmen, aber das ist die allgemeine Sachlage. Wir tragen ferner vor, daß das zweite Affidavit von Botschafter Gaus angesichts seines früheren Affidavits überflüssig ist; ohne noch einmal nähere Angaben zu machen, wiederhole ich meine Einwendungen gegen die Vernehmung von Zeugen über die Verhandlungen, die zum Abschluß dieses Vertrages führten.

Es wird vorgetragen, daß es in Wirklichkeit vollkommen unerheblich ist und daher unnötig, die Zeit des Gerichtshofs dafür in Anspruch zu nehmen. Ich weiß nicht, Mylord, ob es recht wäre..


VORSITZENDER: Sir David! Der Gerichtshof wird, wie ich schon gesagt habe, über diese Sache beraten. Er hatte noch keine Gelegenheit, über diese Dokumente zu beraten, aber ich möchte Sie fragen, ob irgendein Grund zur Vorladung des Botschafters Gaus als Zeuge vorliegt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kein einziger, Mylord.


VORSITZENDER: Er hat ja schon den Inhalt dieser Dokumente angegeben, ebenso wie der Angeklagte Ribbentrop. Wenn diese Dokumente jetzt vorgelegt werden – angenommen, daß der Gerichtshof der Ansicht ist, daß sie zuzulassen sind –, so wäre es vollkommen überflüssig, Gaus als Zeugen zu laden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, das ist auch meine Ansicht darüber, Mylord.


VORSITZENDER: Ich glaube, der Gerichtshof sollte dann diese Dokumente einsehen, wie er in seiner Entscheidung bereits ausgesprochen hatte, sobald sie vorgelegt werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie es Euer Lordschaft recht ist.

Der nächste Antrag ist im Namen des Angeklagten Funk, und er beantragt die Verlesung des Affidavits des Zeugen Kallus. Es war Funk bereits bewilligt worden, dem Zeugen Kallus einen Fragebogen vorzulegen, das ist auch geschehen, und der Fragebogen[473] wurde schon vorgelegt. Das Affidavit, um das es sich hier handelt, und das er erhalten hat, ergänzt diesen Fragebogen, und die Anklagebehörde erhebt keinen Einspruch dagegen.

Der nächste Antrag ist vom Angeklagten Streicher auf Vorladung des Zeugen Gaßner, der über den »Stürmer«, dessen Auflage und Einnahmen aussagen soll. Die Anklagevertretung trägt vor, daß es unnötig ist, einen Zeugen darüber zu hören, was der »Stürmer« nach 1933 war, da eine reichhaltige Anzahl von Nummern der Zeitung dem Gerichtshof vorliegt, aus denen der Inhalt durchaus zu ersehen ist.

Über den zweiten Punkt, die Auflage des »Stürmer«, haben sowohl der Angeklagte Streicher als auch der Zeuge Hiemer bereits ausgesagt, und es wird ergebenst darauf hingewiesen, daß die Einnahmen aus dem »Stürmer« und ihre Verwendung unerheblich sind.

Der nächste Antrag, Mylord, ist für den Angeklagten Sauckel auf Ladung eines Zeugen namens Biedermann statt eines bereits zugelassenen Zeugen, der unauffindbar ist. Die Anklagebehörde erhebt keinen Einspruch dagegen und auch nicht gegen die beantragten Dokumente. Ich werde mich daher mit Genehmigung des Gerichtshofs nicht in Einzelheiten über sie ergehen.


VORSITZENDER: Sir David! Wir möchten gerne wissen, was Sie für den geeigneten Zeitpunkt halten für die Zeugenvernehmungen bei den Angeklagten, deren Fälle schon vorgetragen worden sind. Sollen wir sie erst nach Beendigung aller Beweisaufnahmen vernehmen oder vorher?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Ich glaube, daß es besser wäre, sie früher zu vernehmen; wenn der Gerichtshof einen Samstagmorgen dafür reservieren könnte oder sonst bald, bevor noch die Fälle der einzelnen Angeklagten zu weit in den Hintergrund getreten sind.


VORSITZENDER: Wir werden darüber beraten und Ihnen Bescheid geben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie es Euer Lordschaft recht ist.

Der nächste Antrag ist vom Angeklagten Seyß-Inquart, der beantragt, Dr. Stuckart einen Fragebogen zur Ergänzung der Aussagen des Zeugen Lammers vorzulegen. Die Anklagebehörde erhebt keinen Einspruch gegen einen solchen Fragebogen, behält sich nur das Recht vor oder bittet den Gerichtshof, ihr das Recht vorzubehalten, ein Kreuzverhör vorzunehmen.

Der nächste, der Angeklagte Frick, beantragt einen Dr. Konrad als Zeugen über die Frage der Kirchenverfolgung. Die Anklagebehörde glaubt, daß zu diesem Punkt ein Fragebogen genügt, aber ich glaube, daß hier eine kleine Verwirrung vorliegt. Ich glaube[474] auch, daß hier ein Affidavit gemeint ist. Der Originalantrag lautet: »Ganz im Gegensatz zu der Beschuldigung, daß der Angeklagte an den Kirchenverfolgungen teilgenommen hat, wird ein Affidavit von diesem Zeugen beweisen, daß Frick die Interessen der Kirche stark verteidigt hat.« Es handelt sich hier also nur darum, ob ein Affidavit oder ein Fragebogen, nicht aber ein mündlicher Zeuge oder ein Fragebogen zuzulassen ist.

Zum nächsten Antrag für den Angeklagten Göring will ich mich nicht äußern, da mein Kollege, Oberst Pokrowsky, diesen behandeln wird.

Ich gehe nun zu den Anträgen für die Angeklagten Heß und Frank über. Dr. Seidl stellt den Antrag – wenn ich hier aus der Note des Generalsekretärs verlesen darf – auf eine amtliche Auskunft des amerikanischen Kriegsministeriums oder einer anderen Dienststelle des Office of Strategie Services. Er behauptet, daß er diese amtliche Auskunft zum Nachweise dafür wünscht, daß der Zeuge Gisevius im Zeugenstand einen Meineid geleistet habe, und sie möchten dieses nachweisen, um seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Es wird ferner behauptet, daß der Meineid darin bestehe, daß Gisevius im Kreuzverhör geleugnet habe, für eine auswärtige Macht gearbeitet zu haben und ebenso bestritten habe, von einer mit Deutschland im Kriege befindlichen Macht Vorteile empfangen zu haben. Diese Aussage stehe jedoch im Widerspruch zu seiner Angabe, er habe freundschaftliche und politische Beziehungen zum amerikanischen Secret Service unterhalten, sowie zu anderen später veröffentlichten Berichten. Er beantragt diese amtliche Auskunft zur Bestätigung der Richtigkeit dieser beiden Umstände, die angeblich im Widerspruch zu früheren Angaben des Zeugen stehen. Für den Fall, daß der Gerichtshof eine solche amtliche Mitteilung nicht für zulässig oder ausreichend erachten oder das amerikanische Kriegsministerium die Erteilung einer solchen Auskunft verweigern sollte, wird die Vernehmung des amerikanischen Kriegsministers, Herrn Patterson, als Zeuge für die wesentlichen Punkte beantragt.

Mylord! Ich behandle diese Sache lediglich vom Standpunkt der Rechtswissenschaft und trage vor, daß die englische Ansicht hierzu vernünftig ist und der Gerichtshof danach vorgehen sollte. Nach dem englischen Recht, wenn ich es recht verstehe, ist man, wenn man einen Zeugen über seine eigene Glaubwürdigkeit ins Kreuzverhör genommen hat, an seine Antworten gebunden. Es gibt nur eine einzige Ausnahme von dieser Regel, die meiner Erinnerung nach in einer Anmerkung in Roscoe's »Criminal Evidence« angegeben ist: Wenn man einen Zeugen über seine Glaubwürdigkeit im Kreuzverhör vernommen hat, kann man noch einen anderen Zeugen zitieren, der aussagen kann, daß er den allgemeinen Leumund [475] des Zeugen, der über seine Glaubwürdigkeit kreuzverhört wurde, kennt und wegen dieses allgemeinen Leumundes, und nur deswegen, dem Zeugen keinen Glauben schenkt. Das ist die einzige Ausnahme nach englischem Recht, die ich kenne.

VORSITZENDER: Und dann kann er natürlich widerlegt werden, wenn er über ein Verbrechen oder ein Vergehen kreuzverhört wird.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft haben recht. Ich hätte noch als weitere Ausnahme erwähnen sollen, daß, wenn er über eine bestimmte Verurteilung vernommen wird, diese Verurteilung nachgewiesen werden kann. Ich danke vielmals, Euer Lordschaft. Aber nach englischem Recht ist es unzulässig, wenn ein Zeuge über bestimmte Tatsachen zum Nachweise seiner Glaubwürdigkeit vernommen wurde, weitere Beweise über diese Tatsachen zu erbringen, es sei denn, daß es sich um eine Verurteilung durch den Staat handelt. Ich möchte noch vorbringen, daß der Grundsatz: »Interest rei publicae ut sit finis litium«, der sicherlich in allen Rechtssystemen gilt, auch hier zur Anwendung kommen muß und meinen Standpunkt unterstützt. Ich bitte um Entschuldigung, ich werde es jetzt übersetzen: »Es liegt im Interesse des Staates, daß Prozesse zu Ende gebracht werden.«

Mylord! Wenn man hier nicht die vom englischen Recht vorgesehene Grenze zöge, könnte man Beweisanträge stellen, um die Glaubwürdigkeit der Anklagezeugen zu erschüttern. Die Anklagebehörde würde dann antworten und Beweise beantragen zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeugen, die die Glaubwürdigkeit der Anklagezeugen angegriffen hatten, und so würde es niemals zu einem Ende eines Prozesses kommen. Mylord, darum, aus diesem allgemeinen Grund – ich will hier nicht akademische Ausführungen machen, aber es handelt sich hier um ein Prinzip von praktischer Bedeutung, um einen Prozeß in annehmbaren Grenzen zu halten – beantrage ich, diesen Antrag zurückzuweisen.

Ich glaube, Mylord, ich habe jetzt alle Angelegenheiten erledigt mit Ausnahme des Antrags des Angeklagten Göring, den mein Freund Oberst Pokrowsky behandeln wird.


OBERST POKROWSKY: Euer Lordschaft! Der Angeklagte Göring beantragt die Ladung weiterer Zeugen in der Sache der Massenmorde im Walde von Katyn, und zwar zur Feststellung der Rolle, die die Wehrmacht dabei gespielt hat. Mit anderen Worten, er will beweisen, daß die Deutsche Wehrmacht nichts mit dieser Hitler-Provokation zu tun hatte. Die Sowjet-Anklagebehörde widerspricht kategorisch...


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Wir kennen diese Geschichte ganz genau, da wir uns hier vorher damit beschäftigt haben. Sie brauchen daher nicht auf Einzelheiten einzugehen, denn, [476] wie ich es verstehe, handelt es sich hier um neue Zeugen, deren Vernehmung nicht beantragt wurde.


OBERST POKROWSKY: Ich dachte daran, daß hier neue Zeugen beantragt werden, und unter diesem Gesichtspunkt wollte ich dem Gerichtshof unseren genauen Standpunkt, das heißt den Standpunkt der Sowjet-Anklagebehörde, mit Bezug auf die Ladung neuer Zeugen mitteilen. Ich habe keine Absicht, die Angelegenheit des Zwischenfalls von Katyn eingehend zu behandeln. Die Sowjet-Anklagebehörde hat von Anfang an den Fall Katyn als eine allgemein bekannte Tatsache angesehen, und der Gerichtshof kann aus dem beschränkten Raum, den wir diesem Verbrechen in unserer Anklageschrift gewidmet haben und aus der Tatsache, daß wir es für möglich erachteten, hier nur wenige Auszüge aus dem Bericht der Kommission zu verlesen, ersehen, daß wir diesen Vorfall nur als eine Episode betrachten. Sollte jedoch die Frage, über die mein Kollege, Sir David, soeben gesprochen hat, aufgeworfen werden, das heißt, sollte der Gerichtshof an der Glaubwürdigkeit der angenommenen Beweisdokumente und der Zeugenaussagen zweifeln, dann wären wir genötigt, neues Beweismaterial vorzulegen, um die von der Verteidigung erneut vorgelegten Beweise zu erschüttern.

Sollte der Gerichtshof es für notwendig erachten, dieses Beweismaterial, das heißt zwei neue Zeugen in der Sache der Erschießungen im Walde von Katyn zuzulassen, dann wird die Sowjet-Anklagebehörde es für notwendig erachten, ungefähr zehn neue Zeugen, Sachverständige und Spezialisten zu laden, sowie dem Gerichtshof neues Beweismaterial, das uns zur Verfügung steht, das heißt neue, soeben erhaltene Dokumente vorzulegen und neuerlich den ganzen Bericht der Kommission, aus welchem wir dem Gerichtshof Auszüge verlesen haben, ins Protokoll zu lesen. Ich glaube, daß es das Verfahren sehr verzögern und nicht nur Stunden, sondern Tage in Anspruch nehmen wird.

Was uns anbetrifft, ist das nicht notwendig, und wir glauben, daß es als eine unzweckmäßige, durch keine Notwendigkeit bedingte Maßnahme abzulehnen ist.

Das, Mylord, ist, was ich zum Antrag des Angeklagten Göring vorzubringen hatte.

Nun möchte ich einige Worte anschließen an das Vorbringen Sir Davids zum Antrag Dr. Seidls. Ich will nicht im einzelnen ausführen, warum wir Sir David vollauf unterstützen und es als nötig betrachten, den Antrag Dr. Seidls abzulehnen. Ich will hierzu bemerken, daß ich heute morgen ein Dokument unterzeichnet habe, das dem Gerichtshof überreicht wird und alle unsere Erwägungen in dieser Angelegenheit enthält. Da dieses Dokument dem Gerichtshof vorliegt, habe ich andererseits Gelegenheit gehabt, dem Gerichtshof unsere Lage ohne Zeitvergeudung klarzumachen.


[477] VORSITZENDER: Es ist nicht notwendig, dem Verteidiger des Angeklagten Schirach das Wort zu erteilen, weil gegen seine beiden Anträge bezüglich des Zeugen Marsalek und eines Fragebogens für Dr. Kauffmann keine Einwendung erhoben wird.

Was den Fall des Angeklagten Heß betrifft, wird der Gerichtshof darüber beraten, wie in einer bereits getroffenen Entscheidung bekanntgegeben wurde.

Bezüglich des Angeklagten Funk besteht kein Einspruch gegen das Affidavit von Kallus, und so brauchen wir uns weiter damit nicht aufzuhalten, es sei denn, daß der Verteidiger Funks in dieser Angelegenheit dem Gerichtshof etwas vorbringen will.

Im Falle des Angeklagten Streicher wurde Einspruch gegen den Zeugen Gaßner erhoben. Vielleicht soll der Verteidiger des Angeklagten Streicher mitteilen, was er hierzu zu sagen wünscht.


[Keine Antwort.]


Also dann wird der Gerichtshof darüber beraten.

Im Falle Sauckel sind keine Einwendungen erhoben worden.

Im Falle Seyß-Inquart bestehen gegen den Fragebogen auch keine Einwände.

Im Falle des Angeklagten Frick hat Sir David einen Fragebogen vorgeschlagen. Es ist nicht ganz klar, ob ein Fragebogen beantragt war. Ist der Verteidiger für Frick hier?


[Keine Antwort.]


Wir werden darüber beraten.

Im Falle Gering wird der Gerichtshof über die Anträge des Angeklagten beraten.

Dr. Seidl! Wollen Sie in Sachen Heß und Frank zur Zeugenaussage Gisevius Stellung nehmen?

DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN HESS UND FRANK: Herr Präsident! Der Antrag auf die Einholung einer amtlichen Auskunft beim Kriegsminister wurde nur zu dem Zweck gestellt, um Unterlagen für die Glaubwürdigkeit des Zeugen Gisevius zu bekommen. Ich habe nachher noch einen Antrag auf Vernehmung des amerikanischen Kriegsministers Patterson durch einen Fragebogen gestellt, der sich mit dem gleichen Beweisthema beschäftigt und einen Tag später noch einen Antrag auf Vernehmung des Chefs des OSS, des Generals Donovan, auch durch Vernehmung im Wege eines Fragebogens. Ich glaube, daß dieser neue Antrag in Händen des Gerichts ist. Diesen weiteren Antrag habe ich nur gestellt, weil der erstbenannte Zeuge Patterson nur während einer verhältnismäßig kurzen Zeit Kriegsminister war und es vielleicht zweckmäßig erschien, daneben den Leiter dieser Organisation selbst als Zeugen zu benennen. Zur Begründung dieser [478] Anträge nehme ich Bezug auf meine schriftliche Darstellung vom 1. Mai dieses Jahres, die ich als Anlage 1 dem Formblatt beigegeben habe, und auf die Anlage 2, die Meldung der Associated Press über diesen Vorgang. Ich möchte nur ganz kurz auf das erwidern, was Sir David Maxwell-Fyfe hier gesagt hat.

Das Tribunal ist bei der Frage, ob derartige zusätzliche Zeugen, die sich auf die Glaubwürdigkeit anderer Zeugen beziehen, zugelassen sind, nicht an irgendwelche Regeln gebunden. Weder das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof noch die Verfahrensordnung enthalten darüber irgendwelche Bestimmungen. Es ist meines Erachtens vielmehr ausschließlich dem freien Ermessen des Gerichts überlassen, ob und unter welchen Umständen solche zusätzlichen Beweismittel, die sich auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen beziehen, zugelassen werden sollen oder nicht. Im deutschen Strafprozeß sind derartige Beweismittel ohne weiteres zulässig.

Nachdem aber das Tribunal in der Gestaltung des Verfahrens durch keinerlei Verfahrensvorschriften gebunden ist, sehe ich keinen Grund, warum man nun irgendwelche Verfahrensgepflogenheiten des anglo-amerikanischen Rechts hier zugrunde legen sollte, nachdem das Statut weder das anglo-amerikanische Rechtsverfahren noch das kontinental-europäische Rechtsverfahren zur Grundlage gemacht hat, sondern es sich hier um einen Prozeß und Gerichtsverfahrensgesetz handelt, das durchaus eigene Wege geht und dem Ermessen des Gerichts völlig freien Spielraum läßt.

Das ist alles, was ich dazu noch sagen wollte.


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Einen Augenblick bitte Betreffen die Fragen, die Sie über den Zeugen Gisevius stellen wollen, nur seine Glaubwürdigkeit?


DR. SEIDL: Ich habe bereits in meinem schriftlichen Antrag ausgeführt, daß es sich für mich nicht darum handelt, ob nun gegebenenfalls der Zeuge Gisevius sich einer Handlung schuldig gemacht hat, die nach deutschem Recht vielleicht als Verbrechen des Landesverrats zu beurteilen wäre. Ich habe die Frage nur im Hinblick auf die Prüfung der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen vor diesem Tribunal gestellt.


VORSITZENDER: Das habe ich auch angenommen.

Ich möchte noch eine andere Frage stellen. Wurden diese Verträge oder Pakte, die, wie Sie sagen, zwischen der Sowjetunion und Deutschland bestanden, gedruckt veröffentlicht? Sind alle Dokumente, die Sie verwenden wollen, schon vervielfältigt und an den Gerichtshof verteilt worden?


DR. SEIDL: Herr Vorsitzender! Ich habe am 13. November dieses Jahres sechs Abschriften dieser fünf Dokumente dem Herrn Generalsekretär übergeben und habe darüber hinaus der Anklagevertretung [479] auch eine entsprechende Anzahl von Dokumenten übergeben. Alle diese Dokumente sind mit Schreibmaschine, beziehungsweise im automatischen Verfahren vervielfältigt worden.


VORSITZENDER: Sehr gut.


DR. SEIDL: Ich darf vielleicht noch einiges hinzusetzen?

Das Gericht hat bei einer früheren Gelegenheit die erste eidesstattliche Versicherung des Botschafters Gaus als Beweismittel zugelassen. Die erste eidesstattliche Versicherung ist eine Inhaltsangabe dieser geheimen Verträge. Es ist nun meine Ansicht...


VORSITZENDER: Das weiß ich ja.


DR. SEIDL:... wenn man die Verträge selbst hat, man zu den Verträgen zurückgehen sollte und sich nicht mit einer bloßen Inhaltsangabe begnügen sollte. Wenn das Gericht es wünscht und wenn es es für notwendig erachten wird, dann wäre ich bereit, im gegenwärtigen Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt auf die Beweiserheblichkeit dieser Verträge hinzuweisen.

Ich habe nur acht Punkte notiert, aus denen heraus mir die Verträge beweiserheblich erscheinen, und ich darf vielleicht nur darauf hinweisen, daß diese Zusatzverträge...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat schon angeordnet, daß diese Dokumente vorgelegt werden sollen und wird sie dann prüfen. Und da wir dies vorhaben, ist es jetzt nicht nötig, auf Einzelheiten darüber einzugehen. Wir werden darüber beraten.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Es ist bei der Vernehmung des Angeklagten Funk ein Film vorgezeigt worden hier an der Wand und ein Affidavit eines Zeugen Puhl verlesen worden – Emil Puhl, Vizepräsident der Reichsbank. Das Gericht hat damals auf meinen Antrag beschlossen, daß dieser Zeuge Emil Puhl zum Kreuzverhör hierher kommen soll. Nun würde ich bitten, daß Sie Ihren Beschluß nach einer Richtung ergänzen. Ich halte es nämlich für zweckmäßig, daß dieser Zeuge Puhl den Film, den Sie neulich – vor einigen Tagen – an der Wand gesehen haben, auch vorgeführt bekommt, damit er sich darüber äußern kann, ob tatsächlich die Stahlkammern der Reichsbank so ausgesehen haben, wie es auf dem Film gezeigt wurde.

Deshalb würde ich Sie bitten, Herr Präsident, daß angeordnet wird, daß dieser kleine Film, der uns neulich zweimal vorgeführt wurde, auch dem Zeugen Puhl vor seiner Vernehmung gezeigt wird. Es ist das natürlich nicht notwendig in der Sitzung des Gerichts, sondern kann in Gegenwart des Herrn Staatsanwalts und in meiner Gegenwart auch außerhalb der Sitzung geschehen. Nur habe ich eben an den Zeugen Puhl verschiedene Fragen zu stellen, und dazu ist notwendig, daß er diesen Film vorher sieht. Diesen [480] Antrag wollte ich heute stellen, damit bei der Vernehmung des Zeugen Puhl keine Hinderung eintritt.


VORSITZENDER: Kennt der Zeuge Puhl die Stahlkammern in Frankfurt, die photographiert worden sind?


DR. SAUTER: Ja.


VORSITZENDER: Er war Direktor in Berlin, nicht wahr?


DR. SAUTER: Ja. Aber ich nehme an, Herr Präsident, daß der Zeuge Puhl, der doch geschäftsführender Vizepräsident war, die Stahlkammern in Frankfurt auch kennt, und außerdem glaube ich, daß die Stahlkammern in den verschiedenen Filialen der Reichsbank alle nach demselben System gebaut und nach demselben System auch in der Praxis behandelt worden sind. Er wird ja auch dann darüber Auskunft geben können, ob diese Art der Aufbewahrung, wie sie in dem Film dargelegt wurde, wirklich so ist, wie die Reichsbank ihre Depots aufzubewahren pflegte.


VORSITZENDER: Hat die Anklagebehörde etwas zu sagen?


MR RALPH G. ALBRECHT, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Herr Vorsitzender! Ich glaube, da es sich um ein auf den Fall bezügliches Dokument handelt, würden wir es dem Zeugen sehr gerne zeigen, bevor er von Dr. Sauter ins Kreuzverhör genommen wird.


VORSITZENDER: Ja, es wäre wahrscheinlich am besten, dem Zeugen, wie Dr. Sauter vorgeschlagen hat, den Film hier im Gericht zu zeigen; nicht gerade in diesem Verhandlungssaal, sondern in einem anderen Raum.


MR. ALBRECHT: Ja, wir können das in Gegenwart der Anklagevertretung wohl machen.


VORSITZENDER: Sie können das mit Dr. Sauter vereinbaren?


MR. ALBRECHT: Jawohl, Herr Vorsitzender.


DR. SAUTER: Danke bestens.


VORSITZENDER: Dr. Sauter! Ist schon irgendeine Zeit für die Vernehmung des Zeugen Puhl verabredet worden?

DR. SAUTER: Nein, es ist nichts verabredet worden. Der Zeuge ist, soviel ich gehört habe, bereits hier. Wann er vernommen wird, weiß ich nicht; das überlasse ich ganz der Staatsanwaltschaft.


VORSITZENDER: Wann wäre es wohl am zweckmäßigsten?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Herr Dalton schlägt vor, beim Abschluß des Falles des Angeklagten Dönitz.


VORSITZENDER: Wäre das zweckmäßig? Wäre es nicht besser, die Vernehmung nach dem Fall des Angeklagten Raeder einzuschieben, da ja die beiden Fälle doch in ziemlich engem Zusammenhang stehen?


[481] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn der Gerichtshof das vorzieht, so könnten wir sie nach dem Fall Raeder erledigen.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, ob auch Dr. Kranzbühler und Dr. Siemers das vorziehen würden.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ja.


VORSITZENDER: Vielleicht können Sie das mit ihnen vereinbaren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Mylord.


VORSITZENDER: Das heißt also, wir würden Puhl so bald als möglich vernehmen, entweder nach der Beweisaufnahme im Fall des Angeklagten Dönitz oder nach der Beweisaufnahme im Fall des Angeklagten Raeder – was Sie vorziehen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn es Euer Lordschaft so recht ist, werden wir das tun.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich möchte dem Gericht mitteilen, daß ich an den Anträgen, die der Kollege Stahmer für den Angeklagten Göring zur Aufklärung des Falles Katyn gestellt hat, auch mit Rücksicht auf meine Mandanten interessiert bin. Ich habe aus dem Antragsverfahren, das durch den Herrn russischen Anklagevertreter vorgenommen worden ist, entnommen, daß auch dieser Komplex zur Belastung des Generalstabs und OKW vorgetragen worden ist, obwohl keine Beweise in der Richtung vorgebracht wurden, daß diese Vorfälle auf Befehl oder unter Billigung des Generalstabs oder OKW vorgekommen sind.


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Sind nicht vielleicht alle Angeklagten daran interessiert?


DR. LATERNSER: Ja. Ich möchte nur dem Gericht mitteilen. daß ich an den Anträgen des Kollegen Stahmer interessiert bin und bitte, ihnen stattzugeben; denn wir haben eine Aufgabenteilung vereinbart, und deswegen ist der Antrag vom Kollegen Stahmer gestellt worden. Das wollte ich dem Gericht zunächst mitteilen.

Und dann möchte ich Sie noch darauf aufmerksam machen, daß ich vor einiger Zeit, als der Kollege Nelte für den Angeklagten Keitel auf die Vernehmung des Zeugen Halder verzichtet hat, ich das Gericht darauf aufmerksam machte, daß durch diesen Verzicht meine Rechte beeinträchtigt wurden und daß der Zeuge Halder zum Kreuzverhör durch die Russische Anklagebehörde gestellt werden müsse. Mir wurde damals in Aussicht gestellt, und ich habe das Protokoll daraufhin nachgesehen, daß der Zeuge Halder zum Kreuzverhör erscheinen werde, und das Gericht wollte mir in der damaligen Sitzung, als ich darauf hingewiesen habe, in den nächsten Tagen eine Entscheidung darüber verkünden. Obwohl schon [482] längere Zeit verstrichen ist, ist die Entscheidung noch nicht verkündet worden. Ich wollte das Gericht auf diesen Punkt aufmerksam machen.


VORSITZENDER: Über Ihre Zeugen ist noch nicht verhandelt worden, nicht wahr? Sie haben doch noch keine Anträge auf Zeugenladung gestellt? Sie sind doch nicht angeboten worden? Die Sache wurde noch nicht behandelt?


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Es taucht wieder das gleiche Mißverständnis auf, das aufgetaucht ist, als ich damals darauf aufmerksam machte, daß durch den Verzicht auf den Zeugen Halder meine Rechte beeinträchtigt würden. Es war doch so, daß damals von der Russischen Anklagebehörde ein Affidavit des Generalobersten Halder vorgelegt wurde und auf Widerspruch der Verteidigung, der damals auch in meinem Namen vorgenommen wurde, das Gericht bestimmt hat, daß der Zeuge Halder zum Kreuzverhör zu stellen sei. Und dieses Recht zum Kreuzverhör steht mir doch zu, deswegen ist es doch der richtige Zeitpunkt, daß ich das Hohe Gericht darauf aufmerksam mache.


VORSITZENDER: Ja, aber es handelt sich doch darum, wann der angemessene Zeitpunkt dazu ist. Sie werden Gelegenheit haben, ihn ins Kreuzverhör zu nehmen, die Frage ist nur, wann Sie wünschen persönlich dieses Kreuzverhör für das OKW vorzunehmen?


DR. LATERNSER: Ja.


VORSITZENDER: Wir werden darüber beraten, Dr. Laternser.

Das Gericht wird die Verhandlung jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

13. Mai 1946, 10.00 Uhr]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 13, S. 454-484.
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