Vormittagssitzung.

[417] [Der Angeklagte von Papen im Zeugenstand.]


GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es wird gemeldet, daß der Angeklagte von Neurath der Verhandlung heute fernbleibt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor wir von Herrn Messersmith auf etwas anderes übergehen, Angeklagter, möchte ich an Sie drei Fragen stellen über die anderen Länder in Südosteuropa, die Herr Messersmith erwähnt hat.

Wußten Sie, daß das Deutsche Auswärtige Amt die Henlein-Bewegung der Sudetendeutschen finanziert und geleitet hat?


VON PAPEN: Ich glaube nicht, daß mir das zu dieser Zeit bekanntgeworden ist, denn im Jahre 1935, als dieser Bericht geschrieben wurde, war die sudetendeutsche Frage gar nicht aktuell.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wann haben Sie davon gehört?


VON PAPEN: Im wesentlichen hier in diesem Saal.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Wußten Sie, daß das Reich Herrn Codreanu und die Eiserne Garde in Rumänien unterstützt hat?


VON PAPEN: Ich glaube, daß das auch in einem sehr viel späteren Zeitpunkt war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Davon erfuhren Sie auch nach dem Jahre 1935. Wann haben Sie davon erfahren?


VON PAPEN: Ich kann es nicht sagen, aber ich glaube, daß diese Ereignisse mit der Eisernen Garde in Rumänien etwa in das Jahr 1937 gefallen sind. Ich kann mich irren, aber ich glaube es nicht.


VORSITZENDER: Sir David! Ich glaube, Sie stehen zu nahe am Mikrophon.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft.

Wußten Sie, daß im Jahre 1944 in einer amtlichen Veröffentlichung des Reiches, die von dem Angeklagten Kaltenbrunner redigiert wurde, davon gesprochen wurde, daß Sie möglicherweise der Mann wären, um dasselbe in Ungarn zu tun, nämlich Ungarns Anschluß an das Reich vorzubereiten, die innenpolitische Arbeit in Ungarn vorzunehmen, daß Ungarn an geschlossen werden könne?


VON PAPEN: Nein. Ich habe es erstens nicht gewußt, und zweitensmal darf ich da sagen, ist es eine unmögliche Idee, denn [417] ich war mit dem Reichsverweser Ungarns, Admiral Horthy, sehr befreundet, und ich habe in meinem Fragebogen an den Admiral Horthy eine Frage an ihn gestellt, die er leider nicht beantwortet hat, weil er sich nicht mehr erinnert. Dort ist festgestellt, daß im Jahre 1943, im Herbst 1943, der ungarische Innenminister Keresctes-Fischer mir ein Dokument übergab, aus dem sich zeigte, daß deutsche oder deutsch-ungarische Kräfte einen Anschluß von Ungarn nach Deutschland durch eine Revolte herbeiführen wollten. Dieses Dokument habe ich auf Wunsch des Reichsverwesers Horthy sofort dem Herrn von Ribbentrop übergeben und ihn gebeten, die geeigneten Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Das steht alles aktenmäßig fest, und der ungarische Innenminister wird das bestätigen können.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie verstehen, worauf ich hinaus will. Es interessiert mich nicht, ob Sie das angenommen hätten oder nicht. Was ich sagen will ist, daß Sie dazu ausersehen waren. Wissen Sie das nicht? Sie kennen doch das Dokument, von dem ich spreche, D-679, mit vielen Bemerkungen von Kaltenbrunner, in welchem über Sie gesprochen wird als die Person, die für die innerpolitische Arbeit in Ungarn in Frage käme.

Euer Lordschaft! Es ist Seite 78 des Dokumentenbuches 11a, GB-503, und steht auf Seite 46 des deutschen Dokumentenbuches 11a.


VON PAPEN: Ja, Sir David, ich habe diese Notiz durchgesehen vorgestern, nachdem Sie sie hier vorgelegt haben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Sie dann nicht weiter damit bemühen, wenn Sie erst hier davon erfahren haben. Ich möchte nur wissen: Wußten Sie im Jahre 1944, daß Sie in einem deutschen Staatsdokument vorgeschlagen wurden als die Person, die die innerpolitische Arbeit in Ungarn vornehmen könne, damit Ungarn ans Reich angeschlossen werden könne? Wenn Sie sagen, daß Sie davon nichts wußten, werde ich Sie damit nicht weiter bemühen. Sie sagen, daß Sie das erst seit vorgestern wissen?


VON PAPEN: Einmal das und zweitensmal ist das historisch bekannt, daß ich mich oft und oft gegen diese Bestrebungen von Ungarn gewandt habe, die versuchten, Ungarn auf irgendeine Weise später durch Besetzung zu einem Teil des Deutschen Reiches zu machen. Ich habe das für die unrichtigste und unmöglichste Politik gehalten, die man machen konnte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Sie mit diesem Dokument nicht wieder bemühen, da Sie es ja nicht kannten. Wir werden zu einer anderen Sache übergehen.

Sie erinnern sich doch an Gauleiter Rainer, den Herrn, mit dem Sie zufällig eine sicher sehr interessante Besprechung am Vorabend des Anschlusses hatten, Dr. Rainer, den Zeugen? Bitte, betrachten [418] Sie Dr. Rainers Beurteilung der Lage Österreichs zur Zeit, als Sie Ihr Amt übernahmen, und sagen Sie dem Gerichtshof, ob Sie ihm zustimmen.

Euer Lordschaft! Es ist auf Seite 6 des Dokumentenbuches 11. Das ist Dokument 812-PS. Es fängt auf Seite 6 an, und die Stelle, die ich zitieren werde, ist Seite 8.

Haben Sie die Stelle gefunden? Sie beginnt mit den Worten:

»Damit begann der erste Kampfabschnitt, der mit der Juli-Erhebung 1934 endete. Der Entschluß zur Juli-Erhebung war richtig; in der Durchführung steckten viele Fehler. Das Ergebnis war eine völlige Zerschlagung der Organisation, Verlust ganzer Schichten von Kämpfern durch Gefangennahme oder Flucht ins Altreich und im politischen Verhältnis des Deutschen Reiches zu Österreich eine formelle Anerkennung des Bestehens des Österreichischen Staates durch die Deutsche Reichsregierung. Mit der Depesche an Papen, in der die Weisung enthalten war, wieder normale Beziehungen zwischen den beiden Staaten herzustellen, war der erste Kampfabschnitt durch den Führer liquidiert und eine neue Methode der politischen Durchdringung begonnen.«

Stimmen Sie mit ihm darin überein, daß das eine richtige Beschreibung Ihrer Tätigkeit ist – »eine neue Methode der politischen Durchdringung«.

VON PAPEN: Nein, Sir David, das ist eine sehr falsche Beschreibung meiner Tätigkeit.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie nicht mit Dr. Rainer übereinstimmen, dann sagen Sie mir doch bitte, kennen Sie den Zeugen? Sie müssen doch den Zeugen Dr. Paul Schmidt ziemlich gut kennen. Kennen Sie ihn?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Ich glaube, daß Sie mir zustimmen werden, daß er eine Persönlichkeit ist, gegen die niemand während des ganzen Prozesses etwas gesagt hat. Ich habe kein Wort der Kritik gegen Paul Schmidt gehört. Stimmen Sie mit mir darin überein?


VON PAPEN: Sprechen Sie von dem Zeugen, dem Dolmetscher Schmidt oder dem Außenminister Schmidt?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dem Dolmetscher Paul Schmidt.


VON PAPEN: Dem Dolmetscher Paul Schmidt; darüber werde ich Ihnen meine Ansicht gleich sagen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Stimmen Sie mit mir dahin überein, daß er eine vertrauenswürdige Person ist, oder sagen Sie, daß er nicht vertrauenswürdig ist?


[419] VON PAPEN: Ich habe gegen die menschlichen Qualitäten des Herrn Schmidt gar nichts einzuwenden, aber ich habe sehr viel einzuwenden, daß Herr Schmidt sich ein Urteil erlaubt über meine politische Tätigkeit in Österreich.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor Sie das erklären, sehen Sie es sich an. Sie finden das Affidavit von Dr. Paul Schmidt auf Seite 41 des Dokumentenbuches 11a, das ist Seite 37 des deutschen Dokumentenbuches. Es ist Dokument 3308-PS. Es ist der 8. Absatz. Hören Sie sich jetzt bitte die Ansicht des Dr. Paul Schmidt an:

»Pläne für den Anschluß Österreichs waren von Anfang an ein Teil des Nazi-Programms. Nach dem Mord von Dollfuß zwang italienischer Widerstand zeitweilig ein vorsichtigeres Annähern an dieses Problem, aber die Anwendung von Sanktionen gegen Italien durch den Völkerbund und dazu die rasche Verstärkung deutscher militärischer Macht machten die Wiederaufnahme des österreichischen Programms sicherer. Als Göring im Anfang 1937 Rom besuchte, erklärte er, daß der Anschluß Österreichs an Deutschland unvermeidlich und früher oder später zu erwarten wäre. Als Mussolini diese Worte in der deutschen Sprache hörte, schwieg er still, und als ich sie ins Französische übersetzte, sprach er nur sehr schwach dagegen. Die Vollziehung des Anschlusses war im wesentlichen eine Parteiangelegenheit, in der es die Rolle von Papens war, nach außen glatte diplomatische Beziehungen aufrechtzuerhalten, während die Partei mehr abweichende Wege benutzte, um die Vorbedingungen für den zu erwartenden Schritt zu treffen.«

Und dann, Angeklagter, um es richtigzustellen, begeht er einen Irrtum. Es ist eine Rede Hitlers vom 18. Februar, unter die der Übersetzer irrtümlicherweise Ihren Namen gesetzt hat. Ich insistiere darauf nicht, möchte aber wissen, ob Sie zugeben, daß es Ihre Rolle war, »glatte diplomatische Beziehungen nach außenhin aufrechtzuerhalten, während die Partei mehr abweichende Wege benutzte«. Stimmen Sie mit ihm darin überein, daß das eine genaue Beschreibung Ihres Programms ist, Ihrer Mission in Österreich?

VON PAPEN: Ganz im Gegenteil, Sir David. Das gerade Gegenteil ist der Fall. Ich habe meine Aufgabe in Österreich dem Hohen Gericht sehr klar und deut lich auseinandergesetzt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe.


VON PAPEN: Es war eine Aufgabe der Befriedung und Normalisierung und eine Weiterführung der Politik eines Ineinanderwachsens der beiden Staaten auf einem evolutionären Wege.

Und nun lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu diesem Affidavit des Herrn Schmidt. Wir haben damals festgestellt, als der Zeuge [420] hier in diesem Stuhle saß, daß dieses Affidavit ihm vorgelegt wurde, als er im Krankenhaus nach schwerer Krankheit noch zu Bette lag und man ihm dieses Schriftstück zur Unterschrift gegeben hat...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Gerichtshof wird das zu würdigen wissen. Wir haben das alles schon gehört, und Dr. Schmidt ist auch im Kreuzverhör vernommen worden, und Sie dürfen mir glauben, daß der Gerichtshof über die Umstände des Zustandekommens des Affidavits genau Bescheid weiß. Wenn Sie noch irgendwelche Erklärungen zum Inhalt hinzufügen wollen, dann bin ich sicher, daß der Gerichtshof Ihnen das gern gestattet. Aber über die Umstände brauchen Sie nicht mehr zu sprechen. Der Gerichtshof kennt das alles.


VON PAPEN: Ich werde über den Inhalt kommentieren, und zwar werde ich ausführen, daß der Gesandte Schmidt, der später eine höchst einflußreiche Rolle bei Außenminister von Ribbentrop gehabt hat, in den Jahren, die hier zur Debatte stehen, eine völlig untergeordnete Stellung im Auswärtigen Amt bekleidet hat, die es ihm nicht erlaubte, einen Einblick oder einen genauen Einblick in die Zustände in Österreich über meine Politik, über meine Berichterstattung zu gewinnen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, wenn das so ist...


VON PAPEN: Sir David! Das wird Ihnen morgen oder übermorgen auch der Herr von Neurath noch bestätigen können.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darüber wollen wir nicht weiter streiten. Der Gerichtshof hat den ganzen Lebenslauf Dr. Schmidts vor sich und die eidesstattliche Erklärung. Sie sagen, Sie hätten dem Gerichtshof Ihre Auffassung über Ihre Mission in Österreich erklärt. Wenn Ihre Auffassung eine solche war, wie Sie sie darstellen, warum war es für Sie notwendig, die Lage der Explosivkammern auf Österreichs strategischen Straßen ausfindig zu machen? Stellte dies nicht wieder einen Rückfall auf die Entwicklung der »Zylinder«-Idee dar, die Sie so stark abgelehnt haben?

Wenn Sie sich dessen nicht mehr entsinnen, dann darf ich Sie vielleicht daran erinnern.

Es ist Dokument D-689.

Der Gerichtshof wird es auf Seite 101 finden. Die Stelle ist auf Seite 102, es ist auf Seite 90 und 91 in der deutschen Fassung des Dokumentenbuches 11a. Es wird GB-504.

Es handelt von der Eröffnung der Großglocknerstraße, die, wie Sie wissen, eine Straße von strategischer Bedeutung ist. Sie führt von Salzburg nach Kärnten. Erinnern Sie sich, daß nach Ihrer Darstellung die Leute in Salzburg alles gesungen haben bis auf das [421] Horst-Wessel-Lied. Dann sprechen Sie über die Teilnahme der deutschen Rennfahrer und sagen dann im dritten und nächsten Absatz:

»Der Straßenbau ist ohne Zweifel ein erstrangiges Kulturwerk, an dem reichsdeutsche Baufirmen in erster Linie und maßgeblich beteiligt waren. Der Chefingenieur der reichsdeutschen Firma, die den Durchgangstunnel am höchsten Punkt gebaut hatte, erbot sich, mir die Lage der Sprengkammern in diesem Tunnel anzugeben. Ich habe ihn an den Militär-Attaché verwiesen.«

Das war die Art, wie Sie Kultur und Ihr Lob der Vorzüge deutscher Straßenkonstruktion mit der Ausforschung der Lage der Explosivkammern des Tunnels an dem wichtigsten strategischen Teil der Straße verbunden haben. Warum haben Sie das für so wichtig gehalten, daß Sie es an Hitler sandten mit drei Durchschlägen für das Auswärtige Amt?

VON PAPEN: Sir David! Ich gebe einen genauen Bericht von den Vorgängen bei der Einweihung dieser Straße.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das will ich gar nicht haben, der Gerichtshof kann sich das beschaffen. Ich frage Sie, warum Sie an Hitler einen Bericht darüber sandten, daß der reichsdeutsche Ingenieur Ihnen die Sprengkammern in dem wichtigen Teil dieser Straße gezeigt hat. Warum haben Sie diesen Bericht an Hitler gesandt? Ich will, daß Sie das dem Gerichtshof sagen.


VON PAPEN: Weil es mir interessant schien, daß dieser Mann unaufgefordert an mich herangetreten ist und mir etwa gesagt hatte: »Da und da kann man diesen Tunnel sprengen.« Sie wissen doch, daß wir damals in sehr gespannten Beziehungen zu Italien waren, daß Italien an der Brennergrenze mobilisiert hatte, und deswegen schien es mir von Interesse, daß diese neue große Verbindung zwischen Italien und Deutschland zu einem geeigneten Zeitpunkt wieder unterbrochen werden konnte. Im übrigen habe ich die Sache an meinen Militär-Attaché verwiesen, weil sie mich persönlich nicht interessierte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Sie hatten sich damals schon außerhalb der Art von Leuten gestellt, die so etwas selbst taten. Sie waren der Chef der Gesandtschaft, und das war Sache des Militär-Attachés.

War das Ihr Plan, Angeklagter, daß Sie bei Einführung der deutschen Kultur wie bei der Vorführung des Straßenbaues sich zu gleicher Zeit die strategischen Informationen beschafften, die Sie an Ihre Regierung weiterleiten konnten, wobei Sie die strategischen Pläne der Österreichischen Regierung zur Benützung der Straße untergruben?


[422] VORSITZENDER: Der Angeklagte hat doch gesagt, daß es eine Straße war, die Deutschland mit Italien verband, nicht wahr?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft! Die Straße führt in der Tat von Salzburg, das praktisch an der deutschen Grenze liegt, nach Kärnten in Südösterreich. Es war daher eine neue Chaussee für den Verkehr zwischen Nord- und Südösterreich.


VORSITZENDER: Hat sie in Wirklichkeit Deutschland mit Italien verbunden oder Österreich mit Italien?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Österreich.


[Zum Zeugen gewandt:]


Gut, wir wollen nun auf etwas anderes übergehen, wofür Sie sich interessierten. Sie haben auch berichtet, wo die österreichischen Munitionsvorräte gelagert werden sollten und die Herstellung von Munition stattfinden sollte, nicht wahr?

VON PAPEN: Ich erinnere mich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Wenn Sie sich nicht erinnern, dann können Sie es sich ansehen. Es ist Dokument D-694. Sie finden es ein paar Seiten weiter.

Es ist Seite 110 im englischen Text, Euer Lordschaft, Seite 108 des deutschen Buches. Es wird GB-505 werden. Das Datum ist der 26. November 1935. Es ist Seite 110, und die Stelle, die ich verlesen werde, steht auf Seite 111.

Angeklagter, Sie werden es oben auf Seite 112 der deutschen Übersetzung finden. Sie sprechen hier über den Einfluß Mandels, dessen jüdische Abstammung Sie erwähnt haben, und gehen dann auf Fürst Starhemberg über. Es heißt hier:

»Nachdem auf italienischen Einspruch die Munitionsfabrikation für Italien in Hirtenberg habe eingestellt werden müssen, habe er, Mandel, die ganze Fabrik auf die Eisenbahn geladen, um sie in Italien weiterzubetreiben.«

Und dann beachten Sie den nächsten Satz, der in Klammem steht:

»ein übrigens interessanter Zustand für die Munitionsversorgung Österreichs!«

Gehörte das zu Ihrer Auffassung, normale Beziehungen wieder herzustellen, daß Sie über die Bewegungen in der österreichischen Munitionsversorgung und -herstellung Bericht erstatten sollten?

VON PAPEN: Nein, das war an sich nicht meine Aufgabe, aber dieser Bericht ergibt ja, Sir David, daß ich ein Gespräch mit dem Polnischen Gesandten Gawronski wiedergab, der mir erzählte, diese einzige Munitionsfabrik, die in Österreich existiere, werde nach [423] Italien verlegt. Und ich schrieb darüber, daß es ein merkwürdiger Zustand ist, daß ein Land seine Munitionsversorgung aus dem Auslande beziehen soll.

Sie müssen doch zugeben, daß das eine sehr merkwürdige Angelegenheit ist und daß man das in einem Bericht schreiben kann.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist also Ihre Erklärung; ich werde keine Zeit damit verschwenden.


VORSITZENDER: Sie haben uns das Datum gegeben, aber woher stammt es?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es ist in Dokument D-694. Es ist ein Bericht des Angeklagten vom 26. November 1935 an Hitler. Es steht auf Seite 110 im Dokumentenbuch 11a.


VORSITZENDER: Wir haben es, aber es enthält kein Datum.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft, darum habe ich das Datum angegeben.


VORSITZENDER: Woher haben Sie das Datum?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe im Original nachgesehen, das heißt, Major Barrington hat es nachgesehen, Euer Lordschaft, Sie werden sehen, daß das Datum ausgelassen wurde. Es ist zwischen einem Dokument vom 11. November und einem vom Januar.


VORSITZENDER: Falsch geschrieben?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich möchte nun weitergehen und ganz kurz Ihre eigenen persönlichen Erfahrungen in Österreich besprechen. Erinnern Sie sich daran, wie Sie die Salzburger Festspiele im Jahre 1935 besuchten, als Sie etwa ein Jahr dort waren? Erinnern Sie sich noch? Ich weiß nicht, Sie sind wahrscheinlich jedes Jahr hingegangen.

Ich möchte Sie besonders an folgendes erinnern: Erinnern Sie sich, daß, als Sie dort ankamen, 500 Nationalsozialisten Sie mit Musik begrüßten und eine solche Demonstration veranstalteten, daß andere Gäste im Hotel an das Bundeskanzleramt telephonieren oder telegraphieren wollten, um zu sagen, daß der Deutsche Botschafter eine große Nazi-Demonstration hervorgerufen habe? Erinnern Sie sich daran?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ein Hinweis darauf, Euer Lordschaft, befindet sich auf Seite 102, es ist Dokument D-689, von dem ich bereits gesprochen habe, Seite 102 des Dokumentenbuches 11a.

[424] Jetzt möchte ich noch ein anderes Beispiel anführen. Erinnern Sie sich an die Versammlung der Kameraden des ersten Weltkrieges in Wels?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn ich mich recht entsinne, war das im Jahre 1937, nicht wahr?


VON PAPEN: Ganz richtig, ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und alle Vorbereitungen waren getroffen worden für eine unpolitische Versammlung, ein Zusammentreffen der österreichischen Regimenter und der alten Kameraden der deutschen Regimenter. Nach der Versammlung sollte ein gemeinsames Essen stattfinden, und der Abend sollte in Sang und Klang enden. Das war doch das Programm oder nicht?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und bei diesem Zusammentreffen haben General Glaise-Horstenau und Sie Ansprachen gehalten?


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, daß General Glaise-Horstenau – ohne ihm nahetreten zu wollen – keine sehr eindrucksvolle Rede gehalten hat. Das war doch Ihr Eindruck, stimmt das nicht, eine nicht sehr eindrucksvolle Rede? Sie war interessant, aber nicht sehr dynamisch. Sie dürfen mir glauben, ich will den General nicht beleidigen. Ich versuche nur, diesen Punkt klarzumachen.


VON PAPEN: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben eine Rede gehalten, die nur sehr kurze Zeit dauerte. Erinnern Sie sich daran?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nach Ihrer Rede kam es zu Schlägereien und Schießen in den Straßen von Wels, nicht wahr? Und es war ein Aufruhr, stimmt das?


VON PAPEN: Darf ich Ihnen das näher beschreiben?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, wenn Sie können. Ich wollte nur die Tatsache feststellen. Sie sind vollkommen berechtigt, nun Ihre Erklärung dazu zu geben.


VORSITZENDER: Haben wir ein Dokument darüber?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, darüber ist kein Dokument vorhanden.


VON PAPEN: Es war in Wels ein Zusammentreffen verabredet von Organisationen der alten deutschen Armee aus dem ersten [425] Weltkriege, den sogenannten Kriegervereinen, und den Veteranenvereinen Österreichs. Es war durchaus legitim und im Sinne unserer gemeinsamen Politik, daß die gemeinsamen Erlebnisse aus dem ersten Weltkrieg zwischen diesen Verbänden erneuert werden sollten. Als dieses Zusammentreffen stattfand, das nach meinem Wunsch und nach dem Wunsche der Österreichischen Regierung einen vollkommen unpolitischen Charakter haben sollte, stellte sich folgendes heraus: Der Platz, auf dem diese Vereinigung der Veteranenverbände stattfand, war, als ich eintraf, von vielleicht 5000 bis 10000 Menschen umgeben. Die Österreichische Regierung hatte zum Empfang der deutschen Gäste eine Ehrenkompanie des Heeres aufgestellt, und als bei meinem Eintreffen die Musikkapelle die österreichische Nationalhymne spielte, haben diese 10000 Menschen, die den Platz umsäumten, die deutsche Nationalhymne dazu gesungen, denn bekanntlich ist die Melodie die gleiche. Als ich sodann im Laufe der Feier meine kurze Rede hielt, stellte es sich heraus, daß ich demonstrativ von diesen Tausenden von Menschen dauernd unterbrochen wurde. Natürlich erkannte ich sofort, daß hier von seiten der österreichischen Nationalsozialisten eine große politische Demonstration geplant war; und deshalb habe ich meine Rede abgebrochen, und ich habe kurz hinterher den Platz verlassen und habe auch Wels verlassen.

Es ist richtig, wie Sir David dargestellt hat, daß, als nun die Feier sich auflöste und die österreichische Polizei gegen die Tausende von Demonstranten vorgehen wollte, es zu sehr unerfreulichen Zwischenfällen gekommen ist.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wenn das Ihre Erklärung ist, habe ich die Tatsachen dieses Vorfalles zutreffend geschildert.

Nun will ich auf einen anderen Punkt übergehen, denn ich kann ja nur Beispiele für Ihre Tätigkeit in Österreich geben.

Erinnern Sie sich, den Ausdruck der Technik des »Trojanischen Pferdes« mit Bezug auf Österreich gehört zu haben, ehe Sie die Aussage des Angeklagten Seyß-Inquart hörten?


VON PAPEN: Ja. Seyß-Inquart wollte nicht ein trojanischer Pferdeführer sein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, aber Sie haben doch vorher von einer Technik des Trojanischen Pferdes gesprochen.

Euer Lordschaft! Es ist im Dokumentenbuch 11a, Seite 133. Die Stelle, auf die ich mich beziehe, ist auf Seite 134. Das Dokument ist D-706, welches GB-506 werden wird.

Es ist Ihr Bericht vom 21. August 1936, in dem Sie eine Anweisung des Prager Geheimdienstes an seine Wiener Filiale zitieren; sie lautet:

»›Man muß leider feststellen, daß die wüsten nationalsozialistischen Ausschreitungen vom 29. Juli d. J. nicht das [426] von uns erwartete Ergebnis zur Folge hatten. Die Annäherung Österreichs an das Dritte Reich auf außenpolitischem Gebiet macht weitere Fortschritte, ebenso wie der Prozeß der kulturellen Zusammenarbeit der beiden Brudervölker. Ihren jüngsten Berichten ist auch zu entnehmen, daß das Trojanische Pferd des Nationalsozialismus immer größere Verwirrungen in die Reihen der Vaterländischen Front und insbesondere in die Reihen des Heimatschutzes bringt. Nichtdestoweniger scheint die Opposition gegen die für die österreichische Unabhängigkeit äußerst gefährliche Normalisierung der deutsch-österreichischen Beziehungen verhältnismäßig sehr groß zu sein; sie leidet offenkundig nur an einer guten Organisation...‹«

Nun, beschreibt dieser tschechische Bericht die Vorgänge richtig, wie an der Oberfläche die Beziehungen normalisiert wurden und das Trojanische Pferd innerhalb des Landes arbeitete?

VON PAPEN: Sir David! Das ist die Auffassung des tschechischen Geheimdienstes und vielleicht der Tschechischen Regierung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darf ich Sie erinnern, Angeklagter, daß das die Meinung ist, die von Ihnen in Ihrem Bericht an den Führer angegeben und nicht widersprochen wurde. Es ist keine Andeutung in dem Bericht enthalten, daß er nicht der Wahrheit entspricht, ganz im Gegenteil. Sie sagen, Sie fügen es ein »zur Beleuchtung der gegenwärtigen Lage in Österreich«.

Sie führen es als wahrheitsgetreue Information für den Führer an und können es daher meiner Ansicht nach nicht jetzt damit abtun, daß Sie sagen, es sei nur ein tschechischer Bericht.

VON PAPEN: Doch, doch. Ich mache darauf aufmerksam, daß dieser Bericht am 21. August 1936 geschrieben ist. Das ist also ein Monat nach dem Abschluß unseres Juli-Abkommens, von dem Sie behauptet haben, daß es ein Betrugsmanöver gewesen sei und von dem wir und der österreichische Außenminister festgestellt haben, daß es ein sehr ernstgemeintes Abkommen war. Wir befinden uns also jetzt mit Österreich auf einer völlig anderen Ebene, und daher führe ich diesen merkwürdigen tschechischen Bericht an als ein interessantes Dokument, wie man trotz unserer Bemühungen um Normalisierung in der Tschechei die Dinge in Österreich betrachtet.


VORSITZENDER: Gehen Sie von diesem Dokument nun auf etwas anderes über?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich war gerade im Begriffe, das zu tun, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Was ist mit dem letzten Absatz?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Euer Lordschaft gestatten, werde ich ihn jetzt besprechen.


[427] VORSITZENDER: Es ist Seite 134.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft. Es heißt dann weiter:

»Außerdem scheint es uns hoffnungslos und auch unzweckmäßig, sich um einen Einfluß auf den österreichischen Legitimismus oder auf die Heimwehrbewegung zu bemühen. Dagegen sind im österreichischen Katholizismus verhältnismäßig starke Elemente vorhanden, die mit einigen Vorbehalten als demokratisch bezeichnet werden könnten. Diese Elemente, die sich allmählich um den Freiheitsbund gruppieren und grundsätzlich geneigt sind, auf eine Verständigung mit der Sozialdemokratie hinzuarbeiten, stellen unserer Meinung nach jene Gruppe dar, die unter Umständen geneigt wäre, eine innerpolitische Umwälzung in Österreich herbeizuführen.«

Haben Sie das auch als Darstellung Ihrer Ansicht niedergeschrieben?

VON PAPEN: Sir David! Ich habe ja dem Gericht gestern eine sehr genaue Darstellung der Ziele und des Charakters des Freiheitsbundes gegeben, und das Gericht weiß aus den Berichten, daß die Tschechische Regierung sich bemühte, auf diesen Freiheitsbund eine gewisse Einflußnahme auszuüben. Das geht aus diesem Zusammenhang ganz klar hervor; das ist ja alles der tschechische Bericht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben ihn aber als Ihre Ansicht Hitler vorgetragen, um zu sagen, daß Sie sozusagen die katholische Linke als ein Annäherungsmittel benützen könnten. Das sagen Sie doch in Wirklichkeit.


VON PAPEN: Sir David! Sie werden mir doch nicht zumuten wollen, daß ich einen tschechischen Bericht Hitler vorlege, um mich mit diesem Bericht zu identifizieren.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Doch, dessen bezichtige ich Sie. Wenn Sie dem Staatsoberhaupt schreiben: »Zum Schluß füge ich zur Beleuchtung der gegenwärtigen Lage in Österreich einen Passus aus einer Anweisung des Prager Geheimdienstes, bei«, dann behaupte ich, daß das bedeutet, daß dieser Bericht die Lage genau so zeigt, wie ich sie sehe. Das ist, was ich Ihnen vorhalte.


VON PAPEN: Nein, denn es geht ja aus einem anderen Bericht, den Sie auch dem Gericht vorgelegt haben, hervor, daß ich Hitler ersuche, diese Bestrebungen der Tschechischen Regierung um Einflußnahme auf den Freiheitsbund dadurch zu konterkarieren, daß wir selber ihn an uns fesseln. Ich bin ganz anderer Ansicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Sie ersuchten Hitler, dem Freiheitsbund 100000 Reichsmark zur Verfügung zu [428] stellen. Damit verfolgten Sie genau das Ziel, das Sie hier angedeutet haben, nämlich, daß diese Körperschaft Ihnen behilflich sein könne, in einem anderen Sektor der österreichischen Meinung Einfluß zu gewinnen. Ich halte Ihnen vor, daß diese zwei Dinge ganz aufeinander passen. Sie sagten Hitler, sie wären nützlich.


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie unterstützten sie mit 100000 Reichsmark. Das halte ich Ihnen vor.


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Daß Sie die ganze Zeit einen Teil der österreichischen öffentlichen Meinung nach dem anderen unterwühlt haben, um auf die Unterdrückung der österreichischen Freiheit hinzuarbeiten. Das halte ich Ihnen vor. Ich glaube nicht, daß da irgendwelche Zweifel bestehen.


VON PAPEN: Sir David! Wenn etwas aus diesem Bericht klar hervorgeht, dann ist es die Tatsache, daß außerhalb der Nationalsozialisten in Österreich auch andere Gruppen waren, und zwar waren das die Christlichen Gewerkschaften und der Freiheitsbund, die sich für den Zusammenschluß, für die Vereinigung der beiden Länder politisch einsetzten. Und Sie können mir wohl nicht zum Vorwurf machen, wenn ich als Diplomat, der ein solches Ziel auf dem evolutionären Wege erreichen will, mich den Interessen dieser Gruppen anschließe.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es war doch nichts sehr Evolutionäres um das Trojanische Pferd. Aber das mag ja ein Kommentar sein.

Wir wollen nun einen anderen Punkt betrachten. Kannten Sie Baron Gudenus?


VON PAPEN: Nein, ich habe ihn nicht gekannt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wissen doch, daß er der engste Vertraute des Erzherzogs Otto war; erinnern Sie sich?


VON PAPEN: Ja, das geht aus meinem Bericht hervor.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Nun wollen wir einmal sehen, was Baron Gudenus zu sagen hatte.

Euer Lordschaft werden das auf Seite 93 finden, Seite 72 bis 75 der deutschen Fassung, Dokument D-687, das GB-507 werden wird. Es ist Paragraph 2 (b), und zwar auf Seite 74, Angeklagter:

»Der Baron Gudenus, engster Vertrauter des Erzherzogs Otto in Steenockerzeel, schreibt unter dem 30. 3. an einen meiner Bekannten: ›... Aus Österreich habe ich über das Fortschreiten unserer Bewegung manch erfreuliche Eindrücke mitgenommen; hingegen kann ich nicht leugnen, daß mich die Politik der Regierung in mancher Hinsicht mit schwerer [429] Sorge erfüllt. Was nutzt es, daß die Rädelsführer vom Februar und Juli 1934 – soweit man ihrer habhaft wird – abgestraft werden, während die Regierung zu schwach, zu ›schlampert‹ oder wissentlich zu duldsam ist, um zu verhindern, daß unter der Hand ungeniert in Kino, Presse und Radio braune und rote Propaganda betrieben werde, und zwar hauptsächlich von staatlichen Angestellten oder Organen der V. F., unterstützt und besoldet durch die reichlich aus Deutschland einströmenden Geld- und sonstigen Mittel. Was macht eigentlich Schuschnigg? – Dieser gelehrte Idealist! Merkt er denn nicht, daß ihm Papen und die anderen braunen Agenten im eigenen Land fortwährend in die beharrlich ›dargebotene Hand‹ spucken? Er soll sich doch nicht einbilden, er werde so Österreich erhalten und retten, solange Hitler in einem innen und außen braun gestrichenen Deutschland regiert. Die dortigen Methoden sind allerdings klüger und vorsichtiger, dadurch aber nur noch gefährlicher geworden!‹«

Das ist ungefähr sieben Monate nach Ihrer Ankunft.

»...›Unheimlich sind auch die beständigen Differenzen bald zwischen Schuschnigg und Starhemberg...‹«

und so weiter.

Stimmt es nicht, Angeklagter, daß wirklich jeder, sogar ein monarchistischer Agent, der nur zu Besuch war, wußte, daß diese Betätigung vor sich ging mit Ihnen an der Spitze, während die Österreichische Nationalsozialistische Partei unterirdisch arbeitete?

Es wäre nur recht und billig, daß Sie sich Ihren eigenen Kommentar anschauen, ehe Sie antworten:

»Anschaulicher wie dieser Brief könnte man die Schwierigkeiten der innerösterreichischen Lage kaum darstellen.«

Warum haben Sie, wenn das so Tatsache war, nicht Hitler gesagt: »Der Baron Gudenus redet hier Unsinn. Ich führe nur eine anständige moralische Aufgabe zur Normalisierung der Beziehungen mit Österreich durch.« Warum haben Sie das nicht abgestritten, wenn es nicht wahr war?

VON PAPEN: Mir scheint, daß aus dieser Berichterstattung zunächst einmal hervorgeht, daß ich mit vollkommener Offenheit Hitler alle diese Berichte, die ich bekomme, vorlege, auch den Bericht eines Anhängers der Habsburger Restauration. Ja, selbstverständlich hundertprozentig...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen vor, Angeklagter, daß Sie sie weitergeleitet haben, weil sie wahr waren. Sie übernahmen sie und leiteten sie an Hitler weiter, weil es wahre Berichte waren. Ich behaupte, daß sie ein richtiges Bild der Lage gaben. Das halte ich [430] Ihnen vor. Sagen Sie dem Gerichtshof, waren die Berichte richtig oder nicht? Wenn sie nicht gestimmt haben, weshalb haben Sie sie weitergeleitet, ohne zu erwähnen, daß sie unwahr seien? Das frage ich Sie.


VON PAPEN: Sie werden, wenn Sie diesen Bericht des Barons Gudenus lesen, feststellen, daß er sich über die inneren Verhältnisse in Österreich ausläßt und sagt, daß es unheimlich ist, die bestehenden Differenzen zwischen Schuschnigg und Starhemberg, die Konkurrenz ihrer Garden und der bleibende unterirdische Republikanismus...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, das sind drei Zeilen von 20. Es steht noch sehr viel mehr dort, ehe man zu dieser Stelle kommt, und danach, nach den übrigen 17 Zeilen, frage ich Sie gerade.


VON PAPEN: Sir David! Die von mir eben angezogenen Punkte beweisen die inneren Schwächen der Österreichischen Regierung, über die ich berichte. Wenn Sie sagen wollen, ich hätte Herrn Hitler erklären müssen, daß ich kein brauner Agent wäre, ja, mein Gott, am 26. Juli haben wir sehr klar ausgemacht, unter welchen Bedingungen ich meine Arbeit in Österreich auszuführen habe, das habe ich Herrn Hitler nicht in einem Bericht zu erklären brauchen. Ich habe ihm lediglich diesen Bericht zur Kenntnisnahme zugeschickt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das Ihre Erklärung ist, sehen Sie sich bitte Absatz 3 Ihres Briefes an. Hier ist Ihre Tätigkeit von einem anderen Gesichtspunkt aus zu ersehen.

Der Film »Der alte und der junge König«. Der Gerichtshof mag sich nicht mehr erinnern, aber Sie können mich verbessern. Das ist ein Film, wenn ich mich recht erinnere, über Friedrich – über die Beziehungen zwischen Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen; habe ich recht?


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE:

»Der Film, ›Der alte und der junge König‹, ist hier voriger Tage in Anwesenheit von Herrn Jannings erstmalig aufgeführt worden« – das ist Emil Jannings, der Schauspieler –. »Er löste begeisterte Kundgebungen aus, insbesondere führte die Szene, wo der König betont, daß ›französischer Plunder und römische Bücher für Preußen nichts zu bedeuten hätten‹, zu lauten Demonstrationen. Die Polizei wollte zu einem Verbot schreiten. Im Verein mit Herrn Jannings haben wir ihr erklärt, daß, wenn sie diesen Film verbiete, wir zu einer vollständigen Ausschaltung der gesamten österreichischen Filmproduktion in Deutschland schreiten würden. Das wirkte. Der Film – mit Ausnahme der obengenannten gestrichenen Stelle – läuft jetzt und wird nächster Tage auch in Klagenfurt und Graz über die Bühne [431] gehen. Gestern hatte ich Jannings im Kreise einer Anzahl von Schauspielern des Burgtheaters bei mir zu Gast. Er sprach sich sehr befriedigt über seinen Erfolg aus, und wir haben eingehend den Plan eines Bismarck-Films besprochen, zu dessen Herstellung ich ihm Beumelburg für die Verfassung des Buches empfohlen habe.«

Das heißt also, Sie zwangen Österreich dazu, einen Film zu zeigen, der preußische Propaganda enthielt, und zwar mit der Drohung, Fräulein Wessely und »Maskerade« und andere österreichische Filme jener Zeit vom deutschen Markt auszuschließen. Sie haben Ihre Propaganda dort aufgezwungen mit der Drohung, sonst österreichische Filme auszuschließen. Ist das richtig?

VON PAPEN: Ja, und ich werde Ihnen auch sagen weshalb. Ich muß Ihre geschichtliche Kenntnis dieser Dinge etwas erweitern, Sir David.

Friedrich der Große hat in dem Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland, wie Sie wissen, eine sehr bedeutende Rolle gespielt, und wir waren bemüht damals, in dem Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern die geschichtlichen Unrichtigkeiten, welche aus der Zeit Friedrichs des Großen stammten, zu beseitigen. Zu diesem Zwecke hat der berühmte österreichische Historiker Professor Srbik ein großes Werk geschrieben. Dieser Film, von dem hier die Rede ist, gilt dem Zweck, zu zeigen, daß wir eine gemeinsame große deutsche Geschichte haben, die beide Völker gemeinsam betrifft. Darum, das heißt für die kulturelle Annäherung zwischen beiden Ländern, habe ich darauf bestanden, daß dieser Film vorgeführt werde; und so ist es auch geschehen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe keinerlei Zweifel an den Motiven, aus denen Sie diesen Film vorgeführt haben wollten, Angeklagter, aber was ich Sie fragen wollte, ist: Warum haben Sie es gegen den Wunsch der Österreichischen Regierung erzwungen, indem Sie drohten, österreichische Filme von dem deutschen Markt auszuschalten? Warum haben Sie den österreichischen Behörden damit gedroht?


VON PAPEN: Es kam sehr häufig vor, daß die österreichische Polizei Bedenken hatte gegen gewisse Filme, daß sie zu Demonstrationen benutzt würden. Nachdem wir aber mit ihr besprochen hatten, daß gewisse Stellen aus diesem Film wegfallen sollten, war sie durchaus bereit, den Film zuzulassen, und selbstverständlich habe ich ihr auch gesagt, wenn wir uns nicht einigen, dann wird die Konsequenz davon sein, daß von Deutschland her überhaupt keine Filme mehr nach Österreich geliefert werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich lasse dies wieder für sich selbst sprechen. – Erinnern Sie sich, daß Sie dem Gerichtshof [432] gesagt haben, daß Sie keine Verbindung mit der NSDAP in Österreich unterhalten haben? Stimmt das?


VON PAPEN: Nein, das ist unkorrekt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie hatten Verbindungen aufrechterhalten?


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Enge Verbindungen?


VON PAPEN: Ich habe nicht verstanden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hatten Sie vertrauliche Verbindungen, waren Ihre Beziehungen eng?


VON PAPEN: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das nicht der Fall war, wollen Sie bitte eine Seite zurückblättern. Es steht wahrscheinlich auf Seite 72 in Ihrem Bericht. Es ist noch immer der gleiche Bericht. Es ist Seite 93 in dem Buch Euerer Lordschaft.

Sie fangen diesen Bericht an, indem Sie sagen:

»Ich habe zunächst über die Entwicklung der hiesigen NSDAP zu berichten: Am 23. 3. ist es in Krems zu einer vollkommenen Einigung zwischen Hauptmann a. D. Leopold und Generaldirektor Neubacher gekommen. Danach hat sich Neubacher Leopold in aller Form unterstellt und ihn als Führer für Österreich anerkannt. Sobald Schattenfroh aus dem Konzentrationslager entlassen wird, soll er stellvertretender Führer werden, während Neubacher als engster Vertrauter Leopolds bei jeder wichtigen Frage gehört werden wird.

Leopold hat des weiteren...« jemand anderen »... als dessen Stellvertreter ernannt.«

Und dann möchte ich den letzten Satz lesen:

»Zur Beratung im strengsten Vertrauen wird Generalmajor a. D. Klupp hinzugezogen. Leopold hat des weiteren den Wunsch geäußert, daß endlich die fortgesetzten Intriguen gegen ihn seitens der im Reich lebenden Emigranten vom Schlage Frauenfeld und Genossen abgestellt werden sollten.«

Dies ist ein ziemlich vollständiges Bild des Parteiaufbaues in Österreich, nicht wahr?

VON PAPEN: Ja, Sir David, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß dieser Bericht vom 4. April 1935 datiert ist, also zu einem Zeitpunkt, der vor dem Juli-Vertrag liegt, wo also meine Befassung mit diesen Parteiangelegenheiten noch sehr erklärlich war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie dem Datum Bedeutung beilegen, dann wollen wir den Bericht vom 1. September 1936 [433] ansehen, der auf Seite 33 des Dokumentenbuches 11 zu finden ist, auf Seite 26 des deutschen Buches. (Dokument Nummer 2246-PS.) Sie erinnern sich an den Bericht, auf den Sie sich bezogen haben, in dem Sie sagten:

»Für unsere Marschroute empfehle ich nach der taktischen Seite weiterhin geduldige, psychologische Behandlung bei langsam zunehmendem Druck in der Richtung auf eine Änderung des Regimes.«

Sie haben dem Gerichtshof gesagt, daß das bedeutete, daß Sie einen Wechsel der Beamten im Innenministerium wünschten. Ich will über eine derartige Feststellung nicht weiter diskutieren, sondern einen Augenblick weitergehen:

»Hierbei werden die für Ende Oktober vorgesehenen Wirtschaftsverhandlungen ein sehr brauchbares Werkzeug für die Durchsetzung einiger unserer Wünsche sein.

In Besprechungen, sowohl mit Regierungsmitgliedern wie mit den Führern der illegalen Partei (Leopold und Schattenfroh), die durchaus auf dem Boden des Abkommens vom 11. Juli stehen, versuche ich, die nächste Entwicklung dahin vorzubereiten, daß eine korporative Vertretung der Bewegung in der Vaterländischen Front angestrebt,... wird.«

Es ist ganz klar, nicht wahr, daß Sie am 1. September 1936, nach diesem Abkommen, Besprechungen hatten mit den Führern der illegalen Partei, mit Leopold und Schattenfroh. Wir können deshalb annehmen – ich will weiter keine Zeit darauf verwenden –, daß Sie während der ganzen Zeit Ihrer Tätigkeit in Österreich in enger und beständiger Verbindung mit den Führern der Österreichischen Nationalsozialistischen Partei standen?

VON PAPEN: Nein, Sir David. Die von Ihnen eben angezogene Unterhaltung bezieht sich und wird gerechtfertigt durch das Juli-Abkommen; das habe ich bereits gestern dem Gericht auseinandergesetzt. In dem Juli-Abkommen hat der Bundeskanzler Schuschnigg zugesagt, Mitglieder der nationalen Opposition zur Mitarbeit heranzuziehen. Infolgedessen war es meine selbstverständliche Pflicht, mich dafür zu interessieren, ob und inwieweit die Mitarbeit solcher Kräfte von Schuschnigg angestrebt wurde. Das beinhaltet diese Besprechung mit den Führern, und ich darf ausdrücklich feststellen, daß mein Kontakt mit der österreichischen Partei nach dem Juli-Abkommen sich lediglich in dieser Richtung bewegt hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Ich will darauf weiter nicht eingehen. Ich habe den Gerichtshof auf zwei Dokumente hingewiesen, und es gibt weitere Stellen, mit denen ich mich nicht aufzuhalten brauche.

[434] Kommen wir jetzt zum November 1937. Können Sie so sorgfältig und genau wie möglich angeben, wann Sie den Angeklagten Seyß-Inquart in Garmisch getroffen haben?


VON PAPEN: Ja, ich habe den Angeklagten Seyß-In quart zufällig, das heißt ohne Verabredung, bei der Winter-Olympiade in Garmisch-Partenkirchen im Januar 1938 getroffen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Januar 1938?


VON PAPEN: Ganz richtig.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte diese Daten nur vergleichen. Sie hatten sich sehr mit dem Außenminister Guido Schmidt angefreundet, der hier vor dem Gerichtshof als Zeuge ausgesagt hat, nicht wahr?


VON PAPEN: Ich war mit dem Außenminister in sehr freundschaftlichen Beziehungen, ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Sie waren per »Du« mit ihm, obwohl Sie 20 Jahre älter waren als er. Sie waren doch schon längere Zeit per »Du« mit ihm? Sie waren sehr eng mit ihm befreundet? Ist das richtig?


VON PAPEN: Ich finde, daß 20 Jahre kein Maßstab sind für eine Freundschaft, 20 Jahre Lebensunterschied. Ich habe Herrn Schmidt geschätzt, wie ich gesagt habe, als einen aufrichtigen Mann.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber ich glaube, daß Sie mit mir darüber übereinstimmen, daß es doch ungewöhnlich ist, wenn ein Botschafter auf so vertraulichem Fuß mit einem um 20 Jahre jüngeren Außenminister ist, daß er ihm das freundschaftliche »Du« anbietet? Stimmen Sie mit mir darin überein, daß es eine ganz ungewöhnliche Art von Vertrautheit ist zwischen einem Botschafter und einem Außenminister?


VON PAPEN: Sir David! Wenn Sie in Ihrem Leben einmal in Österreich gewesen wären, dann würden Sie wissen, daß in Österreich fast alle Menschen sich »Du« nennen, und zur Aufklärung dieses Zwischenfalls darf ich folgendes hinzufügen: Ich habe den Außenminister Schmidt, den ich sehr schätzte, am Tage unseres Auseinandergehens, unserer Trennung, als ich Österreich verließ, da habe ich ihm gesagt: »Lieber Freund, wir haben soviel zusammen gearbeitet, jetzt können wir auch ›Du‹ zueinander sagen.«


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was mich interessiert, ist folgendes: Es war im November 1937, als Sie und Dr. Guido Schmidt erstmalig die Frage einer Zusammenkunft Herrn von Schuschniggs und Hitlers aufwarfen, stimmt das?


VON PAPEN: Ich glaube, daß ich sie nicht nur mit dem Außenminister Schmidt, sondern auch mit Herrn von Schuschnigg selbst [435] besprochen habe zu diesem Zeitpunkt. Nach einer Aussprache zwischen den beiden...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Moment, antworten Sie bitte auf meine Frage. Sie haben mit Schmidt darüber gesprochen. Sie hörten Dr. Schmidts Aussage hier, daß der Angeklagte Göring ihm mit großer Offenheit erzählt hatte, so wie es der Angeklagte Göring auch sonst allen Leuten und auch diesem Gerichtshof erzählte, daß er die Vereinigung Deutschlands mit Österreich unter allen Umständen und um jeden Preis erreichen wollte. Sie hörten, wie Dr. Schmidt sagte, daß Göring ihm sagte, es sei dies seine Ansicht; und um ganz gerecht zu sein, will ich sagen, daß das zu allem übrigen paßt. Das ist der Standpunkt, den er hier und anscheinend einer ganzen Menge von Leuten gegenüber vertrat. Erinnern Sie sich, daß Dr. Schmidt das sagte? Sie können es mir glauben.


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben gehört, daß der Angeklagte Göring dies nicht nur Dr. Schmidt, sondern auch Mussolini und auch dem Hohen Gerichtshof gesagt hat, und ich glaube, einigen anderen Leuten. Hat er es niemals Ihnen gegenüber gesagt?


VON PAPEN: Nein, Sir David, ich habe mich über die österreichische...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie, daß dies seine Ansicht war?


VON PAPEN: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben nicht gewußt, daß das Görings Ansicht war?


VON PAPEN: Lassen Sie mich einen Moment reden, ja?

Selbstverständlich wußte ich, daß es Görings Wunsch war, eine Vereinigung dieser beiden Staaten herbeizuführen. Bei der Unterhaltung mit Mussolini bin ich ja selbst zugegen gewesen.

Aber Sie wollen bitte betrachten, daß Herr Göring damals für die Außenpolitik nicht zuständig war. Die Frage, welche Politik in Österreich gemacht werden sollte, war ausschließlich zwischen Hitler und mir verabredet worden, und ich erinnere mich nicht, daß ich in diesen Jahren zwischen 1936 und 1938 darüber mit dem Marschall Göring gesprochen hätte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich spreche jetzt vom November 1937, und drei Monate später war doch der Angeklagte Göring höchst zuständig für die Außenpolitik in der österreichischen Frage. Das müssen Sie doch wissen, da Sie doch die Berichte über seine Telephongespräche gehört haben.

Beachten Sie bitte die Daten, wie wir sie vor uns haben. Göring hat Schmidt seine Ansichten dargelegt; Sie und Schmidt erörterten [436] diese Zusammenkunft zwischen Schuschnigg und Hitler. Im Januar hatten Sie eine politische Besprechung mit Dr. Seyß-Inquart in Garmisch.

Ach – ich habe ein Datum ausgelassen. Am 11. November hat, wie Herr Dodd Dr. Seyß-Inquart vorgehalten hat, dieser einen Brief an Dr. Jury geschrieben: »Ich glaube, dieses Jahr wird sich nichts ereignen, aber im Frühjahr wird sicher etwas passieren.« Dann nach diesem Brief sah er Sie in Garmisch im Januar, und im Februar haben Sie schließlich diese Zusammenkunft Schuschnigg und Hitler arrangiert.


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie denn nicht sehr gut, daß der ganze Zweck dieses Treffens war, auch Herrn von Schuschnigg zu veranlassen, auf die Wünsche des Reiches einzugehen? Nämlich Seyß-Inquart. zu ernennen, eine allgemeine politische Amnestie zu erlassen, derzufolge alle Mitglieder der Partei in Österreich freigelassen und ihren Führern zur Verfügung gestellt werden sollten, und eine Erklärung der Gleichberechtigung für die Partei zu erlassen? Wußten Sie nicht, daß der ganze Sinn dieses Treffens war, Herrn von Schuschnigg dazu zu bringen, diese Bedingungen anzunehmen, so daß Sie die österreichische NSDAP ungehindert und frei hätten, um für Deutschlands Interessen in Österreich zu arbeiten?


VON PAPEN: In meiner Besprechung mit Dr. Seyß-Inquart in Garmisch-Partenkirchen ist über die Notwendigkeit gesprochen worden, die österreichische Nazi-Partei selbständig zu machen, das heißt, sie unter allen Umständen dem Einflusse des Reiches zu entziehen in der Form, wie es im Juli-Vertrag abgemacht worden war, und in der Absicht, daß ein Zusammenschluß unserer beiden Länder von Österreich aus angeregt und fortgeführt werden mußte nach der außenpolitischen Seite hin und nicht vom Reiche. Als ich Seyß-Inquart in Garmisch traf, ist niemals die Rede gewesen von dieser Zusammenkunft zwischen Hitler und Schuschnigg, denn wir konnten – ich persönlich konnte zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht wissen, ob eine solche Unterredung jemals stattfinden würde. Das hat sich ja erst entschieden am 5. Februar, wie Sie sich erinnern werden.

Also es wurde zwischen uns nur die ganz grundsätzliche Frage erörtert: »Wie kommen wir weiter«.

Ich darf weiter in Ihre Erinnerung zurückrufen: Der Dr. Seyß-Inquart war vom Bundeskanzler offiziell beauftragt, alle Wege zu erforschen, die möglich wären, die nationale Opposition, also die Nazi-Partei Österreichs in die politische Arbeit Schuschniggs einzuschalten. Das war seine offizielle Mission; also hatte ich doch ein Recht, mit ihm über diese Dinge zu sprechen.


[437] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: War nicht Dr. Rainer, der Zeuge, den der Gerichtshof hier gehört hat, bei dieser Zusammenkunft in Garmisch-Partenkirchen zugegen?


VON PAPEN: Bitte?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dr. Rainer?


VON PAPEN: Es scheint, Sir David, daß es der Fall war; ich erinnere mich nicht mehr daran. Seyß-Inquart hat mir gesagt, es sei möglich, daß sich Dr. Rainer uns beiden auf einem Spaziergang angeschlossen habe, ich persönlich habe mich nicht daran erinnert und habe auch mit Rainer kein politisches Gespräch geführt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Sie haben jetzt Ihre Erklärung abgegeben zu den Geschehnissen um die Jahreswende. Ich möchte Sie nur noch an einen Punkt erinnern. Sie kannten sehr wohl die Blomberg- und Fritsch-Krise in der Wehrmacht. Ich will nicht näher auf unerfreuliche Einzelheiten eingehen, denn gegenwärtig liegt dem Gerichtshof das nicht vor. Aber Sie wußten doch, daß diese Krise entstanden ist?

VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin sicher, daß Sie die Bedeutung der Sache richtig einschätzen. General von Fritsch war doch mit Ihnen zusammen auf der Kriegsakademie, nicht wahr?


VON PAPEN: Ganz recht. Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er war ein alter Freund. Sie wußten-und ich glaube, daß jeder das gesagt hat, der hier vor dem Gerichtshof über ihn gesprochen hat –, daß General von Fritsch ein Mann von untadeligem Charakter war und daß, wenn es nicht so tragisch gewesen wäre, die gegen ihn erhobene Anklage jedem, der ihn kannte, lächerlich erscheinen und mit Verachtung angesehen werden mußte. War das Ihre Ansicht?


VON PAPEN: Ganz und gar.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie hatten, abgesehen von der Behandlung des Feldmarschalls von Blomberg, eine sehr gute Vorstellung, daß von Fritsch das Opfer einer künstlich aufgezäumten Beschuldigung geworden war, um zu verhindern, daß er Oberbefehlshaber der Wehrmacht würde. Sie wußten das doch, nicht wahr?


VON PAPEN: Das ist mir jedenfalls später, nachdem ich die Umstände erfahren habe, auch klar geworden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, nein, das ist nicht das Wesentliche, Angeklagter. Ihre Ansicht vom 5. Februar 1938. Sie wußten schon damals, daß die Nazi-Clique in der Regierung eine [438] künstlich geschmiedete Anklage gegen einen Mann erhoben hat, den Sie als die Verkörperung der Ehre kannten, nicht wahr?


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, in Kenntnis dieser Tatsache sagen Sie Hitler, als Sie ihn am 5. Februar treffen, daß Schuschnigg möglicherweise eintreffen könne, und er geht sofort darauf ein. Er sagt: »Holen Sie Schuschnigg sofort!«, nicht wahr? Er ist sehr verärgert – wenn ich so sagen darf – über das, was Sie ihm bis dahin gesagt hatten. Sobald Sie sagen, daß die Möglichkeit eines Treffens mit Schuschnigg bestehe, greift Hitler dies auf, wie eine Forelle nach einer Maifliege oder wie ein Löwe nach seinem Opfer schnappt. Das stimmt doch, nicht wahr?


VON PAPEN: Ja, Sir David. Ich habe hier vor Gericht ausgeführt, welchen Eindruck die Ereignisse in Berlin und meine eigene Entlassung am 4. Februar auf mich gemacht haben. Finden Sie – es kann doch nicht erstaunlich gefunden werden, daß ich nun versuchte – gerade weil ich befürchte, es wird ein anderer Kurs eingeschlagen –, daß ich versuche, diese von lange her gewünschte Aussprache der beiden Staatschefs zustande zu bringen, weil ich mir davon eine Bereinigung der Differenzen und eine Vermeidung eines radikalen Kurses erhoffte. Das habe ich ja dem Außenminister Schmidt und habe ich auch dem Kanzler Schuschnigg gesagt, als ich sie beide bat, wenn irgend möglich, an einer solchen bereinigenden Aussprache teilzunehmen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Angeklagter, ich will nicht auf die näheren Umstände des Treffens vom 12. Februar eingehen, denn ich bin bereits mit dem Angeklagten von Ribbentrop all das durchgegangen, und der Gerichtshof ist darüber wohl unterrichtet.

Ich will Ihnen nur diese eine Frage vorlegen und bitte Sie, diese sorgsam zu erwägen, da die Frage Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit davon abhängt.

Behaupten Sie jetzt, daß bei dieser Unterredung kein Druck auf Herrn von Schuschnigg ausgeübt worden ist?


VON PAPEN: Sir David, ich habe es nie behauptet – das wissen Sie selbst, es steht in meinen Berichten –, ich habe ja selber konstatiert, daß der Druck ausgeübt worden ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was ich Sie frage ist dies – ich möchte es ganz klarstellen, denn der Gerichtshof hat ja die Aussage Ihres Freundes Dr. Schmidt gehört und eine Menge anderer Aussagen –, ich möchte Ihnen nur die eine Frage vorlegen, und bitte beantworten Sie sie ganz klar:

Sagen Sie jetzt heute, daß auf Bundeskanzler von Schuschnigg kein Druck ausgeübt worden ist, um ihn zu veranlassen, die Bedingungen des 12. Februar anzunehmen? Das ist die eine Frage, die [439] ich Ihnen vorlegen möchte, und ich gebe Ihnen Gelegenheit zur Antwort. Was sagen Sie nun heute? Wurde Druck auf Herrn von Schuschnigg ausgeübt oder nicht?


VON PAPEN: Ja! Ich habe das auch niemals geleugnet. Ich verstehe nicht, warum Sie mich das fragen. Ich habe es niemals geleugnet.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr von Ribbentrop hat es sehr entschieden abgestritten, aber das wollen wir nicht mehr erörtern.

Nun noch eine Frage, und dann bin ich mit dem Kapitel Österreich fertig.

Haben Sie ein Zusammentreffen zwischen Hitler und Kardinal Innitzer arrangiert?


VON PAPEN: Jawohl, das habe ich getan, und das war...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie dafür gesorgt, daß die Kirchenführer und das diplomatische Korps mit Ausnahme der britischen und französischen Vertreter bei Hitlers Eintreffen in Wien anwesend sein sollten?


VON PAPEN: Was die Kirchenführer anbetrifft, so ist es nicht üblich, daß sie bei Paraden zugegen sind, und ich habe es bestimmt nicht angeregt. Was die Diplomaten anbetrifft...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie arrangiert, daß das diplomatische Korps dort anwesend sein sollte?


VON PAPEN: Es ist möglich, daß ich einigen diplomatischen Kollegen, die mich gefragt haben, ob sie der Feier beiwohnen können, gesagt habe: »Selbstverständlich!« Warum sollten sie nicht beiwohnen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich will nicht über die Art streiten, in der Sie sich ausgedrückt haben.

Euer Lordschaft! Ich bin jetzt fertig mit dem Kapitel Österreich, ich habe nur noch drei unbedeutende Sachen, die, wie ich hoffe, nur eine kurze Zeit in Anspruch nehmen würden, aber vielleicht wäre es gut, jetzt die Pause einzuschalten.


VORSITZENDER: Ja.

[Pause von 10 Minuten.]


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Hat der Gerichtshof anzunehmen, daß Sie im allgemeinen gegen die antisemitische Bewegung und Propaganda gewesen sind?

VON PAPEN: Ich habe die Frage nicht ganz verstanden.


[440] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich wiederhole: Soll der Gerichtshof annehmen, daß Sie im allgemeinen gegen die antisemitische Aktion und Propaganda gewesen sind?


VON PAPEN: Im Gegenteil, es war mein Ziel, mein Wunsch und das ganze Programm meiner Arbeit, zu einem Zusammenschluß, zu einem Zusammenfinden beider Länder, soviel wie möglich beizutragen, weil es ja der große Wunsch der deutschen Nation war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube nicht, daß Sie meine Frage richtig verstanden haben. Ich will sie wiederholen: Ich komme nun zu den Juden.


VON PAPEN: Ah, zu den Juden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Nun lassen Sie mich wiederholen: Soll der Gerichtshof annehmen, daß Sie allgemein gegen die antisemitische Bewegung und Propaganda gewesen sind?


VON PAPEN: Ja. Ich habe ja dem Gericht auseinandergesetzt meine grundsätzliche Einstellung zur Rassenfrage und zur Frage der Beseitigung von Überfremdungseinflüssen in gewissen kulturellen Gebieten des öffentlichen Lebens; zwei ganz verschiedene Fragen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, ich verstehe. Wollen Sie sich nun das Dokument 3319-PS ansehen, Beweisstück GB-287.

Euer Lordschaft! Es beginnt auf Seite 48 im Dokumentenbuch 11a, Seite 44 bis 45 im deutschen Buch.


[Zum Zeugen gewandt:]


Die Stelle, auf die ich Sie verweise, Angeklagter, ist auf Seite 58 und 59. Dies ist ein Teil aus einem vertraulichen Bericht über die Arbeitstagung der Judenreferenten der deutschen Missionen in Europa, und zwar vom 3. und 4. April 1944. Ich möchte, daß Sie sich Seite 44 der deutschen Fassung ansehen. Dort und auch Seite 58 des englischen Textes befindet sich der Beitrag eines gewissen Herrn Posemann aus der Türkei zu dieser Besprechung. Gehörte er zu Ihrer Behörde? Sagen Sie uns das bitte, ja oder nein?

VON PAPEN: Ich darf Ihnen vielleicht sagen, wer Herr Posemann ist. Herr Posemann...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sagte Ihnen, Sie sollen nur sagen, ob er Mitglied Ihrer Botschaft war oder nicht. Was war er sonst? Das möchte ich wissen.


VON PAPEN: Nein, keineswegs. Herr Posemann war ein deutscher Buchhändler, der sich in Ankara niedergelassen hatte. Er war keineswegs Mitglied meiner Botschaft.


[441] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Jedenfalls war er ein Referent des Deutschen Auswärtigen Amtes bei Besprechung dieser Frage. Hören Sie nur zu, was er sagt:

»Anfang vergangenen Jahres habe die Türkische Regierung einen Schlag gegen das Judentum in Verbindung mit Versuch zur Lösung des Minderheitenproblems durchgeführt. Bei Durchführung dieser Aktion sei sehr rigoros vorgegangen worden: Vermutungen alliierter Kreise, daß es sich um einseitige antijüdische Maßnahmen handle, seien von der Türkei mit Hinweis auf gleichzeitige Maßnahmen gegen die Minderheiten zurückgewiesen worden. Immerhin habe die Türkei weitere Maßnahmen zur Lösung des Minderheitenproblems und damit der Judenfrage zurückgestellt. Daher müsse auch eine von uns gesteuerte antijüdische Propaganda im gegenwärtigen Augenblick unbedingt unterbleiben, da dies unerwünscht und eine Belastung für die türkische gegenwärtige Außenpolitik wäre. Abgesehen von Karikaturen und Witzbüchern über Juden seien in der Türkei keine antijüdischen Schriften vorhanden. Erste Ansatzpunkte einer Erkenntnis der Größe der internationalen Judenherrschaft sei in der Übersetzung der ›Protokolle der Weisen von Zion‹ und des Buches von Ford ›Der internationale Jude‹ zu sehen. Der Absatz dieser Broschüren und deren Verbreitung seien von der Botschaft gefördert worden. Zunächst sei nur eine Arbeit in diesem engen Rahmen möglich, da, wie bereits betont, eine sichtbare deutschgesteuerte antijüdische Propaganda für uns ungünstige Komplikationen hervorrufen könne.«

Nun, glauben Sie an die »Protokolle der Weisen von Zion«? Halten Sie es für ein echtes und authentisches Werk?

VON PAPEN: Keineswegs, nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Warum wurde dann der Vertrieb dieser Broschüre von der Deutschen Botschaft gefördert?


VON PAPEN: Ich darf vielleicht dem Gericht eine kurze Erklärung abgeben über den ganzen Zusammenhang dieser Tagung. Diese Tagung war vom Auswärtigen Amt einberufen worden, und zwar sollten an ihr teilnehmen die Referenten der Botschaften und Gesandtschaften, welche eigens angestellt waren für die Bearbeitung des jüdischen Problems. Bei meiner Botschaft gab es einen solchen Bearbeiter nicht, weil ich das immer abgelehnt habe. Infolgedessen hatte die Partei von sich aus den Buchhändler Posemann mit dieser Aufgabe betraut und ihn zu dieser Konferenz entsandt. Wenn Herr Posemann hier feststellt, daß die Botschaft die genannten Propagandabroschüren verbreitet habe, dann befindet er sich in einem großen Irrtum. Denn erstens würde die Türkische Regierung eine solche Verbreitung niemals zugelassen haben, und [442] zweitens können Sie sich heute überzeugen, Sir David, daß diese Broschüren alle noch im Keller meiner Botschaft in Ankara liegen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen also, daß diese Aussage, die in der Konferenz im Auswärtigen Amt gemacht wurde, falsch ist?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen, daß Sie nichts damit zu tun hatten. Das ist Ihre Antwort?

Ich möchte Sie nun einiges über die katholische Kirche fragen. Sie erinnern sich doch an die Fuldaer Erklärung der deutschen Bischöfe?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist es richtig, daß die Erklärung abgegeben wurde auf Grund einer Versicherung Hitlers am 23. März 1933 über seine guten Absichten der Kirche gegenüber. Erinnern Sie sich, daß Hitler so eine Erklärung abgegeben hat?


VON PAPEN: Nicht nur am 23., auch in der Regierungserklärung hat Hitler sich ausdrücklich auf den Boden gestellt, daß die beiden christlichen Konfessionen die Basis jeder Politik sein müßten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, das war wiederum – wenigstens teilweise – das Ergebnis einer Erklärung, die Sie in der Kabinettssatzung vom 15. März 1933 abgegeben haben, als Sie betonten, wie richtig es sei, den politischen Katholizismus in den neuen Staat einzubauen. Das ist doch eine richtige Schilderung der Tatsachen, nicht wahr? So haben sich doch die Dinge abgespielt?


VON PAPEN: Durchaus, Sir David.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.


VON PAPEN: Ich habe mir alle Mühe gegeben, Hitler zu veranlassen, dieses christliche Fundament in seiner Politik festzulegen in feierlichen Vereinbarungen, und ich glaube, ich habe dem Gericht ausgeführt, daß ich mir wirklich alle Mühe gegeben habe, dieses Programm durchzuführen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte Sie, noch einmal Dokumentenbuch 11a anzusehen, und zwar Seite 96, es ist 78 der deutschen Fassung, Dokument 2248-PS, es ist Ihr Bericht an Hitler vom 27. Juli 1935. In diesem Bericht gebrauchen Sie die folgenden Worte: »... Die geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutschlands nicht antastet...«

Es steht auf Seite 99 des englischen Textes, Seite 86 des deutschen Textes, Euer Lordschaft; es ist der erste Absatz auf Seite 99:

»Eine besondere Bedeutung kommt den kulturellen Problemen zu. Die Art und Weise, wie sich Deutschland mit den politisch-religiösen Schwierigkeiten auseinandersetzt, die [443] geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutschlands nicht antastet, wird nicht nur entscheidende Rückwirkung auf England oder auf das katholische Polen haben. Man kann vielmehr sagen, daß die Lösung der deutsch-österreichischen Frage damit steht oder fällt.«

Nun, ich möchte, daß Sie jetzt diesen Bericht an Hitler vom Juli 1935, also über zwei Jahre nach Abschluß des Konkordats, im Gedächtnis behalten: »... Die geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutschlands nicht antastet...« Ihr Verteidiger hat nun eine Stelle aus der feierlichen Ansprache Seiner Heiligkeit des Papstes zitiert. Ich möchte nur, daß Sie sich diese ansehen und dem Gerichtshof sagen, ob Sie mit der Stelle übereinstimmen, die nach der Stelle kommt, die Dr. Kubuschok zitiert hat.

Euer Lordschaft! Es ist ein neues Dokument, nein – Verzeihung – es ist ein altes Dokument, 3268-PS, Beweisstück US-356.

Euer Lordschaft, Sie werden sich erinnern, daß Dr. Kubuschok in diesem Dokumentenbuch eine Stelle aus der Ansprache des Papstes zitiert hat. Ich habe einige Exemplare davon.

Nach dieser Stelle nun, die Dr. Kubuschok zitiert hat, daß das Konkordat weiter Unannehmlichkeiten verhindert hat, fährt Seine Heiligkeit fort:

»Der Kampf gegen die Kirche wurde tatsächlich immer härter. Die Auflösung katholischer Organisationen, die fortschreitende Unterdrückung blühender katholischer Schulen, sowohl öffentlicher wie privater; die zwangsweise Entfremdung der Jugend von Heim und Kirche; der Druck auf das Gewissen der Bürger, besonders der Staatsbeamten; die systematische Verunglimpfung durch raffinierte, fest geleitete Propaganda, der Kirche, der Geistlichkeit, der Gläubigen, der kirchlichen Institutionen, des Unterrichts und der Geschichte; die Schließung, Auflösung und Beschlagnahme religiöser Gebäude und anderer geistlicher Institutionen; die vollständige Unterdrückung der katholischen Presse und Verlagshäuser.«

Stimmen Sie mit Seiner Heiligkeit darin überein, daß das eine richtige Darstellung des Vorgehens des Deutschen Reiches gegenüber der katholischen Kirche ist?

VON PAPEN: Vollkommen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nun, daß Sie sich auch die Enzyklika »Mit brennender Sorge« ansehen, Dokument 3280-PS. Sie werden es auf Seite 40 des Dokumentenbuches 11 finden – Verzeihung – Seite 47, Euer Lordschaft. Ich sagte Seite 40: Es ist Seite 40 des deutschen Textes.

[444] Sie werden bemerken, daß das ziemlich früh ist, am 14. März 1937, vier Jahre nach dem Konkordat, und er sagt im zweiten Satz am Anfang:

»Er enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf. In die Furchen, in die Wir den Samen aufrichtigen Friedens zu pflanzen bemüht waren, streuten andere – wie der inimicus homo der Hl. Schrift... – die Unkrautkeime des Mißtrauens, des Unfriedens, des Hasses, der Verunglimpfung, der heimlichen und offenen, aus tausend Quellen gespeisten und mit allen Mitteln arbeitenden grundsätzlichen Feindschaft gegen Christus und Seine Kirche. Ihnen und nur ihnen sowie ihren stillen und lauten Schildhaltern fällt die Verantwortung dafür zu, daß statt des Regenbogens des Friedens am Horizont Deutschlands die Wetterwolke zerset zender Religionskämpfe sichtbar ist.«

Nun, Angeklagter, ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof sagen, ob Sie darin mit ihm übereinstimmen?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie mit diesen Erklärungen übereinstimmen, die das Haupt der Kirche abgegeben hat, wie konnten Sie es fertig bringen, zwei Jahre nach dem Konkordat an Hitler zu schreiben, und zwar im Juli 1935, daß er den »politischen Katholizismus ausgeschaltet hat, ohne damit die christlichen Fundamente Deutschlands anzutasten«? Es war doch absolut unrichtig, nicht wahr, daß Hitler und die Nazis das christliche Fundament Deutschlands nicht angetastet hatten. Sie hatten es doch entwurzelt und waren dabei, es zu zerstören?


VON PAPEN: Sie verwechseln, Sir David; dies sind zwei vollkommen verschiedene Dinge; der politische Katholizismus...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie nicht unterbrechen, Angeklagter, aber ich habe mich doch ganz klar ausgedrückt. Was ich Ihnen vorhalte, ist nicht die Beseitigung des politischen Katholizismus. Ich spreche augenblicklich nicht über Ihre Beziehungen zu Monsignore Kaas. Ich spreche von Ihrer anderen Erklärung, daß das geschah, ohne das christliche Fundament Deutschlands anzutasten. Was ich Ihnen vorhalte, ist, was Seine Heiligkeit sagte, daß die christlichen Fundamente Deutschlands zerstört wurden. Im Augenblick kümmert es mich nicht, welche Meinung Monsignore Kaas damals von Ihnen oder Sie von Monsignore Kaas hatten, die kenne ich ja.


VON PAPEN: Lassen Sie es mich nun Ihnen darlegen. Der Kampf gegen die Kirche und ihre Institutionen, gegen die sich Seine [445] Heiligkeit der Papst in seiner Enzyklika aus dem Jahre 1937 und 1945 wendet und in der er sich bewußt war über die zunehmende Verschärfung der Lage während des Krieges – alle diese Dinge waren ein Angriff auf das christliche Fundament Deutschlands, ein Angriff, den ich stets auf das schärfste verurteilt habe. Aber das hat gar nichts zu tun mit der von mir geforderten oder erhofften Beseitigung des sogenannten politischen Katholizismus; das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Es ist vielleicht schwer, daß Sie das verstehen, weil Sie nicht in den deutschen Verhältnissen zu Hause sind.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bitte glauben Sie mir, Angeklagter, daß ich mich lange mit den Schwierigkeiten zwischen Ihnen und Monsignore Kaas beschäftigt habe. Ich werde sie dem Gerichtshof nicht vortragen, denn sie sind nicht wichtig. Ich anerkenne es und sehe es auch ein – allerdings nicht so gut wie Sie –, aber ich erkenne die Lage des politischen Katholizismus, und ich frage Sie nicht weiter danach. Ich befrage Sie über Ihre Erklärung. Warum haben Sie Hitler erklärt, daß er das christliche Fundament Deutschlands nicht angetastet habe? Das möchte ich wissen. Sie mußten doch gewußt haben 1935, daß das nicht wahr war.


VON PAPEN: Aber Sir David, Sie verdrehen ja vollkommen was in diesem Bericht steht. Ich sage ja Hitler, daß das christliche Fundament Deutschlands nicht angetastet werden darf, das steht noch heute in diesem Bericht doch drin:

»Man soll den politischen Katholizismus ausschalten, ohne das christliche Fundament Deutschlands anzutasten.«


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie sehen doch, wie es beginnt. Sie sagen, daß »... eine geschickte Hand, die... ausschaltet, ohne anzutasten...«

Ich will Ihnen etwas ins Gedächtnis zurückrufen. Haben Sie nicht in Ihrem Verhör ausgesagt, daß ihre Schwierigkeiten oder ein Teil ihrer Schwierigkeiten im Sommer 1934, bevor Sie die Marburger Rede gehalten haben, auf die Nichterfüllung des Konkordats zurückzuführen war, daß es, nachdem es mit Zustimmung Hitlers unterzeichnet war, »nur als Fetzen Papier behandelt wurde und ich nichts dagegen tun konnte«. Dann kam die Verfolgung der Kirche und auch der Juden zur selben Zeit, das war die Zeit in den Jahren 1933/1934. War das Ihre Ansicht im Jahre 1934, daß »nicht nur das Konkordat wie ein Fetzen Papier behandelt worden war, sondern daß auch die Verfolgung der Kirchen und Juden stattfand«?


VON PAPEN: Ich weiß nicht, aus welchem Dokument Sie zitieren momentan, Sir David.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich zitiere von Ihrem Verhör vom 19. September 1945 morgens.


[446] VON PAPEN: Ja, natürlich, es war meine Ansicht, als ich die Marburger Rede hielt, daß gegen alle diese Dinge vom Staat verstoßen wurde, sonst hätte ich ja diese Rede nicht gehalten. Aber in dieser Rede, Sir David, habe ich nochmals ausdrücklich betont, daß kein europäischer abendländischer Staat bestehen kann ohne das christliche Fundament, und daß wir uns selbst aus der Reihe der christlichen Völker und aus unserer Mission in Europa ausschalten, wenn wir auf unsere christliche Basis verzichten. Deutlicher kann ich es doch nicht sagen. Und ich werde Ihnen vielleicht noch etwas anderes sagen zum politischen Katholizismus. Sie haben bei...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Machen Sie es, wie Sie wollen. Ich wollte vermeiden, daß der Gerichtshof mit all dem belastet wird, was zwischen Ihnen und Monsignore Kaas vorging, denn Sie beide haben ja sich sehr harter Worte bedient, und es würde nicht gut klingen, wenn ich es jetzt wiederholen wollte. Wenn Sie auf diese Dinge eingehen wollen, dann können Sie es tun, aber beginnen Sie damit nur, wenn Sie müssen.


VON PAPEN: Ich empfinde diesen Vorwurf, den Sie mir machen, als einen der ungeheuerlichsten, weil er gegen meine ganze Auffassung verstößt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Sie erinnern sich doch, daß Sie dem Gerichtshof vor der Pause mitgeteilt haben, daß Sie, als Sie nach Österreich kamen, Kardinal Innitzer Hitler vorgestellt haben. Sie erinnern sich der Erklärung, auf welche Herr Dr. Kubuschok hinwies, daß Kardinal Innitzer in einer Rundfunkansprache von Rom aus klarmachte, daß er die Nazi-Herrschaft in Österreich nur unter gewissen Bedingungen annehme. Erinnern Sie sich daran?


VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nur, daß Sie sich ansehen, was mit Kardinal Innitzer geschehen ist.

Es ist ein neues Dokument, Euer Lordschaft, D-903, das GB-508 wird. Es ist eine eidesstattliche Erklärung eines Geistlichen namens Dr. Weinbacher, die ich erst am 7. Juni aus Wien erhalten habe.

Nun, Sie werden sehen, was dieser Geistliche sagt – ich nehme jedenfalls an, daß es ein Geistlicher ist – der Sekretär des Erzbischofs im Domkapitel. Wollen wir es uns nun ansehen?

»Am 8. Oktober 1938« – etwas mehr also als sechs Monate nachdem Sie eine Zusammenkunft zwischen Kardinal Innitzer und Hitler zustandegebracht hatten – »ereignete sich ein schwerer Überfall jugendlicher Demonstranten auf das erzbischöfliche Palais in Wien. Ich habe ihn miterlebt und kann ihn deshalb aus eigener Anschauung schildern.«

[447] Dann beschreibt er, wie sie Fensterscheiben eingeschlagen und das Tor erbrochen haben. Die Priester nahmen den Erzbischof in ein rückwärtiges Zimmer und versteckten ihn dort. Sie brachten den Kardinal im Matrikelarchiv in Sicherheit und schlossen die eiserne Türe hinter ihm und

»... dann nehmen wir zwei Priester, die wir uns einer Menge von Eindringlingen gegenüber sehen, Aufstellung vor der Türe der Hauskapelle des Kardinals, um wenigstens hier eine Zerstörung zu verhindern.«

Euer Lordschaft, das ist etwa zehn Zeilen von unten.

»Kurz nachdem wir bei der Kapelle angelangt sind, stürmen schon die Eindringlinge in die Räume des Kardinals, an die die Kapelle angrenzt. Gleich bei der Türe wehren wir sie ab, Holzstücke fliegen in die Kapelle herein, ich erhalte einen Stoß, daß ich stürze, doch können wir den Eintritt in die Kapelle verwehren. Die Demonstranten sind Jugendliche im Alter von 14 bis 25 Jahren, etwa 100 an der Zahl. Nachdem wir den ersten Trupp abgewehrt haben, öffnen wir den Tabernakel und konsumieren die hl. Hostien, um das Allerheiligste vor Verunehrung zu schützen. Aber schon stürzen neue Eindringlinge heran, die wir abwehren. Inzwischen geht in den übrigen Räumen eine Zerstörungswut, die nicht zu beschreiben ist, gegen alle Einrichtung vor sich. Mit den Messingstangen, die den Teppich im Stiegenhaus halten, zerschlagen die Burschen Tische und Stühle, Lüster und wertvolle Bilder, besonders alle Kreuze.«

Dann beschreibt er, wie die Spiegeltüren der Kapelle und so weiter eingeschlagen werden. Und dann war großer Tumult, als der Kardinal entdeckt wurde. Dieser Geistliche selbst wurde von ungefähr sechs Leuten aus der Kapelle herausgezogen und durch das Nebenzimmer an das Fenster hingeschleppt mit Rufen: »Den Hund schmeißen wir beim Fenster aussi!«

Endlich kam die Polizei, und Sie werden sehen, was diese als gebührende Wiedergutmachung ansah.

»Zunächst kommt ein Polizeioberstleutnant und entschuldigt sich, dann erscheint ein Vertreter der Geheimen Staatspolizei und drückt mit einem Aber sein Bedauern aus, die Polizisten hätten kein Animo einzuschreiten.

Inzwischen hatten andere Demonstranten einen Angriff auf das Haus der Dompfarre, Stefansplatz 3, unternommen und dort den Domkuraten Krawarik aus dem Fenster in den Hof geworfen. Mit einem beiderseitigen Oberschenkelbruch lag dieser Priester bis Februar im Krankenhaus.«

[448] Nun möchte ich, daß Sie sich den vorletzten Absatz ansehen:

»Daß die Demonstration nicht jugendlicher Übermut oder ein Ausfluß der Erbitterung war, sondern ein wohldurchdachter und von den offiziellen Stellen gewußter Plan war, geht klar aus der Rede des Gauleiters Bürckel hervor, der am 13. Oktober auf dem Heldenplatz den Kardinal in der tiefstehendsten Art als den Schuldigen hinstellte.«

Nun, Herr von Papen! Sie hatten eine große Verantwortung gegenüber dem Kardinal Innitzer, nicht wahr? Sie hatten ihn Hitler vorgestellt. Sie mußten durch die Verzweigungen und Verbindungen der katholischen Kirche von diesem Anschlag auf das Haus des Kardinals sechs Monate nach dem Anschluß gehört haben. Sie mußten doch davon gehört haben?

VON PAPEN: Gehört davon später, ja, ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Welche Proteste haben Sie erhoben, als Sie von diesem schändlichen Angriff auf Hauptwürdenträger der Kirche erfuhren, bei dem ein Domkurat aus dem Fenster geworfen wurde und beide Oberschenkel brach, die Kapelle entweiht und Kruzifixe zerbrochen wurden. Welche Proteste haben Sie dagegen erhoben?

VON PAPEN: Ich möchte Sie daran erinnern, Sir David, daß ich seit einem halben Jahr, mehr als einem halben Jahr, aus dem Dienst ausgeschieden war, daß ich mit diesen Sachen überhaupt nichts mehr zu tun hatte und daß selbstverständlich die Einzelheiten dieses Vorfalls ja in höchstem Maße bedauerlich und ja verbrecherische Überfälle waren. Aber die Einzelheiten haben in der deutschen Presse nicht gestanden, so daß ich sie wahrscheinlich hier zum ersten Male in dieser Form sehe. Lassen Sie mich folgendes noch sagen...


VORSITZENDER: Aber, Angeklagter, Sie haben nicht auf die Frage geantwortet. Die Frage war, was für Proteste Sie dagegen erhoben haben.


VON PAPEN: Ich habe keine Proteste gemacht, ich war ja damals in keiner offiziellen Funktion mehr, ich war ja ein Privatmann, und ich habe öffentlich über diese Dinge damals nur das erfahren, was die deutschen Zeitungen darüber bringen durften.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber, Angeklagter, Sie haben uns doch erzählt, daß Sie einer der führenden Katholiken Deutschlands waren. Sie wollen doch dem Gerichtshof nicht erzählen, daß es in der katholischen Kirche nicht jeder Bischof in Deutschland und wahrscheinlich auch jeder Pfarrer wußte, daß diese abscheuliche und entwürdigende Beleidigung einem Fürsten der Kirche in seinem eigenen Hause in Wien zugefügt worden war. Das muß [449] sich doch in der ganzen Kirche im Laufe weniger Tage herumgesprochen haben.


VON PAPEN: Das ist durchaus möglich, Sir David. Aber verlangen Sie denn von mir als Privatmann, irgendeine Aktion zu machen? Was sollte ich denn tun? Das Gericht hat nicht Kenntnis genommen von der Unterhaltung, die auf meine Veranlassung zwischen Kardinal Innitzer und Hitler zustande gekommen ist. Sie haben sie zum ersten Male heute erwähnt hier.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist gerade der Grund, weshalb ich Ihnen diesen Vorfall vorhalte, da Sie ja für das Zustandekommen der Zusammenkunft zwischen Kardinal Innitzer und Hitler im März 1938 verantwortlich waren. Als nun seine Eminenz im Oktober angegriffen wurde, dächte ich – obschon es mir kaum zusteht, meine Gedanken zu äußern – dächte ich, daß Sie sich vielleicht die Mühe genommen hätten, bei Hitler zu protestieren. Was Sie jedoch tun ist, daß Sie innerhalb von sechs Monaten, also im April 1939, eine andere Stellung unter Hitler annehmen.

Ich frage Sie nun, warum haben Sie nicht Protest erhoben? Sie hätten doch an Hitler schreiben können. Der Angeklagte Göring hat doch seine großen religiösen Interessen zum Ausdruck gebracht. Eine ganze Anzahl von den Angeklagten hat gesagt, daß sie große religiöse Sympathien hätten. Warum konnten Sie sich nicht mit ihnen in Verbindung setzen?


VON PAPEN: Weil ich im Herbst 1938 mich von sämtlichen politischen Geschäften zurückgezogen habe und auf dem Lande gelebt habe und mich überhaupt nicht um die politischen Angelegenheiten mehr gekümmert habe. Aber vielleicht darf ich sagen, warum und weshalb ich die Besprechung mit dem Kardinal Innitzer veranlaßt habe.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, das ist nicht der Punkt, der mich im Moment interessiert, die Besprechung vom 15. März. Mich interessiert nur die Tatsache, daß dies geschah, daß Sie davon wußten und keinen Protest erhoben haben.

Nun will ich auf einen anderen Punkt kommen. Dr. Kubuschok kann, wenn er wünscht, es später behandeln.

Angeklagter, Sie haben gehört, daß eine Anzahl Ihrer Mitangeklagten als Zeugen ausgesagt haben, sie hätten von den schrecklichen Unterdrückungsmaßnahmen, die in Deutschland getroffen worden waren, nichts gewußt. Sie wußten doch von diesen Unterdrückungsmaßnahmen? Sie wußten von der Tätigkeit der Gestapo, von den Konzentrationslagern, und später wußten Sie auch von der Vernichtung der Juden, nicht wahr?


VON PAPEN: Ich habe darüber nur soviel gewußt, daß in diesen Konzentrationslagern im Jahre 1933 und 1934 politische Gegner [450] untergebracht waren. Ich habe sehr häufig gegen die Methoden der Konzentrationslager Vorstellungen erhoben. Ich habe in verschiedenen Fällen Leute aus diesen Lagern befreit; aber es ist mir zu jener Zeit nicht bekannt gewesen, daß auch Morde in diesen Lagern vorgekommen sind.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen einmal näher darauf eingehen. Es wird gut sein, ein konkretes Beispiel anzuführen.


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie erinnern sich, daß anfangs 1935 Ihr Sekretär, Herr von Tschirschky, von Wien nach Berlin zurückbeordert wurde, um von der Gestapo vernommen zu werden. Erinnern Sie sich daran?

VON PAPEN: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie erinnern sich, daß er sich weigerte, hinzugehen und Ihnen einen eingehenden Bericht über seine Gründe, nicht zu gehen, übersandte? Erinnern Sie sich daran?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen den Bericht nur ganz kurz ansehen.

Es ist das Dokument D-685, Euer Lordschaft, das GB-509 wird. Euer Lordschaft finden es auf Seite 87 des Dokumentenbuches 11a, Seite 60 des deutschen Dokumentenbuches.

Auf Seite 87 finden Sie Herrn von Tschirschkys eigenhändigen Brief an Sie, in dem er am Ende des zweiten Absatzes sagt:

»Ich bin nicht in der Lage,... der Aufforderung der Gestapo, in Berlin zur Vernehmung zu erscheinen, nachzukommen.«

Und dann sagt er, daß – um seine eigenen Worte zu gebrauchen – »daß nicht nur der menschlich begreifliche Wunsch der Lebenssicherung« ihn zu diesem Entschluß bewogen hat, und er legt einen Bericht bei über das, was ihm am 30. Juni geschehen war, wodurch er auf die schwarze Liste der Gestapo gekommen sei. Erinnern Sie sich daran?

VON PAPEN: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und um den Anfang zusammenzufassen, der beinahe komisch wäre, wenn nicht so ein schrecklicher Zustand geschildert würde; Ihr Sekretär, Herr von Tschirschky, wurde zur gleichen Zeit von zwei Gruppen von konkurrierenden Polizisten aus dem Reich – ich glaube, der Kriminalpolizei und der Gestapo – verhaftet. Es bestand große Gefahr für Herrn von Tschirschky und einige Polizisten, erschossen zu werden, bevor sie sich entscheiden konnten, wer ihn in Haft nehmen sollte. [451] Ich möchte, daß Sie nun zu der Stelle kommen, wo er verhaftet wird. Es ist auf Seite 65 der deutschen Übersetzung und Seite 89 der englischen Übersetzung, Euer Lordschaft.

Sie sehen, Angeklagter, es ist – glaube ich –, nachdem die Gestapo diesen Kampf um den Mord gewonnen und sich der Person des Herrn von Tschirschky bemächtigt hatte. Euer Lordschaft, es ist auf der Mitte der Seite 89:

Es wird ihm mitgeteilt, daß die andere Polizeigruppe der Gestapo folgt, und er sagt:

»... und die Fahrt ging in das Gebäude der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße, durch einen Hof zu einem hinteren Eingang. Dort entstand wieder ein Wortwechsel zwischen den beiden Gruppen von Kriminalbeamten. Ich griff wieder in die Debatte ein und schlug als Weg zur Klärung des Mißverständnisses vor, daß je ein Herr der verschiedenen Gruppen zu einer hier im Hause befindlichen höheren Instanz ginge und entscheiden ließe, was zu geschehen hätte. Zu der Bewachung von mir und den beiden anderen Herren ständen ja dann noch drei Kriminalbeamte und vier SS-Männer zur Verfügung. Dieser Weg wurde eingeschlagen, die Herren kamen schließlich zurück, erklärten, das Mißverständnis habe sich aufgeklärt, wir könnten jetzt abtransportiert werden. Worauf wir auf einem längeren Wege durch das Gebäude ins Kellergeschoß gebracht wurden von drei SS-Männern ohne Begleitung des Kriminalbeamten. Dort wurden wir ohne jeden Kommentar abgeliefert und erhielten die Anordnung von den dort diensttuenden SS-Männern, uns auf eine in einem Gang an der Wand stehende Bank zu setzen. Es wurde uns zunächst untersagt, miteinander zu reden, und so verbrachte ich einige Stunden auf der Bank sitzend. Nähere Ausführungen über während dieser Stunden sich dort unten abspielende Ereignisse würden zu weit führen. Ich möchte mich daher wiederum nur auf den Fall der Erschießung einer sehr bekannten Persönlichkeit beschränken, von der in der Öffentlichkeit behauptet wird, sie habe Selbstmord begangen.

Die Persönlichkeit wurde in Begleitung dreier SS-Männer hereingebracht, an uns vorbeigeführt; Führer des Trupps war ein SS-Hauptsturmführer, klein, schwarz, mit Armeepistole in der Hand und in den zu unserem Gang parallel laufenden, vor den Zellen liegenden Gang gebracht. Ich hörte Kommandos: ›Türen bewachen‹, die Tür von unserem Gang in den anderen Gang wurde geschlossen, es fielen 5 Schüsse und sofort nach den Schüssen kam der Hauptsturmführer mit der noch rauchenden Pistole in der Hand aus der Tür wieder heraus, vor sich hinsagend: ›Das Schwein wäre erledigt.‹ In [452] dem ganzen Raum herrschte fieberhafte Aufregung, man hörte erschreckte Rufe und Schreie aus den Zellen. Ein wachhabender SS-Mann, ein verhältnismäßig noch junger Bursche, war so erregt, daß er anscheinend die Gesamtsituation vergaß und mir bedeutete – mit den Fingern illustrierend –, daß der Betreffende durch drei Schüsse in die Schläfe und zwei in den Hinterkopf erledigt worden sei.«

Sie hatten doch eine ziemlich gute Vorstellung von den SS- und Gestapomethoden, nachdem Sie diesen Bericht von Tschirschky erhalten haben?

VON PAPEN: Ja, und Sie sehen ja auch, daß ich diesen Bericht...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sagen Sie uns, bevor wir von diesem erbaulichen Auszug, den ich eben verlesen habe, auf etwas anderes übergehen, wer war denn diese wohlbekannte Persönlichkeit, die angeblich Selbstmord verübt haben soll, in Wirklichkeit aber mit drei Schüssen in die Schläfe und zwei Schüssen in den Hinterkopf ermordet wurde. Wer war diese bekannte Persönlichkeit?


VON PAPEN: Ich kann es nicht sagen, ich weiß es nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wollen behaupten, daß Herr von Tschirschky noch mehrere Monate zu Ihrem Stab gehörte und Ihnen nie gesagt hat, wer diese Persönlichkeit war?


VON PAPEN: Ich kann mich nicht erinnern, Sir David, daß er mit mir diese Sache erörtert hätte. Ich mag es auch vergessen haben. Jedenfalls eine von den Persönlichkeiten, die am 30. Juni umgekommen sind.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Moment, Sie sagen, Sie mögen es auch vergessen haben. Meinen Sie, daß so schreckliche Begebenheiten wie diese Ihnen so geläufig waren, daß Sie sich nicht einmal an den Vorfall erinnern können, bei dem eine bekannte Persönlichkeit, die angeblich Selbstmord begangen hat, erschossen wurde? Denken Sie noch einmal darüber nach. Können Sie dem Gerichtshof wirklich nicht sagen, wer dieser Unglückliche war?


VON PAPEN: Wenn ich mich entsinnen würde, würde ich es gern tun. Ich habe keinen Grund, es zu verschweigen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen nun dem Gerichtshof zeigen, wie Sie diesen Bericht an Hitler weitergeleitet haben. Sie haben doch angenommen, daß Herr von Tschirschky die Wahrheit sprach, nicht wahr, das sagten Sie doch?


VON PAPEN: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, es ist Seite 86 des englischen Textes und Seite 58 des deutschen Dokumentenbuches, Angeklagter.


[453] VORSITZENDER: Sir David! Wollen Sie untersuchen, was mit dem Mann geschehen ist, der den Bericht erstattet hat?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Entschuldigung. Ich werde das klären, Euer Lordschaft.

Angeklagter! Ehe wir darüber sprechen, was geschah, als er den Bericht erstattete; Herr von Tschirschky selbst wurde, glaube ich, in ein Konzentrationslager gebracht, sein Kopf wurde kahl geschoren und später, nach einer gewissen Zeit, wurde er entlassen und trat wieder in Ihre Dienste und verblieb in Ihren Diensten bis Februar 1935. Stimmt das, Angeklagter?


VON PAPEN: Ganz recht, jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Das ist die Geschichte bis zum Februar 1935. Dann wurde er gebeten, sich bei der Gestapo zu melden, und dann kam es zu dieser Korrespondenz.

Sie sehen Ihren Brief an Hitler vom 5. Februar, Dokument D-684, Beweisstück GB-510, in welchem Sie sagen:

»Wie gestern telegraphisch gemeldet, habe ich Herrn von Tschirschky die Ordre vom 2. ds. Mts. übermittelt mit der wiederholten Aufforderung, sich zum Termin der Gestapo am 5. Februar zu stellen.

Er hat mir alsdann die dienstliche Meldung gemacht, daß er der Ladung nicht Folge leisten werde, weil er überzeugt sei, daß er auf die eine oder andere Weise umgebracht werden solle. Die Gründe für seine Weigerung wird er in einem Bericht zusammenfassen, den ich nach Erhalt sofort vorlegen werde.

Ich habe Herrn von Tschirschky, den ich bereits für den Verlauf des Verfahrens vom Dienste suspendiert hatte, gestern endgültig seiner Dienststellung enthoben. Es ist selbstverständlich, daß ich sämtliche Beziehungen dienstlicher Natur abbrechen werde, sobald morgen die Übergabe von Akten etc. stattgefunden hat.«

Dann sagen Sie, daß Sie Herrn von Neurath gedrahtet haben und Tschirschky krankheitshalber beurlaubt haben. Sodann sehen Sie sich den letzten Abschnitt an:

»Nachdem ich wiederholt gebeten hatte, daß Herrn von Tschirschky Gelegenheit gegeben werde, sich vor dem ordentlichen Richter von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen, muß ich es natürlich in höchstem Maße bedauern, daß die Angelegenheit nun diesen Ausgang nimmt. Ich habe nichts unversucht gelassen, um Herrn von Tschirschky zu veranlassen, auch den ihm angewiesenen Weg der Vernehmung durch die Gestapo zu gehen.«

[454] Angeklagter! Ist es richtig, daß Sie nichts unversucht gelassen haben, um diesen Mann Ihres Stabes in den Tod zu senden, um von der Gestapo ermordet zu werden?

VON PAPEN: Ich glaube, es würde fair sein, Sir David, das Hohe Gericht auf die anderen Briefe hinzuweisen, aus denen hervorgeht, daß ich wiederholt, nicht nur einmal, Hitler gebeten habe, die Angelegenheit Tschirschky in einem ordentlichen Gerichtsverfahren untersuchen zu lassen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist ganz richtig. Darauf wurde in diesem Brief Bezug genommen.


VON PAPEN: Natürlich, aber lassen Sie mich zu Ende sprechen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ganz richtig.


VON PAPEN: Nachdem das abgelehnt war und der Führer nicht darauf einging, ein ordentliches Gerichtsverfahren zu machen, hat er mich wissen lassen – Hitler –, daß er persönlich sich dafür einsetzen wird, die persönliche Verantwortung übernimmt, daß Herrn von Tschirschky nichts geschehen wird, wenn er durch die Gestapo vernommen wird. Das finden Sie in diesen Briefen. Der Führer hat ihm eine außerordentliche Sicherheit versprochen, falls er der Vernehmung durch die Gestapo folgt. Infolgedessen, nachdem das ordentliche Gerichtsverfahren abgelehnt war und Hitler zugesagt hat, daß Herrn von Tschirschky nichts geschehen soll, habe ich Herrn von Tschirschky gebeten, sich dieser Vernehmung zu unterziehen, denn die Anklage gegen ihn mußte ja irgendwie aufgeklärt werden. Aber ich glaube...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie noch einmal Ihren Brief vom 31. Januar ansehen, den Sie...


VORSITZENDER: Sir David! Ich glaube, daß Sie irgendwann den ganzen Brief vom 5. Februar, den Sie eben besprechen, vorlesen sollten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft, ich will es tun. Ich bitte um Entschuldigung. Euer Lordschaft, ich will nichts auslassen. Ich versuchte nur, die Angelegenheit abzukürzen, doch werde ich alles verlesen, was Euer Lordschaft wünschen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof sollte dengan zen Brief vor sich haben. Sie haben bei den Worten »heutigen Kurier zurückgereicht« in der Mitte aufgehört, und zwar mit Bezug auf seine Abmeldung.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Herr Vorsitzender. Mit Bezug auf die Meldung seiner Abmeldung an die österreichische Regierung:

»Bezüglich der Abmeldung bei der Österreichischen Regierung befürchte ich, daß, wenn ich ihn unvermittelt morgen [455] abmelden werde, der Fall die öffentliche Diskussion beschäftigen wird. Ich glaube, daß man diesen Skandal vermeiden sollte und deshalb Herrn von Tschirschky der Öffentlichkeit gegenüber zunächst krankheitshalber beurlauben, um ihn dann abzumelden.

Ich werde auf den Fall Tschirschky und seine Zusammenhänge mit anderen, hier in Wien spielenden Angelegenheiten der Gestapo noch in einem ausführlichen Bericht zurückkommen.«

Ich danke Euerer Lordschaft!

VORSITZENDER: Sie haben dann nach den Worten »Gestapo zu gehen« im nächsten Absatz aufgehört.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl. Ich will die ganze Sache nochmals verlesen: »Nachdem ich wiederholt gebeten hatte...«


VORSITZENDER: Nein, Sie haben das bereits bis zu den Worten »Gestapo zu gehen« verlesen, aber nicht weiter.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE:

»Wenn er jedoch bei dem Entschluß bleibt, sich der Vernehmung zu entziehen, obwohl ihm bekannt ist, daß dies den Ruin seiner gesellschaftlichen und materiellen Stellung für sich und die Familie bedeutet, und wenn er mir die Erklärung abgegeben hat, daß er auch in der Emigration niemals etwas tun werde, was dem Führer oder dem Lande schaden könne, so habe ich nur den Wunsch hinzuzufügen, daß alles vermieden werden möchte, was die Angelegenheit zu einem öffentlichen Skandal stempeln würde.«

Ich danke Euerer Lordschaft!

Nun, Angeklagter, Sie haben fünf Tage zuvor, am 31. Januar, Hitler zugesagt – Euer Lordschaft, dies ist Seite 84 des englischen Dokumentenbuches und Seite 55 unten und Seite 56 oben im deutschen Text:

»Herr von Tschirschky, den ich übrigens zunächst von seinem Dienst dispensiert habe, hat nun aus mehreren Quellen, die er – und leider auch ich – für glaubwürdig halte, erfahren, daß einige, der Geheimen Staatspolizei angehörenden Persönlichkeiten schon seit längerer Zeit planen, ihn unschädlich zu machen.«

Euer Lordschaft, dieses Dokument D-683 wird Beweisstück GB-511.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie hielten es am 31. Januar für glaubwürdig, daß die Gestapo ihn unschädlich machen wollte. Am 5. Februar, und zwar in dem Teil, den der Gerichtshof mich gebeten hat vorzulesen, sagen Sie, [456] daß es den Ruin seiner gesellschaftlichen und materiellen Stellung für ihn und die Familie bedeuten würde. Wenn die Sache jedoch verschwiegen würde, wünschten Sie, einen Skandal zu vermeiden. Nun, Angeklagter...

VON PAPEN: Mein Wunsch war zunächst, daß alles getan werden solle, um alles in einem öffentlichen Gerichtsverfahren zu klären.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war Ihr erster Wunsch, und Sie gaben ihn sehr bald auf.


VON PAPEN: Einen Augenblick, bitte. Nachdem Hitler auf diesen Wunsch nicht eingegangen ist, und nachdem er festgestellt hat, daß Herr von Tschirschky bei einer Vernehmung durch die Gestapo sich seines, Hitlers, persönlichen Schutzes zu erfreuen haben wird, das heißt, wenn das Staatsoberhaupt mir sagt: »Ich bürge dafür, daß Herrn von Tschirschky nichts geschieht!« – dann werden Sie mir zugeben, daß ich nicht anders handeln konnte, als Herrn von Tschirschky zu sagen: »Beschreite diesen Weg der Vernehmung, denn Du mußt Dich ja doch von einem Verdacht reinigen, der auf Dir liegt.«

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich möchte Sie daran erinnern, daß in Ihrem Brief vom 5. Februar kein Wort über ein Versprechen Hitlers steht, für Herrn von Tschirschkys Sicherheit zu garantieren. Sie sagen nur, daß er in Ungnade verschwinden wird. Auch in anderen Briefen steht nichts davon.


VON PAPEN: Ja, es findet sich in einem Bericht von Tschirschky. Ich finde es im Moment nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie etwas über eine Garantie finden können, ich kann Ihnen nur sagen, daß ich in keinem Ihrer Briefe etwas davon finden konnte.


VON PAPEN: Doch.


VORSITZENDER: Vielleicht kann der Angeklagte in der Mittagspause, um 13.00 Uhr, nach diesem Dokument suchen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, sehr gut. Wenn ein derartiges Dokument vorhanden ist, dann bitte ich um Entschuldigung; ich weiß nichts davon.

Ja, Euer Lordschaft, ich bitte um Verzeihung, ich glaube, ich habe jetzt den Hinweis darauf gefunden. Er befindet sich auf Seite 91. Es ist nicht in einem Brief des Angeklagten, sondern ein Hinweis findet sich im Bericht des Herrn von Tschirschky. Es ist auf Seite 91 des englischen Textes, Euer Lordschaft; Seite 69 im deutschen Text. Es heißt dort:

»Zum Schluß der Begründung, weswegen ich trotz des mir vom Führer und Reichskanzler zugedachten außerordentlichen Schutzes weder vor der Gestapo zu erscheinen noch zunächst [457] ins Reich zu kommen mich verpflichtet fühle, gebe ich folgende Erklärung ab:

Bereits während meiner Tätigkeit in Berlin ist mir des öfteren die Mitteilung zugegangen, daß im Reich eine Terrorgruppe existiert, die sich auf Leben und Tod miteinander verschworen hat. Die Männer, die in diese Gemeinschaft aufgenommen werden wollen oder sollen, werden ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht und verpflichtet, daß sie der Feme unterliegen und daß sie bei Ausführungen ihrer Aufgaben sich zu einem hohen Prozentsatz der Gemeinschaft und nur zu einem kleinen Anteil Adolf Hitler verpflichtet zu fühlen hätten. Ich hätte diese Ungeheuerlichkeit nie geglaubt, wenn mir nicht die Mitteilung u. a. vor einem halben Jahr im Reich von einem Mann gemacht worden wäre – ich betone ausdrücklich: kein dem Dritten Reich gegenüber feindlich Eingestellter, sondern im Gegenteil, ein aus innerster Überzeugung für die Sendung Adolf Hitlers erfüllter reichsdeutscher, langjähriger Nationalsozialist – der selbst einmal für diese Gemeinschaft gewonnen werden sollte, sich aber geschickt entziehen konnte. Dieser Mann hat mich seiner Bereit schaft versichert, die mir genannten Namen von Mitgliedern dieser Gemeinschaft öffentlich preiszugeben oder, falls diese dann bereits tot sein sollten, seine Aussage durch Eid zu bekräftigen. Er müsse nur die Gewißheit haben, daß diese Terrorgemeinschaft dann nicht mehr wirksam sein kann, besonders da zu dieser Gemeinschaft Persönlichkeiten gehören, die zu den Vertrautesten des Führers und Reichskanzlers zählen.«

Ich bitte um Entschuldigung, ich wußte, daß in den Briefen des Angeklagten nichts enthalten war, doch hatte ich vergessen, daß diese Stelle im Bericht enthalten war.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun, das war von Tschirschky. Sie haben uns gesagt, daß Baron von Ketteler gegen Ende Ihrer Tätigkeit in Wien ermordet wurde. Baron von Kettelers Vater wurde ermordet, wenn ich mich recht erinnere; das war der Anlaß für die deutsche Expedition gegen die Boxer in China. Das war doch die Familie, der dieser Herr angehörte?

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, diese Dinge, der Mord an Ketteler, Ihre Erfahrung mit Tschirschky, wirkten auf Sie so, daß Sie bereit waren, eine neue Stellung unter der Nazi-Regierung in der Türkei anzunehmen.

Dann habe ich noch einen Punkt, den ich Ihnen vorhalten will.


[458] VON PAPEN: Darf ich vielleicht zu diesem Punkt etwas sagen? Ich habe dem Gericht...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr von Papen, ich will diese Sache zuerst beenden, weil ich glaube, daß wir jenen anderen Hinweis auf das Affidavit von Marchionini haben. Dann können Sie so viel sagen, wie Sie nur wünschen.

Warum haben Sie nach dieser Reihe von Morden, die sich über eine Zeitspanne von vier Jahren erstreckten, nicht mit diesen Leuten gebrochen und sind, wie General Yorck oder jemand anderer, den Sie von der Geschichte her kennen, eingestanden für Ihre eigenen Ansichten und diesen Mördern entgegengetreten? Warum haben Sie das nicht getan?

Jetzt können Sie Ihre Erklärung dazu geben.


VON PAPEN: Ja, Sie sehen, daß ich diesen Bericht des Herrn von Tschirschky über diese Morde Herrn Hitler vorgelegt habe, mit allen seinen Details; aber was Sie nicht wissen, ist, daß ich Herrn Hitler oft persönlich gesagt habe, daß solches Regime unmöglich auf die Dauer anhalten kann, und wenn Sie mich fragen, Sir David, warum ich trotz allem im Dienst des Reiches geblieben bin, dann kann ich darauf nur sagen, daß ich am 30. Juni persönlich mit Hitler und der Verbindung, die wir am 30. Januar geschlossen hatten, gebrochen habe. Von dieser Zeit ab habe ich meine Pflicht getan für Deutschland, wenn Sie es wissen wollen. Ich begreife sehr gut, Sir David, daß Sie nach allem, was wir heute wissen, nach all den Millionen von Morden, die vorgekommen sind, das deutsche Volk als ein Volk von Verbrechern ansehen und daß Sie nicht begreifen, daß es in diesem Volk auch Patrioten gibt. Ich habe es getan, um meinem Lande zu dienen, und darf ich hinzufügen, Sir David, daß ja bis zum Münchener Abkommen und selbst bis zum Polenkrieg auch die Großmächte es versucht haben, trotzdem ihnen alles bekannt gewesen ist, was in Deutschland passierte, mit diesem Deutschland zu arbeiten.

Warum wollen Sie es einem patriotischen Deutschen verübeln, daß er dasselbe getan hat und dasselbe gehofft hat, was alle Großmächte gehofft haben?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die Beamten der Großmächte wurden nicht einer nach dem anderen ermordet, und diese Mächte standen Hitler nicht so nahe, wie Sie. Was ich Ihnen vorhalte ist, daß der Grund war, der allein Sie im Dienste der Nazi-Regierung halten konnte, obwohl Sie von all diesen Verbrechen wußten, daß Sie damit sympathisierten und das Werk der Nazis fortführen wollten.

Ich halte Ihnen vor, daß Sie diese genaue Kenntnis hatten; Sie sahen, wie Ihre eigenen Freunde, Ihre eigenen Angestellten [459] rings um Sie ermordet wurden. Sie hatten genaue Kenntnis davon, und der einzige Grund, warum Sie geblieben sind und eine Stellung nach der anderen von den Nazis angenommen haben, war, daß Sie mit deren Werk sympathisierten. Das halte ich gegen Sie, Herr von Papen.


VON PAPEN: Das, Sir David, ist vielleicht Ihre Ansicht. Meine Ansicht ist die, daß ich für den Entschluß, für mein Vaterland zu arbeiten, allein nur meinem Gewissen verantwortlich bin und vor meinem deutschen Volke und daß ich dessen Urteil darüber annehmen werde.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich bin fertig.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 16, S. 417-461.
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