Nachmittagssitzung.

[461] VORSITZENDER: Sind Sie fertig, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich bin fertig.


VORSITZENDER: Will noch einer der Herren Anklagevertreter ein Kreuzverhör vornehmen?


[Keine Antwort.]


Dr. Kubuschok?

DR. KUBUSCHOK: Sie sind im gestrigen Kreuzverhör darauf hingewiesen worden, daß im Bericht an Hitler vom 27. Juli 1935 – britisches Dokumentenbuch 11a, Seite 79 – Sie darauf hinweisen, daß nach gerichtlichen Feststellungen führende reichsdeutsche Persönlichkeiten an den Gewaltmethoden im Juli 1934 in Österreich beteiligt gewesen seien. Sie haben in diesem Zusammenhang den Namen Habicht erwähnt. Ich möchte über die Persönlichkeit des Habicht einigen Aufschluß erhalten. Ist Habicht Reichsdeutscher gewesen?

VON PAPEN: Habicht war Reichsdeutscher und hatte seinen Sitz in München. Er war Landesinspek teur der gesamten Nationalsozialistischen Partei in Österreich. Das muß man folgendermaßen verstehen:

Die österreichische Partei hatte in Österreich selbst einen Gauleiter; aber von München, von der Reichsparteileitung aus, wurde die österreichische Partei durch einen besonders hierfür eingesetzten Landesleiter, Landesinspekteur Habicht, geleitet. Da diesem Mann die gesamte österreichische Partei unterstand, so war seine Stellung in der Partei selbstverständlich als führend zu bezeichnen. Man kann ihn also nicht als einen »liaison officer« bezeichnen, sondern als eine »führende reichsdeutsche Persönlichkeit«.


DR. KUBUSCHOK: Es sind Ihnen gestern im Kreuzverhör verschiedene Briefe vorgelegt worden, die Sie in der Zeit vom 4. bis 17. Juli 1934 an Hitler geschrieben haben. Diese Briefe bedürfen eines näheren Eingehens. Was war der Zweck der Briefe?


VON PAPEN: Ich bin dankbar, daß ich nochmals auf die Korrespondenz eingehen kann. Man muß die Situation betrachten, die damals vorlag. Bose erschossen, drei Mitarbeiter verhaftet, eine äußerst erregte Stimmung, und jeder, der irgendwie in Opposition gestanden hat, steht jetzt im Verdacht, mit dieser SA-Revolte in Verbindung zu stehen – etwa eine Stimmung wie nach dem 20. Juli 1944. Es muß daher erreicht werden als erstes Ziel, durch ein gerichtliches Verfahren sowohl den Fall Bose wie auch die anderen Fälle zu klären. Das verlange ich in meinem ersten Schreiben vom 4. Juli. Diese Rehabilitierung verlange ich auch in [461] weiteren Briefen. Aber die Voraussetzung ist, daß zunächst mal festgestellt wird, daß wir nicht mit den SA-Verschwörern in irgendeinem Zusammenhang stehen.


DR. KUBUSCHOK: In den Briefen versichern Sie Hitler Ihrer Treue und Loyalität. Ist diese Form nicht erstaunlich nach den Vorgängen des 30. Juni?


VON PAPEN: Es mag den Außenstehenden erstaunlich erscheinen, aber nicht dem, der die hysterische Stimmung jener Tage kennt, denn damals wurde jeder, der überhaupt in Opposition gestanden oder der Kritik am System geübt hatte, zu einem Mitverschwörer gestempelt. Daher fand ich es angezeigt, durch eine derartige Briefform festzustellen, daß ich und die Vizekanzlei mit dieser Verschwörung nichts zu tun hatten.


DR. KUBUSCHOK: Der Herr Vertreter der Anklage entnimmt den Briefen lediglich den Wunsch nach Rehabilitierung Ihrer eigenen Person. Was haben Sie hierzu zu sagen?


VON PAPEN: Ich bitte das Hohe Gericht, diese Briefe zu betrachten. Darin ist festzustellen, daß ich immer wieder darauf hingewiesen habe, auch meine Mitarbeiter müssen unbedingt rehabilitiert werden. In dem Briefe vom 12. Juli, Seite 3, erkläre ich, daß die Ehre meiner eigenen Beamten auch meine eigene Ehre sei, und immer wieder wird von mir Aufklärung des Falles Bose gefordert.


DR. KUBUSCHOK: Was glaubten Sie, durch das von Ihnen vorgeschlagene Gerichtsverfahren erreichen zu können?


VON PAPEN: Ein Gerichtsverfahren hätte zweierlei Wirkung gehabt: Einmal wäre die Nichtbeteiligung am Putsche festgestellt worden, und daraus hätte sich zwangsläufig ergeben, daß die Verhaftung meiner Mitarbeiter und die Tötung Boses ein Willkürakt war, ein Akt, für den die Verantwortlichen zu bestrafen waren.


DR. KUBUSCHOK: Im Brief vom 14. Juli begrüßen Sie die Rechtfertigungsrede Hitlers vor dem Reichstag am 13. Juli. Was haben Sie hierzu zu sagen?


VON PAPEN: Ich darf bitten, den Text dieses Briefes zu betrachten. Ich begrüße darin die Niederschlagung der beabsichtigten zweiten Revolution. Darin ist noch keinesfalls eine Anerkennung der Gewaltakte zu sehen, die gegen Personen außerhalb des Kreises der Revolution begangen worden sind. Ferner ist folgen des zu bedenken: Die Ereignisse des 30. Juni zerfielen in zwei Teile, einmal: Hitler selbst hatte sich gegen die revoltierende SA gewandt. Daß eine derartige Revolte tatsächlich geplant war, das ist uns allen glaubhaft erschienen, denn die Gerüchte von einer zweiten Revolution gingen seit Wochen durch das Land. In Marburg habe ich [462] bereits darauf hingewiesen. Die Revolte der SA-Führer, die praktisch eine Macht darstellten, konnte als eine Staatsgefahr angesehen werden, und die Exekutionen hatten sich gegen SA-Führer gerichtet, die besonders bekannt waren und deren Namen mit den Ausschreitungen von 1933 verbunden waren.

Der zweite Teil der Aktion hatte sich gegen Persönlichkeiten gerichtet außerhalb dieses Kreises. Langsam sickerten die einzelnen Fälle durch. Die Berechtigung zum Einschreiten gegen diese Persönlichkeiten wurde teilweise damit begründet, daß die Betroffenen in irgendeiner Verbindung mit den SA-Führern gestanden hätten und daß sie teilweise Widerstand geleistet hätten. Das mußte aufgeklärt werden; denn hier konnte auf ein Staatsnotrecht verwiesen werden, und hier konnte nicht von einem ordentlichen gerichtlichen Verfahren abgewichen werden. Daher mein Brief an Hitler vom 12. Juli, in dem ich ihn zu bestimmen suche, von dem ordentlichen Rechtswege nicht abzugehen. Ich warne ihn, sich mit diesen Vorgängen zu identifizieren, und ich verlange von ihm, wiederum Bezug nehmend auf den Fall Bose, dessen Rehabilitierung und das Gerichtsverfahren.


VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Die Briefe liegen uns vor.


DR. KUBUSCHOK: Ja, der Zweck des jetzigen Verhörs dient dazu, die Sachlage zu klären und die Form der Briefe zu erklären. Ich glaube aber, der Angeklagte hat schon so viel gesagt, daß wir jetzt zu einer weiteren Frage übergehen können.

Ihr Brief vom 17. Juli ist ohne Höflichkeitsformel unterschrieben und weicht auch in der übrigen Form von den anderen Briefen ab. Wie ist dies zu erklären?


VON PAPEN: Am 17. Juli mußte ich meine Versuche als gescheitert ansehen, eine gerichtliche Klärung zu erlangen. Nicht einmal meine Akten hatte ich zurückbekommen. Deshalb gebe ich es auf, weiter zu verhandeln, und es besteht kein Grund mehr, meine Demission auch nach außenhin bekanntzugeben.


DR. KUBUSCHOK: Zurückzustellen, meinen Sie.

Ich komme noch einmal auf ein Dokument zurück, das am heutigen Tage von der Englischen Anklage in Bezug genommen worden ist. Es handelt sich um Dokument 2248-PS, im englischen Dokumentenbuch 11a, Seite 99. Der Herr Vertreter der Englischen Anklage hat sich bemüht, von dem Angeklagten eine Aufklärung zu erhalten. Ich glaube, daß hier sprachliche Schwierigkeiten in der Übersetzung und überhaupt im Ausdruck die Verständigung erschwert haben. Ich werde den fraglichen Satz noch einmal verlesen und den Angeklagten bitten, eine Erklärung für diesen Satz abzugeben. Ich zitiere von Seite 99 des englischen Textes, zweiter Absatz von oben: »Die Art und Weise, wie sich Deutschland mit den...«


[463] VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Darüber haben wir schon eine lange Erklärung gehört.


DR. KUBUSCHOK: Herr Präsident! Die Erklärung hat darunter gelitten, daß der Angeklagte die Übersetzung nicht richtig verstanden hat, beziehungsweise, daß der englische Herr Anklagevertreter den Angeklagten nicht richtig verstanden hat. Es ist nämlich die Form des deutschen Textes nicht sehr klar zu verstehen. Der Angeklagte wird hier eine Aufklärung sehr leicht schaffen können. Die Aufklärung geht soweit...


VORSITZENDER: Schon gut, fahren Sie fort.


DR. KUBUSCHOK:

»Die Art und Weise, wie sich Deutschland mit den politisch-religiösen Schwierigkeiten auseinandersetzt, die geschickte Hand, die den politischen Katholizismus ausschaltet und doch das christliche Fundament Deutschlands nicht antastet, wird nicht nur entscheidende Rückwirkung auf England...«

und so weiter dann.

Bitte, erklären Sie den Sinn des soeben verlesenen Satzes.

VON PAPEN: Ja, ich habe damit Hitler sagen wollen: »Du mußt mit geschickter Hand zwar den politischen Katholizismus ausschalten, aber das religiöse Fundament darf unter keinen Umständen angetastet werden.« Von der geschickten Lösung dieser Frage...

VORSITZENDER: Hier handelt es sich gar nicht um Übersetzung. Die Stelle ist wörtlich so vorgelesen worden, wie sie uns vorliegt. Sir David Maxwell-Fyfe hat sie dem Angeklagten vorgelesen, und der Angeklagte hat darauf immer wieder Sir David die gleiche Antwort gegeben.


DR. KUBUSCHOK: Herr Präsident! Darf ich auf folgendes hinweisen: Der ganze Satz steht in der Zeitform des Futurum, der ganze Satz...


VORSITZENDER: Es ist uns eben von dem Dolmetscher wörtlich vorgelesen worden genau in denselben Worten wie in dem Buche, das uns vorliegt und in den Worten, die Sir David dem Angeklagten vorgehalten hat. Es gibt da überhaupt keine Frage von abweichenden Zeitformen.


DR. KUBUSCHOK: Herr Präsident! Es ist hier eine besondere sprachliche Schwierigkeit, weil nämlich in den ersten Worten »auseinandersetzen« und »ausschalten« das Präsens gebraucht wird im Zusammenhang mit dem späteren Futurum »wird«, und da ist nach deutschem Sprachgebrauch das Präsens auch als Futurum aufzufassen. Nach Ansicht des Herrn englischen Anklagevertreters waren die Worte »auseinandersetzen« und »ausschalten« als Vergangenheit aufzufassen, und das sind die Differenzen.


[464] VORSITZENDER: Das ist nur ein Streit um Worte, um die Worte, die in dem Schriftstück vorkommen.


DR. KUBUSCHOK: Ja. Jetzt noch eine letzte Frage an den Zeugen: Es ist vorhin von der Rücksprache des Kardinals Innitzer bei Hitler in Wien die Rede gewesen. Was veranlaßte Sie dazu, diese Zusammenkunft Hitlers mit Kardinal Innitzer zu arrangieren?


VON PAPEN: Mit dem Einmarsch in Österreich und dem Anschluß Österreichs an das Reich, hatte Hitler ein katholisches Land Deutschland angeschlossen, und das Problem, das zu lösen war, war, dieses Land auch innerlich zu gewinnen. Das war nur möglich, wenn Hitler auf der religiösen Basis anerkannte, welche Rechte der Katholizismus in diesem Lande hatte. Und aus diesem Grunde habe ich eine Besprechung zwischen dem Kardinal Innitzer und Hitler herbeigeführt, um sicherzustellen, daß Hitler in der Zukunft in Österreich eine Politik führen werde, die auf christlicher Basis stand.

Mit der Herbeiführung dieser Unterredung glaubte ich, Österreich einen letzten Dienst leisten zu können. Das war der Grund.


DR. KUBUSCHOK: Ich beende damit das Verhör.


VORSITZENDER: Ich möchte noch zwei oder drei Fragen an Sie stellen.

Wann haben Sie zum erstenmal von der Ermordung von Juden gehört?


VON PAPEN: Ich glaube, Mylord, daß das im Kriege gewesen ist.


VORSITZENDER: Der Krieg hat doch sechs Jahre gedauert. Wann während des Krieges haben Sie das gehört?


VON PAPEN: Das kann ich mit Sicherheit nicht angeben, Mylord, auf meinen Eid, wann es gewesen ist.


VORSITZENDER: Können Sie das nicht genauer angeben?


VON PAPEN: Nein; unsere allgemeine Kenntnis war die, daß die Juden in Lager nach Polen abtransportiert werden; aber von einer vorsätzlichen Extermination der Juden, wie wir sie hier gehört haben, ist uns nichts bekannt gewesen.


VORSITZENDER: Was wissen Sie über den Zeugen Marchionini, dessen eidesstattliche Versicherung Ihr Anwalt vorgelegt hat. Was wissen Sie über ihn?


VON PAPEN: Marchionini, Mylord, ist ein sehr bekannter Professor, der in Ankara im Musterkrankenhaus angestellt ist und der auch der Arzt meiner Familie war.


VORSITZENDER: Haben Sie Ihre Dokumentenbücher vor sich?


VON PAPEN: Nein.


VORSITZENDER: Kann der Angeklagte Band 3 bekommen?


[465] [Das Dokumentenbuch wird dem Angeklagten ausgehändigt.]


Band 3 im Affidavit Marchioninis, der letzte Absatz der Antwort auf Frage 6.

VON PAPEN: Einen Augenblick, Mylord. Ich habe es noch nicht gefunden.

VORSITZENDER: Es eilt nicht.


VON PAPEN: Ich habe das Affidavit jetzt.

VORSITZENDER: Haben Sie die Frage 6 oder vielmehr die Antwort auf Frage 6?


VON PAPEN: Die Fragen sind hier nicht numeriert.


VORSITZENDER: Es ist die vorletzte Frage.


VON PAPEN: Die letzte Frage?


VORSITZENDER: Die vorletzte Frage.


VON PAPEN: Ja.


VORSITZENDER: In der Antwort zu dieser Frage sagt er folgendes:

»Besonders deutlich habe ich eine Aktion aus dem Frühling 1944 in Erinnerung, bei der ich auf Ersuchen des Herrn Barlas, des Flüchtlingskommissars der Jewish Agency, Herrn von Papen aufsuchte, um ihn um seine Mitwirkung bei der Errettung von 10000 Juden in Frankreich vor der Verschickung nach Polen zum Zwecke der Vernichtung zu bitten. Diese Juden hatten früher die türkische Nationalität besessen, diese aber später aufgegeben.«

Dann sagt er, durch Ihr Eingreifen sei »das Leben dieser Juden gerettet worden«. Ist diese Erklärung richtig?

VON PAPEN: Ja, sicherlich.

VORSITZENDER: So haben Sie also auf jeden Fall im Frühjahr 1944 gewußt, daß 10000 Juden aus Frankreich zum Zwecke der Ausrottung deportiert werden sollten?


VON PAPEN: Ich glaube, sie sollten deportiert werden, Mylord, nach Polen. Aber daß sie vernichtet werden sollten, das haben wir 1944 nicht gewußt. Wir wollten sie vor der Deportation schützen.


VORSITZENDER: Ich dachte, Sie hätten gesagt, die Erklärung stimme.


VON PAPEN: Zum Zwecke der Vernichtung – ich glaube, daß uns das damals nicht gesagt worden sei. Die Frage war einfach die, ob ich bereit wäre mitzuhelfen, 10000 Juden, die sich in Frankreich befanden, zu schützen vor der Deportation nach Polen.


[466] VORSITZENDER: Das ist alles. Sie können zur Anklagebank zurückkehren.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. KUBUSCHOK: Ich hatte vom Tribunal drei Zeugen bewilligt bekommen. Der Zeuge Freiherr von Lersner konnte infolge Verkehrsschwierigkeiten zur Zeit nicht hierherkommen; er könnte frühestens Ende Juli hierherkommen. Nach der Eigenvernehmung des Angeklagten und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Lersner einen Fragebogen beantwortet hat, glaube ich, auf den Zeugen verzichten zu können. An sich bedauere ich es, weil es ein Mann ist, der den Angeklagten während seiner ganzen politischen Laufbahn begleitet hat, ein Zeuge, der besonders wertvoll wäre wegen seiner Objektivität in diesen Fragen. Er war Präsident der Deutschen Friedensdelegation in Versailles.

VORSITZENDER: Wenn Sie die eidesstattliche Erklärung oder den Fragebogen haben, können Sie es vorlegen. Wir brauchen darüber keine weiteren Aussagen.


DR. KUBUSCHOK: Ja.

Ich habe als zweiten Zeugen den Grafen Kageneck bewilligt bekommen. Nachdem die Fragen, die an Kageneck zu stellen waren, in der Eigenvernehmung des Angeklagten behandelt und im Kreuzverhör darauf nicht eingegangen wurde, kann ich auch diesen Zeugen entbehren; ich verzichte auf ihn. Es bleibt also nur noch der Zeuge Dr. Kroll, den ich hiermit rufe.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen.

ZEUGE HANS KROLL: Hans Kroll.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. KUBUSCHOK: Herr Zeuge! Welches war Ihre Stellung in Ankara?


KROLL: Ich war als erster Botschaftsrat und später als Gesandter vom Herbst 1936 bis April 1943 in Ankara tätig, und zwar vom April 1939 bis April 1943 zusammen mit dem Botschafter von Papen, als sein erster Mitarbeiter. Wir haben täglich, meistens am Vormittag und am Nachmittag, mehrere Stunden zusammen konferiert, so daß ich glaube, über die verschiedenen Phasen seiner Tätigkeit [467] während dieser Zeit in der Türkei, das heißt also während seiner Arbeit im Kriege, gut unterrichtet zu sein.


DR. KUBUSCHOK: Ich wollte nur zur Aufklärung sagen: Diese Fragen werden sich im wesentlichen auf die Friedenspolitik des Angeklagten beschränken. Haben Sie Herrn von Papen vor seiner Tätigkeit als Botschafter in Ankara gekannt?

KROLL: Nein. Wir haben uns erst in Ankara kennengelernt.


DR. KUBUSCHOK: Waren Sie Mitglied der NSDAP?


KROLL: Nein.


DR. KUBUSCHOK: Nach Übernahme des Botschafterpostens kam Herr von Papen zu kurzem Aufenthalt nach Ankara. Was war der Zweck dieses dortigen Aufenthaltes?


KROLL: Herr von Papen wollte sich zunächst einmal der Türkischen Regierung vorstellen und sich über die Lage informieren.


DR. KUBUSCHOK: Hat Herr von Papen damals durch sein Verhalten und seine Äußerungen sein Einverständnis mit der deutschen Außenpolitik und insbesondere mit der Politik gegenüber Polen gezeigt, oder hat er im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, gegen diese Politik zu wirken?


KROLL: Ich war natürlich nach Eintreffen Herrn von Papens daran interessiert, von ihm zu erfahren, wie er sich die weitere Entwicklung der allgemeinen Lage und insbesondere auch der polnischen Frage vorstellte. Ich nahm natürlich an, daß, wenn er von Deutschland kommt, er von Hitler in seine Pläne eingeweiht sei, und ich war enttäuscht, festzustellen, daß er nicht mehr wußte als ich auch, das heißt gar nichts.

Wir haben dann im einzelnen die Lage erörtert; soweit ich feststellte, stand Herr von Papen, der mit mir sehr offen über diese Dinge sprach, der Hitlerschen Außenpolitik voll Mißtrauen gegenüber. Er war ein Gegner des Krieges, ein entschiedener und ehrlicher Gegner des Krieges und natürlich auch ein Gegner des Krieges gegen Polen. Er war allerdings überzeugt, daß man in der polnischen Frage zu einer Verständigung kommen könnte, wenn man es nur Hitler klarmachen könnte, daß ein Konflikt mit Polen unter allen Umständen auch zu einem Weltkrieg führen würde. Er hat sich dann bemüht, und ich muß sagen, in einer sehr offenen und klaren und mutigen Sprache, in seiner Berichterstattung auf diesen Punkt hinzuweisen und aus seinen Gesprächen mit den türkischen Staatsmännern sowie den in Ankara akkreditierten Diplomaten den Beweis dafür zu führen, daß in der Tat ein Konflikt mit Polen unweigerlich zu einem Konflikt mit England und Frankreich führen würde. Er hat mir später oft gesagt, daß er überzeugt sei, daß, wenn jedermann, Deutsche wie Ausländer, in [468] dieser klaren Form zu Hitler gesprochen hätten, der Krieg vermieden worden wäre.


DR. KUBUSCHOK: Wie war nach Ausbruch des Polenkrieges die Einstellung des Herrn von Papen zur Ausweitung dieses Krieges auf die nordischen Staaten, Holland, Belgien und schließlich Rußland?


KROLL: Herr von Papen hoffte natürlich, daß man in dieser Winterpause zu irgendeiner Verständigung oder in irgendein Gespräch kommen würde. Er wußte ja, daß, wenn erst einmal die Kampfhandlungen auf den Westen übergriffen, daß dann das allgemeine Gemetzel losgehen würde und daß es dann allerdings für ein Gespräch wahrscheinlich zu spät sein würde. Er hat natürlich auch nach Möglichkeit eine Vermittlung nach der Türkei gesucht und hat darum freudig und bereitwillig jede Gelegenheit aufgegriffen, wie es sich aus einer Reihe von Gesprächen mit dem ihm befreundeten Holländischen Gesandten in Ankara, van Visser, bot. Das Motiv zu diesem Angebot Vissers war der Wunsch Hollands, den Krieg beendet zu sehen, bevor das Frühjahr herankomme und mit ihm der Kampf im Westen, und das Ziel sollte sein ein Gespräch zwischen Deutschland und England.


DR. KUBUSCHOK: Es interessiert mich zu wissen, wie die Anschauungen des Herrn von Papen für einen derartigen Frieden waren. Glaubte er, auf dem Wege des Friedens eine Annektion erreichen zu können, oder was waren die Ziele dieses Friedens, die er im Auge hatte?


KROLL: Ich glaube, es ist bekannt, und zwar aus der früheren Tätigkeit Herrn von Papens, daß er ein Freund und Anhänger der europäischen Verständigung war. Er wußte auch, daß dieser Krieg ja nicht begonnen hatte wegen eines territorialen Problems, sondern wegen eines Prinzips, nämlich, um künftig eine einseitige aggressive Aktion, das heißt, einen Angriffskrieg zu verhindern. Und es war darum in der Wiederherstellung des Rechtszustandes vor Beginn des Krieges, das heißt in der Wiederherstellung des Status quo ante auf der Grundlage von 1938, das heißt in der Wiederherstellung Polens und der Tschechoslowakei überhaupt die Voraussetzung für die Anknüpfung eines Gespräches.

Die zweite Voraussetzung für die erfolgreiche Führung eines solchen Gespräches war für ihn die Wiederherstellung des Vertrauens in die deutsche Unterschrift, die ja bekanntlich durch die Hitlersche Außenpolitik zerstört worden war. Es kam also nur darauf an, wie man das Vertrauen wiederherstellen könnte. Da war er sich im klaren darüber, daß die Voraussetzung dafür eine wesentliche Reform des Regims war mit dem Ziel, Deutschland wieder zu einem Rechtsstaat zu machen. Schließlich sah Herr von Papen gerade an seinem Posten in der Türkei die Möglichkeit,[469] den Krieg durch eine Verständigung zu beenden, denn die Türkei erfüllte, wie vielleicht kaum ein anderer Staat von dem gleichen außenpolitischen Gewicht, die geradezu ideale Voraussetzung für eine Vermittlung. Sie genoß das Vertrauen beider kriegführender Teile, und das ist ja das Wesentlichste, um ein Gespräch anzuknüpfen. Er hat sich dann auch bemüht, in allen seinen Gesprächen mit den türkischen Staatsmännern die Türkei für eine Vermittlung zu gewinnen; denn das war ja während seiner ganzen Jahre in der Türkei das Leitmotiv seiner Arbeit, den Krieg möglichst rasch zu einem Ende zu bringen. Er hat dann in der Tat den großen Erfolg gehabt, daß der türkische Staatspräsident im Jahre 1942 in einer großen öffentlichen Rede vor der türkischen Nationalversammlung die guten Dienste der Türkei für eine Vermittlung zwischen den beiden Parteien anbot.


DR. KUBUSCHOK: Haben Sie Kenntnis von den Bemühungen Herrn von Papens, eine Kriegsausweitung in Richtung der Türkei, entgegen bestimmten Bestrebungen der Achsenpartner und bestimmter Kreise um Hitler zu verhindern? Es hat in der Kriegszeit insoweit mehrere Krisen gegeben, die Sie vielleicht kurz erwähnen können.


KROLL: Ich möchte zunächst einmal sagen, daß Papens Tätigkeit in der Türkei eigentlich in einem Wort zusammengefaßt werden kann. Er sah es als seine Mission an, die Interessen Deutschlands, seines Vaterlandes, mit den Interessen des Friedens auf eine Formel zu bringen. Das bedeutete in der Praxis, daß er sich bemühte, eine Ausdehnung des Krieges auf die Türkei und den Nahen Osten zu verhindern und damit die Voraussetzung zu schaffen, um im gegebenen Augenblick die Türkei als Vermittler einzuschalten.

Nun zu den Krisen. Ich mochte mich auf die Fälle beschränken, bei denen Herr von Papen den Eindruck hatte, daß die Neutralität der Türkei durch Absichten der Achsenpartner in Gefahr wäre.


VORSITZENDER: Ich glaube, ich habe Sie bereits darauf aufmerksam gemacht, daß mit Bezug auf Papens Tätigkeit in Ankara keine Anklage gegen ihn erhaben worden ist, und ich möchte auch noch bemerken, daß ich dachte, das sollte nur eine Zusammenfassung in einem Wort werden.


DR. KUBUSCHOK: Es sind nur ganz wenige Fälle, Euer Lordschaft, ich werde sie in kurzen Sätzen vortragen lassen, um das allgemeine Bild zu vervollständigen.


VORSITZENDER: Die Beweisführung kann nur erheblich sein, soweit sie die Handlungsweise von Papens beleuchtet, bevor er nach Ankara ging. Das ist es gerade, was ich Ihnen schon neulich sagte.


DR. KUBUSCHOK: Ich sagte neulich, Euer Lordschaft, daß man der Persönlichkeit eines unter Anklage der Kriegskonspiration [470] stehenden Mannes nicht gerecht wird, wenn man nur einen Zeitabschnitt herausgreift. Er war auf einem Posten, wo er nur Negatives oder Positives tun kannte. Es ist doch nicht unerheblich, wenn es wenigstens in Kürze dargetan werden darf.


VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Dieser Zeuge hat uns schon eine beträchtliche Zeitlang erzählt, daß Papens Handlungsweise ganz friedlich gewesen sei und daß seine Bemühungen darauf hinausliefen, die Türkei zu einer Vermittlung zu veranlassen. Und jetzt tut er nichts anderes, als immer mehr Einzelheiten über dasselbe Thema zu bringen, und zwar betrifft das alles eine Zeit, wegen der überhaupt keine Beschuldigung von der Anklagebehörde gegen von Papen erhoben wird.


DR. KUBUSCHOK: Wenn das Gericht unterstellt, daß der Angeklagte von Papen tatsächlich seine Mission in Ankara als eine Friedensmission aufgefaßt hat, so brauche ich weiter keine Fragen an den Zeugen zu richten. Ich komme zu den letzten Fragen.

Wie war die Stellung des Herrn von Papen zur Partei, besonders zur Landesleitung in Ankara?


KROLL: Herr von Papen wurde schon bei seinem Eintreffen mit unverhülltem Mißtrauen empfangen. Es war auch kein Wunder; denn man wußte ja, daß er kein Nationalsozialist ist. Ich habe in der Tat in diesen vier Jahren in der Türkei niemand kennengelernt, der ihn für einen Nationalsozialisten gehalten hat. Das Verhältnis zur Partei verschlechterte sich dann im Laufe der Jahre, und so kam es schließlich zum öffentlichen Konflikt, und zwar im Jahre 1942, als der Landesgruppenleiter der Partei zu seinen Kumpanen einmal erklärte, wenn es auf ihn ankäme, dann würde er Herrn von Papen erschießen lassen. Er ist dann daraufhin gestellt worden und hat sich darauf berichtigt, er hätte das nicht gesagt, er hätte nur gesagt, er würde ihn in das Konzentrationslager stecken.


DR. KUBUSCHOK: Wie war die Einstellung des Herrn von Papen zur Judenfrage?


KROLL: Herr von Papen hat sich sowohl in wiederholten öffentlichen Reden wie in seiner Handlungsweise ganz eindeutig gegen die antijüdische Politik der Partei gewandt. Er hat mit jüdischen oder halbjüdischen Emigranten verkehrt, er hat jüdische Ärzte herangezogen, er hat in jüdischen Geschäften gekauft, kurz und gut, ich glaube, das ist einer der Gründe gewesen, die seine Spannung zur Partei in erster Linie herbeigeführt hat.


DR. KUBUSCHOK: Hat Herr von Papen sogar in der Botschaft eine Jüdin beschäftigt?


KROLL: Soviel ich weiß, ja. Es war, glaube ich, die Frau seines Dieners, seines Portiers.


[471] DR. KUBUSCHOK: Sie war als Telephonistin dort angestellt, Frau B..., stimmt das?


KROLL: Ja.


DR. KUBUSCHOK: Kennen Sie einen Herrn Posemann, hatte er irgendwelche Beziehung zur Deutschen Botschaft gehabt?


KROLL: Posemann war zu meiner Zeit nicht in der Deutschen Botschaft. Ich entsinne mich, daß er einen Buchladen in Ankara gehabt hat. Mit der Botschaft hatte er nichts zu tun gehabt.


DR. KUBUSCHOK: Wie war die Einstellung des Herrn von Papen in der Personalfrage. Stellte er Nationalsozialisten in die Botschaft ein? Nach welcher Richtung gingen seine Personalanforderungen?


KROLL: Es ist ja bekannt, daß die Partei mit der Wahl der Mitarbeiter des Herrn von Papen niemals so ganz zufrieden war. Das hat sich ja dann auch in sehr harten Konsequenzen gezeigt am 30. Juni und nach dem Anschluß. Es war etwas Gefährliches, sein erster Mitarbeiter zu sein. Man hat es ihm natürlich verdacht, daß er aus der Botschaft in Ankara nicht genau so eine nationalsozialistische Kommandostelle machte, wie es die deutschen Vertretungen auf dem Balkan waren, und daß er, wenn er Personal anforderte, sich solche Leute aussuchte, von denen er wußte, daß sie keine Nationalsozialisten waren. Ich glaube, ich brauche nur zwei Namen zu nennen: Herrn von Haeften und Legationsrat Trott zu Solz, zwei Männer, von denen ich glaube, daß sie im Zusammenhang mit dem 20. Juli hingerichtet worden sind. Es wurde ihm natürlich – ich meine Herrn von Papen – besonders verdacht, daß er sich gegen alle Versuche sträubte, mich von meinem Posten zu entfernen; ich weiß nicht, ob ich darauf eingehen soll?


DR. KUBUSCHOK: Bitte, ganz kurz.


KROLL: Man hat wiederholt, man kann eigentlich sagen alle Monate, den Versuch gemacht, mich als Vertreter von Papens auszuschalten. Zuletzt, als das alles nichts half – denn Herr von Papen widersetzte sich diesen Versuchen – ist der Landesgruppenleiter im Frühling 1942 in voller Kriegsbemalung mit den Ortsgruppenleitern von Ankara und Istambul bei Herrn von Papen erschienen und hat offiziell im Namen der Partei verlangt, daß ich von meinem Posten zu entfernen sei. Herr von Papen hat das wieder abgelehnt, aber schließlich im Jahre 1943 wurde der Druck der Partei zu groß, zumal auch noch von anderen Stellen gegen mich intrigiert wurde, so daß ich dann kaltgestellt wurde.


DR. KUBUSCHOK: Zuletzt noch folgendes: In den Jahren der Mitarbeit haben Sie die Tätigkeit des Angeklagten von Papen und seine Persönlichkeit ja eingehend kennengelernt. Vielleicht können Sie uns ganz kurz umrissen ein Bild des Angeklagten vermitteln.


[472] KROLL: Ich habe bereits vorher gesagt...


VORSITZENDER: Nein. Das hat er schon des längeren ausgeführt, wir wollen das nicht noch einmal kurz wiederholt haben.


DR. KUBUSCHOK: Dann verzichte ich auf diese Frage und habe damit die Vernehmung des Zeugen beendet.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe keine Fragen, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Will von den Herren Verteidigern jemand Fragen stellen? Dann kann sich der Zeuge zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. KUBUSCHOK: Ich brauche nur noch ganz kurz auf einige Urkunden hinzuweisen.

Aus Dokumentenbuch 1 lege ich Dokument 24 vor, Seite 86. Ich verweise auf den Vermerk: Mit der Anklagebehörde ist eine Übereinstimmung dahin erzielt worden, daß als unstreitige Tatsache angenommen wird, daß das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 in zwei Ermächtigungsgesetzen aus dem Jahre 1923 einen Vorläufer gehabt hat.

Ich verweise auf Dokumentenbuch 2, Dokument 63 – ein Artikel der Zeitung »Stars and Stripes« vom 27. März 1946. Es sind dies die Friedensbemühungen über Earle. Der Artikel ist zur Ergänzung des Fragebogens Lersner gedacht.


VORSITZENDER: Sagten Sie 36?


DR. KUBUSCHOK: Nein, 63, Seite 153.

Ich verweise weiterhin auf Band 2...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Das Dokument, das Sie uns eben vorgelegt haben, ist vom 27. März 1946? Was sollen wir damit anfangen, es ist doch ein Zeitungsartikel?


DR. KUBUSCHOK: Es ist ein Zeitungsartikel über ein Interview von Earle. Der Partner dieser Gespräche war Lersner. Zur Ergänzung der Aussage Lersners, die wir nicht hier haben, möchte ich diesen Zeitungsartikel benutzen. Er vervollständigt etwas in kurzer Fassung in der schriftlichen Antwort von Lersner.


VORSITZENDER: Sie haben aber doch schon Gelegenheit gehabt, eine eidesstattliche Versicherung von Lersner einzuholen oder ihm die Fragen vorzulegen, die Sie haben wollten, und jetzt legen Sie einen Zeitungsartikel von 1946 vor, als der Prozeß bereits im Gange war.


DR. KUBUSCHOK: Herr Präsident! Da ich Lersner wegen seiner Abwesenheit hier selbst nicht hören kann – es war ja beabsichtigt, ihn als Zeugen zu hören –, ist die Frage in dem Fragebogen verhältnismäßig kurz beantwortet. Zur Vervollständigung dieser...


[473] VORSITZENDER: Welches Datum trägt dieser Fragebogen?


DR. KUBUSCHOK: Einen Moment. Der Fragebogen Lersner datiert vom 15. April 1946, das ist Dokument 93. Datum des Fragebogens: 15. April 1946.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält dieses Dokument nicht für zulässig. Zeitungsartikel, die während des Prozeßverlaufes erscheinen, gehören nicht zu den nach der Meinung des Gerichtshofs zulässigen Beweismitteln.


DR. KUBUSCHOK: Im Band 3 überreiche ich noch als weiteres Dokument 99 eine eidesstattliche Versicherung Schaffgotsch, Seite 245. Es wird soeben erst überreicht, Herr Präsident. Es ist eine kurze eidesstattliche Versicherung, die sich mit den vergeblichen Bemühungen Papens befaßt, im Frühjahr 1934 zu Hindenburg zu gelangen.

Schließlich wird als Dokument 100 noch nachgereicht der gestern erwähnte Aufruf der Reichsregierung vom 1. Februar 1939 und weiterhin gleichfalls ein Auszug über die Außenpolitik aus der Rede Hitlers vom 23. März. Wir hatten gestern bei der Verhandlung darauf hingewiesen.

Ich nehme im übrigen auf sämtliche in den drei überreichten Dokumentenbüchern enthaltenen Urkunden Bezug und bitte, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen.

Schließlich habe ich noch eine letzte Bitte.

Es ist gestern bei der Erörterung der Affidavits Schröder und Meißner ein Teil bereits in dem Protokoll verlesen worden. Ich glaube, die Anklage wird wohl, nachdem sie von den Affidavits keinen Gebrauch macht, damit einverstanden sein, daß sie aus dem Protokoll gestrichen werden.


VORSITZENDER: Es war doch die eidesstattliche Erklärung Meißners, die zu einem Teil verwendet wurde, nicht wahr?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft! Ich denke doch es wäre am zweckdienlichsten, wenn der Gerichtshof es so ansehen würde, daß ich lediglich die Tatsachen aus der eidesstattlichen Erklärung vorgebracht habe und nicht, als ob ihm die eidesstattliche Erklärung als Beweismittel vorliegt. Sonst denke ich, daß es schwierig sein wird, das Protokoll zu berichtigen, aber ich bin natürlich auch so damit einverstanden.


VORSITZENDER: Gut, einverstanden. Wir wollen es so ansehen, als seien die Tatsachen dem Zeugen vorgelegt worden und als habe der Zeuge darauf geantwortet, ohne daß wir es als eidesstattliche Versicherung betrachten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, nur als meine Fragen.


[474] DR. KUBUSCHOK: Damit beende ich den Fall des Angeklagten von Papen.


VORSITZENDER: Danke. Der Gerichtshof vertagt sich.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird am Samstag von 10.00 bis 1.00 Uhr eine öffentliche Sitzung abhalten.

Ich fordere den Verteidiger des Angeklagten Speer auf, zu beginnen.

DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Vielleicht erinnert sich das Gericht daran, daß ich bei der Verhandlung über die Beweismittel, die ich in diesem Falle vorzubringen vorgeschlagen hatte, auf jegliche Zeugenvernehmung verzichtet habe und mich lediglich auf Fragebogen beziehungsweise Befragung von Zeugen außerhalb des Gerichtssaales beschränkt habe.

Ich hatte gehofft, daß es mir möglich sein würde, dem Gericht einen vollständigen Beweis vorzulegen. Leider bin ich nicht im Besitz der von mir erbetenen Fragebogen in Vollständigkeit, sondern nur zu einem Teil. Den Teil, der mir zur Verfügung steht, werde ich nach Kräften in der Vernehmung des Angeklagten verwerten, so daß eine besondere Wiedergabe der Fragebogen und der Protokolle sich erübrigen dürfte. Trotz allem hoffe ich, die Vernehmung des Angeklagten so konzentrieren zu können, daß ich nach meiner Schätzung in einem Tag und höchstens sieben Stunden zu Ende sein werde.

Ich rufe jetzt mit Erlaubnis des Gerichts den Angeklagten Speer in den Zeugenstand.


VORSITZENDER: Ja.


[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]


Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ALBERT SPEER: Albert Speer.

VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Setzen Sie sich.

DR. FLÄCHSNER: Herr Speer! Wollen Sie bitte dem Gericht kurz Ihren Werdegang bis zur Ernennung zum Minister geben?


SPEER: Ich wurde am 19. März 1905 geboren. Mein Großvater und mein Vater waren erfolgreiche Architekten. Ich wollte zunächst [475] Mathematik und Physik studieren und ging in den Beruf des Architekten mehr aus Tradition als aus Neigung. Ich besuchte die Hochschulen in München und Berlin und war mit 24 Jahren im Jahre 1929 erster Assistent an der Technischen Hochschule in Berlin. Mit 27 Jahren, im Jahre 1932, machte ich mich selbständig und blieb es bis 1942.

Im Jahre 1934 wurde Hitler erstmals auf mich aufmerksam. Ich lernte ihn kennen, und ich hatte von da ab als Architekt eine begeisternde Tätigkeit; denn Hitler war ein fanatischer Bauherr, und ich bekam von ihm große Bauaufgaben. Neben dem Neubau der Reichskanzlei in Berlin und den verschiedenen Bauten hier in Nürnberg auf dem Parteitaggelände wurde ich mit der Leitung der städtebaulichen Neugestaltung der Städte Berlin und Nürnberg von ihm beauftragt. Es waren hier von mir Bauten fertig entworfen, die zu den größten der Welt gehört hätten. Ihre Durchführung hätte jedoch nicht mehr gekostet als zwei Monate Kriegführung für Deutschland. Durch die Vorliebe Hitlers für seine Bauten hatte ich einen engen persönlichen Kontakt mit ihm. Ich gehörte einem Kreis an, der sich aus anderen Künstlern und aus seinem persönlichen Mitarbeiterstab zusammensetzte. Wenn Hitler überhaupt Freunde gehabt hätte, wäre ich bestimmt einer seiner engen Freunde gewesen. Trotz des Krieges wurden diese Friedensbauten bis zum Dezember 1941 weitergeführt, und erst die Winterkatastrophe in Rußland machte diesen Friedensbauten ein Ende. Die Arbeitskräfte, soweit sie Deutsche waren, wurden für die Wiederherstellung der zerstörten Bahnanlagen in Rußland von mir zur Verfügung gestellt.


DR. FLÄCHSNER: Die Anklage hat unter dem Dokument 1435-PS, das ist Exhibit US-216, eine Bemerkung aus Ihrer ersten Rede als Minister vom Februar 1942 vorgelegt, in der Sie angeben, daß Sie da mals 10000 Kriegsgefangene der Rüstung zur Verfügung gestellt hätten.

Herr Präsident! Diese Bemerkung ist in meinem Dokumentenbuch auf der vierten Seite des englischen Textes, der ersten des französischen Textes enthalten.

Herr Speer! Was haben Sie zu diesem Dokument zu sagen?


SPEER: Ich konnte zur damaligen Zeit als Architekt keinen Einfluß darauf nehmen, ob diese Arbeitskräfte in die Rüstung gehen würden; sie wurden von mir dem Stalag, der Kriegsgefangenenorganisation des Oberkommandos der Wehrmacht, zur Verfügung gestellt. Ich nahm als selbstverständlich an, daß sie der Rüstung, im weiten Sinne gesehen, zugeführt werden.


DR. FLÄCHSNER: Herr Speer! Haben Sie sich jemals an der Planung und Vorbereitung eines Angriffskrieges beteiligt?


SPEER: Nein, da ich bis zum Jahre 1942 als Architekt tätig war, kann davon nicht gesprochen werden. Meine Bauten waren sämtlich [476] repräsentative Friedensbauten. Ich habe als Architekt Material, Arbeitskräfte und Geldmittel in beträchtlichem Umfange für diesen Zweck verbraucht. Dieses Material ging letzten Endes der Aufrüstung verloren.


DR. FLÄCHSNER: Waren Sie...

SPEER: Einen Moment. Die Durchführung dieser großen Baupläne Hitlers war tatsächlich und in der Hauptsache auch psychologisch eine Behinderung der Aufrüstung.


DR. FLÄCHSNER: Die Anklage behauptet, Sie wären Reichsleiter gewesen.


SPEER: Nein, das ist ein Irrtum der Anklage.


DR. FLÄCHSNER: Sie waren Träger des goldenen Parteiabzeichens. Wann und wofür haben Sie das erhalten?


SPEER: Ich bekam im Jahre 1938 von Hitler das goldene Parteiabzeichen verliehen. Es war anläßlich der Fertigstellung meiner Pläne für die Neugestaltung Berlins. Außer mir haben in derselben Zeit auch noch fünf andere Künstler dieses goldene Parteiabzeichen verliehen bekommen.


DR. FLÄCHSNER: Waren Sie Mitglied des Reichstages?


SPEER: Ich wurde 1941 in den Reichstag von Hitler bestimmt, also außerhalb einer Wahlperiode als Ersatz für ein ausgefallenes Reichstagsmitglied. Hitler erklärte mir damals, daß er mit mir auch einen Künstler im Reichstag vertreten haben möchte.


DR. FLÄCHSNER: Haben Sie jemals eine Dotation erhalten?


SPEER: Nein.


DR. FLÄCHSNER: Wie begann Ihre Tätigkeit als Minister?


SPEER: Am 8. Februar 1942 stürzte mein Vorgänger Dr. Todt mit dem Flugzeug ab. Einige Tage später war ich zu seinem Nachfolger in seinen zahlreichen Ämtern von Hitler bestimmt. Ich war damals 36 Jahre alt. Hitler sah die Haupttätigkeit von Dr. Todt bis dahin im Bauen und bestimmte deswegen mich zum Nachfolger Todts. Ich glaube, daß ich als Minister für alle damals eine Überraschung bedeutete.

Sofort bei Beginn meiner Tätigkeit stellte sich heraus, daß nicht der Bau, sondern die Steigerung der Heeresrüstung der wichtigste Teil meiner Aufgabe ist, denn die schweren Materialverluste in den Winterschlachten in Rußland im Jahre 1941/1942 hatten schwerste Verluste gebracht. Es wurden von Hitler erhebliche Steigerungen der Heeresrüstung gefordert.


DR. FLÄCHSNER: Als Sie nun Ihr Amt antraten, fanden Sie da im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition eine fertige Behörde vor?


[477] SPEER: Nein, Dr. Todt hatte diese Aufgabe bis dahin vernachlässigt. Dazu kam, daß im Herbst 1941 Hitler einen Befehl herausgab, nach dem die Heeresrüstung hinter der Luftrüstung zurückstehen müsse. Er nahm damals ein siegreiches Ende in Rußland als gegeben an und hatte befohlen, daß die Rüstung auf den kommenden Kampf gegen England umzustellen sei. Durch seinen unverbesserlichen Optimismus wurde die Aufhebung dieses Befehls verzögert bis zum Jahre 1942, und erst von diesem Datum an begann Dr. Todt noch einen Monat, den letzten Monat seines Lebens, mit dem Aufbau seiner Organisation. Mir fiel also die schwere Aufgabe zu: erstens, mich in eine völlig fremde Materie einzuarbeiten; zweitens, gleichzeitig damit die organisatorischen Voraussetzungen für meine Aufgabe zu schaffen; drittens, sofort die absinkende Produktion der Heeresrüstung wieder aufzufangen und möglichst in einigen Monaten erheblich zu steigern. Das ist mir, wie heute allgemein bekannt ist, auch gelungen.


DR. FLÄCHSNER: Welche Zusagen erhielten Sie von Hitler über die Dauer Ihres Auftrages und über die Zusammensetzung Ihres Mitarbeiterkreises?


SPEER: Hitler sagte mir zu, daß ich meine Aufgabe nur als Kriegsaufgabe zu betrachten hätte und daß ich nach dem Kriege wieder meinem Beruf als Architekt nachkommen dürfte.


DR. FLÄCHSNER: Ich möchte hierzu aus Dokument 1435-PS eine Stelle aus einer Rede Speers vom 24. Februar 1942, zehn Tage nach seinem Amtsantritt, einreichen. Aus dieser Stelle geht nämlich hervor, daß Speer nur ungern seinen Beruf als Architekt mit dem Ministerposten vertauschte. Ich zitiere:

»Schließlich kann ich auch von mir behaupten, daß mein persönlicher Beitrag ein großer ist. Ich habe mich bis vor kurzem in einer idealen Welt bewegt...«

Nach Dokument 1520-PS, das ist Exhibit GB-156, das sich auf Seite 2 meines Dokumentenbuches befindet – es ist Seite 5 des englischen und Seite 2 des russischen und französischen Textes – hat Hitler am 8. Mai 1942 geäußert. Ich zitiere:

»Der Führer erklärte darauf mehrfach, das Reichsministerium Speer würde am Tage des Friedensschlusses aufgelöst.«

Ich reiche ferner als Speer-Dokument Nummer 43 ein eine Denkschrift Speers an Hitler vom 20. September 1944. Herr Präsident! Das ist Seite 6 des englischen, Seite 3 des französischen und russischen Textes. Aus diesem Dokument geht hervor, daß Speer von der Partei wegen seines Mitarbeiterkreises von Bormann und Goebbels als »parteifremd« und als »parteifeindlich« bezeichnet wird. Speer schreibt dazu in seiner Denkschrift. Ich zitiere:

[478] »Die Aufgabe, die ich zu erfüllen habe, ist eine unpolitische. Ich habe mich so lange in meiner Arbeit sehr wohlgefühlt, als meine Person und auch meine Arbeit nur nach der fachlichen Leistung gewertet wurde... Ich fühle mich nicht stark genug, meine und meiner Mitarbeiter zu leistende fachliche Arbeit ungehindert und erfolgversprechend durchzuführen, wenn sie mit parteipolitischen Maßstäben gewertet werden soll.«

Herr Speer! Können Sie mir die Grundsätze schildern, nach denen Sie Ihr Ministerium aufgebaut hatten?

VORSITZENDER: Welche Exhibit-Nummer wollen Sie dem Dokument geben?

DR. FLÄCHSNER: Exhibit 1, Herr Präsident.

Herr Speer! Können Sie mir die Grundsätze sagen, die Sie beim Aufbau Ihres Ministeriums beachtet haben?


SPEER: Ich war selbst kein Fachmann und wollte mich auch nicht als Fachmann betätigen. Ich habe mir daher die besten Fachleute, die ich m Deutschland finden konnte, zu Mitarbeitern ausgesucht. Ich glaubte, diese in der Industrie selbst zu finden. Daher habe ich aus der Industrie mein Ministerium mit ehrenamtlichen Bearbeitern zusammengesetzt. Dies ist ein Vorgang, der in den Vereinigten Staaten im Produktionsministerium in fast gleicher Weise in diesem Kriege durchgeführt wurde. Es fehlten so in meinem Ministerium die Berufsbeamten. Man kann nicht von einem normalen Ministeriumskörper sprechen.

Über die Grundsätze dieses Ministeriumsaufbaues und seiner Arbeit hatte ich im Juni 1944 in Essen eine Rede gehalten, um mich gegen die zahlreichen Angriffe aus Parteikreisen gegen diese Einrichtung zu verteidigen.


DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Ich bedauere, ich glaube, das Gericht ist noch nicht im Besitz des Bandes meines Dokumentenbuches mit den Fragebögen. Ich hätte selbst gern darauf hingewiesen, daß mit dieser Antwort die Erklärungen, die die Zeugen Saur und Schieber zu diesem Punkt gegeben haben, zusammengefaßt sind. Ich darf Ihnen nunmehr die Rede Speers...


VORSITZENDER: Wenn Sie uns die Nummer geben wollen, – nennen Sie uns die Namen der Zeugen. Wir können ja später davon Kenntnis nehmen. Wie ist der Name?


DR. FLÄCHSNER: Zeuge Saur, und es handelt sich um Antworten zu Punkt 5, 4 und 8 des Fragebogens. Der Zeuge Schieber hat sich unter Nummer 12 seines Fragebogens hierzu geäußert.

Ich möchte nunmehr die Rede Speers vom 9. Juni 1944, das ist Exhibit Nummer 2, einreichen. Ihr Inhalt bestätigt an sich die Aussagen, die der Angeklagte über den Aufbau seines Amtsbereiches [479] durch den Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter seines Ministeriums gemacht hat. Ich zitiere lediglich: Diese Rede befindet sich leider auch nicht in dem Supplementband des Herrn Präsidenten.

Es tut mir sehr leid, ich muß also hier verlesen. Ich zitiere:

»Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter aus der Industrie tragen bis in die Einzelheiten...«


VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Für den Gerichtshof ist es ein wenig unbequem, die Dokumente noch nicht vorliegen zu haben. Könnten Sie nicht möglicherweise diese Dokumente, die Sie noch nicht hier haben, bis morgen früh verschieben? Werden wir diesen Ergänzungsband dann haben?

DR. FLÄCHSNER: Es ist mir zugesagt worden, daß ich ihn bis heute nachmittag schon haben würde.


VORSITZENDER: Gut. Wäre es dann nicht angebracht, die Stellen aus dem Ergänzungsband bis morgen zu lassen?


DR. FLÄCHSNER: Es ist in dem Ergänzungsband Nummer 5 eine zum Teil sehr kleine Urkunde, die ich heute bestimmt nicht mehr behandeln werde. Nur diese eine Rede, von der ich hier spreche, ist...


VORSITZENDER: Gut.


DR. FLÄCHSNER: Ich zitiere:

»Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter aus der Industrie tragen bis in die Einzelheiten die Verantwortung dafür, was in den einzelnen Werken und wie es gefertigt wird.«

Und dann noch einige Zeilen weiter:

»Zu ihren Hauptaufgaben gehören neben der Belegung der Werke mit Aufträgen weiter die Typenbeschränkungen, die Spezialisierung der Werke und damit unter Umständen die Stillegung von ganzen Fertigungen und von Betrieben, die Rationalisierung in rohstoffmäßiger, konstruktiver und fertigungstechnischer Hinsicht und der bedingungslose Erfahrungsaustausch, ohne Rücksicht auf die Schutzrechte.«

Aus diesem Dokument geht weiter deutlich an mehreren Stellen hervor, daß Speer seine Dienststelle nur als einen improvisierten Apparat aufgefaßt hat, der die bestehenden Behörden des Reiches zur Erfüllung seiner Aufgaben benutzte, ohne sich aber selbst mit diesen Aufgaben zu belasten. Der in der Rede Speer angeführte Erlaß vom 10. August zeigt, daß er seinen Dienststellen ausdrücklich verbaten hat, sich zu Verwaltungsdienststellen zu entwickeln. Der Angeklagte wollte keine bürokratischen, behördenmäßigen Arbeiten in seinem Ministerium.

VORSITZENDER: Auf welche Rede Speers beziehen Sie sich eigentlich? Sie sagten: »Der Erlaß vom 10. August.«

[480] DR. FLÄCHSNER: Das ist immer noch diese Rede, Herr Präsident, von der ich spreche. Dieser Erlaß ist darin erwähnt.


VORSITZENDER: Ich habe nicht verstanden, in welchem Jahr Sie anfingen. Welches Jahr war das?


DR. FLÄCHSNER: Es ist das Jahr 1942, 10. August, und die Rede ist im Jahre 1944 gehalten worden. Es bezieht sich also auf den alten Erlaß. Wie sehr dem Angeklagten daran gelegen war, in seinem Ministerium eine freie und frische unbürokratische Arbeit zu erzielen, zeigt folgende Stelle in seiner Rede, die ich zitieren möchte:

»Jede Einrichtung, die längere Zeit besteht und eine gewisse Größe überschritten hat, bekommt einen Hang zum bürokratischen Arbeiten. Wenn wir auch das Glück hatten, daß bei einem der ersten stärkeren Angriffe auf Berlin große Teile der laufenden Akten des Ministeriums verbrannten und so für einige Zeit unnötiger Ballast von uns genommen wurde, so können wir doch nicht erwarten, daß derartige Ereignisse laufend die notwendige Frische in unsere Arbeit bringen.«

Herr Speer! Sofern es das Gericht wünscht, wollen Sie bitte nochmals diese Ausführungen über die Aufgaben Ihres Ministeriums in technischer Hinsicht kurz ergänzen.

SPEER: Ich werde es sehr kurz machen.

VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Sie haben uns doch die Rede vorgelesen?

DR. FLÄCHSNER: Diese Rede, richtig...


VORSITZENDER: Sie scheint ohnehin zu den Fragen der Verhandlung in recht losem Zusammenhang zu stehen. Ich verstehe nicht, warum Sie sie noch ergänzen wollen.


DR. FLÄCHSNER: Ich dachte, daß es das Gericht interessieren würde, den Aufgabenkreis, dem der Angeklagte in seiner Stellung als Minister vorstand, zu erfahren. Diese Rede hat sich hier an Fachleute gewendet, sie enthält also eigentlich nur das, was den Fachmann interessiert. Ich nahm an, daß das Gericht zu wissen wünscht, alles und was besonders das Produktionsministerium des Angeklagten Speer zu tun gehabt hat. Ich glaube nämlich, daß die Anklage bei ihrer Vorstellung einen weiteren Kreis gezogen hat, als tatsächlich die Aufgabe des Ministeriums war.


VORSITZENDER: Wenn Sie wissen wollen, was er über die Aufgaben seines Ministeriums zu sagen wünscht, dann können Sie ihn fragen. Aber Sie halben eben seine Rede vorgelesen und wir wollen nicht,...


DR. FLÄCHSNER: Nein, nein, das will ich auch nicht, das soll ganz kurz über die technischen Aufgaben seines Ministeriums sein. Das wollte ich wissen.


[481] VORSITZENDER: Sie scheinen mich nicht gut zu hören. Wäre es nicht besser, wenn Sie Ihre Hörer anlegen würden?

Ich hatte gesagt, daß Sie diese Rede gelesen hätten und wir nun von dem Angeklagten keine weitere Erläuterung zu der Rede hören wollten. Wenn Sie nun den Angeklagten nach den Aufgaben seines Ministeriums fragen wollen, so fragen Sie ihn. Was Sie ihn gefragt haben, war: »Wollen Sie die Rede ergänzen?«


DR. FLÄCHSNER: Herr Speer! Wollen Sie mir bitte angeben, welche Aufgaben das von Ihnen geleitete Ministerium zu erfüllen hatte, und wollen Sie dabei das, was ich in der Rede vorgelesen habe, außer Betracht lassen.


SPEER: Ich glaube, die Aufgaben eines Produktionsministeriums sind in allen Industriestaaten bekannt. Ich wollte nur kurz zusammenfassen, welche einzelnen Aufgaben ich in diesem Ministerium zu bewältigen hatte. Es ist einmal der Mangel an Rohstoffen, an Metallen, an Stahl zu beseitigen gewesen. Wir haben weiter durch Einführung der Fließbandarbeit, wie sie in den Vereinigten Staaten üblich ist, jedoch in Deutschland noch nicht stark verbreitet war, die Arbeit rationalisiert und dadurch Werkzeugmaschinen und Kubikraum eingespart. Es war weiter notwendig, die Produktionsbasis zu erweitern wie die Basis für Edelstahl, Aluminium, für einzelne Teile wie Kugellager, Zahnräder.

Eine der wichtigsten Aufgaben war die Entwicklung der neuen Waffen und die Einführung dieser neuen Waffen in die Produktion und schließlich ab 1943 die Beseitigung der Schäden bei den außerordentlich raschen Fliegerangriffen, die dazu zwangen, mit improvisierten Mitteln zu arbeiten.


DR. FLÄCHSNER: Welche Wichtigkeit hatte diese Tätigkeit im Rahmen Ihres Ministeriums?


SPEER: Es ist selbstverständlich, daß dieses Aufgabengebiet in der Heimat das wichtigste überhaupt war, auch bereits, als es nur die Heeresausrüstung umfaßte. Denn ich nahm für mich in Anspruch, daß im Kriege die übrige Wirtschaft sich nach den Bedürfnissen der Rüstung auszurichten hat. Es gibt im Kriege letzten Endes in der Heimat nur zwei Aufgaben: Der Front Soldaten zu geben oder Waffen zu liefern.


DR. FLÄCHSNER: Warum war die Aufgabe des Ministeriums eine reine Kriegsaufgabe?


SPEER: Weil im Frieden die Auftragslenkung sich nach dem natürlichen Ausgleich von Angebot und Bedarf von selbst regelt, während im Kriege dieser regu lierende Faktor fehlt.


DR. FLÄCHSNER: Also war die Aufgabe Ihres Ministeriums auch wesentlich die staatliche Lenkung der Auftragserteilung?


SPEER: Ja.


[482] DR. FLÄCHSNER: Sie hatten doch zunächst nur die Verantwortung für die Heeresausrüstung, Ende 1944 jedoch für die gesamte Rüstungs- und Kriegsproduktion. Können Sie mir kurz schildern, in welchen Etappen die Entwicklung vor sich ging und wie die Größe Ihrer Aufgabe damit wuchs?


SPEER: Am besten gebe ich diese Entwicklung in der Zahl der bei mir beschäftigten Arbeitskräfte.

1942 hatte ich die Heeresrüstung und das Bauen übernommen mit zusammen 2600000 Arbeitern. Im Frühjahr 1943 übertrug nur Dönitz die Verantwortung für die Marinerüstung. Ich hatte damit 3200000 Arbeitskräfte. Im September 1943 wurde durch eine Vereinbarung mit Wirtschaftsminister Funk mir die Produktionsaufgabe des Wirtschaftsministeriums übertragen. Damit waren bei mir zwölf Millionen Arbeitskräfte beschäftigt. Und schließlich übernahm ich die Luftrüstung von Göring am 1. August 1944. Damit war bei mir die gesamte Produktion mit 14 Millionen Arbeitskräften vereinigt. Die Zahl der Beschäftigten bezieht sich auf das Großdeutsche Reich ohne die besetzten Gebiete.


DR. FLÄCHSNER: Wie war es denn möglich, ein derart großes Aufgabengebiet mit einem Apparat zu steuern, der fast ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitarbeitern bestand, die außerdem noch nicht mal in reinen Verwaltungsangelegenheiten praktische Routine-Erfahrung hatten?


SPEER: Die Verwaltungsabteilungen in den verschiedenen Waffenämtern behielten ihre Aufgaben bei. So hat zum Beispiel innerhalb des Heeres weiter das Heereswaffenamt mit einigen tausend Mitarbeitern die Aufträge vergeben, die Durchführung der Aufträge beobachtet und die Gewähr für eine ordnungsgemäße Abnahme der Aufträge und Bezahlung übernommen. Nur dadurch gelang es mir, die gesamte Rüstungsproduktion, die etwa drei bis vier Milliarden Mark im Monat betrug, mit einem Mitarbeiterstab von 6000 ehrenamtlichen Mitarbeitern durchzuführen.


DR. FLÄCHSNER: Unterstanden Ihnen alle Betriebe der Rüstung eines Wehrmachtsteiles?


SPEER: Nein. Es gab nur eine kleine Gruppe von Betrieben, die von den Wehrmachtsteilen unmittelbar mit eigenem Personal betrieben wurden. Diese waren ausgenommen. Es handelte sich um die Munitionsan stalten und ähnliche Einrichtungen und dabei auch um die Betriebe der SS.


DR. FLÄCHSNER: Die Anklage wirft Ihnen vor, daß Sie für die Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeiter, Kriegsgefangener und der Arbeitskräfte aus den Konzentrationslagern mitverantwortlich sind. Wie stehen Sie hierzu?


[483] SPEER: Hierfür war weder ich noch das Ministerium verantwortlich. Das Ministerium war eine Neugründung mit einer technischen Aufgabe. Es hat keine der bereits vorhandenen Behörden irgendeine Zuständigkeit genommen. Diese blieben weiter für die Festlegung der Arbeitsbedingungen verantwortlich, und zwar waren dies das Ernährungsministerium mit den Ernährungsämtern für die Verpflegung; die Gewerbeaufsichtsämter im Reichsarbeitsministerium für die Erhaltung gesicherter und erträglicher Verhältnisse am Arbeitsplatz; die Treuhänder der Arbeit beim Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz für die Löhne und die Arbeitsleistung; die Gesundheitsbehörden des Reichsinnenministeriums für den Gesundheitsdienst, die Justiz und die Polizei für die Verfolgung von Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin und schließlich die Deutsche Arbeitsfront für die Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft gegenüber den Betriebsführern. Die Zusammenfassung aller dieser Behörden lag bei der Behörde des Gauleiters als Reichsverteidigungskommissar. Daß sich die SS mit ihren KZ-Häftlingen der staatlichen Kontrolle entzogen hat, ist keine Angelegenheit, die von mir oder meinem Ministerium vertreten war.


DR. FLÄCHSNER: Ihr Mitangeklagter Sauckel hat sich dahin geäußert, daß mit der Durchführung der Vermittlung der Arbeitskräfte in den Betrieben seine Aufgabe erledigt gewesen sei. Trifft das in dieser Form zu nach Ihrer Ansicht?


SPEER: Ja. Für die Arbeitsvermittlung auf jeden Fall. Denn es war einer der Streitpunkte zwischen Sauckel und mir, daß der zweckmäßige Einsatz des Arbeiters im Betrieb selbst Sache des Betriebsführers sein mußte und nicht von den Arbeitsämtern beeinflußt werden könnte. Es gilt aber nur für die Arbeitsvermittlung und nicht für die Einhaltung der Arbeitsbedingungen. Hier war zum Teil die Dienststelle von Sauckel die aufsichtsführende Behörde.


DR. FLÄCHSNER: Wie weit konnte der Betriebsführer die Erlasse Sauckels über Arbeitsbedingungen und so weiter durchführen?


SPEER: Die Erlasse Sauckels sind einwandfrei. Aber es war dem Betriebsführer nicht immer möglich, diese Erlasse durchzuführen, und zwar aus Gründen, die außerhalb seiner Macht standen. Das wurde durch die Fliegerangriffe verursacht, die Transportschwierigkeiten hervorriefen oder die Unterkünfte vernichteten. Es ist nicht möglich, den Betriebsführer unter diesen Umständen, die ab Sommer 1944 oft katastrophale Formen annahmen, für die Einhaltung dieser Erlasse verantwortlich zu machen. Es ist bei derartigen Krisenzuständen Sache der Reichsbehörde selbst, festzustellen, inwieweit Möglichkeiten noch gegeben sind, die Erlasse [484] durchzuführen, und es ist unmöglich, hier die Verantwortung den kleinen Betriebsführern zuzuschieben.


DR. FLÄCHSNER: Wieweit war denn der Betriebsführer Ihrem Ministerium hierfür verantwortlich?


SPEER: Ich hatte im Rahmen der schon erwähnten Selbstverantwortung der Industrie die Betriebsführer der Rüstung mit einer halben Staatsfunktion versehen. Dies galt selbstverständlich nur für die technische Aufgabe.


DR. FLÄCHSNER: Gab es Betriebe mit geheimen Fertigungen, deren Besichtigung den Gauleitern verboten war? Ich erinnere an eine Aussage hier in diesem Saal, wo darüber berichtet wurde.


SPEER: Es gab einige Betriebe mit geheimen Fertigungen. Aber in diesen war der Betriebsobmann der Arbeitsfront vertreten, der über die Zustände im Betrieb über den Gauobmann den Gauleiter benachrichtigen konnte.


DR. FLÄCHSNER: Haben Sie die Bestrafung von arbeitsunwilligen Arbeitern gebilligt?


SPEER: Ja. Ich hielt eine Bestrafung von Arbeitern, die gegen die Arbeitsdisziplin verstoßen, für richtig, habe hier jedoch keine zusätzlichen Maßnahmen gefordert. Ich stand auch grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß eine befriedigende Arbeitsleistung von 14 Millionen Arbeitern auf die Dauer nur durch den guten Willen des Arbeiters erzielt werden kann. Das ist eine allgemein gültige Erfahrung, die jeden Betriebsführer in der Welt veranlaßt, alles zu tun, um eine zufriedene Belegschaft zu haben.


DR. FLÄCHSNER: Haben Sie die Bestrebung Sauckels unterstützt, die sozialen Bedingungen der Arbeiter zu verbessern, und wenn ja, warum?


SPEER: Ich habe sie selbstverständlich unterstützt, obwohl ich dafür nicht zuständig war, und zwar aus denselben Gründen, die ich eben erwähnte. Denn unsere Erfahrungen zeigten, daß eine zufriedene Arbeiterschaft mit bedeutend weniger Ausschuß an Material arbeitet, was für mich bei unserem Mangel an Rohstoffen wichtig war. Es ist klar, daß darüber hinaus die bessere Qualität, die durch eine zufriedene Arbeiterschaft erzielt wird, in einem Kriege von besonderer Bedeutung ist.


DR. FLÄCHSNER: In dem Protokoll von Ihren Besprechungen mit Hitler finden sich verschiedene Festlegungen Hitlers zur Verpflegung und Behandlung ausländischer Arbeiter. Sind diese Festlegungen auf Ihre Veranlassung erfolgt?


SPEER: Ja.


DR. FLÄCHSNER: Ich möchte hierzu drei Beweisstücke vorlegen, und zwar zunächst das Dokument Speer Nummer 11. Herr Präsident, es befindet sich auf Seite 10 des englischen und Seite 7 des [485] französischen Textes. In ihm wurde auf Speers Verlangen von Hitler im März 1942 festgelegt, daß – ich zitiere –

»...die Russen eine absolut ausreichende Ernährung erhalten müssen« und »daß die Zivil-Russen... nicht hinter Stacheldraht gesetzt und wie Kriegsgefangene behandelt werden dürften.«

Als nächstes Beweisstück – das ist Exhibit Nummer 4 – reiche ich Speer-Dokument Nummer 13 ein. Danach wurde im Mai 1943 von Hitler auf Verlangen Speers festgelegt, daß sowohl die deutschen wie die russischen Bergarbeiter eine erhebliche Zusatzverpflegung erhalten sollen, und es wird dort gesagt,

»im besonderen soll den russischen Kriegsgefan genen in Form von Tabak und ähnlichen Dingen für besondere Leistungen Vergütungen zugeteilt werden.«

Das nächste Beweisstück – das ist Speer-Exhibit Nummer 5, es ist das Dokument Nummer 9, Herr Präsident – befindet sich auf Seite 12 des englischen und Seite 9 des deutschen Textes im Dokumentenbuch.

Danach soll in italienischen Rüstungsbetrieben eine Ernährung in Höhe der deutschen Sätze gewährleistet werden. Es ist dabei wichtig, daß Speer gleichzeitig festlegen läßt, daß auch für die Angehörigen der Arbeiter entsprechend gesorgt werden solle.

Ich hatte noch weitere Dokumente dieser Art zur Verfügung, aber um die Übersetzungsarbeit einzusparen, habe ich sie aus dem Dokumentenbuch weggelassen.

Herr Speer! An wen wurden die Prämien des Rüstungsministeriums ausgegeben, und woraus bestanden sie?

SPEER: Wir gaben in vielen Millionen Stück Pakete an Rüstungsbetriebe heraus. Diese enthielten zusätzlich Eßwaren, Schokolade, Zigaretten und so weiter, und zwar wurden diese Prämien zusätzlich gegeben, zu allen zusätzlichen Ernährungssätzen, die für Langarbeit oder Schwerarbeit vom Ernährungsministerium festgesetzt waren. In Betrieben erhielten diese Prämien grundsätzlich alle Arbeiter, also auch die Ausländer, die Kriegsgefangenen und auch die Arbeitskräfte aus den Konzentrationslagern.

DR. FLÄCHSNER: Ich werde auf die Tatsache, daß diese Prämien auch an Arbeiter in den Konzentrationslagern in der Rüstung ausgegeben worden sind, noch bei einem anderen Dokument zurückkommen.

In welcher Form stellten Ihre Organe die Forderungen an die Betriebe?


SPEER: Es ist wichtig festzustellen, daß die Forderungen an die Betriebe nur in Form von Lieferungsprogrammen gingen. Diese Lieferungsprogramme setzten sich erst in den Betrieben um in den [486] Forderungen nach Arbeitskräften, nach Werkzeugmaschinen oder nach Material.


DR. FLÄCHSNER: Konnte manchmal eine außergewöhnliche Erhöhung der Arbeitsstunden in Betrieben festgestellt werden, und wie kamen diese zustande?


SPEER: Bei den modernen Fertigungen am Fließband müßte den ganzen Monat die Arbeitszeit eine gleichmäßige sein. Durch die Fliegerangriffe traten Stockungen in der Belieferung der Werke mit den Einzelteilen und dem Rohmaterial ein. Dadurch schwankte in den Betrieben die Stundenzahl zwischen acht und zwölf Stunden am Tage. Der Durchschnitt dürfte nach unseren Statistiken etwa bei 60 bis 64 Stunden in der Woche gelegen haben.


DR. FLÄCHSNER: Wie war die Arbeitszeit der Arbeitskräfte in den Fabriken, die aus Konzentrationslagern stammten?


SPEER: Sie war genau die gleiche wie die der übrigen Arbeitskräfte im Betriebe. Denn die Arbeiter aus den Konzentrationslagern waren in der Regel nur ein Teil der Belegschaft, und dieser Teil der Belegschaft wurde nicht mehr belastet als die übrigen Arbeiter des Betriebes auch.


DR. FLÄCHSNER: Wodurch war das gegeben?


SPEER: Es bestand die Forderung von der SS, daß die Häftlinge aus den Konzentrationslagern in einer Abteilung der Fabrik zusammengefaßt sind. Die Arbeitsaufsicht bestand aus deutschen Meistern und Vorarbeitern. Die Arbeitszeit mußte sich aus Betriebsgründen der des ganzen Betriebes anschließen, weil im Betriebe bekanntlich nur in einem Takt gearbeitet werden kann.


DR. FLÄCHSNER: Aus zwei Dokumenten, die ich in anderem Zusammenhang vorlegen werde, geht einheitlich hervor, daß sowohl die Arbeitskräfte aus Konzentrationslagern in der Heeres- und Marinerüstung als auch in der Luftwaffenrüstung in der Woche durchschnittlich 60 Stunden gearbeitet haben.

Warum, Herr Speer, wurden nun bei den Betrieben KZ-Sonderlager errichtet, die sogenannten Arbeitslager?


SPEER: Diese Arbeitslager wurden errichtet, um lange Wege zu ersparen, um dadurch den Arbeiter frisch und arbeitslustig im Betrieb zu haben. Weiter wäre die zusätzliche Ernährung, die vom Ernährungsministerium für alle Arbeiter in den Betrieben, also auch für die Arbeiter aus den Konzentrationslagern gegeben worden ist, diesen Arbeitskräften nicht zugekommen, wenn sie aus dem großen Konzentrationslager gekommen wären. Dann wäre diese zusätzliche Ernährung im Konzentrationslager verbraucht worden, so hat dieser Teil der Arbeiter aus den Konzentrationslagern die zusätzlichen Vergütungen, die in der Industrie gegeben wurden, wie Zigaretten oder zusätzliche Ernährung in vollem Umfange bekommen.


[487] DR. FLÄCHSNER: Wußten Sie während Ihrer Tätigkeit, daß die Arbeiter aus Konzentrationslagern Vorteile hatten, wenn sie in Fabriken beschäftigt waren?


SPEER: Ja. Ich wurde sowohl von meinen Mitarbeitern darauf aufmerksam gemacht und habe dies auch bei Betriebsbesichtigungen gehört. Allerdings darf man sich keine falsche Meinung über den Anteil der Konzentrationslager-Häftlinge in der deutschen Industrie machen. Insgesamt war in der Industrie ein Prozent der Arbeiter aus Konzentrationslagern abgestellt.


DR. FLÄCHSNER: Haben Sie auch mal bei Betriebsbesichtigungen Konzentrationslager-Häftlinge gesehen?


SPEER: Selbstverständlich wurden bei Betriebsbesichtigungen von mir gelegentlich Konzentrationslager-Häftlinge gesehen, die jedoch einen gut genährten Eindruck machten.


DR. FLÄCHSNER: Über die Unterrichtung, die Speer über Konzentrationslager und die Behandlung der Häftlinge in den Fabriken erhielt, gibt ein vertrauliches Schreiben des Amtschefs Schieber an Speer vom 7. Mai 1944 Auskunft, das ich unter Speer-Dokument Nummer 44 einreiche, Exhibit Nummer 6.

Herr Vorsitzender, dies ist leider auch noch im zweiten Dokumentenbuch, welches noch nicht vorliegt; aber es wäre schade, es hier nicht zu besprechen, weil es in den ganzen Komplex hineingehört. Ich möchte deswegen nur kurz zitieren. Also der Amtschef Schieber schreibt an seinen Minister wie folgt:...


VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Es wäre dem Gerichtshof viel nützlicher, wenn das Dokument vorläge. Es heißt, das Buch sei nicht vor morgen nachmittag fertig.

DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Ich glaube, daß von mir aus seinerzeit alles geschehen ist, um die Dokumente rechtzeitig der Übersetzungsabteilung zur Verfügung zu stellen. Die Schwierigkeit ist wohl dadurch entstanden, daß die Fragebogen nicht zur rechten Zeit eingelangt sind, nehme ich an.

Das Zitat aus diesem Dokument ist nicht lang, ich glaube, ich kann es wohl ruhig bringen. Oder wünschen Sie, daß...


VORSITZENDER: Nein, fahren Sie fort, wenn es Ihnen so bequemer ist. Es macht mir nichts aus. Sie können fortfahren.


DR. FLÄCHSNER: Danke vielmals. Also der Amtschef Schieber schreibt an seinen Minister:

»Bei der Verpflegung, die von unseren Betriebsführern für die bei ihnen tätigen Lagerarbeitskräfte trotz aller Erschwerungen immer wieder beigeschafft wird und bei der allgemeinen anständigen und menschlichen Behandlung, auch der ausländischen und der KZ-Arbeitskräfte, arbeiten sowohl[488] die Jüdinnen wie die KZ-ler gut und tun alles, um nicht wieder in die KZ zurückgeschickt zu werden.

Diese Tatsachen fordern eigentlich, daß wir noch mehr KZ-Insassen in die Rüstungswirtschaft überführen,...«

Es heißt dann weiter, einige Zeilen später:

»Ich habe die ganze Frage eingehend mit dem Be auftragten von Obergruppenführer Pohl, Sturmbannführer Maurer, durchgesprochen und ihn vor allem darauf hingewiesen, daß doch bei einer dezentralen Aufteilung der KZ-Arbeitskräfte eine fachlich zweckmäßige Ausnutzung ihrer Arbeitskraft bei besserer Verpflegung und vernünftiger Unterbringung möglich sei.«

Es heißt dann weiter:

»Außerdem weist Maurer besonders darauf hin, daß Obergruppenführer Pohl die Ernährungslage der in KZ-Betrieben arbeitenden Lagerinsassen laufend verbessere und durch zusätzliche Eiweißgaben bei ständiger Überwachung durch Ärzte auch schon merkliche Gewichtszunahmen und damit höhere Arbeitsleistungen erzielt worden seien.«

Aus einem anderen Dokument wird dargetan, daß die Beschäftigung von KZ-Arbeitern in der Rüstung mit der Begründung empfohlen wird, daß sie diesen Vorteile bringe und daß deswegen die KZ-Arbeiter in der Rüstung gern arbeiten. Ich beziehe mich hier auf Dokument 1992-PS, das sich auf Seite 11 des Dokumentenbuches befindet. Es ist Seite 14 im englischen Text. Aus dem geht hervor, daß schon im Jahre 1937 die Beschäftigung von Häftlingen aus KZ-Lagern in Werkstätten durchgeführt worden war und daß diese Werkstättenarbeit eine bevorzugte Arbeit war.

Herr Speer! Was wissen Sie über die Arbeitsbedingungen in den unterirdischen Fabriken?

SPEER: In den unterirdischen Fabriken waren die modernsten Fertigungen von uns mit den neuesten Waffen untergebracht. Da wir natürlich nicht über sehr viele dieser unterirdischen Fabriken verfügten, mußten wir diese modernsten Fertigungen in erster Linie dort unterbringen. Diese Fertigungen verlangen aber absolut einwandfreie Arbeitsbedingungen, eine staubfreie, trockene Luft, gutes Licht, große Frischluftanlagen, so daß die Bedingungen in einer derartigen unterirdischen Fabrik etwa die gleichen sind wie die in einer Nachtschicht in einem normalen Betrieb.

Ich möchte hinzufügen, daß, im Gegensatz zu dem Eindruck, der hier im Gericht entstanden ist, diese unterirdischen Fabriken fast ausschließlich mit deutschen Arbeitern belegt waren, weil wir ein besonderes Interesse daran hatten, diese modernen Fertigungen mit den besten Arbeitern zu besetzen, die wir zur Verfügung hatten.


[489] DR. FLÄCHSNER: Können Sie ungefähr sagen, wie groß die Zahl dieser Werke war?


SPEER: Es war eine unerhebliche Zahl Ende des Krieges. Wir hatten 300000 Quadratmeter unterirdische Fabrikbauten in Betrieb und hatten eine Planung für drei Millionen Quadratmeter.


DR. FLÄCHSNER: Herr Speer! Sie haben im Jahre 1943 das Konzentrationslager Mauthausen besucht. Warum haben Sie dieses Lager besucht?


SPEER: Ich erfuhr bei Betriebsbesichtigungen in Linz, daß an der Donau, in der Nähe des Lagers Mauthausen, eine große Hafenanlage und umfangreiche Bahnanlagen gebaut werden, um die Pflastersteine des Steinbruches Mauthausen an die Donau zu bringen. Dies war eine reine Friedensaufgabe, die ich auf keinen Fall gestatten konnte, die gegen alle von mir erlassenen Anordnungen verstießen. Ich meldete mich kurz vorher an, um mich an Ort und Stelle zu überzeugen, ob diese Bauten Tatsachen sind und um deren Stillegung zu verlangen, als Einzelbeispiel, um für Ordnung auch innerhalb der Wirtschaftsverwaltung der SS auf diesem Gebiet zu sorgen. Ich erklärte dabei, daß es richtiger ist, diese Arbeitskräfte im Kriege nicht für Friedensbauten zu beschäftigen, sondern im Stahlwerk in Linz arbeiten zu lassen.


DR. FLÄCHSNER: Wie verlief der Besuch dieses Lagers?


SPEER: Er verlief anscheinend nach dem gleichen vorgeschriebenen Programm, wie es der Zeuge Blaha hier bereits geschildert hat. Ich bekam die Küchenbaracke, die Waschbaracke und eine Wohnbaracke zu sehen. Diese Baracken waren massiv in Stein gebaut und waren vorbildlich modern eingerichtet. Da mein Besuch nur kurz vorher angemeldet war, ist es meiner Ansicht nach ausgeschlossen, daß hier große Vorbereitungen vor meinem Besuch gemacht werden konnten. Trotzdem machte das Lager oder der kleine Teil des Lagers, den ich sah, einen vorbildlichen sauberen Eindruck. Ich sah allerdings keine Arbeitskräfte, keine Häftlinge, da diese an der Arbeit waren zu dieser Zeit. Die ganze Besichtigung dauerte etwa dreiviertel Stunden, da ich außerordentlich wenig Zeit für eine derartige Sache zur Verfügung hatte und es mir innerlich widerstand, in ein derartiges Lager, in dem Gefangene gehalten werden, überhaupt hereinzugehen.


DR. FLÄCHSNER: Der Hauptzweck Ihres Besuches war also der, die Einstellung von Arbeiten zu verlangen, die Sie als nicht kriegswichtig ansahen?


SPEER: Ja.


DR. FLÄCHSNER: Konnten Sie sich bei Ihrem Besuch nun von den Arbeitsbedingungen in den Lagern selbst unterrichten?


[490] SPEER: Nein, das konnte ich nicht, da im Lager keine Arbeitskräfte zu sehen waren und auch die Hafenbauten so weit von der Straße entfernt waren, daß ich dort die Arbeitskräfte nicht sah.


VORSITZENDER: Die Übersetzung, die zu mir durchkam, war, daß er »geistig dagegen« war, einen derartigen Ort aufzusuchen. Ist das richtig? Haben Sie das gesagt?


DR. FLÄCHSNER: Nein. Ich fragte ihn, ob er sich bei diesem Besuch von den Arbeitsbedingungen, die in diesem Lager herrschten, hätte unterrichten können. Das war meine Frage.


VORSITZENDER: Haben Sie etwas über »geistig« gesagt?


SPEER: Nein.


DR. FLÄCHSNER: Nein.

Erfuhren Sie bei Ihrem Besuch in Mauthausen oder bei anderer Gelegenheit etwas über die Grausamkeiten, die in diesem und in anderen Konzentrationslagern stattgefunden haben?


SPEER: Nein.


DR. FLÄCHSNER: Ich mochte nun die Frage der Ausnützung von Arbeitskräften abschließen und Sie fragen:

Hatten Sie ein Interesse daran, daß Ihnen eine gesunde und genügend gelernte Arbeiterschaft zur Verfügung stand?


SPEER: Selbstverständlich hatte ich daran ein ganz vordringliches Interesse, wenn ich auch dafür nicht zuständig war. Wir hatten ab 1942 in der Rüstung eine Massenfertigung, und diese Massenfertigung mit Fließbändern hat einen außerordentlich hohen Prozentsatz von Facharbeitern. Durch die Einziehungen zur Wehrmacht waren diese Facharbeiter besonders wertvoll geworden, so daß jeder Krankenstand oder jeder Ausfall einer Arbeitskraft auch für mich einen großen Verlust bedeutet hätte. Da eine Arbeitskraft eine Anlernzeit von sechs bis zwölf Wochen braucht und da selbst nach dieser Zeit noch auf ein halbes Jahr der Ausschuß noch ein hoher ist, erst nach dieser Zeit von einem halben Jahr eine Qualitätsleistung zu erlangen ist von einem Facharbeiter, ist es klar, daß die Pflege der Facharbeiter in den Betrieben auch für uns eine besondere zusätzliche Sorge war.


DR. FLÄCHSNER: Es wurde hier von der Anklage ein Gesichtspunkt der sogenannten Vernichtung durch Arbeit erwähnt. Kann ein Wechsel der Arbeitskraft, wie er durch die Vernichtung durch Arbeit verursacht worden wäre, von einem Betrieb überhaupt ertragen werden?


SPEER: Nein. Ein Wechsel der Arbeiter in dieser Art, wie er hier geschildert wurde, ist für jeden Betrieb untragbar. Es ist ausgeschlossen, daß in einem deutschen Betrieb etwas Derartiges war, ohne daß ich es gehört hätte. Ich habe aber so etwas nie gehört.


[491] DR. FLÄCHSNER: Herr Speer! Die Anklage behauptet, daß Sie die Mittel des Terrors und der Brutalität angewendet hätten, um die Leistung der Zwangsarbeiter auf die Spitze zu treiben...


SPEER: Nein...


DR. FLÄCHSNER: Augenblick, ich bin noch nicht fertig. Die Anklage meint, Sie hätten die Tätigkeit der SS und der Polizei und die Anwendung von Konzentrationslagern gegen widerspenstige Arbeiter gutgeheißen und empfohlen. Ist das richtig?


SPEER: Nein, nicht in dieser Form, denn das war gegen mein Interesse. Es gab Bestrebungen in Deutschland, durch schärfste Zwangsmaßnahmen eine höhere Leistung zu erzielen. Diese Bestrebungen fanden nicht meine Billigung. Es ist ausgeschlossen, 14000000 Arbeiter durch Zwang und Terror, wie die Anklage behauptet, zu einer befriedigenden Leistung zu bringen.


DR. FLÄCHSNER: Ich darf dazu aus dem Dokumentenbuch, und zwar Seite 7 des englischen Textes, Seite 4 des französischen Textes, aus dem Speer-Dokument 43 zitieren. Es heißt dort:

»Ich glaube nicht, daß das zweite System, das man in der Wirtschaft anwenden könnte, das System des Zwanges der Betriebskommissare oder umfangreicher Verfahren und Bestrafung, wenn die Leistungen nicht erfüllt werden, zum Erfolg führen kann.«

Ich wäre nun gerade bei der Beendigung eines Abschnittes angelangt, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis

20. Juni 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 16, S. 461-493.
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