Vormittagssitzung.

[499] VORSITZENDER: Dr. Sauter!

DR. SAUTER: Bitte sehr, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat Ihren Brief vom 17. Juni dieses Jahres, unterschrieben von Walter Funk, erhalten.


DR. SAUTER: Ja.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird davon Kenntnis nehmen. Wenn Sie den Brief verlesen wollen, so wird er ein Teil des Protokolls. Vielleicht verlesen Sie ihn daher jetzt.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich habe momentan den Brief nicht da.


VORSITZENDER: Sie können mein Exemplar haben, aber es ist englisch. Der Gerichtshof bittet Sie, den Brief dann heute nachmittag um 2.00 Uhr zu verlesen.


DR. SAUTER: Danke schön.


VORSITZENDER: Das gleiche gilt für Dr. Exners Brief vom 23. Juni 1946 bezüglich des Angeklagten Jodl. Nur möchte der Gerichtshof, daß auch dieser Brief vom Angeklagten unterschrieben und dann von Dr. Exner um 2.00 Uhr verlesen wird.

Ich rufe Dr. Jahrreiss auf.


PROF. DR. JAHRREISS: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Die große rechtliche Grundfrage dieses Prozesses gilt dem völkerrechtlich verbotenen Krieg, dem Friedensbruch als einem Hochverrat an der Weltordnung.

Sie überschattet alle anderen Rechtsfragen.

Die vier Hauptvertreter der Anklage haben in ihren Eingangsansprachen dieses Problem erörtert, bald als Kernproblem ihrer Darstellung, bald als Grundlageproblem, und zwar nicht ohne Unterschiede in der Auffassung. Die Verteidigung hat es nunmehr zu prüfen. Aus der Mitte der Verteidiger bin ich um die Prüfung gebeten worden. Es ist zwar jedem Verteidiger überlassen, ob und inwieweit er sich nach meinen Ausführungen in der Lage sieht, auf eigene Darlegungen zur Frage des Friedensbruches in seiner Rede zu verzichten. Aber ich habe Grund zu der Annahme, daß von dieser Möglichkeit soweit Gebrauch gemacht werden wird, daß sich die Absicht der Verteidiger verwirklicht, durch meinen Vortrag den nun beginnenden Abschnitt des Prozesses technisch erheblich zu vereinfachen.

[499] Ich habe es hier nur mit der Rechtsfrage zu tun, nicht mit der Würdigung der monatelangen Beweisaufnahme. Und ich behandle nur die Frage des geltenden Rechtes, nicht die Frage des Rechtes, das im Namen der Moral oder des Menschheitsfortschritts gefordert werden könnte oder sollte.

Ich habe eine rein wissenschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Die Wissenschaft will nichts anderes als die Wahrheit, wissend, daß ihr Ziel nie voll erreicht werden kann und ihr Weg darum unendlich ist.

Ich danke dem Herrn Generalsekretär des Gerichtshofs dafür, daß er mir die entscheidenden Urkunden und sehr wichtige Literatur zur Verfügung gestellt hat. Ohne diese ritterliche Hilfe wäre bei den derzeitigen Verhältnissen in Deutschland meine Arbeit nicht durchzuführen gewesen. Bei der mir zugänglich gewesenen Literatur überwiegt die in den Vereinigten Staaten entstandene. Nach der Kenntnis der reichen französischen und englischen Fachliteratur, die ich im letzten Vierteljahrhundert studiert habe – die russische Sprache ist mir leider fremd –, glaube ich aber, behaupten zu dürfen, daß kein wesentlicher Gedanke übersehen wird, da in keinem Land der Welt die Diskussion unserer Frage, die geradezu die Menschheitsfrage geworden ist, umfassender und grundsätzlicher gewesen ist als in den Vereinigten Staaten. Diese Tatsache hat es mir auch ermöglicht, auf die Verwendung der im ehemaligen deutschen Machtbereich entstandenen wissenschaftlichen Literatur zu verzichten. Auf diese Weise wird vermieden, daß auch nur der Schein einer Gedankenführung pro domo entsteht.

Es ist bei der Kürze der mir für den Vortrag zur Verfügung gestellten Zeit und andererseits bei der Fülle und Kompliziertheit der Probleme, die ich behandeln muß, nicht möglich, die Urkunden und Literaturstellen, die ich verwerte, hier vorzulesen. Nur einige Sätze werde ich vortragen. Eine andere Verfahrensweise würde auch den Gedankengang für den Hörer zerreißen. Ich übergebe daher dem Gericht binnen kurzem in Anhängen zu meinen Rechtsausführungen die Urkunden und Literaturnachweise. So läßt sich dann, was ich sage, rasch nachprüfen.

Das Statut bedroht einzelne mit Strafe wegen Bruch des Friedens zwischen den Staaten. Und das Gericht nimmt – so scheint es – das Statut als unnachprüfbares Fundament aller rechtlichen Erwägungen. Das heißt, vom Gericht wird nicht die Frage geprüft, ob das Statut im ganzen oder in einzelnen Bestimmungen juristisch angreifbar ist, eine Frage, die dennoch bestehen bleibt.

Wenn das so ist: Wozu dann hier überhaupt Erörterungen zu den großen rechtlichen Grundfragen?

Der Herr britische Hauptankläger hat es sogar zum Kernthema seiner großen Ansprache gemacht zu prüfen, wie sich das Statut in unserer Frage zum geltenden Völkerrecht verhält. Er rechtfertigte [500] die Notwendigkeit seiner Darlegungen damit: Die Aufgabe dieses Prozesses sei es, der Menschheit zu dienen; und diese Aufgabe vermöge der Prozeß nur zu erfüllen, wenn das Statut vor dem Völkerrecht bestehen könne, das heißt, wenn die Bestrafung einzelner wegen Bruchs des zwischenstaatlichen Friedens im geltenden Völkerrecht begründet sei.

Es muß in der Tat geklärt werden, ob etwa gewisse Bestimmungen des Statuts neues Recht und somit Recht mit rückwirkender Kraft gesetzt haben.

Eine solche Klärung geschieht hier nicht, um den Geschichtsforschern Arbeit zu ersparen. Sie werden wie alle Feststellungen dieses Prozesses, so auch diese nach den Regeln freier Wissenschaft nachprüfen, vielleicht in einer Arbeit vieler Jahre und sicher ohne Begrenzung der Fragestellung und, wenn möglich, auf Grund eines noch größeren Materials an Urkunden und Zeugnissen.

Eine solche Klärung ist einfach deshalb unerläßlich, weil das Urteil über Recht und Unrecht davon abhängt oder abhängen kann, gerade dann, wenn man das Statut als rechtlich unangreifbar ansieht. Nehmen wir doch einmal an, es wäre so: Das Statut formuliert nicht bereits geltendes Strafrecht, sondern setzt neues, also nachträgliches Strafrecht. Was bedeutet das für die Urteilsfindung? Muß das nicht für die Schuldfrage wichtig sein?

Vielleicht war das nachträgliche Gesetz, das zum Beispiel den Angriffskrieg unter Strafe stellt, nicht schon im Pflichtbewußtsein der Menschen zur Zeit der Tat verankert oder auch nur vorbereitet gewesen. Dann kann ja der Angeklagte gar nicht in dem Sinn schuldig sein, daß er sich der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens bewußt gewesen ist; vor sich selbst nicht und nicht vor den anderen.

Oder vielleicht war das nachträgliche Strafgesetz in einem Augenblick erlassen, in dem sich gerade erst ein neues Pflichtbewußtsein bildete, aber noch unklar oder nicht allgemein war. Dann kann es jedenfalls sein, daß der Angeklagte nicht in dem Sinn schuldig ist, daß ihm die Pflichtwidrigkeit seines Tuns oder Lassens bewußt gewesen ist.

Jedenfalls vom Standpunkt des kontinental-europäischen Strafrechtsdenkens ist der Mangel des Unrechtsbewußtseins ein Umstand, den das Gericht nicht außer acht lassen darf.

Die Frage nun, ob das im Statut enthaltene Strafrecht nachträgliches Strafrecht ist, macht dann keine Schwierigkeit, wenn die Bestimmungen des Statuts eindeutig sind und der bisherige Stand des Völkerrechts unbestritten ist.

Doch wie, wenn wir mehrdeutige Vorschriften vor uns haben oder die Völkerrechtsauffassung umstritten ist?

[501] Nehmen wir das erste: Eine Bestimmung des Statuts ist mehrdeutig und daher auslegungsbedürftig. Bei der einen Auslegung, die sich begründen läßt, erscheint die Bestimmung als »ex post facto«-Gesetz, bei anderer Auslegung, die sich nicht weniger rechtfertigen läßt, dagegen nicht. Nehmen wir das zweite: Die Vorschrift ist klar oder durch Auslegung des Gerichts geklärt, aber die Völkerrechtswissenschaft ist zum bisherigen Rechtszustand verschiedener Meinung; es ist nicht sicher, ob wir nicht ein »ex post facto«-Gesetz vor uns haben.

In beiden Fällen muß der Angeklagte damit gehört werden, daß er sich der Normwidrigkeit seines Verhaltens nicht bewußt war.

Ich gedenke, deutlich zu machen, wie notwendig diese Erwägungen in diesem Prozesse sind.

Nunmehr trete ich in die Prüfung ein.

Die Ausgangsstellung des Herrn britischen und des Herrn französischen Hauptanklägers ist grundsätzlich verschieden.

Der Herr britische Hauptankläger hat, wenn ich ihn recht verstehe, so argumentiert:

Erstens: Das freie Kriegführungsrecht der Staaten ist teilweise durch den Völkerbunds-Pakt und später grundsätzlich durch den Briand-Kellogg-Pakt beseitigt worden, der noch heute das unverändert geltende Kernstück der Weltfriedensordnung ist. Der danach verbotene Krieg ist ein strafbares Unrecht in und gegenüber der Staatengemeinschaft, und strafbar ist der einzelne, der verantwortlich gehandelt hat.

Zweitens: Die Strafklage gegen einzelne wegen Friedensbruchs ist zwar neuartig, aber nicht nur moralisch gefordert, sondern im Zuge der Rechtsentwicklung längst fällig, ja einfach die logische Folgerung aus dem neuen Rechtszustand. Nur scheinbar setzt das Statut neues Recht.

Und wenn ich den Herrn britischen Hauptankläger richtig verstanden habe, meint er: Seit dem Abschluß des Paktes von Paris gibt es in unserer Frage eine klare Rechtsordnung, getragen von einer einheitlichen Rechtsüberzeugung der ganzen Welt. Seit 1927 verhandelten die Vereinigten Staaten zunächst mit Frankreich, dann mit den übrigen Großmächten außer der Sowjetunion und mit einigen Nicht-Großmächten über den Abschluß eines Vertrags, der den Krieg aus der Welt schaffen sollte. Was die Regierung in Washington erstrebte, hat Staatssekretär Kellogg mit denkwürdiger Eindringlichkeit erklärt. Nämlich:

Die Mächte sollten auf den Krieg als ein Werkzeug der nationalen Politik verzichten, und zwar ohne juristische Begriffsbestimmungen in einem auf das Praktische gerichteten Sinn, schlicht und einfach, unzweideutig und uneingeschränkt, ohne Vorbehalte1.

[502] Denn sonst könne nicht gelingen, was erwünscht sei: den Krieg als eine Einrichtung, das heißt als eine Einrichtung des Völkerrechts abzuschaffen2.

Als die Verhandlungen abgeschlossen waren, hat Aristide Briand, der andere der beiden Staatsmänner, deren Initiative der in Deutschland oft so genannte Kriegsächtungspakt entsprungen ist, bei der Unterzeichnung in Paris erklärt3: »Ehedem galt die Führung eines solchen Krieges als Ausfluß des göttlichen Rechts und hatte in der internationalen Ethik die Stellung eines Vorrechts der Souveränität. Nun endlich ist einem solchen Krieg in aller Form des Rechts das genommen worden, was seine größere Gefahr war: Seine Gesetzlichkeit. In Zukunft ist er ungesetzlich, ist er durch Vereinbarung wahrhaft aus dem Recht verbannt...«

Nach der Auffassung der beiden führenden Staatsmänner bedeutete der Pakt von Paris eine Wandlung der Weltordnung an der Wurzel, wenn nur alle oder fast alle Staaten der Erde, insbesondere aber alle Großmächte den Vertrag unterzeichneten oder ihm später beitraten, so wie es dann geschehen ist.

Dieses soll die Wandlung sein:

Bis zum Briand-Kellogg-Pakt sei der Krieg eine Einrichtung des Völkerrechts gewesen. Seit dem Bri and-Kellogg-Pakt sei der Krieg Hochverrat an der Völkerrechtsordnung.

Diese Auffassung ist von vielen Politikern und Gelehrten in der ganzen Welt geteilt worden. Sie ist die entschiedene Grundeinstellung des einzigartigen Kommentars zur Völkerbundssatzung, mit dem Jean Ray weit über Frankreich hinaus auf die Praktiker und Theoretiker des Kriegsverhütungsgedankens gewirkt hat4.

Sie ist auch die Grundeinstellung der Anklage von Nürnberg.

Die Diplomatie und die Völkerrechtslehre haben nach dem ersten Weltkrieg, und zwar nach einer seltsam rasch überwundenen Schrecksekunde in die alten Geleise zurückgefunden. Zum Entsetzen aller derjenigen, die aus der Katastrophe die Folgerungen, alle Folgerungen gezogen wissen wollten:

[503] Die Menschheit hat damals eine »große Vision des Weltfriedens« gehabt, wie es Senator Bruce bei den Senatsverhandlungen über die Ratifikation des Paktes von Paris genannt hat5. Ich weiß, wie umstritten die Persönlichkeit und die Leistung Woodrow Wilsons ist. Aber je weiter wir Abstand gewinnen, um so klarer wird, daß er – eigene und fremde Vorarbeiten glücklich benützend6 – schließlich einen schlechthin genialen Gedankengang gefaßt, und der derzeitigen Menschheit gegeben hat, der heute so richtig ist wie damals und der sich am besten wohl so zusammenfassen läßt:

Es muß ein Neuanfang gemacht werden. Die tragische Kette von Kriegen und bloßen Waffenstillständen, die sich Frieden nennen, muß zerrissen werden. Einmal muß die Menschheit Einsicht und Willen haben, einen Frieden nach feststehenden Rechtsgrundsätzen ohne Rücksicht auf Sieg oder Niederlage in einen wirklichen, nämlich innerlich guten Frieden überzuleiten; und dieser innerlich gute Frieden muß durch eine organisierte Staatengemeinschaft erhalten, und zwar gut erhalten werden. Dieses Erhalten und Gut-Erhalten ist nur möglich, wenn die häufigsten Kriegsursachen vorbeugend beseitigt werden, nämlich die Überrüstungen, die Geheimverträge und die lebensfeindlichen Erstarrungen des Status quo infolge der Einsichtslosigkeit des derzeitigen Besitzers.

Die Menschheit ist diesen Weg nicht gegangen. Und man sollte sich nicht wundern, daß sich unter denen, die im Lager der Besiegten oder der Sieger gegen die Instrumente von Versailles, St-Germain, Trianon, Neuilly und Sevres gekämpft haben, gerade auch diejenigen befunden haben, die einen wirklichen, einen haltbaren Frieden erstrebten. Als die Regierungen der Südafrikanischen Union und Kanadas in ihren Antworten an Staatssekretär Hull auf dessen Grundsätze zur Friedenserhaltung vom 16. Juli 1937 in ganz ungewöhnlich scharfen Worten die Abänderung aufgezwungener ungerechter Verträge als unerläßliche Voraussetzung für eine wirkliche Befriedung der Welt bezeichneten, folgten sie einer der grundlegenden Einsichten des großen amerikanischen Präsidenten7.

Die Menschheit ist Wilson nicht gefolgt.

Auch für die Mitglieder des Völkerbundes blieb der Krieg das nur in Einzelfällen verbotene, im ganzen also normale Mittel der Streiterledigung. So sagt noch im Jahre 1930 Jean Ray8: Der [504] Völkerbund hat sich nicht als Führer in die wahre Friedensordnung, ja nicht einmal als eine genügende Bremse gegen ein völliges Zurückgleiten in den alten Zustand erwiesen. Denn in der Tat: die Welt ist völlig zurückgeglitten.

Dieses nämlich ist die in unserer Rechtsfrage alles entscheidende Tatsache:

Vor Beginn des zweiten Weltkrieges war das ganze System der kollektiven Sicherheit auch in den spärlichen Ansätzen, die es gehabt hatte, zusammengebrochen9, und dieser Zusammenbruch war erkannt und von drei Weltmächten ausdrücklich oder in schlüssiger Handlung deklariert, mit vollem Recht deklariert:

Großbritannien hat das zu Beginn des Krieges gegenüber dem Völkerbund ausdrücklich festgestellt. Ich will das sofort zeigen.

Die Sowjetunion hat den deutsch-polnischen Konflikt einfach nach den Sätzen des klassischen Völkerrechts über die debellatio behandelt. Ich werde das alsbald darlegen.

Die Vereinigten Staaten haben die strikte Neutralität erklärt. Die Tragweite dieser Erklärung werde ich dann erläutern.

Das System der kollektiven Sicherheit ist viel umstritten gewesen. Es kann nicht gleichgültig sein für die auch in diesem Prozeß fundamentale Frage des Rechtsbewußtseins der Welt, daß dieses System einem so hervorragenden Völkerrechtsjuristen wie dem Amerikaner Edwin Borchard 1938 – zu Recht oder Unrecht – geradezu als friedensfeindlich und als Kind der Hysterie unseres Zeitalters erschien10; und der Zusammenbruch mag vielerlei Ursachen gehabt haben; gewiß ist: Der Zusammenbruch, der völlige Zusammenbruch, ist von den genannten drei Weltmächten Anfang September 1939 bescheinigt worden, und zwar nicht etwa als Folge des deutsch-polnischen Krieges.

Erstens: Am 7. September 1939 hat das britische Auswärtige Amt dem Generalsekretär des Völkerbundes erklärt11:

Die Britische Regierung habe am 5. Februar 1930 die Pflicht übernommen, sich auf jede gegen England gerichtete Klage vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof in Haag einzulassen, also auch auf Klagen, die andere Staaten wegen eines Verhaltens erheben könnten, mit dem England in einem Kriege nach der Meinung der Kläger gegen das Völkerrecht verstoßen habe. Die Britische [505] Regierung habe diese Regelung übernommen, weil sie darauf vertraut habe, daß der durch die Völkerbundssatzung und den Pakt von Paris geschaffene Apparat der kollektiven Sicherheit funktionieren würde; denn, wenn das der Fall wäre, könnte, da England selbstverständlich keine verbotenen Kriege führen, sein Gegner vielmehr der Angreifer sein würde – eine Kollision zwischen England und denjenigen Staaten, die treu zum Sicherheitsmechanismus stünden, aus den Handlungen der britischen Seemacht überhaupt nicht entstehen12. Das Vertrauen der Britischen Regierung sei jedoch enttäuscht worden: Seit der Bundesversammlung von 1938 sei kein Zweifel mehr möglich, daß der Sicherheitsmechanismus nicht funktionieren würde; er sei vielmehr tatsächlich vollständig zusammengebrochen; eine Reihe von Mitgliedern des Bundes habe schon vor Ausbruch des Krieges ihre strikte Neutralität erklärt. Der ganze Mechanismus, der den Frieden aufrechterhalten sollte, ist auseinandergeflogen13.

Ich werde noch zu zeigen haben, wie sehr die Britische Regierung mit ihrer Feststellung im Recht war. Übrigens hatte der britische Premierminister Neville Chamberlain bereits am 22. Februar 1938, also vor dem sogenannten Anschluß Österreichs, im Unterhaus die völlige Leistungsunfähigkeit des Systems der kollektiven Sicherheit proklamiert; er sagte14: »Zur Zeit der letzten Wahlen konnte man noch hoffen, der Völkerbund werde kollektive Sicherheit bewirken. Auch ich habe es geglaubt. Jetzt glaube ich es nicht. Mehr noch: Wenn ich recht habe – und ich glaube fest, daß ich recht habe – mit meiner Behauptung, daß der Völkerbund in seiner heutigen Verfassung unfähig ist, für irgend jemanden kollektive Sicherheit zu schaffen, dann sage ich, daß wir nicht versuchen dürften, uns selbst zu täuschen, und – dies ist noch wichtiger – wir dürfen nicht versuchen, kleine schwache Staaten zu täuschen, daß sie denken, daß sie vom Völkerbund gegen Angriffe beschützt werden würden und daß sie sich danach verhalten. Wissen wir doch, daß dergleichen nicht erwartet werden kann.«

Der Genfer Völkerbund war »neutralisiert«, wie es später Noel Baker im Unterhaus höflich ausgedrückt hat15.

Zweitens: Angesichts der richtigen Feststellung der Britischen Regierung in ihrer Note vom 7. September 1939 an den Völkerbund ist es kein Wunder, wenn die Sowjetunion den deutsch-polnischen Konflikt nach den alten Regeln der Machtauseinandersetzung[506] behandelte. Im deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 und in der gemeinsam mit der Reichsregierung abgegebenen Erklärung vom gleichen Tage16 steht die Regierung von Moskau auf dem Standpunkt der debellatio Polens, das heißt der Ausschaltung der Regierung und der Wehrmacht Polens. Es ist keine Rede vom Pakt von Paris oder von der Völkerbundssatzung. Die Sowjetunion nimmt die kriegerische Beseitigung des polnischen Staatsapparates zur Kenntnis und zieht die ihr richtig erscheinenden Folgerungen daraus, einig mit der Reichsregierung darin, daß die Neuregelung der Verhältnisse ausschließlich Sache der beiden Reiche sei.

Es ist deshalb nur folgerichtig gewesen, wenn sich die Sowjetunion im Konflikt mit Finnland im Winter 1939/1940 auf den Boden des klassischen Völkerrechts stellte. Sie ging über die Reaktion des Völkerbundes hinweg, als er, die Anwendung des Sanktionsmechanismus nicht einmal erwägend, mit einer bloß scheinbaren Anwendung eines Satzungsartikels, der ganz anders gemeint ist, feststellte, die Sowjetunion habe sich als Angreifer selbst aus dem Bunde ausgeschlossen17. Der Bericht des Schweizerischen Bundesrates an die Bundesversammlung vom 30. Januar 1940 versucht, dem aus der politischen Wirklichkeit ausgeschalteten Völkerbund das Gesicht wahren zu helfen.

Drittens: Der Präsident der Vereinigten Staaten stellte am 5. September 1939 fest, daß zwischen mehreren Staaten, mit denen die Union in Frieden und Freundschaft lebe, der Kriegszustand bestehe, nämlich zwischen Deutschland einerseits und England, Frankreich, Polen, Indien und zwei der britischen Dominions andererseits. Jedermann in der Union wurde zu strengster Einhaltung der Neutralitätsvorschriften verpflichtet.

Man hat in den Vereinigten Staaten aus der Zeit der Vorverhandlungen gewußt, daß Europa und besonders England und Frankreich den Hauptwert des Kriegsächtungspaktes darin gesehen haben, daß die Vereinigten Staaten im Ernstfall aktiv werden würden. Der britische Außenminister hatte es am 30. Juli 1928, also vier Wochen vor der Unterzeichnung des Paktes, erklärt. Bei den Verhandlungen des amerikanischen Senats über die Ratifikation des Vertrags hat besonders der Senator Moses mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht18. Der Senator Borah versichert in jenen Tagen, daß es [507] völlig unvorstellbar sei, daß die Vereinigten Staaten ruhig zusehen würden19. Nach den diskreditierenden Mißerfolgen der Politik der kollektiven Sicherheit in den Fällen der Mandschurei und Abessiniens hatte die Welt die berühmt gewordene »Quarantäne«-Rede des Präsidenten Franklin Roosevelt vom 5. Oktober 1937 und die Haltet-Hitler!-Warnungen desselben Präsidenten vor und nach »München« als Ankündigung verstanden, daß die Union beim nächsten Fall handeln würde. Die Neutralitätserklärung vom 5. September 1939 konnte also nur bedeuten: Auch die Vereinigten Staaten nehmen genau wie England und die Sowjetunion den Zusammenbruch des Systems der kollektiven Sicherheit als Tatsache hin.

Die Neutralitätserklärung ist vielfach als der Todesstoß für das System angesehen worden. Die Regierung von Washington würde einen solchen Vorwurf als ungerechtfertigt zurückweisen können. Denn das System war schon seit Jahren tot, sofern man überhaupt glaubt, daß es je wirklich gelebt hat. Aber viele sahen die Tatsache, daß es jedenfalls jetzt nicht lebte, erst, als das grelle Licht der amerikanischen Neutralitätserklärung auf sie fiel.

Am 1. September 1939 war schon längst über die verschiedenen Versuche entschieden, die seit dem ersten Weltkrieg unternommen worden sind, um die »anarchische Weltordnung« des klassischen Völkerrechts mit einer besseren, einer wirklichen Friedensordnung zu vertauschen, das heißt in der Staatenwelt eine allgemeine Regelung lebendig werden zu lassen, wonach es rechtlich verbotene und nicht verbotene Kriege gibt. Diese Versuche waren nach dem Urteil der größten Mächte der Zeit zusammengebrochen. Die größten Militärmächte der Erde prallten aufeinander in einem Ringen mit allen Kräften. Für die Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung war es eine zweite Phase in einem unerbittlich gesetzmäßig abrollenden Prozeß, bei dem die Geschichte mit souveräner Gleichgültigkeit über diplomatisch-juristische Konstruktionen hinwegging.

Die Mehrheit der Völkerrechtsjuristen der Welt stellte dann auch fest: Im geltenden allgemeinen Völkerrecht besteht die Unterscheidung zwischen verbotenen und nicht verbotenen Kriegen nicht. Hans Kelsen hat das im Jahre 1942 nach sorgfältiger Durchmusterung der Literatur in seiner Schrift »Law and Peace in International Relations« dargetan. Er selbst gehörte dabei zur Minderheit, die den Rechtsunterschied zwischen gerechten und ungerechten Kriegen gelten lassen will. Um so wichtiger ist seine Feststellung.

[508] Wir müssen aber nun fragen: Tut man denn überhaupt recht daran, vom Zusammenbruch des Systems der kollektiven Sicherheit zu sprechen? Das setzt voraus, daß ein solches System einmal bestanden hat. Läßt sich das wirklich behaupten? Das ist eine Frage von größter Bedeutung für diesen Prozeß, in dem der Anklage wegen Friedensbruchs das Bestehen eines weltweiten Rechtsbewußtseins zugrunde gelegt wird.

Vor uns steht auf die Tragödie des Briand-Kellogg-Paktes, jene Tragödie, an der wir alle so gelitten haben, wir alle, die beim Abschluß des Paktes jubelten und später, nach einer ersten Zeit der Depression, die Stimson-Doktrin als einen längst fälligen und für die Erreichung eines wirklichen Friedens unerläßlichen Schritt und als ein ermutigendes Zeichen eines neuen Aufstiegs begrüßten.

Die Vereinigten Staaten hatten 1927 und 1928 ein großes Ziel im Auge, wie ich schon sagte. Im Völkerbund hatte man nur mit halbem Herzen und nur mit halben Mitteln das Problem angefaßt und dadurch der Sache einer wirklichen Friedensordnung vielleicht mehr geschadet als genützt. Das Genfer Protokoll war gescheitert. Kellogg wollte nun alle Schwierigkeiten, die das Problem eben einmal hat, überspringen und die Welt mit unbekümmerter Entschlossenheit über den toten Punkt hinwegreißen. Der veröffentlichte Vertrag mit seinen zwei Artikeln, mit dem Kriegsverzicht und mit der Gütepflicht, schien die Sehnsucht einer Menschheit zu erfüllen, die endlich die befreiende Tat sehen wollte.

Aber die Schwierigkeiten, die man überspringen wollte, sind zum Teil in der Sache begründet. Und keine Vorschriften irgendeines Gesetzgebers können sie je völlig beseitigen. Denn selbst wenn man unzweideutige Maßstäbe dafür hätte, wer unter den irrenden Menschen hätte im Streitfall die Autorität zu entscheiden? Aber man hat ja nicht einmal unfehlbare Maßstäbe für Angriff und Verteidigung20. Das gilt sowohl für den sogenannten politischen Begriff, wie es in gewisser Weise natürlich ist, wie auch für den oder die mehreren juristischen Begriffe von Angriff und Verteidigung.

Aber das waren nicht die einzigen Schwierigkeiten, auf die bei den Vorverhandlungen zum Pakt die Französische Regierung explicite und implicite, und zwar mit dem vollen Recht dessen [509] hingewiesen hat21, der um Europa und sein sehr altes, geschichtliches Erbe weiß, so wie die Amerikanische Regierung Amerika und seine so ganz andere Geschichte kennt. Wenn schon jemand über seinen Schatten springen könnte, der Schatten der Europäer ist so viel länger.

Als die Welt den Notenwechsel der Vorverhandlungen mit allen Begriffsbestimmungen, Auslegungen, Einschränkungen, Vorbehalten kennenlernte, da wurde offenbar, wie weit die Meinungen der Regierungen hinter dem einen Wortlaut auseinandergingen. Man sah die unverhüllte, ja bittere Kritik der Sowjetregierung an der Weigerung der Westmächte, abzurüsten und so die unerläßliche Voraussetzung für eine wirksame Befriedungspolitik zu schaffen, weiter an der Unbestimmtheit des Vertrags22, vor allem aber an dem berühmten englischen Vorbehalt der freien Hand in gewissen Weltgegenden, an jenem Vorbehalt, der oft als die britische Monroe-Doktrin oder als Chamberlain-Doktrin bezeichnet worden ist23, und man wußte, daß in Wahrheit nur eine formelle Einigung hinter den Unterschriften stand, daß nicht zwei der Mächte völlig das gleiche unter dem Vertrag verstanden. Nur über eines war völlige Einigkeit gewesen: Der Verteidigungskrieg ist als unveräußerliches Recht jedes Staates erlaubt; ohne dieses Recht gibt es keine Souveränität, und zwar ist jeder Staat der alleinige Richter darüber, ob er im Einzelfall einen Verteidigungskrieg führt.

Kein Staat der Welt ist damals bereit gewesen, eine fremde Gerichtsbarkeit über die Frage anzunehmen, ob seine Entschlüsse in der letzten Existenzfrage berechtigt waren oder nicht.

Kellogg hatte in der Note vom 25. Juni 1928 an alle neun Verhandlungspartner erklärt24:

»... Das Recht der Verteidigung... gehört zum Wesen der Souveränität und ist bei jedem Vertrag vorausgesetzt. Jeder Staat... ist ganz allein dazu berufen zu entscheiden, ob die Verhältnisse so liegen, daß er aus Gründen der Verteidigung zum Kriege schreiten muß.«

[510] Die Friedensfreunde waren grausam enttäuscht. Was sollte ein solcher Vertrag überhaupt? Sie haben nur zu sehr recht gehabt.

Sehr bald danach hörten sie mit noch größerer Trauer von dem Verlauf der Verhandlungen im amerikanischen Senat. Die Ratifikation wurde zwar mit 85 Stimmen gegen ein »Nein« bei wenigen Nichtstimmenden beschlossen. Aber wenn schon hinter den Unterschriften der Vertragsstaaten keine sachliche Einigung stand, so nun noch viel weniger hinter dem Abstimmungsergebnis im Senat derjenigen Weltmacht, die ideell und formell führte.

Die Verhandlungen im Senat, die wegen ihres tiefen Ernstes und ihres hohen Niveaus für immer denkwürdig bleiben, haben gezeigt – und mehrere Senatoren haben das ausdrücklich gesagt –, daß die Meinungen der Senatoren zwischen zwei weltweit entfernten Polen schwankten. Für die einen war der Vertrag geradezu die Wende der Zeit, für andere wertlos oder allenfalls eine schwache oder freundliche Geste, ein volkstümliches Schlagwort, eine Art internationaler Kuß, für noch andere ein fruchtbarer Boden für alle künftigen Kriege, ein gigantisches Stück von Heuchelei, ja die Legalisierung des Krieges oder gar die Legalisierung der britischen Weltherrschaft, die Garantierung des ungerechten Status quo von Versailles für Frankreich und England. Schärfer noch als die russische Note kritisierten einige Senatoren die völlige Unbestimmtheit der Vertragsvorschriften. Und wenn man die Erklärung Kelloggs über das Verteidigungsrecht, die nach dem Willen der Unterzeichnerstaaten integrierender Bestandteil des Vertrags war, beim Wort nahm: Welcher Krieg war dann überhaupt verboten?25

Es gab bitterböse ironische Worte im Senat.

Mit diesem Pakt von Paris war, wenn alles so blieb wie es beim Abschluß stand, gar nichts gewonnen. Nach der Meinung des großen amerikanischen Völkerrechtlers Philip Marshall Brown hat der Pakt mit seiner Unfähigkeit die fürchterliche Mißgeburt des »unerklärten Krieges« unwissentlich zur Welt gebracht26. Diejenigen, die gegen Versailles gekämpft hatten, Deutsche und Nichtdeutsche, weil der Fortschritt verbaut sei, und diejenigen, die den Völkerbund kritisiert hatten, Deutsche und Nichtdeutsche, weil er dem Fortschrittswillen eher schade als nütze, sie alle hatten Ende August 1928 umsonst gejubelt. Der entscheidende Schritt war nicht getan.

Vor allem war überhaupt das eine nicht angepackt worden, was für sich allein nicht ausreicht, aber unerläßlich ist, wenn wirklich eine Garantie des Friedens geschaffen werden soll, das eine, das nach der einmütigen Meinung aller nottut, die mit menschlichen[511] Menschen rechnen: Eine Prozedur zu schaffen, mit der die Staatengemeinschaft auch gegen den Willen des Besitzenden unhaltbar gewordene Zustände ändert, damit das Leben das Ventil bekommt, das es haben muß, soll es sich nicht in einer Explosion Luft machen.

So wie ein Staat nur bei guter Gesetzgebung und bei rechtzeitiger Anpassung der Ordnung an das veränderte Leben, wenn überhaupt, Revolutionen vermeiden kann, so ist es auch für die Staatengemeinschaft. Wilson hatte gerade auch an dieses Grundgesetz gedacht, wie wir sahen. Dem hat auch Rechnung getragen einer der großen englischen Völkerrechtler, einer der begeisterten, der unbedingten und vorwärtstreibenden Anhänger des Paktes von Paris, McNair, als er im Jahre 1936 neben die kollektive Gewalt die kollektive friedliche Revision gefährlich gewordener Zustände gesetzt wissen wollte27. Dem haben Rechnung getragen die amerikanischen Völkerrechtler Borchard28 und Fenwick29 in ihren warnenden Darstellungen der völkerrechtlichen Lage kurz vor dem zweiten Weltkrieg. Die Deutsche Reichsregierung hatte übrigens in Stresemanns Note an den Amerikanischen Botschafter vom 27. April 1928, als sie dem Vorschlag Kelloggs vorbehaltlos zustimmte, auf dieses, alle anderen überschattende Problem hingewiesen30.

Das Problem der »kollektiven Revision« ist auch später nicht ernsthaft angefaßt worden. Das ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil eine solche Einrichtung ihrem Wesen nach voraussetzt, daß die Staaten auf ihre Souveränität verzichten. Und ist an einen solchen Verzicht in unserer Zeit zu denken? Philip Brown meint melancholisch, weniger denn je31. Deshalb war auch ein wirklicher Schritt vorwärts in der Frage, wie man den Krieg rechtlich verfemen könnte, nicht denkbar.

Die Regierung der Vereinigten Staaten und der Völkerbund haben nun manches getan, um trotz dieser unlöslichen Zusammenhänge dem Drängen der Völker zu genügen. Sie haben versucht, dem Pakt nachträglich einen genau faßbaren Inhalt und »Zähne« zu geben. Die Völkerrechtswissenschaft hat dazu Anregungen und Nachprüfungen geliefert. Wir müssen auch dies noch kurz skizzieren, obwohl es völlig ohne Erfolg blieb, weil gerade hier die gedanklichen Wurzeln der Anklage zu finden sind, soweit sie nicht politisch oder moralisch, sondern rechtlich argumentiert.

[512] Zunächst: Der Pakt von Paris geht in seinem Angriffsverbot unstreitig vom politischen Angriffsbegriff aus. Er ist aber darin einfach unfaßbar. Shotwell und Brierly, neben anderen, suchten sofort zu helfen, indem sie aus dem zweiten Artikel des Vertrags, der das Gebot zum Güteverfahren aufstellt, einen juristischen Angriffsbegriff ableiteten32. Wir können es dahingestellt sein lassen, ob man diese Auslegung dem Vertrag unterschieben darf. Praktisch Wird nämlich nichts gewonnen, man vertauscht nur die eine Schwierigkeit mit anderen. Es gibt nun nicht weniger Unklarheiten. Die gütlichen Mittel setzen auf beiden Seiten guten Willen voraus; wie nun, wenn er auf der anderen Seite fehlt? Und was alles ist noch gütliches Mittel, was nicht mehr? Die Russische Regierung hatte in ihrer schon erwähnten Note vom 31. August 1928 zum soeben unterzeichneten Pakt sehr recht, als sie diese Frage herausstellte.

Sodann: Andere Versuche, zu helfen, wollten aus dem völlig unbestimmten Pakt mit den Mitteln der Logik eine ganz neue Weltverfassung herausentwickeln. Sie knüpfen sich an den Namen des amerikanischen Staatssekretärs Stimson und an die Arbeit der Budapester Tagung der International Law Association von 193433.

Um das zu verstehen, muß man sich einmal auf den Standpunkt stellen, der Kellogg-Pakt habe wirklich rechtlich faßbar den unzweideutigen und vorbehaltlosen Verzicht auf den Krieg gebracht. Dann gibt es eben kein Recht mehr, nach Belieben Kriege zu führen. Der gegen das Verbot geführte Krieg ist ein Verstoß gegen die Ordnung der Staatengemeinschaft. Und sofort steht die Frage vor uns: Kann die Rechtslage des rechtswidrig angreifenden Staates gleich sein derjenigen des rechtswidrig angegriffenen?

Wenn man darauf sagt: nein, wie zum Beispiel der einflußreiche französische Kommentator der Völkerbundssatzung, Jean Ray34, sind dann nicht die wichtigsten Grundelemente des klassischen Völkerrechts weggeräumt?:

Erstens: Gilt für die Beurteilung der Handlungen der kriegführenden Mächte gegeneinander das Kriegsvölkerrecht, das doch von dem freien Kriegführungs recht und vom Duellcharakter des Krieges und jedenfalls von der Rechtsgleichheit der Kriegführenden ausgeht?

Zweitens: Kann, ja darf es noch Neutralität in einem solchen Kriege geben?

Drittens: Kann das Ergebnis des Krieges, wenn der Angreifer siegt, rechtens sein? Insbesondere dann, wenn es in die Form eines Vertrags gepreßt ist? Oder muß nicht die Staatengemeinschaft den Angreifer durch Nichtanerkennung um die Früchte des Sieges[513] bringen? Soll oder muß es vielleicht sogar ein gemeinsames Gewaltvorgehen der Staaten gegen den Angreifer geben?

Wir stellen fest: Nicht einmal die Rechtstheorie hat alle Folgerungen gezogen. Die Staatenpraxis aber hat nach einigen Ansätzen in einzelnen Punkten schließlich nicht an einer einzigen Stelle durchgedrückt.

Zum ersten: Die Geltung des Kriegsvölkerrechts in einem Krieg ohne Rücksicht auf den Ursprung des Krieges ist bisher von keinem Staat ernstlich bestritten worden. Zweifel, die aufgetaucht waren, wurden unmißverständlich behoben. Ich verweise auf die Resolution Nummer 3 der Völkerbundsversammlung vom 4. Oktober 1921 und auf den Bericht des Elfer-Ausschusses des Völkerbundes zur Anpassung der Satzung an den Pakt von Paris35. Der Angreiferstaat hat im Kriege dieselben Rechte und Pflichten wie der Angegriffene, nämlich die überkommenen kriegsvölkerrechtlichen. Der Herr französische Hauptankläger scheint mir, wenn ich recht verstehe, von dieser Linie abweichen, die vollen Konsequenzen jedoch nicht ziehen zu wollen. Aber auch in der jüngsten Praxis der Staaten sehe ich nirgendwo die Neigung, vom bisherigen Weg abzugehen.

Zum zweiten: Man hat versucht, die Pflicht zur Neutralität zu verneinen, ja, schließlich ein Recht zur Nichtneutralität, ja sogar das Recht zur Kriegführung gegen den Angreifer den außenstehenden Staaten zuzuschreiben. Einzelne Staatsmänner und Gelehrte haben sich ebenso leidenschaftlich für die Aushöhlung, ja Ächtung des Neutralitätsrechtes eingesetzt, wie andere Staatsmänner und Gelehrte für seinen unerschütterten Weiterbestand gesprochen haben36. Je[514] klarer wurde, daß das ganze System der kollektiven Sicherheit in den einzelnen Fällen nicht funktionierte, auf die alles ankam, nämlich in den Fällen, wo gegen eine Großmacht einzuschreiten gewesen wäre, setzte sich der Neutralitätsgedanke mit neuer Kraft durch. Die völlige Diskreditierung des Völkerbundes und des Briand-Kellogg-Pakt-Systems im Abessinien-Konflikt hat dann auch hier das klassische Völkerrecht wieder in seine alte Stellung eingesetzt. Die Schweiz erklärte 1935 ihre uneingeschränkte Neutralität37; Belgien, Dänemark, Finnland, Luxemburg, Norwegen, Holland und Schweden folgten mit ihrer Kopenhagener Erklärung vom 24. Juli 193838. Das Versagen des Völkerbundes war der Grund, der auch offen genannt worden ist.

Zum dritten: Der Gedanke der Politik der Nichtanerkennung, non-recognition policy, will dieses: Die an einem Konflikt nicht beteiligten Staaten sollen sich als Glieder der Staatengemeinschaft verhalten, und zwar schützend vor die Ordnung der Staatengemeinschaft stellen, indem sie dem Sieger, wenn er Angreifer gewesen sein sollte, die Anerkennung der Früchte seines Sieges verweigern. Seine Gewaltlage soll nicht einmal zum Schein zur Rechtslage werden. Damit wird er um den Gewinn gebracht, und somit wird eines der Hauptanreizmittel zum Kriege beseitigt. Eine solche Politik der Nichtanerkennung reicht sicher nicht aus, für sich allein ein System der kollektiven Sicherheit zu gewährleisten, aber sie ist unerläßlicher Bestandteil einer solchen Ordnung. Darüber kann es keinen Streit geben. Der brasilianische Vertreter Braga hat sich ein Verdienst damit erworben, daß er auf der zweiten Bundesversammlung, 1921, eine solche Politik der Völkerbundsmitglieder unter dem Namen »allgemeine Rechtsblockade«, blocus juridique universel, vorschlug39. Der finnische Vertreter Procope legte 1930 vor der Bundesversammlung den Artikel 10 der Satzung in diesem Sinn aus40. Die Noten des amerikanischen Staatssekretärs Stimson vom 7. Januar 1932 an China und Japan41 gaben dem Gedanken ein weltweites Echo. Ihren Inhalt nennt man gewöhnlich Stimson-Doktrin. Der Völkerbund nahm die Doktrin als Resolution der Versammlung vom 11. März 1932 auf42. Der Gedanke kehrt dann im Pakt von Rio de Janeiro vom 10. Oktober 1933 und in den Budapester Artikeln vom 10. September 1934 als Kernstück wieder. Der Konflikt zwischen Italien und Abessinien 1935/1936 wurde der[515] große Probefall43, der über Sein oder Nichtsein des Systems der kollektiven Sicherheit entschied: Der Völkerbund bezeichnet damals ein Großmachtmitglied als Angreifer und verhängte wirtschaftliche Sanktionen, er schreckte dann aber vor den militärischen Zwangsmaßnahmen zurück und quälte sich schließlich nach Italiens Sieg in Verfahrensdebatten, vor allem der achtzehnten Bundesversammlung, um eine Antwort auf die Frage, wie der Bund ohne offenen Verrat an seiner Verfassung das angegriffene Mitglied, das Kleinmachtmitglied Abessinien, aus der Liste der lebenden Staaten streichen und als Teil des italienischen Imperiums anerkennen könne. Auch die Vereinigten Staaten drückten die Stimson-Doktrin nicht durch, sondern hielten sich streng neutral44, 45.

Dies alles muß man wissen; und wissen muß man, daß die Britische Regierung am 20. Februar 1935 durch den Lord Chancellor, Viscount Sankey46, von den logischen Auswickelungen (explications) höflich, aber bestimmt abrückte und die alte Wahrheit ehrte: nicht aus der Logik kommt, was rechtens ist, sondern aus der Geschichte47. Bei einer späteren Gelegenheit, als nämlich Staatssekretär Cordell Hull allen Mächten am 16. Juli 1937 eine Darlegung der amerikanischen Prinzipien der Politik übergeben hatte48, warnte die Portugiesische Regierung vor der »abstrakten und verallgemeinernden Neigung mancher Juristen«, »abstract and generalising tendency of jurists«; sie warnte vor der Suche nach einer Einheitsformel, »to find a single formula«, und vor dem ungenügenden Studium der geschichtlichen Gegebenheiten49.

[516] Wir stellen fest:

Mindestens schon mehrere Jahre vor 1939 gab es in der Wirklichkeit des zwischenstaatlichen Lebens keine wirksame allgemeine völkerrechtliche Regelung über verbotene Kriege.

Im Bewußtsein der leitenden Staatsmänner und der Völker hat keine solche allgemeine Regelung existiert.

Das ist ja der innere Grund dafür, daß immer stärker und immer umfassender der Weg der speziellen Völkerrechtsregelung beschritten wurde: Es schlossen dann jeweils zwei Staaten in genauer Kenntnis ihrer besonderen geschichtlichen Lage Verträge mit dem Ziel der Sicherung des Friedens zwischen ihnen.

Während des zweiten Weltkrieges nun hat sich die Regierung der Vereinigten Staaten entschlossen, Großbritannien zu helfen. England konnte Zerstörer erwerben, und es bekam später die Pacht- und Leihhilfe. In der amerikanischen Öffentlichkeit wurde die Nichtmehr-Neutralität dieser Hilfsakte in ihrem Wesen erkannt, von den einen beklagt, von den anderen begrüßt, bald angegriffen, bald verteidigt. Mit vollem Recht haben die Verteidiger der Maßnahmen vor der amerikanischen Öffentlichkeit, vor allem Stimson und Cordell Hull, gar nicht versucht, sie als neutralitätsgemäß zu rechtfertigen. Sie beriefen sich vielmehr auf den Pakt von Paris in seiner Auslegung, durch die Budapester Artikel50. Das wäre, wie wir sahen, nach Viscount Sankey's unbestreitbar richtiger Auffassung von den Quellen des Völkerrechts schon im Jahre 1935 rechtsirrig gewesen. Nach der Entwicklung der Dinge seit dem italienischen Sieg über Abessinien bewegten sich solche Erörterungen völlig außerhalb der Rechtswirklichkeit. Sie dienten amerikanischen Auseinandersetzungen und hätten schon deshalb für das Völkerrecht keine unmittelbare Bedeutung haben können. Und wenn sie zwischen den Staaten ausgesprochen worden wären, hätten sie höchstens der Rechtsschöpfung dienen können. Daß aber solche Erörterungen während des riesigen Ringens nicht ein Recht hätten schaffen können, das man im Frieden mit so vielen als utopisch enthüllten Versuchen vergeblich erstrebt hatte, muß das wirklich erst behauptet oder gar bewiesen werden? In diesem Saale treffen mehrere, zum Teil sehr verschiedene Arten rechtlichen Denkens aufeinander. Das gibt gewisse unauflösbare Meinungsverschiedenheiten. Aber keine Art rechtlichen Denkens irgendwo auf der Erde, von den ältesten Zeiten bis zu den spätesten, konnte oder kann Argumentationen ermöglichen, die dem Wesen des Rechts einer geschichtlich gewordenen Ordnung menschlichen Zusammenlebens widersprechen. Wenn mehrere Regierungen Artikel annehmen, über deren Inhalt sie verschiedener Meinung sind, wenn dann diese [517] Artikel in der Praxis der Regierungen kein Leben gewinnen – wie nach dieser Entstehung nicht zu verwundern –, wenn nun Logiker diese Artikel auslegen und die Praxis der Regierungen lehnt diese Auslegungen ausdrücklich oder stillschweigend ab, dann muß man sich bescheiden, sofern man eben bei der Aufgabe der rechtlichen Beurteilung bleiben will, so sehr auch das Ziel politisch oder moralisch erstrebenswert sein sollte!

Aber: Lassen wir einmal die bittere Wirklichkeit jener Jahre seit dem italienisch-abessinischen Konflikt aus dem Auge. Nehmen wir einmal an, es hätte einen allgemeinen, und zwar einen eindeutigen Pakt gegeben, den die Vertragspartner in innerlicher, in sachlicher Übereinstimmung angenommen und gehandhabt hätten. Wäre dann die Strafbarkeit einzelner wegen Bruchs eines solchen Vertrags im Völkerrecht gegeben gewesen?

Nein! Nicht einmal die Strafbarkeit des Staates, geschweige denn einzelner Männer.

Es wäre nach dem geltenden Völkerrecht mit dem Bruch eines solchen Vertrags nicht anders gewesen, als mit einer sonstigen Verletzung des Völkerrechts. Der vertragsbrüchige Staat beginge ein Völkerrechtsdelikt, aber keine strafbare Handlung51. Es ist gelegentlich versucht worden, aus den Worten delit, crime international und condamnation de la guerre auf ein völkerrechtliches Kriminalrecht in unserem Fall zu schließen. Solche Schlüsse arbeiten mit unrichtigen Vordersätzen52. Jeder Jurist weiß, daß alles unrechtmäßige Verhalten Delikt heißen kann, nicht nur das strafbare. Und das Wort crime wird sogar ganz außerhalb der rechtlichen Sphäre gebraucht. Und gerade in unserem Fall! Als die Völkerbundsversammlung im Jahre 1927 den Krieg für eine crime international auf polnischen Antrag erklärte, stellte der polnische Berichterstatter ausdrücklich fest, daß die Erklärung nicht eigentlich ein rechtliches Instrument sei, sondern ein Akt von moralischer und erzieherischer Bedeutung53.

Der Versuch, ein universales Weltsystem der kollektiven Sicherheit rechtlich zu organisieren, ist gescheitert. Das bedeutet aber nicht, daß damit die zahlreichen zweiseitigen Verträge unanwendbar geworden sind, deren Aufgabe es ist, den Angriffskrieg zwischen den beiden Partnern auszuschließen. Man wird freilich prüfen müssen, ob etwa die Vertragsparteien die Existenz oder Fortexistenz eines allgemeinen Apparates der kollektiven Sicherheit zur Voraussetzung der Geltung des Vertrags gemacht haben. [518] Von den einseitigen Zusicherungen, nicht anzugreifen, gilt dasselbe, wie von den bilateralen Verträgen.

Es sind viele zweiseitige Nichtangriffsverträge geschlossen worden und manche einseitigen Zusicherungen gegeben worden. Bald bestimmt der politische, bald ein juristischer Begriff des Angriffs oder gar eine Mehrheit solcher juristischer Begriffe nebeneinander über Recht und Unrecht. Auch das Deutsche Reich hat eine Reihe solcher Verträge geschlossen. Sie sind von der Anklage zur Begründung herangezogen worden. Ob alle diese Verträge im kritischen Augenblick noch in Kraft waren, ist zu prüfen. Diese Prüfung muß den Herren Einzelverteidigern überlassen bleiben. Wenn aber das Deutsche Reich im Einzelfall, entgegen einem noch gültigen Nichtangriffsvertrag, zum Angriff geschritten sein sollte, so hat es ein völkerrechtliches Delikt begangen und haftet dafür nach den Regeln des Völkerrechts über völkerrechtliche Delikte.

Aber nur das Reich. Nicht der einzelne und wäre es das Staatsoberhaupt. Das ist nach dem geltenden Völkerrecht über jeden Zweifel erhaben.

Es ist nicht nötig, darüber überhaupt zu sprechen. Denn es ist bis in die jüngste Zeit hinein, weder im mandschurischen, noch im italienisch-abessinischen, noch im russisch-finnischen Konflikt auch nur die Möglichkeit erörtert worden, diejenigen Menschen, die auf japanischer oder italienischer oder sowjetischer Seite für Planung, Vorbereitung, Eröffnung und Durchführung des Krieges zuständig waren oder einfach an diesen Akten irgendwie beteiligt waren, strafrechtlich zu verfolgen. Und die Anklage ist nicht etwa deshalb unterblieben, weil man in paradoxer Weise die Dinge nicht zu Ende gedacht hätte. Sondern es ist nicht geschehen, weil es nicht geschehen kann, solange die Souveränität der Staaten das organisatorische Grundprinzip der ganzen zwischenstaatlichen Ordnung ist.

VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre jetzt ein geeigneter Zeitpunkt für eine Pause.


[Pause von 10 Minuten.]


PROF. DR. JAHRREISS: Eines oder das andere54. Sollte es dahin kommen, daß nach allgemeinem Weltrecht die Männer, die an der Planung, Vorbereitung, Eröffnung und Durchführung eines völkerrechtlich verbotenen Krieges beteiligt waren, vor ein Strafgericht gestellt werden könnten, dann unterlägen die Entscheidungen über die letzten Existenzfragen des Staates einer überstaatlichen Kontrolle. Man könnte selbstverständlich auch solche Staaten noch souverän nennen, aber sie wären nicht mehr souverän. Kelsen wiederholt in seiner schon mehrfach erwähnten Abhandlung von [519] Ende 1943, die er nach der Moskauer Konferenz vom 1. November 1943 schrieb, immer wieder den Satz, daß in der Frage des Friedensbruchs nach geltendem allgemeinen Völkerrecht eine Strafbarkeit einzelner nicht besteht und wegen der Souveränität nicht bestehen kann55.

Für die Europäer jedenfalls hat der Staat seit den letzten vier Jahrhunderten, vor allem seit dem immer stärkeren Vordringen des Nationalstaatsgedankens die Würde einer Überpersönlichkeit gewonnen.

Selbstverständlich sind Staatsakte Handlungen von Menschen. Aber es sind eben Staatsakte, Akte des Staates durch seine Organe und nicht Privatakte der Herren Müller oder Schmidt.

Was die Anklage tut, wenn sie im Namen der Welt-Rechtsgemeinschaft einzelne Männer wegen ihrer Entschlüsse über Krieg und Frieden rechtlich verurteilt sehen will, das ist in der Perspektive der europäischen Geschichte eine »Privatisierung« des Staates, ja, ein Zerschlagen des Staates im Geiste. Eine solche Anklage, über deren moralische Berechtigung ich nicht zu handeln habe, eine solche Anklage ist – wie wir schon zeigten – unvereinbar mit dem Wesen der Souveränität und mit dem Fühlen der meisten Europäer. Es scheint freilich, als fühlten nicht nur Europäer so. Im Jahre 1919 in Paris wandten sich am schärfsten die amerikanischen Vertreter in der Kriegsschuld-Untersuchungskommission gerade auch wegen der Unvereinbarkeit eines solchen Verfahrens mit der Souveränität des Staates gegen eine rechtliche Aburteilung des Kaisers56. Und man kann den Gedanken der Souveränität überhaupt nicht stärker anerkennen, als es Kellogg acht Jahre später bei den Verhandlungen zum Pakt von Paris getan hat, als er erklärte, wie ich schon sagte: Jeder Staat ist alleiniger Richter über sein Verhalten in der Existenzfrage.

Manche Zeit vergöttert die Souveränität des Staates. Manche andere verflucht sie. Manche vergöttert und verflucht sie in einem. So unsere Zeit. Vielleicht sind wir im Übergang, vielleicht findet eine Umwandlung der Werte statt. Vielleicht wird die Weltgemeinschaft der höchste politische Wert der Völker an Stelle der einzelnen Staaten, die es bisher jedenfalls waren. Vielleicht kommen wir dahin, daß die Entfesselung eines moralisch und auch rechtlich verdammenswerten Krieges für das allgemeine Rechtsgefühl Hochverrat an der Weltgemeinschaft ist; vielleicht kommen wir dahin, daß eine [520] Regierung, die einen solchen Krieg entfesselt, an das Ausland verraten werden darf oder gar verraten werden muß, ohne daß man noch rechtlich von Landesverrat sprechen darf? Heute stehen die Völker nirgendwo in ihrer Mehrheit, geschweige denn geschlossen auf diesem Standpunkt.

Die Bestrafung einzelner durch die Völkerrechtsgemeinschaft wegen Bruchs des zwischenstaatlichen Friedens kann somit nur angeordnet werden, wenn die Grundlagen des geltenden Völkerrechts und die im Lebensgefühl der europäischen Völker seit Jahrhunderten fest verwurzelten Wertvorstellungen aufgegeben werden, für die der Staat, der eigene souveräne Staat die unabdingbare Grundlage der freien Persönlichkeit ist.

Die Anklage zerschlägt in Gedanken den Deutschen Staat für eine Zeit, wo er in voller Kraft aufrecht stand und durch seine Organe handelte. Sie muß es tun, wenn sie einzelne Menschen wegen zwischenstaatlichen Friedensbruchs treffen will. Sie muß die Angeklagten zu Privatpersonen machen. Aber dann fügt sie die Angeklagten – sozusagen auf der privaten Ebene – mit Hilfe der dem angelsächsischen Recht entnommenen und uns fremden Strafrechtsvorstellung einer Conspiracy zusammen, gibt ihnen den Vielmillionen-Unterbau von Organisationen und Gruppen, die als verbrecherisch bezeichnet werden und läßt damit doch wieder eine überpersönliche Größe erscheinen.

Soweit das Statut dieses alles mit seinen Vorschriften stützt, statuiert es grundsätzlich Neues, wenn man mit dem Herrn britischen Hauptankläger am geltenden Völkerrecht mißt. Das, was – von Europa kommend – schließlich die ganze Welt umfaßt hat und Völkerrecht heißt, ist seinem Wesen nach ein Recht der Nebeneinanderordnung, coordination, souveräner Herrschaftsverbände. Messen wir die Vorschriften des Statuts an diesem Recht, so muß gesagt werden: Die Vorschriften des Statuts negieren die Grundlagen dieses Rechts, sie nehmen das Recht eines Weltstaates vorweg.

Sie sind revolutionär. Vielleicht gehört ihnen im Hoffen und Sehnen der Völker die Zukunft. Der Jurist, und nur als solcher darf ich hier sprechen, hat lediglich festzustellen, daß sie neu sind, umstürzend neu. Das Recht über Krieg und Frieden zwischen den Staaten hatte für sie keinen Platz, konnte für sie keinen Platz haben. So sind sie Strafgesetze mit rückwirkender Kraft.

Nun hat, wenn ich recht verstehe, der Herr französische Hauptankläger in seiner menschlich tief packenden Rede die Souveränität der Staaten anerkannt und ganz richtig gesehen, daß zwischen dem Statut und dem geltenden Völkerrecht eine unüberbrückbare Kluft besteht, wenn es einzelne Männer wegen Bruchs des zwischenstaatlichen Friedens kriminell bestraft sehen will. Er verlegt deshalb [521] den Prozeß aus der Ebene des Völkerrechts in die Ebene des Staatsrechts. Es hätte ja sein können, daß eine deutsche Staatsgewalt nach dem Krieg mit denjenigen Männern abgerechnet hätte, die für die Entfesselung des Krieges verantwortlich waren. Da nun heute das gesamte Leben des deutschen Volkes gelähmt ist, nehmen diejenigen fremden Mächte, die in vertraglicher Zusammenarbeit miteinander die Territorialgewalt in Deutschland haben, die Abrechnung vor. Das Statut hat die Normen gesetzt, die das Gericht bei seiner Untersuchung und bei seinem Spruch lenken sollen.

Es kann hier ungeprüft bleiben, ob diese Auffassung rechtlich richtig ist oder nicht.

Auch wenn sie richtig sein sollte, wird unsere Frage dadurch nicht geändert. Wir müssen in dieser Ausgangsstellung nicht weniger als bei der völkerrechtlichen wissen, wie weit das Statut Strafgesetze mit rückwirkender Kraft gibt. Aber wir müssen jetzt die Vorschriften des Statuts außer am Völkerrecht, das für das Deutsche Reich gegolten hat und in Terri torialrecht umgegossen wurde – wie man zu sagen pflegt –, auch nach Territorialstrafrecht messen, das zur Zeit der Tat für die Angeklagten verbindlich war. Es ist ja von vornherein möglich, daß ein Staat, ein Mitglied der Staatengemeinschaft, in seinem Strafrecht kosmopolitischer ist als das derzeitige Völkerrecht. Dann könnte eine Norm des Statuts, die gegenüber dem geltenden Völkerrecht neu ist, einem schon bestehenden Territorialgesetz entsprechen, und dann wäre es eben kein Strafgesetz mit rückwirkender Kraft. Wie war also in dem territorialen Strafrecht, dem die Angeklagten zur Zeit der Vorbereitung und Entfesselung der Kriege unterstanden, der Bruch des zwischenstaatlichen Friedens, insbesondere der Bruch von Nichtangriffsverträgen behandelt?

Es könnte sein, daß in einem Staat diejenigen Menschen mit Strafe bedroht werden, die entgegen völkerrechtlichen Verpflichtungen dieses Staates einen Krieg vorbereitet oder entfesselt oder geführt haben57. Das wäre allerdings völlig unpraktisch. Denn auch über die innere Abrechnung entscheidet der Ausgang des Krieges. Einer siegreichen Regierung droht kein Strafgericht. Im Falle der Niederlage aber gibt eben die Niederlage das Maß der Abrechnung. Auf alle Fälle sind die Bestimmungen des Statuts über die Bestrafung wegen Bruchs des zwischenstaatlichen Friedens für das Territorialstrafrecht, dem die Angeklagten zur Zeit der Tat unterstanden, neu. Wenn man aber den Satz »nulla poena sine lege praevia« nicht so versteht, wie er auf dem europäischen Kontinent verstanden wird: Gesetz im Sinne von lex ist eine staatlich gesetzte Norm, ist Staatsgesetz – sondern wenn man der Auffassung ist, die, soviel ich sehe, [522] den englischen Rechtsdenkern eigentümlich ist, nämlich der Auffassung, daß Gesetz im Sinne von lex auch eine eingewurzelte Norm der Moral, der guten Sitten sein kann, dann bleibt uns noch eine Frage: Haben, wie die Dinge nun einmal waren, die Angeklagten, ehemalige Minister, militärische Führer, Lenker der Wirtschaft, Leiter höherer Behörden, zur Zeit der Tat ein Verhalten als pflichtwidrig empfunden oder auch nur empfinden können, das nun durch nachträgliches Gesetz unter Strafe gestellt wird?

Die Antwort auf diese Frage kann nicht anders gegeben werden, als mit einem Einblick in das Wesen der deutschen Reichsordnung im Augenblick der Tat.

Das Deutsche Reich war eingegliedert in die Gemeinschaft der Staaten in der Gestalt, in der Verfassung, die es jeweils im Laut der Zeit hatte. So, wie das mit jedem Glied der Staatengemeinschaft der Fall ist. Die Vereinigten Staaten und das Britische Weltreich, die Union der Sowjetrepubliken und die Französische Republik, Brasilien und die Schweiz stehen im Gefüge der Völkerrechtsfamilie mit der Staatsordnung, die sie gerade haben.

Mit vollem Recht hat deshalb die Anklage den Versuch unternommen, diese konkrete Gestalt des Reiches gedanklich zu erfassen. Denn ohne einen solchen Versuch kann in diesem Prozeß niemand zu einem Urteil über Recht und Unrecht kommen. Übrigens scheinen mir auch viele moralische Fragen, die hier aufgeworfen sind, einen solchen Versuch zu verlangen. Ich fürchte aber, daß man mit dem Bild, das die Anklage entworfen hat, der Wahrheit nicht so nahe kommen kann, wie es trotz der Kompliziertheit des Sachverhaltes möglich ist.

Die Anklage geht aus von der Vorstellung einer Welteroberungsverschwörung von ein paar Dutzend Verbrechern. Das deutsche Staatswesen wird, wenn man die Dinge so sieht, zu einem bloßen Schatten oder zu einem bloßen Werkzeug. Aber dieses Staatswesen war längst da; das ungeheure Gewicht seiner Geschichte konnte niemand beiseite schieben. So manches aus dieser Geschichte, im Inneren und besonders im Äußeren, hat Hitler den Aufstieg zur Macht überhaupt erst ermöglicht oder erleichtert; und so manches aus dieser Geschichte hat Hitler in der Auswahl seiner Ziele und Mittel gelenkt, getrieben, beschränkt oder gebremst, hat mitentschieden über Erfolg oder Mißerfolg seiner Maßnahmen und Unternehmungen.

Die Anklage hat gewiß recht darin, daß sie mit großem Nachdruck hingewiesen hat auf das Führerprinzip. In der Tat: Dieses sogenannte Führerprinzip ist für das Auge und noch stärker für das Ohr des deutschen Volkes wie der Weltöffentlichkeit das organisatorische Leitprinzip in der Entwicklung der Reichsverfassung seit 1933 gewesen.

[523] Eindeutig war es freilich nie. Und es hat seine Natur im Laufe der Jahre sehr verändert. Im Leben der Menschen sind Führen und Herrschen von Haus aus Gegensätze. Es gibt eine – ich möchte sagen – seelenlose mechanische Art der Menschenlenkung, das Herrschen, das Kommandieren. Und es gibt eine andere, das vorbildliche Vorangehen mit freiwilliger Nachfolge, das Führen oder wie man es nennen mag. Diese Unterscheidung zweier grundverschiedener Methoden der Menschenlenkung wird oft schon sprachlich erschwert; im Deutschen etwa dadurch, daß man Führen gelegentlich als charismatisches Herrschen oder Herrschen mitunter als Führen bezeichnet. Weiter wird die Unterscheidung dadurch erschwert, daß zwischen denselben Menschen bald das Führen, bald das Herrschen wirksam wird, oder dadurch, daß eigentliche Formen des Führens für das Herrschen oder eigentliche Formen des Herrschens für das Führen benutzt werden. Jeder Staat stand, steht und wird stehen vor der Frage, wie er diese beiden Methoden verbindet, so, daß sie sich ergänzen, fördern, kontrollieren. Beide Methoden treten immer und überall auf. Es hat noch nie und nirgends einen wirklich großen Herrscher gegeben, der nicht auch Führer gewesen wäre. Aber auch die kleinen Herrscher unterliegen diesem Zwang. Und das Hitler-Regime hat jedenfalls am Anfang eine Synthese der beiden Methoden gebracht, die mindestens den Schein einer ungeheuren Leistungsfähigkeit hatte. Man hat dieser Synthese vielleicht nicht mit Unrecht vieles von dem zugeschrieben, was die Welt als Ergebnis einer unerhörten Mobilisierung, Zusammenfassung und Steigerung der Kräfte einer Nation bald billigend, bald und öfter mißbilligend, angestaunt hat.

Diese besondere Synthese von Führen und Befehlen fand ihre stärkste Ausprägung in der Person Hitlers selbst, in seinen Führungsaktionen, etwa in seinen Reden und in seinen Befehlsakten. Hitlers Akte der Führung und des Kommandierens wurden die Motoren des deutschen Staatslebens in jener Zeit. Dieser Erscheinung gilt es vor allem anderen gerecht zu werden. Sie ist für die Beurteilung des ungeheuren Tatsachenmaterials, das hier ausgebreitet worden ist, von schlechthin entscheidender Bedeutung. Bei aller Vorsicht nun, die dem wissenschaftlich denkenden Menschen selbstverständlich ist und die ihm ein kaum überwindbares Mißtrauen befiehlt gegen jeden Versuch, so kurz zurückliegende Ereignisse zu erfassen und zu bewerten, kann man vielleicht diese Behauptung wagen: Im Laufe der Jahre hat Hitler den Befehl mehr und mehr vor den Akten der Führung bevorzugt und schließlich so sehr in den Vordergrund geschoben, daß der Befehl und nicht der Führungsakt die alles entscheidende Tatsache wurde. Aus dem Volksmann Hitler wurde mehr und mehr der Diktator. Die Reden, in denen er sich bis zum Überdruß selbst willigster Anhänger wiederholte und bis zum Verdruß[524] auch gläubiger Gefolgsleute überschrie, wurden seltener, die Gesetzgebungsmaschine aber lief immer schneller. Eine spätere Zeit wird vielleicht erkennen, wieweit die große Änderung, die sich in der Einstellung des deutschen Volkes zu Hitler schon vor dem Krieg anbahnte, Ursache oder Wirkung dieser Wandlung ist.

Während Hitler in der Frage einer Äußerlichkeit, nämlich in der Frage, wie er genannt zu werden wünschte, danach drängte, nicht mehr »Führer und Reichskanzler«, sondern nur noch »Führer« zu heißen, ging die Staatsführung genau den entgegengesetzten Weg: Das Führen verschwand mehr und mehr, und es blieb die nackte Herrschaft. Der Befehl des Führers wurde zum zentralen Element des deutschen Staatsgefüges.

In der öffentlichen Hierarchie brachte diese Entwicklung für die Macht Hitlers eher einen Zuwachs als eine Minderung. Die deutschen Beamten und Offiziere hatten in ihrer großen Mehrheit hinter dem organisierten Führen nichts anderes gesehen als einen neuartig etikettierten und womöglich noch bürokratischeren Herrschaftsapparat neben dem überkommenen staatlichen. Als der Befehl Hitlers das große A und O wurde, fühlten sie sich sozusagen wieder im gewohnten Gleis. Das Unheimliche, Rätselhafte war gewichen. Sie waren wieder in ihrer Welt der Subordination. Immerhin hatte aber diese Entwicklung dem Befehl des Führers auch bei ihnen einen besonderen Nimbus verliehen; gegen den Befehl des Führers gab es keinen Widerspruch. Man mochte allenfalls Bedenken vorbringen; blieb aber der Führer bei seinem Befehl, so war die Sache entschieden. Sein Befehl war etwas ganz anderes als der Befehl irgendeines Funktionärs der Hierarchie unter ihm.

Damit sind wir bei der für diesen Prozeß grundlegenden Frage: Was ist der Befehl Hitlers in der deutschen Staatsordnung gewesen? Gehörte er zu der Art von Befehlen, die von dem Statut dieses Gerichts als Strafausschließungsgrund beiseite geschoben wurden?

Es ist für einen Juristen, der in den Gewöhnungen des sogenannten Rechtsstaates aufgewachsen ist, vielleicht schwerer gewesen als für andere Menschen, das erst langsame, dann immer schnellere Abbröckeln des Rechtsstaatlichen zu erleben; denn er ist nie in der neuen Ordnung heimisch geworden, hat immer halb und halb außerhalb gestanden. Aber gerade deshalb weiß er wohl auch besser als jemand sonst um die Eigenart dieser neuen Ordnung. Es muß versucht werden, sie verständlich zu machen.

Die staatlichen Befehle, sie mögen Normen setzen oder Einzelfälle entscheiden, können stets an dem bisherigen gesetzten oder ungesetzten Recht dieses Staates gemessen werden, aber auch an den Normen des Völkerrechts, der Sittlichkeit, der Religion. Irgendwer und wäre es das eigene Gewissen des Befehlenden, fragt immer: Hat der Befehlende etwas befohlen, was er nicht befehlen durfte? [525] Oder: Hat er seinen Befehl etwa in einem unzulässigen Verfahren gebildet und kundgetan? Ein unvermeidbares Problem für jede Herrschaft besteht aber nun darin: Soll oder kann sie den Gliedern der Hierarchie, ihren Beamten und Offizieren, das Recht einräumen oder gar die Pflicht auferlegen, jeden Befehl, der von ihnen Gehorsam verlangt, jederzeit darauf zu prüfen, ob er rechtens ist und danach zu entscheiden, ob sie Gehorsam leisten oder verweigern?

Keine Herrschaft, die bisher in der Geschichte aufgetreten ist, hat diese Frage bejaht. Immer ist nur gewissen Gliedern der Hierarchie dieses Recht eingeräumt worden; und auch nicht unbeschränkt. So zum Beispiel auch in der extrem demokratischen Staatsordnung des Deutschen Reiches, der Weimarer Republik oder heute unter der Besatzungsherrschaft der vier Großmächte über Deutschland.

Soweit ein solches Prüfungsrecht den Gliedern der Hierarchie nicht eingeräumt wird, ist für sie der Befehl rechtens.

Jedes Staatsrecht, auch das Staatsrecht der modernen Staaten, kennt Staatsakte, die von den Behörden zu respektieren sind, selbst wenn sie fehlerhaft sein sollten. Gewisse Normsetzungen, gewisse rechtskräftig gewordene Einzelfallentscheidungen gelten, selbst wenn der Befehlende über seine Kompetenz hinausgegangen ist oder sich in der Form vergriffen hat.

Schon weil das Zurückgehen auf einen noch höheren Befehl einmal ein Ende hat, muß es in jeder Herrschaft Befehle geben, die für die Glieder der Hierarchie auf alle Fälle verbindlich sind, die also für die Amtsträger Recht sind, mögen auch Außenstehende feststellen, daß sie nach dem bisherigen Recht dieses Staates oder nach außerstaatlichen Normen nach Inhalt oder Form fehlerhaft sind.

In unmittelbaren Demokratien zum Beispiel ist dann der in dem Abstimmungsbeschluß des Volkes gegebene Befehl schlechthin geltende Norm oder schlechthin verbindliche Verfügung. Rousseau hat gewußt, wie sehr die volonté de tous gegen das Richtige verstoßen kann; er hat aber nicht verkannt, daß die Befehle dieser volonté de tous verbindlich sind.

In mittelbaren Demokratien mögen die Beschlüsse eines Kongresses, einer Nationalversammlung, eines Parlaments dieselbe Kraft haben.

In der gemischt-mittelbaren-unmittelbaren Demokratie der Weimarer Verfassung des Deutschen Reiches waren die vom Reichstag mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossenen und verkündeten Gesetze für alle Funktionäre, auch für die unabhängigen Gerichte, auf alle Fälle Recht, selbst wenn der Gesetzgeber mit diesen Gesetzen wissentlich oder nichtwissentlich gegen nichtstaatliche Normen, etwa kirchliche Normen oder völkerrechtliche Normen, verstoßen haben sollte. Im letzteren Falle hätte sich das Reich eines völkerrechtlichen Unrechts schuldig gemacht. Es hätte nämlich nicht [526] dafür gesorgt gehabt, daß eine Gesetzgebung völkerrechtsgemäß war. Es hätte deshalb nach den völkerrechtlichen Vorschriften über die Bereinigung völkerrechtlicher Delikte gehaftet. Aber solange das betreffende Gesetz nicht nach den Normen des deutschen Verfassungsrechtes beseitigt worden wäre, hätte es von allen Amtsträgern der Hierarchie befolgt werden müssen. Kein Funktionär hätte das Recht geschweige denn die Pflicht gehabt, die Rechtsverbindlichkeit zu prüfen mit dem Ziel, je nach dem Ergebnis dieser Prüfung Gehorsam zu leisten oder zu verweigern. Das ist in keinem Staat der Welt anders. Es war nie anders und kann auch nicht anders sein. Jeder Staat noch hat es erlebt, daß seine letzten Befehle, seine höchsten Befehle, die für die Hierarchie verbindlich sein müssen, wenn die Staatsordnung überhaupt bestehen soll, gelegentlich in Widerspruch stehen zu außerstaatlichen Normen, zu göttlichem Recht, zu natürlichem Recht, zu vernünftigem Recht. Gute Regierungen mühen sich, solche Konflikte zu vermeiden. Zum Schmerz, ja zur Verzweiflung von vielen Deutschen hat Hitler häufig solche Konflikte und schwere Konflikte geschaffen. Und darum schon war sein Regieren kein gutes Regieren, mag es auch durch einige Jahre hindurch auf manchen Gebieten erfolgreich gewesen sein. Nur muß bereits hier gesagt werden: Diese Konflikte haben nie, wenigstens nicht sofort das ganze Volk oder die ganze Hierarchie getroffen, sondern immer nur Gruppen des Volkes oder Einzelstellen der Hierarchie; und die Betroffenen wurden nur zum Teil im Zentrum ihres Lebens gepackt, viele nur am Rande berührt, gar nicht zu reden von denjenigen Konflikten, die der überwältigenden Mehrheit des Volkes und der Hierarchie unbekannt blieben, gar nicht zu reden also von den Befehlen, mit denen sich Hitler nicht nur im Einzelfall unmenschlich zeigte, sondern einfach außerhalb des Menschlichen stellte. Es ist eine rein akademische Frage: Wäre Hitlers Macht so fest verwurzelt worden oder hätte sie sich gehalten, wenn jene Außenmenschlichkeiten größeren Teilen des Volkes und der Hierarchie bekanntgeworden wären? Sie wurden es eben nicht.

In einem Staat nun, in dem die gesamte Macht der letzten Entscheidungen in der Hand eines einzelnen Menschen zusammengefaßt ist, sind die Befehle dieses einen für die Glieder der Hierarchie schlechthin verbindlich. Dieser eine ist ihr Souverän, ist für sie legibus solutus, wie das – soviel ich sehe – zuerst die französische Staatslehre ebenso scharfsinnig wie beredt dargestellt hat. Die Welt steht ja nicht zum erstenmal vor einer solchen Erscheinung. Früheren Zeiten mag sie sogar als das Normale erschienen sein. In der modernen Welt, in der Welt der Verfassungen der vom Volk überwachten Gewaltenteilung, erscheint die absolute Monokratie als grundsätzlich nicht richtig. Und wenn es heute noch nicht der Fall ist, eines Tages wird die Welt wissen, daß die ungeheure Mehrheit der nachdenkenden Deutschen in diesem Punkt nicht anders gedacht [527] hat, als die meisten nachdenkenden Menschen der anderen Völker in Europa und außerhalb.

Dennoch können eben durch Ereignisse, die in ihrer Gesamtheit kein Mensch voll übersehen und noch weniger nach Gefallen beherrschen kann, solche absolut monokratischen Verfassungen entstehen. So ist es im Deutschen Reich seit Anfang 1933 geschehen. Dies ist aus der Weimarer Parlamentsrepublik, die unter Hindenburg zur Präsidentschaftsrepublik verwandelt wurde, nach und nach in mehreren Schichten geworden, in einem Prozeß, der zum Teil in Staatsakten die Entwicklung vorantrieb, dabei legale Formen betonte und in Staatsurkunden abgelesen werden kann, zum Teil aber einfach in gebilligter Gewohnheit die Normen formte. Das Reichsgesetz vom 24. März 1933, durch das die Einrichtung des Reichsregierungsgesetzes geschaffen und somit die Gewaltenteilung im herkömmlichen Sinne praktisch beseitigt wurde, ist nach dem Sitzungsprotokoll des Reichstages mit verfassungsändernder Mehrheit zustande gekommen. Es ist an der Legalität des Gesetzes dennoch gezweifelt worden, da ein Teil der gewählten Abgeordneten polizeilich von der Sitzung ferngehalten und ein anderer Teil der anwesenden Abgeordneten eingeschüchtert gewesen sei, so daß nur scheinbar eine verfassungsändernde Mehrheit das Gesetz beschlossen habe. Ja, man hat gesagt, daß kein Reichstag, und wäre es mit allen Stimmen bei voller Anwesenheit, das Verfassungsgrundprinzip der Gewaltenteilung hätte wegbeschließen können, denn keine Verfassung könne zu ihrem Selbstmord ermächtigen. Wir brauchen das nicht zu prüfen; die Einrichtung des Regierungsgesetzes ist durch undiskutierte Praxis so fest verwurzelt worden, daß nur eine völlig wirklichkeitsfremde Formaljurisprudenz Paragraphen gegen das Leben auszuspielen und die vollzogene Verfassungswandlung zu ignorieren versuchen kann. Und aus demselben Grunde ist es eine Fehlkonstruktion, wenn man ignoriert, wie sich dann das Regierungsgesetz, das heißt das Kabinettsgesetz gewohnheitsmäßig zu einer von mehreren Gestaltungen der Gesetzgebung des Führers verwandelt hat. An der Basis jeder Staatsordnung wie jeder Ordnung überhaupt steht eben die Gewohnheit. Seit Hitler Staatsoberhaupt geworden war, hat die Praxis rasch dahin geführt, daß Hitler als unbestrittener und unbestreitbarer Inhaber jeder Zuständigkeit vor der Hierarchie wie vor dem ganzen Volk stand.

Das Ergebnis der Entwicklung war jedenfalls: Hitler wurde der oberste Setzer der Normen wie auch der Einzelbefehle.

Er wurde das nicht zuletzt wohl unter dem Eindruck der überraschenden Erfolge oder dessen, was man in Deutschland und im Ausland als Erfolge ansah, zumal im Laufe dieses Krieges. Vielleicht ist das deutsche Volk, wenn auch mit starken Unterschieden zwischen Nord und Süd, West und Ost – besonders leicht der tatsächlichen [528] Macht untertan, besonders leicht durch Befehl zu lenken, besonders gewohnt an den Gedanken der Obrigkeit. So mag der ganze Prozeß erleichtert worden sein.

Nicht völlig klar war schließlich nur Hitlers Verhältnis zum Richterspruch. Denn selbst in Hitler-Deutschland ist der Gedanke nicht abzutöten gewesen, daß es unerläßlich sei, die Rechtspflege durch unabhängige Gerichte ausüben zu lassen, wenigstens in den Angelegenheiten, welche die breiten Massen in ihrem Alltagsleben angehen. Bis in die oberste Gruppe der Parteifunktionäre – das haben einige der hier vorgelegten Reden des damaligen Reichsrechtsführers, des Angeklagten Dr. Frank gezeigt – hielt sich ein allerdings nicht sehr erfolgreicher Widerstand, als auch die Rechtspflege in bürgerlichen Sachen und in gemeinen Strafsachen unter das sic volo sic jubeo des einen Mannes gepreßt werden sollte. Aber außerhalb der schließlich auch wankenden Justiz war die absolute Monokratie vollkommen. Die pompöse Erklärung des Reichstags über die Rechtsstellung Hitlers vom 26. April 194258 war in der Tat nur eine Feststellung dessen, was schon längst Praxis geworden war.

Der Befehl des Führers war Gesetz schon geraume Zeit vor diesem zweiten Weltkrieg.

In dieser seiner Staatsordnung ist das Deutsche Reich von den übrigen Staaten als Partner behandelt worden, und zwar im gesamten Bereich der Politik. Ich will dabei gar nicht so sehr auf die durch das deutsche Volk so einprägsame und für jede Opposition in Deutschland so verhängnisvolle Weise eingehen, wie das im Jahre 1936 bei den Olympischen Spielen geschah, bei der Veranstaltung, zu der Hitler die Abordnungen der fremden Nationen nicht befehlen konnte, wie er Deutsche zum Nürnberger Parteitag mit seinen Staatsveranstaltungen kommandierte. Ich möchte vielmehr nur darauf hinweisen, daß die Regierungen der mächtigsten Reiche der Welt das Wort dieses »allmächtigen« Mannes als die letzte und für jeden Deutschen widerspruchslos gültige Entscheidung angesehen und ihre Entschlüsse gerade in den größten Fragen auf der Tatsache aufgebaut haben, daß Hitlers Befehl widerspruchslos galt. Man hat sich – um nur die markantesten Fälle zu nennen – auf diese Tatsache verlassen, als der englische Ministerpräsident Neville Chamberlain nach der Konferenz von München bei der Landung in Croydon das berühmte Friedenspapier vorwies. Man hat sich an diese Tatsache gehalten, als man gegen das Reich als die barbarische Despotie dieses einen Mannes zu Felde zog.

Noch nie hat eine Staatsordnung allen Menschen gefallen, die unter ihr leben oder im Ausland ihre Auswirkungen spüren. Die deutsche Staatsordnung der Hitler-Zeit hat im Inland und Ausland [529] besonders vielen und zunehmend mehr Menschen mißfallen. Das ändert aber nichts daran, daß sie eben gegolten hat. Nicht zuletzt wegen jener Anerkennung von außen und wegen jener Wirksamkeit, die einen englischen Ministerpräsidenten in, der kritischen Zeit zu der in der ganzen Welt berühmt gewordenen Feststellung brachte, die Demokratien brauchten jeweils zwei Jahre länger als die autoritären Regierungen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Nur wer fröstelnd und wie ausgestoßen aus dem eigenen Volke inmitten blindgläubiger, diesen Mann als einen Unfehlbaren vergötternden Massen gelebt hat, weiß, wie fest die Macht Hitlers in der Gefolgschaft der Namenlosen, Unzähligen verankert war, die ihm nur Gutes, nur das Richtige zutrauten. Sie kannten ihn nicht persönlich, für sie war er, was die Propaganda aus ihm machte, aber das war er dann so kompromißlos, daß jeder, der ihn aus der Nähe sah und anders sah, klar wußte: Auflehnung ist völlig nutzlos und in den Augen der Mitmenschen nicht einmal Märtyrertum.

Wäre es daher nicht ein Selbstwiderspruch im Handeln, wenn in den Normen dieses Prozesses zugleich diese beiden Behauptungen zugrunde gelegt werden sollten:

Erstens: Das Reich war eine Despotie dieses einen Mannes und gerade dadurch eine Weltgefahr.

Zweitens: Jeder Funktionär hatte das Recht, ja die Pflicht, die Befehle dieses Mannes nachzuprüfen und je nach dem Ergebnis dieser Prüfung zu befolgen oder nicht zu befolgen.

Die Funktionäre hatten weder das Recht noch gar die Pflicht, die Befehle des Monokraten auf ihre Rechtmäßigkeit nachzuprüfen. Für sie konnten diese Befehle überhaupt nicht rechtswidrig sein, mit einer – genau gesehen allerdings nur scheinbaren – Ausnahme, von der, später zu sprechen sein wird, nämlich mit der Ausnahme der Fälle, in denen sich der Monokrat nach den undiskutierbaren Wertungen unserer Zeit außerhalb jeder menschlichen Ordnung stellte, in denen eine echte Frage, ob Recht oder Nichtrecht gar nicht gestellt und somit eine echte Prüfung gar nicht aufgegeben war.

Hitlers Wille war eben die letzte Instanz für ihre Erwägungen über das, was zu tun oder zu lassen sei. Der Befehl des Führers schnitt jede Erörterung ab. Darum: Wer sich als Funktionär der Hierarchie auf den Befehl des Führers beruft, will nicht für eine rechtswidrige Handlung einen Strafausschließungsgrund angeben, sondern er bestreitet die Behauptung, sein Verhalten sei rechtswidrig; denn der Befehl sei rechtlich unangreifbar, den er befolgt habe.

Nur wer das begriffen hat, kann überhaupt die schweren inneren Kämpfe verstehen, die in diesen Jahren so viele deutsche Amtsträger bald bei diesem, bald bei jenem Erlaß oder Beschluß Hitlers durchgefochten haben. Es handelt sich für sie in solchen Fällen nicht [530] um einen Konflikt zwischen Recht und Unrecht: Streitigkeiten um die Legalität sanken zur Bedeutungslosigkeit herab. Es ging für sie um die Legitimität. Irdisches und göttliches Recht standen je länger je mehr und je öfter gegeneinander.

Darum: Was immer das Statut unter den Befehlen versteht, die es als Strafausschließungsgrund beiseite schiebt, kann der Befehl des Führers damit gemeint sein? Kann er unter den Sinn dieser Vorschrift fallen? Muß man nicht diesen Befehl als das nehmen, was er nach der einmal gewordenen inneren deutschen Ordnung war, nach einer Ordnung, die von der Staatengemeinschaft ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt war? Vielen Deutschen hat die Machtstellung Hitlers von Anfang an nicht gefallen, und vielen Deutschen, die sie zunächst begrüßt haben, weil sie sich nach klaren, schnellen Entscheidungen sehnten, ist sie später ein Greuel geworden. Das ändert aber nichts an diesem: Müssen nicht diejenigen Menschen, die nach dieser Ordnung gern oder ungern in der Hierarchie ihre Pflicht erfüllten, die Verurteilung wegen einer Handlung oder Unterlassung, die der Führer befohlen hatte, als ein ihnen angetanes Unrecht empfinden?

Eine Staatengemeinschaft könnte sich ja weigern, solche Staaten als Mitglieder aufzunehmen oder zu dulden, die eine despotische Verfassung haben. Doch war das bis jetzt nicht der Fall.

Soll es in Zukunft anders sein, so müssen die Nichtdespotien die notwendigen Vorkehrungen dagegen treffen, daß sich ein Mitglied der Staatenfamilie in eine Despotie verwandelt oder daß von außen eine Despotie in den Kreis der Familie tritt. Die Erkenntnis wird heute immer stärker, daß das der entscheidende Punkt in unserer Frage ist. Es müssen schon ganz besondere Umstände gegeben sein, wenn sich ein modernes Volk despotisch regieren läßt, selbst wenn es so gehorsamswillig ist wie das deutsche. Aber sobald es solche Umstände gibt, dann ist von innen her kein Gegenmittel mehr da. Nur die Umwelt kann dann helfen. Erkennt sie aber statt dessen die Ordnung an, dann ist nicht zu sehen, woher von innen erfolgreicher Widerstand kommen soll. Mit diesem Hinweis auf die besonderen Umstände und auf die Anerkennung durch die Umwelt machen wir auf Tatsachen aufmerksam, für deren Vorliegen zum Beispiel in unserem Fall kein Deutscher verantwortlich gewesen ist, die aber nicht weggedacht werden können, wenn danach gefragt wird, wie das alles möglich war.

Es muß nun aber noch auf gewisse weitere Tatsachen aufmerksam gemacht werden, ohne deren Kenntnis nicht voll verstanden werden kann, daß sich die absolute Monokratie Hitlers so ungeheuer festsetzen konnte. Hitler hat in sich vereinigt die gesamte Macht der obersten Befehle, der nicht nachprüfbaren Befehle, der unbedingt geltenden Befehle, der Normsetzung und Verwaltung. Unmittelbar [531] unter ihm aber wurde die Staatsmacht aufgegliedert in eine kaum noch übersehbare Fülle von Zuständigkeitsbereichen. Diese Bereiche aber wurden gegeneinander nicht immer scharf abgegrenzt. In den modernen Staatswesen, zumal in den Großstaaten eines technisierten Zeitalters, ist das gar nicht zu vermeiden. Die Neigung aber, Zuständigkeitsfragen zu überschätzen, ist in Deutschland sicher nicht geringer als in einem anderen Lande. Das erleichterte die Aufrichtung von Scheidewänden zwischen den Ressorts. Eifersüchtig wachte jedes Ressort darüber, daß kein anderes in seinen Garten eindrang. Es witterte überall Ausweitungstendenzen anderer Ressorts; bei der ungeheuren Fülle von Aufgaben, die der sogenannte »totale« Staat auf sich gehäuft hatte, konnten Doppel- und Dreifachzuständigkeiten nicht ausbleiben. Ressortkämpfe waren unvermeidlich. Wenn eine Verschwörung bestanden haben sollte, wie das die Anklage annimmt, so sind die Verschwörer merkwürdig unfähige Organisatoren gewesen. Statt zusammenzuhalten und miteinander durch dick und dünn zu gehen, bekämpften sie einander. Statt einer Konspiration haben sie eher eine Dispiration. Die Geschichte der Eifersucht und des Mißtrauens zwischen den Mächtigen unter Hitler muß noch geschrieben werden. Und nun vergegenwärtige man sich, daß man sich zwischen allen Ressorts und innerhalb der Ressorts mit immer mehr Geheimtuerei umgab. Von Ressort zu Ressort und innerhalb der Ressorts von Stufe zu Stufe und auf den einzelnen Stufen wurden immer mehr Angelegenheiten »Geheimsachen«. Noch nie hat es in Deutschland soviel »öffentliches Leben«, das heißt nicht privates Leben gegeben wie unter Hitler: aber noch nie war das öffentliche Leben für das Volk, vor allem aber für die einzelnen Glieder der Hierarchie selbst so verschleiert wie unter Hitler.

Der eine oberste Wille wurde ganz einfach technisch unentbehrlich. Er wurde die mechanische Klammer für das Ganze. Ein Funktionär, der mit einem seiner Befehle auf Bedenken oder gar auf Widerstand anderer Funktionäre stieß, brauchte nur auf einen Befehl des Führers hinzuweisen, und er hatte gewonnenes Spiel. Viele, sehr viele unter denjenigen Deutschen, die das Regime Hitlers als unerträglich empfanden, ja ihn wie den Teufel haßten, haben deshalb nur mit größter Sorge dem Abtreten dieses Mannes von der Bühne entgegengesehen: Denn was sollte werden, wenn diese Klammer verschwand? Es war ein diabolischer Zirkel.

Ich wiederhole: Ein Befehl des Führers war für den Angesprochenen verbindlich, und zwar rechtsverbindlich, auch wenn die Weisung dem Völkerrecht oder anderen überkommenen Wertungen zuwiderlief.

Aber gab es nicht doch eine Grenze? Die Anhänger Hitlers im Volk haben jedenfalls in der ersten Zeit, das heißt gerade in der [532] Zeit der Machtbegründung, in der Zeit der schrittweisen Herausbildung der monokratischen Herrschaftsordnung in ihrem Führer einen volksnahen Menschen, einen selbstlosen, beinahe übermenschlich sicher fühlenden und klardenkenden Staatslenker gesehen, ihm nur das Beste zugetraut und nur die eine Sorge gehabt, ob er sich auch die richtigen Männer als Gehilfen aussuchte und ob er auch immer wußte, was sie taten. Diesem Hitler ist die ungeheure Machtfülle, ist die unbegrenzte Vollmacht gegeben worden. Sie umfaßte wie in jedem Staat auch harte Befehle. Doch nie und nimmer war sie als Vollmacht zu Unmenschlichkeiten gemeint. Hier ist die Grenze. Aber diese Grenze ist seit je nirgendwann und nirgendwo ganz klar gezogen. Das deutsche Volk ist heute in seinen Meinungen, Gefühlen und Absichten völlig zerrissen. Aber in einem dürfte es mit wenigen Ausnahmen einig sein: Es würde als Ankläger diese Grenze nicht nachsichtiger ziehen wollen als andere Völker bei ihren Männern. Jenseits der Grenze war Hitlers Befehl keine Rechtsgrundlage. Doch darf nicht vergessen werden, daß diese Grenze nach dem Wesen der Dinge nicht nur verschwommen ist, sondern im Frieden anders verläuft als im Krieg, dem Umwerter so vieler Werte, in dem die Menschen aller Nationen gerade auch unserer Zeit ihre Ehre in Taten setzten, vor denen sie sonst schaudern würden. Und der Entschluß zum Kriege gehört als solcher trotz seiner ungeheueren Folgen nicht in den Bereich jenseits der Grenze. Bei keinem Volk der Erde.

Hitler selbst hat im Verhältnis zu seinen Untergebenen diese Grenze der Unmenschlichkeit, der Außermenschlichkeit jedenfalls nicht als eine Grenze des Gehorsams anerkannt, und Auflehnung wäre auch hier in den Augen und für die Entschlüsse des unbeschränkt Mächtigen, des über einen unwiderstehlichen Apparat Verfügenden todeswürdiges Verbrechen gewesen. Was sollte derjenige tun, der einen Befehl aus dem Bereich von jenseits der Grenze erhielt? Eine furchtbare Lage! Die Antwort der griechischen Tragödie, die Antwort der Antigone in solchem Konflikt, kann nicht erzwungen werden. Es wäre weltfremd, sie als Massenerscheinung zu erwarten oder gar zu verlangen.

Ehe wir nun zu der besonderen Frage kommen, wer im Reich die Entscheidung über Krieg und Frieden hatte, bleibt noch ein Wort zu sagen zu den Gestalten, in denen Hitlers Befehle auftraten.

Die Befehle Hitlers sind Entschließungen nur dieses einen Mannes, ob sie mündlich oder schriftlich gegeben wurden, und im letzteren Fall: ob sie mehr oder weniger zeremoniell eingekleidet auftraten.

Es gibt Befehle Hitlers, die ohne weiteres als solche zu erkennen sind. Sie nennen sich »Erlaß« wie der Erlaß über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren vom 16. März 1939, oder [533] »Verordnung« wie die Verordnung zur Ausführung des Vierjahresplanes vom 19. Oktober 1936, oder »Weisung« wie die in diesem Prozeß so oft genannten strategischen Entschließungen, oder einfach »Beschluß« oder »Anordnung«. Oft steht allein der Name Hitlers unter ihnen; bisweilen finden wir die Mitunterzeichnung eines oder mehrerer hoher und höchster Funktionäre aus dem zivilen oder militärischen Sektor. Es wäre aber ein grundlegender Irrtum, anzunehmen, daß es sich hier um eine Gegenzeichnung im Sinne des modernen, demokratischen Verfassungsrechts konstitutionell oder parlamentarisch regierter Staaten gehandelt hat, um eine Gegenzeichnung, die verantwortlich macht gegenüber dem Parlament oder gegenüber einem Staatsgerichtshof. Hitlers Befehle waren seine Befehle und nur seine Befehle. Er war viel zu sehr fanatischer Verfechter des Einmannprinzips, das heißt des Grundsatzes, daß jede Entscheidung von einem und nur von einem Menschen gefällt werden muß, als daß er ausgerechnet bei seinen Entscheidungen etwas anderes auch nur für möglich gehalten hätte. Von seiner Selbsteinschätzung sehen wir dabei völlig ab. Was auch immer der mehr oder weniger dekorative Sinn solcher Gegenzeichnung gewesen sein mag, darüber ist nie Streit gewesen, daß Befehle des Führers nur sein Entschluß und niemandes anderen Entschluß waren.

Mit einem besonderen Hinweis muß dabei jener Gesetze gedacht werden, die als Reichsregierungs-oder Reichstagsgesetze ins Leben getreten sind.

Wenn Hitler ein Gesetz der Reichsregierung unterzeichnete, so war das formal die Ausfertigung eines Kabinettsbeschlusses. In Wahrheit ist aber die Entwicklung dahin gegangen, daß auch Reichsregierungsgesetze nur Beschlüsse Hitlers waren, der vorher einem Teil der Minister Gelegenheit gegeben hatte, die Stellungnahme ihrer Amtsbereiche darzutun. Und wenn Hitler ein Gesetz unterschrieb, das nach seiner Eingangsformel vom Reichstag beschlossen worden war, war das formal wieder nur eine Ausfertigung. In Wahrheit aber war es ein Beschluß Hitlers. Der Deutsche Reichstag ist spätestens seit November 1933 kein Parlament gewesen, sondern eine Versammlung zur Akklamierung von Erklärungen oder Entscheidungen Hitlers. Diese Gesetzgebungsszenen sind vielen Menschen im In- und Ausland geradezu als ein Versuch erschienen, demokratische Formen der Gesetzgebung karikierend lächerlich zu machen; niemand – weder im Inland noch im Ausland – hat sie als Vorgänge aufgefaßt, in denen eine Versammlung von mehreren hundert Männern nach Erwägungen und nach Rede und Gegenrede einen Beschluß faßte.

Es gibt aber auch Befehle Hitlers, die nicht von ihm unterschrieben sind, dennoch aber sofort als seine Befehle erkannt [534] werden. Sie sind ausgefertigt von einem Reichsminister oder einem anderen hohen Funktionär, der im Eingang sagt: »Der Führer hat angeordnet« oder »Der Führer hat befohlen«. Wir haben vor uns nicht einen Befehl des Unterzeichnenden, sondern eine Nachricht des Unterzeichnenden über einen mündlich erteilten Befehl Hitlers. So sind die Befehle Hitlers als des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht häufig in solche nachrichtliche Form gekleidet worden.

Schließlich gibt es Befehle Hitlers, die für die Öffentlichkeit als solche nur erkenntlich sind, wenn man staatsrechtlich Bescheid weiß. Wenn das Oberkommando der Wehrmacht einen Befehl herausgibt, so ist das stets ein Befehl Hitlers. Das OKW war Hitler selbst mit seinem Arbeitsstab. Die Befehlsgewalt nach außen lag allein bei Hitler.

Mit unseren Erläuterungen zur Herrschaftsordnung des Hitler-Reiches habe ich – sozusagen eingewickelt – bereits die Frage behandelt, wer für die letzten Entscheidungen, wer für die Existenzentscheidungen dieses Staates, insbesondere für die Entscheidung über Krieg und Frieden, zuständig war.

Kelsen hat in seiner großen Abhandlung aus dem Jahre 1943, die ich schon erwähnt habe59, gemeint: »Wahrscheinlich der Führer allein«, »probably the Fuehrer alone«. Wir müssen sagen: ganz sicher allein.

Unter der Weimarer Verfassung war allein zuständig der Reichsgesetzgeber. Denn Artikel 45 verlangte für Kriegserklärung und Friedensschluß ein Reichsgesetz. Und ein Reichsgesetz konnte nur der Reichstag oder das abstimmende deutsche Volk geben. Weder der Reichspräsident, also das Staatsoberhaupt, noch die Reichsregierung waren zuständig. Sie hätten höchstens durch Akte ihrer Zuständigkeit – etwa der Reichspräsident als Oberbefehlshaber der Wehrmacht – solche Tatsachen schaffen können, die den Reichsgesetzgeber in seiner Entschließung unfrei machten. Ein Problem, das, soviel ich weiß, in den Vereinigten Staaten für das Verhältnis des Präsidenten und des Kongresses praktisch geworden ist und darum ernstlich erörtert worden ist, während es für Deutschland der Weimarer Verfassung nicht praktisch geworden ist. Wenn aber der Gesetzgeber einmal durch Gesetz den Beschluß zum Kriege gefaßt hätte, dann wären der Reichspräsident und die gesamte Staatshierarchie, vor allem die Wehrmacht, ohne Prüfungs- oder gar Widerspruchsrecht an diesen Beschluß gebunden gewesen und wenn alle Völkerrechtsjuristen der Welt das Gesetz völkerrechtswidrig gefunden hätten. Die Weimarer Demokratie hätte so wenig wie irgendein anderer Staat dulden können, daß militärische Führer als solche die Kriegsentscheidung der politischen Führer in dem [535] Sinn nachprüften, daß sie gegebenenfalls den Gehorsam verweigerten. Die militärischen Machtmittel müssen zur Verfügung der politischen Führung eines Staates stehen. Sonst sind es überhaupt keine Machtmittel. Das war schon immer so. Und es wird erst recht so sein müssen, wenn unter den Staaten die Pflicht zum Beistand gegen Angreifer wirklich gelten soll.

Ich habe bereits geschildert, daß im Zuge einer schichtweisen Wandlung, die legale Formen betonte, Hitler an die Stelle allerobersten Machthaber der Weimarer Zeit trat und alle obersten Zuständigkeiten in sich vereinigte. Sein Befehl war Gesetz.

Es kann nun in einem Staat so sein, daß derjenige, der für die Entscheidung über Krieg und Frieden rechtlich allein zuständig ist, praktisch nicht oder nicht allein maßgeblich ist. Wenn aber je in einem Staate beides zusammengefallen ist, die rechtliche Alleinzuständigkeit und die praktische Alleinmaßgeblichkeit, dann in Hitler-Deutschland. Und wenn je bei irgendeiner Frage Hitler auch nur den Rat eines Dritten angenommen hat, in der Frage, ob Krieg oder Frieden, nicht. Er war der Herr über Krieg und Frieden zwischen dem Reich und den übrigen Staaten. Er allein.

Ich schließe:

Strafurteile gegen einzelne wegen Bruchs des zwischenstaatlichen Friedens wären etwas rechtlich völlig Neues, umwälzend Neues. Wir mögen nun die Dinge vom Standpunkt des Herrn britischen oder des Herrn französischen Hauptanklägers sehen.

Strafurteile gegen einzelne wegen Bruchs des zwischenstaatlichen Friedens setzen andere Rechtsordnungen voraus, als diejenigen waren, die zur Zeit der vor dieses Gericht gebrachten Taten galten.

Die rechtliche Schuldfrage – und nur mit ihr habe ich es hier zu tun – ist damit in ihrer ganzen Schwierigkeit gestellt. Denn keiner der Angeklagten konnte auch nur eines der beiden rechtlichen Weltbilder haben, von denen die Herren Hauptankläger ausgehen.


VORSITZENDER: Dr. Sauter! Können wir die Zeit von jetzt bis 1.00 Uhr für den Brief verwenden, wenn Sie ihn jetzt haben, und vielleicht hat auch Dr. Exner seinen Brief.


DR. SAUTER: Der Angeklagte Walter Funk ist hier unter Eid vernommen worden. Nach seiner Vernehmung hat er mir erklärt, in einem Punkt stimme seine Aussage nicht ganz, und er hat mich ersucht, in diesem Punkt seine Aussage richtigzustellen. Da er selbst hierzu keine Möglichkeit hatte, habe ich unter dem 17. Juni 1946 an den Herrn Präsidenten des Internationalen Militärtribunals folgenden Brief gerichtet, der sowohl vom Verteidiger Dr. Sauter, wie auch vom Angeklagten Walter Funk persönlich unterzeichnet war. Ich darf den Brief im Wortlaut vorlesen:

»Betrifft: Strafsache Walter Funk. Berichtigung einer Zeugenaussage.

[536] Der Angeklagte Walter Funk hat in seiner eigenen Vernehmung im Kreuzverhör am 7. Mai gesagt, daß er, nämlich Funk, erst durch den Vizepräsidenten Puhl von einem Depot der SS bei der Reichsbank verständigt worden sei. Der Zeuge Emil Puhl hat dann aber bei seiner Vernehmung ausgesagt, daß Funk es gewesen sei, der zunächst mit dem Reichsführer-SS, Himmler, gesprochen habe und er, nämlich Puhl, sei dann von Funk hinsichtlich des zu errichtenden Depots verständigt worden. Aus den Bekundungen des Zeugen Emil Puhl hat der Angeklagte Funk die Überzeugung gewonnen, daß tatsächlich in diesem Punkt die Angabe des Zeugen Emil Puhl richtig ist, und bei längerem Nachdenken glaubte der Angeklagte Funk sich auch selbst zu erinnern, daß zunächst er, nämlich Funk, von dem Reichsführer-SS, Himmler, wegen der Errichtung eines Depots für die SS angesprochen wurde und dann hiervon den Vizepräsidenten Puhl verständigte. Die Angabe, die der Angeklagte Funk bei dem Kreuzverhör machte, beruhte auf einem Erinnerungsfehler, und zwar ver anlaßt durch die Tatsache, daß Funk durch diese Kreuzverhörfragen der Anklage völlig überrascht und stark erregt wurde. Funk hat, gleich nach der Vernehmung des Zeugen Puhl, mich von seinem Erinnerungsfehler verständigt und mich gebeten, seine objektive unrichtige Angabe zu diesem Punkt zu berichtigen, da er selbst hierzu keine Gelegenheit mehr habe.

Ich komme hiermit dem Ersuchen des Angeklagten Funk nach und gestatte mir, den Herrn Präsidenten von dem richtigen Sachverhalt zu verständigen. Der Angeklagte Funk erklärt sein Einverständnis mit dieser Richtigstellung durch Mitunterzeichnung der gegenwärtigen Eingabe.«

Es folgen dann die beiden Unterschriften »Walter Funk« und »Dr. Fritz Sauter«. Das ist der Inhalt des Briefes, den ich am 17. Juni 1946 an den Herrn Präsidenten zwecks Berichtigung der Zeugenaussage Funk gerichtet habe.

VORSITZENDER: Ich danke Ihnen, Dr. Sauter.

Dr. Exner! Haben Sie Ihren Brief schon, so daß Sie ihn verlesen können?


PROFESSOR DR. FRANZ EXNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Herr Vorsitzender! Ich war unten bei dem Herrn Generalsekretär, und es wurde mir versprochen, daß ich ihn um 1.30 Uhr bekomme. Ich habe ihn aber noch nicht bekommen. Es tut mir leid, daß ich augenblicklich nicht im stande bin, der Aufforderung des Herrn Präsidenten zu entsprechen.


VORSITZENDER: Sie werden ihn dann wohl um 2.00 Uhr haben.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


1 Note des Staatssekretärs Kellogg an den Französischen Botschafter vom 27. 2. 1928.


2 Note der Regierung der Vereinigten Staaten an die Regierungen von Großbritannien, Deutschland, Italien und Japan vom 13. 4. 1928.


3 »Considérée jadis comme le droit divin et demeurée dans l'éthique internationale comme une prérogative de la souveraineté, une pareille guerre est enfin destituée juridiquement de ce qui constituait son plus grave danger: sa légitimité. Frappée désormais d'illégalité, elle est soumise au régime conventionnel d'une véritable mise hors la loi...«

Die Rede des französischen Außenministers findet sich abgedruckt in: »The Department of State, Treaty for the Renunciation of War. United States Government Printing Office.« Das Zitat steht auf S. 309.


4 Commentaire du Pacte de la Société des Nations selon la politique et la jurisprudence des organes de la Société. Paris 1930. (Siehe besonders S. 73 ff.) Weiter in den Nachträgen von 1931-1935; 1er Suppl. au Commentaire du Pacte (1931) p. 13 seq.; 2e Suppl. (1932) p. 17 seq.; 3e Suppl. (1933) p. 18, 39; 4e Suppl. (1935) P. 19, 99.


5 Congress Rec., Proceed, and Deb. of the 2nd Sess. of the 70th Congress of the U. S., vol. LXX. Part 2, p. 1333 (»grand vision of World peace«).


6 Vgl. BAKER, Ray Stannard, Woodrow Wilson and World Settlement, New York 1922 im ganzen.


7 Vgl. KUHN Arthur K., Observations of Foreign Governments upon Secretary Hull's Principles of Enduring Peace (A. J., vol. 32, 1938, p. 101-106). Weiter: WILSON, Woodrow, War and Peace. Presidential Messages, Addresses and Public Papers, 1917-1924 (ed. by Ray Stannard Baker and William E. Dodd), New York 1927.


8 Commentaire p. 74.


9 Über die unbestreitbare Tatsache des Zusammenbruchs und die Schuld der Großmächte daran vgl. die bitteren Feststellungen von FENWICK aus der Zeit kurz vor dem zweiten Weltkrieg (International Law and Lawless Nations. A. J., vol. 33, 1939, p. 734-745).


10 Neutrality and Unneutrality (A. J., vol. 32, 1938, p. 778 seq.).


11 Vgl. auch Memorandum on the Signature by His Majesty's Government in the United Kingdom of the Optional Clause of the Statute of the Permanent Court of International Justice (Cmd. 3452, Miscellaneous Nr. 12, 1929).


12 Es ist derselbe Gedankengang, den BRIERLY, Some Implications of the Pact of Paris (Br. YB, 1929) entwickelt hat.


13 »Tout le mécanisme prévu pour le maintien de la paix s'est disloqué.«


14 Parl. Deb., H. C., vol. 332, col. 226 seq.


15 Parl. Deb., H. C., vol. 353, Nr. 198, col. 1178 (21. 11. 1939).


16 Vgl. Jahrreiss-Plädoyer, Annex, Exh. Nr. 35 und 36.


17 Entschließungen der Versammlung und des Rates vom 14. 12. 1939.


18 Congress Rec. Proceed. and Deb. of the 2nd Session of the 70th Congress of the U. S. Vol. LXX, Part 2, Vgl. auch (p. 1169-1199.) ELLERY C. SHOTWELL, Responsibility of the United States in Regard to International Cooperation for the Prevention of Aggression (A. J., vol. 26, 1932, p. 113).


19 Vgl. dazu auch BRIERLY, J. L., Some Implications of the Pact of Paris (Br. YB 1929). Er meint, eine Neutralitätsverletzung sei unmöglich. 1936 hat dann denselben Gedanken der Engländer McNAIR ausgesprochen: Collective Security (Br. YB).


20 Vgl. etwa:

EAGLETON, Clyde, An Attempt to define Aggression (International Conciliation Nr. 264, 1930),

CUTEN, A., La notion de guerre permise, Paris 1931.

WRIGHT, Quincy, The Concept of Aggression in International Law (A. J., vol. 29, 1935, p. 395 seq.).


21 Note der Regierung der Vereinigten Staaten an die Regierungen von Großbritannien, Deutschland, Italien und Japan vom 13.4.1928; Vertragsentwurf der Französischen Regierung vom 20.4.1928; Note des britischen Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten vom 19.5.1928 an den Amerikanischen Botschafter; Note der USA-Regierung an alle neun Verhandlungspartner vom 23.6.1928; Note des britischen Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten vom 18.7.1928; Note des Sowjet-Außenkommissars an den Französischen Botschafter vom 31.8.1928.


22 Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten vom 31.8.1928.


23 Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten vom 31. 8.1928.


24 »... The right of self-defense... is inherent in every sovereign state and is implicit in every treaty. Every nation... alone is competent to decide whether circumstances require recourse to war in self-defense.« Vgl. auch KELLOGG, F., The War Prevention Policy of the United States (A. J., vol. 22, 1928, p. 261 seq.).


25 Congress Rec. Proceed. and Deb. of the 2nd Session of the 70th Congress of the US. Vol. LXX, Part 2 (Jan. 5, 1929, to Jan. 26, 1929, p. 1169 seq.). Washington 1929.


26 International Lawlessness (A. J., vol. 32, 1938, p. 775).


27 Collective Security (Br. YB, 1936, p. 150 seq.).


28 Neutrality and Unneutrality (A. J., vol. 32, 1938, p. 778 seq.).


29 International Law and Lawless Nations (A. J., vol. 33, 1939, p. 743 bis 745).


30 Vgl. auch SCELLE, George, Théorie juridique de la revision des traités, Paris, 1936; weiter: KUNZ, Josef, The Problem of Revision in International Law (»peaceful change«), A. J., vol. 33, 1939, p. 33-35.


31 International Lawlessness (A. J., vol. 32, 1938, p. 775).


32 BRIERLY, Some Implications of the Pact of Paris (Br. YB, 1929, p. 208 seq.).


33 Die berühmten »Budapester Artikel«, International Law Association; Briand-Kellogg Pact of Paris, London 1934, p. 63 seq.


34 Commentaire p. 371.


35 Vom 8. März 1930. Siehe auch RUTGERS im Recueil des Cours (Academie de Droit International) vol. 38, p. 47 seq. Weiter: Budapester Artikel 7. Weiter: Josef KUNZ, Plus de loi de la guerre? (Revue Générale de Droit International Public, 1934.) – COHN, Neo-Neutrality (1939).


36 Der peruanische Delegierte CORNEJO 1929 in der Kommission der Versammlung des Völkerbundes (Assemblée 1929, C III J. O., o. 201): Es gibt keine Neutralität mehr!

STIMSON, The Pact of Paris, Address 8. August 1932.

Pakt von Rio de Janeiro vom 10. 10. 1933.

Erklärung HULL's zum Neutralitätsgesetz vom 17. 1. 1936.

Rede des schwedischen Außenministers SANDLER vom 6. 12. 1937; vgl. Jahrreiss-Plädoyer, Annex Exh. Nr. 27.

3. 10. 1939: Declaration of Panama; der Notenwechsel der 21 amerikanischen Republiken mit England, Frankreich und Deutschland (23.12.1939; 14. 1., 23.1., 14. 2.1940) steht ganz auf dem Boden des klassischen Neutralitätsrechts.

Die Budapester Artikel.

LITERATUR: D'ASTROY, B. (1938), BATY, Th. (1939), BONN, M. J. (1936/37), BORCHARD E. M. (1936, 1937, 1938, 1941), BRIERLY, J. L. (1929, 1932), BROWN, Ph. M. (1936, 1939), BUELL (1936), COHN (1939), DESCAMPS, de (1930), EAGLETON, Clyde (1937), FENWICK, Charles G. (1934, 1935, 1939), FISCHER WILLIAMS, Sir John (1935, 1936), GARNER, James Wilford (1936, 1938), HAMBRO, Edvard (1938), HYDE, C. C. (1937, 1941), JESSUP, P. C. (1932, 1935, 1936), LAUTERPACHT (1935, 1940), MANDELSTAM (1934), MILLER, David Hunter (1928), McNAIR (1936), POLITIS, N. (1929, 1935), RAPPARD, W. E. (1935-1937), SCHINDLER, D. (1938), STIMSON, H. (1932), STOWELL, Ellery C. (1932), TENEKIDES, C. G. (1939), WHITTON, J. B. (1927, 1932), WRIGHT, Quincy (1940).


37 Réserves de la Délégation Suisse (M. Motta) vom 10. 10. 1935.


38 Udenrigspolitiske Meddelelser 4. Jahrgang, Nr. 4-5, S. 122 f.; vgl. Jahrreiss-Plädoyer Annex Exh. Nr. 30.


39 Actes de la IIe Ass., séance des commissions, I, p. 396 ss.


40 Actes de la IXe Ass., p. 75.


41 Dept. of state, Press Releases, Jan. 9, 1932, p. 41.


42 Actes de l'Ass. ectr. (J. O., Suppl. special, Nr. 101, p. 87).


43 Jean RAY, 4e Suppl. du Commentaire, 1935, p. 10: »Un homme d'État a dit un jour en parlant de l'article 16 que, s'il s'appliquait, il ne s'appliquerait sans doute, qu'une fois. On peut dire la meme chose de tout le mécanisme qui doit faire obstacle a la guerre«. – Vgl. auch FISCHER WILLIAMS, Sir John, Sanctions under the Covenant (Br. YB 1936) und McNAIR, Arnold D.


44 Zur Stimson-Doktrin und zum Abessinien-Fall vgl. die Werke und Abhandlungen von BORCHARD (1933), FISCHER WILLIAMS (1936), McNAIR (1933), SHARP (1934), STIMSON (1932), WILD (1932), WRIGHT (1932, 1933).


45 Zum System der »kollektiven Sicherheit« vgl. aus dem Schrifttum zur gesamten völkerrechtlichen Lage: BRIERLY (1932), BOURQUIN (1934), BROUC KERE (1934), CUTEN (1931), DESCAMPS (1930), EAGLETON (1930, 1937, 1938), ELBE (1939), FENWICK (1932, 1934, 1935, 1939), FISCHER WILLIAMS (1932, 1933, 1935, 1936), GIRAUD (1934), GARNER (1936), GRAHAM (1929, 1934), HILL (1932), HYDE (1941), JESSUP (1935), MANDELSTAM (1934), POLITIS (1929), RITGERS (1931), SHOTWELL (1928), WICKERSHAM (1928/1929), WHITTON (1932), WRIGHT (1942).


46 Parl. Deb., H. L. 5th ser., vol. 95, cols. 1007, 1043.


47 LAUTERPACHT, The Pact of Paris and the Budapest Articles of Interpretation (Transactions of the Grotius Society, XX, 1935, p. 178) zieht die Folgerungen aus der Tatsache, daß die Staaten annehmen oder ablehnen können, was in Budapest als Recht logisch erschlossen wurde. Daß die Staaten die Budapester Artikel nicht angenommen haben, stellt JESSUP fest (Neutrality, its History, Economies and Law, vol. IV, Today and Tomorrow, 1936).


48 Vgl. A. J., vol. 31, 1937, p. 680-693.


49 Vgl. die zustimmenden Ausführungen von KUHN, Arthur K., Observations of Foreign Governments upon Secretary HULL's Principles of Enduring Peace (A. J., vol. 32, 1938, p. 101-106).


50 Vgl. WRIGHT in A. J., vol. 34, 1940, p. 680 seq. Vor allem ist hier die Rede STIMSON's vom 6. 1. 1941 zu nennen.


51 Das betont auch FISCHER WILLIAMS, Sanctions under the Covenant (Br. YB, 1936. p. 130 seq.) Auch KELSEN, Collective and Individual Responsibility... (1943), p. 531.


52 Eine nur zu sehr berechtigte Warnung vor falschen Vorstellungen bei dem Wort crime international gibt FISCHER WILLIAMS, Sanctions under the Covenant (Br. YB, 1936, p. 130 seq.)


53 Actes de l'Assemblée, 1927, P., p. 153. Dazu Jean RAY. Commentaire, p. 74/75.


54 Richtig FISCHER WILLIAMS, Sanctions under the Covenant (Br. YB, 1936).


55 Collective and Individual Responsibility..., p. 534, 538, 539, 540, 542.


56 SCOTT, James Brown, betont das große Verdienst, das sich die amerikanischen Delegierten damals um das Recht erworben hätten. (In HOUSESEYMOUR, What really happened at Paris-New York 1921.) – WILLIAMS, E. T., The Conflict between Autocracy and Democracy (A. J., vol. 32, 1938, p. 663 seq.) p. 664. – KELSEN, Hans, Collective and Individual Responsibility..., p. 541. Vgl. auch BORCHARD, Edwin, Neutrality and Unneutrality (A. J., vol. 32, 1938, p. 778 seq.).


57 KELSEN meint wohl, es gäbe keinen solchen Staat. (Collective and Individual Responsibility.... p. 543.)


58 Vgl. Jahrreiss-Plädoyer Annex Exh. Nr. 42.


59 KELSEN, Collective and Individual Responsibility, p. 546.


Anmerkung des Herausgebers:

»Der Gerichtshof wies die Verteidiger in mehreren Fällen an, schriftlich vorliegende Plädoyers von übermäßiger Länge bei mündlichem Vortrag vor Gericht zu kürzen. Von den ausgelassenen Absätzen werde das Gericht amtlich Kenntnis nehmen.

Diese Absätze sind in den folgenden Verhandlungen in Kleindruck [in der digitalen Ausgabe in Sonderfarbe 1] wiedergegeben.«


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 17, S. 538.
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