Vormittagssitzung.

[303] [Der Zeuge Dr. Schlegelberger im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Ich glaube, Sie haben einen Antrag zu stellen. Haben Sie Bescheid bekommen?

DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Nein.


VORSITZENDER: Sie wollten den Zeugen Vizeadmiral Bürkner beantragen und ein Gesuch stellen, Vizeadmiral Bürkner besuchen zu dürfen.


DR. SIEMERS: Ja.


VORSITZENDER: Und dann drei Dokumente, das »Taschenbuch der Kriegsflotten« für die Jahre 1908 bis 1914 und ein »Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen (Nauticus)« der Jahre 1906, 1912 und 1914, und drittens ein historisches Werk über die deutsche Kriegsmarine?


DR. SIEMERS: Ja, das ist richtig, Herr Präsident. Ich habe diese Anträge beim Herrn Generalsekretär gestellt, und zwar zu Informationszwecken.


VORSITZENDER: Dieser Antrag kommt ziemlich spät, falls nicht besondere Gründe dafür vorliegen. Der Gerichtshof hat schon mitgeteilt, daß er Anträge für Zeugen und Dokumente nur bewilligen wird, falls ganz besondere Gründe dafür bestehen. Deshalb möchten wir wissen, was diese besonderen Gründe sind.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich kann noch nicht übersehen, wie weit irgend etwas im Rahmen der Beweisführung des Generalstabs notwendig wird. Es sind ein paar Punkte, die ich gerne überprüfen wollte, und zu diesem Zweck hatte ich diesen Antrag gestellt. Ich vermute und glaube, daß ich anschließend keine Anträge vor Gericht mehr zu stellen brauche, bat aber darum, um mir die Möglichkeit zu geben, mich selbst während dieses Prozesses zu informieren.


VORSITZENDER: Sie wollen eine lange Reise unternehmen, um Vizeadmiral Bürkner zu sprechen, noch bevor die Beweisaufnahme dies notwendig erscheinen läßt?


DR. SIEMERS: Soviel ich weiß, ist Bürkner in Ansbach.


VORSITZENDER: Entspricht es nicht den Tatsachen, daß Vizeadmiral Bürkner hier war, als er als Zeuge für den Angeklagten [303] Jodl vernommen werden sollte und daß er dann nicht aufgerufen wurde und daher nun Nürnberg verlassen hat?


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich hoffe auch, daß es nicht notwendig wird. Die Beweisführung für den Generalstab hat aber erst jetzt vor den Kommissionen stattgefunden, und dadurch war es gekommen, daß ich noch einige Fragen besprechen wollte, weil das Dinge sind, die in der früheren Beweisführung für die Einzelangeklagten nicht aufgekommen sind.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird über diesen Antrag beraten.


DR. SIEMERS: Ich darf noch etwas hinzufügen, Herr Präsident. Ich hatte vorher gefragt und mir war es gesagt worden beim Generalsekretär, es würden an sich keine Schwierigkeiten entstehen und ich könnte, wenn ich Admiral Bürkner noch einmal sprechen wollte, dies tun. Also ahnte ich damals nicht, daß es auf so große Schwierigkeiten stoßen würde. Ich bitte das Gericht, mir, wenn möglich, diese Möglichkeit zu geben.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Sache prüfen.

Will der Verteidiger für das Reichskabinett diesen Zeugen einem Rückverhör unterziehen?

DR. KUBUSCHOK: Es ist Ihnen, Herr Zeuge, gestern ein Brief vorgelegt worden, ein Brief von Ihnen an den Reichsminister Dr. Lammers. Wie ist es zu diesem Brief gekommen?


SCHLEGELBERGER: Aus diesem Brief an Reichsminister Lammers entnehme ich folgendes:

Es hat am 6. März, wohl auf Veranlassung des Rassenamtes der SS, eine Besprechung stattgefunden über die Behandlung der jüdischen Mischlinge. Wo die Beratung stattgefunden hat, weiß ich heute nicht, jedenfalls nicht im Justizministerium. In dieser Beratung sind Vorschläge gemacht worden, die ich für völlig unmöglich gehalten habe. Die jüdischen Mischlinge sollten ohne Unterschied wie die Juden behandelt und in Arbeitslager nach Polen abgeschoben werden. Um Beschlüsse zu verhindern, die ich für völlig untragbar hielt, habe ich mich an Reichsminister Lammers gewandt. Ich darf schon hier betonen, daß das Justizministerium bei dieser Sache sozusagen nur am Rande beteiligt war, das heißt, nur, weil gelegentlich dieser Vorschläge auch eine Zwangsehescheidung vorgeschlagen war, eine Maßnahme, die ganz gewiß sehr wichtig, aber im Verhältnis zum Gesamtproblem nur eine Nebenfrage war.


DR. KUBUSCHOK: Es ist Ihnen dann gestern noch ein Brief von Ihnen vom 5. April 1942 an verschiedene Parteistellen vorgelegt worden. Der Inhalt des Briefes steht offensichtlich im Zusammenhang mit dieser Referentenbesprechung vom 6. März. Können Sie etwas Näheres über die Zusammenhänge sagen?


[304] SCHLEGELBERGER: Wenn ich diese beiden Briefe betrachte, so kann ich nur folgendes feststellen: Offensichtlich hatte ich dabei vom Reichsminister Lammers nicht die notwendige Unterstützung gefunden. Ich wollte aber unter allen Umständen den Vorschlag zu Fall bringen. Ich erkannte, daß mit einer reinen Negation nicht weiterzukommen war, vielmehr mußte ich einen positiven Vorschlag machen, der dahin ging, den Kreis der Betroffenen möglichst einzuschränken. Deshalb schlug ich vor, von den Maßnahmen ganz auszuschließen: Erstens: Die Mischlinge zweiten Grades, das heißt, die Mischlinge, die nur einen nichtarischen Großelternteil hatten; weiter auszuschließen waren zweitens von den Mischlingen ersten Grades diejenigen, die nicht fortpflanzungsfähig waren, und drittens die Mischlinge ersten Grades, die noch lebende Nachkommen hatten, die selbst nicht Halbjuden sind.

Es blieb also nur noch ein beschränkter Kreis der Mischlinge ersten Grades übrig; betreffs diesem schlug ich vor, ihnen die Möglichkeit zu geben, durch eine Unfruchtbarmachung der Abschiebung zu entgehen. Schließlich habe ich einer Zwangsehescheidung widersprochen.

Ich möchte nur heute wiederholen, was ich gestern am Schlusse gesagt habe: Ich bedaure tief, daß nach den damaligen Zuständigkeiten und den damaligen Kräfteverhältnissen ich nicht einen besseren Vorschlag habe machen können.


DR. KUBUSCHOK: Sie sind gestern kreuzverhört und über den Rücktritt des früheren Wirtschaftsministers Dr. Schmidt gefragt worden. Ist es richtig, daß der Rücktritt Schmidts auf Grund einer monatelangen Krankheit erfolgte, daß er einer Arbeitsleistung unfähig geworden war, nachdem er ohnmächtig bei einer Sitzung zusammengebrochen war, und daß sich also sein Rücktritt zwangsläufig aus den rein persönlichen gesundheitlichen Gründen ergab?


SCHLEGELBERGER: So ist es mir erzählt worden.


DR. KUBUSCHOK: Danke, ich habe dann keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Zeuge! Erinnern Sie sich an Ihre Briefe an Dr. Lammers, die, wie ich sehe, vom 6. März oder 6. April 1942 waren, und über die Sie soeben befragt wurden?


SCHLEGELBERGER: Ich erinnere mich an die Briefe.


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie dahingehend verstanden zu haben, daß Ihrer Meinung nach die Bedingungen in den Arbeitslagern in Polen so waren, daß Halbjuden es vorziehen würden, sich unfruchtbar machen zu lassen?


SCHLEGELBERGER: Das ist meine Meinung.


[305] VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


Ich rufe nun Dr. Pelckmann.

MAJOR F. ELWYN JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Wenn Euer Lordschaft gestatten, möchte ich, bevor Dr. Pelckmann die SS-Zeugen verhört, dem Gerichtshof einen Antrag über den Zeugen Sievers vorlegen, der bereits vor der Kommission ausgesagt hat.

Gestern, Euer Lordschaft, trafen ungefähr 16 Dokumente von großer Wichtigkeit in Nürnberg ein. Sie stammen aus den Akten Himmlers. Einige dieser Dokumente sind Schreiben von Sievers selbst. Sie alle nehmen Bezug auf die Arbeit einer wichtigen Einrichtung der SS, nämlich des »Ahnenerbes«, der SS-Ahnenerbe-Forschungsorganisation, deren Chef Sievers war.

Diese Dokumente beziehen sich auch auf das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung. Der Zweck meines Antrags ist, mir zu gestatten, Sievers vor dem Gerichtshof mit Bezug auf die Dokumente ins Kreuzverhör zu nehmen. Ich beantrage dies wegen der besonderen Wichtigkeit der Dokumente. Ich glaube, ihr Inhalt sollte ein Teil der Akten des Prozesses werden und ich schlage vor, diese Dokumente Sievers persönlich vorzuhalten. Nach meiner Meinung widerlegen sie die Aussagen von Sievers vor der Kommission vollständig, und ich glaube, auch der Gerichtshof wird wohl den Zeugen verhören wollen. Jedenfalls ist es meine Absicht, diese Dokumente vorzulegen, falls man es mir gestattet. Ich glaube nicht, daß es längere Zeit in Anspruch nehmen würde, wenn ich sie dem Zeugen selbst vorlege.


VORSITZENDER: Sie sprechen doch von einem Zeugen, der bereits vor der Kommission war?


MAJOR ELWYN JONES: Ja, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Er ist aber noch nicht vor dem Gerichtshof verhört worden und es ist dies auch nicht beantragt worden?


MAJOR ELWYN JONES: Nein.


VORSITZENDER: Ist er noch in Nürnberg?


MAJOR ELWYN JONES: Ja, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Ist er nicht einer der Zeugen, der bereits Dr. Pelckmann genehmigt wurde?


MAJOR ELWYN JONES: Nein, er ist ein zusätzlicher Zeuge.


VORSITZENDER: Ja.


MAJOR ELWYN JONES: Dr. Pelckmann ist gegen meinen Antrag.


[306] VORSITZENDER: Sehr gut. Wir werden Sie jetzt darüber hören, Doktor.


RECHTSANWALT HORST PELCKMANN, VERTEIDIGER FÜR DIE SS: Euer Lordschaft! Ich bedaure, dem Antrag der Anklagebehörde auf Zulassung des Kreuzverhörs des Zeugen Sievers widersprechen zu müssen. Ich möchte vorausschicken, daß ich damit nicht die weitere Aufklärung des Falles der SS und die weitere Aufklärung der Vorwürfe gegen Sievers verhindern will. Meine Gründe sind grundsätzlicher Art und folgende: Auf keinen Fall kann jetzt das Kreuzverhör vor dem Gericht erfolgen. Sievers ist nicht einer von den Zeugen, die ich vor das Tribunal gerufen habe. Wenn überhaupt, dann kann das Kreuzverhör nur vor der Kommission erfolgen. Ich muß mich aber aus rein prozessualen Gründen auch dagegen wenden. Die Anklagebehörde, die seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, im Besitz eines umfangreichen Urkundenmaterials ist – alles Material ist beschlagnahmt – und die durch ihre ausgedehnten Hilfsorganisationen, zum Beispiel den CIC, den Nachrichtendienst, die Zeugen, die sich ja alle in Lagern befinden, seit über einem Jahr vernommen hat, hatte also alle Möglichkeiten, das Kreuzverhör vor der Kommission vorzubereiten. Es ist nach meiner Meinung nicht zulässig, wenn die Anklagebehörde trotz dieser Vorteile, die sie gegenüber der Verteidigung hat, jetzt die Beweisaufnahme vor der Kommission fortsetzen kann.

Ich ziehe meinen Widerspruch ausdrücklich zurück, falls meinem vor Monaten gestellten Antrag entsprochen werden würde, die Dokumentenzentralen der Alliierten auf entlastendes Material eingehend durchprüfen zu können. Das würde ich für fair halten, falls das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft entspricht. Ich wäre dann nämlich endlich in der Lage, entlastendes Urkundenmaterial vorzulegen. Ich nehme meinen Widerspruch ausdrücklich zurück, wenn mir ferner gestattet wird, auf Grund des so gefundenen urkundlichen Entlastungsmaterials die Vernehmung der Zeugen vor der Kommission genau so fortzusetzen, wie dies jetzt die Anklagebehörde für den Zeugen Sievers beantragt hat. Man sieht, daß es der Staatsanwaltschaft nur durch eingehende Durchforschung des Urkundenmaterials in den Dokumentenzentralen möglich war, weitere Belastungen herbeizuschaffen. Sollte es angesichts dessen nicht billig sein, wenn auch der Verteidigung einmal diese Chance der Einsichtnahme gewährt wird, um entlastendes Material zu finden?


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Bevor der Gerichtshof über diesen Antrag eine Entscheidung trifft, möchte ich noch eine Erklärung abgeben. Mindestens zum zweitenmal schließt Dr. Pelckmann aus dem ihm nicht gestatteten Zutritt zum Dokumentenzimmer auf eine Beeinträchtigung der Verteidigung.

[307] Ich will hier ganz klarstellen, daß wir wissen, was in diesem Dokumentenzimmer ist und daß wir genau wissen, es liegt dort kein Dokument, das den hier vorgebrachten Beweis irgendwie widerlegt und daß, wenn dies der Fall wäre, diese Dokumente dem Gerichtshof und dem Angeklagten zugänglich gemacht worden wären. Ich halte es für richtig, festzustellen, daß wir eine derartige Unterstellung seitens der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt unangenehm empfinden.


RA. PELCKMANN: Darf ich dazu etwas sagen. In meinem Dokumentenbuch, wenn der Herr Anklagevertreter das gemeint hat, befinden sich Dokumente, die ich gefunden habe entweder im Schriftenmaterial, was heute noch nicht erfaßt ist, oder in Dokumenten, die ich nach genauer Bezeichnung durch Vermittlung des Herrn Generalsekretärs und nach Beschlußfassung durch das Gericht bekommen habe. Ich sage aber, ich bin gar nicht in der Lage genaue Dokumente zu bezeichnen, wie es das Hohe Gericht in solchen Fällen verlangt, wenn ich nicht vorher, genau so wie die Anklagebehörde, in die Lage versetzt werde, das besagte Material daraufhin durchzuprüfen. Und dies ist der springende Punkt. Wir sehen an diesem Fall, wie es der Anklagebehörde, im Gegensatz zu der Verteidigung, insbesondere bezüglich der Organisationen möglich ist, Material...


VORSITZENDER: Sie haben uns das bereits gesagt und wir verstehen Ihren Standpunkt völlig.

Der Gerichtshof gibt dem Gesuch statt, den Zeugen hier zum Kreuzverhör vorzuführen. Dieser Zeuge hat bereits vor der Kommission ausgesagt und nach der Meinung des Gerichtshofs ist es wichtig, daß seine Aussage vollständig ist und vor dem Gerichtshof völlig ans Tageslicht gebracht wird. Da diese Dokumente erst jetzt in die Hände der Anklagevertretung gekommen sind, hält es der Gerichtshof für richtig, diese Dokumente dem Zeugen vorzulegen. Es ist äußerst zweckdienlich und zeitsparend, diese Dokumente dem Zeugen vor dem Gerichtshof vorzuhalten.

Wenn nun Dr. Pelckmann einwendet, die Verteidigung sei in Bezug auf das Einsehen von Dokumenten nicht fair behandelt worden, so kann der Gerichtshof keinen Grund für diese Beschwerde erkennen. Es wäre nicht angemessen, der Verteidigung etwas zu erlauben, was man wohl am besten einen »Fischzug« in Tausenden von Dokumenten, die die Anklage in Händen hat, nennen würde. Wenn die Verteidigung irgendein besonderes Dokument einsehen will, so wird ihr das zur Verfügung gestellt werden.

Ich habe bereits festgestellt, daß ein Dokument, das der Verteidigung behilflich sein kann, ihr zur Verfügung gestellt werden sollte. So ist jedenfalls die Handhabung im englischen Gerichtswesen und Herr Dodd hat jetzt dem Gerichtshof mitgeteilt, daß, [308] wenn es im Dokumentenzimmer der Anklagevertretung irgendwelche Dokumente geben würde, die der Verteidigung irgendwie nützlich sein könnten, sie der Verteidigung zur Verfügung gestellt würden.


RA. PELCKMANN: Ich möchte nur sagen, daß ich nicht gesagt habe, die Verteidigung wäre nicht fair behandelt worden, ich habe nur gesagt...


VORSITZENDER: Ich erkläre Ihnen nur, warum der Gerichtshof es nicht für möglich hält, die Verteidigung im Dokumentenraum der Anklagevertretung nach Belieben Nachschau halten zu lassen.

Bitte rufen Sie Ihren Zeugen.


RA. PELCKMANN: Ich rufe den Zeugen Freiherr von Eberstein.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Zeuge! Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE FRIEDRICH KARL FREIHERR VON EBERSTEIN: Friedrich Karl Freiherr von Eberstein.


VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

RA. PELCKMANN: Ich wäre Euer Lordschaft sehr dankbar, wenn die Übersetzung so geregelt werden könnte, daß technisch bezeichnete Dinge, Dienstbezeichnung von Personen und Ämtern, möglichst in den Originalwortlaut, den deutschen Wortlaut, übersetzt werden könnten, weil bei der Übersetzung häufig Verwechslungen entstehen könnten. In der SS-Organisation gibt es so viele besondere Bezeichnungen, die schwer in der Übersetzung auseinanderzuhalten sind.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält es für zweckdienlich, beides, sowohl die deutsche als auch die englische Bezeichnung – oder die Bezeichnung in einer der anderen Sprachen – zu geben.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Waren Sie vor 1933 und nach 1933 Angehöriger der Allgemeinen SS?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Sind Sie der sogenannten Allgemeinen SS bereits 1928 beigetreten?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


[309] RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Ich möchte bitten, hinter jeder Frage eine Pause zu machen, genau so wie ich mich befleißigen werde, hinter jeder Antwort eine Pause zu machen.

Hatte die SS 1928 einen eigenen Befehlshaber oder unterstand sie dem Befehlshaber der SA?


VON EBERSTEIN: 1928 unterstand die SS der Obersten SA-Führung. Der Stabschef war damals ein Hauptmann von Pfeffer. Himmler war noch nicht Reichsführer-SS. Die SS wurde geführt von einem gewissen Heid unter dem Stabschef.


RA. PELCKMANN: Trotzdem bildete die SS schon eine eigene Organisation?


VON EBERSTEIN: Jawohl, sie war mit der SA zusammengefaßt unter der Obersten SA-Führung.


RA. PELCKMANN: Gehörten Sie der Allgemeinen SS nur ehrenamtlich, das heißt nebenberuflich an, oder gehörten Sie ihr hauptamtlich an?


VON EBERSTEIN: Ich gehörte der SS nebenberuflich an. Ich war Staatsbeamter ab 1934.


RA. PELCKMANN: Haben Sie also als SS-Führer keine Bezüge gehabt?


VON EBERSTEIN: Nein, ich hatte mein Gehalt. Vor 1933 habe ich von meinem Vermögen gelebt und später hatte ich das Gehalt und daneben wurden mir meine Reisekosten ersetzt und eine zusätzliche Aufwandsentschädigung von monatlich Reichsmark 150.-.


RA. PELCKMANN: Ihr Gehalt bekamen Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, als Beamter?


VON EBERSTEIN: Als Staatsbeamter, jawohl.


RA. PELCKMANN: Und nur einen gewissen Spesenzuschuß zu den Aufwendungen, die Sie im SS-Dienst hatten?

VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Welche Gründe haben Sie zum Eintritt in die SS veranlaßt?


VON EBERSTEIN: Ich bin seinerzeit im Jahre 1928/1929 aufgefordert worden, der SS beizutreten, da ich damals schon einige Jahre in der Partei war und man auf meine Mitarbeit Wert legte, weil ich Offizier gewesen war. Ich bin der SS sehr gerne beigetreten.


RA. PELCKMANN: Waren Sie Weltkriegsteilnehmer?


VON EBERSTEIN: Jawohl, ich habe als Offizier den Weltkrieg mitgemacht.


[310] RA. PELCKMANN: Welchen Rang hatten Sie im Jahre 1930 in der SS?


VON EBERSTEIN: 1930 war ich Sturmführer und Standartenadjutant.


RA. PELCKMANN: Welchen Rang hatten Sie im Jahre 1933?


VON EBERSTEIN: 1933 war ich SS-Gruppenführer.


RA. PELCKMANN: Haben Sie durch Ihre Tätigkeit einen guten Einblick in die Ziele und Tätigkeiten der SS vor und nach 1933 bekommen?

VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Sie gehören zum deutschen Adel, Herr Zeuge?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Auch in demokratischen Ländern nimmt man gewöhnlich an, daß der Adel zu den anständigen Teilen der Bevölkerung gehört. Wie kommt es, daß Sie einer Organisation angehörten, die nach der Behauptung der Anklage verbrecherisch gewesen sein soll?


VON EBERSTEIN: Ich bin der Tradition meiner Familie folgend jederzeit für Deutschland eingetreten und ich sah in dem Eintritt in die Partei und in die SS in dieser Notzeit die Erfüllung einer vaterländischen Pflicht. Im übrigen waren auch schon vor 1933 eine ganze Anzahl Aristokraten und Angehörige deutscher Fürstenhäuser in die SS eingetreten, so zum Beispiel der Prinz von Waldeck, der Erbgroßherzog von Mecklenburg und so weiter.


RA. PELCKMANN: Hat sich das 1933 noch verstärkt?


VON EBERSTEIN: Jawohl, nach 1933 traten ein ein Prinz von Hohenzollern-Sigmaringen, der Erbherzog von Braunschweig, der Erbprinz zu Lippe-Biester feld, der General Graf von der Schulenburg und viele andere.


RA. PELCKMANN: Ist Ihnen bekannt, daß der Erzbischof Gröber von Freiburg förderndes Mitglied der SS geworden ist?


VON EBERSTEIN: Jawohl, das ist mir bekannt.


RA. PELCKMANN: Ich verweise das Hohe Gericht auf Dokument Nummer 45. Die Dokumente werde ich später überreichen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Glauben Sie auf Grund Ihrer damaligen Erfahrung, daß die Mitgliedschaft so prominenter Persönlichkeiten auf Angehörige aller Schichten in Deutschland gewirkt hat?

VON EBERSTEIN: Auf den bürgerlichen Teil unserer Bevölkerung sicherlich.

[311] RA. PELCKMANN: Ich meine gewirkt in dem Sinne, daß man sagte, wenn so gutes Menschenmaterial der SS angehört und sich für deren Ziele einsetzt, dann scheinen doch wirklich sehr gute und legale Ziele die Organisation zu leiten. Meinen Sie das in diesem Sinne?


VON EBERSTEIN: Jawohl, jedenfalls bin ich der Auffassung und das war auch die Auffassung meiner Kameraden, daß wir zu keinem Zeitpunkt annehmen konnten, daß die Organisation verbrecherische Ziele verfolge.


RA. PELCKMANN: Hat aber die SS nicht gerade vor 1933 viele Gewalttaten begangen und gehörte das nicht zu ihren Zielen?


VON EBERSTEIN: Nein. Wie schon der Name sagt, »Schutz-Staffel«, wurde diese Gliederung der Partei aufgestellt zum Schutze der führenden Persönlichkeiten. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß bereits im Jahre 1930 Hitler in dem Prozeß gegen die Reichswehroffiziere beschwor, daß seine Revolution eine geistige sein werde und daß er plane, auf legalem Wege die Macht in Deutschland zu erringen. Das ist ja auch durch die Wahlen geschehen und so wurde er Kanzler des Deutschen Reiches.


RA. PELCKMANN: Bitte schildern Sie die Tätigkeit der SS zum Beispiel im Jahr 1930, als Sie in Thüringen waren, Anzahl, Mitgliederzuwachs und ähnliches.


VON EBERSTEIN: Wie ich schon sagte, wurde die SS aufgestellt 1928/1929 in Thüringen. Bis etwa zum Reichsparteitag 1929 hatten wir in ganz Thüringen insgesamt 45 bis 50 Mann SS. Am Reichsparteitag war hier die SS aus ganz Deutschland. Das waren zirka 700 Mann. Im Jahr 1929/1930 waren Wahlkämpfe in Thüringen, die den verstärkten Einsatz dieser wenigen Männer als Rednerschutz erforderten. Von einem Dienst außerhalb dieses Rednerschutzes kann gar nicht gesprochen werden. Es waren einige Appelle, bei denen bekanntgegeben wurde, welche Redner die einzelnen SS-Männer zu begleiten hatten. Die Notwendigkeit dieses Schutzes war gegeben durch den außerordentlich scharfen politischen Kampf, und man mußte froh sein, wenn man die Männer abends unverwundet wieder im Quartier hatte.


RA. PELCKMANN: Wie war das Stärkeverhältnis zu den anderen Gliederungen der Partei damals? Bitte, Herr Zeuge, sprechen Sie langsamer. Ich bemerke, daß die Übersetzung Mühe hat mitzukommen.


VON EBERSTEIN: Ich bitte um Entschuldigung. Die SS war bei weitem die kleinste Gliederung der Partei. Nach einer Bestimmung der Obersten SA-Führung durfte sie nie mehr als zehn Prozent der Stärke der SA haben.


[312] RA. PELCKMANN: Wo waren Sie in dem Jahre 1933?


VON EBERSTEIN: 1933 war ich in Weimar in Thüringen.

RA. PELCKMANN: Und in welcher Stellung?


VON EBERSTEIN: Als Führer des SS-Oberabschnitts Mitte, des größten Oberabschnitts der SS.


RA. PELCKMANN: Wie viele SS-Leute waren Ihnen damals unterstellt?


VON EBERSTEIN: Es waren nach der Machtergreifung 10000 bis 15000.


RA. PELCKMANN: Auf welchen Bereich erstreckte sich diese Anzahl?


VON EBERSTEIN: Auf den Freistaat Sachsen, den Freistaat Thüringen und die preußische Provinz Sachsen.


RA. PELCKMANN: Wodurch erklärt sich das Anwachsen der SS in dieser Zeit?


VON EBERSTEIN: Das Anwachsen erklärte sich einmal durch die Tatsache, daß die nationalsozialistische Regierung an die Macht gekommen war und damit eine große Zahl von Leuten ihre Loyalität gegenüber dem neuen Staat kundtun wollte, zum anderen, daß auch, nachdem die Partei ihre Aufnahmesperre im Mai 1933 angeordnet hatte, viele über die Gliederungen, also die SS und SA, versuchen wollten, dann später in die Partei zu kommen. Es gab aber auch wieder andere, die mehr Freude an Sport und in der Kameradschaft im Kreise junger Männer suchten und weniger politisch interessiert waren. Die Gründe waren ganz verschieden.


RA. PELCKMANN: Wurden aber nach dieser Zeit des plötzlichen Anwachsens die Mitglieder streng überprüft und die letzten Aufnahmebedingungen, nämlich völlige Unbescholtenheit, saubere Lebensführung, berufliche Höchstleistung noch obendrein verschärft?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Etwa ab Februar-März 1934 wurde von Himmler eine Nachmusterung aller derjenigen SS-Angehörigen angeordnet, die im Jahre 1933 eingetreten waren, eine strenge Nachmusterung, die sich bis in das Jahr 1935 erstreckte, und es wurden damals ungefähr 50000 bis 60000 im gesamten Reichsgebiet wieder ausgeschieden.


RA. PELCKMANN: War es notwendig, Parteimitglied zu sein, um in die Allgemeine SS aufgenommen zu werden?


VON EBERSTEIN: Nein, keineswegs. Ich bemerkte das ja schon vorhin.


RA. PELCKMANN: Wenn die Parteimitgliedschaft aber nicht notwendig war, kann es dann richtig sein, daß die SS, wie die [313] Anklage behauptet, der Kern des Nazi-Regimes war, eine weltanschaulich verschworene Truppe, so daß man daraus schließen kann, daß bei der Aufnahme strengste Nazi-Voraussetzungen, Nazi-Normen angelegt wurden?


VON EBERSTEIN: Der Kern des Regimes war die politische Partei als solche, und zwar in der Hand der Hoheitsträger. Den Hoheitsträgern war die Menschenführung von Hitler übertragen, ein Privileg, das sie hatten und an dem bis zum Schlusse festgehalten wurde. Das war der Kern des Regimes. Bei der SS ist an der Auslese allerdings festgehalten worden.


RA. PELCKMANN: Aber worauf bezog sich die Auslese?


VON EBERSTEIN: Die Auslese erforderte das polizeiliche Leumundszeugnis. Verlangt wurde, daß die Leute eine anständige Lebensführung nachweisen konnten, daß sie im Beruf ihre Pflicht erfüllten, keine Erwerbslosen oder Leute, die nicht arbeiten wollten, wurden aufgenommen. In dieser Beziehung wurde eine Auslese immer gefordert.


RA. PELCKMANN: Und sind dann diese Ausleseprinzipien nicht auch noch erweitert worden nach den sogenannten Rassenvoraussetzungen: Größe, Gesundheit, Abstammung?


VON EBERSTEIN: Dies war auch vorgeschrieben, jawohl.

RA. PELCKMANN: Also, alles zusammengefaßt, Herr Zeuge, Auslese nicht nur nach politischen, sondern auch nach anderen Umständen, die Sie geschildert haben.


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Sind Ihnen 1933/1934 als SS-Gruppenführer und Führer des großen Oberabschnitts der Allgemeinen SS Ausschreitungen gegen Juden bekanntgeworden?


VON EBERSTEIN: Nein.


RA. PELCKMANN: Wir haben hier bei der Vernehmung einer anderen Organisation von dem sogenannten Judenboykott im Jahre 1933/1934 gehört. Haben Sie mit Ihren Leuten denn daran nicht teilgenommen?


VON EBERSTEIN: Die SS hat an diesem Boykott – Ausschreitung möchte ich sagen – nicht teilgenommen. Ich habe in Dresden, nachdem ich von diesen Dingen Kenntnis bekam, einen Appell abgehalten und meinen Leuten die Teilnahme streng verboten.


RA. PELCKMANN: Glaubten Sie, durch das Bestreben, den Einfluß der jüdischen Bevölkerung im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft auf den Prozentsatz zurückzudrängen, der ihrer Bevölkerungszahl entsprach, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen?


[314] VON EBERSTEIN: Nein.


RA. PELCKMANN: Wollten Sie dieses Ziel, das Ihnen doch wohl nach Ihrer Ideologie vorschwebte, mit Gewalt erreichen?


VON EBERSTEIN: Nein, keineswegs. Die SS hatte ja darauf auch gar keinen Einfluß.


RA. PELCKMANN: War nicht gerade die SS in ihrer Auffassung, daß Parteiprogrammpunkte nicht durch Einzelaktionen verwirklicht werden sollten, ganz besonders streng?


VON EBERSTEIN: Es bestanden außerordentlich strenge Vorschriften schon vor 1933. Diese Vorschriften verboten jede Einzelaktion, zum Beispiel hatten wir eine sehr strenge Vorschrift, keine Waffen bei uns zu führen, weil es die politische Tätigkeit der Partei sonst gefährdet hätte, wenn die Polizei damals bei uns Waffen gefunden hätte. Auch späterhin hat Himmler immer wieder streng anbefohlen, keinerlei Aktionen zu unternehmen.


RA. PELCKMANN: Glaubten Sie, durch die Ihnen als Ideologie vorschwebende Zurückdrängung des jüdischen Einflusses nach den nationalsozialistischen Prinzipien, glaubten Sie, dadurch bereits eine Vorbereitung für einen neuen Krieg zu schaffen, und zwar daß durch den geplanten neuen Krieg der Einfluß einer Opposition innerhalb Deutschlands unmöglich gemacht werden sollte?


VON EBERSTEIN: Nach meiner Meinung eine Konstruktion; ich verstehe das nicht. Für die SS war nach der Verkündung der Nürnberger Gesetze vom Jahre 1935, durch die wir im übrigen überrascht wurden, die Judenfrage staatlicherseits geregelt. Ich erinnere mich auch, daß damals Hitler außerordentlich gewarnt hat, über dieses Gesetz hinauszugehen, indem er auf die ungeheure Verantwortung hinwies, die damit in die Hand des deutschen Volkes gelegt wurde, durch dieses Gesetz.


RA. PELCKMANN: Glaubten Sie vielleicht, Sie könnten schon etwas zur Vorbereitung des Angriffskrieges tun, wenn Sie beziehungsweise wenn die Partei oder wenn der Staat Kommunisten und Sozialisten aus dem öffentlichen Leben ausschalteten?


VON EBERSTEIN: Nein.


RA. PELCKMANN: Ja, haben Sie solche Überlegungen überhaupt angestellt?


VON EBERSTEIN: Diese Frage scheint mir eine Konfusion zu sein, denn das Verhältnis war so, daß diese Frage für uns gar nicht diskutabel war.

RA. PELCKMANN: Welche Vorbereitungen für einen Angriffskrieg haben Sie denn in der SS bemerkt?


VON EBERSTEIN: Keine Vorbereitung.


[315] RA. PELCKMANN: Ist die allgemeine SS militärisch ausgebildet worden?


VON EBERSTEIN: Nein, sie war nicht militärisch ausgebildet, denn Sport und Kleinkaliberschießen und Ordnungsübungen stellen keine militärische Ausbildung dar. Im übrigen darf ich bemerken, daß Himmler mir und auch anderen SS-Führern die Ableistung von Reserveoffiziersübungen bei der Wehrmacht nach 1934/1935 verboten hat. Daraus allein ist ja schon ersichtlich, daß keine militärische Ausbildung den SS-Männern gegeben wurde und auch nicht geplant war. Im übrigen mußte jeder SS-Angehörige wie jeder andere deutsche Staatsbürger seine Wehrpflicht innerhalb der Wehrmacht anstatt in der Waffen-SS erfüllen.


RA. PELCKMANN: Ich zitiere aus dem SS-Dokument Nummer 5, das später überreicht werden wird:

»Die Allgemeine SS steht voll und ganz im Beruf.« – Dies ist ein Auszug aus einer Druckschrift »Nationalpolitischer Lehrgang der Wehrmacht: ›Wesen und Aufgaben der SS und der Deutschen Polizei‹«.- »In der Zeit vom 21. bis 35. Lebensjahr wird der Mann dienstlich sehr stark in Anspruch genommen, besonders bis zum 25. Lebensjahr. In diesen ersten vier Jahren heißt es marschieren, Kampfspiele, also Sport jeder Art.... Von jedem SS-Mann bis zum 50. Lebensjahr wird jedes Jahr die Ablegung irgendeiner Leistungsprüfung verlangt. Warum mache ich das? Die Männer stehen sehr viel im Beruf. In der SS sind vielleicht die Hälfte bis drei Fünftel Städter. Der Arbeiter in der Stadt hat sehr oft eine stehende oder der geistige Arbeiter eine sitzende Beschäftigung. Es kommt das Elend der Großstadt hinzu, das meines Erachtens auch eine militärisch schwierige Frage ist. All die Menschen des 20. Jahrhunderts gehen ja nicht mehr, sondern fahren mit der Untergrundbahn...«

Ich zitiere weiter:

»Wenn wir jung bleiben wollen, müssen wir Sport treiben. Das bleibt aber alles auf dem Papier, wenn ich nicht jedes Jahr das überprüfe oder einen gewissen Ehrgeiz unter den Männern wachrufe, damit sie wirklich Sport treiben.«

Gibt dieses Zitat, Herr Zeuge, etwa die Einstellung wieder, die insbesonders nach 1933 für die Beschäftigung der SS typisch ist?

VON EBERSTEIN: Jawohl.

RA. PELCKMANN: Können Sie sich an Äußerungen Hitlers und anderer Parteiführer erinnern, in Versammlungen, auch im Reichstag oder in Zeitschriften, die dauernd Friedensbeteuerungen enthielten, ja sogar einen Abscheu und ein Entsetzen vor den Schrecken des Krieges bekundeten?


[316] VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Waren weitere Aufgaben zum Beispiel die Betreuungen und Ordnungsdienste auf den Reichsparteitagen? Wollen Sie das einmal schildern?


VON EBERSTEIN: Ja, bei den großen Massenaufmärschen der Partei hatte die SS jeweils den Ordnungsdienst zu versehen; außer dem Ordnungsdienst die Begleitung der Ehrengäste und auch deren Betreuung. ES waren immer sehr anstrengende Tage für die Männer, wenn sie außerdem noch an den Vorbeimärschen auch teilnehmen mußten. Es ist dazu sonst nichts weiter zu sagen.


RA. PELCKMANN: Hatten Sie die Betreuung von Ehrengästen?


VON EBERSTEIN: Ja, das habe ich soeben erwähnt. Ich persönlich hatte bei den Parteitagen, wie auch andere hohe SS-Führer, immer die Aufgabe, hohe Gäste zu führen.

Ich persönlich habe noch an einem der letzten Parteitage den Britischen Botschafter geführt.


RA. PELCKMANN: Wo waren Sie, Herr Zeuge, am 30. Juni 1934?


VON EBERSTEIN: In Dresden.


RA. PELCKMANN: Hatten Sie vor diesem Datum schon davon gehört, daß Röhm einen sogenannten Putsch beabsichtige?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Ungefähr acht Tage vor dem 30. Juni 1934 wurde ich nach Berlin befohlen zu Himmler, wo dieser mir offiziell mitteilte, daß Röhm einen Staatsstreich plane, und mir Weisung gab, meine SS-Angehörigen in stiller Alarmbereitschaft zu halten und bei Auslösung des Alarms in Kasernen zusammenzuziehen.

Zu diesem Zweck verwies er mich auch an den Wehrkreisbefehlshaber. So hatte ich also vorher diese Mitteilung bekommen.


RA. PELCKMANN: Hat nun die Allgemeine SS am 30. Juni 1934 Tötungen vorgenommen? Was wissen Sie aus Ihrer damaligen Tätigkeit darüber?


VON EBERSTEIN: Die Allgemeine SS hat keine Tötungen vorgenommen in meinem Gebiet. Sie war ja in den Kasernen während der ganzen entscheidenden Tage zusammengehalten.


RA. PELCKMANN: Schildern Sie bitte im einzelnen, wie es aber doch, soweit ich unterrichtet bin, zu Tötungen gekommen ist.


VON EBERSTEIN: Jawohl. Im Laufe des 30. Juni kam zu mir ein SS-Obersturmbannführer Beutel vom SD mit einem Sonderauftrag, den er von Heydrich bekommen hatte. Es war noch ein jüngerer Mann, dieser Beutel, und er wußte nicht, was er nun machen sollte und kam zu mir, um von mir als älterem Mann einen[317] Rat zu holen. Er hatte einen Befehl, in dem waren ungefähr 28 Namen enthalten und ein Zusatz, aus dem hervorging, daß ein Teil dieser Leute verhaftet und ein anderer Teil exekutiert werden sollte. Dieses Schriftstück trug keine Unterschrift, und ich riet daher diesem Obersturmbannführer, doch unbedingt eine Klarheit herbeizuführen, was nun geschehen solle und warnte ihn auch sehr nachdrücklich vor irgendwelchen unbesonnenen Handlungen. Es ist dann, soweit ich mich erinnern kann, ein Kurier nach Berlin geschickt worden und dieser Kurier hat dann acht Exekutionsbefehle mitgebracht, und zwar von Heydrich. Diese Befehle hatten ungefähr folgenden Inhalt: Auf Befehl des Führers und Reichskanzlers wird der und der – und dann folgte der Name des Betreffenden – wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode durch Erschießen verurteilt.

Unterschrieben waren diese Urkunden von Heydrich. Die Unterschrift war zweifelsohne echt; und ein beigedruckter Dienststempel der betreffenden Dienst stelle, der Heydrich vorstand in Berlin; und auf Grund dieser Urkunde sind acht Angehörige der SA und auch der Partei, insgesamt acht Personen, in Dresden von der politischen Bereitschaft Sachsen erschossen worden. Außerdem ist in Plauen ein HJ-Führer erschossen worden und noch eine weitere Person in Chemnitz.

Das ist das, was ich davon weiß aus meinem Bereich.


RA. PELCKMANN: Hatten Sie mit diesen Erschießungen nun als Führer der Allgemeinen SS etwas zu tun?


VON EBERSTEIN: Nein, keineswegs. Dieser Befehl der Staatsführung wurde vollstreckt von den politischen Bereitschaften. Ich hätte das weder fördern noch verhindern können.


RA. PELCKMANN: Haben Sie denn geglaubt, daß Röhm tatsächlich ein hochverräterisches Unternehmen vorhatte und daß die Gefahr für die Deutsche Regierung und das deutsche Volk so unmittelbar bevorstand, daß nur durch ein sofortiges Handeln, das heißt durch Erschießen der Schuldigen, die Lage gerettet werden konnte?


VON EBERSTEIN: Ich habe absolut an einen Staatsnotstand geglaubt. Ich mußte das ja auch, nachdem der höchste deutsche Polizeibeamte, nämlich Himmler, mir das selber mitgeteilt hat und mich noch ausdrücklich für den Fall des Alarms auf die Zusammenarbeit mit dem Wehrkreisbefehlshaber hinwies, also einer Stelle, die doch sehr maßgeblich war.


RA. PELCKMANN: Erinnern Sie sich, daß unmittelbar nach diesen Vorgängen in der Presse zwei Telegramme des Reichspräsidenten von Hindenburg veröffentlicht worden sind, und zwar das eine an den Führer vom 2. Juli 1934, das andere an Göring am [318] 2. Juli 1934. Ich zitiere das SS-Dokument Nummer 74, das später überreicht werden wird. Telegramm von Hindenburgs an Hitler:

»Aus den mir erstatteten Berichten ersehe ich, daß Sie durch Ihr entschlossenes Zugreifen und die tapfere Einsetzung Ihrer eigenen Person alle hochverräterischen Umtriebe im Keime erstickt haben. Sie haben das deutsche Volk aus einer schweren Gefahr errettet. Hierfür spreche ich Ihnen meinen tiefempfundenen Dank und meine aufrichtige Anerkennung aus.

Mit besten Grüßen

von Hindenburg.«

Telegramm von Hindenburgs an Göring:

»Für Ihr energisches und erfolgreiches Vorgehen bei der Niederschlagung des Hochverratversuchs spreche ich Ihnen meinen Dank und, meine Anerkennung aus.«

Haben Sie diese Telegramme in der Presse damals gelesen?

VON EBERSTEIN: Jawohl.

RA. PELCKMANN: Erinnern Sie sich an die Rede Hitlers vor dem deutschen Reichstag am 13. Juli 1934, in der er auch schildert, wie angeblich eine unmittelbare Gefahr über Deutschland geschwebt habe?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Erinnern Sie sich – ich zitiere nur ganz wenige kurze Punkte aus dem Dokument SS-105...


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Glauben Sie nicht, daß Sie dies mehr zusammenfassen können. Dieser Zeuge hat gesagt, daß die SS mit dem Röhm-Putsch nichts zu tun hatte, soweit es seinen eigenen Abschnitt betrifft. Es scheint unnötig, ihm alle Einzelheiten vorzuhalten.


RA. PELCKMANN: Ich glaube zu dem Röhm-Putsch lediglich noch vortragen zu müssen – aber vielleicht ist das schon erschöpft –, daß tatsächlich auch nachher kein Verdacht einer unrechtmäßigen Handlung auftauchen konnte. Das wollte ich mit diesen Beweismitteln, auf die ich mich beziehe, tun.


VORSITZENDER: Sie wissen doch, daß wir immer und immer wieder erklärt haben, wir wünschen keine Aussagen zu hören, die bereits vor der Kommission gegeben wurden. Wir wünschen eine Zusammenfassung, und zwar nur der wichtigsten und etwa auftauchender neuer Punkte; und natürlich wollen wir auch die Zeugen sehen, um festzustellen, ob sie glaubwürdig sind.


RA. PELCKMANN: Ja, ich beachte das Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre gut, jetzt eine Pause einzulegen.


[Pause von 10 Minuten.]


[319] VORSITZENDER: In Bezug auf die Anträge von Dr. Siemers: Beide Anträge werden zurückgewiesen. Dr. Siemers darf natürlich Vizeadmiral Bürkner besuchen, wenn er will. Aber der besondere Antrag, den er diesbezüglich gestellt hat, wird zurückgewiesen, sowie auch der andere Antrag, den er für gewisse Dokumente, die sich in öffentlichen Bibliotheken befinden, gestellt hat.

RA. PELCKMANN: Noch ein Wort zum 30. Juni, Herr Zeuge. Ist Ihnen von der Rede Hitlers in Erinnerung, daß er davon sprach, daß auch einige Unschuldige getötet worden seien, und daß er die Aburteilung dieser Fälle durch ordentliche Gerichte zusicherte?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Haben Sie in Ihrem Kameradenkreis damals überall die Ansicht gehört, die Sie hier heute auch bekundet haben, daß ein Staatsnotwehrstand vorgelegen hat?


VON EBERSTEIN: Jawohl, nicht nur in der SS, sondern auch bei anderen Deutschen.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Wo waren Sie am 9. November 1938?


VON EBERSTEIN: Am 9. November 1938 war ich in München.


RA PELCKMANN: Welche Dienststellung hatten Sie damals in der Allgemeinen SS?


VON EBERSTEIN: Ich war in der Allgemeinen SS SS-Obergruppenführer und Führer des SS-Oberabschnitts Süd, außerdem Polizeipräsident von München.


RA. PELCKMANN: Schildern Sie bitte, wie Sie zuerst von Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte in dieser Nacht Kenntnis erhielten.


VON EBERSTEIN: Ich habe an diesem Tag, wie das meiner dienstlichen Pflicht oblag, Hitler begleiten müssen zu dem Treffen der alten Kämpfer im alten Rathaussaal. Dort wurde Hitler mitgeteilt, daß der Gesandtschaftsrat vom Rath seinen Verletzungen erlegen sei. Hitler war dadurch stärkstens beeindruckt und lehnte es ab zu sprechen, was er sonst immer tat. Er hatte während dieses Essens eine außerordentlich eindringliche Unterredung mit Goebbels. Was gesprochen wurde, konnte ich nicht verstehen. Hitler ist kurz darauf in seine Wohnung gefahren, wohin ich ihn auf Grund meiner dienstlichen Bestimmungen begleiten mußte. Im Anschluß daran hatte ich die Sicherheits-und Absperrmaßnahmen auf dem Odeonsplatz verantwortlich zu leiten. Es fand jedes Jahr in der Nacht vom 9. auf 10. November dort die Vereidigung der neuen Rekruten der Waffen-SS statt. Als ich dorthin kam, auf den Odeonsplatz, wurde mir gemeldet, daß eine Synagoge brenne und die Feuerwehr dort behindert würde.

[320] Kurz darauf erhielt ich einen Telephonanruf durch den Landrat München, der mir mitteilte, daß das dem jüdischen Baron Hirsch gehörige Schloß Planegg an der Stadtgrenze Münchens von unbekannten Tätern angezündet sei. Die Gendarmerie bittet um Hilfe. Zeitlich war dies etwa um 23.45 Uhr. Um 24.00 Uhr kam Hitler zu der Vereidigung. Da ich meinen Platz nicht verlassen konnte, schickte ich den nächsthöheren SS-Führer, Brigadeführer Diehm, zu der Synagoge, um dort Ordnung zu schaffen. Außerdem entsandte ich ein Überfallkommando der Polizei, unter einem Offizier, nach Planegg mit dem Auftrag, die Täter zu stellen und das Feuer ablöschen zu lassen.

Unmittelbar nach dem Appell, nach dieser Vereidigung, war ich wie alle anderen höheren SS-Führer zu Himmler befohlen. Dort in dem Hotel unterrichtete mich der Stellvertretende Gauleiter Niepolt, daß im Anschluß an den Abgang Hitlers aus dem Rathaussaal Goebbels eine wüste Hetzrede gegen die Juden gehalten hätte. Infolgedessen sei es zu erheblichen Ausschreitungen in der Stadt gekommen. Ich fuhr sofort mit Kraftwagen durch die Stadt, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich traf eingeschlagene Schaufenster an, einige Geschäfte brannten. Ich habe zunächst selbst sofort eingegriffen und habe dann alle verfügbaren Polizeikräfte auf die Straße geworfen mit dem Auftrag, die jüdischen Geschäfte bis auf weiteres unter Schutz zu stellen. Außerdem habe ich im Zusammenwirken mit einer städtischen Dienststelle Münchens dafür gesorgt, daß die Schaufenster vernagelt wurden, um Diebstähle und dergleichen zu verhindern.


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Der Zeuge sagt, daß er alles unternahm, um diese Ausschreitungen zu verhindern. Aber wir brauchen die Einzelheiten nicht. Wir brauchen die Einzelheiten über die Schritte, die er unternahm, um Ordnung zu halten, nicht. Die Anklagebehörde kann ihn ins Kreuzverhör nehmen, wenn sie es wünscht.


RA. PELCKMANN: Herr Präsident! Ist es nicht möglich, dem Zeugen gerade das, was er von der Anklagebehörde gefragt werden wird, doch schon meinerseits vorzuhalten? Ich lege Wert darauf, daß der Zeuge von sich aus zu dem Fernschreiben...


VORSITZENDER: Der Zeuge hat uns eben gesagt, was sich am 9. und 10. November 1938 ereignet hat, und ich glaube, wir wissen jetzt genug darüber. Wir kennen den wesentlichen Inhalt seiner Aussage, und weitere Einzelheiten wünsche ich nicht. Wenn Sie glauben, daß er nicht gesagt hat, die SS habe nicht an den Ausschreitungen teilgenommen, können Sie ihn darüber befragen. Er sagt, daß er nicht selbst daran teilgenommen hat, sondern daß er alles versuchte, um es zu verhindern. Ich will keine Einzelheiten hören, wie er dies versucht hat.


[321] RA. PELCKMANN: Welche Befehle, Herr Zeuge, haben Sie an die Allgemeine SS gegeben, nicht an den Ausschreitungen teilzunehmen, und hat die Ihnen untergeordnete SS diesen Befehlen gehorcht?


VON EBERSTEIN: Ich habe dem Brigadeführer Diehm gesagt, daß ich jede Teilnahme strengstens verbiete und erhebliche Strafen angedroht. Wir empfanden diese ganze Aktion als ausgesprochen unanständig in der SS.


RA. PELCKMANN: Ist Ihnen bekannt, Herr Zeuge, daß ein Adjutant Schallermeier in der Nacht zum 10. November von Himmler ein Diktat entgegengenommen hat etwa in dem Sinne, daß ihm die ganze Aktion als Goebbels-Propaganda zuwider sei und Hitler ihm – Himmler – erklärt habe, die SS solle sich aus dieser Aktion heraushalten?


VON EBERSTEIN: Ich kenne dieses Dokument nicht.


RA. PELCKMANN: Ich verweise auf das später zu erörternde Affidavit SS Nummer 5.

Sie sagten, Herr Zeuge, daß diese Gesamtaktion von der Führung der SS und den Mitgliedern der SS verabscheut worden ist. Führen Sie das auf die grundsätzliche Einstellung der SS in der Judenfrage zurück oder führen Sie es darauf zurück – eine Version, die ich von anderer Seitemal gehört habe –, daß es schade wäre, daß so erhebliche Werte des deutschen Volksvermögens zerstört worden sind?


VON EBERSTEIN: Ich kann dazu nur sagen, die SS war genau wie die Partei antisemitisch, jedoch haben wir das, abgesehen von irgendwelchen Verlusten, als unanständig angesehen und die SS hat auch nicht daran teilgenommen.


RA. PELCKMANN: Noch eine Frage zur Vorbereitung von Angriffskriegen: Ist Ihnen bekannt, ob sich die Allgemeine SS zum Einmarsch nach Österreich vorbereitet hat und ob sie an diesem Einmarsch teilnahm?


VON EBERSTEIN: Nein, die Allgemeine SS hat nicht daran teilgenommen. Mein Oberabschnitt deckte die ganze deutsch-österreichische Grenze. Ich hätte davon unbedingt etwas erfahren müssen.


RA. PELCKMANN: Ist Ihnen sonst eine Vorbereitung für einen Angriff auf Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Frankreich, Rußland durch die Allgemeine SS bekannt?


VON EBERSTEIN: Mir ist nichts davon bekannt und die Allgemeine SS wäre auch zu einem Angriff auf einen fremden Staat ja gar nicht in der Lage gewesen.


RA. PELCKMANN: Hat die Allgemeine SS noch nach Kriegsbeginn fortbestanden und welche Aufgabe hatte sie dann zu erfüllen?


[322] VON EBERSTEIN: Die Allgemeine SS hatte praktisch im Kriege zu bestehen aufgehört.

Von den 10000 Mann, die in meinem Oberabschnitt zusammengefaßt waren, befanden sich beim Aufruf des Volkssturms im November 1944 nur mehr noch 1200 Mann im Lande. Diese Männer waren in der Heimat, diese 1200 Mann waren restlos im Kriegseinsatz erfaßt und standen für einen SS-Dienst gar nicht mehr zur Verfügung. Es war der letzte Mann der Wehrmacht und der Waffen-SS zugeführt worden.


RA. PELCKMANN: Bestand also kein Dienstbetrieb mehr, wie Sie ihn in Friedenszeit geschildert haben?


VON EBERSTEIN: Nein. Es waren für die Aufgaben, die noch zu erfüllen waren, nämlich die Unterstützung des Fürsorgekommandos der Waffen-SS bei ihrer Arbeit, Betreuung der Verwundeten in den Lazaretten und Fürsorge für die Hinterbliebenen unserer gefallenen Kameraden, nicht einmal mehr Männer vorhanden. Wir haben das mit den fördernden Mitgliedern, ja sogar mit Frauen durchgeführt.


RA. PELCKMANN: Sind die Angehörigen der Allgemeinen SS an Stelle der sogenannten Totenkopf verbände zur Bewachung der Konzentrationslager herangezogen worden?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Für einen geringen Prozentsatz ebenso wie Angehörige anderer Gliederungen der Partei, Angehörige des Kyffhäuserbundes, meistenteils Männer, die für den Frontdienst nicht mehr verwendbar waren. Diese Männer wurden alle verpflichtet auf Grund der Notdienstverordnung. Gegen Ende des Krieges haben Angehörige aller Wehrmachtsteile, auch Angehörige verbündeter Staaten, Wachmannschaften für die Konzentrationslager gestellt.


RA. PELCKMANN: Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Dokumente SS-26 und 28. Von der Anklagebehörde ist behauptet worden, daß die Allgemeine SS auch gleich nach 1933 Konzentrationslager eingerichtet habe und daß dabei Tötungen und Grausamkeiten vorgekommen sind. Was wissen Sie davon?


VON EBERSTEIN: Von der Allgemeinen SS sind keine Konzentrationslager eingerichtet worden. Die Konzentrationslager sind vom Staat eingerichtet worden. Inwiefern dort Grausamkeiten passiert sind, das kann ich nicht beurteilen.


RA. PELCKMANN: Können Sie sich an den Fall eines SS-Führers Engel in Stettin in diesem Zusammenhang erinnern?


VON EBERSTEIN: Nein. Ich kannte Engel aus der SS. Aber was er damit zu tun hat, das weiß ich nicht. Er war in Norddeutschland und ich in Süddeutschland.


[323] RA. PELCKMANN: Sie sind in München SS-Oberabschnittsführer der Allgemeinen SS gewesen. Sie waren zur selben Zeit Polizeipräsident und Sie waren seit 1939 Höherer SS- und Polizeiführer. Bitte äußern Sie sich darüber, ob grundsätzlich die Stellung eines Oberabschnittsführers der Allgemeinen SS verbunden war: Erstens mit dem Posten des Polizeipräsidenten und zweitens mit dem Posten des Höheren SS- und Polizeiführers.


VON EBERSTEIN: Das ist grundsätzlich in beiden Fällen zu verneinen. Es bestanden Ausnahmen, daß die Polizeipräsidenten in Düsseldorf, in Nürnberg und in München auch zugleich Oberabschnittsführer waren. Im zweiten Falle ist zu sagen, daß die große Masse der Oberabschnittsführer der Allgemeinen SS ab 1939, das heißt seit Kriegsausbruch, auch Höhere SS- und Polizeiführer waren. Ein Ausnahmefall bestand in Berlin. Dort war Höherer SS- und Polizeiführer Heißmeyer, der aber nicht Oberabschnittsführer der Allgemeinen SS war.


RA. PELCKMANN: Ist die Behauptung der Anklage richtig, daß der Höhere SS- und Polizeiführer eine innige Verbindung zwischen der Allgemeinen SS und der Polizei herstellte?


VON EBERSTEIN: Nein. SS und Polizei waren getrennte Organisationen und nur in ihrer Spitze in Himmler miteinander verbunden. Die Allgemeine SS und die Polizei hatten beide ja auch ganz voneinander getrennte Aufgaben.


VORSITZENDER: Ich verstehe nicht, was Sie sagen. Ich glaubte, Sie sagten, Sie waren Führer der SS in München und auch der Polizeipräsident gewesen.


RA. PELCKMANN: Herr Präsident! Um das Gericht ins Bild zu setzen...


VORSITZENDER: Haben Sie nicht gesagt, daß Sie der SS-Führer in München und im Süden und auch Polizeipräsident gewesen seien?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


VORSITZENDER: Und dann sagen Sie, daß die Polizei und die SS nur in der Person Himmlers vereint gewesen seien?


VON EBERSTEIN: Ja. Das Aufgabengebiet des Höheren SS- und Polizeiführers war ja – ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, dies zu schildern –, er hatte ja keine Befehlsgewalt über die Polizei, sondern er war nur ein repräsentativer Vertreter Himmlers ohne die Befehlsgewalt. Damit...


VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß Sie keine Befehlsgewalt über die Polizei hatten?


VON EBERSTEIN: In München, als Polizeipräsident wohl, weil das mein staatliches Amt war. Das war mein Beruf. In anderen [324] Orten, wo der Oberabschnittsführer nicht Polizeichef war, konnte er keineswegs...


VORSITZENDER: Ich spreche von München. In München waren Sie der SS-Führer und zugleich der Polizeipräsident.


VON EBERSTEIN: Jawohl.


VORSITZENDER: Die beiden Organisationen waren in Ihrer Person vereinigt. Ist das richtig?


VON EBERSTEIN: Bei mir war das der Fall, aber nicht grundsätzlich.


VORSITZENDER: Ich spreche nicht über grundsätzliche Fragen, ich spreche von München.

Dann sagen Sie, daß die Polizei und SS nur in der Person Himmlers vereinigt waren. Diese beiden Aussagen scheinen sich zu widersprechen.


VON EBERSTEIN: Ich habe vorhin bemerkt, daß ja nur wenige, in drei Fällen in ganz Deutschland, die Polizeipräsidenten zur gleichen Zeit Führer der Allgemeinen SS waren. Es war eine Ausnahme in meinem Fall, in München, in Düsseldorf und in Nürnberg. Sonst waren diese...

VORSITZENDER: Ich dachte, Sie sagten auch Dresden?


VON EBERSTEIN: In Dresden war ich nicht in der Polizei.


VORSITZENDER: Ich habe nicht gesagt, daß Sie bei der Polizei waren. Ich glaubte Sie sagten, daß in Dresden der Polizeipräsident auch der SS-Führer war.


VON EBERSTEIN: Nein, dann muß ich mißverstanden worden sein. Das habe ich nicht gesagt.


VORSITZENDER: Gut.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Das Mißverständnis wird entstanden sein, weil eine dritte Funktion bisher noch nicht erörtert worden ist. Sagen Sie bitte: Hatten folgende drei Positionen grundsätzlich miteinander Verbindung: Erstens der Polizeipräsident, zweitens der Höhere SS- und Polizeiführer und drittens der SS-Oberabschnittsführer?

Hatten diese drei grundsätzlich im Aufbau personellen Zusammenhang?


VON EBERSTEIN: Nein, es war das in München eine Ausnahme. Bei mir traf das tatsächlich zusammen, in meinem Fall, aber nicht in anderen Teilen des Reiches.


RA. PELCKMANN: Und nun unterscheiden Sie zwischen Polizeipräsidenten und Höherem SS- und Polizeiführer. Ich bitte Sie, dem Gericht klarzumachen den Unterschied zwischen diesen zwei Stellungen.


[325] VON EBERSTEIN: Der Polizeipräsident war ein staatlicher Verwaltungsbeamter, während der Höhere SS- und Polizeiführer erst im Kriege eingerichtet wurde, ohne daß man ihn als Behörde oder regionalen Befehlshaber bezeichnen könnte, denn er hatte laut der Dienstanweisung vom Reichsminister des Innern lediglich die Aufgabe, den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei repräsentativ in seinem Wehrkreis zu vertreten.

Er hatte keine Befehlsgewalt über die Polizei. Nach der Verordnung des Reichsministers des Innern waren und blieben die Chefs der Hauptämter Ordnungspolizei und Sicherheitspolizei die fachlichen Vorgesetzten der Polizei. Bei ihnen lag die Befehlsgewalt. Sie bedienten sich ihres eigenen Befehlsweges, während der Höhere SS- und Polizeiführer danebenlag, ohne Befehlsgewalt auf die Polizei.


RA. PELCKMANN: Und nun beantworten Sie mir die Frage: Ist die Behauptung der Anklage richtig, daß der Höhere SS- und Polizeiführer eine innige Verbindung zwischen der Allgemeinen SS und der Polizei hergestellt hat?


VON EBERSTEIN: Das war gar nicht möglich...

VORSITZENDER: Sie haben ihm diese Frage bereits einmal vorgelegt, und er hat sie beantwortet. Gehen Sie zur nächsten Frage.


RA. PELCKMANN: [zum Zeugen gewandt] Ist die weitergehende Behauptung der Anklage, daß die Allgemeine SS und die Polizei dienstlich eine Einheit gebildet hat und somit ein Staat im Staate gewesen sei, richtig?


VON EBERSTEIN: Nein.


RA. PELCKMANN: Zu dieser Frage verweise ich, da ich das Hohe Gericht nicht mit Einzelheiten belasten will, auf die Bekundungen in den Affidavits SS Nummer 86 bis 88, die später überreicht werden.

Sie sagten bereits, Herr Zeuge, der Höhere SS- und Polizeiführer hatte keine Befehlsgewalt gegenüber der Ordnungspolizei oder der Sicherheitspolizei. Hatte der Höhere SS- und Polizeiführer aber Befehlsgewalt gegenüber der Waffen-SS oder gegenüber der Allgemeinen SS?


VON EBERSTEIN: Gegenüber der Waffen-SS hatte der Höhere SS- und Polizeiführer keine Befehlsgewalt, gegenüber der Allgemeinen SS nur, sofern er zur gleichen Zeit Führer des SS-Oberabschnitts der Allgemeinen SS war, sonst nicht.

Ich bitte noch etwas zu meiner vorigen Antwort nachtragen zu dürfen. Der Höhere SS- und Polizeiführer hatte das Recht, aber nicht die Pflicht, Inspektionen vorzunehmen und er konnte [326] Anregungen geben. Ich für meine Person bin nur in der Lage, Aussagen zu machen über die Tätigkeit der Höheren SS-und Polizeiführer im Heimatgebiet; wie es in den besetzten Gebieten war, kann ich nicht beurteilen.


RA. PELCKMANN: Könnte man unter Zusammenfassung Ihrer Aussagen sagen, daß der Titel »Höherer SS- und Polizeiführer« irreführend ist?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Für die Aussagen des Zeugen über die Stellung des Höheren SS- und Polizeiführers im besetzten Gebiet zu Deutschland verweise ich auf das Affidavit SS-87.


[Zum Zeugen gewandt:]


Haben Sie einmal vom Reichsführer-SS in Ihrer Eigenschaft als Höherer SS- und Polizeiführer eine Mitteilung erhalten über die Behandlung von feindlichen Fliegern, wenn sie notlanden mußten?

VON EBERSTEIN: Jawohl.

RA. PELCKMANN: Zu welchem Zweck bekamen Sie diese Mitteilung, wie haben Sie sie verwendet?

VON EBERSTEIN: Diese Mitteilung besagt, daß es nicht Aufgabe der Polizei ist, sich in Streitigkeiten – ich glaube, das ist der Ausdruck – zwischen der eigenen Bevölkerung und abgesprungenen Feindfliegern einzumischen. Von einer Behandlung war in dieser Mitteilung nichts gesagt. Diese Mitteilung war unterzeichnet von Himmler und es war den Höheren SS-und Polizeiführern befohlen von Himmler, die ihnen beigeordneten Befehlshaber der Ordnungspolizei und Inspekteure der Sicherheitspolizei vom Inhalt dieser Mitteilung gründlich zu verständigen.


RA. PELCKMANN: Waren entsprechende Mitteilungen schon vorher oder nachher seitens der Parteikanzlei des Führers, Reichsleiter Bormann, an Parteistellen gegangen?


VON EBERSTEIN: Ja, in großem Maße; es waren Veröffentlichungen im »Völkischen Beobachter«, in der Zeitung »Das Reich«, außerdem wurde von dem Gauleiter meines Gebietes dazu Stellung genommen; außerdem bekamen sowohl der Befehlshaber der Ordnungspolizei und der Inspekteur der Sipo – ich möchte dazu bemerken: im ganzen Reich ist das so gewesen – von ihrem Vorgesetzten diesen Befehl auch. Auch vom Hauptamt Ordnungspolizei war ein derartiger Befehl herausgegeben, die gleiche Mitteilung an die Polizeistellen; ebenso wie vom Reichssicherheits hauptamt.


RA. PELCKMANN: Hat sich nun auf Grund dieser Erlasse die Haltung der Polizei in Ihrem Bezirk bei der Landung von feindlichen Fliegern irgendwie geändert?


[327] VON EBERSTEIN: In keiner Weise. Es war für uns Grundsatz, uns an die Bestimmungen der Genfer Konvention oder der Haager Landkriegsordnung zu halten; ich weiß nicht, welche der beiden Verordnungen da zuständig ist; aber jedenfalls die Gefangenen so zu behandeln, wie sich das gehörte.


RA. PELCKMANN: Ist es trotzdem in dem Bezirk, der Ihnen unterstellt war, zur Lynchung von Fliegern gekommen?


VON EBERSTEIN: Nein, zur Lynchung ist es nicht gekommen, aber bedauerlicherweise zu Erschießungen von Fliegern. Es ist uns passiert, daß die Flieger uns von den Polizeistationen weggeholt und daß sie erschossen worden sind. Es haben ja auch, wie ich aus der Presse jetzt entnommen habe, Prozesse dieserhalb stattgefunden und es sind diese Morde gesühnt worden. Ich bin jetzt fünfviertel Jahre in Haft und kann meine Kenntnisse nur aus den Zeitungen entnehmen. Aus dem Prozeßbericht geht hervor, daß die Polizeibeamten die Flieger in jeder Weise anständig behandelten, sie verbunden haben, wo sie verletzt waren und ihre Ablieferung an die Luftwaffe, wie das vorgeschrieben war, auch durchführten.


RA. PELCKMANN: War es unmöglich oder ein Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung, wenn die gelandeten Flieger von der Polizei und nicht von der Wehrmacht verhaftet wurden?


VON EBERSTEIN: Ich kann kein Urteil abgeben über diese, wie ich schon sagte, internationalen gesetzlichen Bestimmungen.


VORSITZENDER: Er ist nicht ein Zeuge über Gesetze. Das werden wir beurteilen.


RA. PELCKMANN: Bestand, Herr Zeuge, im allgemeinen schon seit Kriegsbeginn die Anweisung, daß notgelandete Flieger von der Polizei in Sicherheit genommen werden mußten?


VON EBERSTEIN: Jawohl; die Bestimmungen lauteten folgendermaßen: Die Flieger, die abgesprungen waren, waren durch die Polizei zu verhaften. Im übrigen war dazu nach deutschem Recht auch jeder andere Staatsbürger in der Lage. Dann waren sie zur Polizei zu bringen; die Polizeistationen hatten den Befehl, die nächstgelegene Dienststelle der Luftwaffe zu verständigen, daß bei ihr, bei der Polizei, abgesprungene feindliche Piloten abzuholen seien. Es bestand die ganz bindende Vorschrift, diese gefangenen Flieger an unsere Luftwaffendienststellen zu übergeben.


RA. PELCKMANN: Was hatten Sie als Höherer SS-und Polizeiführer mit der Gestapo und dem SD zu tun?


VON EBERSTEIN: Nichts. Durch den Inspekteur der Sicherheitspolizei wurde der Höhere SS- und Polizeiführer auf Grund der bestehenden Bestimmungen unterrichtet, was im Gebiet der Geheimen Staatspolizei beziehungsweise des Sicherheitsdienstes [328] vor sich ging. Diese beiden Dienststellen – Geheime Staatspolizei und Sicherheitsdienst – bekamen ihre Weisungen unmittelbar von den betreffenden Ämtern III beziehungsweise IV des Reichssicherheitshauptamtes.


RA. PELCKMANN: Hatten Sie also über diese Inspektionen der Sicherheitspolizei und des SD keine Befehlsbefugnis?


VON EBERSTEIN: Ich glaube, Sie haben sich versprochen – Inspektionen; über Inspektionen kann ich keine Befehlsbefugnis haben.


RA. PELCKMANN: Sie hatten über Sicherheitspolizei und SD keine Befehlsbefugnisse?


VON EBERSTEIN: Nein.


RA. PELCKMANN: Was hatten Sie als Führer des Oberabschnitts der Allgemeinen SS mit der Gestapo oder mit dem SD zu tun?


VON EBERSTEIN: Als Oberabschnittsführer ebenfalls nichts.


RA. PELCKMANN: War es im ganzen Reich so, daß die Führer der Allgemeinen SS keine Befehlsbefugnis gegenüber der Gestapo und dem SD hatten?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Die Allgemeine SS hatte keinerlei exekutive Befugnisse, und außerdem durfte sie nachrichtendienstlich, also auf dem Gebiete des Sicherheitsdienstes, auch nicht tätig werden.


RA. PELCKMANN: Hatte Ihr Oberabschnitt, hatten die Abschnitte, die Standarten, die Stürme der Allgemeinen SS, irgendwelche dienstlichen Beziehungen zur Gestapo oder zum SD?


VON EBERSTEIN: Nein.


RA. PELCKMANN: Was hatten Sie bis zum September 1944 als Höherer SS- und Polizeiführer oder als Oberabschnittsführer der Allgemeinen SS mit Konzentrationslagern zu tun?


VON EBERSTEIN: Nichts.


RA. PELCKMANN: Trifft es für das ganze Reichsgebiet zu, daß die Polizeipräsidenten, die Höheren SS- und Polizeiführer und die Führer der Allgemeinen SS nichts mit Konzentrationslagern zu tun hatten?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Welche Stellen waren verantwortlich, erstens für Einlieferung in und Entlassung aus den KZs, zweitens für die Verwaltung der KZs selbst?


VON EBERSTEIN: Für die Einweisung und für die Entlassung aus einem Konzentrationslager war zuständig das Amt IV des [329] Reichssicherheitshauptamtes. Für die Verwaltung und die inneren Angelegenheiten der Konzentrationslager war verantwortlich das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS, und zwar die Amtsgruppe D, Inspektion der Konzentrationslager.


RA. PELCKMANN: Kann man also aus Ihrer Antwort folgern, daß für Tötungen und Grausamkeiten an Häftlingen in KZs weder die Polizeipräsidenten des betreffenden Bezirks, noch der Höhere SS-Führer dieses Bezirks, noch der Führer des Oberabschnitts der Allgemeinen SS verantwortlich waren?


VON EBERSTEIN: Keine der genannten Dienststellen war verantwortlich für derartige Dinge. Das Konzentrationslagerwesen war ein in sich abgeschlossener Apparat mit eigenen Dienstwegen.

RA. PELCKMANN: Kennen Sie das Konzentrationslager Dachau von innen?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Ich habe im Laufe der Jahre von 1936 an, als ich nach München versetzt wurde, des öfteren von Himmler Befehl bekommen, hohe in- und ausländische Gäste nach Dachau zu führen, denen dort das Konzentrationslager gezeigt wurde. Unter anderen habe ich noch ganz zuletzt geführt den Königlich Jugoslawischen Innenminister, einmal hohe amerikanische Polizeibeamte, eine ganze Anzahl Kommandanten von Kriegsgefangenenlagern, italienische hohe politische Persönlichkeiten und dergleichen.


RA. PELCKMANN: Sie hatten also, da Sie sagten, Sie hätten mit Konzentrationslagern sonst nichts zu tun gehabt, nur bei diesen Gelegenheiten die Erlaubnis zum Eintritt bekommen? Und zwar bekamen Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, die Erlaubnis genau so wie die besichtigenden Gäste durch das Reichssicherheitshauptamt?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Das heißt, ich bekam meinen Befehl, dorthin zu gehen, und die Gäste die Erlaubnis. Und zwar ging das auf folgendem Wege, daß entweder vom Stab Himmlers oder vom Reichssicherheitshauptamt über die Inspektionen der Konzentrationslager die zuständige Lagerkommandantur verständigt wurde, es kommen jetzt Gäste unter Führung meiner Person.


VORSITZENDER: Wir glauben nicht, daß Sie sich mit den Einzelheiten befassen müssen, wie die Befehle gelaufen sind. Die Einzelheiten brauchen wir nicht zu hören.


RA. PELCKMANN: Hatten Sie, abgesehen von dem Fall Rascher, auf den ich gleich zu sprechen kommen werde, jemals einen dienstlichen Grund, das Lager Dachau zu betreten?


VON EBERSTEIN: Nein.


[330] RA. PELCKMANN: Mußten Sie vielleicht aus anderen Gründen den Wunsch haben, sich Gewißheit über die Zustände im Lager zu verschaffen, etwa weil Sie gehört hatten, daß dort Massentötungen vorgenommen werden und die Leute verhungern?


VON EBERSTEIN: Nein. Was ich gesehen habe bei den Besichtigungen, war in jeder Beziehung in Ordnung. Es wurden die Kücheneinrichtungen gezeigt, die Lazarette, die Zahnstation, der Operationsraum, die Duschräume, Baracken, und dabei bestand hier auch Gelegenheit, zahllose Häftlinge zu sehen, die nach meiner Beurteilung in Friedenszeiten – also vor 1939 – in einem hervorragend guten Gesundheitszustand waren, nach 1939 – also im Kriege – einen normal ernährten Eindruck machten. Es sind ja auch Tausende von Häftlingen, in München beispielsweise, auf öffentlichen Plätzen und Straßen bei der Beseitigung der Bombenschäden tätig gewesen und jedermann hat ja die Häftlinge sehen können. Ich hatte von mir aus auf Grund des Wissens, das ich mir auf Grund der Besuche im Lager angeeignet hatte, keine Veranlassung hineinzugehen und hatte auch kein Recht dazu.


RA. PELCKMANN: Konnten Sie bei diesen Besuchen wegen Ihrer Dienststellung etwa mehr oder weniger sehen als die Gäste, die Sie begleitet haben?


VON EBERSTEIN: Das kann ich nicht beurteilen. Es waren Führungen durch das ganze Lager. Beispielsweise im Herbst 1944 die Führung der Kommandanten der Kriegsgefangenenlager. Das waren ja alles Fachleute, die sich genau in einem Lager auskannten und überall nach eigenem Ermessen herumgingen und sich alles ansehen konnten.


RA. PELCKMANN: Haben Sie einmal etwas von biologischen Versuchen an lebenden Menschen im Konzentrationslager Dachau erfahren und falls ja, wann?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Im Frühjahr 1944. Im Zuge kriminalpolizeilicher Ermittlungen, die gegen einen SS-Hauptsturmführer Dr. med. Rascher und seine Ehefrau durchgeführt wurden. Das Ehepaar Rascher war beschuldigt der Kindesunterschiebung. Es ist ein sehr schwer zu übersetzendes Wort. In unserem Recht heißt es so; also die widerrechtliche Aneignung fremder Kinder.

Zweitens sollte der Ehemann Rascher finanzielle Unregelmäßigkeiten begangen haben in Verbindung mit der Forschungsstelle in Dachau, in der diese biologischen Versuche gemacht worden sind. Diese Forschungsstelle unterstand Himmler unmittelbar ohne jede Zwischenstelle.


RA. PELCKMANN: Wußten Sie etwas vorher von diesen Versuchen?


[331] VON EBERSTEIN: Nein. Es war ein Zufall, daß ich darauf gekommen bin.


RA. PELCKMANN: Schildern Sie bitte Ihre Ermittlungen, damit das Gericht sieht, daß Sie die Augen vor solchen Dingen nicht verschlossen haben.


VON EBERSTEIN: Ich habe mir auf Grund der Vorgänge, die bereits bei der Kriminalpolizei in München angefallen waren, den Eintritt in das Lager Dachau erzwungen. Ich mache darauf aufmerksam, es war bereits 1944, und die Nachrichtenverbindungen waren so schlecht, daß ich nicht auf lange Genehmigung mehr warten konnte. Ich habe mit Hilfe eines Fern schreibens an die Inspektion festgestellt, daß ich im Zuge der polizeilichen Ermittlungen, das dortige Einverständnis voraussetzend, mit den Beamten nach Dachau gehen werde. Noch wußte ich von den biologischen Versuchen nichts, sondern nur von den beiden zuerst genannten Delikten. Und als ich in meiner Unterredung mit dem Lagerkommandanten den Namen Rascher nur nannte, so sagte er sowohl als auch der zugezogene Lagerarzt, daß sie Rascher für einen gefährlichen, unglaublichen Menschen hielten, der hier die schlimmsten Versuche an lebenden Menschen mache. Er – Rascher – war mit allen Vollmachten Himmlers ausgestattet, und so war der Kommandant und das Personal derart eingeschüchtert, daß sie sich bis zu dem Zeitpunkt meines Eingreifens nicht getraut haben, irgendwie gegen die Tätigkeit Raschers anzugehen. Sie fühlten in mir den Schutz eines hohen SS-Führers, und so kamen wir auf die Versuche. Ich habe selbstverständlich Rascher, der vorher von der Kriminalpolizei aus Verdunkelungsgründen in Polizeihaft genommen war, nicht wieder freigelassen und sofort an Himmler persönlich Bericht erstattet in seine damalige Feldkommandostelle in Eigen bei Salzburg, und zwar unaufgefordert und aus eigenem Entschluß.

Himmler hatte mir schon vorher fernmündlich die heftigsten Vorwürfe gemacht, wieso ich dazu käme, überhaupt da einzugreifen. Er warf mir vor, ich wolle wohl einen Sensationsprozeß aufziehen. Ich habe Himmler klar ins Bild gesetzt, worauf er sehr zurückhaltend mir gegenüber war und mir sagte, ich verstände von diesen Dingen nichts. Herr Rascher habe sehr große Forschungsverdienste. Er sagte zu, den Fall Rascher unter Einbehaltung der Akten, die ich dabeihatte, dem Obersten SS- und Polizeigericht zur Ahndung zu übergeben.

Das Oberste SS- und Polizeigericht war deswegen zuständig, weil Himmler Raschers Vorgesetzter in seiner Tätigkeit in dieser Forschungsstelle war und Rascher ihm unmittelbar unterstand. Leider unterstand er nicht meiner Gerichtsbarkeit.


RA. PELCKMANN: Ist nun ein Verfahren gegen Rascher durchgeführt worden?


[332] VON EBERSTEIN: Nein.


RA. PELCKMANN: Was ist aus Rascher geworden?


VON EBERSTEIN: Rascher blieb nach wie vor in Haft. Ich habe ununterbrochen durch Wochen und Monate hindurch reklamiert bei der Dienststelle Himmlers und bei dem Obersten SS- und Polizeigericht. Bei der letzteren Dienststelle habe ich festgestellt, daß die Akten von Himmler überhaupt nicht dorthin abgegeben worden sind.


RA. PELCKMANN: Haben Sie später erfahren, daß Rascher im Konzentrationslager war?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Rascher war in Haft in der Arrestanstalt in der SS-Kaserne München-Freimann geblieben; allem Anschein nach bis die Kaserne, jedenfalls die Arrestanstalt, infolge Herannahens amerikanischer Truppen geräumt wurde. Er ist dann nach Dachau gekommen, und aus der Presse habe ich entnommen, daß er in den letzten Tagen erschossen worden sein muß. Ich kann dazu keine weiteren Angaben machen, da ich am 20. April 1945 meiner Ämter enthoben wurde.


VORSITZENDER: Bevor wir uns vertagen, können Sie, Dr. Pelckmann, uns vielleicht sagen, wie lange Sie diesen Zeugen noch vernehmen werden.


RA. PELCKMANN: Ich nehme an, 45 Minuten.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.


[Das Gericht vertagt sich bis

5. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 20, S. 303-334.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon