Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Was die erste Gruppe von Dokumenten betrifft, gegen deren Zulassung der sowjetische Anklagevertreter Einspruch erhoben hat, ist der Gerichtshof der Ansicht, daß sie trotz der Tatsache, daß sie sich auf eine weit zurückliegende Zeit beziehen, zuzulassen sind, da diese Dokumente in das Dokumentenbuch der SA auf Grund einer Vereinbarung aufgenommen worden sind und das Affidavit 82 von der Kommission zugelassen worden ist. Sie sind daher angenommen. Es sind dies die Dokumente 285, 286, 287, 132 und 82.

Was die elf oder besser gesagt zehn Affidavits betrifft, die die Britische Anklagevertretung zum Beweise angeboten hat, so hat der Gerichtshof die in Kurzschrift aufgenommenen Notizen über das Vorbringen von Sir David Maxwell-Fyfe vom 9., 14. und 15. August neuerlich einer Prüfung unterzogen; obwohl damals zweifellos eine Andeutung gemacht wurde, daß diese Dokumente allenfalls vorgelegt werden würden, ist der Gerichtshof doch der Ansicht, daß die Frage der Zulässigkeit dieser Dokumente als Gegenbeweis noch zu erwägen ist. In Anbetracht der Art dieser Dokumente glaubt der Gerichtshof, daß sie im großen und ganzen nicht zum Gegenbeweis geeignet und daher nicht zuzulassen sind. Damit sind alle Affidavits mit Ausnahme der eidesstattlichen Erklärung von Kurt Ehrhardt, die anders zu beurteilen ist, gemeint. In Anbetracht der Art der in diesem Affidavit enthaltenen Aussage wird es zugelassen.

Das ist alles.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich möchte Sie bitten, mir noch einen Moment Gehör zu schenken. Ich habe es vermieden, in meinem Dokumentenvortrag aus meinen Dokumentenbüchern zu zitieren. Nachdem aber heute morgen der Herr Vertreter der Anklage das Dokument SA-156, das eine Verfügung des SA-Hochschulamtes München darstellt, in einen Gegensatz gebracht hat zu der gleichen Verfügung des SA-Hochschulamtes Köln, möchte ich darauf hinweisen, daß unter Ziffer 3 der beiden Verfügungen die gleiche Verfügung vom 7. Februar 1934 erwähnt ist und daß es bei der Gegenüberstellung der beiden Dokumente in jedem Fall heißt: »Ist für alle Mitglieder der deutschen Studentenschaft der SA-Dienst zur Pflicht gemacht.« Um es aber verständlich zu machen, daß die Anklage geglaubt hat, hier einen Gegensatz herauszufinden, möchte ich bei der Verfügung des Hochschulamtes Köln unter der Ziffer 3 den letzten Satz zitieren.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird über die richtige Auslegung beraten. Wir verstehen durchaus, daß Sie behaupten, der [491] Dienst in der SA sei Pflicht gewesen, während die Anklagevertretung das Gegenteil behauptet und das Dokument vorlegt, das angeblich ihren Standpunkt unterstützt. Wir brauchen jedoch keine Argumentation darüber in diesem Stadium.


RA. BÖHM: Ich wollte nur vier Worte anfügen. Vier Worte an den letzten Satz der Ziffer 3. »... oder nicht zu studieren.« Dann hat heute der russische Ankläger vorgetragen, daß ich das Dokument Nummer 91...


VORSITZENDER: Behaupten Sie, daß hier ein Druckfehler im Dokument unterlaufen ist oder was?


RA. BÖHM: Nein, Herr Vorsitzender. Ich wollte...


VORSITZENDER: Dann argumentieren Sie nur über die Auslegung der Worte, und ich sagte Ihnen bereits, der Gerichtshof wird über die Auslegung beraten und allein entscheiden, wie die Verfügung auszulegen ist.


RA. BÖHM: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich darf aber noch das nächste Dokument einfügen, von welchem die Anklage behauptet, ich habe es wegen des letzten Absatzes vorgelegt. Das ist nicht richtig. Das nächste Dokument, Allgemeine SA-91, habe ich nicht wegen des letzten Absatzes vorgelegt, sondern des ersten Absatzes wegen. Es ist das die Stellungnahme des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht in Braunschweig.


VORSITZENDER: Gut. Wir verstehen, daß Sie sich auf den ersten und nicht auf den letzten Absatz berufen.


RA. BÖHM: Ja, Herr Vorsitzender, danke schön.


RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Hohes Gericht! Ich habe gestern für die von mir verteidigte SS eine Zusammenstellung vorgetragen von 136213 eidesstattlichen Versicherungen. Diese Zusammenstellung bitte ich nicht zu verwechseln mit einer Statistik, von der ich gestern am Schluß der Sitzung nur gesagt habe: Ich überreiche sie ohne Kommentar. Alles, was ich gestern über die Aussagen und die Stellungnahmen von SS-Leuten vorgetragen habe, bezieht sich nur auf die 136000 eidesstattlichen Versicherungen, die einen vollen Wortlaut enthalten, die selbständige eidesstattliche Versicherungen sind. Die Statistik, die ich zum Schluß erwähnt habe, die beruht auf einem Fragebogen und ist nicht zu verwechseln mit den 136000 Affidavits, die ich ausgewertet habe. Dieser Fragebogen ist nicht von mir veranlaßt worden. Ich habe diesem Fragebogen und der Beantwortung dieses Fragebogens keinen Wert beigemessen und habe ihn lediglich überreicht – diese Statistik lediglich überreicht –, um alles Material, was ich nun einmal bekommen hatte, los zu werden. Dieser Fragebogen ist nicht von mir veranlaßt worden, und auch der von dem Herrn Kurt Ehrhardt [492] in seinem Affidavit erwähnte Rechtsanwalt oder Verteidiger der SS bin nicht ich gewesen. Dem Hohen Gericht ist ja bekannt, daß die Verteidigung intern inzwischen gewechselt hat. Ich möchte aber...


VORSITZENDER: Ja, wir sind uns klar darüber, daß das nicht gerade von Ihnen angefordert wurde. Wir nehmen das an.


RA. PELCKMANN: Ich möchte aber das ganz klarstellen und sagen, daß die Behauptung des Herrn Ehrhardt sich nicht auf die 136000 Affidavits bezieht, sondern auf die Beantwortung eines Fragebogens. Die Statistik, die ich gestern nur mit drei Worten angekündigt habe und die im Generalsekretariat liegt, ziehe ich hiermit ausdrücklich als Beweismaterial zurück. Ich lege auf diese Statistik keinen Wert.


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Sie haben doch die Absicht, in einigen Tagen ein Plädoyer zu halten. Ist das nicht eine Sache, die Sie dann behandeln werden? Dann werden Sie doch Gelegenheit haben, an dem Affidavit Kurt Ehrhardts Kritik zu üben. Aber jetzt ist nicht die gegebene Zeit dafür.


RA. PELCKMANN: Herr Präsident! Ich glaube verpflichtet zu sein, zu einem Affidavit, das die Staatsanwaltschaft hier vorlegt, obwohl die Beweisaufnahme für die Anklagebehörde geschlossen ist, Stellung nehmen zu müssen. Ich tue noch mehr...


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Ich habe Ihnen eben gesagt, daß Sie nicht dazu verpflichtet sind und daß Sie das in Ihrem Plädoyer behandeln können. Der Gerichtshof will deshalb nichts weiter darüber hören.


RA. PELCKMANN: Zur Erwiderung auf dieses Affidavit des Herrn Ehrhardt bitte ich aber, obwohl ich auf die Statistik keinen Wert lege, zwei Zeugen dieses Lagers zu liefern, denn ich kann natürlich nicht...


VORSITZENDER: Wenn Sie einen Antrag stellen wollen, dann müssen Sie ihn schriftlich stellen. Nun, Dr. Servatius.


OBERJUSTIZRAT L. N. SMIRNOW, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender! Ich habe zwei sehr kurze Anträge für die Sowjetische Anklagebehörde zu stellen. Der erste Antrag ist die Streichung aus dem Protokoll der Vormittagssitzung des 23. April 1946 und der Nachmittagssitzung des 23. April 1946, derjenigen Diskussion, die...


VORSITZENDER: Nicht so rasch, der wievielte April?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vom 23. April, Herr Vorsitzender, die Vormittags- und Nachmittagssitzung. Es ist jene Diskussion, die über den amtlichen Anhang zum Bericht der Regierung der [493] Polnischen Republik entstanden ist. Ich spreche über die Instruktionen der Propagandaabteilung in Polen. Der hier vorgeladene Zeuge Bühler hat erklärt, daß er die Echtheit dieses Dokuments bezweifle, und zwar begründet er dies damit, daß gewisse Ausdrücke ihm nicht ganz deutsch zu sein scheinen, sondern dem Geist der deutschen Sprache fremd seien. Als wir diesen Zwischenfall näher untersuchten, stellte sich heraus, daß dem Zeugen nicht das deutsche Original, sondern eine polnische Übersetzung des Anhangs vorgelegt worden war. Dieser Anhang war aus dem Deutschen ins Polnische und vom Polnischen ins Englische und dann wieder vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Dies verursachte natürlich ein gewisses Durcheinander in der Ausdrucksweise. Soweit mir bekannt, kennt Dr. Seidl, der Verteidiger Franks, dieses Dokument und hat nichts dagegen, wenn dieser Teil im Protokoll gestrichen wird, da er durch die Fehler der Übersetzung entstanden ist. Alle dafür nötigen Dokumente sind dem Generalsekretariat des Gerichtshofs eingereicht worden. Das war der erste Antrag, den ich stellen möchte. Der zweite Antrag...


VORSITZENDER: Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, wir haben diese Angelegenheit schon besprochen, da Dr. Seidl seinen Einspruch gegen das Dokument zurückgezogen hat. Vielleicht können Sie später ausfindig machen, ob wir die Angelegenheit schon behandelt haben. Es wurde uns doch von Dr. Seidl ein Dokument unterbreitet, in dem er sagt, er sei nun, nachdem er es nachgeprüft habe, davon überzeugt, daß alles in Ordnung ist.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, Herr Vorsitzender. Soviel ich weiß, hat Dr. Seidl nichts dagegen, wenn dieser Teil im Protokoll gestrichen wird, weil es ein Irrtum der Übersetzung war.


VORSITZENDER: Ihr Antrag geht also dahin, die Aussage Bühlers aus dem Protokoll zu streichen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, den Teil, der das Dokument betrifft.


VORSITZENDER: Wir werden Ihren Antrag prüfen, Oberst Smirnow.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Der zweite Antrag, den ich beim Gerichtshof stellen möchte, ist folgender:

In dem Bericht der Polnischen Regierung, der dem Gerichtshof vorgelegt wurde, sind in verschiedenen Fällen keine Gesamtziffern der Verluste angegeben, die Polen im Laufe des Krieges erlitten hat. Dies liegt daran, daß zur Zeit der Abfassung des Berichts die Errechnung der Verlustziffern noch nicht abgeschlossen war. Ich bitte den Gerichtshof, als Ergänzung zu diesem Bericht ein amtliches Memorandum des Präsidiums des Polnischen Ministerrates, Abteilung Kriegsreparationen, zuzulassen. Dieses Memorandum enthält die [494] endgültigen Zahlen über die verschiedenen Verluste der Polen während des zweiten Weltkrieges. Der Text dieses Dokuments wurde in alle vier Sprachen übersetzt, das heißt ins Englische, Russische, Französische und Deutsche. Das ist der zweite Antrag, den ich beim Gerichtshof stellen möchte. Ich habe weiter keine Anträge mehr, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Soll dies ein Gegenbeweis sein?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, es scheint, daß diese Übersetzung nicht ganz genau gewesen ist. Es ist ein Dokument, das den polnischen Bericht, den Bericht der Polnischen Regierung durch genaue Zahlenangaben über die Verluste ergänzt, die Polen während des Krieges erlitten hat. Es sind die Angaben der Verluste, die Polen während des zweiten Weltkrieges erlitten hat, die Verluste an Menschen sowie an Vermögenswerten. Es ist ein ergänzendes Dokument, das nichts widerlegt, sondern nur genauere Angaben macht.


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Das Dokument trägt das Datum vom 29. Januar 1946 und nun, Ende August, am Ende des Prozesses, bittet man Sie, dieses Dokument als Beweismaterial vorzulegen?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Das Dokument wurde der Sowjetischen Delegation erst in der allerletzten Zeit übergeben. Man mußte dieses Dokument erst in vier Sprachen übersetzen, und das dauerte augenscheinlich eine gewisse Zeit. Jedenfalls haben wir es erst kürzlich erhalten.


VORSITZENDER: Ich habe nicht behauptet, daß Sie irgendwie schuld daran sind, Oberst Smirnow. Der Gerichtshof ist jedoch der Ansicht, daß dieses Dokument so spät nicht mehr vorgelegt werden kann. Das Dokument scheint schon lange ausgestellt worden zu sein, und obwohl Sie es erst vor kurzem erhalten haben, geht es nicht an, es jetzt in diesem Prozeßstadium zuzulassen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich lege dieses Dokument nur deshalb vor, weil ich glaube, daß die darin enthaltenen Zahlen wesentlich für die Vorlage der Gesamtverluste der Polnischen Republik sind. Nur so halte ich es für möglich, diese Angaben zu ergänzen und habe auch deshalb diesen Antrag bei dem Gerichtshof gestellt.


VORSITZENDER: Das mag wohl sein, Oberst Smir now, aber der Gerichtshof weist es zurück, weil es zu einem so späten Zeitpunkt vorgelegt wird, so daß es dem Gerichtshof unmöglich ist, die darin behaupteten Tatsachen zu untersuchen oder den Angeklagten Gelegenheit zu geben, sie zu widerlegen. Über die anderen Dinge, auf die Sie uns aufmerksam gemacht haben, werden wir beraten.


[495] DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Da Herr Kollege Dr. Servatius eben aufgerufen ist, seinen Schlußvortrag zu halten, glaube ich annehmen zu dürfen, daß die Beweisaufnahme in dem Verfahren gegen die Organisationen als geschlossen angesehen werden soll.

Ich möchte nun den Gerichtshof fragen, wann der richtige Zeitpunkt für die Erledigung derjenigen Beweisanträge ist, die noch erledigt werden müssen, die noch rückständig sind. Es betrifft die Einzelangeklagten, welche im Verlauf des Organisationsverfahrens Beweisanträge gestellt oder Affidavits eingereicht haben. Kann das in diesem Augenblick geschehen, oder wann soll es geschehen?


VORSITZENDER: Dr. Nelte! Der Gerichtshof nimmt an, Sie haben einige Beweismittel, deren Vorlage Sie beantragt haben und die Sie vorzulegen wünschen. Sie haben doch alles fertig, nicht wahr?

DR. NELTE: Jawohl. Ich habe es auch schon eingereicht und der Anklagebehörde vorgelegt und dem Gerichtshof schriftlich am 9. August mitgeteilt. Es handelt sich für mich darum, zu welchem Zeitpunkt... Es handelt sich um drei Affidavits, wie ich sie hier einführen kann.


VORSITZENDER: Haben Sie diese Beweisdokumente hier?


DR. NELTE: Jawohl.


VORSITZENDER: Gut, Dr. Nelte, wir glauben, daß Sie die Affidavits jetzt vorlegen können, wenn die Anklagebehörde keinen Einwand hat.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soviel ich weiß, ist kein Einspruch zu erheben, sicherlich nicht von seiten Herrn Dodds und von mir. Ich habe von meinen anderen Kollegen nichts darüber gehört und auch keine Einwendung gehört.


VORSITZENDER: Sie können sie also vorlegen. Was die anderen Anklagen betrifft...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Entschuldigung, es wurde von keiner Seite eine Einwendung erhoben.


VORSITZENDER: Was die übrigen Angeklagten betrifft, so hat die Verteidigung zur Kenntnis zu neh men, daß sie neue Beweismittel, die sich aus den von den Verteidigern für die Organisation vorgelegten Beweisen ergeben, während der Plädoyers für die Organisationen oder unmittelbar nach Beendigung derselben anzubieten haben und daß nachher keine weiteren Beweise beantragt werden können.

Wir sind bereit, jetzt Ihre Anträge auf Beweise entgegenzunehmen.


[496] DR. NELTE: Die Affidavits sind jedoch noch nicht übersetzt, da ich die Übersetzung erst nach dem Einverständnis der Anklagebehörde beantragen konnte. Ich bitte, die Dokumente im Original...


VORSITZENDER: Sie schlagen also vor, die Verhandlung über die Affidavits zu verschieben bis wir die Übersetzungen bekommen?


DR. NELTE: Jawohl.


VORSITZENDER: Gut.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich habe noch zwei Fragebogen zu übergeben. Zwei Fragebogen, die seinerzeit vom Gericht genehmigt worden sind, die in der Zwischenzeit eingelaufen sind und die ich auch bereits ordnungsgemäß vorgelegt habe. Es ist das ein Fragebogen 137, Baldur von Schirach, Dokumentenbuch von Schirach Nummer 137, ein Fragebogen eines gewissen Günther Kaufmann, der im Stab des Angeklagten von Schirach bei der Reichsjugendführung tätig war. Dieser Fragebogen beschäftigt sich in der Hauptsache mit der Einstellung Schirachs zur Kriegsfrage, seine Stellung zur Außenpolitik, seine Stellung zur Behandlung der Ostvölker und seine Einstellung zur Judenfrage, und schließlich zur Frage der Auslandspropaganda. Dieser Fragebogen bekommt die Nummer 137, Dokumentenbuch von Schirach.

Der nächste Fragebogen bekommt die Nummer 138, von Schirach. Es ist ein russischer Fragebogen einer Zeugin Ida Vasseau. Ich wiederhole: Ida Vasseau, die in der Zwischenzeit nochmals einvernommen wurde. Aus diesem Fragebogen bewerte ich lediglich zwei Sätze auf Seite 4 und 5, die ich am Rande rot angestrichen habe. Dieser Fragebogen bekommt, wie gesagt, die Nummer Schirach-138.

Und schließlich darf ich noch die Nummer angeben für ein anderes Beweismittel. Ich habe dem Gericht unterm 11. Juli 1946 das Original einer Zeitung, der »Rhein-Neckar-Zeitung« vom 6. Juli 1946 mit einem Begleitschreiben vorgelegt zum Nachweis dafür, daß der in der Sache Schirach hier im Zeugenstand vernommene Zeuge Lauterbacher in der Zwischenzeit vom englischen Obergericht freigesprochen wurde in der bekannten Sache, wo ein gewisser Kremer den Gauleiter Lauterbacher beschuldigt hatte, dieser habe die Ermordung der Zuchthausinsassen des Zuchthauses Hameln angeordnet. Dieser Zeitungsartikel im Original wurde Ihnen bereits unterm 11. Juli 1946 vorgelegt; er bekommt die Exhibit-Nummer Schirach-139.


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Diese Sache ist von Dr. Sauter schon so oft vorgebracht worden, daß wir das Protokoll klarstellen müssen. Zur Zeit, als ich dieses in unseren Händen befindliche [497] Schriftstück zum Zwecke des Kreuzverhörs des Zeugen Lauterbacher verwenden wollte, verfügte der Gerichtshof, daß die Angelegenheit weder vorgebracht werden sollte noch als Beweis zugelassen wurde, und so ist es dem Gerichtshof als Beweisstück nie vorgelegt worden. Ich gestehe offen, daß ich damals sehr darauf gedrungen habe, aber wie später bekannt wurde, hatte sich der Gerichtshof kurzerhand geweigert, es als Beweisstück zuzulassen. Wenn Dr. Sauter es hier und da noch einmal erwähnen möchte, habe ich nichts dagegen, aber es nützt dem Gerichtshof nicht, und es scheint zwecklos, es immer und immer wieder zu erwähnen.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Der Zeitungsartikel, den ich unterm 11. Juli vorgelegt habe, stammt vom 6. Juli 1946 – vom sechsten Tag des siebenten Monats –, also von einer Zeit nach der Vernehmung des Lauterbacher. Er konnte also bei der Vernehmung des Lauterbacher selbstverständlich noch nicht berücksichtigt werden, dürfte aber immmerhin für die Beurteilung des Zeugen Lauterbacher von Bedeutung sein; denn das Gericht erinnert sich vielleicht, daß gerade Mr. Dodd seinerzeit dem Lauterbacher diese Sache mit dem Zuchthaus in Hameln vorgehalten hat. Lauterbacher hat das auf Eid bestritten, aber ein Zeuge Kremer hat es in einem Affidavit behauptet. Dieser Zeuge Kremer ist inzwischen verurteilt, aber der Zeuge Lauterbacher ist freigesprochen worden, und ich glaube, daß diese Tatsache für das Gericht wesentlich erscheint bei der Beurteilung der Frage der Glaubwürdigkeit, der Zuverlässigkeit des Zeugen Lauterbacher.


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich will meinen Einspruch zurückziehen. Wenn Dr. Sauter beweisen will, daß er kein Henker war, habe ich nichts dagegen. Ich halte es nicht für sehr wichtig. Ich habe auch nichts dagegen, wenn er vorbringen will, daß er weder jemand vergiftet noch aufgehängt hat. Von Schirach hat das Dokument zurückgewiesen. Nun will Dr. Sauter beweisen, daß er jedenfalls kein Henker war. Ich glaube nicht, daß wir dagegen Einspruch zu erheben haben.


VORSITZENDER: Er möchte nur zeigen, daß Lauterbacher freigesprochen wurde von...


MR. DODD: Er wurde von dem Vorwurf freigesprochen, den ich hier gegen ihn erhoben habe. Dr. Sauter ist damit noch nicht zufriedengestellt. Er will es nochmals beweisen. Er will beweisen, daß er kein Henker und Giftmischer war. Dagegen haben wir nichts einzuwenden.


DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich will natürlich nicht beweisen, daß Lauterbacher kein Henker ist, denn das hat ja bisher auch die Staatsanwaltschaft nicht ernstlich behaupten können. Ich will nur beweisen, daß der Zeuge, den die Staatsanwaltschaft vorgeführt hat [498] mit einem Affidavit – nämlich dieser Herr Dr. Kremer –, daß das kein glaubwürdiger Zeuge ist und daß der die Unwahrheit gesagt hat. Und das ist vom englischen Obergericht inzwischen rechtskräftig durch Urteil festgestellt worden. Für die Frage der Glaubwürdigkeit, einerseits des Zeugen Dr. Kremer in seinem Affidavit und andererseits des Zeugen Lauterbacher, der hier erschienen ist, dürfte das von Bedeutung sein.


VORSITZENDER: Was für ein Dokument wollen Sie vorlegen, einen Zeitungsartikel?


DR. SAUTER: Die Zeitung hat den Titel – ich habe sie Ihnen vorgelegt – »Rhein-Neckar-Zeitung« vom 6. Juli 1946, und das habe ich dem Gericht vorgelegt unterm 11. Juli 1946 ordnungsgemäß mit Formular.

Das wäre dann alles, Herr Präsident, was ich an Beweisanträgen noch zu sagen habe. Danke sehr.


VORSITZENDER: Gut. Wir werden den Antrag prüfen. Dr. Servatius bitte.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Die englischen Übersetzungen sollten heute morgen fertig sein. Es ist möglich, daß sie jetzt so weit sind. Aber ich bin nicht gewiß. Es liegt daher nur der deutsche Text vor. Ich habe den Dolmetschern eine Abschrift gegeben.

Herr Präsident! Meine Herren Richter!

Die Anklagebehörde hat beantragt, das »Korps der Politischen Leiter« für verbrecherisch zu erklären. Was wird der so zusammengefaßten Gruppe von Personen vorgeworfen?

Gegenstand der Untersuchung war die Judenverfolgung und der Kampf mit der Kirche, sowie die Auflösung der Gewerkschaften; die Aufforderung zum Lynchen von notgelandeten Fliegern, die Mißhandlung von Ausländern; die Verhaftung politischer Gegner und Methoden der Überwachung und Bespitzelung.

Es muß demgegenüber der juristische Kern der von der Anklage erhobenen Beschuldigung herausgestellt werden. Diese geht dahin, daß das »Korps der Politischen Leiter« alle die genannten Handlungen gemeinsam begangen habe zur Entfesselung eines Angriffskrieges oder daß es sich zusammengetan habe, um die erwähnten Kriegsverbrechen zu begehen.

Einleitend ist klarzustellen, daß alle Handlungen, die nicht von diesen Motiven getragen sind oder als Einzelhandlungen nicht zum gemeinsamen Plan der Verschwörung gehören, von der Beschuldigung nicht erfaßt werden.

Die großen Verbrechen, wie die Ausrottung der Juden, die Tötung politischer Gegner in Konzentrationslagern, sind keine Humanitätsverbrechen im Sinne des Statuts, und die kleinen Maßnahmen [499] der Bespitzelung oder Wahlfälschung sind hier im Verfahren für sich genommen unbeachtlich, wenn nicht alles ausgerichtet ist und zum Ziele hat die Verbrechen, die in Artikel 6 des Statuts als Verbrechen gegen den Frieden und Kriegsverbrechen als völkerrechtswidrig festgelegt sind.

Auf diese Rechtslage ist bereits früher von mir hingewiesen worden, ohne Widerspruch zu finden. Ich will zur Unterstützung der Ansicht auf das Berliner Zusatzprotokoll zum Statut vom 6. Oktober 1945 hinweisen. Es handelt sich um eine Vereinbarung der vier Signatarmächte des Statuts, deren einziger Punkt die Umwandlung eines Strichpunktes in ein Komma bildet. Mit der Vereinbarung erfolgt die Berichtigung des Textes des Artikels 6c, der durch den im englischen und französischen Text vorhandenen Strichpunkt in zwei Teile getrennt worden war; dies hatte zum Ergebnis, daß Humanitätsverbrechen auch hätten verfolgt werden können, ohne mit Verbrechen gegen den Frieden oder Kriegsverbrechen, für die das Tribunal zuständig ist, im Zusammenhang zu stehen. Diese Möglichkeit eines Eingriffes in die inneren Angelegenheiten eines Staates ohne Kriegszusammenhang fällt fort, nachdem der Artikel 6c entsprechend dem russischen Text gefaßt ist.

Ein Eingriff aus humanitären Erwägungen allein ist damit für das Tribunal ausgeschlossen.

Auch die Anklagebehörde hat in allen grundlegenden Ausführungen stets darauf Bedacht genommen, den Zusammenhang aller Beschuldigungen mit den Verbrechen gegen den Frieden und mit den Kriegsverbrechen durch den Nachweis der Verschwörung in Zusammenhang zu bringen.

Wer wird von dem gegen das »Korps der Politischen Leiter« gerichteten Antrag erfaßt?

Nach dem Statut ist es Sache der Anklagebehörde, den Kreis der Personen zu bestimmen, der als Organisation oder Gruppe für verbrecherisch erklärt werden soll. Hier ist der Antrag gerichtet gegen das »Korps der Politischen Leiter« nach der nationalsozialistischen Terminologie.

Trotz der Bezeichnung, die auf eine Organisation hinweist, hat eine solche nicht bestanden. Es ist selbst durch Anordnung des Stellvertreters des Führers in der Partei, Heß, vom 27. Juli 1935 (Dokument PL-12), die für den gleichen Personenkreis gewählte Bezeichnung »Politische Organisation« ausdrücklich verboten worden. Als Begründung wurde dafür angegeben, daß es eine besondere Organisation innerhalb der Partei nicht geben könne. Tatsächlich handelt es sich bei dem Personenkreis auch nur um Funktionäre, wie sie jede Partei als leitende und ausführende Organe hat.

[500] Aber es besteht kein Zweifel, daß eine Mehrzahl von Personen vorhanden ist, die durch ihre Titel als Politische Leiter zu bestimmen sind.

Es ist keine Gruppe, die sich zusammengeschlossen hat, denn in den Kreis der Politischen Leiter kam man nicht durch seinen Beitritt, sondern infolge einer ohne eigenes Zutun erfolgten Ernennung durch einen Hoheitsakt. Die Rechtslage entspricht der eines jeden Beamten, der durch seine Ernennung in den Kreis seiner Kollegen tritt. Wodurch wird dieser Kreis als besondere Gruppe zusammengefaßt?

Außer durch die Ernennung nur durch das Recht zum Tragen einer Uniform, das damit verbunden war. Hinzu kommt der Eid, der aber insofern keine Besonderheit darstellt, als ihn alle Beamten und Soldaten in gleicher Form zu leisten hatten.

Die Aufgaben und Tätigkeiten der Angehörigen des »Korps der Politischen Leiter« sind dagegen durchaus verschieden ihrer Art und Bedeutung nach. Es gab Politische Leiter, die in Verbänden, wie Deutsche Arbeitsfront und Volkswohlfahrt, tätig waren und bei ihrer praktischen Verwaltungsarbeit nur aus dekorativen Gründen eine Uniform trugen. Es sind dies die Angehörigen der verschiedenen angeschlossenen Verbände, die selbst von dem Antrag der Anklagebehörde bewußt nicht erfaßt worden sind.

Daneben gibt es Politische Leiter, die den eigentlichen politischen Apparat gesteuert haben; es sind dies die Hoheitsträger und die Mitglieder der politischen Stäbe, die von der Anklagebehörde als »top-leaders« oder »main-leaders« bezeichnet werden.

Aus der Begründung des Antrags der Anklagebehörde ergibt sich, daß unter dem »Korps der Politischen Leiter« von ihr nur diese Angehörigen verstanden werden; diese sind aufgezählt vom Reichsleiter bis zum Blockleiter.

Aus den angeschlossenen Verbänden sind damit die Politischen Leiter nur insoweit erfaßt, als sie in den politischen Stäben tätig waren, die sich um die Hoheitsträger gruppieren.

Dieser Personenkreis kann insofern als besondere, bestimmbare Gruppe zusammengefaßt werden, als hier eine Verbindung durch das Unterstellungsverhältnis, die Disziplinarbefugnis und den Geschäftsgang vorhanden ist.

Die Zahl der so betroffenen Personen ist von der Anklagebehörde nach der Zahl der Ämter für das Jahr 1939 mit etwa 600000 berechnet worden. Wie das als Grundlage benutzte Dokument (2958-PS) ergibt, sind damit nicht die Ämter in den Stäben miterfaßt; die Berechnung ergibt, daß neben den Hoheitsträgern einschließlich Zellen- und Blockleitern noch etwa 475 000 solcher Ämter vorhanden waren, die mit Politischen Leitern besetzt waren. Für das Jahr 1939 [501] erhöht sich damit die Zahl der Politischen Leiter in den politischen Stäben auf etwa eine Million.

Wie sich aus der Parteistatistik errechnen läßt, wird durch den starken Personenwechsel in zwölf Jahren die Zahl um das eineinhalbfache, also auf zirka 2,5 Millionen vermehrt. Dabei ist die Tatsache berücksichtigt, daß die Zahl der Ämter zunächst nur halb so groß war.

Nimmt man die Mitglieder der Ortsgruppenstäbe heraus, so bleibt eine Zahl von zirka 1,5 Millionen übrig.

Nicht eingerechnet in diese Zahlen sind die Amtsträger aus den Stäben, die nicht zu Politischen Leitern ernannt worden sind, und diejenigen, die während des Krieges ehrenamtlich mit der Tätigkeit von Politischen Leitern in untergeordneten Stellen beauftragt wurden; dies sind vor allem Zellen- und Blockleiter im Kriege; deren Zahl kann man nach Angabe der Zeugen auf 600000 schätzen. Nimmt man diese Personen mit der Anklagebehörde in den Kreis der Politischen Leiter hinein, so erhöht sich die Gesamtzahl der betroffenen Personen auf 2,1 Millionen. Die Zahl erhöht sich noch dadurch, daß auch sonstige Amtsträger in den politischen Stäben waren, ohne zu Politischen Leitern ernannt worden zu sein.

Durch den Umstand, daß der Antrag der Anklagebehörde auf Politische Leiter beschränkt ist, wird ein Teil von Personen in den Stäben nicht erfaßt. Es sind dies diejenigen, die nicht zu Politischen Leitern ernannt worden sind, obwohl sie ein Amt bekleideten.

Eine Ausdehnung des Antrags auf diese Personen kann nachträglich jetzt nicht ohne Verfahrensnachteil für die Betroffenen erfolgen, da ihnen die Möglichkeit des Antrags auf rechtliches Gehör in der ersten Bekanntmachung des Tribunals nicht gegeben worden ist.

Bevor die Frage behandelt werden kann, ob die so bestimmte Gruppe für verbrecherisch erklärt werden soll, ist die völkerrechtliche Zulässigkeit des Antrags zu erörtern.

Nach Artikel 50 der Haager Landkriegsordnung ist eine Kollektivbestrafung der Bevölkerung nur zugelassen, wenn die Bevölkerung für Einzelhandlungen insgesamt für mitschuldig erachtet wird. Dies ist eine Ausnahmevorschrift, die lediglich dem Schutz der Besatzungsmacht dient.

Damit ist eine gleiche Maßnahme aus allgemeinen politischen Erwägungen verboten. Man kann nicht eine Gruppe bestrafen, weil ihren Mitgliedern die Schuld am Kriege beigemessen wird oder man sie für den moralischen Widerstand verantwortlich macht. Man kann nicht alle »Politischen Kommissare« oder »Juden« festnehmen und wegen ihrer politischen Haltung aburteilen. Das Verbot der [502] Haager Landkriegsordnung beruht auf dem strafrechtlichen Individualprinzip der Demokratie, das sein Ansehen noch nicht verloren hat.

Ob der Antrag der Anklagebehörde rechtmäßig ist, oder ob das Statut den Artikel 50 der Haager Landkriegsordnung außer Kraft gesetzt hat, ist von Amts wegen zu prüfen.

Hält man das Verfahren für zulässig, dann ist zu untersuchen, ob die Mitschuld der Gruppe als erwiesen angesehen werden kann. Wie ein solcher Beweis erbracht werden soll, darüber sagt weder die Haager Landkriegsordnung noch das Statut etwas.

Man kann zwei Prinzipien befolgen, das der Gerechtigkeit oder das der Zweckmäßigkeit.

Das Prinzip der Gerechtigkeit verlangt den Nachweis der individuellen Schuld, und die Verurteilung einer Gruppe ist abzulehnen, »wenn auch nur ein Gerechter unter ihnen ist«.

Das Prinzip der Zweckmäßigkeit läßt eine Majorisierung der Schuldlosen zu, und man zieht es damit vor, eher Schuldlose mitzubestrafen, als Schuldige unverfolgt zu lassen.

Die Anklagebehörde hat wiederholt erklärt, es sei das Ziel des Antrags, nur die Schuldigen zu bestrafen und nicht den Schuldlosen eine Falle zu stellen oder sie mit im Netz zu fangen.

Diese Worte entsprechen dem Prinzip der Gerechtigkeit; aber der Antrag selbst, die Gruppe für verbrecherisch zu erklären, beruht auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen. Der scheinbare Widerspruch kann nur so gelöst werden, daß der Spruch des Gerichts als ein prozessuales Mittel verlangt wird, um einem Beweisnotstand abzuhelfen.

In dem Vorverfahren hier vor dem Tribunal würde darnach zwar ein Teil Schuldlose miterfaßt, aber diesen sollen im Nachverfahren »alle Einwendungen offenstehen«, wie Justice Jackson erklärt hat.

Das Tribunal hat mit Beschluß vom 13. März 1946 gelegentlich der Regelung des Beweisverfahrens in dem Sinne Stellung genommen, daß eine Majorisierung möglich erscheint; eine Festlegung für die Entscheidung selbst oder die endgültige Auswirkung auf die späteren Einzelverfahren ist nicht erfolgt.

Die Entscheidung des Tribunals muß in dieser Hinsicht wesentlich davon abhängen, welche Auswirkungen sein Spruch haben wird.

Von größter Bedeutung ist daher das Gesetz Nummer 10 des Kontrollrats vom 20. Dezember 1945. Nach dem Text dieses Gesetzes scheint es so, als ob die bloße Mitgliedschaft in einer Organisation oder Gruppe, die für verbrecherisch erklärt worden ist, die Bestrafung zur Folge haben muß. Wäre dies der Fall, so würde die Einbeziehung der Schuldlosen im jetzigen Verfahren ein schwerer [503] Einbruch in das Verschuldensprinzip darstellen, das die Grundlage des heutigen Strafrechts bildet.

Mit dem Text des Statuts wäre eine solche Auslegung nicht vereinbar. Dort wird zwar in Artikel 10 der Einwand, daß die Organisation nicht verbrecherisch gewesen sei, für unzulässig erklärt, aber es bleibt der Einwand für jeden offen, daß ihm der verbrecherische Charakter nicht bekanntgewesen sei.

Auch aus Artikel 11 des Statuts ergibt sich, daß eine Verurteilung nur wegen der »Teilnahme an der verbrecherischen Tätigkeit« vorgesehen ist.

In diesem Sinne äußert sich auch die informierte Presse und der Rundfunk.

Es erhebt sich die Frage, wodurch der verbrecherische Charakter der Gruppe begründet wird, der für ihre Beurteilung ausschlaggebend ist.

Die Auffassung des Tribunals ist aus dem Beschluß vom 13. März 1946 erkennbar. Das Wesentliche ist die Teilnahme an der Verschwörung. Diese setzt den Zusammenschluß der Gruppe zur Begehung eines bestimmten nach Artikel 6 des Statuts verbrecherischen Vorgangs voraus. Der Zusammenschluß aber fußt bei jedem Verschwörer unter anderem auf einer konkreten Kenntnis der in Aussicht genommenen Verbrechen.

Die Anklagebehörde begründet diese Kenntnis mit der Behauptung der Offenkundigkeit oder der umfassenden Unterrichtung der Politischen Leiter.

Offenkundig waren Judenverfolgung und Streit mit der Kirche als allgemeine Tendenzen. Nicht bekannt waren die hieraus herrührenden kriminellen Exzesse.

In diesem Zusammenhang ist weiter folgendes wichtig: Es kommt nicht auf die Offenkundigkeit dieser Tatsachen, sondern auf die Offenkundigkeit des Motivs an.

Soweit es sich nicht um echte Kriegsverbrechen handelt, muß das Motiv des Angriffskrieges bekannt sein; die Handlungen müssen als erstes Stadium eines Angriffskrieges erkennbar gewesen sein. Nur so kann die Teilnahme an der verbrecherischen Verschwörung erfolgen.

Die Anklagebehörde folgert nun, daß diese Motive sich aus der Lehre des Nationalsozialismus für die Betroffenen ergeben hätten; dort seien die Ziele angegeben, die notwendigerweise zum Angriffskrieg führen müßten. So wird auch der Aufbau der Partei und die Gewinnung von Mitgliedern, sowie die Erlangung der Macht von dem Motiv des Angriffskrieges her für verbrecherisch erklärt.

Es wird behauptet, daß ein Bund bestehe zur Begehung eines Angriffskrieges oder zur Begehung von Kriegsverbrechen.

[504] Ist diese Folgerung richtig?

Als Leitfaden hatten die Politischen Leiter das Parteiprogramm und das Buch »Mein Kampf«.

Das Parteiprogramm war von den innenpolitischen Gegnern heftig angegriffen worden, aber von außenpolitischen Stellen war es nicht beanstandet worden. Im Jahre 1925 hatte die Hohe Interalliierte Rheinlandkommission in Koblenz für das Rheinland und später der Völkerbund für Danzig das Parteiprogramm genehmigt. Die Partei wurde mit ihrer im Buch »Mein Kampf« niedergelegten Weltanschauung zugelassen. Im übrigen war bekannt, daß Hitler erklärt hatte, daß sein Buch in vielen Punkten überholt sei.

Es ist richtig, daß die von der Partei erstrebten Ziele zu einem Krieg führen konnten, und es trifft auch zu, daß ein Krieg, der etwas erstrebt, was den Besitz anderer beeinträchtigt, einen Angriff auf diesen Besitz enthalten muß.

Aber die Parolen »Lebensraum« und »Los von Versailles« mußten nicht notwendig zu einem Angriffskrieg führen, ebensowenig wie die Losung »Proletarier aller Länder vereinigt euch« zum Angriffskrieg führen muß. Es gibt den Weg der Verhandlungen durch Appell an die Einsicht. Wie im Innern des Staates Streik, Aufruhr und Revolution für Arbeiter berechtigt sein kann, um ihr Lebensrecht zu erkämpfen, so kann es im Leben der Völker zum Kriege kommen. Aber der normale Weg ist der der Verhandlung. Jedes Mitglied einer Oppositionspartei könnte sonst schon wegen Hochverrats verfolgt werden.

Ob tatsächlich ein Angriffskrieg vorgelegen hat, der offensichtlich über den technischen Begriff der Kampferöffnung hinausging, ist im Verfahren vor dem Tribunal von vielen Hauptangeklagten mit wichtigen Gründen bestritten worden.

Wenn Hitler Lebensraum verlangt hat, so zwingt das Ergebnis des Krieges, daß andere Staaten ihn nehmen, ohne das Prinzip zu verdammen, das als »Lebensgesetz« die Ursache dieses Krieges sein soll. Die Weltarchive bleiben verschlossen.

Für die Verteidigung kommt es hier nicht so sehr darauf an festzustellen, ob ein Angriffskrieg vorgelegen hat, sondern darauf, ob die Politischen Leiter darum wußten und dies für sie offen zutage trat.

Gegen die Offenkundigkeit von Angriffsabsichten sprechen gerade die Tatsachen eine lebhafte Sprache. Eindrucksvoll für jeden Politischen Leiter mußte das Angebot Hitlers sein, bis zum letzten Maschinengewehr abrüsten zu wollen, und seine wiederholten Erklärungen, daß das Unglück anderer Völker dem eigenen Volke keinen Nutzen bringen könne, daß vielmehr die Wohlfahrt aller die Grundlage des Völkerlebens sei. Eindrucksvoll mußte sein das [505] Flottenabkommen mit England, die Erklärung Frankreich gegenüber, keine territorialen Ansprüche mehr erheben zu wollen, das Münchener Abkommen und schließlich der Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion. Gerade dieser rief eine Welle der Freude hervor, weil er den Frieden mit dem bis dahin als schlimmsten Feind bezeichneten Gegner herbeizuführen schien. Gerade dieser Vertrag beweist zugleich die Unmöglichkeit, aus dem Buch »Mein Kampf« Richtlinien für die Praxis herauslesen zu wollen.

Zur Beurteilung der Aufrüstung Deutschlands durch die Politischen Leiter steht im Vordergrund die wiederholte Erläuterung Hitlers, daß man die »Bündnisfähigkeit« durch die Rüstungsgleichheit herstellen müsse. Das Maß der Aufrüstung war im Verhältnis zur Stärke der Gegner nicht erkennbar, und Hitler selbst hatte erklärt, daß es Wahnsinn sei, als kleiner Staat der ganzen Welt gegenübertreten zu wollen.

Der Grundstein der Überzeugung aller Politischen Leiter, daß ein Krieg nicht beabsichtigt sei, war aber die immer wieder betonte Tatsache, daß Hitler selbst im ersten Weltkrieg als Soldat an der Front gestanden hatte; es war darum nicht zu erwarten, daß er die Leiden eines neuen Krieges heraufbeschwören würde.

So hat Hitler auf dem Parteitag im Jahre 1936 in Nürnberg bei einem Appell, der sich ausschließlich an die versammelten Politischen Leiter richtete, wörtlich folgendes ausgeführt:

»Wir haben nie in diesen langen Jahren ein anderes Gebet gehabt als das: Herr, gib unserem Volk den inneren und gib und erhalte ihm den äußeren Frieden! Wir haben in unserer Generation des Kampfes so viel miterlebt, daß es verständlich ist, wenn wir uns nach dem Frieden sehnen...

Wir wollen für die Zukunft der Kinder unseres Volkes sorgen, für die Zukunft arbeiten, um ihnen das Leben dereinst nicht nur sicherzustellen, sondern es ihnen auch zu erleichtern. Wir haben so Schweres hinter uns, daß wir nur eine Bitte an die gnädige und gütige Vorsehung richten können: ›Erspare unseren Kindern das, was wir erdulden mußten!‹

Wir wollen nichts als Ruhe und Frieden für unsere Arbeit« (Dokument PL-41 a).

Diese Worte richteten sich an dieselben Männer, die heute als Politische Leiter von der Anklage betroffen werden.

Den Kriegsgedanken standen feste Grundlagen für eine positive Friedenspolitik gegenüber.

Die Tatsache, daß Hitler selbst Arbeiter gewesen war, stand hier für alle im Vordergrund, die für den Sozialismus kämpften und die an die Verwirklichung von Friedensplänen glaubten. Als [506] das größte Friedenswerk erschien die Beseitigung der Arbeitslosigkeit; ein Erfolg, der überzeugend war für jedermann, der wieder zu Verdienst kam. Nicht die Dämonie Hitlers hat sieben Millionen Arbeitslose und ebensoviele Kurzarbeiter mit ihren Familien auf seine Seite gebracht, sondern die Tatsache hat die Massen bezwungen, daß er ihnen wieder Arbeit und Brot gab.

Es kann nicht bestritten werden, daß die Stellung des Arbeiters über die nackte Existenz hinaus gebessert und sein Ansehen gehoben wurde. Bei Beginn des Krieges war ein großes soziales Werk im Aufbau, nämlich die allgemeine Altersversicherung. Dies sah für den Politischen Leiter nicht nach Angriffskrieg aus.

Es besteht noch ein wichtiger Grund, der der Offenkundigkeit der Vorgänge und ihrer Motive entgegenstand; es ist das System der Geheimhaltung.

Die Mittel der Geheimhaltung sind dem Tribunal aus der Beweisaufnahme bekannt.

Ich möchte einen anderen Gesichtspunkt hervorheben, der in besonderer Weise das Geheimnis schützen half: Es ist das Vertrauen, das Hitler genoß.

Dieses Vertrauen wurde gespeist aus dem großen Reservoir des sozialen Erfolges durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die die Menschen an den Rand der Verzweiflung gebracht hat. Hinzu kamen die vom Ausland anerkannten Erfolge der Außenpolitik.

Alles wurde gestützt durch die hergebrachte Autorität des Staates und die Herausstellung der Tradition; es sind beides Dinge, die auf das Volk von großem Einfluß sind.

Dazu kam eine bis dahin unbekannte Offenheit der Sprache in außenpolitischen Dingen, die der französische Ankläger als »Naivität« bezeichnet. Innenpolitisch hatte diese Offenheit die Wirkung, daß die Überzeugung entstand, Hitler werde keine geheimen Dinge ins Werk setzen. Abgerundet wurde das Bild für die Millionen Anhänger durch die Fassade des Ansehens und der Würde, die gerade der Kreis um Hitler aufrechterhielt, von dem am ersten Kritik und Warnung zu erwarten war.

Aus allem muß sich ergeben, daß eine Kenntnis von Angriffsabsichten für die Politischen Leiter nicht zu erlangen war.

Auch die Annahme der Anklagebehörde, daß eine besondere Unterrichtung über die Pläne erfolgt sei, dürfte nach dem Ergebnis des Prozesses hinfällig sein. Die Behauptung der Anklagebehörde beruht vermutlich auf der ursprünglichen Annahme, daß es zum normalen Geschäftsgang gehört habe, alle Hoheitsträger zu unterrichten, während nunmehr feststeht, daß nur ein engster Kreis eingeweiht war.

[507] Anders ist die Lage bei den Kriegsverbrechen; hier geht es nicht um den Nachweis des Motivs bekannter Vorgänge, sondern um die Kenntnis der Tatsachen selbst.

Es ist sicher, daß Kriegsverbrechen wegen ihres verächtlichen Motivs naturgemäß geheimgehalten werden.

Über den Ring des Schweigens, der um die schlimmsten Greuel gezogen war, hat das Tribunal durch die Beweisaufnahme Kenntnis erhalten. Andere Kriegsverbrechen, die vorgeworfen werden, sind Einzelfälle, die nicht zur allgemeinen Kenntnis gelangten. Hierzu wird bei den einzelnen Punkten der Vorwürfe Stellung genommen.

Von der Anklage sind eine Reihe von Vorgängen vorgebracht worden, die nach dem Statut selbst keine Verbrechen darstellen.

Es ist Beweis geführt worden über den Aufbau der Partei, die Machtergreifung und die Erhaltung der Macht. Es sind dies Vorgänge, die im allgemeinen nicht bestritten worden sind. Die Schaffung eines diktatorischen Staates und das Verbot anderer Parteien ist eine innerpolitische Maßnahme, die jeder Staat nach seinem Ermessen treffen kann.

Es ist eine unnatürliche Konstruktion, die dahin geht, daß diese Methoden zum Zwecke des Angriffskrieges geschaffen worden und daher verbrecherisch seien. Für eine derartige Annahme fehlt ein Anhalt.

Der diktatorische Aufbau des Staates kann ebenso wie für den Angriffskrieg auch als eine Notwendigkeit für den Aufbau des Sozialismus erscheinen. So kann die Lenkung der Wirtschaft dem Bösen und dem Guten dienen.

Der britische Anklagevertreter hat einen anderen Gesichtspunkt herausgestellt. Er hat erklärt, daß zum Schutz von Staatsangehörigen gegen ihre eigene Regierung ein Eingriff möglich sei; dies schließt er daraus, daß selbst ein Krieg aus Gründen der Menschenfreundlichkeit geführt werden könne.

Das Statut gibt ein solches Eingriffsrecht nicht, wie bereits einleitend ausgeführt wurde. Aber auch das Völkerrecht kennt bisher kein Recht auf Intervention auf moralischer Grundlage. Kreuzzüge sind unzulässig.

Wenn zu den sogenannten Methoden der Partei hier Stellung genommen wird, so geschieht dies, weil die Mißbräuche mit den Verbrechen des Statuts in Zusammenhang gebracht werden.

Es sind vier Dokumente vorgelegt worden, die mit den Politischen Leitern in Zusammenhang stehen und die Wahlbeeinflussung betreffen.

Das wichtigste ist Dokument D-43 aus dem Jahre 1936. Es nimmt Bezug auf eine Anfrage des Reichsinnenministers, welche Beamten ihrer Wahlpflicht nicht nachgekommen seien. Die Ortsgruppenleiter[508] werden aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen. Es ist ein Schreiben der Kreisleitung in Bremen. Ein anderer Kreisleiter, der Zeuge Kühl, hat vor der Kommission (Protokoll, Seite 1907) erklärt, daß ihm die gleiche Anfrage nicht zugegangen ist. Hierdurch wird ihr allgemeiner Charakter in Frage gestellt.

Ein Dokument R-142 aus dem Jahre 1938 ist von rein örtlicher Bedeutung: es stammt vom SD, Abschnitt Koblenz und erwähnt die Erklärung eines Kreisgeschäftsführers über die Gründe des schlechten Wahlergebnisses wegen persönlicher Streitigkeiten.

Beide Schreiben befassen sich nach der Wahl mit deren Ergebnis.

Zwei weitere Dokumente, D-897 und D-902 aus dem Jahre 1938 sind Schreiben zwischen den untersten Stellen des SD in Erfurt über die Wahlkontrolle. Es wird hierzu engste Zusammenarbeit mit dem Ortsgruppenleiter angeordnet.

Für das Verfahren gegen die Politischen Leiter ergibt sich, daß in keinem Fall hier der Befehlsapparat der Partei eingeschaltet ist. Es handelt sich um selbständige Einzelhandlungen anderer Stellen.

Auf eine allgemeine Praxis und Kenntnis kann daher nicht geschlossen werden.

Ein anderer Vorwurf ist die Bespitzelung.

Der Ausgangspunkt ist hier eine Stelle des Organi sationsbuches, Seite 101 der Ausgabe 1940, wonach die Verbreiter schädigender Gerüchte von den Blockleitern zu melden seien. Damit wird die Führung von Haushaltskarteien in Zusammenhang gebracht, deren Natur im Gau Köln weitgehende Überwachungsfragen enthält.

Die Frage ist, ob dies allgemein von den Politischen Leitern so gehandhabt wurde und den Anweisungen der Partei entsprach.

Die Anweisungen der Partei an die Politischen Leiter bestimmen das Gegenteil. So die Verfügung Nummer 127 vom 5. Oktober 1936 in den Anordnungen des Stellvertreters des Führers (Dokument PL-34).

Die zu dieser Frage vernommenen Zeugen haben bekundet, daß entsprechend verfahren worden sei und daß die ihnen bekannten Karteien keinen spitzelähnlichen Charakter hatten. Hierdurch wird bestätigt, daß eine allgemeine Anordnung nach dem Muster des Gaues Köln nicht vorlag, die für alle Gaue verbindlich gewesen wäre.

Es wird hierzu besonders auf die Aussagen des Zeugen Dr. Kühn hingewiesen, der als Oberlandesgerichtsrat der zuständige Referent für das Heimtückegesetz im Justizministerium war. Der Zeuge hat in seiner Vernehmung vom 10. Juli 1946 bekundet, daß die eingeleiteten Verfahren meist auf Angaben verfeindeter Nachbarn und sonstiger Denunzianten zurückgingen und nur in den seltensten Fällen von Politischen Leitern stammten. Als konkrete Angabe über erfolgte Bespitzelung ist von der Anklagebehörde nur das Dokument [509] D-901 vorgelegt worden, wo ein Blockleiter und zugleich Hausverwalter des Gemeindehauses über eine geheime Versammlung der Angehörigen der Bekenntniskirche in seinem Gebäude Mitteilung gemacht hat.

Mit dem Vorwurf der Bespitzelung hängt die Veranlassung der Schutzhaft und Verbringung in ein KZ zusammen.

Daß in einem Staate politische Gegner zu Staatsfeinden erklärt und verhaftet werden, scheint ein Gewohnheitsrecht zu sein, das sich Politiker anmaßen. Es beruht auf Gegenseitigkeit und stellt hier eine Erwiderung auf die Verluste im politischen Kampf dar.

Eine Verbindung mit einem Angriffskrieg ist nicht gegeben. Der Vorwurf der Anklage wird daher gegen den Mißbrauch durch Übermaß und Greuel gerichtet sein.

Zuständig für dieses Gebiet war nicht die Partei, sondern die staatlichen Organe.

Nach der Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 10. März 1940, Dokument PL-100, unterlag die Festnahme ausschließlich der Gestapo. Den Politischen Leitern war eine Einmischung ausdrücklich verboten (Dokument PL-29). Auf diese Weise wurde bereits die Geheimhaltung im Beginn sichergestellt.

Die Wirklichkeiten der KZs wurden dadurch für die Politischen Leiter verschleiert, daß eine umfassende Betreuung der Angehörigen der politischen Häftlinge und der Häftlinge selbst nach ihrer Entlassung angeordnet und durchgeführt wurde. Es ist dies Dokument PL-100, dessen Lektüre heute Erstaunen erregt. Was die Kenntnis von den Zuständen in den Konzentrationslagern betrifft, so hat der vor der Kommission vernommene Zeuge Graf von Rödern ausgesagt, daß Anfang 1943 die Landesgruppenleiter der Auslandsorganisation der Partei das Konzentrationslager Sachsenhausen besucht hatten und hierbei den Eindruck gewonnen hätten, daß alle Gerüchte, die damals im Ausland umliefen, der Grundlage entbehrten.

Aus dem Affidavit PL-57 des Zeugen Sieckmeier ergibt sich, daß dieser im Frühjahr 1939 mit 150 amerikanischen Gästen das Konzentrationslager Buchenwald besuchte, und in dem Affidavit PL-57 b des Zeugen Wünsche ist versichert, daß er zusammen mit einem Lehrgang der Zollschule Berlin im Juni 1938 das KZ-Lager Sachsenhausen besucht habe. Beide erklären, die Unterbringung und Verpflegung sei ordnungsgemäß gewesen. 35 weitere Erklärungen von Politischen Leitern, die Lager besucht haben, liegen bei den Sammelaffidavits vor; sie sprechen sich alle im gleichen Sinne aus.

Aus 14000 Erklärungen, die im Affidavit 57 zusammengefaßt sind, geht hervor, daß diese Politischen Leiter über die Zustände in den KZs nichts wußten und auf Befragen in sieben Fällen keine [510] Auskunft erhielten, in 102 Fällen aber befriedigende Antwort bekamen.

Es sind sodann Belastungsdokumente über den Gnadentod vorgelegt worden.

Es ergibt sich, daß es sich dabei um keine Maßnahmen handelt, die unter Mithilfe der Politischen Leiter durchgeführt wurden oder daß sie von der Durchführung allgemein Kenntnis gehabt hätten.

Aus Dokument 630-PS, einem Schreiben Hitlers vom 1. September 1939 geht hervor, daß es sich um einen sogenannten »Geheimen Sonderauftrag« handelte, der unmittelbar an den Reichsleiter ohne Amt, Bouhler, und Dr. Brandt gegeben wurde. Über einen solchen »Geheimen Sonderauftrag« wurden weder die Reichsleiter noch die Gauleiter unterrichtet. Beweis: das Dokument 59a, Affidavit Hederich.

Nach dem Dokument D-906, Nummer 3 und 6, scheint die beauftragte Ärztekommission sich in Einzelfällen mit der Gau- und Kreisleitung in Verbindung gesetzt zu haben. Bemerkenswert ist aber, daß gerade in dem letzten Dokument vermerkt ist, daß die Hoheitsträger nicht eingeschaltet werden, da die Bestimmung dies nicht vorsehe.

Diese Sachlage wird bestätigt durch das zusammenfassende Affidavit PL-59 des Zeugen Karl Richard Adam, der versichert, daß 7 642 Politische Leiter eidesstattliche Erklärungen abgegeben haben, daß sie keine Anordnungen erhalten haben, noch bei der Durchführung der Maßnahme herangezogen worden seien.

Es waren auch alle weiteren Maßnahmen getroffen, um die Sache geheimzuhalten, über die hier und da Kenntnis erlangt wurde und über die manche Gerüchte umliefen; dies zeigen die besonderen Geheimhaltungsvermerke auf den belastenden Schriftstücken. Der Zeuge Meyer-Wendeborn hat hier vor dem Tribunal ausgesagt, daß ihm auf Rückfrage erklärt wurde, es handle sich um Gerüchte, und ein Arzt Dr. Engel (Affidavit 59 b) sowie der Arzt und Kreisleiter Dr. Dietrich (Affidavit 59 c) bestätigen diese offizielle Ableugnung des Gnadentodes.

Standen diese Maßnahmen im Zusammenhang mit der Kriegführung?

Es steht fest, daß die Euthanasie bereits im Jahre 1934 erörtert wurde, wie sich aus Dokument M-152 ergibt.

In der Presse wurden vorsichtige Artikel gebracht, die aus dem Gesichtspunkt der »Zuchtwahl« den Gedanken nährten und die auf die Aussetzung von Le bensuntüchtigen im alten Griechenland hinwiesen.

[511] Ein Zusammenhang mit Kriegsabsichten ist jedenfalls schwer zu erkennen, wenn auch im Dokument D-906 das Mitglied eines Gaustabs im Kriege den Gnadentod als Kriegsmaßnahme bezeichnet.

Ich komme nun zu den Vorgängen, die offen zutage traten: Zerschlagung der Gewerkschaften, Streit mit den Kirchen und Judenverfolgung.

Bekannt war die »Zerschlagung« der freien Gewerkschaften. Sie war ein revolutionärer Akt. Er war zulässig oder unzulässig wie jede Revolution. Es handelt sich um einen einmaligen Vorgang, für den die Verantwortung klarliegt. Die Politischen Leiter waren an der Ausführung nicht unmittelbar beteiligt, aber sie kannten den Vorgang und billigten ihn.

Zu prüfen ist, ob es eine vorausschauende Kriegsmaßnahme oder ob andere Gründe bestimmend waren.

Die 150 großen und kleinen Gewerkschaften, die 30 Prozent der Arbeiter umfaßten, waren schon vor ihrer Auflösung am Ende ihrer Kraft. Wirtschaftlich standen sie in der Mehrzahl vor dem Zusammenbruch; die langjährige Arbeitslosigkeit hatte die Kassen geleert, aber die Anforderungen gesteigert. Die politischen Parteien, die die Gewerkschaften beherrschten, hatten der Wirtschaftskrise ratlos gegenübergestanden, sie hatten gegen Hitler nichts vermocht und resigniert. Massenaustritte, die Ende 1932 und Anfang 1933 einsetzten, hatten so die Gewerkschaften zu Schattengebilden gemacht. Auf der anderen Seite wechselten die Arbeiter in die NSBO hinüber. Damit schlossen sie sich dem Gedanken des Arbeitsfriedens und der Gemeinschaft an, der die Lösung der Wirtschaftskrise erkennbar anbahnte. In gleicher Weise wurden die Arbeitgeberverbände zum Arbeitsfrieden gezwungen und aufgelöst.

Der Zweck der Beseitigung aller Organisationen war der Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit; an die Stelle des Klassenkampfes wurde die Pflicht zur Fürsorge auf der einen Seite und die Pflicht zur Treue auf der anderen Seite gesetzt als Schlüssel zur Beseitigung der wirtschaftlichen Not.

Daß der Vorgang so verstanden und von den Arbeitern gebilligt wurde, zeigt der Umstand der reibungslosen Mitarbeit; damit wurde der wirtschaftspolitische Vorgang nachträglich gerechtfertigt.

Belastend ist sodann die Kirchenfrage. Daß die Kirchen mit dem Nationalsozialismus in Streit lebten, ist bekannt. Daß die Ursachen dieses Streites darin gelegen hätten, daß die Kirchen Gegner eines beabsichtigten Angriffskrieges gewesen seien, ist unbekannt.

Nach anfänglichen machtpolitischen Differenzen waren es später Gründe der christlichen Moral, die die Kirche in steigendem Maße gegen den Nationalsozialismus zum Kampfe rief. Der Außenpolitik der Staaten haben die Kirchen nach dem Grundsatz »dem Staate, was des Staates ist«, meist indifferent gegenüberstanden.

[512] Ein Kirchenkampf widersprach dem Parteiprogramm, und Hitler selbst hat ihn niemals gepredigt, ihm hätte mehr daran gelegen, die Kirchen für sich zu gewinnen. Er hat es versucht durch das Konkordat, und hatte Erfolge durch die Erklärung der Fuldaer Bischofskonferenz und durch die Erklärung der österreichischen Bischöfe nach dem Anschluß.

Die Propaganda gegen die Kirche war eng gehalten und richtete sich gegen die politisierenden Geistlichen. Ein eigentlicher, geschlossener Kirchenkampf bestand nicht. Es wurde die Trennung von Kirche und Staat verlangt, um die Spaltung des Volkes durch die Konfession zu überwinden.

So hat Hitler nach 1933 gleich nach der Machtübernahme dem Zeugen Graf Wolff-Metternich erklärt, daß es unverantwortlich sei, wenn die christliche Kirche bekämpft würde, es ist das Affidavit PL-62 c, und der Zeuge Theologieprofessor Fabricius bestätigt diese Einstellung (Affidavit PL-62 a).

Für die Politischen Leiter trat diese Überzeugung dadurch in Erscheinung, daß schon vor 1933 manche Theologiestudenten, Theologieprofessoren und Kir chenmänner der Partei beigetreten waren. Nach 1933 setzte eine starke Wiedereintrittsbewegung in die Kirche durch diejenigen ein, die unter dem Einfluß des Marxismus aus der Kirche ausgetreten waren. Es erfolgten nachträgliche Trauungen und Taufen in großem Umfange, vergleiche die Affidavits 62 a und 62 b, Professor Fabricius und Theologe Buth.

Der Zeuge Schön bestätigt in Affidavit 62, daß von 500 Politischen Leitern, deren Erklärung er überprüfte, 42 Prozent gleichzeitig Kirchenämter bekleideten. Auch die vor dem Tribunal vernommenen Zeugen Wegscheider und Kaufmann gaben an, daß zahlreiche Politische Leiter ein Kirchenamt innehatten. Die Bischöfe Dr. Gröber und Dr. Borning waren in den Staatsrat berufen, das Affidavit des Grafen Wolff-Metternich, 62c.

Das tatsächliche Bild ergibt sich aus dem zusammenfassenden Affidavit des Zeugen Schön, der bei der Prüfung von rund 21000 eidesstattlichen Versicherungen festgestellt hat, daß in den jeweiligen Ortsgruppen das Kirchenleben ungestört blieb und daß die Partei zuweilen offiziell und stellenweise in Uniformen am Kirchenleben teilnahm. In den einzelnen Ortsgruppen bestand danach ein gutes Verhältnis zur Geistlichkeit, und dies fand in der Öffentlichkeit bei Feiern auch seinen Ausdruck.

Demgegenüber steht ein Kampf, der von einer kirchenfeindlichen kleinen Gruppe geführt wurde. Deren Tätigkeit und Äußerungen stehen im Widerspruch zu der allgemeinen Parteilinie.

Der Führer der Gruppe war Bormann. Von 23 Dokumenten, die von der Anklagebehörde gegenüber den Politischen Leitern zur Kirchenfrage vorgebracht wurden, stellen nicht weniger als [513] neun Dokumente Meinungsäußerungen Bormanns dar. Sieben Dokumente beziehen sich auf SS, sowie SD und Gestapo. Vier Dokumente betreffen drei örtliche Ereignisse, und ein Dokument hat eine persönliche Meinung des Gauleiters Florian zum Gegenstand. Es folgt dann noch ein Zitat aus dem »Mythus« und ein Dokument aus dem Reichsarbeitsdienst.

Alle diese Dokumente zeigen nicht, daß die Politischen Leiter in ihrer Gesamtheit an der Ausschaltung der Kirche beteiligt sind.

Ich nehme zu den einzelnen Dokumenten Stellung:

Das belastendste Dokument ist der Geheimerlaß Bormanns an die Gauleiter über »Nationalsozialismus und Christentum« (Dokument D-75). Hierzu liegt ein Affidavit des Zeugen Hederich aus der Parteikanzlei vor (PL-620). Danach hat Bormann diesen Erlaß eigenmächtig herausgegeben, und Hitler wies ihn daraufhin an, das Rundschreiben zurückzunehmen und zu vernichten. Der Zeuge, Gauleiter Kaufmann, hat hier vor dem Tribunal bestätigt, daß dieser Erlaß auch zurückgefordert wurde. Das gleiche ergibt sich aus der Aussage des Zeugen Hoffmann vor der Kommission am 3. Juli 1946. In einem Affidavit 62 b versichert der Zeuge, Theologe Buth, daß der Angeklagte Rosenberg ebenfalls den Erlaß ablehnte und einen Einspruch erhob.

Ein Dokument 098-PS ist ein Schreiben Bormanns an Rosenberg und befaßt sich mit dem sogenannten nationalsozialistischen Katechismus. Es ist eine persönliche Ansicht Bormanns. Eine Antwort von Rosenberg liegt nicht vor.

In diesem Schreiben wird eine Sitzung der Reichsleiter vorgeschlagen. Das Affidavit des Zeugen Hederich bestätigt, daß eine solche niemals stattgefunden hat.

Es folgen eine Reihe von Dokumenten, die das ständige persönliche Drängen Bormanns in der Richtung der Trennung von Kirche und Staat zeigen. In dieser Richtung liegt Dokument 070-PS betreffend die Schulandachten, Dokument 840-PS: Aufnahme von Theologen in die Partei und 107-PS: Richtlinien für die Beteiligung des RAD an kirchlichen Feiern.

Die folgenden Dokumente 100 und 101-PS sind Schreiben Bormanns an Rosenberg, die den Wunsch nach eigener Literatur für Soldaten aussprechen; Rosenberg wird wegen seiner Stellungnahme zugunsten eines religiös gehaltenen Buches des Reichsbischofs Müller hier angegriffen. Dadurch wird die rein persönliche Aktivität Bormanns erwiesen.

Auf dem gleichen Gebiete liegt Dokument 064-PS, wieder ein Schreiben Bormanns an Rosenberg. Es fordert die Stellungnahme zu einem beigefügten Schreiben des Gauleiters Florian vom 23. September 1940. Dieser hatte eine religiöse Schrift des Generals [514] Rabenau beanstandet. Es ist eine persönliche Ansicht, die für die Gesamthaltung der Politischen Leiter nicht typisch ist.

Ein weiteres Vorgehen Bormanns zeigen die Dokumente 116-PS, Schreiben an Rosenberg vom 24. Januar 1939 über die Einschränkung der theologischen Fakultäten. Hier wird Rosenberg nicht zur Durchführung angewiesen, wie die Anklage irrtümlich annimmt, sondern ihm wird ein anderes Schreiben lediglich zur Kenntnis übersandt, in dem eine Einschränkung der Fakultäten begrüßt wurde.

Die Fortsetzung der Bemühungen, Rosenberg für seine Ansichten zu gewinnen, zeigt ein Schreiben Bormanns vom 17. Mai 1939 an Rosenberg. Hier übersendet Bormann einen Plan des Reichserziehungsministers über die Beschränkung der theologischen Fakultäten, ebenfalls nur mit der Bitte um Bekanntgabe seiner Meinung und nicht, wie die Anklage annimmt, zur sofortigen Durchführung der erwogenen Maßnahme.

Sodann ist hier die Tätigkeit der Gestapo den Politischen Leitern zur Last gelegt auf Grund der Akten einer Konferenz der Kirchenspezialisten der Gestapo (Dokument 1815-PS). Ein Beweis für die kirchenfeindliche Haltung der Politischen Leiter selbst kann daraus nicht entnommen werden.

Auch mit der Beschlagnahme von Kirchenvermögen stehen die Politischen Leiter nicht unmittelbar in Verbindung.

Das vorgelegte Dokument R-101 – Korrespondenz des RSHA – zeigt die Beschlagnahme durch den Reichsstatthalter und Gauleiter und durch die Ostdeutsche Landwirtschaftsgesellschaft GmbH im Warthegau. Beide haben in ihrer Eigenschaft als staatliche Dienststellen gehandelt, so daß eine allgemeine Maßnahme unter Benutzung des Parteiapparates und Kenntnis aller Politischen Leiter nicht vorliegt.

In Dokument 072-PS, ein Schreiben Bormanns an Rosenberg vom 19. April 1941, ist ausdrücklich hervorgehoben, es sei nicht Sache der Politischen Leiter, Kirchenvermögen zu beschlagnahmen.

Es folgen die in der Öffentlichkeit erfolgten Aktionen gegen die Kirche, die von der Anklage vorgebracht sind: Dokumente 848-PS und 849-PS betreffen Ausschreitungen gegen Bischof Sproll in Rottenburg. Es zeigt sich, daß diese Aktion von Kräften durchgeführt wurde, die der örtlichen Partei fremd waren.

Dokument 1507-PS behandelt Vorfälle anläßlich einer Predigt des Kardinals Faulhaber in Freising. Aus den Akten ergibt sich, daß den Politischen Leitern ausdrücklich die Weisung gegeben war, den dort abgehaltenen Gottesdienst nicht zu stören, auch dann nicht, wenn der Kardinal eine Predigt gegen den Nationalsozialismus halten würde. Tatsächlich ist auch keine Störung des [515] Gottesdienstes durch Politische Leiter erfolgt. Es ist bemerkenswert, daß nach den Unterlagen Kardinal Faulhaber sich bereit erklärte, einige Monate später in der gleichen Kirche zu amtieren, und zwar »auf Vermittlung des Oberbürgermeisters Lederer von Freising, der zugleich Kreisleiter und Standortführer der SA« war.

Somit ergibt sich, daß die Maßnahmen in ihrem Umfang größer erscheinen als sie sind und daß die Politischen Leiter kein eigentliches Bild haben konnten.

Auch der »Mythus« konnte ihnen in der Kirchenfrage keinen Aufschluß geben. Dieses Buch war schwer verständlich und hat niemals den parteiamtlichen Vermerk der Unbedenklichkeit erhalten (Dokument PL-62 e). Der Zeuge Graf Wolff-Metternich hat erklärt, daß Hitler ihm gegenüber das Buch ausdrücklich als Privatarbeit Rosenbergs bezeichnet habe, die ihm selbst nicht zusage. Das ist Affidavit PL-62 c.

Die Verfolgung der Juden war das augenfälligste Ereignis. Sie ist losgelöst von einem Angriffskrieg zu erklären. Die Vorgänge sind bekannt:

Wirtschaftliche Zurückdrängung der Juden, ihre Diffamierung durch den Judenstern, die Ausschaltung aus dem Gesellschaftsleben, der Erlaß der Nürnberger Gesetze, die Evakuierung nach dem Osten und schließlich die Ausrottung. Es kann sich hier nur darum handeln, das Maß der aktiven Beteiligung der Politischen Leiter und ihre Kenntnis von der Art und dem Umfang der Maßnahmen zu untersuchen.

Die gesetzlichen Maßnahmen wurden ohne Befragung der Politischen Leiter getroffen. Soweit sie auf Zurückdrängung des Einflusses der Juden gerichtet waren, wurden sie von ihnen begrüßt und entsprachen dem Parteiprogramm.

Auch den Nürnberger Gesetzen wurde nicht widersprochen. Der Judenstern aber wurde bereits als beschämend empfunden. Ablehnung setzte jedoch ein bei der Vermögensbeschlagnahmung und der Evakuierung.

Die Geschichte des 9. November 1938 ist dem Tribunal aus den Vernehmungen bekannt. Es war ein Überraschungsmanöver, das von Goebbels ins Werk gesetzt wurde, als die Gauleiter aus ihren Gauen abwesend waren. Der Parteiapparat wurde umgangen, weil hier mit Widerständen zu rechnen war. Soweit überhaupt die Möglichkeit für die Politischen Leiter zum Eingriff gegeben war, lehnten viele Gauleiter ab oder gaben Gegenbefehle, als sie von der Aktion erfuhren. Der Zeuge Gauleiter Kaufmann hat dies für Hamburg bestätigt, der Zeuge Wahl hat das gleiche vor der Kommission für den Gau Schwaben ausgesagt, und die Haltung des Gauleiters für Koblenz-Trier ist in dem Affidavit PL-54 f bekräftigt.

[516] Auf der Ebene der Kreis- und Ortsgruppenleiter ist ebenfalls ein planmäßiger Einsatz der Politischen Leiter nicht festgestellt. Alle Zeugenaussagen bestätigen hier die Überraschung, Ablehnung und Uneinheitlichkeit des Vorgehens (Affidavit Dr. Volkmann, PL-54 a).

Hitler lehnte ab, Göring lehnte ab, und selbst Heydrich erklärte am 20. November 1938 den Gauleitern und Gaurichtern, es würden die schärfsten Maßnahmen gegen die Beteiligten ergriffen (Affidavit PL-54 d und e).

Der von der Anklagebehörde vorgelegte Bericht des Obersten Parteirichters Buch (Dokument 3035-PS, US-332), der die Bestrafung zu einer Farce werden ließ, blieb unbekannt. Die geringen Strafen des Berichts wurden damit gerechtfertigt, daß man den kleinen Mann nicht mit verurteilen könne, wenn der Anstifter Goebbels frei ausginge (Affidavit Buch, PL-54 c).

Die im Anschluß an diese Vorgänge erfolgte Ablehnung einer gewaltsamen Lösung führte dazu, daß den Umsiedlungsplänen geglaubt wurde, die in Wahrheit die Vorstufe der Ausrottung waren.

Wann der Ausrottungsentschluß gefaßt wurde, ist unbekannt. Ein Affidavit des Zeugen Albert, PL-54 h, versichert, daß Himmler noch 1942 in einer Denkschrift die Lösung der Judenfrage auf gesetzlichem und menschlichem Wege anzustreben vorgab unter Aufwand von 25 bis 30 Milliarden Mark.

Als Grund für alle Maßnahmen war nicht Kriegführung, sondern ausschließlich die Rassenfrage erkennbar.

Die wahren Vorgänge im Osten kamen nur als entfernte Gerüchte und wurden wegen ihrer Ungeheuerlichkeit nicht geglaubt, sondern als feindliche Propaganda angesehen. Bezeichnend ist die »Aufklärung«, die die Parteikanzlei am 9. Oktober 1942 gab, das Dokument PL-49. Hier wurden amtlich den Politischen Leitern gegenüber die Greuel dementiert.

Das Dokument D-908 mit der Zeitschrift »Die Lage« vom 23. August 1944 enthält einen Hinweis auf das Judenproblem in Ungarn, tatsächliche Vorgänge läßt es nicht erkennen; wegen seiner geringen Verbreitung und der Mitteilung, die erst gegen Ende des Krieges erfolgt, ist der Artikel nicht geeignet, die grundsätzliche Beurteilung für die Allgemeinheit zu ändern.

Wie die Masse der Politischen Leiter aller Grade und Bereiche zur Judenfrage stand, ergibt sich zwingend aus dem Affidavit PL-54, das eine Zusammenfassung von 26 000 eidesstattlichen Erklärungen enthält.

Die folgende Frage, die zu untersuchen ist, ist die Belastung der Politischen Leiter durch Kriegsverbrechen.

Zunächst erscheint hier wieder die Judenfrage, soweit ausländische Juden betroffen wurden.

[517] Die Kenntnis von den Geschehnissen außerhalb des Reichsgebiets kann bei der Mehrheit der Politischen Leiter nicht vorliegen. In der Presse wurde bekanntgegeben, daß die Regierungen in anderen Ländern, so Ungarn, Frankreich und Italien, gleichartige Maßnahmen treffen wie die deutschen Stellen. Was in Wahrheit geschah, blieb in Deutschland unbekannt. Ein Dokument, PL-49, vom 9. Oktober 1942, vertrauliche Informationen der Parteikanzlei über »Gerüchte über die Lage der Juden im Osten«, diente dazu, die Dinge zu verschleiern und abzuleugnen.

Was die Germanisierung slawischer Gebiete betrifft, so sind vor dem Tribunal dem Zeugen Hirth drei Dokumente vorgelegt worden.

Das Dokument USSR-143 betrifft die Entfernung slowenischer Anschriften in den Straßen und den Gebrauch der deutschen Sprache für Beamte. Eine genauere Prüfung zeigt, daß es sich um ein Vorgehen des Steierischen Heimatbundes handelt, der Mitteilungen an seine Ortsgruppen gibt. Der Steierische Heimatbund war keine Parteiorganisation (Affidavit von Rödern, Nummer 6 und 7). Die Vorgänge beziehen sich auf eine kleine Stadt Pettau, die vor dem Friedensvertrag von 1918 von Deutschen bewohnt war.

Auch das Dokument USSR-449 bezieht sich auf Rückgewinnung in Kärnten und Krain, das früher deutschbesiedeltes Gebiet war, und das Dokument USSR-191 zeigt, daß es sich um Maßnahmen des SD in den Randgebieten der Steiermark handelt.

Alle Dokumente geben keine Grundlage für eine allgemeine Kenntnis der Politischen Leiter von den Anordnungen, deren Durchführung unbekannt geblieben ist.

Einen großen Raum nehmen die Vorwürfe ein, die gegen die Politischen Leiter wegen der Verwaltung im Osten erhoben werden. Ob diese Vorwürfe im allgemeinen berechtigt sind, kann auf Grund der Verhandlung bisher nicht beurteilt werden. Es kann aber untersucht werden, inwieweit die Politischen Leiter Kenntnis von solchen Vorgängen haben konnten und verantwortlich sind.

Das Dokument 1058-PS enthält die Rede Rosenbergs vor dem Beginn des Ostfeldzugs, zu der sein Verteidiger ausführlich Stellung genommen hat. Die Rede war geheim und nur einem kleinen Kreis bekannt.

Das Dokument L-221 vom 16. Juli 1941 betrifft die Krim; es sind geheime Aktennotizen Bormanns über eine Besprechung im Führerhauptquartier.

In gleicher Weise ist der allgemeinen Kenntnis entzogen eine Denkschrift über eine Unterredung zwischen Rosenberg und Hitler über die Krim (Dokument 1517-PS).

Aus dem Tagebuch Franks (Dokument 2233-PS) werden den Politischen Leitern die Zustände im Generalgouvernement auf dem [518] Gebiete der Ernährung vorgehalten. Eine allgemeine Kenntnis der Tatsache, daß dort im Jahre 1941 40 Prozent der Bevölkerung unterernährt waren, kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Soweit Ernährungsschwierigkeiten im Grenzland bekannt wurden, können sie nach einem verlorenen Krieg auch auf andere Ursachen zurückzuführen sein.

Das Dokument R-36 zeigt die erschreckende Ansicht Bormanns über die Behandlung der Bevölkerung in den Ostgebieten. Es ist eine Stellungnahme des Dr. Markull im Ministerium für die besetzten Ostgebiete, vom 19. August 1942, an Rosenberg. Die offene und scharfe Sprache sowie die empörte Ablehnung zeigt, daß die Ansichten Bormanns gerade nicht gebilligt wurden und daß anders verfahren wurde. Gerade der Umstand des freien Appells an Rosenberg beweist, daß dessen Einverständnis mit der Ablehnung sicher war.

Andere Vorgänge wurden einem größeren Kreis bekannt.

Das Dokument 1130-PS enthält die wiederholt zitierte Rede des Reichskommissars Koch in Kiew vom 1. April 1943 über das »Herrenvolk«. Daß Koch selbst wußte, daß seine Ansichten nicht geteilt wurden, ergibt sich aus den Unterlagen, wonach er erklärt hat, seine Abteilungsleiter zerfielen in zwei Gruppen, die einen arbeiteten offen gegen ihn, die anderen heimlich.

Im Dokument R-112 sind Erlasse Himmlers in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums, vom Februar und Juni 1942, enthalten. Sie befassen sich mit der an sich nicht unzulässigen Wiedereindeutschung ehemaliger Deutscher aus den Ostgebieten. Einer dieser Erlasse ist unter anderem an die Gauleiter zur Kenntnisnahme gerichtet. Er enthält keinerlei Hinweise auf verbrecherische Maßnahmen.

Aus dem Dokument 327-PS wird von der Anklage geschlossen, daß sich die Gauleiter in die Liquidierung »riesiger Vermögenswerte« im Osten eingemischt hätten. Eine Prüfung ergibt, daß es sich hier um die Abwicklung von deutschen Firmen handelt, die als Geschäftsunternehmen des Staates unter Einsatz erheblicher Mittel errichtet worden waren. Mit Schreiben vom 17. Oktober 1944 werden die Gauleiter lediglich aufgefordert, sich in die inzwischen auf deutschem Gebiet erfolgende Abwicklung nicht einzumischen.

Aus allem ergibt sich, daß die Politischen Leiter in ihrer Gesamtheit keine besonderen Kenntnisse von den verbrecherischen Vorgängen haben konnten.

VORSITZENDER: Dr. Servatius! Bevor wir die Verhandlung vertagen, geben wir bekannt, daß der Gerichtshof morgen um 16.00 Uhr die Verhandlung vertagen wird.


[Das Gericht vertagt sich bis

23. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 21, S. 491-520.
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