Nachmittagssitzung.

[147] VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat soeben einen vom 18. August datierten Antrag von Dr. Berges erhalten.

Dieser Antrag wird abgelehnt.

Ich erteile Dr. Böhm das Wort.


RECHTSANWALT GEORG BÖHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Präsident! Meine Herren Richter!

Es widerspricht dem fundamentalen Recht eines jeden Menschen, nur nach dem Maße seiner eigentlichen Schuld verantwortlich gemacht zu werden, wenn er durch das mögliche Ergebnis der kollektiven Klage gegen die Organisationen dem Gesetz Nummer 10 des Alliierten Kontrollrates unterworfen wird. Eine Sühne ohne Schuld ist, solange Menschen leben, niemals als gerecht empfunden worden. Wer also strafen will, hat nach der Schuld jedes einzelnen auch dann zu forschen, wenn mehrere an einer Straftat beteiligt waren. Ist schon die Planung eines Verbrechens als Vorbereitungshandlung strafbar, so können nach bisher geltenden juristischen und sittlichen Grundsätzen auch nur die an einem solchen Plan Beteiligten, das heißt eben nur diejenigen bestraft werden, die sich an einem gewollten und bewußten Zusammenwirken gerade zu diesem Zweck zusammengeschlossen haben.

Die eben entwickelten, sich aus fundamentalen Menschenrechten ergebenden Rechtsgrundsätze sind auch in keinem Zeitpunkt vor irgendeinem nationalen Strafgesetz durch den Rechtsbegriff einer »Verschwörung« überwunden worden. Im Sinne des von dem Hauptanklagevertreter gebrachten Rechtsbegriffes der Verschwörung entsteht eine Schuld, wenn

erstens eine Verbindung zu einem gemeinsamen und allgemeinen Ziel bestand,

zweitens diese Ziele verbrecherisch waren,

drittens die Verfolgung dieser Ziele die verbrecherische Tat ohne weiteres, das heißt voraussehbar, mit sich brachte, und endlich

viertens die Art der Ausführung der Tat entweder einer bereits im Zeitpunkt des Zusammenschlusses vereinbarten oder doch nachträglich gebilligten Methodik entsprach.

Im folgenden haben wir deshalb zu prüfen

  • a) inwieweit sich der hier aufgezeichnete Tatbestand einer Verschwörung mit dem von der Anklage vorgetragenen Rechtsbegriff deckt und

  • b) inwieweit dieser Tatbestand von den Mitgliedern der Organisationen verwirklicht wurde.

[147] Von hier aus gesehen scheint sich der vorstehend nicht nur nach deutschen Rechtsbegriffen, sondern auch nach bekannten Strafgesetzen anderer zivilisierter Länder abgegrenzte Tatbestand einer Verschwörung mit der in der Sitzung des Gerichtshofs vom 28. Februar 1946 erfolgten Abgrenzung der Anklage durchaus zu decken, so daß uns bei Anerkennung dieser hier getroffenen Feststellung nur noch die Prüfung der bereits aufgeworfenen zweiten Frage übrigbleibt, nämlich inwieweit ein solcher nun tatbestandmäßig abgegrenzter Sachverhalt schuldhaft von den Mitgliedern der SA verwirklicht wurde.

Diese Fragestellung berührt ein Werturteil und eine Tatfrage. Zunächst eine Werturteilsfrage insoweit, als der im Zusammenhang mit dem Ziele der Organisation gebrauchte Begriff »verbrecherisch« einer klaren Abgrenzung bedarf.

Für deutsche Angehörige können im deutschen Machtbereich begangene Handlungen »verbrecherisch« nur nach deutschen Strafgesetzen strafbare Handlungen sein. Nach bisher anerkannten Völkerrechtsgrundsätzen kann für ein Volk nichts rechtsverbindlich sein, was andere Völker selbst als »verbrecherisch« empfinden, sondern nur, was dieses Volk als »verbrecherisch« in sein eigenes sittliches und rechtliches Bewußtsein aufgenommen hat. Immerhin können wir nach gewissenhafter Prüfung auch nach dieser Frage feststellen, daß das deutsche Volk ohne Ausnahme, also auch die Masse der Mitglieder der in Nürnberg angeklagten SA, sich in keinem Zeitpunkt in seiner sittlichen und rechtlichen Grundeinstellung von den Grundgesetzen der übrigen zivilisierten Welt unterschieden hat. Auch die Millionenmasse ihrer Mitglieder empfindet einen Angriffskrieg, der in Artikel 6 des Statuts bezeichneten Art als Verbrechen; auch sämtliche SA-Mitglieder würden ohne Ausnahme nie darüber streiten, daß Handlungen, wie sie im Artikel 6 des Statuts unter dem Begriff »Verbrechen gegen die Humanität« zusammengefaßt sind, immer auch ihren Grundsätzen widersprochen haben und deshalb auch von ihrem Standpunkt aus das Werturteil »verbrecherisch« verdienen.

Danach verbleibt also der Verteidigung, von den Prozeßvoraussetzungen abgesehen, die bestritten werden, nur noch die Prüfung der Tatfrage, ob die angeklagte Organisation, die SA, zu irgendeinem Zeitpunkt die Verwirklichung solcher verbrecherischen Ziele oder die Verwirklichung erlaubter Ziele mit solchen die Begehung von Verbrechen einschließenden Methoden angestrebt hat.

Die Anklage hat das behauptet.

Die Ziele der angeklagten Organisationen waren durch das Parteiprogramm und durch die Statuten klar umgrenzt. Die Mittel zur Verwirklichung dieser Ziele fanden ihre sichtbare Begrenzung [148] in den im Reichsgesetzblatt verkündeten Reichsgesetzen und Verordnungen. Die SA kann als angeklagte Organisation nur als Zusammenschluß von Personen gewertet werden, deren gemeinsames und allgemeines Streben ausschließlich darauf gerichtet war, die vorgezeigten Ziele mit den nach deutschen Gesetzen zulässigen Mitteln zu verwirklichen. Die so nicht nur für die Mitglieder der angeklagten Organisationen sondern für die ganze Welt völlig offen liegenden Ziele und gesetzlich umgrenzten Mittel der Verwirklichung dieser Ziele können nicht von einer Welt als verbrecherisch empfunden worden sein, die trotz ihres Wissens um Ziele und gesetzlich umgrenzte Methoden die hierfür verantwortliche nationalsozialistische Reichsregierung auch nach gesetzlicher Hervorhebung der Einheit von Partei und Staat nicht nur formell anerkannte, sondern ihrer Anerkennung durch Abschluß einer ganzen Reihe zwischenstaatlicher Verträge, zuletzt noch im Münchener Abkommen vom 29. September 1938, im deutsch-russischen Nichtangriffspakt und im geheimen Zusatzabkommen vom 24. August 1939, auch gegenüber dem deutschen Volke wiederholt sichtbaren Ausdruck verliehen hat.

Der von der Anklagevertretung behauptete verbrecherische Charakter der SA muß demnach schon anders als mit dem bloßen Hinweis auf einen verbrecherischen Charakter der nationalsozialistischen Idee an sich begründet werden. Ist nicht schon die Idee verbrecherisch, dann kann eben der verbrecherische Charakter einer der Verwirklichung dieser Idee dienenden Organisation – wenn überhaupt – nur aus den verbrecherischen Methoden abgeleitet werden, die, um eine Formulierung des Gerichtshofs zu gebrauchen, so »völlig offen lagen oder doch den Mitgliedern der angeklagten Organisationen in anderer Weise so allgemein zur Kenntnis gekommen seien, daß im allgemeinen mit Recht angenommen werden könnte, daß die Mitglieder über diese Zwecke und Tätigkeiten unterrichtet gewesen wären«. Damit sind auch vom Gericht selbst in eindeutiger Klarheit die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale herausgestellt worden, die erfüllt sein müssen, wenn der Internationale Militärgerichtshof die SA als verbrecherisch charakterisieren soll.

Zur Charakterisierung einer Organisation wie zur Charakterisierung von Einzelpersonen dürfen nur typische Erscheinungsformen herangezogen werden. Erscheinungsformen, die wir auch in anderen Ländern finden, ohne daß diese bisher Veranlassung gegeben haben, die Träger dieser Erscheinungsformen als verbrecherisch zu bezeichnen, können billigerweise auch in dem Verfahren vor dem Internationalen Militärgerichtshof nicht zur Begründung eines verbrecherischen Charakters der angeklagten Organisationen herangezogen werden. So kann es der Verteidigung nicht gerecht erscheinen, wenn die Anklage den verbrecherischen Charakter der [149] angeklagten Organisationen zum Beispiel aus der Feststellung abzuleiten versucht, daß die Partei und ihre Organisationen den Staatsapparat unter wirksamer Kontrolle hielten, abgesehen davon, daß dazu die SA nie die Macht besaß.

Solche Methoden sind, selbst wenn man ihre Anwendung durch die SA unterstellen würde, in der Welt nicht einmalig und gehören in der Welt nicht der Vergangenheit an. Solange aber diese Methoden nicht in der ganzen Welt als verbrecherisch betrachtet und behandelt werden, wird man sie gerechterweise auch nicht als typische Erscheinungsformen eines verbrecherischen Charakters gerade der angeklagten nationalsozialistischen Organisationen verwerten dürfen.

Die dahingehenden Behauptungen der Anklage müssen daher schon mit dieser Feststellung für die Begründung einer verbrecherischen Eigenschaft ausscheiden. Ebensowenig können zur Begründung eines verbrecherischen Charakters der SA Vorgänge verwertet werden, die sich völlig außerhalb der Organisation abgespielt haben, Vorgänge also, von denen »im allgemeinen nicht mehr mit Recht angenommen werden kann, daß die Mitglieder über diese Vorgänge unterrichtet waren«.

Demnach hat die Verteidigung der SA zu beweisen, daß

erstens zu keiner Zeit ein allgemeiner und gemeinsamer Plan der SA-Angehörigen bestand, Verbrechen der im Artikel 6 des Statuts bezeichneten Art zu begehen,

zweitens, daß weder im Zeitpunkt ihres Zusammenschlusses noch während irgendeiner späteren Zeitspanne die Masse der Mitglieder der SA dazu erzogen worden war, das Parteiprogramm oder die besonderen Zielsetzungen der SA durch Anwendung ungesetzlicher Mittel, insbesondere durch Anwendung von Terror und Gewalt zu verwirklichen,

drittens, daß, wenn ungesetzliche Handlungen festgestellt werden konnten, das Ergebnis der Untersuchung und die Befragung von vielen tausenden Mitgliedern zeigt, daß diese Vorgänge einer sich auf die Masse der Mitglieder erstreckenden Planmäßigkeit entbehren und deshalb – weil völlig außerhalb eines gemeinsamen allgemeinen Planes stehend – immer nur bestimmten Einzelpersonen oder ganz eng umgrenzten Kategorien oder Personengruppen innerhalb der SA zur Last gelegt werden können.

Es ist nicht richtig, daß hinter jenen furchtbaren und beschämenden Ereignissen von Anfang an ein allgemeiner und gemeinsamer Plan einer Massenorganisation stand, Handlungen dieser Art zu begehen oder, daß diese Handlungen wirklich »so völlig offen lagen oder doch auch den Mitgliedern in anderer Weise so allgemein [150] zur Kenntnis gekommen sind, daß die Mitglieder in ihrer Gesamtheit in strafrechtlicher Hinsicht mit Recht mit ihrer Kenntnis belastet werden dürfen«.

Was die von der Anklagevertretung vorgetragenen Verbrechen gegen den Frieden anbelangt, so ist in erster Linie festzustellen, daß die Vorbereitungen eines Angriffskrieges, wenn sie zum gewünschten Ziele führen sollen, unter allen Umständen geheim bleiben müssen. Selbst wenn es richtig wäre, daß die Reichsregierung oder der Generalstab einen Angriffskrieg vorbereitet hatten, so spricht eine nahezu unwiderlegbare Vermutung dafür, daß sie die indifferente Millionenmasse der SA-Angehörigen nicht nur nicht von solchen Vorbereitungen unterrichteten, sondern im Gegenteil peinlichst darauf achteten, daß diese Vorbereitungen geheim blieben. War aber eine solche Vorbereitung unbekannt, dann konnte die Millionenmasse auch in keinem Zeitpunkt das Bewußtsein gewinnen, daß der von der Reichsführung begonnene Verteidigungskrieg in Wirklichkeit, wie die Anklage behauptet, ein Angriffskrieg war, an dem sich zu beteiligen vielleicht als Verbrechen gegen den Frieden hätte gewertet werden können.

Auch Verbrechen gegen die Kriegsgebräuche und Kriegsgesetze sind ihrer Natur nach Einzelhandlungen engumgrenzter Personengruppen oder Formationen, die von der höheren Führung gleichfalls geheimgehalten werden, um nicht das völkerrechtliche Prinzip der Vergeltung zur Auswirkung gelangen zu lassen. Selbst wenn es möglich wäre, in der bloßen Billigung solcher Verstöße gegen die anerkannten Kriegsregeln und Kriegsgesetze eine strafbare Beteiligung zu sehen, stünde die Anklagevertretung noch immer vor der bisher noch nicht gelösten, und wohl auch unlösbaren Aufgabe, zunächst einmal den Beweis zu führen, daß wenigstens die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der SA eine solche planmäßige Begehung von Verbrechen gegen die Kriegsgebräuche und die Kriegsgesetze überhaupt gekannt hat. Ganz abgesehen von diesen gegen wesentliche Behauptungen der SA stehenden Beweisvermutungen aber kann nach der Befragung von vielen Tausenden von Mitgliedern der SA von seiten der Verteidigung auch der Beweis geführt werden, daß, wenn Gesetzwidrigkeiten vorgekommen sind, diese sich nach einer rechtlich gebotenen und zeitlich und örtlich gegebenen Aufgliederung, insgesamt gesehen, immer doch nur als außerhalb einer gemeinsamen Zielsetzung stehende, voneinander unabhängige Handlungen einzelner Personen oder doch engumgrenzter Personengruppen erweisen, und es kann danach nicht gerechtfertigt erscheinen, sie als »typische Erscheinungsformen« eines einheitlichen Planes zu behandeln, die schließlich geeignet waren, eine Charakterisierung der SA als verbrecherisch zu rechtfertigen.

[151] Man wird gegenüber dieser Beweisführung der Verteidigung nicht einwenden können, daß die von ihr gezogenen Schlußfolgerungen nun dessentwegen keinen Anspruch auf die vorbehaltlose Anerkennung erheben können, weil sich die Untersuchung nur auf einen Teil der von der Anklage gegen die Organisationen erfaßten Millionenmasse der Organisationsmitglieder erstreckt habe, und es deshalb nicht gerechtfertigt erscheine, das Ergebnis im Sinne der von der Verteidigung gezogenen Schlußfolgerungen zu verallgemeinern.

Daß ein Teil der Mitglieder nicht gehört werden konnte, meine Herren Richter, ist nicht die Schuld der Verteidigung; denn die Verteidigung hat in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretariat alles getan, um die Zeugen aus der russischen Zone schaffen zu lassen, mit denen sie bis zur Benennung als Zeugen noch korrespondieren konnte.

Ich stelle fernerhin auch fest, daß den Mitgliedern der SA, die in der russischen Zone leben, nicht das ihnen gebührende Gehör zuteil werden konnte, da sie nach meinen Informationen zum Großteil in Unkenntnis über die Anklage gegen die Organisationen gehalten wurden. Dies ist einer der wichtigsten Einwände gegen das Verfahren, der immer vor der Geschichte bestehen bleiben wird.

VORSITZENDER: Dr. Böhm! Das ist eine höchst ungehörige Bemerkung, die Sie da machen. Es gibt keinen Beweis dafür, daß Mitglieder der SA in Unwissenheit gehalten worden sind, ganz im Gegenteil. Es ist in den Lagern der russischen Zone die gleiche Bekanntmachung wie in den anderen Zonen angeschlagen gewesen und ein Verteidiger, nämlich Dr. Servatius, der in der russischen Zone war, hat dem Gerichtshof gegenüber keine Beschwerde geäußert. Der Gerichtshof ist der Meinung, daß dies eine Bemerkung ist, die kein Verteidiger machen dürfte.

RA. BÖHM: Jawohl, Herr Vorsitzender; aber gerade aus dem Munde des Herrn Kollegen Dr. Servatius habe ich diese Information erhalten.


VORSITZENDER: Dr. Böhm! Dr. Servatius hat dem Gerichtshof gegenüber nichts Derartiges geäußert; ganz im Gegenteil, er hat erklärt, daß er in der russischen Zone anständig behandelt worden ist.


DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Präsident! Ich bin in der russischen Zone gewesen und habe »nach meinem Wunsch« zwei Lager besuchen können. Ich habe in meinem Schlußvortrag darauf hingewiesen und gesagt, daß nach meiner Information, die mir zuteil geworden ist, in allen Lagern die Bekanntmachung erfolgt war. Ich selbst hatte nicht mehr Zeit als zwei Lager zu besuchen, die ich mir ausgesucht habe. Ich habe das ja auch hier vorgetragen.


[152] VORSITZENDER: Danke sehr.


RA. BÖHM: Demnach müßte ich die mir zuteil gewordene Information reichlich falsch verstanden haben, Herr Präsident.

Hervorheben möchte ich außerdem die Einschränkungen, die für die Verteidigung dadurch entstanden sind, daß trotz aller Bemühungen und genauester Adressenangabe ein Teil der Zeugen, die in anderen Zonen leben, nicht eingetroffen ist. Es fehlen vor allem die Zeugen Fust, Lucke, Alvensleben und Wallenhöfer. Es fehlen durch das Ausbleiben dieser Zeugen auch die Statistiken der SA und der Hilfskasse, die erst ein gerechtes Urteil über die Vorkommnisse vor dem Jahre 1933 zulassen, aus denen der Terror gegen die SA ersichtlich geworden wäre. Nicht in die Hand der Verteidigung ist außerdem ein Teil der beantragten und in der Vorprüfung durch das Gericht genehmigten Dokumente gekommen.

Der Internationale Militärgerichtshof kann demnach bei dem von ihm zu fällenden Urteil nur davon ausgehen, daß Ungesetzlichkeiten nur von einer beschränkten Anzahl von Personen oder zahlenmäßig begrenzten Personengruppen begangen wurden, deren Tätigkeiten den Organisationen in ihrer Gesamtheit genau so wenig den Stempel des »Verbrecherischen« aufzudrücken vermögen, wie eine in jeder Nation zu findende Anzahl von Verbrechen diese Nation als Verbrechernation zu charakterisieren geeignet wäre.

Zusammenfassend wird man daher vom Standpunkt der Verteidigung feststellen dürfen, daß die gegen die Organisation SA in ihrer Gesamtheit erhobene und in ihren Auswirkungen selbst noch die Toten des Krieges erfassende Anklage grundlegender formeller und materieller Voraussetzungen entbehrt, deren in jeder verurteilenden Erkenntnis des Gerichtshofs liegende Mißachtung, ebensowenig mit dem »gesunden Volksempfinden«, wie mit den aus leidvollen Erfahrungen geborenen Bestrebungen der Vereinten Nationen in Einklang zu bringen ist, nämlich das Vertrauen in fundamentale Menschenrechte wieder herzustellen und die Bedingungen zu schaffen unter denen die Gerechtigkeit und die Achtung vor dem Volksrecht aufrechterhalten werden kann.

Die Anklage führt aus, die Verbrecherischkeiterklärung sei erforderlich, um für die zu einem großen Teil nicht überführbaren unmittelbaren Täter die Voraussetzungen der Verurteilung zu schaffen, wie auch die moralischen Gehilfen zu bestrafen.

Nach den Vorwürfen der Anklage müßte die Oberste SA-Führung, um die hauptsächlichsten Vorwürfe anzuführen, folgendes getan beziehungsweise geduldet haben:

a) einen Angriffskrieg vorbereitet oder geplant, beziehungsweise befohlen haben,

[153] b) Greueltaten oder sonstige Verbrechen in den KZs geduldet oder ausgeführt haben.

In der Beweisführung wurde eindeutig festgestellt, daß von der Obersten SA-Führung diesbezüglich keine Befehle gegeben und keine Untaten geduldet wurden.

Im übrigen ist die Behauptung unrichtig, die wahren Täter wären für die Mehrzahl der Fälle nicht zu erfassen.

Falls tatsächlich ein Angriffskrieg geplant war, so können für die Planung nur wenige, nicht aber vier Millionen in Betracht kommen. Die Täter der örtlich und zeitlich begrenzten Judenverfolgung sind bekannt oder feststellbar. Da die Orte der Judenverfolgungen im November 1938 feststehen, und die Täter durch Zeugen oder sonstwie aktenmäßig überführt werden können, wie die jetzigen Prozesse wegen der im Jahre 1938 stattgefundenen Judenpogrome, zum Beispiel in Weißenburg und Hof, beweisen, ist es unnötig, hier durch eine Verbrecherischkeiterklärung eine Voraussetzung zu schaffen, um so mehr als diese Taten überwiegend von den SA-Mitgliedern abgelehnt wurden. Ebenso stehen die Orte, an denen sich Konzentrationslager befanden, wie auch die Namen der für die dort begangenen Taten Verantwortlichen fest. Dies besagen die zahlreichen Prozesse gegen KZ-Kommandanten und Bewachungsmannschaften. Sollen die Millionen SA-Angehörigen, die zu 70 Prozent an der Front standen, als im Verlauf des zweiten Weltkrieges sich die schrecklichen Vorfälle in den KZs ereigneten, für diese verantwortlich gemacht werden, wenn selbst ehemalige Minister behaupten, von dem dort Begangenen keine Kenntnis gehabt zu haben? Man fasse die unmittelbaren Täter! Eine Kollektivhaftung aber von vier Millionen ist in der Strafrechtsgeschichte erstmalig und einmalig. Sie ist unmenschlich und fußt auf einer Erweiterung des Begriffes »Gehilfe«, die jede Rechtssicherheit und alle Grundsätze sämtlicher Strafrechtsordnungen beiseiteschiebt.

Der Grundgedanke bei der Conspiracy ist der der Strafbarkeit eines Beitritts zu einer organisierten Personengruppe, die im Augenblick des Eintritts bereits verboten ist. Die Eintretenden also müssen bei ihrer Aufnahme das Bewußtsein haben, etwas Rechtswidriges zu tun.

Die nachträgliche Verbrecherischkeiterklärung mit dem Ziele, das Vorgehen gegen einzelne Mitglieder nachträglich zu ermöglichen, verletzt den Grundsatz: »nulla poena sine lege«. Der Internationale Kontrollrat hat diesen Grundsatz in seinem ersten Gesetz über die Rechtspflege in Deutschland ausdrücklich festgelegt. Der Internationale Gerichtshof kann sich nicht über einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des für Deutschland maßgebenden interalliierten Gesetzgebungsorgans hinwegsetzen.

[154] Bei der Verbrecherischkeiterklärung wurde ferner noch ein weiterer Grundsatz verletzt. Durch die Anerkennung des deutschen Staates und damit seiner Führung, durch die ständige Teilnahme von Repräsentanten bei hervorragenden Veranstaltungen, darunter auch bei den SA-Kampfspielen, durch die verschiedenen Abkommen gaben die alliierten Mächte ein Beispiel dafür, daß sie die deutsche Führung und ihre Organisationen als rechtmäßig anerkannten. Das von mir zitierte Dokument SA-229: »Die politischen Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandkommission und ihre Anwendung in den Jahren 1920 bis 1924« ergibt, daß am 21. März 1925 die Rheinlandkommission das Verbot der deutschen Freiheitspartei und der Nationalsozialistischen Partei aufgehoben hat. Eine eidesstattliche Versicherung aus der Pfalz (Affidavit Allgemeine SA-42) die von der Verteidigung vorgelegt wurde, zeigt auf, daß sämtliche Veranstaltungen der NSDAP, wie auch der SA von der französischen Besatzungsbehörde vor dem Jahre 1930 genehmigt wurden. Die Außenpolitik der alliierten Staaten dürfte bessere Einblicke in die politischen Gesamtverhältnisse gehabt haben, als die einfachen SA-Angehörigen in ihrer Millionenzahl, die bei dieser außenpolitischen Situation das Bewußtsein, etwas Rechtswidriges durch den Eintritt oder das Verbleiben in der SA zu tun, nicht haben konnten. Die jetzige Verfolgung der damals anerkannten Organisation widerspricht dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz: »nemo in factum proprium venire potest«, das ist: »Niemand darf sich in Gegensatz zu seinem früheren Verhalten stellen.« Dieser Grundsatz des römischen Rechtes, das als Auslegungsregel im Völkerbund verwendet wird, beansprucht allgemeine Geltung.

Die Anklage arbeitet bezüglich der SA mit einer Reihe von Vereinfachungen hinsichtlich Zweck, Ort, Zeit und mitwirkenden Personenkreisen, die es der Anklage erst ermöglichen, eine Begründung der Verbrecherischkeiterklärung herbeizuführen. Mit anderen Worten: Die Anklage verhält sich so, als sei die ganze Zeit hindurch eine einheitliche Person, »die SA«, da, mit einer einheitlichen Führung, Verantwortlichkeit, einheitlichem Zweck, Vorsatz, Mitgliederkreis und einheitlicher Gebarung. Ohne solche Verallgemeinerungen kommt die Anklage überhaupt nicht zu ihrem Ziel, zum Beispiel in der Frage des Angriffskrieges und der Judenverfolgungen. Sie setzt sich damit über das eigentliche Problem der Massenhaftung hinweg, das gerechterweise nur an Hand einer großen Zahl von Einzelfeststellungen gelöst werden kann, und die Erforschung der Übereinstimmung von Handlung und Ziel bei der Mehrzahl der Mitglieder fordert. Es kann demgegenüber nicht deutlich genug auf die tatsächliche Aufsplitterung gerade bei der SA hinsichtlich der Zielsetzung der Führungskreise, sowie des Mitgliederstandes, wie auf die örtliche und zeitliche Begrenzung der Taten hingewiesen werden, die das Vorgefallene bei einer [155] Organisation von vier Millionen zu zeitlich, örtlich und persönlich begrenzten Einzelvorgängen in einer Bestehensdauer von über 20 Jahren stempeln.

Vorsatz, das innere Wollen, sowie die Kenntnis des verbrecherischen Zweckes und der Tatbestandselemente, sowie das allgemeine Bewußtsein der Rechtswidrigkeit hätte die Staatsanwaltschaft der Mehrheit der SA-Angehörigen nachweisen müssen. Da dies unmöglich ist, stellt sie den Satz auf, die Tatbestände und die Zwecke hätten so klar gelegen, daß sie jeder hätte erkennen können. Wenn dies alles für Millionen einfacher Menschen so klar lag, weswegen haben dann die Alliierten bis 1939 mit diesem auf Verbrecherbanden gestützten Staat Beziehungen unterhalten und Verträge abgeschlossen? Der Satz, die Angehörigen hätten bei dieser Sachlage die verbrecherischen Ziele und Taten kennen können und müssen, verzichtet auf eine wirkliche Prüfung der Kenntnis der Mehrzahl der Mitglieder.

Die Anklage begnügt sich praktisch mit einer Fiktion des Vorsatzes. Sie übersieht dabei unzählige Reden, die zur Täuschung des deutschen Volkes gehalten wurden, sie vergißt,

erstens, daß ausländische Zitate über den Wert des nationalsozialistischen Staates in die Presse übernommen worden sind;

zweitens, daß im Laufe der zwölf Jahre die tatsächlichen Ereignisse verschleiert oder doch geschickt zurechtgestutzt dem deutschen Volke und der Masse der SA-Mitglieder vorgetragen wurden.

Daß im übrigen der Vorsatz nur in Verbindung mit konkreten Tatbeständen erörtert werden kann, auf die ich in meinen späteren Ausführungen noch zu sprechen komme, ist so selbstverständlich, daß ich darüber kein Wort zu verlieren brauche. Ich bemerke nur, daß unzählige eidesstattliche Versicherungen der übergebenen kollektiven Zusammenstellung die Nichtkenntnis und Nichtteilnahme an folgenden Verbrechen beweisen: Judenverfolgungen, Planung eines Angriffskrieges oder Begehung von Greueltaten aller Art.

Vor allem sei auch darauf hingewiesen, daß zwischen den Hauptangeklagten und ihren Handlungen und der Mitgliedschaft in der SA kein Zusammenhang besteht. Die SA kann – wenn überhaupt – nur für Taten haften, die von Personen in ihrer Eigenschaft als SA-Angehörige oder SA-Führer, nicht aber zum Beispiel als Reichsminister, Reichsleiter, Gauleiter, Gebietskommissare oder dergleichen mehr begangen wurden. Reichsmarschall Göring spielte außer seinem kurzen Gastspiel vor dem 9. November 1923 in der SA keine Rolle, sein Rang war später nur der eines Ehrenführers. Dasselbe gilt von dem Angeklagten Frank, seine angeblichen Taten als Generalgouverneur von Polen können der [156] SA nicht zur Last gelegt werden. Er war nicht der Führer der SA-Formationen, die aus den im Generalgouvernement eingesetzten Reichsdeutschen und aus Volksdeutschen bestanden. Rosenberg, Bormann, Schirach, Streicher, Heß und Sauckel hatten kein Verhältnis zur SA. Bormann war, wie die Zeugenaussage Jüttners hervorhebt, einer der schärfsten Gegner der SA. Streicher war der Mann, der den SA-Obergruppenführer Stegmann beseitigte.

Die Propaganda, der auch die Anklage zum Opfer gefallen ist, zeigt einen nationalsozialistischen Staat, in dem einerseits Partei, Staat und Wehrmacht, andererseits die Partei und ihre Gliederungen ein einheitliches Ganzes darstellen. In Wirklichkeit waren tiefgehende Gegensätze vorhanden. Gerade diese Gegensätze gaben Adolf Hitler eine unerhörte Macht über die Personen und eine unerhörte Selbständigkeit, die er nur mit wenig Vertrauten wahrnahm, wie jetzt erst klar zutage tritt. Es sei hier nur an die verschiedenen Auffassungen innerhalb der Partei, als auch zwischen den führenden Männern, wie etwa Göring, Goebbels und Himmler, Lutze, in der Kirchenfrage und in der Judenfrage erinnert. Es war für den Durchschnittsmenschen und auch für das Durchschnittsorganisationsmitglied nicht einfach, durch die Vielfältigkeit der Tendenzen hindurch eine eindeutige Linie zu sehen und zu finden.

Keine Frage aber, insbesondere die von Krieg und Frieden, war hinsichtlich ihrer Lösung derartig, daß sie Sache einer Conspiracy sein könnte.

Die Zeugenaussage Jüttners, wie die Affidavits Hörauf und Freund weisen darauf hin, daß die Oberste SA-Führung bis zu dem Zeitpunkt, da sie politisch ausgeschaltet war, in enger Verbindung mit englischen und französischen Kreisen stand, um einen Westpakt zu schaffen. Ich habe nachgewiesen, daß in dem Rahmen dieser Verhandlungen finanzielle Unterstützungen des Auslandes für die SA vorhanden waren, fernerhin habe ich aufgezeigt, daß die SA-Führung 1932 mit deutschen Regierungskreisen gegen Hitler Koalitionsverhandlungen tätigte. Ich habe bewiesen, daß politisch gesehen drei Willensrichtungen in außenpolitischer Hinsicht gegeben waren, wie ich auch aufgezeigt habe, daß sich die Ost- und Westlinie gegenüberstanden. In diesem Zusammenhang darf ich an den von der englischen Anklagevertretung ausgesprochenen Satz verweisen aus dem Protokoll vom 31. Juli 1946. Ich zitiere:

»Wenn deutscherseits aufgezeigt werden könnte, daß die Englische Regierung die SA, um an die Macht zu kommen, wirtschaftlich unterstützt hätte unter der Bedingung, daß Röhm an die Macht käme, dann hätte allerdings die Verteidigung ihren Fall bedeutend weiter vorwärts gebracht. Denn selbstverständlich konnte doch die Regierung von 1946 [157] an dem Prozeß gegen die SA nicht teilnehmen, wenn sie die SA 1934 unterstützt hätte.«

Wie eindeutig aber die Verhandlungen zwischen den englisch-französischen politischen Kreisen und der SA-Führung gewesen sind, zeigt klar und eindeutig das Affidavit Hörauf. Ich habe auch nachgewiesen, daß die Fühlungnahme mit den englischen und französischen Kreisen einen Faden für die Ereignisse im Jahre 1934 darstellt.

Die Anklage macht der SA den Vorwurf, in den Händen der Verschwörer jederzeit ein williges Werkzeug gewesen zu sein. Als bester Beweis für das Gegenteil dürften die Ereignisse des 30. Juni 1934 gelten. Immer und immer vernimmt man im Zusammenhang mit den Ereignissen des 30. Juni 1934 die irrtümliche Auffassung, als sei es an diesen Tagen gelungen, einen SA-Putsch, einen Putsch eines zur Macht drängenden Klüngels niederzuschlagen. Nichts ist irriger als dieser Gedankengang. Denn es ist so, daß die SA im Rahmen der Partei mehr oder weniger, wie das Affidavit von Freund – Allgemeine SA-83 – zeigt, ihr eigenes Leben führte. Zweifelsfrei steht fest, daß die Masse der SA mit der Partei keinerlei oder wenig Fühlung in der Zeit des Stabschefs Röhm hatte. 1934 war eine Situation, in der bereits jede freie Meinungsäußerung, vor allem auch in der Partei selbst, unterdrückt und das Schema zur Gottheit erhoben wurde. Alles unterlag dem Gleichschaltungstrieb, der Zwang triumphierte, er beherrschte das gesamte öffentliche Leben. Schon damals war die Reichsregierung mehr oder weniger ausgeschaltet. Der Reichstag war lediglich eine Attrappe und hatte keinerlei positiven Wert.

Einstens war die SA begeistert für einen Führerstaat eingetreten, jetzt sah sie, daß Hitler, der, wie Stabschef Röhm es ausdrückte, sich mit Demagogen und Nicht-Politikern umgab, und statt zum Volksführer zum Diktator geworden war. Einer derartigen Entwicklung sah die Oberste SA-Führung mit wachsendem Mißtrauen entgegen; barg sie doch die große Gefahr in sich, daß das deutsche Volk, das dem Führer Blankovollmachten gegeben hatte, von der zukünftigen Gestaltung des Reiches und seiner Politik restlos ausgeschaltet würde. Diese Gefahr und die Zwangszustände schufen eine unhaltbare Situation. So entstand, zunächst streng getarnt, die Opposition der Obersten SA-Führung unter Führung des Stabschefs Röhm.

Es war beabsichtigt, das bisherige System auszuschalten und durch eine wirkliche Volksregierung unter tätiger Mitarbeit des Volkes selbst zu ersetzen. In dieser Richtung gingen alle Vorbereitungen, die auch in der Kommissionssitzung durch den Zeugen Jüttner erwähnt worden sind. Es wurde nachgewiesen, daß Röhm in der beabsichtigten Kulmbacher Tagung sich auch über die Lage [158] der Arbeiterschaft informieren wollte, die durch die Auflösung der Gewerkschaften durch Ley entstanden war. Es sei ausdrücklich hier erwähnt, daß Röhm zur Auflösung der Gewerkschaften SA-Angehörige nur deshalb zur Verfügung stellte, da in den Gewerkschaftshäusern Waffen der Linksorganisation vorhanden waren und jeden Augenblick zu erwarten war, daß von diesen Gewerkschaftshäusern heraus der Bürgerkrieg in das Volk getragen werden konnte.

Röhm beabsichtigte, die SS aufzulösen. Das ist bewiesen durch die eidesstattlichen Erklärungen des ehemaligen SA-Brigadeführers Freund. Mit diesem neuen Staat, der entstehen sollte, steht das Röhmsche Unternehmen in Verbindung, auf dem Verhandlungswege mit den Westmächten die Konsolidierung des mitteleuropäischen Raumes zu erreichen. Es wurde nachgewiesen, daß diese Verhandlungen jahrelang bereits schwebten (Aussage Jüttner, Affidavit Freund).

Einer der letzten Verhandlungsträger war der SA-Obergruppenführer von Detten, wie die eidesstattliche Erklärung des Brigadeführers Freund feststellt. Die sämtlichen Dokumente, die den wehrpolitischen Teil der SA durch die Anklage behandeln, stehen in Verbindung mit diesem mißglückten Versuch des Stabschefs Röhm. Röhm dachte, wie der Zeuge Jüttner klar ausgesagt hat, an den Aufbau einer Volksmiliz nach Schweizer Muster aus dem Rahmen der SA heraus in dem großen Plan der Bildung eines Westpaktes. Es ist bedauerlich, daß vor Gericht einige Zeugen nicht gebracht werden konnten, die darüber noch weiteren Aufschluß hätten geben können. Der Versuch Röhms scheiterte. Zu seinem Sturz trugen außerdem noch bei die Differenzen mit der Reichswehr.

Der 30. Juni 1934 ist das Ergebnis dieser Entwicklung. Der erste Versuch, die Diktatur Hitlers zu beseitigen, war endgültig mißglückt. Über 200 SA-Führer wurden erschossen. Seitdem war Heinrich Himmler ungekrönter König in Deutschland.

Die wahren Hintergründe des 30. Juni 1934 sollten in Deutschland und im Auslande nicht bekanntwerden, da sonst das Prestige Hitlers und seiner Regierung aufs schwerste ins Wanken gekommen wäre. Deshalb wurde auch der groß aufgezogene Vernebelungsapparat der Presse zur Ablenkung der Masse gestartet und deshalb haben wir auch die verhältnismäßig große Anzahl von Erschossenen, die nicht mehr reden konnten beziehungsweise nicht mehr reden sollten. In der Partei war es verboten, über den 30. Juni 1934 zu sprechen.

Es ist eine interessante Parallele, daß am 20. Juli 1944 gleichfalls ein SA-Führer beteiligt war, und zwar SA-Obergruppenführer Graf Helldorf. Er wurde gehängt.

[159] Seit dem 30. Juni 1934 war die SA zur vollkommenen Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Die SA nach dem 30. Juni 1934 wurde als unliebsames Anhängsel betrachtet. Die SA wurde als politisch unzuverlässig angesehen. Deshalb erhielt sie auch, wie in Zeugenaussagen vor der Kommission wiederholt festgestellt wurde, keine Aufgaben mehr. Das Schicksal der SA seit diesem Tag war nur mehr ein Suchen nach einer Aufgabe. Offiziell sollte die SA die wehrpolitische Erziehung und den Sportgedanken selbst in die Hand nehmen.

In Wirklichkeit betraute aber die Partei die SA mit gänzlich untergeordneten Aufgaben. Die Einstellung der Partei gegen die SA zeigt sich vor allem auch im Jahre 1939. Bormann war es, wie der Zeuge Jüttner klar ausgesagt hat, der die Verordnung vom 30. Januar 1939 sabotierte und die geplante vormilitärische Erziehungsaufgabe der SA nicht durchführen ließ. Der Zeuge Bock hat uns von den Vorbereitungen und dem Anlaufen des vormilitärischen und nachmilitärischen Erziehungsprogramms berichtet. Er hat aber auch ausgesagt, daß diese Aufgabe der SA eingestellt worden ist. Erst die Kriegsereignisse brachten dann die sogenannten Kriegs-SA-Wehrmannschaften.

So konnte die SA niemals, wie die Anklage sagt, fieberhaft an den Kriegsvorbereitungen teilnehmen: Es ist vollständig ausgeschlossen, daß, wie die Anklage angibt, 25000 Offiziere auf SA-Schulen ausgebildet worden sind. Einwandfrei wurde hier die Anklage durch die Aussage der Zeugen Jüttner und Bock widerlegt. Wie unzuverlässig die SA in den Augen Bormanns geworden war, zeigt sich, daß der Volkssturm nicht auf die SA aufgebaut worden ist. Aus einer vorgelegten eidesstattlichen Erklärung ersehen wir, daß der Grund hierfür die Unzuverlässigkeit der SA war. (Allgemeine SA-67.)

Die Ausschaltung der SA zeigt sich rein äußerlich, wenn wir daran denken, daß Röhm Stabschef, Reichsleiter und Reichsminister, Lutze Stabschef und Reichsleiter, Schepmann nur mehr Stabschef gewesen ist.

Viel diskutiert wurde in den Kommissionssitzungen über die wehrsportliche Aufgabe der SA. Nichts ist mehr verkannt worden als diese. Die SA wird von der Anklage geschildert als eine halbmilitärische Frei willigenorganisation, obwohl die Aufgaben der Wehrmacht und der SA voneinander eindeutig abgegrenzt sind. Mißverständnisse entwickelten sich vor allem deswegen, weil es für das Wort »Wehr« keine richtige englische Übersetzung gibt. Trotzdem dürfte dieser Begriff geklärt sein; denn die Anklage selbst legt das Dokument 2471-PS vor. In diesem Dokument heißt es:

»SA: Trägerin des Wehrwillens. –

Die SA nimmt für sich in Anspruch, Trägerin des Wehrwillens und der Wehrkraft des deutschen Volkes zu sein.

[160] Die Betonung dieser Eigenschaft mag im Auslande teils dadurch zu Mißverständnissen geführt haben, daß fremde Sprachen den Begriff ›Wehrwillen‹ oder ›Wehrkraft‹ nicht richtig auszudrücken vermögen, sondern ihn in Ermangelung eines anderen Ausdruckes mit ›Kriegswillen‹ oder ›Kriegskraft‹ übersetzen, während es richtig ›Verteidigungswillen‹ oder ›Verteidigungskraft‹ heißen müßte. Denn ›sich wehren‹ ist eine sprachliche Umwandlung von Abwehr.

Der sich Wehrende ist also in jedem Fall der Angegriffene! Und deshalb sind die Unterstellungen militärischer Angriffsabsichten geradezu unsinnig.«

Die Wehrmacht in ihrer letzten Auswirkung ist die zusammengeballte, ausgebildete und geführte Kraft aller wehrfähigen Männer. Die SA hatte zu keiner Zeit mit dieser in der Wehrmacht gegebenen technisch-militärischen Ausbildung zu tun. Das SA-Sportabzeichen ist deshalb falsch von der Staatsanwaltschaft beurteilt. Es wird zugegeben, daß das SA-Sportabzeichen die Erziehung zum wehrhaften Bürger zum Zwecke hatte. Es heißt ja auch in der ersten Urkunde vom 15. Februar 1935: »Der neue Staat verlangt ein widerstandsfähiges, hartes Geschlecht.«

In den Ausführungsbestimmungen zu der Urkunde vom 18. März 1937 wird ausgeführt:

»Die kämpferische Schulung, des Leibes ist nicht Selbstzweck, sondern das Mittel, die deutschen Männer geistig, körperlich zu festigen, ihre Leistungsfähigkeit zu steigern und sie bis ins hohe Lebensalter hinein einsatzfähig und einsatzbereit zur Erhaltung der Nation zu machen.«

Ebenfalls wird zugegeben, daß Parallelen zwischen der Arbeit der Wehrmacht und der SA bestehen. Es war gedacht:

Die SA erzieht den deutschen Mann zum nationalsozialistischen und politischen Kämpfer, die Wehrmacht gibt ihm die charakterliche und technische Ausbildung des Waffenträgers, sie erzieht ihn zum Landesverteidiger. Zu weit geht es aber, von der SA als einer militärischen Truppe zu sprechen. Ein militärischer Wert der SA war zu keinem Zeitpunkt gegeben. Ein Verein, der zwar in die Millionen ging, aber nur im gleichen Schritt marschierte, das war die SA. Dann und wann wurden Geländespiele durchgeführt, aber bei den Geländespielen war die Zugrundelegung von militärischen Lagen verboten. Die SA-Leute hörten sich einen Vortrag an, und wie es in einem Schützenverein der Fall ist, wurde alle 14 Tage einmal auch Kleinkalibergewehr geschossen. Die SA ist deshalb noch lange keine Truppe, selbst wenn maximal gesehen jeder Sturm über fünf Kleinkaliberbüchsen verfügt hätte, was jedoch allgemein noch nicht einmal zutraf. Niemals besaß die SA schwere Waffen, geschweige denn, daß an diesen geübt worden wäre. Das [161] Verhältnis der SA zur Wehrmacht war dementsprechend. Zu keinem Zeitpunkt wurde sie von der Wehrmacht anerkannt. Der Dienstgrad in der SA – mag er noch so hoch gewesen sein – hatte nicht den geringsten Einfluß auf den Dienstgrad der Wehrmacht. Im Gegenteil. Er wirkte sich oft beförderungshemmend aus. Spezialausbildungsscheine der SA, wie Reiterscheine, Sanitätsscheine, Funkscheine, fanden in der Wehrmacht keine Anerkennung. Es ist geradezu witzig, wenn wir in eidesstattlichen Erklärungen lesen, daß SA-Leute von Pioniereinheiten bei Nachrichtenregimentern verwendet worden sind, SA-Leute aus Nachrichtenabteilungen bei Pioniereinheiten des Heeres. Im einzelnen sei festgestellt:

Erstens: Die SA-Uniform war für militärische Zwecke die denkbar ungeeignetste Uniform. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Zeugen Bock.

Zweitens: Außer den bereits erwähnten Kleinkalibergewehren war lediglich Dolch und Pistole erlaubt. Dazu kommt, daß der Dolch erst nach dem Jahre 1933 eingeführt worden ist. Pistolen besaßen nur die Sturmführer und hier auch nur ein Teil der Sturmführer; nämlich nur diejenigen waren Pistolenträger, für die die in Deutschland üblichen Voraussetzungen des Waffenscheines zutrafen.

Drittens: In der SA gab es keine Transportmittel.

Viertens: In der SA war kein Park von schweren Waffen und kein Arsenal von Handfeuerwaffen vorhanden. Eine Ausbildung an ihnen konnte deshalb nicht geschehen.

Fünftens: Die SA-Einheiten entsprachen nicht den militärischen Verbänden.

Die Zusammensetzung und Aufstellung erfolgte nicht nach dem Gesichtspunkt etwaigen militärischen Einsatzes. In der SA gab es mit Ausnahme der Standarte »Feldherrnhalle« keine Kasernierung. Die wehrmäßige Zuständigkeit (Wehrmeldeamt und WBK) war mit der SA-Einteilung nicht übereinstimmend. Eine Standarte auf dem Lande zum Beispiel war territorial in viele kleine Stürme oder Trupps zersplittert, der Zahl nach nicht bestimmt und nicht mit einem militärischen Regiment vergleichbar.

Sechstens: Eine schnelle Befehlsleitung war nicht möglich.

Siebentens: Militärische Verbandsübungen fanden nicht statt.

Achtens: Die SA-Spezialverbände dienten keinen militärischen Aufgaben. Sie hatten keine Militärausrüstung, wie sie auch keinen Militärwert und keinen Militärauftrag hatten. Die Reiter-SA-Stürme dienten dem Reit- und Fahrsport, die Pionierstürme dem Katastrophenunfalldienst, die Nachrichtenstürme sahen ihre Aufgabe im Signallesen bei Veranstaltungen mit primitiven unmodernen [162] Mitteln ohne Funkdienst, der, wie aus einer eidesstattlichen Versicherung hervorgeht, verboten war. Die Sanitätsstürme der SA dienten bei Unfällen. Ihre Aufgaben lagen außerdem im Bereich des Gesundheitsdienstes. Ihre Ausbildung erfolgte im Rahmen der Genfer Konvention (Aussage Bock, Affidavit Allgemeine SA-90).

Neuntens: Die sogenannten Heeresverbände »Feldherrnhalle« unterstanden nicht der Obersten SA-Führung, wie aus der eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen Generalmajors Pape hervorgeht (Allgemeine SA-18).

Zehntens: Die SA-Führung wurde nicht nach militärischen Gesichtspunkten und Tätigkeiten ausgewählt. (Aussage Bock.)

Daß die SA unfähig war, eine militärische Ausbildung durchzuführen, ergab das Verhör des Angeklagten von Schirach. Während des Krieges wurde länger als ein Jahr der SA ein Abkommen im Entwurf vorgelegt, auf Grund dessen die SA der HJ Personen zur Ausbildung der Jugend in Wehrertüchtigungslagern, ähnlich wie die SS und die Polizei, zur Verfügung stellen sollte. Dokumentarisch in Exhibit US-867 ist festgehalten, daß die SA-Führerschaft diesem Wunsche nicht stattgegeben hat. Der Angeklagte von Schirach gibt als Grund an, daß die SA dazu nicht fähig war.

Verwechselt wurden von der Anklage die Begriffe Wehrmannschaften und SA-Wehrmannschaften. Im besetzten Gebiet stellten die Wehrmannschaften die Zusammenfassung örtlicher ziviler Dienststellen dar, die sich im allgemeinen nur mit Verwaltung befaßten, aber im Falle der Gefahr im rückwärtigen Gebiet zu ihrer Verteidigung zusammengefaßt wurden. Außerdem gab es im besetzten Gebiet unter dem Ausdruck »Wehrmannschaften« Ortsansässige, zum Beispiel Litauer, Letten, Esten oder Weißruthenen, die ebenfalls sich gegen Banden wehren wollten.

Dagegen versteht man unter »SA-Wehrmannschaften« Formationen aus dem Reichsgebiet, die vor allem die nach ihrem Militärdienst aus der Wehrmacht entlassenen SA-Leute zusammenschließen sollte, um ihre Wehrtüchtigkeit zu erhalten. Sie sollten also einen gewissen Ersatz für die früheren Kriegervereine darstellen.

Die Englische Anklagebehörde legt in dankenswerter Weise unter ihren Anklagedokumenten Artikel aus dem »SA-Mann« vor, aus denen hervorgeht, was unter militärischer Ausbildung wirklich zu verstehen ist. Wahrscheinlich zum Vergleiche, ob die SA militärische Ausbildung betrieben hat, zitiert sie diese Artikel, die die Ausbildung der englischen, französischen, russischen und italienischen Jugend, aber auch die der englischen Dominien-Jugend und die der französischen Jugend in Betracht ziehen. Aus ihnen geht klar hervor, daß die Oberste SA-Führung keine derartige Ausbildung betrieben hat.

[163] Das Verbindungsstück sollte zwischen der militärischen Ausbildung der SA und dem Angriffskrieg eine Artikelreihe über den sogenannten Lebensraum darstellen, die die Englische Anklagebehörde inzwischen allerdings zurückgezogen hat, da aus dieser Artikelreihe nicht das hervorgeht, was sie behaupten wollte. Die von der Englischen Anklagebehörde zitierten Artikel über das Kolonialproblem beinhaltet nur eine friedliche Rückgewinnung der Kolonien. Von irgendeinem kriegstreiberischen Sinne in diesen Artikeln war, wie die Kommissionsverhandlung gezeigt hat, nichts zu erblicken. Deshalb ist der Sprung, den die Anklagebehörde macht, um die Herbeiführung eines Angriffskrieges durch die SA zu beweisen, ein Sprung in das Leere. Im Gegenteil habe ich bewiesen, daß die Oberste SA-Führung alles getan hat, um zur Völkerverständigung beizutragen. Deutlich ging dies aus den Ausführungen des Zeugen Oberlindober hervor. Ich habe ebenfalls bewiesen, daß auf den Führerschulen der SA nur einzelne weltanschauliche politische Ausbildung betrieben worden ist, aber keine militärische. Wir ersehen aus eidesstattlichen Erklärungen, daß Lieder, aus denen vielleicht eine aggressive Tendenz zu ersehen gewesen wäre, von der Obersten SA-Führung verboten worden sind. Ich habe gezeigt, daß einzelne SA-Leute, die versuchten einen Revanchekrieg zu predigen, aus der SA ausgestoßen wurden. Ich habe schließlich aufgezeigt, daß für den Reichsparteitag von 1939 seitens der SA-Führung Vorbereitungen getroffen wurden, die etwaigen Kriegsplänen entgegengesetzt waren. Wir haben dies auch durch die Aussage des Zeugen Dr. Geyer, durch die Affidavits von Koch und Zellenhöfer aufgeklärt. Schließlich trat uns in der Verhandlung vor der Kommission ein Abkommen zwischen SA und Wehrmacht vor Augen, das ein Gegengewicht gegen etwaige militärische aggressive Tendenzen von Hitler, Himmler und Goebbels darstellen sollte (Affidavit Allgemeine SA-1).

Vollständig abwegig ist ebenfalls die Auffassung der Anklage, daß die SA dazu gegründet worden ist, um mit Terror die politischen Gegner niederzuwerfen und dadurch die Bahn für einen Angriffskrieg freizumachen. Derjenige, der die politischen Verhältnisse in Deutschland kennt und ohne propagandistische Brille betrachtet, wundert sich, wie man zu einer solchen Auffassung gelangen kann. Die amtlich festgestellten Waffenlager der KPD und die eindeutige Haltung der KPD sprechen eine eindeutige Sprache. (Dokument SA-287.) Welchen Umfang daneben der politische Kampf der KPD und der sonstigen linksradikalen Elemente, der durch diese Organisationen auf die Straße getragen worden ist, angenommen hat, ersehen wir aus der Aussage des Zeugen Bock vor der Kommission der bewiesen hat, daß die Hilfskasse der NSDAP gegründet werden mußte, um für die Opfer der NSDAP, die sich aus dem linksradikalen Terror ergaben, zu sorgen. Es darf darauf hingewiesen [164] werden, daß die KPD es war, die den Bürgerkrieg, den Generalstreik, den politischen Massenstreik als notwendige politische Kampfmittel betrachtete, wie aus der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zum Schutz der deutschen Republik hervorging, die ich im Dokumentenbuch dem Hohen Gericht vorgelegt habe (Dokument SA-285). Daß dieser politische Terror im Rahmen der Weltrevolution geschah, ersehen wir ebenfalls aus einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs zum Schutze der deutschen Republik. Das hat uns auch der Zeuge Jüttner angedeutet, als er von der Idee des defensiven Westpaktes gegen die Weltrevolutionsbestrebungen sprach (Dokument SA-286), in dessen Rahmen nach eigenem Geständnis die kommunistische Internationale unter anderem die Revolution in Finnland, in Österreich, in Ungarn, in Bulgarien, in Syrien startete. Man kann ohne jede Übertreibung sagen, ohne die marxistische Klassenkampftheorie und die Ereignisse, die zu dieser führten, wären zweifellos die Grundlagen nicht entstanden, die den Schutz einer geistigen Bewegung durch die SA erforderten. Diesen Standpunkt nimmt auch der Zeuge Gisevius ein, wenn er aussagt:

»Die SA entsteht in jener Nachkriegszeit, wo es in Deutschland schon oder noch revolutionär zugeht. Wenn man so will, ist sie ein letzter Ausläufer der Spartakuswelle von 1918. Der rote Druck erzeugt braunen Gegendruck und dessen äußere Erscheinungsformel heißt fortan: SA.«

Die Anklage hat ihrerseits eindeutige Dokumente des »Der SA-Mann«, der zwar kein offizielles Organ der Obersten SA-Führung war, vorgelegt, die aber in diesem Falle eindeutige Beweise enthalten, auf wessen Seite der Terror war, und das war zweifellos auf Seite der KPD. Ich will im einzelnen diese Artikel nicht benennen, die dies beinhalten. Ich möchte nur auf das Anklagedokument 3050-PS verweisen, in dem Artikel des »Der SA-Mann«, im übrigen von der Anklage verzerrt und aus dem Zusammenhang gerissen, wiedergegeben worden sind. (Vergleiche Zeugenaussagen Klähn und Bock vor der Kommission.)

OBERST POKROWSKY: Herr Vorsitzender! Der Anwalt will der Anklagebehörde vorwerfen, sie hätte Beweismaterial vorgelegt, das von der Anklagebehörde niemals vorgelegt wurde; ich erhebe entschieden Einspruch gegen eine solche Methode von seiten Dr. Böhms, nachdem er dadurch offensichtlich versuchen will, nationalsozialistische Verleumdungen und faschistische verleumderische Mentalität einzuschmuggeln. Ich bitte den Gerichtshof, den folgenden Absatz nicht zuzulassen, in der russischen Übersetzung auf Seite 29 der erste Absatz. Euer Lordschaft! Ich möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß hier eine offensichtliche Entstellung der Tatsachen vorliegt. Es stimmt wohl, daß das [165] Dokument Nummer 3050-PS von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist, es ist jedoch ein Bündel Zeitungen, einige Jahrgänge der nichtamtlichen Zeitschrift »Der SA-Mann«. Der Anwalt hätte nach der genauen Verfügung und Bestimmung des Gerichtshofs, wenn er sich auf dieses Dokument oder einen Teil davon berufen will, dem Beispiel der anderen Anwälte folgen, und nur auf den besonderen Teil des Dokumentes 3050-PS hinweisen sollen, den er in seinem Plädoyer zu zitieren beabsichtigt. Das hat er nicht getan. Er schreibt auf diese Weise der Anklagebehörde die Vorlage von Beweismaterial zu, das die Anklagebehörde gar nicht vorzulegen beabsichtigte und das ist nicht richtig. Mir scheint, daß der Anwalt keinen Grund hat, sich darauf zu berufen, worauf er sich beruft – und zwar auf Absatz 1 Seite 29.

VORSITZENDER: Ich verstehe Ihren Einspruch nicht ganz, ich habe eine Übersetzung vor mir, die lautet: »Die Anklagebehörde hat auch Dokumente vorgelegt, die aus der ›Associated Press‹ stammen, wie in der Kommissionssitzung bewiesen wurde...« Soviel ich verstehe, wurde das von der Anklagebehörde vorgelegt, stimmt das?


OBERST POKROWSKY: Das Dokument 3050-PS, Euer Lordschaft, ist eine Sammlung der Zeitung »Der SA-Mann« von 1934 bis 1939. Einige Teile des Materials sind tatsächlich von der Anklagebehörde verlesen worden. Aber mir scheint, wenn der Verteidiger einen Teil dieses Materials verwenden wollte, der von der Anklagebehörde nicht verlesen wurde, jedoch in dem Dokument 3050-PS enthalten ist, so hätte er es bei der Vorlage seines Beweismaterials erwähnen müssen, oder er durfte aus diesem Beweismaterial überhaupt nicht zitieren: So haben wir diese Angelegenheit verstanden, Herr Vorsitzender. Es handelt sich um das Zitat aus dieser Zeitung »Der SA-Mann«.

VORSITZENDER: Hat der Gerichtshof nicht zu Beginn bestimmt, daß die Angeklagten sich auf jeden anderen Teil des Dokumentes beziehen können, von dem ein Teil von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist? Ist das nicht genau das, was er tut, daß er sich auf einige andere Seiten des Dokumentes beruft, das von der Anklagebehörde vorgelegt wurde? Zu Beginn des Verfahrens hat der Gerichtshof für diese Fälle eine Verfügung erlassen, gerade um diese Situation zu erfassen. Es ist doch genau dieselbe Sache.


OBERST POKROWSKY: Die Anklagebehörde kennt die Verfügung des Gerichtshofs, Euer Lordschaft, aber sie hat sie so verstanden, wie ich es dargelegt habe. Uns schien es so und unser Standpunkt ist durch das bisherige Verhalten der Verteidiger bekräftigt worden. Der Verteidiger wäre verpflichtet gewesen, den Teil des Dokumentes, der von der Anklagebehörde vorgelegt, jedoch nicht verlesen worden ist, als Beweismaterial selbst einzureichen, [166] wenn er ihn als Beweismaterial verwenden wollte. Dr. Böhm hat das nicht getan.


RA. BÖHM: Herr Präsident, darf ich mich dazu äußern?


VORSITZENDER: Nein.

Oberst Pokrowsky! Er sagt nicht ausdrücklich, daß es von der Anklage benutzt worden ist, sondern er er klärt ausdrücklich, worauf er sich beruft, und ich halte es wirklich nicht für unzulässig, sich auf einen anderen Teil des Dokumentes in dieser Weise zu berufen.


OBERST POKROWSKY: Mir scheint, Euer Lordschaft, daß diese Art der Benutzung von Dokumenten durch die Verteidigung unzulässig ist, und zwar aus dem Grund, den ich soeben dargelegt habe. Ich möchte noch einmal bemerken, daß er nach meiner Ansicht verpflichtet gewesen wäre, bei der Vorlage seines Beweismaterials diesen Teil des Dokumentes 3050-PS mit vorzulegen.


VORSITZENDER: Der Teil des Dokumentes, den er anführt, ist von der Anklagebehörde nicht verwendet worden. Was Sie also wünschen, ist geschehen.


OBERST POKROWSKY: Jawohl, das ist richtig. Sie haben vollkommen recht, Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Böhm.


RA. BÖHM: Ich habe mich bei meinen Ausführungen lediglich auf das Dokument... Herr Präsident, ich habe mich bei meinen Ausführungen lediglich auf das nicht von mir, sondern von der Anklagebehörde eingeführte Dokument 3050-PS gestützt. Die einzelnen Artikel hier herauszunehmen, würde gleichbedeutend sein mit einer Arbeit, wie es auch in der Kommissionssitzung war, von mindestens einem ganzen Tag. Richtig ist, daß in diesem Dokument 3050-PS viele Einzelartikel aufgeführt sind. Aber meinerseits sie zu numerieren bestand gar keine Veranlassung, weil ich sie nicht vorgelegt habe und ich glaube auch deshalb nicht, etwas begangen zu haben, wozu ich nicht verpflichtet gewesen wäre. »Die SA...«. Ich darf dann fortfahren:

Die Anklage hat auch Dokumente vorgelegt, die aus der »Associated Press« stammen, wie in der Kommissionssitzung bewiesen wurde, in denen der politische Kampf im Rahmen der revolutionären Tendenzen gesehen wird. Ich erinnere nur an den Artikel: »Die rote Gefahr im Osten« und an die Karikatur »Stalin will Weltrevolution, Budjenny hat den Braten schon gerochen« die gleichfalls die Anklage vorgelegt hat.

Schließlich möchte die Verteidigung auch auf die Straßenkampfvorschriften der KPD hinweisen.

Demgegenüber verweise ich auf den grundsätzlichen Befehl der Obersten SA-Führung, der besagt, daß Waffen jeglicher Art in der [167] SA verboten und daß Übertretungen dieser Vorschriften mit dem Ausschluß aus der SA bestraft worden sind. Ich darf ferner Bezug nehmen auf die Aussage des Zeugen Dr. Kurt Wolf, der darstellte, daß diese Vorschrift des Verbotes, Waffen zu tragen, eine unverhältnismäßig hohe Zahl von Opfern von SA-Leuten zur Folge hatte. Der Zeuge hat bestätigt, daß die Zahl der Toten auf seiten der NSDAP höher war als auf seiten der KPD. Er hat auch Aufklärung gegeben, daß die SA-Angehörigen im Gegensatz zu den linksradikalen Elementen immer seitens des verantwortlichen: Führers auf Waffen untersucht worden sind. Ich verweise außerdem auf die Affidavits von Freund, Zöberlein und Hahn. Sie stellen die politische Situation, wie sie wirklich war, eindeutig klar. Daß wir vor dem Jahre 1933 vor einem Bürgerkrieg standen, ging aus den Zeugenaussagen wiederholt hervor. Die Ausschreitungen, die tatsächlich im Jahre 1933 vorgekommen sind, erklären sich aus dieser Bürgerkriegspsychose. Das ergibt sich aus der Aussage des ehemaligen Staatssekretärs Grauert.

Herr Gisevius sagt von dieser Zeitepoche, wie ich in Dokument SA-301 ausgeführt habe:

»Rückblickend kann man unbedenklich sagen, daß diese erste Phase der Revolution verhältnismäßig wenig Opfer gekostet hat.«

Er gibt weiterhin zu, wenn wir das Dokument SA-302 betrachten:

»Im Grunde genommen ist es nur eine ganz kleine Clique, die sich Übergriffe schuldig gemacht hat.«

In seiner Zeugenaussage vor dem Court nimmt er ja auch wiederholt die große Masse der SA aus. Eindeutig ging auch aus den Zeugenaussagen hervor, daß die Oberste SA-Führung eingriff, wenn ihr Ausschreitungen bekanntgeworden sind. Daß dies der Fall war, zeigt die Sache Vogel, zeigt vor allem auch die Zeugenaussage des ehemaligen Polizeipräsidenten Habenicht für das Lager bei Wuppertal. In enger Zusammenarbeit zwischen Grauert und der Obersten SA-Führung wurden Elemente, die Ausschreitungen vollzogen, beseitigt. Herr Diels, der der Staatsanwaltschaft als Belastungszeuge dient, schränkt den Kreis in Berlin in seiner für die SA abgegebenen eidesstattlichen Erklärung auf die aus dem Gruppenstab von Ernst herausgewachsenen Nachrichtenabteilungen ein. Wir wissen andererseits aber auch aus der Zusammenstellung kollektiver eidesstattlicher Erklärungen, daß der berüchtigte SA-Führer mit dem Namen »Schweinebacke« wegen Erpressung, die er an einem Juden vorgenommen hat, aus der SA ausgestoßen und zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Die Zeugenaussagen Burgstaller, Jüttner, klären auf, daß die SA keine extreme Stellung in der Rassenfrage eingenommen hat, denn sonst wäre es ausgeschlossen, daß in Berlin getaufte Juden in die SA aufgenommen und [168] Judentaufen in Anwesenheit von uniformierten SA-Leuten vorgenommen worden wären. Die Zeugenaussage Diels' zeigt, daß die SA von Berlin nicht antisemitisch gesinnt war.

Ausdrücklich hebt er hervor, daß die antisemitische Propaganda Sache des Herrn Dr. Goebbels gewesen war. Wir haben auch die Aussage von Dr. Menge, der erklärt hat, daß in Hannover jüdische Geschäfte durch SA-Stürme geschützt worden sind, wofür die jüdischen Geschäftsinhaber den SA-Angehörigen Einkaufsbons zur Verfügung gestellt haben. (Affidavit Allgemeine SA-1.) Aus den kollektiven eidesstattlichen Erklärungen ersehen wir weiterhin, daß auch in anderen Städten Häuser und Geschäfte jüdischer Staatsbürger vor Plünderung durch SA-Angehörige geschützt wurden. Aus der Zeugenaussage des Zeugen Jüttner sehen wir, daß sich die Stellungnahme der Obersten SA-Führung mit der des berühmten jüdischen Professors Karo deckt, der gegen das Ostjudentum Stellung nimmt. Diese Erscheinungen gegen das Ostjudentum sind Folgeerscheinungen des ersten Weltkrieges, als unzählige Juden aus Galizien nach Deutschland kamen.

Die Vorfälle anläßlich des 9. November 1938 gehören zu den wesentlichsten Belastungspunkten der SA; eine große Rolle spielt hier die angebliche Meldung des Führers der Brigade Kurpfalz. Aus den ganzen Umständen um diese angebliche Vollzugsmeldung (Dokument 1721-PS) herum ergibt sich, daß es sich bei dieser um eine ungeschickte Fälschung handeln muß. Zum Nachweis dessen habe ich die Zeugen Lucke und Fust benannt, die trotz monatelanger Bemühungen des Generalsekretärs nicht nach Nürnberg geschafft werden konnten, obwohl die Verteidigung die Lager, in denen sie sich befinden, angegeben hat...

VORSITZENDER: Dr. Böhm, das ist eine ungebührliche Bemerkung oder Unterstellung Ihrerseits. Der Generalsekretär hat alles nur mögliche unternommen um zu erreichen, daß Zeugen, deren Namen angegeben wurden, hierher gebracht wurden. Es gibt keinen Beweis dafür, daß die Zeugen in den von Ihnen angegebenen Lagern waren, auf die Sie sich jetzt beziehen.

Sie können nun fortfahren.


RA. BÖHM: Im einzelnen ist zu sagen: – Ich nehme jetzt Stellung zu dem Dokument 1721-PS:

Erstens: Niemals ist im Schriftverkehr der SA es geschehen, daß bei einer Vollzugsmeldung der gegebene Befehl in seinem Inhalt wiederholt wurde.

Zweitens: Der Befehl des Führers der Gruppe Kurpfalz soll nach Angabe der Anklage beziehungsweise dieses Dokumentes lauten: »Auf Befehl des Gruppenführers«. Wenn ein Befehl gegeben worden ist, so hätte er gelautet: »Es wird befohlen« oder »Die Gruppe [169] ordnet an«. In keinem Falle aber heißt es: »Auf Befehl des Gruppenführers«.

Drittens: Den Sprachgebrauch »Jüdische Synagogen« gibt es im Deutschen nicht. Dieser Sprachgebrauch »Jüdische Synagogen« ist auch im parteiamtlichen Verkehr fremd. Mit dem Wort »Synagoge« verbindet sich schon der Begriff jüdisch. Ebenfalls ist der Begriff »Arier« im vorliegenden Zusammenhang falsch am Platz. Wäre der Befehl echt, so wäre in diesem an dieser Stelle im Gegensatz zu »Juden« von »deutschen Volksgenossen« die Rede gewesen.

Viertens: »Aufruhr und Plünderung ist zu vermeiden« heißt es weiter. Die Verhältnisse 1938 in Deutschland waren solche, daß niemand, ganz bestimmt aber kein Führer einer Gruppe oder einer Brigade, an einen solchen Aufruhr gedacht oder geschweige denn diese Worte in einem Befehl in einen solchen Zusammenhang gebracht hätte.

Fünftens: »Vollzugsmeldung bis 8.30 Uhr an Brigadeführer oder Dienststelle« heißt es in diesem angeblichen Befehl weiter. In keinem Falle befiehlt die Gruppe Vollzugsmeldungen an die Brigade, die Befehlsempfängerin ist, sondern nur an die Gruppe. Sinngemäß hätte es heißen müssen: »An Gruppenführer«.

Sechstens: Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß der Führer der Brigade nicht den Befehl weitergegeben beziehungsweise von sich aus Befehle an die Führer der Standarten gegeben hat, sondern nur: »Sofort die Standartenführer in Kenntnis setzte und ihnen genaueste Informationen gab«. Solche im Romanstil gehaltenen Vollzugsmeldungen hat es in der SA niemals gegeben.

Siebentens: In der Meldung heißt es »... und mit dem Vollzug sofort begonnen«. Auch diese Formulierung entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Der Führer der Brigade meldet im vorhergehenden Satz, daß er sofort seine Standartenführer in Kenntnis gesetzt hat. Es wäre dann eine Selbstverständlichkeit gewesen, die kein SA-Führer mehr in seiner Vollzugsmeldung erwähnt hätte, daß mit der Durchführung – nicht Ausführung – des Befehls sogleich begonnen worden wäre.

Bei der Einvernahme des Zeugen Jüttner wollte die Anklage das Dokument dadurch retten, daß es die Stempelzeichen bei dem Schreiben Jüttner (Dokument 1721-PS) und bei der Meldung an die Gruppe (Dokument 1721-PS) – es sind diese beiden Dokumente unter der gleichen PS-Nummer vorgelegt worden – als identisch bezeichnete. Es wurde jedoch festgestellt, daß die Schriftzeichen von verschiedenen Personen stammen.


VORSITZENDER: Wollen wir jetzt unterbrechen?


[Pause von 10 Minuten.]


[170] RA. BÖHM: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Ich habe soeben von den Punkten gesprochen, die vorgetragen wurden zur Widerlegung der Echtheit des Dokumentes 1721-PS.

Ich fahre fort:

Dies allein schon wäre nicht schlüssig, wenn ich nicht die eidesstattliche Erklärung des Gruppenführers der Gruppe Kurpfalz, Fust, und des seinerzeit anwesenden Mitgliedes des Gruppenstabes Zimmermann hätte, die besagen, daß ein solcher Befehl, wie ihn die Anklage behauptet, niemals gegeben worden ist; wenn ein solcher Befehl nicht gegeben worden ist, dann kann auch keine Vollzugsmeldung vorliegen. Es ist aber außerdem auf Grund von eidesstattlichen Erklärungen der kollektiven Zusammenstellung nachgewiesen, daß an die Standarten der Brigade 50 ein Befehl im Sinne der Anklage nicht erteilt worden ist. Dies ersehen wir aus den Standarten 115, 221, 126, 168, 145. Alle diese Standarten waren Teile der Brigade 50. Alle diese Standarten erhielten keinen derartigen ominösen Befehl, wie ihn die Anklage behauptet. Es wurde fernerhin nachgewiesen durch die Aussage des ehemaligen Obergruppenführers Mappes, daß Lutze Gegenbefehl gegen den Befehl vom 9. November 1938 von Dr. Goebbels gegeben hat. Es wurde also bewiesen, daß die Oberste SA-Führung die Teilnahme an der Goebbelsschen Aktion untersagt hat. Es wurde festgestellt, daß dieser Gegenbefehl folgende Gruppen eindeutig erreicht hat: Ostpreußen, Mitte, Hochland, Hessen, Niedersachsen. (Affidavit Allgemeine SA Nummer 90.) Wie sich Lutze benahm, als er von den Ereignissen vom 9. November 1938 erfuhr, ist ebenfalls in einer eidesstattlichen Erklärung festgehalten. (Affidavit Allgemeine SA Nummer 71.) Lutze verbot, wie durch die Aussage Siebel bewiesen ist, daß in Reaktion auf die Ereignisse vom 9. November 1938 in Zukunft Befehle der Politischen Leitung auszuführen wären. Lutze gab diesen Befehl, da er sah, daß einzelne SA-Stürme beziehungsweise SA-Angehörige anläßlich des 9. November 1938 mißbraucht worden sind. (Affidavit SA Nummer 80.) Wenn Übergriffe vorgekommen sind, an denen auch SA-Angehörige beteiligt waren, dann bilden diese jedoch keine Handhabe für die Anklage, eine Verurteilung der SA als verbrecherisch zu beantragen. Da der Gegenbefehl Lutzes bewiesen ist, liegen diese Ereignisse außerhalb des organischen Körpers der SA.

Aus der eidesstattlichen Erklärung von Edgar Stelzner (Affidavit Allgemeine SA Nummer 89) ersehen wir, wie einzelne SA-Führer die Aktion ablehnten. So wurden viele Einheiten der SA sauber gehalten. Wir haben ganze Bezirke, in denen sich nichts ereignete. In der statistischen kollektiven Zusammenfassung der eidesstattlichen [171] Erklärungen habe ich aufgezeigt, daß folgende Synagogen durch SA-Angehörige vor der Zerstörung bewahrt worden sind:

Bebra, Höchstedt, Waldburg, Saubern, Großum stadt, Bückeburg; fernerhin wurden Rettungsversuche gemacht an den Synagogen in Marburg und Gießen von SA-Angehörigen. Im übrigen hatte der größte Teil der ländlichen Bezirke keine Synagogen und keinerlei Juden. In diesen Bezirken haben überhaupt keine Judenverfolgungen stattgefunden. Damit scheidet die ländliche SA für den hier behandelten Anklagepunkt ohne weiteres aus. Es erscheint mir überflüssig, darauf hinzuweisen, daß diese Exzesse von der überwiegenden Mehrheit der SA-Angehörigen abgelehnt worden sind. Wie die SA-Führung die Judenfrage betrachtete, mag aus den behandelten Differenzen hervorgehen, die die SA-Führung wegen dieser Artikel im »SA-Mann« mit der Schriftleitung und dem Eherverlag hatte, wo sie diese Artikel ablehnte, aber nicht die Macht hatte, sich durchzusetzen. Vollständig klargestellt wird die Stellungnahme in der Judenfrage dadurch, daß in verschiedenen Gruppen der »Stürmer« seitens der SA-Führung ausdrücklich verboten worden ist.

Dies war zum Beispiel der Fall in der Gruppe Nordmark (Aussage Klähn, Aussage Jüttner).

Ganz eindeutig ist die Stellungnahme der Obersten SA-Führung in der Kirchenfrage. Daß der Vorwurf religiöser Unduldsamkeit von der Anklagevertretung zu Unrecht der SA gemacht wird, geht aus den Aussagen des Generalvikars Dr. David, des Pfarrers Burgstaller und des Konsistorialrates Dr. Rathke hervor. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl aller SA-Angehörigen gehört noch heute einer der christlichen Kirchen an.

Protestantische Geistliche taten in den Reihen der SA Dienst, zum Beispiel der Landesbischof Sasse aus Thüringen; daraus ergibt sich, daß von der SA-Führung kein Druck ausgeübt wurde, aus der Kirche auszutreten. In vielen eidesstattlichen Erklärungen ist dieser Tatbestand eindeutig festgestellt. Ich darf erinnern, daß der Kardinal Graf Galen bei seinen Reisen durch die Diözese durch SA-Angehörige begleitet wurde, daß ein allgemeines Verbot in weiten Bezirken erging, zur Kirchenzeit und in der Nähe der Kirchen Dienst abzuhalten; es ist auch bekannt, daß in der SA Feldgottesdienste stattfanden. Im Jahre 1933 stellte die SA die Bewachung anläßlich der Ausstellung des Heiligen Rockes in Trier. (Aussage Dr. David.) Im Kreuzverhör des Zeugen Dr. David wurde von der Verteidigung nachgewiesen, daß in jenem berühmten Falle in Freising, in dem der Kardinal Faulhaber bei seiner Predigt abgehört werden sollte, seitens der SA-Führung eine Verhandlung zur Bestrafung der Täter, die sich dieser Übergriffe schuldig machten, angesetzt wurde.

Hinsichtlich der Betätigung der SA im Rahmen der KZ-Bewachung, und bei der Polizei- und Hilfspoli zeiverwendung, nennt die Anklage [172] nur einzelne Fälle. Damit ist schon der Anklage nach die SA an den Vorwürfen, die die großen Konzentrationslager, wie Auschwitz, Maidanek, Belsen, Dachau, Buchenwald betreffen, nicht beteiligt. Im Falle Vogel wurden die Betreffenden bestraft. Das Mißverständnis, das durch das Affidavit Schellenberg auftrat, wurde durch die eidesstattliche Erklärung Gontermann (Affidavit Allgemeine SA-16) aufgeklärt. Schellenberg hat in London den KZ- und Polizeieinsatz mit dem Einsatz in Stadt- und Landwacht verwechselt.

Es ist richtig, daß nach dem 30. Januar 1933 in einzelnen Ländern eine Anzahl von Polizisten und Hilfspolizisten zu verschiedenen Zwecken eingestellt wurden. Sie wurden zum Teil aus der SA entnommen:

a) weil ein gewisser politischer Zuverlässigkeitsnachweis erwünscht war; b) weil unter den vielen Arbeitslosen in der SA sich Bewerber für den polizeilichen Beruf oder hilfspolizeiliche Tätigkeit befanden.

Soweit die betreffenden SA-Angehörigen einen neuen Beruf, zum Beispiel den des Polizisten ergriffen, handelte es sich ausschließlich um Leute, die diesen Beruf ausübten. Soweit sie vorübergehend als Hilfspolizisten eingesetzt wurden, was öfters zugleich als Probezeit für die endgültige Einstellung als Polizist vorkam, standen sie nicht mehr unter der Befehlsleitung der SA, sondern unter der der zuständigen Polizeibehörde. Sie trugen dann bisweilen noch eine Zeitlang die SA-Uniform, aber nur aus Uniformmangel und mit einer Armbinde »Hilfspolizei«. Sie erhielten einen entsprechenden von der Polizei, vom Landrat oder sonstigen Behörden ausgestellten Ausweis. Sie wurden für die Dauer eines derartigen Einsatzes von der SA beurlaubt, so daß diese sich auch äußerlich von ihnen absetzte und der SA dadurch jede Möglichkeit einer Einflußnahme genommen war. Der Betreffende handelte also in einem solchen Falle nie als SA-Mann. Die manchmal noch eine Zeitlang beibehaltene Uniform mit der Armbinde war die einzige rein äußerliche Verbindung zur SA, die nicht den Ausschlag geben kann. Diese Verbindung der Uniform einer Organisation mit einem organisationsfremden Zweck und Einsatz kam bei der SA und anderen Organisationen öfters vor, so zum Beispiel als Wehrmachtsgefolge oder als Volkssturm. Durch die Armbinde wurde der Uniform, ja sogar dem Zivilanzug nach anerkanntem internationalem Recht der alleinige Stempel des neuen, von der ursprünglichen Bedeutung der SA abweichenden Einsatz gegeben.

Bei den gegen die SA erhobenen einzelnen Vorwürfen im Zusammenhang mit KZ-, Polizei- und Hilfspolizeidienst kann es sich nur um derartige rein äußerliche Zusammenhänge handeln, die nur auf Grund der Uniform zu Unrecht der SA zur Last gelegt [173] werden. Denn Befehlsstelle war nicht die SA-Führung, sondern der Staat.

Die Anklage wollte diese Argumentation im Kreuzverhör Jüttner widerlegen, indem sie Dokumente einführte, die beweisen sollten, daß die SA an den Greueln in den besetzten Gebieten und in KZ- und Zwangsarbeiterlagern beteiligt wäre.

Dies ist ihr nicht gelungen.

Eindeutig wurde festgestellt, daß der Obersten SA-Führung verboten war, im sogenannten Reichskommissariat Ostland, das ist Litauen, Lettland und Estland, SA-Einheiten aufzustellen. Die Anklage verwechselt hier die in Ostpreußen aufgestellte SA-Gruppe Ostland mit dem späteren Reichskommissariat Ostland. Die Fälle Schaulen, Kowno, Wilna hat im übrigen die Anklage bereits einer anderen Organisation zur Last gelegt. Gebietskommissare, Landkommissare und Beamte des Reichskommissariats Ostland unterstanden der Obersten SA-Führung ebensowenig wie die als Gesandte tätigen SA-Obergruppenführer Killinger und Kasche. Der Angeklagte Ribbentrop hat dies eindeutig geklärt. Den Fall Ilkenau hat zugunsten der SA die eidesstattliche Erklärung des Angeklagten Frank gelöst.

Eine besondere Rolle spielte im Kreuzverhör Jüttner die sogenannte Vergewaltigung der Justiz, die Sir David hervorhob. Sie ist nicht Sache der SA, sondern des zuständigen Ministers.

Außerdem trat in den Vordergrund der Fall KZ Hohnstein. Im Rückverhör konnte nachgewiesen werden, daß es sich bei diesem KZ um kein KZ allein für politische Gegner handelte. In ihm saßen alte politische Kämpfer. Im übrigen kam die Sache KZ Hohnstein zur Verfolgung durch die Justizbehörden durch Anzeigen des SA-Obergruppenführers Killinger, als er noch die SA-Gruppe Sachsen führte; es ist doch ein neuartiges Faktum, Fälle der SA vorzuwerfen, die sie selbst zur Bestrafung meldete. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß die Anklage ein unvollständiges Dokument vorlegte, in dem die Briefe Lutzes und Heß' fehlen, aus denen die SA-Verteidigung nach den ihr zugegangenen Informationen nur Günstiges hätte entnehmen können.

Um den verbrecherischen Charakter der SA nachweisen zu können, hat die Staatsanwaltschaft eidesstattliche Erklärungen von ehemaligen politischen Gegnern der NSDAP eingeholt; unter ihnen befinden sich die Affidavits des Ministerpräsidenten Dr. Wilhelm Högner und Generalstaatsanwalts Dr. Staff von Braunschweig. Sie wurden auf Befehl der Militärregierung abgegeben, wie aus der eidesstattlichen Erklärung des Dr. Staff hervorgeht. Die beiden letzteren wurden von der Verteidigung vorgelegt. Bereits vor dem Court wurde festgestellt, daß Dr. Högner sich mehrfach geirrt hat. Seine Schilderung des Marsches auf Coburg ist vollkommen falsch. [174] In Wirklichkeit spielten sich die Dinge, wie der Zeuge Jüttner und die eidesstattliche Erklärung Zöberlein (Affidavit Allgemeine SA Nummer 21) festgehalten hat, folgendermaßen ab:

Ein deutscher Verein – Schutz- und Trutzbund – wurde von der damaligen Stadtverwaltung gezwungen, eine Tagung hinter verschlossenen Türen abzuhalten. Die NSDAP betonte das Recht auf Versammlungsfreiheit, die allen von der Verfassung zugesichert war. Deshalb fuhr eine Sicherung nach Coburg. Beim Verlassen des Bahnhofes wurde sie auf der Straße von Leuten der Linksorganisation mit Bleirohren, mit nägelbeschlagenen Holzlatten und so weiter überfallen. Vor allem wurde auch nachgewiesen, daß die Wahrnehmungen Dr. Högners, daß in Bayern die SA durch die Reichswehr ausgebildet wurde, nicht zutreffend sein können. Der Münchener Reichswehrgeneral von Lossow war es, der den Hitler-Putsch zum Scheitern brachte. Wie der Zeuge Jüttner aussagte, standen die Waffenlager, die mit Genehmigung der interalliierten Kommission geöffnet waren, allen anderen Organisationen offen, nur nicht der SA. Ebenfalls falsch gesehen ist es, wenn behauptet wird, daß Ludendorff ausersehen war, den Nationalkrieg gegen Frankreich zu entfesseln, zu einer Zeit, wo in Sachsen kommunistische Aufstände tobten und Ludendorff bereits 1921 eine Verständigung mit Frankreich angestrebt hatte, die Ende 1923 zu einem Projekt führte, nämlich dem Fochplan. Wenn wir bedenken, daß im Münchener Gewerkschaftshaus Waffenlager von Linksorganisationen waren, dann sieht die Besetzung des Gewerkschaftshauses auch anders aus. Dr. Högner behauptet, daß die SA einen Anteil an den Judenverfolgungen hatte, während der Belastungszeuge der Staatsanwaltschaft Diels darauf hinweist, daß die SA nicht antisemitisch war. In Widerspruch setzt sich Dr. Högner auch mit dem Pfarrer Burgstaller, der ganz besonders auf den gleichgültigen Charakter der SA in rassischer Hinsicht hinwies. Zugegeben kann ohne weiteres werden, daß bei der Besetzung der Münchener Post es zu Übergriffen gekommen ist. Aber solche Dinge ereignen sich bei jeder Revolution, es sei nur an einige Ereignisse von 1918 auf 1920 erinnert.

Wie, objektiv gesehen, die Lage tatsächlich gewesen ist, zeigt die eidesstattliche Erklärung von Dr. Staff, Braunschweig. In ihr heißt es:

»Die Handhabung durch die SA vollzog sich in Formen, die vom Standpunkt des Juristen eines Kulturvolkes aus gesehen, als rechtswidrig zu bezeichnen sind, aber immerhin keine Exzesse im Gefolge hatten, die außerhalb der an sich rechtswidrigen Maßnahmen lagen.«

Unter Allgemeine SA Nummer 82 habe ich außer dem eine eidesstattliche Erklärung des Dr. Dr. Priese vorgelegt. Wie aus ihr [175] hervorgeht, ist Dr. Priese als Mitglied der KPD als Sachverständiger aller Spruchkammern tätig und hat im Einverständnis des Ministers für politische Befreiung diese eidesstattliche Erklärung erstellt. Sein Urteil geht dahin, daß die SA nicht als eine verbrecherische Organisation im Sinne des Artikels 6 der Charter angesehen werden kann.

Durch die massenhaft erfolgte Einreihung in die SA nach dem 30. Januar 1933 brach das sogenannte einheitliche Ganze der NSDAP noch mehr als es vor dem genannten Zeitpunkt der Fall war, auseinander. Deutsche Bevölkerungskreise gelangten in die SA, die mit ihren Bestrebungen und Zielsetzungen mit den Zielen der SA nichts zu tun hatten.

Aus der eidesstattlichen Erklärung von Diels ist zu entnehmen, daß in der Berliner SA Massenaufnahmen von Kommunisten stattfanden.

Aus der kollektiven Zusammenstellung ist ersichtlich, daß dies auch in anderen Städten der Fall war.

In diesem Zusammenhang muß ebenfalls auf die Eingliederung der sämtlichen evangelischen Jugendverbände in die HJ im Jahre 1933 verwiesen werden, die dann in die SA überwiesen wurden.

Generalvikar Dr. David sagte aus, daß dies auch bei weiten Kreisen der katholischen Jugend der Fall war. Die Ziele, die den führenden Persönlichkeiten bei der Überführung vorschwebten, werden aus dem Zitat aus den Akademischen Monatsblättern des Juni 1933 (Dokument SA-317) klar, wenn es dort heißt:

»Aus dieser Erkenntnis heraus gilt es für uns mit Hand anzulegen, um in gemeinsamer ehrlicher Arbeit mit allen positiven Kräften unseres Volkes aus aufrichtiger Überzeugung Neues, noch Besseres zu schaffen, und Schlimmstes zu verhüten; darum wollen wir unser ganzes katholisches Gut, christlich konservative Ideen wie christliche evolutionäre Kräfte in das neue Deutschland hineinstellen, seinen Geist aus unserem Geiste mitgestalten und vertiefen.«

Mit einer Verurteilung der SA würde sich die Verbrecherischkeiterklärung auch auf diese Menschen auswirken, die mit dem Geist der NSDAP nichts zu tun hatten und zum Teil als Bremsen gegen den Radikalismus der Bewegung wirken sollten.

Die größte Masse von Menschen kam durch die befehlsgemäße Überführung des Stahlhelms in die SA in den Jahren 1933 auf 1934. Die Traditions-SA hatte, wie schon einmal festgestellt, nur 300000 Mitglieder. Der Stahlhelm verfügte dagegen über eine Million Mitglieder, die sich in ihrer Haltung und in ihrer Lebensauffassung zum großen Teil von den SA-Leuten der Kampfzeit unterschieden.

[176] In den Gerichtsverhandlungen vom 28. Februar bis 2. März 1946 hat die Anklage bereits beantragt, von der Verbrecherischkeiterklärung auszunehmen unter anderem die SA-Reserve.

Durch Befehl der Obersten SA-Führung (Hitler) vom 6. November 1933 wurde aus den Stahlhelmern im Alter von 36 bis 45 Jahren die SA-Reserve I gebildet, die dann durch Anordnung derselben Stelle vom 25. Januar 1934 unter den Befehl der SA-Gruppenführer gestellt und damit in die SA unter der Bezeichnung SA-Reserve I überführt wurde (Exhibit Nummer 13 und 17 des Dokumentenbuches der Stahlhelm-SA). Ein Teil dieser SA-Reserve I blieb bis zum Ende des Krieges bestehen und ist somit aus der Verbrecherischkeiterklärung ausgeschieden. Ein weiterer Teil dieser SA-Reserve I ist im Laufe der Jahre als kleine Reservegruppe an aktive SA-Stürme angehängt worden. Der Rest wurde in den Jahren nach 1934 nach und nach in die aktive SA eingereiht. Solche Umgliederungen wurden listenmäßig oder auf Grund zugestellter Befehle durchgeführt. Der Grund dieser Überführungen waren teilweise technische Erwägungen, wie örtliche Zusammenfassungen, vor allen Dingen während des Krieges, als die SA-Stürme durch Einberufungen zusammengeschrumpft waren. Vielfach sind diese Umgliederungen auch erfolgt, um eine bessere Kontrolle innerhalb der SA zu ermöglichen. Es wäre sonach unbillig und nicht zu verstehen, diese letztere Gruppe anders zu behandeln als die ersteren und den Zufall zum Richter über das Schicksal der Stahlhelmer zu machen, die bis zum Kriegsende in der SA verblieben.

Die 1933/1934 in die SA überführten Stahlhelmer sind durch Anordnung Hitlers kumulativ in die SA eingegliedert worden. Allein aus diesem Grunde schon können sie gemäß dem Gerichtsbeschluß vom 13. März 1946 unter 6 a 2 und 6 b nicht für verbrecherisch erklärt werden. Dieserhalb wird Bezug genommen auf die Rechtsausführungen meines sehr verehrten Herrn Kollegen, Rechtsanwalt Klefisch, vom 15. August 1946.

Hier ist ausgeführt, daß die unfreiwillig in eine Organisation gelangten Personen zum Kreis der schuldlosen Mitläufer gehören, von denen anzunehmen ist, daß sie die Ziele und Tätigkeiten der Organisation nicht unterstützen wollten. Ein Schuldvorwurf kann sie deshalb selbst dann nicht treffen, wenn ihnen der demnächstige Austritt offengestanden hätte.

Die Überführung geschah wie folgt:

Am 27. April 1933 wurde der gesamte Stahlhelm durch den Bundesführer Seldte unter den Befehl Hitlers gestellt. Am 21. Juni 1933 wurde der Jungstahlhelm und am 4. Juli 1933 der gesamte Stahlhelm der Obersten SA-Führung unterstellt, und zwar durch Anordnung Hitlers. Nach der Anordnung vom 4. Juli 1933 wurden der Jungstahlhelm und die Sporteinhei ten – später Wehrstahlhelm [177] genannt, das heißt die Stahlhelmer bis zum 35. Lebensjahr – in die aktive SA eingegliedert (Exhibits 1, 6, 7); die Eingliederung des Kernstahlhelms, das heißt der Mitglieder vom 36. bis 45. Lebensjahr, erfolgte, wie bereits erwähnt, am 25. Januar 1934. Die Überführung und Eingliederung erfolgte sowohl beim Wehrstahlhelm wie beim Kernstahlhelm ohne Befragen der Mitglieder, teils durch Bekanntgabe der Befehle bei Appellen, teils durch Listenübergabe. Bewiesen wird dies durch die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen und das Zeugnis von Waldenfels, Hauffe und Gruß.

Die nach dem 1. Dezember 1933 – Gesetz über die Einheit von Staat und Partei – erlassenen Anordnungen Hitlers sind zweifellos als gesetzliche Anordnungen anzusehen; die vorausgegangenen Befehle und Anordnungen tragen praktisch denselben, Charakter und sind durch das Gesetz vom 1. Dezember 1933 sowie die späteren Anordnungen und Ausführungsbestimmungen sanktioniert worden.

Die Überführung des Stahlhelms ging nicht reibungslos vor sich. Bei vielen Stahlhelmern ergab sich ein Bild des Zwanges. Mit der Unterstellung des Stahlhelms beziehungsweise mit der Mitarbeit des Stahlhelms bei der Machtübernahme waren weite Kreise der Organisation nicht einverstanden. Vor allem widersetzte sich Düsterberg, der als das Haupt der Opposition gegen die Politik Seldtes zu bezeichnen ist. Die Folge dieser Haltung war seine Verhaftung, ferner die zahlreichen staatspolizeilichen Verhaftungen von Stahlhelm-Angehörigen im Frühjahr 1933, besonders in Braunschweig.

Stahlhelmer, die der Überführung nicht Folge leisteten, wurden durch staatliche Organe zum Dienst gezwungen, und da und dort bestraft. (Affidavit 1, Ziffer 3, 2 sowie das Zeugnis Hauffe, und von Waldenfels.)

Wie die SA durch Ereignisse vor und nach 1933 durch Einströmen von Menschen verschiedenster Zielsetzung auseinanderfiel, so ist dies auch bei dem Stahlhelm durch die Ereignisse des Jahres 1933 der Fall, die für das deutsche Volk sich so folgenschwer und furchtbar auswirkten. Der Stahlhelm zerfiel.

Für einen Teil seiner Mitglieder war es von Wichtigkeit gewesen, daß ihnen bei der Überführung eine gewisse Selbständigkeit unter eigenen Führern und mit der bisherigen Uniform, sowie die weitere Verbindung mit dem Stahlhelmbund ausdrücklich zugesichert worden war. Dies ergibt sich aus fast sämtlichen Dokumenten, Affidavits und Zeugenaussagen. Als diese Zusicherungen nicht in die Praxis überführt wurden, versteifte sich der Widerstand der Oppositionsgruppe gegen Seldte.

Von seiten der nationalsozialistischen Staatsführung wurde diese Gruppe als politisch unzuverlässig und reaktionär bezeichnet.

Auch das ist in den Affidavits und Zeugenaussagen bestätigt, und besonders in den überreichten Zeitungsberichten, die nur einen [178] kleinen Teil der gleichlautenden Berichte darstellen, nachdrücklich hervorgehoben. Beweis: Exhibits Nummer 32, 33, 35, 36, 37, 39, 40, 48, 51, 53, 54, 55. In der NSZ-Rheinfront vom 22. Juli 1933 heißt es:

»Der Stahlhelm war in seinem inneren Wesen niemals nationalsozialistisch.«

In einer anderen Zeitung vom 30. Juli 1935 ist gesagt:

»Der Stahlhelm war sicher immer dort zu finden, wo die Gegner der Bewegung standen.«

Eine andere Zeitung vom 8. August 1935 bezeichnet den Stahlhelm als »Sammelbecken oppositioneller und reaktionärer Kräfte«.

Bemerkt wird, daß die größere Anzahl der in die SA überführten Stahlhelmer Mitglieder des Stahlhelmbundes beziehungsweise des späteren sogenannten NSD-Frontkämpferbundes Stahlhelm blieben. Nach der Verordnung vom 14. Juli 1933 und 27. Januar 1934 (Exhibits Nummer 8 und 18) war den in die SA überführten Stahlhelmern die Doppelmitgliedschaft ausdrücklich gestattet worden. Schließlich wird auf Exhibit Nummer 21 verwiesen. Hiernach gibt das Presseamt der Obersten SA-Führung unter dem 25. April 1934 bekannt:

»Daß Mitglieder des ehemaligen Stahlhelmbundes, die bereits in die SA-Reserve I übernommen worden sind, gegenwärtig aus der SA-Reserve I nicht ausscheiden dürfen.«

Ein Großteil der Stahlhelmer stellte eine ideell geschlossene Körperschaft innerhalb der SA dar, die die Ereignisse der Zeit mit starkem Mißtrauen betrachtete. Ihr gegenüber steht eine Gruppe von Stahlhelmern und früheren Stahlhelmführern, die vom Arbeitsminister Seldte geführt wird, die die nationale Revolution bejaht hat und der SA über sechzig hohe und höhere SA-Führer zur Verfügung stellte, aber selbstverständlich Übergriffe und Exzesse schärfstens verurteilte. Zwei Wortführer der beiden Stahlhelmgruppen haben wir vor Gericht gehabt, in dem Zeugen Gruß und dem Zeugen Jüttner. Der eine Zeuge stand mitten in der SA, der andere war nicht Mitglied der SA. Der eine bekennt sich als Stahlhelmführer zur SA, die er genau kennt, der andere steht außerhalb der SA und ihr ablehnend gegenüber. Der letztere ist ein Exponent des Flügels des Stahlhelms, der bis zum Ende des Dritten Reiches mit oppositionellen Gedankengängen gespielt hat.

Ohne Zweifel kann so gesagt werden, daß der Stahlhelm gegenüber den sogenannten »Alten Kämpfern« der SA ein gegensätzliches Element darstellt. Die vorhin angeführten Exhibits, Affidavits und Zeugenaussagen sind ein unwiderlegbarer Beweis dafür.

Die Stahlhelmer brachten in die SA ihre Stahlhelm-Ideologie mit, die sich in wesentlichen Punkten vom Nationalsozialismus [179] unterscheidet. Politisch lehnten sie zum großen Teil den Totalitätsanspruch jeder politischen Partei und das Führerprinzip ab. Sie blieben nach wie vor in ständiger Verbindung mit ihrem alten Bund, der in dem NSD-Frontkämpferbund Stahlhelm bis zu seiner Auflösung Ende 1935 fortbestand. Auch nach dessen Auflösung bildeten sie unter sich fest zusammenhaltende Gruppen und hatten fast überall in Deutschland kameradschaftliche Zusammenkünfte. Bei so mancher dieser Gruppen lebte noch lange die Hoffnung auf einen politischen Umschwung.

Wie in anderen Teilen der SA fanden frühere Gegner des Nationalsozialismus, vor allen Dingen auch Marxisten, Aufnahme in den Reihen des Stahlhelms. So ist zum Beispiel in den Stahlhelm in Braunschweig das Reichsbanner eingetreten (Dokument D-947). Die unzureichende Tarnung der Arbeit der Reichsbannerleute hatte die Auflösung zur Folge.

Die aus dem Stahlhelm in die SA überführten Mitglieder lehnten, gleich den SA-Mitgliedern, Verbrechen im Sinne des Artikels 6 ab. Als Frontkämpfer lehnten sie den Krieg, um so mehr den Angriffskrieg ab.

Die Ablehnung der Rassenpolitik eines Himmler findet den deutlichsten Ausdruck in der Aufstellung des 2. Bundesführers Düsterberg als Kandidat für die Reichspräsidentenwahl 1932 und dessen außerordentliche Beliebtheit bei allen Stahlhelmern. Fast alle Affidavits und Zeugenaussagen geben Zeugnis davon, wie weit der Stahlhelm von Verbrechen gegen die Menschlichkeit entfernt war.

Bei der Eingliederung des Stahlhelms ist zu berücksichtigen, daß sie in den Zeiten der Auseinandersetzung und der Schwächung der SA stattfand, als die Aufgabe der SA durch die Machtübernahme bereits abgeschlossen war und nicht zu den Zeiten, als Hugenberg, Schacht und Hitler die sogenannte Harzburger Front bildeten. Der Abschluß der Einreihung in die SA fällt in die Zeit der vollständigen Bedeutungslosigkeit der SA.

Abschließend zum Fragenkomplex des Stahlhelms darf ich bemerken, daß auf Grund des Zwanges, das heißt auf Grund eines Befehls, etwa eine halbe Million Wehrstahlhelmer und etwa eine halbe Million Kernstahlhelmer überführt wurden. Es verblieb eine weitere halbe Million Stahlhelmer über 45 Jahre alt, die durchwegs mangels eines Überführungsbefehls nicht in die SA gelangten. Nur in ganz wenig Bezirken wurden allerdings auch diese älteren Klassen durch Befehlsüberschreitungen untergeordneter SA-Stellen zwangsweise in die SA überführt.

Eine andere Gruppe, die in der SA eine gewisse Sonderstellung einnimmt, ist die Reiter-SA.

Nach dem eindeutigen Ergebnis der Beweisaufnahme besaß die Reiter-SA während der ganzen Zeit ihres Bestehens eine weitgehende organisatorische Selbständigkeit. Die Ziele, Aufgaben und [180] Tätigkeiten der Reiter-SA waren nicht politisch, sondern beschränkten sich auf Pferdesport, Pferdezucht und Pferdepflege.

In der eingehenden Beweisaufnahme vor der Gerichtskommission ist es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, der Reiter-SA irgendeine Beteiligung an irgendwelchen Verbrechen gegen den Frieden oder die Menschlichkeit nachzuweisen.

Angesichts des klaren, zugunsten der Reiter-SA ausgefallenen Beweisergebnisses beschränke ich mich darauf, dem Gericht die wesentlichen Punkte zusammengefaßt vorzutragen:

Der gegen die SA erhobene Vorwurf, bei der Machtergreifung durch die NSDAP mitgewirkt zu haben, betrifft die Reiter-SA überhaupt nicht, weil die Reiter-SA erst nach der Machtergreifung ins Leben gerufen wurde. Die Reiter-SA ist nicht hervorgegangen aus den Sturmabteilungen Adolf Hitlers, sondern aus den Hunderten von sogenannten ländlichen Reitervereinen, die bis 1933 als völlig unpolitische Sport- und Zuchtvereine über ganz Deutschland verbreitet waren. Die nach der Machtergreifung im Zuge der sogenannten »Gleichschaltung« erfolgte Angliederung dieser ländlichen Reitervereine an die SA geschah nicht freiwillig. Sie wurde auf behördliche Anordnung durchgeführt, gegen den inneren Widerstand der meisten Mitglieder dieser Vereine. Diese behördliche Anordnung war das Ergebnis einer Verhandlung zwischen dem Chef der ländlichen Reitervereine und dem Stabschef der SA, Röhm, auf Veranlassung des Reichsinnenministeriums im Sommer 1933. Diejenigen Reitervereine, die sich der Anordnung widersetzten, wurden mit der Auflösung bedroht, und im Falle der Weigerung auch tatsächlich aufgelöst.

Da diese Vereine für die Landwirtschaft eine bäuerliche Notwendigkeit darstellten, folgten die meisten Vereine unter dem Druck der Verhältnisse dieser Anordnung.

Auch nach der Angliederung der Reiter-SA an die SA behielt sie bis zum Ende ihren selbständigen organisatorischen Charakter. An der Spitze der früheren Reitervereine, die sich nunmehr SA-Reiterstürme nannten, stand der sogenannte Reichsinspekteur für das Reit- und Fahrwesen, Litzmann, in Berlin.

Was die Größe und Zusammensetzung der Reiter-SA betrifft, hat die Beweisaufnahme ergeben, daß der Reiter-SA rund 200000 Mitglieder angehört haben. Davon sind 80 bis 90 Prozent pferdehaltende Bauern. Der Reiter-SA schlossen sich nach der Machtergreifung auch die in vielen Städten bestehenden Reitklubs an, die bis dahin gleichfalls ein völlig unpolitisches, dem Sport gewidmetes Dasein geführt hatten.

Die Tätigkeit der Reiter-SA entsprach den sportlichen und züchterischen Aufgaben. Der Dienst bestand im Reiten und Fahren [181] und in der Ausbildung in diesen pferdetechnischen Kenntnissen. Im Mittelpunkt der Tätigkeit stand bei den städtischen Einheiten die Veranstaltung von Jagden und Turnieren, wie sie von allen Reitklubs der ganzen Welt durchgeführt werden. In der Regel wurde nicht in Uniform, sondern in Zivil geritten. Am Reiten beteiligten sich die Frauen und Kinder der Mitglieder. Auf dem Lande beschränkte sich die Tätigkeit vor allem auf den Unterricht in den für die Bauern wichtigen Pferdefragen, vor allem das Fahren, und die Heilung kranker Pferde. Die Angehörigen der Reiter-SA betrachteten sich infolgedessen überall in Deutschland in erster Linie als Reiter und nicht als SA-Leute.

Die Reiter-SA hat sich bewußt von einer Unterstützung der Politik ferngehalten. Sie betrieb weder politische Propaganda noch politische Schulung. Sie war nie eine politische Kampftruppe. Über die Führerstellung und die Beförderung in der Reiter-SA entschied nicht politischer Aktivismus, sondern ausschließlich das reitsportliche Können und der untadelige Charakter.

Die Beweisaufnahme hat eindeutig ergeben, daß die Reiter-SA in keiner Weise beteiligt war an irgendwelchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch an Aktionen gegen Kirchen, Juden, Gewerkschaften, ausländische Arbeiter oder Kriegsgefangene hat die Reiter-SA nie mitgewirkt. Die Angehörigen der Reiter-SA haben sich im Gegenteil häufig zugunsten der politisch Verfolgten eingesetzt. Wie die Beweisaufnahme ergab, lag auch jede antisemitische Haltung der Reiter-SA fern. Die Reiter-SA war stets kirchlich gesinnt. Bezeichnend ist die Tatsache, daß der Nichtarier Fuldauer, wie aus seinem Affidavit – Nummer 20 – hervorgeht, Mitbegründer des Reiterkorps in Wiehl-Rheinland gewesen ist und der dortigen Reiter-SA längere Zeit nach der Machtergreifung als führendes Mitglied angehörte. Weil die Reiter-SA abseits der Partei stand, wurde sie in manchen Gegenden Deutschlands sogar zu einer Zuflucht für politisch Verfolgte. Zahlreiche Freimaurer, Nichtarier waren Mitglieder der Reiter-SA und suchten sich durch den Hinweis auf ihre Mitgliedschaft in einer NS-Organisation zu decken. Unter solchen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß die NSDAP, wie die Beweisaufnahme ergab, dem NS-Reiterkorps mit großem Mißtrauen gegenüberstand. Angehörigen der Reiter-SA wurde die Aufnahme in die NSDAP verweigert, weil die Tätigkeit in dar Reiter-SA nicht den Nachweis der politischen Zuverlässigkeit bedeutete.

Auch an einem Verbrechen gegen den Frieden ist die Reiter-SA nach dem klaren Ergebnis der Beweisaufnahme nicht beteiligt.

Nach der Behauptung der Anklage soll Hitler der Reiter-SA den Auftrag gegeben haben, den reiterlichen Nachwuchs für die deutsche Wehrmacht sicherzustellen. Die Staatsanwaltschaft stützt [182] sich hier vor allem auf gewisse Propagandaartikel, die von einem unbekannten Verfasser in der Zeitschrift »Der SA-Führer« erschienen sind. Sämtliche bezüglich der Reiter-SA gehörten Zeugen haben bekundet, daß der Inhalt der Artikel in offenem Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen stand. Es ist in diesem Prozeß wiederholt festgestellt worden, daß sich die Parteiführung lediglich von propagandistischen Gesichtspunkten leiten ließ. Es ist der Anklagebehörde nicht gelungen, auch nur einen einzigen tatsächlichen Fall anzuführen, wo die Reiter-SA während ihres mehr als zehnjährigen Bestehens je einmal irgendeine Tätigkeit geplant oder angeordnet hat, die als Vorbereitung oder Unterstützung eines Angriffskrieges betrachtet werden könnte.

Der höchste Vorgesetzte der deutschen Kavallerie in der Zeit vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, der bekannte Generaloberst Guderian, hat zu dieser Frage eindeutig Stellung genommen. Ich zitiere:

»Zwischen der Deutschen Wehrmacht und dem NS-Reiterkorps bestand keine militärische Zusammenarbeit, weder in taktischer noch in strategischer Hinsicht. Die Kavallerie der Wehrmacht führte die Ausbildung ihres reiterlichen Nachwuchses selbst durch und war auf die Mitwirkung des NS-Reiterkorps nicht angewiesen. Beziehungen zum NS-Reiterkorps wurden von Seiten der Wehrmacht in dieser Richtung weder gesucht noch gepflegt...«

Generaloberst Guderian gibt in diesem Zusammenhang die überzeugende Begründung:

»Während 1935 noch 18 Kavallerie-Regimenter bestanden, war bei Beginn des Krieges nur noch eine Kavallerie-Brigade vorhanden, die dann im Laufe des Krieges wieder zu einer Kavallerie-Division erweitert wurde. An die Stelle der Kavallerie war die Panzerwaffe getreten, was schon dadurch zum Ausdruck kommt, daß 40 % der Panzer-Offiziere aus früheren Kavallerie-Regimentern kamen.

Angesichts dieser Entwicklung war eine Eingliederung von Einheiten der Reiter-SA in die Wehrmacht weder beabsichtigt, noch fand sie je statt«

Auch innerhalb der Reiter-SA selbst wurde keinerlei Ausbildung für militärische Aufgaben betrieben. Niemals wurden in irgendeinem Teil Deutschlands zu irgendeiner Zeit seitens der Reiter-SA kavalleristische Übungen im Sinne der Wehrmacht-Kavallerie durchgeführt. Die Tätigkeit beschränkte sich vielmehr auf die für die Bauern wichtige Pferdezucht und den in allen Ländern der Erde betriebenen Reitsport.

Auch mit dem Hinweis auf den sogenannten Reiterschein kann die Anklage nicht aufrechterhalten werden. Nach seinem Wortlaut [183] gab der Reiterschein seinem Inhaber das Recht, im Heer bei einer berittenen Truppe dienen zu dürfen. Diesen Reiterschein konnte jedoch jeder Sportsmann erwerben, auch wenn er nicht Mitglied der Reiter-SA war. Es entsprach dies dem begreiflichen Wunsch jedes passionierten Reiters, im Falle seiner Einberufung zum Heer zu einer berittenen Truppe zu kommen, ähnlich wie ein begeisterter Bergsteiger oder Skifahrer am liebsten bei den Gebirgsjägern seiner Wehrpflicht genügen will. In der Praxis aber wurde dieser Wunsch von der Wehrmacht nur in den seltensten Fällen berücksichtigt, weil ja die Wehrmacht seit 1933 die Kavallerie nahezu völlig abbaute. So wurden die meisten Inhaber von Reiterscheinen bei ihrer Einberufung in Wirklichkeit zur Infanterie oder zu motorisierten Verbänden überwiesen.

Im übrigen war für jedes Mitglied der Reiter-SA nicht die Erwerbung des Reiterscheines das Ziel der sportlichen Tätigkeit, sondern die Erwerbung des von jedem Reiter mit Stolz getragenen Reiterabzeichens. Dieses Abzeichen ist dem Gericht im Original vorgelegt worden und ist wohl das einzige Abzeichen einer nationalsozialistischen Gliederung ohne Hakenkreuz.

In der Reiter-SA wurde kein militärischer Geist gepflegt. Die Masse der Reiter-SA waren Bauern. Es ist bekannt, daß der Bauer von Natur aus kein Freund des Krieges ist. Die städtischen Einheiten der Reiter-SA aber pflegten bis zum Kriegsausbruch enge internationale Beziehungen zu allen reitsporttreibenden Ländern.

Zahlreiche Ausländer, zum Teil in amtlichen Stellungen, waren ständige Gäste der Reiter-SA. Bei Ausbruch des Krieges herrschte allgemeine Bestürzung.

Bezüglich des Charakters der Allgemeinen SA waren die Angehörigen der Reiter-SA der Auffassung, daß die SA, der die Reiter-SA ja erst nach 1933 angeschlossen wurde, keinen verbrecherischen Charakter habe. Soweit Exzesse innerhalb der Allgemeinen SA vorkamen, mußten die Angehörigen der Reiter-SA feststellen, daß diese Ausschreitungen einzelner nicht dem Programm der SA entsprachen, und sie hörten mit Befriedigung, daß die SA-Führung von diesen Fragen abrückte und Wiederholungen zu verhindern suchte.

Es sei auch hervorgehoben, daß keiner der Hauptangeklagten je in irgendeiner Verbindung stand zur Reiter-SA. Kein Angehöriger des NS-Reiterkorps hat während der nationalsozialistischen Regierung eine politisch führende Rolle gespielt.

Die Freistellung der Reiter-SA von der erhobenen Anklage ist schon aus dem Grunde ein Gebot der Gerechtigkeit, weil die beiden anderen Sportorganisationen der Partei, das NS-Kraftfahrerkorps und das NS-Fliegerkorps wegen ihrer sportlichen Ziele mit Recht nicht angeklagt wurden. Dem NS-Kraftfahrerkorps und dem [184] NS-Fliegerkorps war es nämlich dank des politischen Einflusses ihrer Führer gelungen, ihre völlige Selbständigkeit von der SA durchzusetzen. Die Reiter-SA hat sich um diese völlige Selbständigkeit während der ganzen Zeit ihres Bestehens gleichfalls bemüht, sie aber nur teilweise erreicht. Sie blieb der SA an der Spitze unterstellt. Man gab der Reiter-SA wohl deshalb keine völlige Selbständigkeit, weil man sie seitens der Parteiführung für politisch nicht zuverlässig hielt.

Eine Verurteilung der Reiter-SA würde unter diesen Umständen als besondere Unbilligkeit empfunden, ganz abgesehen davon, daß der Vorwurf der Vorbereitung eines modernen Krieges eher erhoben werden könnte gegen diejenigen, die sich an Kraftfahrzeugen und Flugzeugen ausbilden ließen, als gegen diejenigen, die sich dem Pferdesport und der Pferdezucht widmeten.

Eine weitere Gruppe innerhalb der SA, die mit den politischen Zielen noch weniger als die Reiter-SA zu tun haben, stellen die sogenannten Sanitätseinheiten dar.

Stark wirkte sich bei Aufstellung derselben der Druck auf Grund gesetzlichen Zwanges aus. Gesetzlicher Zwang bedeutet, daß auf Grund eines Gesetzes Verordnungen, Verfügungen oder Satzungen existieren, die den Dienst in einer Gliederung, wie zum Beispiel in der SA, zur Pflicht machen. Zutreffend ist dies für den größten Teil der sogenannten SA-Ärzte. Dies geht aus der eidesstattlichen Erklärung des Dr. Carrie (Affidavit Allgemeine SA Nummer 74) hervor. In seinem Affidavit ist niedergelegt, daß, wenn die Ärzte den Dienst in diesen Einheiten ablehnten, sie aus dem städtischen Dienst entlassen wurden.

Im übrigen, wer kann an ihrer Tätigkeit etwas Verbrecherisches finden? Ihre Aufgabe bestand in der Ausbildung zur ersten Hilfeleistung bei Unfällen, bei der Einrichtung von Sanitätsstellen und Sanitätswachen, bei Katastrophen, sowie in der Betreuung bei sportlichen Veranstaltungen.

Der Eintritt eines Arztes in die SA geschah in seiner Eigenschaft als Arzt, meist mit dem Rang eines Sturmbannführers, zumindest aber mit dem eines Obertruppführers. Die Ärzte in der SA waren bis hinauf zu den Gruppen in sämtlichen Stellungen in der SA ehrenamtlich tätig. Mit der Zeit wurde bei jeder SA-Standarte ein Sanitätssturm gebildet, der durchschnittlich 100 Mitglieder umfaßte. Aus den Reihen der Sanitätsstürme wurden im allgemeinen laufend dort ausgebildete SA-Sanitätsmänner an die einzelnen SA-Stürme abgegeben.

Es war praktisch so vorgesehen, daß jeder Sturm etwa vier bis fünf Sanitätsmänner haben sollte. Die Ausbildung der Sanitätsmänner der SA erfolgte durch Ärzte im Rahmen der Genfer Konvention. Ein Teil der Sanitätsmänner wurde sogar direkt beim [185] Roten Kreuz ausgebildet. Der Aufgabenkreis des Sanitätspersonals der SA entsprach weitgehend dem Aufgabenkreis des Roten Kreuzes.

Die eidesstattliche Erklärung des Dr. Menge aus Hannover besagt, daß eine große Anzahl von Wassersportvereinen auf Befehl von der SA als Marine-SA-Stürme übernommen worden sind. Diese Marine-SA-Einheiten unterschieden sich von anderen SA-Einheiten dadurch, daß in ihren Reihen kaum ein alter Kämpfer zu finden ist. Sie sind sämtlich eine Einrichtung nach dem Jahre 1933. Ihr Dienst bestand ausschließlich in einer wassersportlichen Tätigkeit. Die zwangsweise Einreihung in die SA war auch bei den Grenzschutzeinheiten gegeben, wie aus der kollektiven Zusammenstellung der eidesstattlichen Erklärungen ersehen werden muß. Daraus ergibt sich, daß es sich um einen Teil der SA handelte, der dieser nur formell und aus anderen als üblichen Gründen angehörte. Ich darf hervorheben, daß es sich um die Einreihung des im Herbst 1931 unter Brüning und Severing gegründeten Grenzschutzes handelte, der im Herbst 1933 der SA zwangsweise einverleibt wurde.

Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Aufgaben des sogenannten Reichskuratoriums für Jugenderziehung, das im Jahre 1932 gegründet wurde, in den Bereich der SA übergingen. In diesem Reichskuratorium für Jugenderziehung war ein Chef des Ausbildungswesens vorhanden, der sich in der SA wiederfindet.

In seinen Bereich fallen die sogenannten AA-Aufgaben, die sogenannten Grenzschutzaufgaben. Diese AA-Aufgaben werden in einem Dokument der Anklage erwähnt. Damit ist schon ein eindeutiger Beweis der Eingliederung der Grenzschutzstürme in die SA im Jahr 1933 gegeben.

In meinem Dokumentenbuch habe ich unter Dokument SA-218 einen Befehl der Obersten SA-Führung vom 7. Oktober 1933 vorgelegt. Aus ihm geht hervor, daß der Reichsminister des Innern mit Verfügung Br. I A 5400/26. 9. vom 3. Oktober 1933 bestimmt, daß der Hilfspionierdienst der Technischen Nothilfe auf die SA überzuführen ist.

Die übernommenen Hilfspioniereinheiten stellen überwiegend das Personal für die Pionierstürme der SA. Es ist daher natürlich, wenn diese Einheiten bei Katastrophen eingesetzt wurden, da sie aus der Technischen Nothilfe kamen.

Ein überwiegender Teil der SA-Angehörigen, die nach 1933 zur SA stießen, zum Beispiel die Angehörigen der oberen Klassen von Mittelschulen, die Studenten, die Nachwuchsbeamten, sowie Angehörige von Industrie- und Handwerksbetrieben, gingen zur SA, nicht aus freiwilligen Motiven, sondern auf Grund von Verordnungen, Verfügungen und Satzungen. Daran kann auch die [186] spitzfindige, nicht zutreffende Auslegung der Anklage nichts ändern. Beim SA-Hochschulamt zum Beispiel machten die Studenten Dienst, nachdem sie Angehörige der örtlichen SA-Stürme geworden waren. Alle diese Menschen waren vor dem Jahre 1933 nicht wahlberechtigt. Die Wahl des März 1933 legte für sie die Entwicklung. Sie können für diese in keiner Weise verantwortlich gemacht werden. Sie sind in diese Zeit hineingeboren, sie sind die Opfer dieser Zeit. Sie glaubten einem Staat zu dienen, der in der internationalen Welt anerkannt war. Der größte Teil dieser jungen Menschen stand an der Front. Ein Großteil opferte Gesundheit und Leben für das Dritte Reich, das alles von ihnen verlangte. Im Glauben an ihre Pflicht, im Glauben Aufgaben zu erfüllen, sind sie ausgezogen. Enttäuscht und getäuscht ist ein Teil von ihnen aus dem Weltkrieg nach Hause zurückgekehrt. Und jetzt sollen sie als Verbrecher durch die Anklage gegen die Organisationen gestempelt werden. In meiner Dokumentensammlung habe ich einen Kranz von Verfügungen und Verordnungen vorgelegt, die die Grundlagen darstellen für den Eintritt dieser jungen Menschen in die Organisationen. Ich brauche sie nicht im einzelnen anführen, sie sind dem Gericht bekannt. Sollen diese Menschen jetzt dafür bestraft werden, weil sie die Pflichten, welche Gesetz, Verordnungen und Satzung ihnen auferlegten, erfüllten?

Aus dieser Jugend, die in die Gliederungen eingereiht wurde, gingen die aktiven Kämpfer gegen den nationalsozialistischen Parteistaat hervor.

Ein Beispiel sei Ihnen genannt:

Der Fall Scholl, der sich gegen den Zwang dieses Staates auflehnte.

Diese Jugend ist in einer Zeit geboren, in der der erste Weltkrieg seine Wunden in die europäischen Länder schlug. Diese Jugend litt am meisten an den Folgen der unglücklichen Entwicklung, die kurzsichtige Menschen durch Versailles schufen. Diese Jugend litt unter diesem Problem, das die Masse des deutschen Volkes wie die Oberste SA-Führuhg immer mit friedlichen Mitteln lösen wollte. Klar hat auch das der Zeuge Gisevius aufgefaßt. Er hat ausgesprochen, daß in den Jahren bis 1938 in der Masse der SA keine andere Stimmung sein konnte, als in der Masse des deutschen Volkes. Und diese Stimmung war ganz einwandfrei, daß der Gedanke an Krieg bereits ein purer Wahnsinn sei. Er hat auch nachgewiesen und ausgesprochen, daß es wiederum zu verneinen wäre, wenn die Masse der SA an Kriegsverbrechen beteiligt wäre.

Dieses Versailles und die wesentlichsten Nachkriegsereignisse, die Blockade der Republik und ihr Kampf mit dem Kommunismus, die Währungsinflation, der Ruin der mittleren Klassen, die Arbeitslosigkeit, der Bürgerkrieg, die Parteiarmeen, das parlamentarische [187] Chaos schufen die Grundlagen für die junge Generation und für ihre Entwicklung.

Das alles sollte man nicht vergessen, wenn man innerhalb der Gliederungen das Los der jungen Generation, die 1933 nicht ihren Stimmzettel für Hitler abgab, beurteilt. Es ist bedauerlich, daß diese gruppenmäßigen Gliederungen der SA nach dem 30. Januar 1933 nicht auf Grund von Statistiken dem Hohen Gericht erläutert werden können. Die Statistiken fehlen auf Grund des Ausbleibens des Zeugen Wallenhofer. Ich kann aber eine ziemlich genaue Aufstellung vortragen, die dem Gericht gegeben werden muß, damit es ein klares Bild über die SA erhält. Diese Aufstellung ist in der Zusammenstellung der kollektiven eidesstattlichen Erklärung enthalten.

Wie bereits gesagt, hatte die Traditions-SA am 30. Januar 1933

300000 Mitglieder

Befehlsgemäß überführt wurden der Stahlhelm;

bei der ersten Überführung kamen

550000 Mitglieder

bei der zweiten

450000 Mitglieder

in die SA.

Befehlsgemäß überführt wurden die ländlichen Reitervereine mit ca.

200000 Mitgliedern

die Wassersportvereine mit

50000 Mitgliedern

die Grenzschutzstürme mit

100000 Mitgliedern

die Hilfspionierzüge der techn. Nothilfe mit

50000 Mitgliedern

auf Befehl kamen ferner Samaritervereinigungen und sonstige Rot-Kreuz-Verbände; auf Grund behördlicher Anordnungen Ärzte in die Sanitätsverbände der SA mit

60000 Mitgliedern

auf Befehl auch der Kyffhäuser-Bund mit

1500000 Mitgliedern

Eingereiht wurden Studenten der Universitäten und technischen Hochschulen auf Grund gesetzlicher Verfügung mit

100000 Mitgliedern

die Schüler der Fach- und Mittelschulen in die SA auf Grund Verfügung vom 9. September 1933 und auf Grund Befehls konfessionelle Jugendverbände mit

150000 Mitgliedern

befehlsgemäß eingereiht wurde Brigade Erhard mit

150000 Mitgliedern

Luftsportverband Oberland und Frontbann mit

200000 Mitgliedern

eingereiht wurden Beamte und vor allem Nachwuchsbeamte auf Grund behördlicher Anordnung mit

200000 Mitgliedern

[188] die Ehrenführer und z.V.-Führer der SA machten

20000 Mitglieder

sonstiger Zugang in die SA betrug

420000 Mitglieder

von den 420000 kamen 200000 aus dem Lager der Linksorganisationen, wie z.B. Rotfront und Reichsbanner. Das ergibt den Mitgliederstand von

4500000 Mitglieder

Im Jahre 1934 schieden sofort nach dem 30. Juni 1934 aus:

Kyffhäuser-Bund

1500000 Mitglieder

NSKK

450000 Mitglieder

SS

250000 Mitglieder

Politische Leiter

150000 Mitglieder

von 1934 bis zu dem Zeitpunkt, wo der Mitgliederstand von 1,5 Millionen erreicht war, schieden aus:

Kriegsbeschädigte und Körperbehinderte

350000 Mitglieder

durch Verfahren

40000 Mitglieder

durch Übertritt in andere Organisationen

260000 Mitglieder

damit war der Mitgliederstand von 1500000 Mitgliedern erreicht.

Im Laufe der nächsten Jahre war ein großer Personenwechsel. Ein Teil der Mitglieder schied auf Grund Todes und Krankheit aus. Durch den Nachwuchs wurde er ersetzt. Er kam größtenteils von den Reichsfinanzschulen, von denen jetzt 14 Schulen mit rund 50000 Mann, sowie von Studenten und Nachwuchsbeamten, die auf Grund gesetzlichen Zwanges in einer Gliederung Dienst tun mußten, und von der HJ, von der sie in die SA überführt wurden.

Der Beweisbeschluß vom 13. März 1946, Absatz 6 a, Ziffer 2, betont, daß es erheblich wäre, ob die Mitgliedschaft in der SA im allgemeinen freiwillig oder das Ergebnis gesetzlicher Anordnung wäre. Aus dem Vorgetragenen geht klar hervor, daß man von einer im allgemeinen freiwilligen Mitgliedschaft in der SA nicht sprechen kann, sondern daß es sich überwiegend um eine Mitgliedschaft auf Grund Befehls oder gesetzlichen Zwanges handelt. Die Massen sind also auf Grund behördlicher Verfügungen oder auf Anordnungen Hitlers kumulativ eingegliedert worden, die gemäß dem Gesetz über die Einheit von Staat und Partei gesetzliche Anordnungen sind oder gesetzlichen Charakter tragen. Demnach ist eine Verurteilung der SA als Kollektivorganisation nicht möglich, weil jede einheitliche Zielsetzung fehlt.

Vergegenwärtigen wir uns die Zeit nach dem Jahre 1933, dann kommen wir zur Erkenntnis, daß es sich bei dem Dritten Reich um einen nationalen Polizeistaat handelte. Aus den Affidavits vieler überführter Stahlhelmer ist zu entnehmen, daß die Versuche, aus[189] der SA auszuscheiden, bereits 1933/1934 von den Organen des Staates als Ausdruck einer staatsfeindlichen Einstellung gewertet wurden, falls sie sich nicht auf sehr triftige Gründe, wie erhebliche Krankheit, stützte. Andere Gründe als Gesundheitsgründe wurden nicht anerkannt. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist der unter SA-222 angeführte Erlaß des Reichs- und Preußischen Innenministers vom 27. Februar 1936, in welchem es heißt:

»... es ist dann in jedem Falle eine eingehende Prüfung vorzunehmen, aus welchen Gründen der Beamte aus der Partei ausgetreten ist. Hat er dies getan, weil er das Programm oder die politische Haltung ablehnt, so wird er nicht Beamter bleiben können. Aber auch wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, kann der Austritt eines Beamten aus der Partei bei den engen Beziehungen zwischen Partei und Staat darauf schließen lassen, daß dem Beamten die innige Verbundenheit mit dem nationalsozialistischen Staate oder der erforderliche Opfersinn fehlt.«

Ziehen wir Dokument SA-221 heran, dann lesen wir die Bestimmung, daß die auf den Führer erfolgte eidliche Verpflichtung einen Austritt aus der SA wie etwa aus irgendeinem Verein unmöglich macht, und nur eine eintretende körperliche Behinderung oder eine anderweitige Verwendung ein Ausscheiden aus der SA zulassen. Andere Gründe gaben nur die eine Möglichkeit: Den Ausschluß. Der Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern läßt, obwohl die Entfernung aus der Partei und ihren Gliederungen als harte Strafe bezeichnet wird, theoretisch die Möglichkeit zu, daß, der Betreffende mit Frau und Kindern um Arbeit und Brot gebracht werden konnte. Daß diese Bestimmung praktisch früher bereits gehandhabt worden ist, ergibt sich aus einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Bielefeld, wonach bei einem Ausschluß aus der SA der Behörde die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden könne. (Dokument SA-220.) Zu verwundern ist es nicht, daß im nationalsozialistischen Staate Bestimmungen vor Inkrafttreten durchgeführt worden sind.

Denn in diesem amtlichen Kommentar von Pfundtner-Neubert heißt es zur Verordnung vom 28. Februar 1939:

»Diese Art der Neuordnung des Rechtes entspricht den Grundsätzen der nationalsozialistischen Staatsführung. Sie ist nicht wie der Systemstaat verfahren, der zunächst schön-klingende Gesetze erlassen hat, die er aber nicht durchführen konnte, weil hierfür die Voraussetzungen fehlten, abgesehen davon, daß die Regierungsorgane dazu zu schwach waren, sondern die Regierung im Dritten Reich schafft erst die tatsächlichen, zur Durchführung einer Regierungsmaßnahme. [190] notwendigen Verhältnisse und erläßt dann das entsprechende Gesetz.«

Im übrigen darf ich auf die Affidavits 1, 2, 3, 4 des Stahlhelms, auf das Zeugnis Hauffe, von Waldenfels hinweisen, ebenso auf die SA-Affidavits Nummer 61 und 81, die die Unmöglichkeit des Austritts aus der SA hervorheben.

Der versuchte Austritt aus anderen als gesundheitlichen Gründen hätte den Ausschluß zur Folge gehabt. Die Folgen dieses Ausschlusses waren neben einer automatisch einsetzenden polizeilichen Überwachung die Gefährdung oder der Verlust der wirtschaftlichen Stellung, oder des Berufes, besonders bei Beamten und Angestellten, oder der wirtschaftliche Boykott und die Gefahr der Verhaftung wegen politischer Unzuverlässigkeit. Für jeden Beruf war die sogenannte politische Zuverlässigkeit die unabdingbare Voraussetzung, die nur in den Gliederungen zu erwerben war, und über die die Verwaltung nicht geneigt war, mit Rücksicht auf angeblich oder tatsächlich vorhandene fachliche Bewährung oder Familienverhältnisse hinwegzugehen.

Politische Zuverlässigkeit war die Forderung des Dritten Reiches. Deshalb forderte es durch Anordnungen Dienst in den Gliederungen. Schloß man sich aus, dann galt das, was im Affidavit Nummer 81 geschrieben steht:

»Es war in weiten Kreisen bekannt, daß Weigerungen gegen Anordnungen des Staates und der Partei die Überwachung in Tätigkeit setze, da man sich vom Einsatz für die Volksgemeinschaft ausschließe.«

Im übrigen bestand kein Grund, sich zu weigern, für die Volksgemeinschaft zu arbeiten, da irgendwelche verbrecherische Ziele, Methoden und Tätigkeiten nicht bekannt waren. Dies ergab deutlich die kollektive Zusammenstellung von

17 089 eidesstattlichen Erklärungen.

Im übrigen kann das Verhalten von auf Grund Befehls beziehungsweise gesetzlichen Zwanges eingereihten Personen schon aus rechtlichen Gründen nicht zum Schuldvorwurf gereichen, wenn die Unfreiwilligkeit des Eintritts nachgewiesen ist.

Wenn ich zum Schluß noch einmal zusammenfasse, so darf ich sagen:

  • 1. Es ist bewiesen, daß, wenn Gesetzwidrigkeiten vorgekommen sind, diese Handlungen nur Handlungen einzelner waren und demzufolge nicht der Organisation zur Last gelegt werden können.

  • 2. Daß die SA-Führung diese Übergriffe weder angeordnet noch geduldet hat und deshalb frei von Schuld ist.

  • [191] 3. Daß diese Ausschreitungen keinesfalls auf eine verbrecherische Erziehung oder gar auf eine Verschwörung mit verbrecherischen Zwecken zurückzuführen sind.

Wahrheit und Gerechtigkeit verlangen, daß wegen dieser Übergriffe einzelner Organisationsangehöriger nicht eine Millionenorganisation oder deren Führung als verbrecherisch erklärt werden, nachdem feststeht, daß die Führung zu keiner Zeit auf verbrecherische Handlungen hingewirkt hat und die Masse der Organisationsmitglieder niemals verbrecherische Handlungen begangen hat.

Die Tatsache, daß verschiedene Hauptangeklagte ehrenamtliche Führer der SA waren, ändert an dem Ergebnis der Beweiserhebung der SA nichts. Als Hermann Göring die SA kurze Zeit führte, zählte sie nur wenige tausend Mann. Sie war zu dieser Zeit nichts anderes als was das Reichsbanner für die SPD war.

Das Führerkorps der SA war weder ein Strauchrittertum noch ein politisches Strandgut. Wenige Führer, insgesamt fünf, die sich im Jahre 1933 auf 1934 nicht bewährt hatten, wurden im Rahmen des 30. Juni 1934 beseitigt. Es ist dies der einzige Vorwurf, den man dem damaligen Stabschef Röhm machen kann, daß er diese fünf Leute, obwohl er in seinem politischen Tun und Handeln auf Ordnung und Rechtlichkeit ausging, nicht rechtzeitig abgestoßen hat und dadurch seinen Gegnern eine Handhabe schuf. Dabei handelt es sich um 4 Prozent des hohen Führerkorps, also um einen kleinen Bruchteil, der nimmermehr eine Verurteilung rechtfertigen könnte.

Unter den bezahlten Ober- und Gruppenführern der Jahre 1934 bis 1945 gab es nicht einen einzigen, der vorbestraft war. Dies mußte die Oberste SA-Führung von ihren Mitgliedern verlangen, da ja auch die Vorschrift bestand, daß bei dem einfachen SA-Mitglied bei seiner Aufnahme ein Führungszeugnis der Polizei zu fordern war. Keiner war eine der sogenannten gescheiterten Existenzen. Alle hatten einen erlernten Beruf mit guter Entwicklungsmöglichkeit, bevor sie ihren Eintritt in das bezahlte Führerkorps der SA vollzogen.

Daß die politische Zielsetzung der SA nur von Vaterlandsliebe getragen war, hat die Beweiserhebung eindeutig gegeben. Röhm tat alles, um den Gemeinschaftsgedanken im deutschen Volk zu vertiefen. Sein Ziel war es, das gewonnene Vertrauen zu stärken. Die Übergriffe bei dem revolutionären Umbruch hat er verfolgt. Die Gewerkschaften wollte er gewinnen und nicht zerschlagen. Lutze, an sich eine schwache Persönlichkeit, lehnte wiederholt Vorkommnisse und Maßnahmen der Partei ab. Er setzte sich in Gegensatz zu der führenden Parteirichtung. In einer eidesstattlichen Erklärung, die ich vorgelegt habe, heißt es, daß er den sogenannten Nazismus der NSDAP verurteile. Daraus ist vornehmlich auch sein allerweltsbekannter, unversöhnlicher Gegensatz zu Himmler und [192] Bormann zu erklären. Es gab wohl kaum eine Frage, in der er als Stabschef der SA mit den beiden Männern übereinging. Dieses gilt besonders auch für die Frage der Herrenrasse und das Verhalten den Juden gegenüber, für die Kirchenfrage, sowie für die Einstellung gegenüber politischen Gegnern.

Wenn das Hohe Gericht objektiv nach Schuldigen für das namenlose Unglück, welches die ganze Welt betroffen hat, sucht, dann möge es von dem individuellen Gesichtspunkt ausgehen. Diesen Standpunkt finden wir auch in einer Rede von Papst Pius XII., die er am 20. Februar 1946 gehalten hat:

Ich zitiere:

»Es kursieren in der Welt irrtümliche Auffassungen, die einen Menschen allein schon darum für schuldig und verantwortlich erklären, weil er Mitglied oder bei einer bestimmten Gemeinschaft ist, ohne daß man sich bemüht, zu untersuchen oder zu prüfen, ob von seiner Seite wirklich eine persönliche Schuld im Handeln oder Unterlassen vorliegt. Das bedeutet, sich die Rechte Gottes, des Schöpfers und Erlösers anmaßen, der allein in den geheimnisvollen Planungen seiner immer liebevollen Vorherrschung absolut Herr der Ereignisse ist und als solcher, wenn er in seiner unendlichen Weisheit so entscheidet, die Schicksale des Schuldigen und des Unschuldigen, des Verantwortlichen und Nichtverantwortlichen miteinander verkettet.«


RECHTSANWALT HORST PELCKMANN, VERTEIDIGER FÜR DIE SS: Darf ich die Aufmerksamkeit des Gerichts nur zwei Minuten in Anspruch neh men. Ich habe bei meinem Plädoyer am Montag wichtige Ausführungen unterlassen, zum Beispiel über Germanisierung, Einsatzgruppen, Konzentrationslager und Massenvernichtungen. Ich habe statt dessen auf mein schriftliches Plädoyer verwiesen. Der Herr Präsident hat wiederholt erklärt, daß das Gericht diese schriftlichen Ausführungen aller Verteidiger studieren will. Das Gericht hat gestern...

VORSITZENDER: Wann hat der Gerichtshof sie erhalten? Ich sagte, wir werden sie genau durchgehen, wenn wir sie erhalten, bis jetzt haben wir sie noch nicht.


RA. PELCKMANN: Das wollte ich gerade meinen, Euer Lordschaft. Ich habe heute durch den Herrn Generalsekretär und die Übersetzungsabteilung erfahren, daß eine englische Übersetzung für die Herren Richter nicht angefertigt werden wird. Ob eine russische oder französische Übersetzung für die Herren Richter vorliegt, ist mir unbekannt. Mein Plädoyer ist ohne die ausgelassenen Stellen, insbesondere auch ohne die wiederholt zitierte Anweisung, unvollständig und nicht zu verstehen. Ich übergebe daher dem Hohen[193] Gericht ein vollständiges Exemplar meines Plädoyers mit Anlage in deutscher Sprache und bitte ergebenst um Übersetzung.


VORSITZENDER: Das wird in jedem Fall getan werden. Dr. Gawlik?


DR. GAWLIK: Euer Lordschaft! Ich bitte gleichfalls, ein vollständiges Exemplar meines Plädoyers übergeben zu dürfen zur Übersetzung, da ich wichtige Teile ausgelassen habe.


VORSITZENDER: Sicher, selbstverständlich.

Will die Anklagebehörde noch heute anfangen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof!

Im Jahre 1938 sagte Hitler im Reichstag, ich zitiere seine Worte:

»Im Nationalsozialismus hat das deutsche Volk jene Führung erhalten, die als Partei die Nation nicht nur mobilisiert, sondern vor allem organisiert hat. Es gibt keine Institution in diesem Staat, die nicht nationalsozialistisch ist.«

Wir wissen jetzt, welche Art von Führung der Nationalsozialismus dem deutschen Volk hat angedeihen lassen. Wir wissen jetzt, wie und wo die Nazi-Partei die deutsche Nation mobilisierte und organisierte – für die Beherrschung der Welt, um den Preis von Krieg und Mord. Die völlige Beherrschung Deutschlands durch den Nationalsozialismus war gleichzustellen mit der Beherrschung von Leib und Seele des Volkes mit Hilfe der Organisationen der Nationalsozialistischen Partei und der Regierung.

Mit welcher Zielsetzung haben die Nazis die Beherrschung des Volkes angestrebt? Ihr Ziel war die Schaffung eines überwachten, aber fanatisierten Polizeistaates, der auf militärische Angriffspolitik eingestellt war. Wenn man sich vorstellt, welche Forderungen ein »Ersatz«-Machiavelli hierfür aufgestellt haben würde, so hätte er vielleicht folgendes für notwendig erachtet:

  • 1. Eine schnelle Methode für den Erlaß von Gesetzen und Verordnungen. Dafür benötigt man ein nachgiebiges und selbstzufriedenes Kabinett mit voller gesetzgeberischer Gewalt – die Reichsregierung.

  • 2. Schnelle Unterdrückung jedes Anzeichens von Opposition oder Gedankenfreiheit. Hierfür braucht man einen Spionagedienst und eine Polizei, die schnell zupackt – den SD und die Gestapo.

  • 3. Die völlige Überwachung und Kontrolle der öffentlichen Meinung. Hierfür ist gesorgt durch den Druck, den ein fanatisches Korps der Politischen Leiter auf eine propagandagesättigte Öffentlichkeit ausübt.

  • 4. Eine Prätorianer-Garde, die einem nicht nur jeden »ungebärdigen Priester« vom Halse schafft, sondern jeden, der sein eigenes Glaubensbekenntnis hat, und hierfür hat man die SS.

  • [194] 5. Ein ständig anwachsendes Vollzugsinstrument, das das Volk in die Klammer körperlichen Trainings und geistiger Vorbereitung auf den Krieg einzwängt; das die Bevölkerung vorwärts treibt und unten hält, wenn allgemeine Gewaltanwendung notwendig wird; das das Volk im In- und Ausland fest mit dem Geist der Terror-Ideologie umspannt. Wer wäre hierfür besser geeignet als die SA, die gerade den »Kampf um die Straßen« gewonnen hatte?

  • 6. Ein Instrument, das die vorhandenen militärischen Streitkräfte den eigenen Zwecken dienstbar und zu jeder Handlung gefügig macht, auch wenn sie im Widerspruch zur militärischen Tradition steht und mit Soldatentum unvereinbar ist; ein Instrument, das ohne zu fragen, die Versklavung anderer Völker gutheißt, das seine Mitarbeit gewährt und den Rahmen für die Druckmittel zur Zerstörung völkischen Lebens und der Menschenwürde bildet. Das waren die Aufgaben, die der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht zu erfüllen hatten.

Schnelligkeit des Regierens, Denunziation, Fehlen der Gedanken- und Redefreiheit, Unterdrückung im Innern, eine ausgebildete und mit Berechnung eingesetzte Streitmacht nach außen, das sind die ewig miteinander verflochtenen Waffen, ohne die keine Tyrannei gedeihen kann. Das sind nur andere Namen für die Organisationen, die wir als verbrecherisch angeklagt haben und mit deren Hilfe diese Angeklagten und ihre Mitarbeiter imstande waren, eine Nation zu führen, zu organisieren und zu beherrschen.

Als Herr Justice Jackson am 28. Februar vor diesem Gerichtshof sprach, betonte er, daß wir nicht beabsichtigen, das ganze deutsche Volk für Verbrechen zu bestrafen. Ich wiederhole, daß wir nicht darauf ausgehen, das ganze deutsche Volk zu bestrafen. Es ist jetzt unsere Absicht, es zu schützen und ihm die Gelegenheit zu geben, sich die Wertschätzung und die Freundschaft der Welt zurückzugewinnen. Aber wie ist dies möglich, wenn wir in ihrer Mitte jene Elemente des Nazismus unbestraft und unverurteilt lassen, die in erster Linie für Nazi-Tyrannei und Nazi-Verbrechen verantwortlich waren und die, wie der Gerichtshof überzeugt sein kann, für die Idee der Freiheit und Gerechtigkeit für immer verloren sind.

Auch ist es nicht nur das deutsche Volk, das wir zu schützen trachten. Ganz Europa bedarf des Schutzes. Bedenken Sie die heutige europäische Situation. Unter den Deutschen, die Hitler Gefolgschaft leisteten, haben viele tausend Männer und Frauen mit ihren eigenen Händen gemordet – gemordet vielleicht nicht nur einen einzigen Menschen, sondern viele. Hunderttausende, nein Millionen, lernten das Hitlersche Bekenntnis des Hasses und der Grausamkeit nachbeten. Unter ihnen waren Leute, die kraft ihres Berufes und ihrer Vorbildung zum Befehlen und Führen berufen waren, und zwar auf militärischem wie auf politischem Gebiet, [195] Männer, die noch genauso von fanatischer und skrupelloser Machtgier besessen sind wie je während der letzten 25 Jahre. Erinnern Sie sich der Worte: »Kampf? Was redet Ihr nur immer von Kampf? Ihr habt doch den Staat erobert, und wenn Euch etwas nicht gefällt, dann macht doch ein Gesetz und regelt es anders! Was braucht Ihr da immerzu von Kampf zu reden? Ihr habt doch jede Macht! Worum kämpft ihr noch? Außenpolitisch? Ihr habt doch die Wehrmacht – die wird den Kampf schon führen, wenn es erforderlich ist! Innenpolitisch? Ihr habt doch die Justiz und die Polizei, die alles ändern können, was Euch nicht zusagt...«

Das waren die Lehren für die Hoheitsträger – die Träger der Nationalsozialistischen Hoheit. Sie sind nicht in einem Tag vergessen.

Sollen diese Männer unter dem deutschen Volk und den Völkern Europas frei herumlaufen? Schon jetzt sind die Schwierigkeiten dieses unglücklichen Kontinents überwältigend groß. Abgesehen von denen, die unter den Begriff »Organisationen« fallen, muß auf alle Fälle eine gewaltige Anzahl fanatischer Anhänger des Nazismus auf freiem Fuße bleiben. Wir haben eine ganze Generation des deutschen Volkes, die nur die ihnen von ihren Naziherrschern vorgeschriebenen Wege kennen – junge Männer und Frauen, denen ihr erster Unterricht von Nazi-Lehrern gegeben wurde, die ihre Erziehung in Nazi-Schulen erhielten und Sport und Erholung bei den militärischen Übungen der SA fanden. Sollen nun die Führer Nazi-Deutschlands – in Gestalt der Mitglieder dieser Organisationen – freigelassen werden, um ihren Einfluß auf solch fruchtbarem Boden zur Wirkung zu bringen?

Das Recht ist ein lebendiges Wesen. Es ist nicht starr und unabänderlich. Sein Zweck ist, der Menschheit zu dienen, und es muß wachsen und sich ändern, um den wechselnden Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden. Die Bedürfnisse des heutigen Europas haben keine Parallele in der Geschichte. Niemals zuvor sah sich die europäische Menschheit dem Problem oder der Gefahr gegenüber, in ihrer Mitte Millionen skrupelloser, fanatischer Männer zu beherbergen, die in Mord, Rassenhaß und Krieg geschult und erzogen sind. Es ist dies eine Situation, die – ob es nun Präzedenzfälle aus der Vergangenheit gibt oder nicht – die Ergreifung ungewöhnlicher gesetzlicher Maßnahmen nicht nur rechtfertigt, sondern gebieterisch fordert. Wie dem Gerichtshof aus der Rede von Justice Jackson in Erinnerung sein wird, gibt es in der Tat eine ganze Reihe von Präzedenzfällen für das Verfahren, um dessen Anwendung wir Sie ersuchen. Wenn Sie die Überzeugung gewonnen haben, daß diese Organisationen als Ganzes verbrecherisch sind, daß die überwiegende Mehrheit der Mitglieder dieser Organisationen die verbrecherische Politik der Nazi-Parteiführer mit Wissen und [196] Willen unterstützt und ihre verbrecherische Betätigung mitgemacht hat, dann ist es nach dem Statut Ihre Pflicht, sie für verbrecherisch zu erklären.

Seien Sie dessen eingedenk, daß die Pflicht, die Ihnen das Statut auferlegt, Ihren Pflichten gegenüber Deutschland, Europa und der Welt entspricht.

Das Prinzip, auf Grund dessen die Verurteilung gefordert wird, ist klar. Es ist die praktische Anwendung der gesunden Theorie der Strafe, die wir in unserer Jugend, und zwar unter anderem auch von dem großen deutschen Denker Kant gelernt haben. Wenn Menschen die Gesellschaft lediglich als ein Mittel zu ihrem eigenen Zweck gebrauchen, dann hat die Gesellschaft das Recht, sie aus ihren Reihen auszuschließen. Das große Ausmaß des Problems ist keine Rechtfertigung dafür, es nicht zu lösen. Versagen wir gegenüber dieser rechtlichen Aufgabe, so kann es wohl sein, daß Terror und Rassenhaß sich über einen Kontinent verbreiten, daß zum drittenmal, seit wir erwachsene Menschen sind, ein Weltkrieg ausbricht.

Der Gerichtshof und die Anklagebehörde hatten den Vorzug, die-wenn ich mich so ausdrücken darf-sorgfältig ausgearbeitete und rechtlich durchdachte Abhandlung Dr. Klefischs anzuhören. Ich möchte mir jedoch die Kritik erlauben, daß sie sich von der wesentlichen Aufgabe dieses Stadiums des Prozeßverfahrens, nämlich der Feststellung des Sachverhalts, entfernt. Die ersten 30 Seiten sind in Wirklichkeit ein Angriff auf die Artikel 9 und 10 des Statuts, und es hieße, die Artikel 9 und 10 ad absurdum führen und deren Sinn und Bedeutung ins Gesicht schlagen, wenn aus ihnen der Schluß gezogen würde, daß der Gerichtshof das Wort »kann« in Artikel 9 als Grundlage gebrauchen möge, um auf Grund von a priori-Erwägungen zu erklären, daß keine Organisation verbrecherisch sein kann.

In den folgenden Teilen seiner Erörterung stellt Dr. Klefisch gewisse Behauptungen auf, die ich näher betrachten möchte.

Er stellt die Frage, in welcher Anzahl, auf welche Weise und durch wen Verbrechen begangen werden müssen, damit die Organisationen mit ihnen belastet werden können. Dazu erklären wir, daß in der Praxis die Antwort hierauf keine Schwierigkeiten verursacht. Niemand kann entscheidend festlegen, wieviel Körner einen Haufen bilden, aber ebensowenig kann jemand leugnen, daß er einen Haufen als solchen erkennt. Es ist auch leicht, an Hand von Vernunftgründen zu entscheiden, welche Verbrechen unter die allgemeinen Ziele der Organisation fallen. Die Behauptung, daß im Falle jeder Organisation gewisse Verbrechen sozusagen typisch sind und sich immer wiederholen, wird von der Anklagebehörde nicht nur angenommen, sondern auch übernommen, und sie lenkt Ihre [197] Aufmerksamkeit auf die Anzahl solcher im Beweismaterial vorhandenen typischen und sich wiederholenden Verbrechen.

Ebensowenig findet man irgendwelche Schwierigkeit in den Worten »in Beziehung zu einem einzelnen Angeklagten«. Wenn man sagt, es entspreche nicht Artikel 9, wenn ein einzelner Angeklagter sein Verbrechen in einer anderen Eigenschaft, denn als Mitglied der Organisation begangen hat, so heißt das, diesen Fall in einem nicht bestehenden leeren Raume betrachten. Der Schwerpunkt der Anklage liegt ja gerade in der Tatsache des Ineinandergreifens von Einzelpersonen und Organisationen, wodurch das gemeinsame Ziel der Herrschaft nach innen und außen überall in Erscheinung tritt.

Ebenso bestreiten wir energisch die Behauptung, eine Anzahl Mitglieder sei sich des verbrecherischen Zieles der Organisationen nicht bewußt gewesen. Lassen Sie uns doch ein für allemal die gekünstelte Behauptung entkräften, daß große Teile der Mitglieder der Nazi-Partei mit Scheuklappen herumgelaufen seien. Dies ist eine Verdrehung der Tatsachen und eine Beleidigung Ihrer Intelligenz.

Wir stimmen mit Dr. Klefisch überein, daß Nichtbeteiligung an Verbrechen laut Artikel 6 des Statuts und der mangelnde Wille, die Politik und die Tätigkeit der Organisation zu unterstützen, die Voraussetzungen für die Unschuld sind. Grundlage unseres ganzen Vorbringens ist – um Dr. Klefischs eigene Worte zu gebrauchen – die Tatsache, daß »die Mitglieder den Organisationen und den Nazis untergeordnet waren und ständig für deren Ziele gearbeitet haben«.

VORSITZENDER: Wäre das ein geeigneter Zeitpunkt zu unterbrechen, oder wollen Sie fortfahren, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft.


[Das Gericht vertagt sich bis

29. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 22, S. 147-199.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon