Heinrich, armer

[391] Heinrich, armer, heisst der Held einer von Hartmann von Aue poetisch bearbeiteten Legende, deren lateinische Quelle noch nicht gefunden worden ist. Heinrich von Aue, ein Ritter desjenigen Geschlechtes, dem der Dichter selber als Dienstmann angehörte, lebt im Vollgenusse höchsten Erdenglückes, als er von einem Aussatz befallen wird. Alle Rettung scheint vergeblich; auch das Mittel, mit dem ihn ein Arzt zu Salerno bekannt macht, nämlich das freiwillig für ihn vergossene Herzblut einer reinen Jungfrau, scheint ihm unerreichbar, und er verschenkt deshalb seine Güter an Verwandte, Arme und Gotteshäuser und behält für sich nur einen Meierhof, wo er vom Meier und dessen Frau und einer achtjährigen Tochter christlich verpflegt wird. Nach vier Jahren erst teilt der arme Heinrich seinem Meier mit, was der Salernitanische Arzt ihm gesagt, und diese Nachricht macht auf die Jungfrau einen solchen Eindruck, dass sie sich entschliesst, sich für ihren Herrn zu opfern. Mit Mühe bringt sie die Eltern zur Einwilligung in ihr Vorhaben und zieht darauf mit dem Kranken nach Salerno. Schon ist der Arzt bereit, dem Mädchen das Herz auszuschneiden, als Reue und Mitleid den Herrn ergreift, dass er sich unter dem schweren Joche der Krankheit zu bleiben entschliesst. Gott aber belohnt die Opferfreudigkeit des Mädchens und die christliche Untergebung ihres Herrn in sein Verhängnis dadurch, dass er Heinrich auf dem Rückwege heilt. Die Legende schliesst damit, dass Heinrich wieder zu Gut und Ehren gelangt und die Jungfrau zu seiner Gemahlin annimmt.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 391.
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