Perrücken

[762] Perrücken waren schon in Rom in der späteren Kaiserzeit gebräuchlich; sie verschwinden jedoch – wenigstens im Abendlande – vom Schauplatze, bis sie im 15. Jahrhundert am burgundischen Hofe auftauchen. Das Bestreben, lange Haare zu tragen und diese durch Wickel, Brennen und Einölen zierlich zu kräuseln, liess diejenigen, denen die Natur den starken Haarwuchs versagt hatte, auf den Gedanken kommen, das Fehlende künstlich zu ersetzen. So nahmen sie zu dem »falschen Haare« ihre Zuflucht. Der Name »Perrücke«, franz. perruque, engl, periwig, findet sich zuerst bei Brantôme um 1570. Am beliebtesten waren die blonden Perrücken, wie denn überhaupt die blonden Flechten für die schönsten galten; eine Ansicht, die von den französischen Frauen ausgegangen sein soll und für lange Zeit im ganzen Abendlande unangefochten blieb. Die Haare wurden daher nötigenfalls gefärbt und gebeizt. Aber auch die Männer suchten sich auf ähnliche Weise zu schmücken. Nach einem Briefe des italienischen Dichters Marino trugen um 1615 in Paris auch die Männer »auf dem Kopfe einen falschen, aus Haare nachgemachten Kopf« und bald war auch der schönste natürliche Haarwuchs nicht mehr gut genug; die Perrücke war zur Modesache und so für die Leute von Stand zum Bedürfnis geworden, dass um die Mitte der fünfziger Jahre das Faktotum seiner Zeit, Ludwig XIV., nicht nur selbst zur Perrücke griff, sondern auch gleichzeitig 48 Hofperrückenmacher ernannte und für Paris und die Vorstädte eine eigene Körperschaft von 200 Perruquiers ernannte, von welcher die durch des Königs Leib-perruquier Binette um 1670 erfundene »binette (grand infolio)« getreulich nachgeahmt wurde. Sie kostete bis 1000 Thaler und war also nicht jedermanns Kauf; aber wer sie nicht so köstlich aus Menschenhaaren konnte verfertigen lassen, der begnügte sich mit einer kleineren, die auch nötigenfalls aus gesottenen Pferde- oder Ziegenhaaren hergestellt sein durfte. Bei der Nachahmungssucht der Nachbarvölker fehlte es nicht, dass in kurzer Zeit der französische Geschmack auch hierin ringsum Anklang fand.

Als Amtstracht erscheint die Perrücke besonders bei den Advokaten; doch suchten sich auch zu wiederholten malen und nicht ganz ohne Frfolg Geistliche das Recht des Tragens einer »bescheidenen Perrücke« auszuwirken, wie sehr auch eben ihre Synoden die neue Mode als lächerlich und sündhaft erklärten und mit scharfen Erlassen gegen dieselbe ankämpften. Auch Schriftsteller leisteten das Menschenmögliche, aber nicht mit mehr Erfolg. So schreibt Michael Freund in seinem »Alamode-Teuffel« um 1682: »Heutiges Tages regieret auch ein besonderer Haar-Teuffel bey den Mann- und Weibspersonen, sie führen damit einen sonderlichen Pracht, lassen dieselben weiss, gelb, bleich, roth, braun färben, mit besonderen Zangen kräusen, auffreihen und puffen. Wie viel tausend und aber Reichsthaler werden vor Paruqven bezahlet? die mancher gar wohl entrathen könnte, weil er sonst Haar genug auff seinem Kopffe hat. Wie viel hundert Dukaten verstieben mit dem Haarpouder? Die stinkende Perrücke bestreuet mancher mit köstlichem Poudre de Cypre, also dass er eines Müllers Sohn nicht ungleich siehet; oder man doch zum wenigsten vermeinen sollte, dass er den Kopff im Meelsacke gehabt hätte. Vor andern hat der Alamodische Haar-Teuffel sein Spiel mit den Alamodischen Locken, so man über die Stirn und Gesicht herunterhangen[762] lässet, wie die lockete Wasserhund, mit sonderbaren Haarhauben, so von frembden Haar gemachet, und auff das Haupt, als wenns natürlich Haar, gesetzet werden, lassen ihnen güldene Feilspäne darein streuen, auch wohl gar Gold darein flechten«; u.s.w.

Nach Weiss, Kostümkunde.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 762-763.
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