Carmenta

[634] CARMENTA, æ.

1 §. Namen. Diese vermeynte Göttinn hieß auch Carmentis, Virgil. Aen. VIII. v. 336. und hat solchen Namen, er werde ausgesprochen, wie er wolle, nach einigen, von Carmen, weil sie als eine Wahrsagerinn ihre Prophezeihungen in Versen von sich gab; Plutarch. Quæst. Rom. c. 56. p. 278. T. II. nach andern aber von Cano, weil sie ihre Weißagungen sang, Serv. ad Virg. l. c. und nach den dritten, weil sie, als eine Wahrsagerinn, caruerit mente, da dergleichen Person durch den Geist gleichsam außer sich selbst und von Sinnen gebracht wurde. Plutarch. l. c. Wie sie demnach diesen Namen nur erst von ihrem Weißagen bekommen; also soll sie auch, nach einigen, [634] eigentlich Nicostrata, Serv. ad Virgil. l. c. nach andern aber Themis geheißen haben. Dionys. Halicarn. A. R. lib. I. c. 3. Verschiedene glauben auch, daß sie nicht so wohl den Namen von den Carminibus, sondern die Carmina den ihrigen von ihr bekommen; da denn Carmenta auch ihr eigentlicher Namen könnte gewesen seyn. Aurel. Vict. de O. G. R. c. 5.

2 §. Herkommen und Wesen. Einige geben sie für des Ionius, (wo nur solcher Namen nicht falsch ist,) eines Königes in Arkadien, Vives ad Augustin. de C. D. lib. IV. c. 11. andere aber selbst für des Mercurius Serv. ad Virgil. Aen. VIII. v. 130. Tochter an. Man nennet sie eine Nymphe, Virgil. ib. v. 339. & Dionys. Hal. lib. I. c. 3. nicht, daß sie dergleichen wahrhaftig gewesen, sondern weil sie eine Weißagerinn abgegeben. Serv. ad Virgil. l. c.

3 §. Verrichtungen und Erfolg. Nachdem sie mit dem Mercurius den Evander gezeuget, so gieng sie mit dem selben nach Italien, und dienete daselbst den Leuten mit ihrem Weißagen. Dionys. Hal. lib. I. c. 3. & Liuius lib. I. c. 7. Nicht minder machete sie aus den griechischen Buchstaben die lateinischen, Hygin. Fab. 277. und erhielt dafür die Ehre, daß sie nach ihrem Tode mit unter die Göttinnen gezählet wurde. Man richtete ihr nicht allein einen Altar zu Ehren auf, Virgil. Aen. VIII. v. 337. & ad eum Serv. l. c. sondern nannte von solchem auch das eine Thor zu Rom Portam Carmentalem. Id. ib. v. 338. Als aber nach der Zeit der römische Rath dem Frauenvolke verboth, keine Kutschen mehr zu brauchen, so verdroß es diese dergestalt, daß sie nicht mehr thun wollten, was Eheweibern zukam. Weil es nun dadurch an Volke in Rom endlich würde gefehlet haben, und der Rath daher ihnen also wegen der Kutschen ihren Willen lassen mußte: so hielten sie sich nicht nur mit Darstellung junger Mannschaft desto hurtiger, sondern errichteten auch insonderheit der Carmentä einen besondern Tempel. Plut. Quæst. Rom. c. 56. p. 278. T. II. Es stund [635] solcher in der achten Region der Stadt, Merula Cosmogr. P. II. lib. IV. c. 22. p. m. 457. scheint aber doch nicht so gar viel auf sich gehabt zu haben, weil ihn einige auch nur eine Capelle nennen. Ovid. Fast. I. v. 629. Indessen wurden ihr zu Ehren doch die Carmentalia gefeyret, Varro de L. L. lib. V. c. 3. welche jährlich den 11ten Jänner einfielen, und den 15 solches Monates wiederholet wurden. Sie hießen Carmentalia secunda, wurden aber mehr der Porrima und Postverta, welche der Carmenta Schwestern waren, als dieser selbst, zu Ehren gefeyret. Rosin. A. R. lib. IV. c. 5. p. m. 251. seq. & Struvius Synt. A. R. cap. 9. p. 434.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 634-636.
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