Endymion

[995] ENDYMĬON, ónis, Gr. Ἐνδυμίων, ωνος, ( Tab. XXVI.)

1 §. Aeltern. Sein Vater war, nach einigen, selbst Jupiter, nach andern aber Aethlius, Jupiters Sohn, und die Mutter Calyce, eine Tochter des Aeolus. Apollod. lib. I. c. 7. §. 5.

2 §. Stand und Thaten. Nach einigen war er ein Hirt, Heraclit. de Incred. c. 38. nach andern aber ein Jäger, Schol. ad Theocr. ad Idyll. III. v. 49. und, nach den dritten, ein König in Elis, Pausan. Eliac. prior. c. 1. p. 287. & Ibycus ap. Schol. Apollon. ad l. c. wohin er sich mit einer Colonie aus Thessalien begab. Pausan. l. c. Da ihm Jupiter eine freye Bitte gewährete, so ersuchte er ihn, daß er ihm, nebst der Unsterblichkeit [995] und beständigen Jugend, einen immerwährenden Schlaf vergönnen möchte. Apollod. lib. I. c. 7. §. 5. Einige wollen wissen, er sey dem Jupiter wegen seiner Gerechtigkeit so lieb gewesen, Ibycus ap. Galeum ad Apollod. l. c. daß er ihm dergleichen Bitte zugestanden, wogegen andere wollen, daß er ihn gar mit in den Himmel genommen. Weil er sich aber da in die Juno verliebet, so habe ihn Jupiter in einen ewigen Schlaf fallen lassen. Schol. Theocr. ad l. c. & Auctor Magna. um Eoarum itemque Epimenides ap Schol. Apollon. ad h. l. Er soll in einer Höhle auf dem Berge Latmus, in Karien, gelegen haben. Cic. Tuscul. I. c. 38. p. 1116. b. Weil er von einer sonderbaren Schönheit gewesen, so soll er selbst von der Selene, oder dem Monde, aufs heftigste seyn geliebet worden. Apollod. l. c. & Hygin. Fab. 271. Man hat noch ein altes Gemälde, auf welchem sie von einem Amor am Arme zu ihm geführet wird. Sie hat einen großen röthlickten Mantel um sich, der zum Theile um sie herumflattert, zum Theile auch sie einhüllet, jedoch so, daß der rechte Arm und der Obertheil des linken, um welche sie Armbänder hat, nebst dem Vordertheile des Leibes bis auf die Mitte bloß bleibt. Sie scheint auf den Zehen zu gehen, und hat ihr Haar vorn zierlich zusammen gebunden, hinten aber aufgelöset und fliegend. Endymion sitzt unter einem Baume auf einem Steine und schläft, worauf auch sein rechter Arm ruhet, in dessen Hand er zween mit der Spitze unterwärts gekehrte und in der Mitte zusammengebundene Wurfspieße hält. Er ist fast ganz nackend, und hat bloß einen röthlichen Mantel etwas um den rechten Arm und Schenkel hängen. Sein Haar, das mit einer Binde umschlungen ist, fällt ihm etwas über die Schultern, und unsern von ihm sieht man den abnehmenden Mond untergehen. Pitture ant. d'Ercol T. III. tav. III. Sie vermischete sich auch mit ihm, und soll er bis funfzig Töchter mit derselben gezeuget haben. Pausan. l. c. Andere hingegen geben vor, daß Luna mit ihm mehr nicht gethan, als daß sie ihn in [996] seinem Schlafe geküsset, ohne daß er davon jemals erwachet. Cic. l. c. Man sieht ihn noch auf einigen alten Denk maalen in der Gestalt eines Schlafenden, und die Diana oder Selene neben ihm. Montf. antiqu. expl. T. I. P. I. tav. 92. n. 4. Indessen soll er doch unter seinen dreyen Söhnen in Olympia ein Wettlaufen angestellet haben, wer von solchen ihm dereinst folgen solle, da denn Epeus den Preis erhalten: er selbst aber soll hernachmals bey den Eleern begraben worden seyn, die wenigstens dessen Grabmaal zeigen wollten. Pausan. l. c. & Eliac. poster. p. 382. Die Herakleoten aber stimmen mit dessen Tode nicht überein, sondern sagen, er habe sich auf den Berg Latmus begeben, wo man lange noch dessen Höhle wies. Id. Eliac. prior. p. 288.

3 §. Familie. Seine Gemahlinn war, nach einigen, Asterodia, nach andern aber Chromia, Itons Tochter, mit welcher er den Päon, Epeus und Aetolus, nebst einer Tochter, der Eurycyde, zeugete. Pausan. Eliac. prior. c. 1. p. 287. Einige machen auch die Hyperippe zu dessen Gemahlinn, und wie einer seiner Söhne auch Phthir, also soll eine seiner Töchter Pisa geheißen haben, von welcher der Ort Pisa, in Elis, den Namen bekommen. Nat. Com. lib. IV. c. 8. So wollen auch einige, daß er den Aetolus mit der Seide, einer Nymphe, gezeuget, Conon. Narrat. 14. und noch andere geben ihm auch einen Sohn; welcher Aethlius, Schol. Pind. & Tzetz. ad Hesiod. ap. Muncker. ad Hygin. Fab. 271. und wiederum einen andern, der Naxus geheißen, von welchem die Insel Naxus den Namen bekommen haben soll. Steph. Byz. in Νάξος.

4 §. Eigentliche Historie. Da die Könige ehemals vielfältig Hirten der Völker, ποιμένες λαῶν, genannt wurden, so kann es daher gekommen seyn, daß er bald für einen König, bald für einen Hirten angegeben wird. Weil er nun sein Jagen, wovon er zugleich ein Liebhaber war, insgemein des Nachts beym Mondenscheine anstellete, so wurde daher vorgegeben, daß er [997] von dem Monde geliebet werde. Schol. Theocr. ad Idyll. III. v. 29. & Schol. Apollon. ad lib. IV. v. 58. Doch wollen andere lieber, daß er ein besonderer Sternkundiger gewesen, und zuförderst den Lauf des Mondes am ersten auf dem Berge Latmus genau beobachtet habe. Plin. H. N. lib. II. c. 9. Weil er nun solches des Nachts über gethan, am Tage aber dargegen geschlafen, daß ihn also andere Leute Kohl schlafen, aber niemals wachen gesehen, weil sie alsdenn selbst geschlafen, wenn er gewachet, so haben sie geglaubet, daß er stets schlafe; Anonym. de Incred. c. 12. oder da er ganzer dreyßig Jahre über nichts gethan, als diesen seinen Mondsbetrachtungen obgelegen, so hat man vorgegeben, daß er so lange geschlafen. Mnaseas ap. Fulg. Myth. lib. II. c. 19. Sie ihn für einen bloßen Hirten ansehen, glauben, daß er des Nachts sein Vieh gehütet, und dargegen am Tage geschlafen, daher sie denn vorgegeben, er habe stets geschlafen. Schol. Theocr. ad l. c. Daß ihn Luna geliebet haben soll, deuten einige auf ein gewisses Frauenvolk, welches, da einer sie gefraget, wer sie sey, ihm geantwortet, sie sey die Selene, oder der Mond. Heraclit. de Incredib. c. 38. Sie kann auch wohl so geheissen haben, ohne daß sie der Mond gewesen, welcher sonst Cηλήνη im Griechischen heißt. Es wollen aber auch einige wirklich zwo verschiedene Personen aus ihm machen, deren die eine König zu Elis, die andere aber ein berühmter Schäfer auf dem Berge Latmus gewesen; daher denn die Eleer und Herakleoten bald zu vergleichen sind. Palmerii descr. ant. Græciæ. p. 113.

5 §. Anderweitige Deutung. Einige machen ihn zu einem Bilde eines Hofbedienten und Ministers, wie sie große Fürsten und Herren haben, nämlich nicht zu scharfsichtig und neugierig, wohl aber geduldig, gehorsam, und die sich um mehr nicht, als sie an geht, bekümmern. Denn dergleichen lieben sie, und lassen sich von dem Throne ihrer Majestät und Hoheit zu ihnen herunter, wie der Mond von [998] dem Himmel, zu dem Endymion, weil sie glauben, daß sie mit dergleichen sicher und vertraut umgehen können, welche denn insgemein auch ihre Höhlen, d.i. ihre angenehmen Einsamkeiten, Gärten, Lusthäuser u.d.g. haben, wo sie ihre Fürsten belustigen können, wovon sie denn wieder ihren Nutzen und Zugang genießen, wie etwan des Endymions Schafe bey seinem Umgange mit dem Monde, an Zahl und andern Umständen ungemein zunahmen. Baco Verulam. de Sap. Vet. c. 8. Jedoch deuten auch einige diese Liebe des Mondes gegen ihn auf den Nachtthau aus, der von der Wirkung solches Gestirns herkomme, und den Hirten sehr zuträglich sey. Fulgent. l. c. Allein, bey dem allen hat doch sein vorgegebener Schlaf gemacht, daß Endymion zuweilen so viel, als ein sehr fauler und verschlafener Mensch heißt, Aristot. ap. Erasm. Adagior. p. 665. Doch bedeutet er, wegen seiner Schönheit, auch wohl so viel, als einen son, derbar schönen Menschen. Iuvenal. Sat. X. v. 381.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 995-999.
Lizenz:
Faksimiles:
995 | 996 | 997 | 998 | 999

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon