Genivs

[1142] GENIVS, ii, ( Tab. X.)

1 §. Namen. Dieser stammet von dem alten lateinischen Worte Geno für Gigno her, und ist diesem vermeynten Gotte gegeben worden, entweder weil er alsofort einen jeden nach seiner Zeugung in seinen Schutz nehmen soll, Varro ap. Becmann. de Orig. LL. in Gigas. s. p. 508. oder weil er uns selbst zeuget, oder mit uns gezeuget wird; Apuleius ap. eumd. l. c. oder weil er von Gotte die Vorsorge für die Dinge haben soll, welche in der Welt gezeuget werden. Nat. Com. lib. IV. c. 3. cf. Dempster. ad Rosin. lib. II. c. 14.

2 §. Aeltern. Einige geben für seinen Vater den Jupiter, für die Mutter aber die Erde an, welche ihn geboren, da dem Jupiter im Schlafe [1142] entgangen, was zu seiner Hervorbringung nöthig war, wobey er denn beyderley Geschlecht hatte. Pausan. Ach. c. 17. p. 430. cf. Nat. Com. lib. IV. c. 4. Wie aber solches insonderheit nur von dem Agdistes zu verstehen; also melden andere überhaupt, daß er ein Sohn der Götter, und ein Vater der Menschen sey. Aufustius ap. Lud. Vivem ad Augustin. de C. D. l. VII. c. 13.

3 §. Wesen und Unterschied. Man glaubete, daß die Genii einer mittlern Naturzwischen den Göttern und Menschen wären. Plutarch. de orac. def. 23. p. 415. T. II. Opp. So bald ein Mensch gezeuget oder doch gebohren werde, so würden ihm sofort auch zween Genii zugegeben, von denen der eine ein guter oder weißer, der andere aber ein böser oder schwarzer sey. Horat. lib. II. Epist. 2. v. 189. & ad eum Desprez. l. c. Serv. ad Virg. Aen. VI. 743. Jener soll dem Menschen lauter gute Gedanken und Einschläge geben, ihn behüten und zu allem Guten leiten: dieser aber in allem das Widerspiel thun. Coqueus ad Aug. de C. D. l. VII. c. 13. Anonym. ap. Nat. Com. Append. p. 65. & Gyrald. Synt. XV. p. 435. sqq. Nach dem nun einer einen stärkern oder schwächern Genium hat, als der andere, nach dem soll er auch dem andern überlegen seyn, oder nachstehen. Plutarch. in Anton. c. 19. p. 930. T. I. Opp. & de Orac. defectu. c. 23. l. c. Indessen finden sich doch solche Genii nur bey den Männern; und die bey dem Frauenvolke heißen Iunones: Plin. H. N. l. II. c. 8. & ad eum Dalechamp. l. c. Dempster. ad Rosin. l. II. c. 14. beyde aber verharren bis an das Ende bey einem Menschen, und geben Dolmetscher und Bothen derselben bey den andern Göttern ab. Plutarch. de isid. & Osir. p. 361. T. II. Opp. Bey dem Absterben eines Menschen aber sind sie behülflich, daß selbiger entweder zu einem bessern, oder zu einem schlimmern Leben gelange. Serv. & Donat. ad Virgil Aen. VI. 743. Nach andern sollte ein jeder Mensch deren nur einen haben. Censorin. de die nat. c. 3. Iamblich. de myster. Sect IX. c. 6–9. Dieser überliefert den Menschen dem Gerichte, und tadelt [1143] ihn, wenn er auf die Frage des Richters nicht der Wahrheit gemäß antwortet, lobet ihn aber auch, wenn das, was er saget, wahr ist. Nach seinem Beyfalle also wird das Urtheil über den Menschen ausgesprochen, da er auch die geheimsten Gedanken desselben weis. Apulej. de deo Socrat. p. 691. Sonst sollte es außer diesen Schutzgeistern besonderer Personen noch andere für ganze Häuser, Zünfte, Innungen, Städte und Länder geben. Dalechamp. l. c. Gruter. & Reines. Inscript. passim. Insonderheit hatte die Stadt Rom dergleichen, dessen goldene Bildsäule in der VIII Region derselben zu sehen war. Nardin. lib. V. c. 14.

4 §. Bildung. Er wurde, so fern er der Genius eines besondern Ortes war, als eine Schlange gebildet. Isidor. Orig. l. XII. c. 4. Dergleichen sieht man noch auf einem alten Gemälde, wo sie sich um einen Altar herum windet, und einige auf demselben liegende Früchte frißt. Pitture ant. d'Ercolano. T. I. tav. 38. Sonst wird er bald als ein Knabe mit einem Kleide voller Sterne, einem Kranze von Blumen, oder auch Blättern, von dem Maßholderbaume auf dem Kopfe, und einem Füllhorne in den Händen, vorgestellet. Chartar. Imag. 73. Zuweilen ist er da bey geflügelt; und hat noch andere Merkmaale, die ihn als den Schutz geist dieser oder jener Sache kenntlich machen. Also hat der Genius des Kriegesheeres einen Helm auf dem Kopfe, und neben sich ein Kriegeszeichen. Montfauc. ant. expl. T. I. P. II. p. 318. t. 200. Der Genius der Poesie auf seinem geschnittenen Steine ist geflügelt, und hat den Greif neben sich stehen, der nach ihm hinauf sieht, so wie er nach ihm hinunter. Mit der rechten Hand hält er oben die Leyer, die er auf einen Dreyfuß gestellet hat, der auf einem Quadersteine steht. Mariette des pier. grav. T. II. t. 17. Bald wird er als ein Mann mit einer hangenden Peitsche in der einen, und einer Schale, die er über einen Altar hält, in der andern Hand, gebildet. Voss. Theol. gent. l. IX. c. 28. Wie aber [1144] dieses die Bildung des guten Genius war: also erschien der böse dem Brutus in Gestalt eines großen und fürchterlichen Mannes, Plutarch. in Bruto c. 20. p. 1000. T. I. Opp. dem Cassius als dergleichen von außerordentlicher Große, großem Barte und langen zottichten Haaren; Valer Max. l. I. c. 7. §. 7. und zu Temissa ließ er sich als eine schwarze häßliche Mannsperson sehen, die außer dem noch mit einer rauchen Wolfshaut bekleidet war. Pausan. El. poster. c. 6. p. 355.

5 §. Verehrung. Seinem Genius erwies ein jeder seine Ehre, insonderheit an seinem Geburtstage, indem er ihm so dann nicht allein mit Blumen und Weine, Horat. l. II. Ep. I. v. 144. sondern auch mit Weihrauche opferte. Tibull. l. IV. El. V. v. 9. Es durfte dabey aber kein Opfer geschlachtet werden, weil es unrecht zu seyn schien, an solchem Tage, woran einer das Leben bekommen, dasselbe einem Thiere zu nehmen. Varro & Censorin. ap. Voss. Theol. gent. l. IV. c. 28. Ihm war insonderheit der Maßholderbaum geheiliget. Voss. l. c. Den Schutzgeistern der Oerter wurde auf einem Altare von grünem Rasen far salsum geopfert. Calpurn Sic. ap. eumd. l. c. Was bey dem Genius eines Kaisers geschworen wurde, mußte unverbrüchlicher gehalten werden, als wenn man bey dem Jupiter selbst geschworen hatte. Tertull. Apologet. c. 28. & Minut. Felix Octav. c. 29. §. 7. Einige Könige wollten den Tempel, der zu Athen für den olympischen Jupiter angefangen worden, dem Genius des Kaisers Augusts vollends ausbauen. Sueton. August c. 60. & ad eum Torrent. & Casaub. l. c. Vermuthlich aber hat er solches aus Bescheidenheit selbst nicht zugelassen. Dagegen hatte man dem Schutzgeiste des römischen Volkes seinen besondern Tempel zu Rom selbst erbauet, Dio Coccejus ap. Dempster. ad Rosin. l. II. c. 14. und was dergleichen mehr war.

6 §. Deutung. Nach einigen ist eines Menschen Genius nichts anders, als dessen Animus, Augustin. de C. D. l. VII. 13. nach andern aber, der einem[1145] von Gotte bey seiner Geburt zugegebene Schutzengel. Coqueus ad Augustin. l. c. Manche halten ihn für die Symmetrie eines jeden Dinges, durch welche solches erhalten werden muß, und andere für den Einfluß der Planeten. Nat. Com. lib. IV. c. 3. Einige geben ihn insonderheit für den wirkenden Verstand bey dem Menschen an. Knipping. A. R. l. II. c. 2. §. 3. Allein, da gleichwohl auch die Berge, Sümpfe, Seen, Brünnen, Thäler, Hayne, Wälder, Städte, Volker, Länder u.s.f. ihre Schutzgeister sollen gehabt haben, so wird am sichersten zu glauben stehen, daß alles nur ein erdichtetes Wesen gewesen, die Menschen damit desto mehr in Furcht zu setzen, und von den Lastern abzuhalten, hingegen zu dem Guten anzutreiben.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1142-1146.
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