Parcae

[1879] PARCAE, arum, Gr. Μοῖραι, ῶν, ( Tab. I.)

1 §. Namen. Ihren lateinischen Namen sollen diese Göttinnen, nach einigen, von Partus, die Geburt, haben; Varro ap. Gell. l. III. c. 16. wogegen andere ihn wahrscheinlicher von parco, ich schone, herleiten; und zwar entweder durch Gegensatz, weil sie gar nicht schonen. Apuleius, Servius & alii op. Voss. Etym. in Parcos, p. 430. oder, weil sie allerdings schonen, indem nur eine den Lebensfaden abschneide, zwo aber zu dessen Erhaltung dienen, und also die Benennung von der mehrern Zahl herrühre Iul. Cæs. Scalig. op. eumd. l. c. Noch andere machen zum Stammworte partior, ich theile, daß also Parca so viel, als Parta heisse, und solches daher, weil sie einem jeden sein Lebensstück ab und zutheileten. Vossius ipse l. c. Wenigstens geht auch ihr griechischer Namen eben dahin, als welcher von μείρω herkömmt, das eben so viel, als partior, heißt. Cleric. ad Hes. Theog. v. 217. Es ist daher etwas gezwungenes, wenn andere ihn von μὴ, nicht, und ὀρωμένη, was gesehen wird, zusammen stoppeln, weil die Zutheilung dessen, was Gott einem jeden bestimmet, unbekannt und verborgen sey. Phurnut. de N.D. c. 13. Sie hießen aber im Griechischen auch wohl Κατακλῶθες, die Abspinnerinnen, weil man sich die ganze Dauer des menschlichen Lebens als einen an einander hängenden Faden vorstellete. Hom. Od. Η. 197. Noch andere führen, ihrer Gewohnheit[1879] nach, den lateinischen Namen lieber gar aus dem Phönicischen her, als woselbst parak so viel, als er hat zerrissen, heißt, daß also Parka so viel als eine ist, die etwas abreißt, welches insonderheit Atropos, jedoch mit ihrer Schwestern Genehmhaltung, thut. Cleric. l. c. Eben so soll auch ihr anderer griechischer Namen, da sie Κῆρες heissen, Hesiod. l. c. von dem phönicischen Kor, Kälte, herkommen, und so viel als den Tod bedeuten. Cleric. l. c.

2 §. Aeltern. Nach einigen waren diese Jupiter und Themis. Hes. Theog. v. 901. & Apollod. l. I. c. 3. §. 1. Andere machen sie nur zu Töchtern der Nacht. Hesiod. ib. v. 217. & Orpheus Hymn. LVIII. v. 1. Nach den dritten stammen sie von der Ἀνάγκη, Nothwendigkeit, her; Plato de Repub. l. X. p. 763. nach den vierten vom Erebus und der Nacht zusammen, Hygin. Præf. p. 2. und nach den fünften wiederum allein von dem Meere. Lycophron v. 144.

3 §. Anzahl und besondere Namen. Insgemein werden ihrer drey gezählet, nämlich Klotho, Lachesis und Atropos. H. siod Theog. v. 901. Apollod. l. I. c. 3. §. 1. Orpheus, Hygin. alii. oder, wie sie einige auch ganz anders nennen, Nona, Decima und Morta. Cæsell. Vindex ap. Gell. l. III. c. 16. Diesen fügen andere noch die himmlische Venus bey, welche die älteste unter ihnen gewesen seyn soll, Pausan. Att. c. 19. p. 33. imgleichen die Fortuna, als die mächtigste unter ihnen, Id. Ach. c. 26. p. 451. und die Lucina, Eylinon, oder Pepromene, die wenigstens auch noch für älter, als Saturn selbst, angegeben wird. Id. Arcad. c. 21. p. 487.

4 §. Wesen und Verrichtung. Sie waren die Göttinnen, in deren Händen das Schicksal, und also auch das Leben eines jeden Menschen stund. Hesiod. Theog. v. 905. Ihre Gewalt war unendlich groß. Iul. Firm. ap. Gronov. ad Gell. l. III. c. 16. Selbst Jupiter nebst den übrigen Göttern befand sich unter derselben. Lactant. Instit. l. I. c. 11. §. 14. Jedoch sollen sie nicht weniger Dienerinnen desselben gewesen seyn; daher er denn auch der Parzenführer [1880] hieß. Pausan. El. prior. c. 15. p. 315. Nach andern aber stunden sie unter des Pluto Befehle. Fulgent. Mythol. l. I. c. 7. Sie hielten sich in einer hohen Höhle auf, von dar sie aller Menschen Handlungen beobachten und sich alsofort zu selbigen begeben konnten. Orph. Hymn. LVIII. v. 2. Andere geben ihnen das Thal unten am Parnasse zum Aufenthalte, und machen sie alle drey noch zu Jungfern. Hom. Hymn. in Mercur. 552. Klotho hielt von ihnen einen Rocken, Lachesis spann von solchem einen Faden, und wenn selbiger so lang war, als er seyn sollte, so schnitt ihn Atropos mit einer Scheere ab, nach dem bekannten Verse:


Clotho fert fusum, Lachesis rotat, Atropos occat:


Ap. Omeis Mythol. in Parcæ; oder wie ihn andere aussprechen:


Clotho colum, gestat, Lachesis net, Atropos occat.


Wagenseil. Mythol. vet. p. 45. Nach andern redet oder dictiret die eine, die andere schreibt, und die dritte spinnt oder führet es aus. Serv. ad Virg. Aen. I. 26. Sie saßen aber auch gleichsam mit in Jupiters Kanzeley, und schrieben alle dessen Urtheile auf, welche eines jeden Menschen Schicksale enthielten. Capella ap. Mun cker. ad Fulgent. l. I. c. 7. cf. Gronov. ad Gell. l. c. Diese waren hernach unveränderlich. Phurnut. de N.D. c. 13. Daher ließen sich denn die Parcen durch kein Flehen oder irgend ein Bitten bewegen und auf einen andern Sinn bringen. Hes. Theog. v. 221. Es konnte auch niemand seinem Schicksale, auf einige Art und Weise, entgehen. Homer. Il. Ζ. v. 488. Indessen verstatteten sie doch der Ceres, dem Bacchus, Herkules, Asklepius, Protesilaus, Theseus, Hippolytus, und einigen andern den Rückweg aus der Hölle. Hygin. Fab. 251. Sie erfanden außerdem die Buchstaben A. B. H. T. I. und Y. Id. Fab. 277. besänftigten die Ceres wieder, als selbige, wegen Entführung der Proserpina, sich des Getraidebaues nicht mehr annehmen wollte; Pausan. Arcad. c. 42. p. 523. und in dem Gefechte der Riesen mit den Göttern erschlugen sie den [1881] Thoon mit eisernen Knütteln. Apollod. l. I. c. 6. §. 2. Sie berückten auch den Typhon, indem sie ihm einige Früchte vorsetzeten, mit der Versicherung, er werde davon stärker werden, denn zuvor, wodurch er sich aber aufhielt, daßihn Jupiter wieder einholete, und hernach vollends erlegen konnte. Idib. §. ult.

5 §. Bildung. So fern sie Klotho, Lachesis und Atropos sind, werden sie gebildet als drey alte Frauen, mit weissen wollenen Binden oder Vittis um den Köpfen, wie auch mit dergleichen, allein mit Purpur unten umher eingefaßten Kleidern. Catull. de Nupt. Pelei & Thet. v. 307. Zwischen ihren Knien hatten sie einen diamantenen Rocken, der von einem Pole bis zu dem andern reichete. Sie saßen in gleichen Weiten auf einem Throne, und fangen bey ihrem Spinnen zugleich nach der Harmonie der Sirenen. Sie trugen Kronen auf den Köpfen, und dreheten die Spindel so, daß sie Klotho mit der rechten Hand, Atropos mit der linken, Lachesis aber mit beyden angriff, wobey denn auch ihre Mutter, die Nothwendigkeit, das Ihrige mit beytrug. Plato de Repub. L. X. p. 763. Chartar. imag. 45. 2. Sonst setzen ihnen auch einige Kränze von Narcissen auf; Chartar. l. c. andere legen ihnen Flügel bey, und bestreuen ihnen die Köpfe mit Mehle; Homer. Hymn. in Mercur. 549. und wiederum andere stellen sie auch als Lahme vor. Lycophr. v. 144. Indessen findet man doch fast keine Abbildung mehr von ihnen auf alten Denkmälern, außer daß man sie auf einem alten Marmor von dem Tode des Meleagers findet, wo sie die Althäa abzuhalten scheinen, daß sie nicht den Brand ins Feuer legen soll. Eine derselben steht mit dem linken Fuße auf einem Rade, die zweyte hält ein Steuerruder im linken Arme, und die dritte soll eine Spindel mit der rechten Hand in die Hohe heben. Sonst sind sie wie ordentliche Frauenspersonen gekleidet, und im Gesichte eben nicht veraltert. Begeri Meleagrides. p. 12.

6 §. Verehrung. Sie hatten ihren besondern Tempel zu Lacedämon, Paus. [1882] Lacon. c. 11. p. 181. und einen Altar in dem Hayne der Eumeniden in dem Sicyonischen, woselbst ihnen fast eben so, wie diesen, geopfert wurde, nämlich trächtige Schafe, Meth und Bluhmen. Id. Cor. c. 11. p. 105. So hatten sie auch einen länglichten Altar zu Elis, Id. El. prior. c. 15. p. 315. zu Rom aber ihren kleinen Tempel in der XI Region, der Stadt, Onuphr. Panin. ap. Rosin. l. I. c. 13. p. 50. und man pflag ihnen ihren Dienst auch mit einem Räuchwerke und Gewürze abzustatten. Orph. Tit. Hymn. LVIII.

7 §. Deutung, sind an sich nichts, als entweder das Schicksal, welches einem jeden Menschen bestimmt ist, oder auch der Lebenslauf eines jeden, nachdem ihm derselbe wiederum von Gotte geordnet ist, wobey denn die eine (Klotho) den Anfang, die andere (Lachesis) den Fortgang, und die dritte (Atropos) den Ausgang desselben bemerket; Lactant. Instit. l. II. c. 10. §. 20. cf. Phurnut. de N.D. c. 13. & Tzetz. ad Lycophr. v. 144. oder aber es bemerket auch Atropos die vergangenen Dinge, welche auf keine Art wieder geändert werden können, Lachesis die zukünftigen, weil solche an zunehmen sind, wie sie nach dem Loose fallen, Klotho aber die gegenwärtigen, die sie vollführet. Aristot. de Mundo p. 867. T. I. Ed. Duval. Apulejus de Mundo p. 755. Sie werden aber für Töchter der Nacht angegeben, weil einem jeden sein Schicksal unbekannt ist, oder auch der Nothwendigkeit, weil dasselbe nicht zu ändern, oder auch abzuwenden steht. Voss. Theol. gent. l. II. c. 45. Lahm aber sollen sie endlich auch seyn, weil das Schicksal jederzeit unordentlich und ungleich sey, und mithin niemals einmal wie das andere komme. Eustath. ap. Potter. ad Lycophr. v. 144. & Tzetz. ad eumd. l. c. Nach andern saß Atropos in dem Sonnenkreise, und breitete den ersten Samen des Lebens über die Erde aus; Klotho hatte ihren Sitz in dem Mondhimmel, und verknüpfete diesen ewigen Samen: Lachesis aber hielt sich auf der Erde auf, und lenkete die [1883] Schicksale, die uns regieren. Plutar. de fato p. 568. T. II. Opp.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1879-1884.
Lizenz:
Faksimiles:
1879 | 1880 | 1881 | 1882 | 1883 | 1884
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Robert Guiskard. Fragment

Robert Guiskard. Fragment

Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.

30 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon