Tiresias

[2377] TIRESIAS, æ, Gr. Τειρεσίας, ου, ( Tab. XXI.)

1 §. Aeltern. Sein Vater war Everes, welchen einige unrecht Eurius, Eurus, od. Eurimus nennen. Muncker. ad Hygin. Fab. 68. Er heißt daher oftmals Εὐηρείδες, Everides. Callim. in lavaer. Pallad. 81. Theocr. Idyll. l. XXIV. 70. Seinen rechten Namen soll er von ἔιρειν, sagen, mit vorgesetztem τ, oder von τείρεα, Gestirne, haben. Dam. Lex. etym. p. 3014. Die Mutter war [2377] Chariklo, eine Nymphe, und er führete dabey sein Geschlecht von dem Udäus her, welcher einer von denen war, die aus den gesäeten Zähnen des kastalischen Drachen entstunden. Apollod. l. IIII. c. 6. §. 7.

2 §. Stand und Schicksal. Er war ein angesehener Mann zu Theben. Als er aber einsmals ein Paar Schlangen sich auf dem Wege begatten sah, so schlug er mit seinem Stabe zwischen sie, und wurde deshalber in eine Frau verwandelt. Allein, als er solche wieder antraf und abermal dazwischen schlug, so wurde er wiederum zu einem Manne. Hesiod. ap. Apollod. l. c. Hygin. Fab. 75. & Anton. Liber. c. 16. Wie darauf Jupiter und Juno in einen Streit geriethen, ob die Manns- oder Frauens personen mehr Wollust in dem Beyschlafe empfänden: so wurde er zum Schiedsrichter erkohren, und da sprach er neun Theile davon der Juno, und nur einen dem Jupiter zu. Dieß verdroß aber die Juno so sehr, daß sie ihn dafür blind machte, und Jupiter ihm dagegen zu seinem Troste die Kunst zu wahrsagen schenkte. Apollod. & Hygin. ll. cc. Phlegon. ap. Meurs. ad Lycophr. v. 682. & Ovid. Metam. III. v. 318. Jedoch geben auch einige vor, Pallas habe ihn des Gesichtes beraubet, weil er sie in seiner Jugend ungefähr, bey seiner Mutter, deren sehr gute Freundinn sie war, im Bade nackend gesehen. Nun suchete zwar jene, ihm das Gesicht von der Göttinn wieder zu erbitten. Weil diese ihm aber solches nicht wieder geben konnte, so schenkete sie ihm dafür nicht nur die Kunst wahr zu sagen, sondern auch einen blauen Stecken, welcher ihm so viel, als die Augen, dienete, weil er vermittelst desselben hingehen konnte, wo er hin wollte. Pherecydes ap. Apollod. l. c. Noch andere melden, er sey deswegen von den Göttern mit Blindheit gestrafet worden, weil er den Menschen ihre Heimlichkeiten entdecket habe. Apollod. l. c. Er soll aber vornehmlich ein Vogeldeuter gewesen seyn. Sophocl. Oedip. Tyr. 492. Cf. Spanhem. ad Callim. hym. in Pall. 121. p. 618. Daher gab man auch [2378] vor, es habe ihm Pallas die Ohrgänge ausgeräumet, damit er alles Zwitschern der Vögel und ihre Gespräche mit einander verstehen könne. Pherecyd. l. c. Desgleichen soll er ein guter Sterndeuter gewesen seyn und vorgegeben haben, einige von den Irrsternen wären weibliches, andere männliches Geschlechtes, welches denn zu der Fabel Anlaß gegeben, daß er selbst beyderley Geschlechter versuchet hätte. Lucian. de Astrolog. p. 851. T. I. Opp. Doch muthmaßet man auch, sie sey davon entstanden, daß er von den Vorzügen der beyderley Geschlechter geschrieben. Ban. Erl. der Götterl. V B. 92 S. Da immittelst die vereinigten Fürsten von Theben kamen, und man sich hier sehr vor ihnen furchte, so sagete er, wenn einer von den Nachkommen derer, die aus dem erwähnten Drachen entsprungen wären, freywillig sein Leben lassen würde, so würde der Feind der Stadt nichts anhaben. Dieß erfolgete auch wirklich, als sich Menökus freywillig über die Mauer der Stadt hinab stürzete. Hygin. Fab. 68. Allein, als nachher die Epigonen ihrer Väter Tod zu rächen suchten, und die Thebaner sehr ins Enge trieben, so rieth er, als man ihn abermals um Rath fragete, die Stadt zu verlassen, welche denn von den Feinden völlig abgebrannt und zerstöret wurde. Diod. Sic. l. IV. c. 68. p. 187.

3 §. Tod. Als er sich mit den übrigen Thebanern in das Tilphosäische flüchtete, und aus einem Brunnen daselbst trank, so starb er so gleich davon. Diod. Sic. l. IV. c. 69. p. 187. Andere sagen, die Feinde hätten ihn mit gefangen bekommen, und dem Apollo nach Delphen schicken wollen, er sey aber auf besagte Art gestorben, als er seinen Durst aus dem Brunnen Tilphosa gelöschet, woselbst auch sein Grab war. Pausan. Bœot. c. 33. p. 592. Er wurde aber sehr alt, weil ihm Jupiter zugleich für sein günstiges Urtheil fünf Menschenalter zugestanden. Callim. in lavacr. Pallad. v. 69 sqq. Agatharchides ap. Meurs. ad Lycophr. v. 682. Nach andern waren es so gar sechs; Lucian. Macrobii, [2379] p. 466. I. II. Opp. ja, man saget auch wohl sieben, Hygin. l. c. bis neun Mannsalter. Tzetz. ad Lycophr. l. c. Cf. Spanh. l. c. v. 128. p. 640. So bewillige ihm auch Proserpina, daß er unter allen Todten allein seinen Verstand behielt und weise blieb. Homer. Odys. Κ. 494. Tzetz. l. c. Cf. Spanhem. l. c. v. 129. Man zog ihn nachher noch häufig zu Rathe, und er hatte lange Zeit zu Orchomenus sein Orakel. Callim. l. c. 125. Pausan. de def. Orac. p. 434. T. II. Opp. Sein Grab war sonst zu Theben zu sehen, welches aber bloß ein Ehrenqrabmaal war. Pausan. Bœot. c. 18. p. 568. Denn er wurde gleich da begraben, wo er gestorben. Diod. Sic. l. c. Gleichwohl soll er nach seinem Tode in eine Maus seyn verwandelt worden, weil man solchen Thieren eine Art zu wahrsagen zuschreibt. Eustath. ad Hom. Od. Κ p. 1665.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 2377-2380.
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